Solveig - Kommentare

Alle Kommentare von Solveig

  • 9 .5

    Hörst du es flüstern, das Sonnenlicht?
    Das leise und zaghaft durch kahle Äste bricht?
    Noch flüstert die Uhr, noch flüstert der Tag,
    der Schmerz in mir nicht lange verbarg.
    Der Schmerz in mir, mich langsam bricht,
    auch eure Schreie verbirgt er nicht.
    Ich frage mich, mochte Mutter dich lieber als mich?
    Ich flüstere, das stimmt doch nicht?
    Konnte sie zeigen, die Liebe zu mir?
    Einen kurze Berührung, die spricht zu dir.
    Berühren sollten wir öfter uns.
    Doch da schreit ihr vor Schmerz,
    denn den tragen wir alle in uns.
    Ich flüster dir zu "liebe mich..."
    Ich schreie dir zu "ich hasse dich!"
    Die Bosheit, die zeichne ich dir ins Gesicht -
    das ist dein Wesen, das aus dir spricht.
    Rot ist das Blut, rot ist der Hass, rot ist der Schmerz...
    Ich flüster dir zu, dies uns alle verzehrt.
    Ich schreie keifend... verbittert..., denn alles ist Lug,
    dies ganze Leben, es ist nur Betrug.
    Der Sinn? Den füge ich selbst hinzu -
    den Schmerz eben dort, woher dies Leben kommt.
    Rot ist das Blut, rot ist der Hass
    und lüstern lecke ich jenes ab.
    Ich schreie dich an:
    Ich hasse dich
    Ich verachte dich
    Ich flüster dir zu:
    Berühre mich
    ... ICH ERTRAG' ES NICHT!
    Ich schreie dich an: Das bist du nicht!
    Oder flüstere ich: Ich verdiene es nicht?
    Liebe und Wärme und Zuneigung...
    meine Seele dies flüstert,
    doch schreit sie zugleich,
    Kerben und Narben zerrissen sie leicht.
    Das hat dieses Leben hier erreicht.
    Nähe und Liebe, einer Mutter gleich,
    ist dies eine Hoffnung, die mir verbleibt?
    Schmerzen und Leid, mir auferlegt,
    wurde ich dadurch auserwählt?
    Zu hören die Schreie des Lebens, der Seele?
    Zu flüstern die Gnade, oder Vergebung?
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    "Mir ist das Schönste zuteilgeworden, was ein Mensch in diesem Leben erfahren kann. Es hat viele Namen: Zusammengehörigkeit, Gemeinschaft, menschliche Wärme, Vertrauen. Ich glaube es ist das, was man Gnade nennt."
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    "Man spürt schon den nahenden Herbst. Trotzdem ist es draußen sehr mild. Meine Schwestern Karin und Maria sind da, um mich zu besuchen. Es ist schön, wieder wie in den alten Tagen zusammen zu sein. Ich fühle mich auch gleich viel besser. Eigentlich könnten wir gemeinsam einen Spaziergang machen. Es wäre ein großes Erlebnis für mich. Schon so lange bin ich nicht mehr draußen gewesen. Plötzlich liefen wir lachend zu der alten Schaukel, die seit unserer Kindheit nicht mehr benutzt worden war. Wir setzten uns hinein wie drei brave, kleine Mädchen und Anna schaukelte uns sanft. Alle Schmerzen waren verschwunden. Die mir liebsten Menschen waren um mich. Ich konnte hören wie sie leise sprachen und lachten. Ich spürte die Gegenwart ihrer Körper und die Wärme ihrer Hände. Ich möchte diesen Augenblick für immer festhalten, denn das ist das Glück. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. In diesen wenigen Minuten habe ich das größte Glück gefunden. Und ich empfinde eine große Dankbarkeit gegenüber meinem so reichen Leben."

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    • 8

      Ein Film gezeichnet von stiller Poesie, ohne jedoch die Traurigkeit der Geschichte zu verkitschen, angelehnt an impressionistische Bildsprache, was nicht verwunderlich ist, ist Jean Renoir doch der Sohn des berühmten impressionistischen Malers Pierre-Auguste Renoir. Auf archive.org zudem begleitet von reizend-melancholischer Akkordeonmusik, die mir gleich ein französisches Flair transportiert.
      Dem unbeachteten Mädchen, das sich in der Silvesternacht nicht nach Hause traut, da es keine Schwefelhölzer verkaufen konnte, spendet der Film wenigstens ein paar liebevolle und tricktechnisch schön anzusehende Augenblicke, als sie sich in ein kleines Spielzeugland träumt, wo sie die Aufmerksamkeit und Zuneigung eines Leutnants auf sich zieht, welcher Spielzeugsoldaten aus Holz befehligt und der ihr das geben kann, wonach sie sich sehnt: Liebe und Nahrung. Bis der schwarze Husar, welcher den Tod verkörpert, auftaucht und hinter den Beiden hinterherjagt, die sich auf einem Pferd in die Lüfte schwingen.
      Armes Mädchen, unbeachtet schliefst du ein, aber die Phantasie spendet dir wenigstens einen Strauch, dessen weiße Rosen zu blühen beginnen und deren Blütenblätter still und leise auf dein Gesicht hinabfallen ... wie die Schneeflocken.
      "How stupid to think you can warm up with matches."
      Ein sehr schöner, kleiner Film, der ruhig auf Zwischentitel hätte verzichten und allein mit seinen Bildern hätte erzählen können.

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      • "Filmemacher sollten bedenken, dass man ihnen am Tag des Jüngsten Gerichts all ihre Filme wieder vorspielen wird." C. C.

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        • 8 .5

          Ein schon ziemlich spezieller Fellini, bei dem ich es wohl am meisten nachvollziehen kann, wenn sein SATYRICON nicht jedermanns Sache ist; für die einen mag es seltsamer Trash sein, für die anderen ein Trip durch das dekadente, frivole, derbe, abscheuliche, obszöne und gewalttätige Rom zur Kaiserzeit, hin und her gerissen zwischen Begierde, Lust, Zügel- und Wertlosigkeit, Abscheu und Faszination und irgendwo womöglich ein Spiegel ausgelassener Triebe, über die wir keine Gewalt haben. Die Geschichte um den jungen und schönen Studenten Encolpio folgt dabei keiner konventionellen Dramaturgie, sondern viel mehr einzelnen Stationen einer Odyssee. Wechsel ist das Los des Lebens; so verharren sowohl Encolpio als auch der Zuschauer stets im Unwissenden, was als nächstes geschehen wird und wie diese Reise weitergeht - diese Verfilmung der Vanitas: der Vergänglichkeit aller Dinge, der Lüge, der Leere, der Prahlerei, der Eitelkeit. Und da wäre noch der titelgebende Satyr, ein sehr zwiespältiges Wesen der späteren antiken Mythologie, welches im Gefolge des Gottes Dionysos auftritt und häufig Natur, Fruchtbarkeit und hervorbringendes Leben, aber eben auch Triebhaftigkeit und Lust in beiderlei Richtungen verkörpert: Erotik und Sexualität, sowie Zerstörung und Tod. Scheint hier so, als wachse dieser Satyr inmitten dieser Vanitas heran. Was als zügellose und unendliche Freiheit erscheinen mag, wird doch der unkontrollierbaren Wechselhaftigkeit und der Vergänglichkeit preisgegeben, eben jeder schmale Grat zwischen einem bizarren 'Carpe Diem' und 'Memento Mori'.
          So scheint Encolpio selbst zum losen Spielball dieser dekadenten Gesellschaft zu sein. Zuerst noch im Streit mit seinem Kommilitonen Ascytos, den er umzubringen droht, da dieser ihm seinen Lustknaben Gitone gestohlen habe, entscheidet sich Gitone schließlich den ihn liebenden und begehrenden Encolpio zu verlassen, tritt Encolpio einem Philosophen gegenüber, der über Kunst und Gesellschaft reflektiert, wird Gast beim ausufernden Tischgelage des Trimalchio, Gefangener auf einer Galeere, geehelicht mit einem Mann, dazu gezwungen, vor dem Tod zu fliehen oder vielleicht doch gerade ihm entgegenzurennen, als er sich zum Vergnügen der höheren Gesellschaft im Labyrinth des Minotaurus behaupten muss, obwohl er keine Kämpfernatur ist, begnadigt, dazu gedrängt, sich auf eine andere Weise zu beweisen, wo ihm jedoch sein "Schwert" abstirbt, etc. pp. Sein Gefolgsmann wird Ascytos, mit dem er eigentlich im Streit um Gitone lag, der Anfang des Films, der sich so anfühlt, als sei man gerade Gast eines Amphietheaters, wo all diese Merkwürdigkeiten irgendwie irreal aufgeführt werden, bis das zügellose Leben in die Vergänglichkeit und Nichtigkeit kippt, all die Farbenpracht der Ödnis weicht und man den Wind pfeifen hört, der die Zeit unwiederbringlich fortweht - memento mori!
          Und am Ende sind wir vielleicht alle nur Gedanken, die in das Reich der Ideen eingehen.
          ... interessanter, wenn auch bei der Erstsichtung recht anstrengender Film. Aber ich mochte ihn. Sehr sogar, denn er hat einiges Widerwärtiges und Abscheuliches, aber irgendwie auch Tröstliches in mir selbst fühlbar gemacht; Letzteres insbesondere, wenn ich an das Ende des Films denke.

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          • 5

            THE LOVE LIGHT konnte mich leider nicht richtig packen.
            Dabei klingt die Geschichte auf den ersten Blick nicht schlecht.
            Angela lebt mit ihren zwei Brüdern in einer kleinen italienischen Hafenstadt. Die ersten Minuten locken noch mit sehr schönen Aufnahmen des idyllischen, abgeschiedenen und romantischen Städtchens, dessen Flora und Fauna und Stadtarchitektur zu eben jenem Eindruck beitragen. Die Leute scheinen hier sehr vertraut miteinander und teilen sich schonmal die alltäglichen Arbeiten auf dem Sammelplatz der Stadt. Gerade hier schlägt der Film noch einen lockeren und verspielten Ton an, da sich im Spiel der Figuren viele Komödienelemente wiederfinden.
            Doch bleibt dieses Fleckchen nicht von den Ereignissen des ersten Weltkriegs verschont. Angelas Brüder werden eingezogen und ihren Tod finden. Und das Schlimmste ist, dass Angela am Tod ihres jüngeren Bruders, zu dem sie ein sehr liebevolles Verhältnis hat, indirekt die Schuld trifft (inwiefern hängt mit dem Titel des Films zusammen), die im Zusammenhang mit einem fremden Soldaten steht, der an der Küste angeschwemmt wurde und der von Angela aufgenommen wird. Dieser gibt sich als desertierter Soldat der Amerikaner aus, der deshalb verborgen bleiben will. In Wahrheit ist er jedoch ein deutscher Soldat, der seine Pflichten erfüllen muss und zum Spion der Gegend wird. Ohne dies zu wissen, verliebt sich Angela in ihn und die beiden heiraten heimlich. Als die wahre Identität ihres Mannes auffliegt, nimmt eine Tragödie ihren Lauf - auch für Angela, die erfahren muss, dass ihr einst so unbeschwertes Leben nur noch aus Verlust, Trug und Schuld besteht, was ihre Verfassung in kommender Zeit zeichnen wird; und dann hat sie auch noch ein kleines Mädchen geboren, für das sie jedoch nicht sorgen kann und welches ihr weggenommen wird, obwohl sie das Kind liebt.
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            Die Geschichte ist sehr geradlinig und wird lediglich durch das Figureninventar aufgestockt (alle Personen der Geschichte habe ich jetzt nicht genannt), das in irgendeinem Verhältnis zu Angela steht. Dass die meisten Stummfilme keine komplexen Geschichten erzählen, ist ja weithin bekannt. Sie haben dann eher andere Qualitäten wie Figurenzeichnungen und Inszenierungen suggestiver Bilder, die den Zuschauer auf der Gefühlsebene ansprechen und Nähe aufbauen, wodurch im besten Fall eine gehörige emotionale Tiefe entsteht. Und eine einfach gestrickte Geschichte bedeutet ja nicht, dass ein Spannungsbogen nicht vorhanden ist. THE LOVE LIGHT hat dies jedoch für mich nicht überzeugend hinbekommen. Angelas Geschichte plätschert eigentlich die gesamte Laufzeit nur so dahin, da die eigentlich interessanten Aspekte der Geschichte nicht recht in den Blickwinkel geraten oder nur zu kurz angeschnitten werden. Der Krieg, der hier mit Verlust und Betrug einhergeht, scheint in dem idyllischen Hafenstädtchen nicht recht präsent zu sein und steht eigentlich nur mit dem angeschwemmten Soldaten real im Raum, bei dem die Motive jedoch unklar bleiben. Das Städtchen selbst ist nicht näher zu verorten, weshalb ebenso wenig deutlich wird, warum es sich hierbei für den Kriegsfeind um einen wichtigen Ort handeln sollte. Und auch wenn man diesen Film nur als die Darstellung eines Einzelschicksals nimmt, schafft es THE LOVE LIGHT leider nicht, die Gefühlsebene des Zuschauers anzusprechen. Stummfilme leben von der Kreativität und Faszination, ihre Geschichten eben großteils allein durch Bilder zu erzählen. Die emotionalen Momente werden jedoch nicht gezeigt, sondern nur durch Zwischentitel kurz vermittelt und beim Zuschauer oberflächlich als kleines "Aha" gespeichert. Dabei dürfte gerade beim Stummfilm wie auch bei einem Roman die erste Regel der Kreativität, die den Rezipienten packen soll, lauten: sag es nicht, sonder zeig es! Zeig z.B. durch Bildsprache die Gefühlswelt deiner Figuren, anstatt sie nur mit einem Wort zu bennenen. So konnte ich in THE LOVE LIGHT jedenfalls kein Interesse an den Figuren und ihren Schicksalen entwickeln und auch die wenigen Spannungselemente der Geschichte gingen spurlos an mir vorbei. THE LOVE LIGHT bediente somit eigentlich nur den Anspruch, den ich an einen Groschenroman stellen würde, den man in jedem x-beliebigen Supermarkt an den Kassen findet.
            Schade - da können Stummfilme auch aus dieser Zeit schon dramaturgisch und auf der Gestaltungsebene mehr leisten. Was bleibt, ist ein landschaftlich schönes Setting und solide Darstellerleistungen, jedenfalls angesichts des Raums, dem die Inszenierung dieser Geschichte der Rolle seiner Figur ermöglicht. Mary Pickford hielt mein Interesse zumindest noch so gut bei der Stange, um sich THE LOVE LIGHT bis zum Ende anzuschauen und eine kleine berührende Szene gibt es immerhin noch, als ein Mann sie wiederfindet, der schon früher heimlich in sie verliebt war, von ihr jedoch nie beachtet wurde. Inzwischen ist er erblindet, aber vielleicht kann er Angela, die alles verloren hat, etwas Glück und Geborgenheit geben.
            Insgesamt aber schade, dass ich dachte, hier vielleicht wieder etwas Vergessenes aufgespürt zu haben, das ich im Endeffekt aber niemanden ans Herz legen würde.

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            • 8

              Gib mir deine Hand .
              Ich werde sie halten,
              wenn du einsam bist.
              Ich werde sie wärmen,
              wenn dir kalt ist.
              Ich werde sie streichen,
              wenn du traurig bist.

              ... für ein kleines bisschen Glück.
              -
              ~ A picture with a smile - and perhaps, a tear. ~
              Oh yes!
              -
              Charlie weiß, wie man Herzen zu Butter werden lässt.
              Dafür benötigt er einen Blick auf die Unglücklichen und die Einfachsten der Gesellschaft. Eine verlassene, tief traurige und einsame Frau [die Hochzeitsszene der ersten Minuten spricht Bände; gefallene Blüten des Brautstraußes, die die Trauer verdeutlichen, welche zudem zertreten werden] setzt ihr Neugeborenes aus mit einem Zettel um Bitte, sich um dieses Waisenkind zu kümmern. Durch eine kleine Kette an verschiedenen Umständen findet der Vagabund das Kind, das er eigentlich wieder loswerden will und es durch gegebene Umstände aber nicht mehr loswerden kann - bis gegebene Umstände ihm jedoch ein paar Jahre später drohen, das Kleinkind wieder wegzunehmen. Bis dahin sind die beiden nicht Gewollten und Verlassenen jedoch längst ein Herz und eine Seele geworden. Ja, Charlie muss auch mir nur von all der kleinen und großen Liebe zwischen ihm und dem kleinen John erzählen, indem die eigentlich mittellose Wohnung zweckmäßig, aber kreativ!, für ein Baby hergerichtet wird, wie man gemeinsam Hand in Hand für ein paar Münzen sorgt und sich dabei einen Polizisten zum Running Gag macht, wie man durch Bauernschläue und liebevollen Slapstick im Milieu, das man bewohnt, zurechtkommt - wie man mir Appetit auf Pfannkuchen macht und nicht selten Bilder der eigenen Kindheit heraufbeschwört, die gerade wenn sie durch Einfachheit geprägt war, eine Unmenge an Phantasie an den Tag legte und vielleicht haben Kinder aus einfachen Verhältnissen eben das anderen Kindern voraus, wenn sie eben eine ähnlich innige Liebe erfahren wie der kleine John von seinem sorgenden Ziehvater, die wohl beide niemand haben will, weshalb gerade ihr Band besonders stark geknüpft wird. Und klar, wer empfindet es angesichts dieser Umstände nicht als ungerecht, wenn dem Vagabunden der kleine Junge wieder weggenommen werden soll?
              Jaaha, da drückt Charlie auch bei mir alle Knöpfe, dass ich bei diesem Film butterweiche werde und den einfach herausragend finden muss.
              Aber im Ernst: ein wirklich sehr schöner Film!

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              • 8

                Eigentlich wollte ich mir auf YT nur noch einmal Norsteins kleinen Igel im Nebel anschauen, als mir am Seitenrand ein weiterer animierter Kurzfilm angezeigt wurde: THE SILENCE BENEATH THE BARK. Als blicke man in eine Schneekugel, die einen eigenen Zauber entfaltet; ein kleiner, putziger Film, der sich irgendwie philosophisch anfühlt, verdichtet zu zehn Minuten, die mich irgendwie berührt haben. Es beginnt unwirtlich kalt, gerissen, der Wind pfeift, als zwei kleine Wesen geweckt werden, die eigentlich fest schlafen. Sie werden nicht nur physisch geweckt, sondern auch ihre Neugier, die sie in die karge Winterwelt treibt, wo sie ganz allein sind. Und dieses Alleinsein ist sehr schön fühlbar. Und obwohl diese Welt so karg winterlich ist, entdecken sie doch eine gewisse Schönheit darin und seien es nur die Schneeflocken, deren Form beäugt und anschließend geschmeckt werden. Karg und kühl und einsam ist es hier, aber irgendwie auch schön - und schließlich sind die Wesen doch zu zweit und Zweisamkeit gibt Wärme, auch das erzählt THE SILENCE BENEATH THE BARK in seiner schönen Animation. Bis sich die Wesen von der sie umgebenden Welt ein Stück weit entfernen und eins von ihnen sich noch weiter in die Welt der Leere wagt, wo es aber sein eigenes Spiegelbild in einem Fluss sieht und zufrieden zu seinem Gefährten zurückkehrt. Die Welt scheint ihnen erst jetzt richtig zu gehören, bis am Ende ... nun, schaut selbst.
                10 wunderbare Minuten, deren Bilder exemplarisch für etwas stehen, das der Film allein der Interpretation seines Zuschauers überlässt und vielleicht etwas über Geburt, Einsamkeit, gefundene Gemeinsamkeit, das Entdecken und Staunen der einfachsten Dinge, die einen umgeben, Selbsterkenntnis und Erfüllung erzählt.
                THE SILENCE BENEATH THE BARK war übrigens auch im Rennen um den Oscar.

                10
                • 4

                  Oh no, Jim, mein Schatz, das war nichts.
                  Was war da bloß mit Dir los? Standest Du bei diesem Film irgendwie unter Zeit- und Termindruck oder hattest Du einfach mal nur Bock, was anderes auszuprobieren?
                  Ich fand ja all Deine bisherigen Filme richtig klasse! Ob ich nun zu Dir ins Taxi steige und mich durch nächtliche Metropolen kutschieren lasse, das von Dir so typisch vermittelte Lebensgefühl genieße und die Erfahrung mache, dass sich wildfremde Menschen nachts irgendwie am ehesten auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen und sich dem anderen am meisten öffnen. Oder falls in meinem Freundeskreis wieder mal jemand irgendwo heiratet und ich mitten in der Nacht auf dem Heimweg irgendwo in der Pampa lande, wo plötzlich kein Zug mehr geht und ich gezwungen bin, im nächstbesten Hotel irgendwie unterzukommen; und wenn ich in fremden Betten mal wieder nicht einschlafen kann, werde ich sicher so liebevoll unterhaltsam an die seltsamen Umstände denken, die uns Menschen plötzlich zusammenführen und mit denen wir irgendwie klar kommen müssen, wie traurig und schön so ein flüchtiger Moment menschlicher Begegnung zugleich sein kann, bis uns irgendetwas wieder auseinanderreißt. Inszenier doch bitte wieder Deinen feinfühlig skurrilen Humor, der durch seine Subtilität so wunderbar funktioniert. Lass mich wieder menschliche Sehnsüchte und das Gefühl, sich trotz aller Nähe irgendwie stets fremd zu sein spüren - ja, durch Deinen lässig coolen Stil, der manche an die Grenze des Aushaltbaren bringt, bei mir aber genau dadurch immer so intensiv wirkt.
                  Mein lieber Jim, Du bist mir unter all den mächtig intellektuellen und kunstprätentiösen Arthausregisseuren durch Deinen eigenen unverwechselbaren und leichtfüßigen Stil besonders willkommen und angenehm, Deine meist auf der Gefühlsebene funktionierenden Botschaften treffen mich immer, sodass ich glaubte, du könntest inzwischen auch einen Film darüber drehen, wie in China ein Sack Reis umfällt - dem Du gern auch noch Samuraiweisheiten auf seinen Weg mitgeben darfst - und selbst das würde ich noch feiern und mir nicht eingestehen wollen, dass Du mich wahrscheinlich gerade ganz schön an der Nase herumführst.
                  Aber Dein "Ghost Dog" - nee, das war nichts.
                  Es ist nett von Dir, dass Du uns Deinen Außenseiterhelden so menschlich nahe bringen willst. Aber hätte es nicht gereicht, ihm einfach seine Tauben, die Szene mit dem Mädchen über Frankenstein und sein missverstandenes Monster und jene mit dem Eisverkäufer zu lassen? Auch da hättest Du sicher genug einfache Lebensweisheiten der Underdogs fühlbar werden lassen können, anstatt mir so pseudophilosophische und -tiefgründige Gedanken aufzudrängen.
                  (By the way, eine liebevolle Samuraisatire hätte bei mir garantiert besser funktioniert und mich vielleicht auf einen ganz ähnlichen Trip wie durchs Outlaw des Wilden Westens mitgenommen.)
                  Zu Deinen Stärken gehört es außerdem, lieber Jim, dass Du meist erst Deine Besatzung, die sich oft aus Deinem persönlichen Freundeskreis zusammensetzt, für Deinen Film hast und dann erst die individuellen Rollen Deiner Drehbücher schreibst. Das machst Du prima, denn so schaffst Du es, die Stärken und vorallem auch Schwächen Deiner Leute so in Szene zu setzen, dass ich plötzlich erst ihr Talent entdecke oder sie auf einmal gar nicht mehr so anstrengend finde wie in den Filmen anderer Regisseure. Aber Dein 'Ghost Dog' - der ist so subtil und glaubwürdig wie der berühmte Elefant, der sich im Kirschbaum versteckt. Und der Witz eignet sich zumindest noch dazu, sich über die Plattheit auf den Schenkel klopfen zu können. Genauso diese Gangstersatire, die wohl genau den Humor bedienen soll wie jenen, wenn eine Maus in einem Cartoon eine Katze in die Luft sprengt und anschließend zerhackstückelt - - - und ich mich immer frage, ob ich jetzt eigentlich lachen muss?
                  Nee, nee, my dear; hier wolltest Du irgendwie zu viel auf einmal und ich glaube fast, so ganz genau wusstest Du selbst nicht, was Du eigentlich hier willst. Dein Konzept für diesen Film ist für mich nichts Ganzes und eigentlich auch nichts Halbes, sondern einfach nur ... :/
                  Wir treffen uns aber in Deinem nächsten Film wieder und ich hoffe, Du bist dann wieder mein Jim, den ich so gern habe und mit dem ich mich doch so gern via Film unterhalte.

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                  • 9

                    Wie sagt doch ein arabisches Sprichwort so schön?
                    "Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt."
                    Und Lotte Reinigers DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED ist wie der Himmel, zu dem der Prinz auf seinem Zauberpferd aufsteigt an dem wir Sterne bestaunen können. Wie ein Reisender durch die Geschichte eines Buchs an unterschiedlichen Blumen riechen darf, so eröffnet sich die Bühne der Silhouettenfiguren in diesem Film und wir dürfen den auf einem Zauberpferd gen Himmel aufsteigenden Prinzen Achmed auf seine Abenteuerreise begleiten in
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                    Eine unglaublich schön gemachte Odyssee erwartet den jungen und neugierigen Prinzen, nachdem der afrikanische Zauberer ein fliegendes Pferd ins Leben rief, um es dem Kalifen zum Geburtstag zu schenken, der entzückt ist und dem Zauberer dafür einen Schatz schenken möchte, welchen er sich selbst aussuschen dürfe. Die Wahl fällt auf Prinzessin Dinarsade, Achmeds schöne Schwester, die sich jedoch dagegen sträubt, der Schatz des Zauberers zu werden. Als Achmed einschreitet, entledigt sich der Zauberer seiner, indem er den Prinzen auf das Zauberpferd drängt, dass diesen fortträgt, ohne dass Achmed weiß wie man seiner eigentlich habhaft wird. Aber wir, wir sind an seiner Seite, begleiten ihn durch seine Abenteuer, steigen mit ihm zum Himmel empor, immer weiter, immer weiter, immer weiter geht die Reise - - - bis Prinz Achmed das Zauberpferd zu steuern lernt und mit ihm hinabtaucht in das Reich der Dämonen, wo er von schönen Frauen umgarnt wird und schließlich auf Pari Banu trifft, in die er sich unsterblich verliebt und sie - ganz Mädchen (ja, das Frauenbild ist hier irgendwie recht nostalgisch verklärt - aber irgendwie auch so schön anrührend wie es ein bezauberndes Märchen im besten Sinne erzählen kann) - sich jedoch ziert, vor ihm wegläuft und schließlich zu weinen beginnt, als Prinz Achmed sie einholt, da sie fürchtet, die Dämonen würden ihn töten, wenn er sie liebt und zudem hat der Prinz ihr auch noch ihr Vogelgewand gestohlen. Und wie sagt ein anderes arabisches Sprichwort?
                    "Wenn Du Dir etwas ganz fest wünschst, dann lasse es frei – nur dann kehrt es zu Dir zurück."
                    Und so gewinnt Prinz Achmed Pari Banus Herz, als er sie selbst von seiner selbst befreit, indem er ihr ihr Vogelgewand zurückgibt.
                    Aber da ist noch immer der Zauberer, der mit Prinz Achmed eine Rechnung offen hat und der dank seiner Fähigkeiten erfährt, wo sich die Liebenden aufhalten und Pari Banu raubt, was Prinz Achmed zu neuen Abenteuern herausfordert, zum Kampf gegen Märchenwesen, auf eine weite Reise, bedroht - und die Dämonen der Unterwelt sind auch nicht gerade darüber erfreut, dass der Prinz ihnen die schöne Pari Banu nahm, weshalb sie auf Rache sinnen. Aber da ist auch noch Aladin mit der Wunderlampe, der dem Prinzen zum Weggefährten und zum Freund wird. Und wer weiß - vielleicht erhält Prinz Achmed auch noch Unterstützung an Orten, wo man es nicht zu glauben vermag.
                    .
                    Unglaublich schön wie viel hier in 65 min. erzählt wird, ohne dass die Geschichte überfrachtet wird und am Ende werden einzelne Erzählungen/Abenteuer miteinander verflochten.
                    Und noch schöner sind die absolut bezaubernden, detailverliebten und filigranen Scherenschnitt-/Silhouettenfiguren und ihre Gewänder, ebenso die im selben Stil erschaffenen Hintergründe un Kulissen, die sich wiederum für jedes neu anstehende Abenteuer aufs Neue auftun. Hier steckt unheimlich viel Herzblut und Hingabe drin, die dieser schöne Trickfilm aus dem Jahre 1926 (und ... ein Stummfilm als Trickfilm - awesome!) seinem Zuschauer schenkt und ich gebe ihm als Dank dafür nicht weniger an Begeisterung zurück.
                    Es freut mich, dass der Film inzwischen in den cineastischen Kanon der Trick-/Animations- und Kinderfilme aufgenommen wurde und wer in diese Filmform ebenso vernarrt ist wie ich: unbedingt anschauen!! Eine echte Perle!

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                      über Carmen

                      "Carmen hatte eine wilde und seltsame Schönheit."
                      Dichtes schwarzes Haar mit einem samten Schimmer von blau,
                      intensive und geheimnisvolle Augen -
                      Wolfsaugen. Zigeuneraugen.
                      Bizets "Carmen" war die allererste Oper, die ich zu Gesicht bekam, und wenn ich mich recht erinnere, dann war es eine französische Inszenierung, die mich begeistern konnte. Die Figur der Carmen ist sicher schwer zu besetzen, verkörpert sie doch genau die geheimnisvolle und unwiderstehliche Erotik, die der Carmenfigur ihre Stärke und Freiheitsliebe verleiht (»L'amour est un oiseau rebelle« ist nicht umsonst ihr Motto und Sinnbild ihrer in den Bann ziehenden und verspielten Flatterhaftigkeit ist), die in Flammen aufgehen lässt, sowohl in Flammen der Leidenschaft als auch in Flammen der Eifersucht.
                      Laura del Sol - ja... ist zweifelsfrei eine ganz Hübsche, hat vorallem sehr schöne Mandelaugen und wenn man sie in das richtige Kostüm steckt und die Maske ihre Arbeit ordentlich macht, dann verstärkt das sicher noch einmal ihre Ausstrahlung, aber von der Liga, in der eine 'Carmen' für mich spielt, ist sie dann doch um Einiges entfernt. Oder kurz gesagt: mir war sie für diese Rolle zu farblos, weswegen Choreograf, der nach DER Carmen sucht, diese so schnell in ihr gefunden hat, bleibt für mich leider nicht nachvollziehbar. Auch die Idee, eine geplante Carmeninszenierung mit der Realität der Filmfiguren zu verflechten, stellte ich mir interessant vor, aber leider verliert sich der Film zu sehr in ein durchschnittliches Liebes-und-Eifersuchts-Drama, das für mich nicht überzeugend mit dem Carmenstoff verwoben wird und weit von dessen Intensität entfernt ist, obwohl CARMEN seinerzeit in Cannes als bester künstlerischer Beitrag ausgezeichnet wurde.
                      Ja, einzig die viel gelobten Flamencoeinlagen drücken das Carmengefühl aus, aber im Flamenco liegt ja sowieso eine ihm ganz eigene geheimnisvolle Faszination, wozu es keinen Carmenstoff gebraucht hätte, der für diesen Film aber nunmal titelgebend ist.
                      Schlecht ist der Film zwar nicht, aber für mich eben leider nur Durchschnitt, der mich in seinen Absichten nicht überzeugen konnte.
                      Schade, Herr Saura, ich hatte mich auf meinen ersten ihrer Filme sehr gefreut - aber vielleicht gefällt mir ihr nächster besser.

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                      • 7

                        Murnaus DER GANG IN DIE NACHT von 1921 ist ein nicht leicht zu bewertender Film, galt er doch lange als verschollen und - soweit ich weiß - ist dies ebenso sein ältestes, heute noch erhaltenes Werk, obgleich er schon ein paar Jahre früher seine ersten Filme drehte und wahrscheinlich mit DER KNABE IN BLAU 1919 debütierte. Manch andere seiner Filme gelten leider auch heute noch als verschollen oder sind nur noch fragmentarisch erhalten geblieben. So kann man sich auch bei DER GANG IN DIE NACHT nicht eindeutig sicher sein, ob die gesehene Fassung tatsächlich jene ist, die in ihrer Form 1921 zu sehen war. Jene, die ich mir jetzt ansehen konnte, wirkte auf mich mehr wie ein Rohdiamant; die Bildqualität war allerdings nicht die beste. Aber sei's drum, ich habe ihn mir ansehen können und für mich verdient der Film ohne Frage das Prädikat 'sehenswert'. Ob es sich hierbei nun um ein schwächeres Melodrama des frühen Murnaus handelt, oder ob man darin eine Parabel über die Flüchtigkeit des Begehrens, des sich nicht wirklich lieben Könnens, der nahe beieinander liegenden Liebe und des Schmerzes und des zerstörten gemeinsamen Glücks sehen mag, indem manch gezeigten Andeutungen symbolischer Wert zugesprochen werden kann, hängt sicher davon ab wie wohlgesonnen man dem Regisseur und der unsicheren Fassung gegenüber ist.
                        Zur Handlung im Groben: Vier Figuren stehen in dieser Geschichte im Vordergrund. Eigil ist ein vielversprechender Arzt, der jedoch seine Verlobte, Helene, vernachlässigt, die ihre Einsamkeit als Opfer für die Karriere ihres Verlobten nur ihrem Tagebuch anvertraut. Als Eigil eines Abends eine Bühnentanzshow besucht, wird die junge und verführerische Tänzerin Lily auf ihn aufmerksam, die auf der Bühne in einem sich öffnenden Blumenkostüm auftritt und das Desinteresse des Arztes als Herausforderung sieht, ob sie es nicht schafft, gerade ihn zu verführen, sodass sie einen Unfall auf der Bühne vorgibt, bei dem sie sich ihren Fuß verletzt habe, den der Arzt sich anschauen müsse. Ihr Plan geht auf; Eigil bittet Helene, ihn aus ihrem Verlöbnis zu entlassen. Zusammen mit Lily, die ihre Rolle der verspielten Verführerin beibehält, zieht Eigil in ein Dorf, wo er eine Praxis eröffnet, bis ein Blinder erscheint (Conrad Veidt ist sowieso immer sehenswert), den Lily vorerst fürchtet, dem der Arzt durch eine Operation sein Augenlicht wiedergeben wird - und Lily und der Blinde zu einem Liebespaar werden. Doch das Glück ist nicht von Dauer, denn der Geheilte ist erneut erblindet und der von Lily enttäuschte Arzt verweigert die Hilfe. Sowohl Lily als auch die an Liebeskummer leidende Helene werden das Ende des Films nicht mehr erleben, der Arzt in seiner Einsamkeit bleiben und der Blinde in seine ihm auferlegte Nacht zurückkehren.
                        Die Intensität seiner späteren Filme erreicht Murnau hier noch nicht. Was ihn aber so sehenswert macht, ist, dass DER GANG IN DIE NACHT dennoch schon hier seine Handschrift trägt. Sei es der Versuch, mit Landschaftsaufnahmen die seelischen Zustände seiner Figuren einfangen und fühlbar machen zu wollen oder auch die für ihn so typischen Gesten mit denen er oft die Zärtlichkeit zwischen Mann und Frau ausdrückt: die Frau, die ihr Gesicht an den Hals des Mannes legt, der ihr wiederum mit der flachen Hand über den Kopf streicht und den anderen Arm schützend um sie legt, das Küssen der Augenlider oder die Trost suchende Verzweiflung des Mannes, der niederkniet und seinen Kopf an den Unterleib der stehenden Frau legt und ihre Oberschenkel umarmt. Eben jene Gesten, die mir irgendwie immer nahe gehen, weil die Figuren hier so viel Vertrauen in den anderen hineinlegen, welches gerade in DER GANG IN DIE NACHT enttäuscht wird.
                        Letztendlich kann man an DER GANG IN DIE NACHT, bei dem ich allerdings eher Zaungast der Geschehnisse blieb, sehen, dass Murnau seine eigenen Stärken, die zu seinem Stil wurden, für sich entdeckte und von Film zu Film zu perfektionieren sucht. Irgendwie schade, dass dieser Titel aber so früh in seiner Filmographie steht - ein schon erfahrenerer Regisseur, zu dem er später wurde, hätte hieraus mit Sicherheit einen so nahegehenden und schönen Film wie seinen späteren SUNRISE kreieren können. So bleibt DER GANG IN DIE NACHT, dessen Titel poetischer als der Film selbst ist, ein Murnau mit verschenktem Potential. Nichtsdestotrotz aus genannten Gründen: sehenswert.
                        (Und wer noch mehr über den detaillierteren Inhalt erfahren möchte:
                        http://www.getidan.de/kritik/film/jutta_brueckner/35659/der-gang-in-die-nacht-der-brennende-acker-friedrich-wilhelm-murnau)

                        9
                        • 8 .5

                          Der Wecker, der schellt,
                          der Morgen, der ruft,
                          schnell, schnell,
                          die Arbeit dich braucht.
                          Malochen und stressen
                          dich dabei vergessen
                          denk an nichts -
                          du bist allein.
                          Ist da jemand?
                          .
                          ~ Zwei junge Herzen ~
                          .
                          Menschen um dich
                          verschwommenes Gesicht
                          Ein Lächeln -
                          Dein Gesicht ...
                          Mary und Jim ...
                          Allein in der Masse.
                          .
                          ~ Zwei junge Herzen ~
                          .
                          Mit dir am Strand
                          der Trubel um uns
                          vergessen.
                          Nur wir allein
                          hier können wir offen sein.
                          Wir kennen uns nicht
                          d'rum die Unbefangenheit mit uns spricht.
                          .
                          ~ Zwei junge Herzen ~
                          .
                          Allein im Trubel nur wir zwei -
                          komm mit mir!
                          Ein Abend nur für uns
                          Ein Abend nur wir im Trubel des Vergnügens!
                          .
                          ~ Zwei junge Herzen ~
                          .
                          Das Karussel sich dreht
                          die Zeit vergeht
                          Ein Foto von dir für mich
                          von mir für dich
                          Eine Puppe für dich gewonnen -
                          Wirst du mich vermissen?
                          Nach mir suchen?
                          .
                          ~ Zwei junge Herzen ~
                          .
                          Menschen um dich
                          verschwommenes Gesicht
                          Ein Lächeln -
                          Dein Gesicht ...
                          Mary und Jim ...
                          Allein in der Masse.
                          Ich glaub'...
                          Hab ich mich verliebt?
                          Wirst du mich vermissen?
                          Nach mir suchen?
                          Entzweit!
                          Wieder vereint?
                          Mary und Jim ...
                          .
                          ~ Zwei junge Herzen ~
                          .
                          Eine kleine Episode aus einer grossen Stadt
                          - Lonesome -
                          von 1928
                          ein Geheimtipp
                          gefühlvoll, metaphorisch, lyrisch
                          klein, fein - und sehr schön!
                          -------------------------------------------
                          Danke, Smoover! ;-)

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                          • 7 .5

                            So, und hier haben wir dann mal einen eher locker leichten Murnau, der für mich eigentlich mehr in Richtung Komödie als Drama geht, was dafür verantwortlich sein mag, dass HERR TARTÜFF auf mich allerdings eine nicht ganz so große Wirkung wie seine anderen Filme entfalten konnte, die ich bis jetzt gesehen habe. Die Handlung ist dabei ganz einfach: ein betagter, leicht schrulliger und sehr wohlhabender Herr lebt allein mit seiner hinterlistigen Haushälterin zusammen, von der er glaubt, sie sei ihm ehrlich und wohlgesonnen zugetan und kümmere sich deshalb liebevoll um ihn. Tatsächlich ist sie jedoch auf das Vermögen des Herrn aus und bringt deswegen dessen Enkel in Verruf, der ein unsittliches Leben führe und sich obendrein für ein Schauspielerdasein entschieden habe - das kann ja nichts Anständiges sein. Sie erwirkt, dass der junge Mann enterbt und sie Haupterbin wird. Doch der Enkel mag nicht aufgeben - insbesondere, da er die Haushälterin in ihrem falschen Charakter durchschaut hat. So nutzt der junge Mann sein Schauspieltalent und verkleidet sich als Inhaber eines Wanderkinos und dank schmeichelnder Überredungskunst erwirkt er, dass er inkognito im Hause seines Großvaters einen Film zeigen darf, der die Geschichte des Herrn Tartüff erzählt. Und hier beginnt dann der Film im Film und ich freute mich sehr, Emil Jannings wieder einmal in der Titelrolle des Scheinheiligen zu sehen, der einen reichen Mann dazu bringt, all sein Vermögen und seinen Wohlstand aufzugeben, dabei aber auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Lediglich die kluge Ehefrau - Lil Dagover sehe ich auch immer wieder gern - ahnt, dass sich ihr Mann für Nichts und wieder Nichts in den Ruin treibt, und dass Herr Tartüff nicht der Heilige ist, für den er sich ausgibt.
                            Zum Ende sei dann soviel verraten, dass das Ende des einen Films über Herrn Tartüff Auswirkungen auf das Ende des Rahmenfilms hat.
                            HERR TARTÜFF ist kurzweilige und recht amüsante Unterhaltung, die auch mich schmunzeln lies. Der Humor speist sich dabei vorallem aus der Naivität der Betrogenen, sowie ich mich von André Mattonis Performanz in der Rolle des Enkels, der das Leben locker nimmt, jedoch genau sieht, was vorgeht, angenehm angesprochen und unterhalten fühlte. Ebenso einladent sind das schöne Setting des Films, sowohl die Wohnung des alten Herrn als auch das Anwesen, das Herr Tartüff allmählich zu plündern plant, viele schöne Kameraeinstellungen und die schönen Kostüme, vorallem die im eigentlich TARTÜFFfilm.
                            Des Weiteren wird HERR TARTÜFF - trotz dessen, dass er mich hier nicht ganz so sehr erreicht hat (s.o.) - hin und wieder als vielleicht Murnaus persönlichster Film betrachtet. Denn auch in seinem Elternhaus soll es Reibereien gegeben haben; zum Einen weil Murnau sich zum eigenen Geschlecht mehr hingezogen gefühlt haben soll als zum weiblichen und zum Anderen, weil es den Eltern missfiel, dass ihr Sohn sein eigentliches Studium aufgab und sich dem Film widmete. Vor diesem Hintergrund zwinkert HERR TARTÜFF mir wiederum mit einem Auge zu und das ist etwas, was diesen Film für mich dann auch so liebenswürdig macht: Murnaus Filme sind einfach sehr unterhaltsam; mehr scheint er nur selten von einem zu wollen. Aber hin und wieder, ab und an - ja, da erzählt er dann doch noch etwas mehr in seinen Werken als man auf den ersten Blick sieht: sei es über die Ohnmacht des Menschen oder Werte in der Gesellschaft und zeigt etwas, worüber seine Zuschauer vielleicht noch nicht nachgedacht haben. Vielleicht auch über einen Schwindel, dem sie erlegen sind?
                            So gesehen ist HERR TARTÜFF für mich eine kleine Hommage an Murnaus erwähnte Entscheidung und sein Schaffen mit dem er mir heute noch viel Freude bereitet.

                            13
                            • 8

                              Wow, SCHLOß VOGELÖD, ein Titel, den ich eher weniger ernstgenommen hätte, gehörte er nicht zu den Frühwerken meines Lieblingsregisseurs, entpuppte sich, nachdem ich vollkommen erwartungslos an diesen Stummfilm heranging, als intensives Kammerspiel, das stets an der Schnittstelle zwischen Kriminalfilm und Thriller entlangschreitet und ganz genau weiß, wie man wirkungsvoll die Geschichte über ein quälendes Gewissen und Schuld erzählt. Darüber hinaus versuchte sich Murnau vorallem in diesem Frühwerk am gezielten Einsatz von Licht und Schatten und deren effektive Wirkung beim Zuschauer, was ihm dann schließlich in seinem ein Jahr später publizierten so berühmten Vampirklassiker zum endgültigen Durchbruch verhalf.
                              Was mich allerdings schon dazu verleitet hat, VOGELÖD möglichst bald sehen zu wollen, war die Tatsache, dass das Drehbuch von einem der wohl begabtesten Autoren der 20er Jahre stammt: Carl Mayer, der schon jenes für DAS CABINET DES DOKTOR CALIGARI schrieb (das merkt man VOGELÖD ebenso problemlos an) und der mit Murnau für noch weitere Titel einfach kongenial zusammenarbeitete. Dabei handelt es sich hier um die Adaption eines eigentlich trivialen Kriminalromans Rudolf Stratz', der seiner Zeit in der Berliner Illustrierten Zeitung veröffentlicht wurde. Und hätte sich ein anderer als Murnau dieses Stoffs angenommen, wäre das garantiert nicht so ein toller Film geworden; denn SCHLOß VOGELÖD lebt eben von jenem besonders herausragendem Talent, das ich schon in anderen Kommentaren zu Murnaufilmen erwähnt habe und dessen Betonung aber nie laut genug sein kann: die unglaubliche Gabe, einer Geschichte eine unter die Haut gehende intensive Atmosphäre zu geben, mit der er mich vorallem emotional jedes Mal so an seine Filme fesselt und in seine Geschichten involviert, dass ich stets dabei vollkommen weggetreten bin. Und gerade hier dürfen wir dieses Talent quasi in Reinkultur erleben, da der Stoff an sich, wie gesagt, eigentlich nichts Besonderes ist und die Inszenierung eigentlich auch eher minimal gehalten wurde, wobei das Ambiente des Films neben einer exzellenten Schauspielerführung und ihrer Gruppendynamik maßgeblich zu meiner Begeisterung beitrug.
                              Es ist ein verregneter, äußerst unwirtlicher Herbstnachmittag, dessen Wetterbedingungen den Schlossherrn von Vogelöd und seine Gäste von ihrer vergnüglichen Jagd abhalten, zu der sie sich ursprünglich hier versammelt haben. Da meldet sich aber plötzlich noch ein unerwarteter Gast, der jedoch in dieser Runde unglaublich charismatischer Männer in totschicken Anzügen unerwünscht ist: Graf Oetsch, der vor drei Jahren seinen Bruder erschossen haben soll. Ungebeten quartiert er sich auf Schloss Vogelöd ein, lehnt Bitten ab, doch Rücksicht auf die bald ankommende Witwe seines Bruders zu nehmen, welche inzwischen mit Baron Safferstätt verheiratet ist, und durchdringt wohl jeden mit seinem bohrenden Blick und nicht selten süffisantem Lächeln. Und tatsächlich möchte Baronin Safferstätt die Gesellschaft sofort wieder verlassen, als sie erfährt, dass sich ihr ehemaliger Schwager unter den Gästen der Jagdgesellschaft auf Schloss Vogelöd aufhält. Doch die Schlossherrin, die offensichtlich eine gute Freundin der Betroffenen ist, beruhigt sie und eröffnet ihr, dass noch ein weiterer Besuch sie erwarten wird: Pater Faramund, der extra aus Rom anreisen wird, um die Freunde seines ermordeten entfernten Verwandten endlich einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Und in der Tat scheint sich die angespannte Stimmung auf Schloss Vogelöd vorübergehend zu lockern, bis der inzwischen eingetroffene Pater Faramund plötzlich auf unerklärliche Weise verschwindet, nachdem er Baronin Safferstätt ihre Beichte um ihre nicht immer glückliche Ehe mit ihrem ersten Mann abgenommen hat. Und vor seiner Ankunft verschwandt auch Graf Oetsch, der den Gastgeber der Gesellschaft wissen ließ, er bevorzuge es lieber, bei Nacht und Regen zu jagen.
                              Was steckt hinter diesen mysteriösen Vorgängen?
                              Wie bereits erwähnt, gibt sich Murnaus SCHLOß VOGELÖD für mich als vorallem atmosphärisch sehr intensives Kammerspiel, das wie ein klassisches Drama in fünf Akten aufgebaut ist. Dabei wird die drückende Stimmung immer wieder durch leichtere Rückblenden oder ab und an kurze amüsante Szenen aufgelockert, um die Spannungsschraube anschließend noch stärker anzuziehen. Besonders hervorzuheben sind außerdem eine sehr passende musikalische Untermalung, die die Atmosphäre zu jedem Zeitpunkt passgenau unterstützt, sowie die Raumgestaltung des besagten Schlosses: manche von ihnen strahlen von der Einrichtung her eine gewisse Wärme aus, manche wirken jedoch sehr kühl in ihrer distanzierten Weiträumigkeit; ebenso die versammelte Gesellschaft, die sich einer fühlbaren Eleganz hingibt, unter deren Oberfläche man es jedoch brodeln zu spüren glaubt. Irgendein Geheimnis liegt hier hinter der Fassade verborgen, irgendein Geheimnis, das mit dem Mord und dem Verschwinden einzelner Personen zu tun hat - und mit der Baronin Safferstätt, die ihre Freundin bittet, nicht schlecht von ihr zu denken, was auch geschehen mag.
                              Letztendlich will ich allerdings auch dem ersten Kommentar auf dieser Seite zustimmen: SCHLOß VOGELÖD würde ich ebenfalls jenen ans Herz legen, die Stummfilme mögen UND die bereits Murnau schon durch seine bekannteren Filme zu schätzen gelernt haben. Mich hat dieser Film gestern schon begeistert, heute, nachdem ich ihn noch einmal sah, finde ich ihn einfach umwerfend und so hat SCHLOß VOGELÖD sogar die besten Chancen, neben den bekannten und zweifelsfrei nicht grundlos aus seiner Filmographie herausragenden Titeln, mein heimlicher Lieblingsmurnau zu werden. Und ich weiß spätestens jetzt, dass dieser Mann absolut zu der Crème de la Crème der deutschen (Stummfilm-)Regisseure gehörte und für mich immer mehr zur Kirsche auf diesem Sahnehäubchen wird.

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                              • Hey,
                                super, dass Du hier heute stehst. Herzlichen Glückwunsch zum Kommentar der Woche, dem man absolut anmerkt, warum genau dieser Film ein Herzfilm ist!

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                                • 8 .5
                                  über Faust

                                  "Aufgetan sind die Pforten der Finsternis und die Schrecken der Völker jagen über die Erde."
                                  Dunkelheit, Finsternis, Wesen der Unterwelt, Dämonen, die Bosheit, das Grauen, die Vernichtung - Hungersnot, Krieg und Pest.
                                  "Mein ist die Erde!", beanstandet Mephisto gegenüber dem Erzengel.
                                  "Nie wird die Erde dein sein! Der Mensch ist gut: Sein Geist strebt nach der Wahrheit! Sieh dort hinab!"
                                  Hinab auf den alten und gelehrten Faust inmitten seiner Studenten, der da lehrt:" Wunderbar sind alle Dinge [des] Himmels und der Erde! Doch der Wunder Größtes ist die Freiheit des Menschen: Zu wählen zwischen Gut und Böse."
                                  -
                                  Nicht selten ist zu lesen, dass Murnau mit seinem 1926 uraufgeführten FAUST, der gleichzeitig sein letzter in Deutschland gedrehter Film werden sollte, den Höhepunkt seiner Karriere feierte. Und, bei meiner Treu, so muss es sein. An handwerklichen Möglichkeiten des gestalterischen Erzählens holt der Altmeister der beeindruckenden Bildsprache und deren Inszenierung alles aus sich und seiner Zeit heraus. Das Ergebnis ist ein visuell unglaublich beeindruckendes Stummfilmepos, das auf der Volkssage über Doktor Faustus beruht (Randnotiz: nein, Goethe hat den Stoff nicht erfunden), wobei sich der Film aus Motiven unterschiedlicher Quellen speist, was ihm auch gleichzeitig das Gefühl des Epos verleiht. Die 106 min. Laufzeit fühlen sich üppig und beinahe doppelt so lang an. Nicht, dass FAUST langweilige Längen hätte - um dem entgegenzuwirken ist Murnau einfach mit dem besonderen Gespür für atmosphärische Dichte und dem Aufbau der Nähe des Zuschauers zu den Figuren seines Films gesegnet -, nein. Es ist eben jene Fülle an Motiven, die in dieses Epos eingewoben und die eingeführten gen Ende wieder aufgegriffen werden, sowie all die unglaublichen Effekte - bei denen man den Eindruck hat, Murnau versammele alle bis dato gegebenen tricktechnischen Möglichkeiten, um seinen FAUST visuell so beeindruckend zu machen -, die FAUST zu soetwas Großem und Großartigem werden lassen. Für Cineasten also ein absolutes Pflichtprogramm, dieser Film!
                                  Nicht weniger interessant ist allerdings, was hier aus dem Fauststoff interpretatorisch gemacht wird. Mephisto, der durch den abermals so fantastischen Emil Jannings so wunderbar unheimlich, listig, schmeichlerisch, schelmisch, gerissen und ironisch verkörpert wird, behauptet, Faust sei wie jeder andere; er lehre das Gute und treibe das Böse - Gold wolle er schaffen und den Stein der Weisen. Schon hier wird angedeutet, dass menschliches Streben in der Wertung stets ambivalent ist. Der Mensch glaubt, er tue dies dem Fortschritt zu Liebe, zum Wohl, um Gutes tun zu können. Aber ist das wirklich so? Oder treibt ihn dabei nicht auch Ehrgeiz und Eitelkeit? Faust wird auf die Probe gestellt. Als eine Pestepidemie seine Heimatstadt auszurotten droht, flieht der gelehrte Greis in seine Schriften und sein Flehen um Gottes Beistand. Erhört wird er jedoch nur von Mephisto, der ihm alle Macht und Herrlichkeit der Erde verspricht, wenn Faust Gott und all seiner Himmelsscharen entsage; es ist ein Pakt, den Mephisto fordert und sich selbst als Fausts Knecht anbietet. Von den Hilferufen der Leidenden und Sterbenden getrieben, willigt Faust in den Pakt ein, solange dieser zeitlich begrenzt sei.
                                  So sei es!
                                  Doch als die Städter dahinterkommen, dass Faust mit dem Teufel im Bunde ist, jagen sie ihn fort und drohen ihm die Steinigung an. Faust verzagt, er will den Tod - doch Mephisto führt ihm vor Augen, dass der Greis sein Leben nie gelebt und es aufgeopfert habe. Er hält ihm einen Spiegel vor, in dem Faust das junge Gesicht einer Frau erblickt. Sei dies der Tod? Nein, dies ist das Leben! Der Tod sieht anders aus - es erscheint ein Totenkopf im Spiegel. Die Rede des Mephisto wird dem alten Gelehrten durch den Blick in den Spiegel zur Erkenntinis und Verführung. Die Eitelkeit, die der Teufel dem Erzengel gegenüber andeutete, gewinnt Raum: Faust wünscht sich seine Jugend auf ewig zurück und damit (s)ein alternatives Leben. Fortan streift Mephisto nicht mehr allein durch die Welt; Faust wird sein Begleiter, dem er so schmeichlerisch einredet, sein Diener zu sein, dass Faust wohl gar nicht bemerkt, dass die Rollen genau andersherum gelegen sind. Er genießt jetzt jedenfalls die ihm geschenkte Jugend (übrigens eine ganz tolle Arbeit der Maske! Gösta Ekman nehme ich den greisen wie den jugendlichen Faust voll ab!) samt all ihrer Lüste und Freuden - bis er auf Gretchen trifft, das hübsche, fromme und unschuldige Mädchen, in das sich Faust verliebt und das dem Teufel so gar nicht in den Plan passt. Bis er jedoch erkennt, wie er beide zu seinen Spielfiguren machen kann.
                                  Interessant finde ich hier die Kontraste, die Murnau aufbaut: der im Bund mit dem Teufel stehende Faust vs. Gretchen, die rundum im Raum des Heiligen zu stehen scheint (sei es die Kirche oder der fromme Haushalt, in dem sie mit Mutter und Bruder lebt), die düstere Atmosphäre des gesamten Films vs. der für Faust und Gretchen geschaffene durchweg helle Raum ihrer Annäherung und Liebe, die expressionistische Gestaltung des Stadtbilds (ich hatte das Gefühl, dass die Gebäude einen fast erdrücken) vs. die überaus romantisch verspielte Raumgestaltung, die Faust und Gretchen teilen, bis die Geschichte jedoch wieder dem düsteren Ton erliegt, nachdem es Mephisto perfide so einfädelte, dass Faust zum Mörder von Gretchens Bruder wird und somit fliehen muss, und Gretchen als beschuldigte Dirne an den Pranger gestellt wird.
                                  Ganz allein und ohne Obdach muss das Mädchen sich nun durch den bitterkalten Winter schlagen. Doch ist sie nicht allein. Einen Säugling umschlingt sie mit ihrem Körper und fleht die Städter an, ihrem Kind nicht die Hilfe zu verwehren, sich seiner zu erbarmen, da es sonst stürbe. Doch an jeder Haustür wird der "Dirne" die Hilfe verweigert. Als Faust in der Ferne Gretchens Leid spürt, will er zu ihr eilen, doch es ist zu spät. Das Kind ist erfroren und Gretchen wird des Kindesmords angeklagt und soll auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Da holt seine eigene Vergangenheit Faust ein, die am Anfang des Films erzählt wurde; und Gretchen erkennt, dass ihr Liebster nur ein Illusion war.
                                  Weshalb ich diese Interpretation des Stoffs so interessant finde, ist vorallem dem Gesellschaftsbild zuzuschreiben, das in diesem Film gezeichnet wird. Die Zwiespältigkeit allen menschlichen Handelns ist das eine, eine andere Frage ist, ob der Mensch in der gegebenen Gesellschaft überhaupt gut sein kann oder aber dazu gezwungen ist, Verdammnis auf sich zu ziehen. Fausts ständiger Begleiter, von dem er glaubt, er sei sein Meister und der Teufel sein Knecht, entpuppt sich als umgekehrt Konstellation; Gretchen mit ihrem Kinde, deren Kleidung und Statur einer Mariendarstellung ähnelt, wird die Hilfe verwehrt, weil sie eine Dirne sei. Nicht sie hat ihr Kind getötet, die Umstände waren es; angeklagt wird jedoch nur sie allein.
                                  Und dann schwingt natürlich noch die Schuldlast der Eitelkeit durch diesen Film, die in guten wie in niederträchtigen Belangen den Menschen fesselt und ihn schuldig spricht. All diese Aspekte bündelt Murnau zu einem Finale zusammen, das dadurch eine besondere Spannung aufbaut, in der sich die Vergangenheit der Figuren in der Gegenwart entlädt.
                                  - "Doch der Wunder Größtes ist die Freiheit des Menschen: Zu wählen zwischen Gut und Böse."
                                  Verfügt er wirklich über diese Freiheit?
                                  Großartiger Film!
                                  SPOILER & KRITIK: Obleich ich sagen muss, dass mich die "Moral" der Geschichte, die einem am Ende präsentiert wird, leider bisschen ernüchtert hat. Mag aber daran liegen, dass das Schlüsselwort, welches den Pakt bricht, auf mich heute zu formel- und klischeehaft wirkt, vorallem wenn man es diesem geballten Stoff entgegenstellt, und wie eine Moralkeule zuschlägt. Statt "Liebe" hätte ich mir ein anderes Wort wie etwa "Vergebung" gewünscht, vorallem weil die Figuren erkennen, wie sie getäuscht wurden und sich gegenseitig getäuscht haben, sich aber verzeihen, sowie auch Faust seine Fehltritte vergeben werden. (Das ist auch der Punkt, der den Film leider von einer 9-Pkt.-Wertung bei mir trennt.)

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                                    Yin und Yang, der Mensch im Gleichgewicht, in der ihm innewohnender Balance;
                                    das Schwarz nimmt zu, das weiß nimmt ab, das Auge (?) verschlossen, der Mond (?) verdunkelt.
                                    Nur die Sterne sind die Lichter der Bühne und die Bühne selbst ist nichts anderes als der Sternenhimmel.
                                    Schon einmal unter einem Sternenhimmel im Freien gelegen?
                                    Freie Gedanken dabei zu spinnen begonnen?
                                    Gedanken, die einen mit in das dunkle Sternenmeer hinfortgenommen haben?
                                    Sich umgeschaut, sich verloren, losgelöst von Zeit und Raum?
                                    Ein sanfter, dezenter Klang wie der einer leisen Glocke ... sie treten auf zwischen den Sternen: Ariel, Titania, Uranus und noch ein paar weitere erlesene Vertreter der Mythologie und Astrologie, losgelöst von Zeit und Raum und Du hast die Ehre dem beizuwohnen. Regeln der Bewegung, gebunden an die Schwerkraft, Regeln der Substanz und Transparenz, Regeln der Schwerelosigkeit - die mögen auf der Erde gelten, aber nicht dort, wo Du Dich hineingeträumt hast, ins Ballett des Sternenhimmels. Alles ist in Bewegung: Himmel, Sterne, Gemini schweift übers Bild, Schwarz und Weiß verschmelzen mit dem dezenten Licht des Sternenhimmels, während Ariel, Oberon, Titania, Uranus, Umbriel und Co über ihre Bühne gleiten, ihre Körper mit dem Klang der Musik - kann der Kosmos eigentlich singen und klingen in seiner Ordnung und Harmonie? Vielleicht ist ja genau das sein Geheimnis, wie schon die alten Griechen vermuteten... - eins werden, eine Pirouette, ein sich Strecken, schweben, trippeln, auf Zehenspitzen am nächtlich geschmückten Firmament. Musik ist der vielfältige, harmonische und in seiner intensität schwingende Klang, der den Ausdruck des Tanzes begleitet - oder ist es umgekehrt?
                                    Der Kosmos gehörcht seiner eigenen Ordnung und Harmonie und Du, der Du Dich von der Erde losgelöst hast und diesem Ballett beiwohnen darfst... Darfst? Ja, Deine Präsenz wird die Tänzer nicht stören, vielleicht tun sie das auch jede Nacht, während Du schläfst, lösen sich am Sternenhimmel alle jene, die Du nur aus den Mythen und Sagen kennst. Aber vielleicht, einen kleinen Moment nur, kannst Du Dich in diese eigene kleine Welt am Sternenfirmament hineinträumen und ihr beiwohnen...
                                    "[...]
                                    Tanz ist Verwandlung
                                    des Raumes, der Zeit, des Menschen
                                    der dauernd in Gefahr ist
                                    zu zerfallen ganz Hirn
                                    Wille oder Gefühl zu werden
                                    [...]
                                    O Mensch lerne tanzen,
                                    sonst wissen die Engel
                                    im Himmel mit dir
                                    nichts anzufangen!"
                                    - Augustinus -
                                    *****************************
                                    Ein weiterer Experimentalfilm von Maya Deren und für mich nach MESHES OF THE AFTERNOON ihr schönster. Empfehlenswert für all jene, die sich auf soetwas einlassen können und keine Abneigung gegen das Ballett haben.
                                    Ich empfand diese 15 min. als magisch meditativ und einfach schön. Hätte mir sogar eine längere Laufzeit gewünscht und schaute den Film deshalb gleich ein paar Mal hintereinander.

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                                    • "Frühling, Sommer, Herbst, Winter und ... Frühling" :)

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                                        Im Grunde erzählt DIE ZWEI LEBEN DER VERONIKA ja eine, wenn man so will, ganz simple Geschichte über zwei Frauen, die nichts voneinander wissen, sich aber bis ins kleinste Haar identisch gleichen: Weronika aus Polen und Véronique aus Frankreich, die beide von der bezaubernd aussehenden Irène Jacob verkörpert werden. Und obwohl sie nichts voneinander wissen, gleichen sich nicht nur ihr Äußeres, sondern auch ihre Lebensumstände. Beide Frauen sind überaus talentierte Sängerinnen, beide probieren sich in der Liebe aus, beide haben nur noch ihren Vater. Doch schon die allererste Szene deutet an, dass beiden eine besondere Konnotation mit in den Film gegeben wird. Man bekommt Weronika und Véronique als Kleinkinder zu sehen; die eine Mutter zeigt ihrer kleinen Tochter den am Himmel erwarteten Stern, um den Heiligen Abend beginnen zu können und verweist kurz danach auf den dichten Nebel, der aber beim genaueren Hinschauen gar kein Nebel sei, sondern in Wirklichkeit unzählige Sterne. Vom anderen Kleinkind wird wiederum erzählt wie es ein Blatt in den Händen hält und die Mutter erklärt, es sei Frühling und das Blatt habe zarten Flaum und zarte Adern.
                                        Die Kinder werden zu jungen Frauen und gehen, wie angedeutet, einen sehr ähnlichen Lebensweg - bis Weronika jedoch, die schon früher zu spüren glaubte, nicht allein auf der Welt zu sein, auf ihrem allerersten großen Konzert auf der Bühne plötzlich umfällt, für tot erklärt und beerdigt wird, was bei Véronique ein seltsames Gefühl der Trauer hervorruft und sie dazu bringt, ihre eigene Gesangskarriere zu beenden, einen Kardiologen aufzusuchen (Weronika war herzkrank) und fortan nur noch an einer Musikschule unterrichtet. Bis ihr Alexandre Fabbri, ein Marionettenkünstler und Kinderbuchautor, bei einer Schulaufführung über den Weg läuft, in den sie sich verliebt und ihn wiedersehen möchte.
                                        An sich empfand ich die Geschichte des Films eigentlich als ziemlich simpel und unaufgeregt, bis auf die geheimnisvolle Verbindung beider Frauen, die sich allerding in fortschreitender Laufzeit des Films bisschen verliert und erst am Ende noch einmal richtig aufgegriffen wird. Ob man in diesem Film nun wirklich eine politische Allegorie Kieślowskis auf die Unterdrückung Polens - wovon diese Land lange geprägt wurde und was sich tatsächlich auch in die Mentalität der dort Lebenden Menschen eingeschliffen hat wie man es heute noch aus der Nationalhymne heraushören kann - und deren Ungerechtigkeit, verkörpert am Werdegang Véroniques und Weronikas, sehen will, lasse ich mal dahingestellt. Wahrscheinlich kommt diese Lesart von einer Szene, in der sich die Frauen zum ersten Mal wirklich auf den unruhigen Straßen Krakaus begegnen, ohne dass Véronique ihre Doppelgängerin bemerkt.
                                        Für mich zeichnet sich in DIE ZWEI LEBEN DER VERONIKA eigentlich viel mehr das aus, was ich bislang von Kieślowski gewohnt bin: eine einfache Geschichte mit einfachen Menschen, die aus dem einfachen Leben gegriffen scheinen; Kieślowski besonderer Blick für die einfachsten und alltäglichsten Geschehnisse, Eindrücke und Vorgänge, die er jedoch so einzufangen und in Szene zu setzen weiß, dass der gewöhnlichste Alltag plötzlich seinen ihm innewohnenden Zauber zeigt - und sei es, als nur eins von weiteren Beispielen, dass eine junge Frau einen Korridor entlang geht, dabeii einen Flummi so springen lässt, dass der an Boden und Decke abprallt und der herunterglitternde Staub des Putzes auf sie rieselt und zu beinahe etwas Magischem wird. Und wie ebenso bislang von Kieślowski gewöhnt, hängt auch in DIE ZWEI LEBEN DER VERONIKA die Tiefe des Erzählten allein von dem Empathievermögen des Zuschauers ab. Politische Allegorie? Mir stellte der Film in erster Linie die Frage, ob man tatsächlich allein auf der Welt ist oder ob es irgendwelche zwischenmenschlichen Berührungspunkte gibt, was es mit der menschlichen Seele auf sich habe, ob sie ewig sei und was mit ihr geschehe, wohin sie gehe, wenn der Körper stirbt, ob diese willkür des Schicksals ungerecht ist, oder ob es eben eine Chance sein kann, sein kurzes Leben bewusst zu leben, flüchtige Chancen zu nutzen und ein Auge für die kleinen Dinge zu haben, in denen das Besondere liegt, ob es tatsächlich sein kann, dass es zwei völlig indentische Menschen gibt, oder ob der eine nicht irgendwie der Schutzengel des anderen ist (insbesondere, wenn ich den gesamten Film noch einmal von der Eröffnungsszene betrachte), etc.
                                        Und wenn ich dazu noch die unglaublich schöne Musik höre, die Zbigniew Preisner für diesen Film komponierte und meine persönliche Schlüsselstelle des Films sehe: eine Marionette, die eine junge Ballerina darstellt, welche so schön anzusehen leichtfüßig über die Bühne zu tanzen scheint, um dann doch einer Schwäche zu erliegen, die ihr ihr kleines Puppenleben nimmt und sie reglos auf der Bühne liegen lässt. Und dann eine andere weibliche Puppe, die man schon im Hintergrund sah, auf die "tote" Marionette zugeht, diese in eine Art Kokon hüllt, welche die junge Marionette als "Schmetterling" mit ganz zarten Flügeln auferstehen lässt - das hat eine unbeschreibliche Schönheit, als ob einem gerade ein Gehemnis über Leben, Tod und die Seele enthüllt würde, ohne irgendetwas konkret auszusprechen. Spätestens da hat einen der Film vollends, sodass es passieren kann, dass man die nächsten Tage geistesabwesend durch die Gegend läuft. Und wenn man dann noch Preisners Musikstück für diesen Film im Ohr hat:
                                        http://www.youtube.com/watch?v=b3tAljoOCNI
                                        kommt man womöglich nicht mehr umhin zu glauben, dass das Schönste, was wir erleben können, das Geheimnisvolle ist, dass wir alle nach einer gehemnisvollen Melodie tanzen, die ein unsichtbarer Spieler in den Fernen des Weltalls anstimmt, wie es A. Einstein sah - und dass das Leben ein ewiges Rätsel ist und der Tod ein Geheimnis bleibt (Emanuel Geibel).
                                        ... da lässt dieser Film schon etwas in einem selbst erklingen.

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                                          "Lilja 4-ever" ist in der Tat nicht nur ein derber Faustschlag in die Magengrube; nein, da kommt gleich noch ein wuchtiger Fußtritt hinterher. Ich weiß gar nicht, welches Realfilmdrama der rund letzten zehn Jahre mir solch ein schmerzendes Magengeschwür verursacht hat.
                                          Die 16jährige Lilja wächst in einer trostlosen, tristen und schmutzigen Plattenbausiedlung Russlands heran, in der es weder Achtung noch Respekt voreinander zu geben scheint. Wen wundert es da, dass Lilja selbst keine Achtung vor Autoritätspersonen hat, schonmal den Mittelfinger zeigt, mit "Freunden" Kleber schnüffelt oder freche Antworten - nicht im positiven Sinne - gibt. Auf der anderen Seite hegt sie den Traum von einer besseren Zukunft als all die Perspektivlosigkeit, der sie hier entgegen sieht. "Ich bin hier sowieso bald weg" ist wohl einer der häufigsten Sätze, den man (von ihr) in diesem Film zu hören bekommt.
                                          Aber manchmal, unbeobachtet, hat Lilja doch etwas bei und mit sich, egal wohin ihr Weg führt, nachdem sie von ihrer Mutter allein ihrem eigenen Schicksal überlassen wurde, die mit ihrem neuen Liebhaber in die USA ging und ihrer Tochter mitteilte, sie werde sie nachholen, worauf das Mädchen jedoch vergebens wartet.
                                          "Lilja war schon immer ein ungewolltes Kind." Sie wird weitergereicht: an die Tante, ans Sozialamt, aber das ist völlig egal, denn für sie gibt es nirgendwo weder Liebe noch Fürsorge, und obwohl sie schon nicht auf der Sonnenseite dieser Welt und Gesellschaft lebt, geht es immer noch tiefer und elender. Mit sich nimmt das Mädchen aber stets ein Bild mit, das ein zwischen Felsen wanderndes Kind zeigt, dessen linke Hand von einem begleitenden Engel gehalten wird und wenn sie unbeobachtet ist, dann betet Lilja das 'Vater unser' "... dein Reich komme, dein Wille geschehe..." - bis sie das Bild irgendwann gegen eine Wand werfen und es zerspringen wird.
                                          Einen kleinen, persönlichen Engel findet auch Lilja. Es ist der 11jährige Volodja aus der Nachbarschaft - von seinen Eltern ebenso ungewollt -, der das Mädchen lieb hat, der nahezu jede Form ihres Elends miterlebt, ihr Elend mit ihr teilt, für den Lilja mitsorgt und die beiden fast eine kleine Familie sind. Solange bis Lilja in einer Disco, in der sie sich für ihren Lebensunterhalt prostituiert, Andrej trifft. Das ist es wieder ...
                                          "So ein Leben verdienst du nicht."
                                          "Ich bin hier sowieso bald weg."
                                          Er will sie mit sich nehmen nach Schweden, wo er ihr Arbeit und eine Wohnung verspricht. Für ihn verlässt Lilja den kleinen Volodja wie die Mutter selbst Lilja verlassen hat. Doch Volodja wird ihr folgen, wie will ich hier allerdings nicht verraten.
                                          Wegen einer Ausrede Andrejs allein in Schweden gelandet, beginnt für Lilja die wahre Tortur. In ihrer Heimt hatte sie in gewisser Weise noch eine Art Selbstbestimmung; in Schweden wird ihr jeglicher Wert und ein Recht, über sich selbst zu verfügen, genommen.
                                          " [...]
                                          Sie kommen zu euch in der Nacht
                                          Dämonen Geister schwarze Feen
                                          sie kriechen aus dem Kellerschacht
                                          und werden unter euer Bettzeug sehen
                                          [...]
                                          Sie kommen zu euch in der Nacht
                                          und stehlen eure kleinen heissen Tränen
                                          sie warten bis der Mond erwacht
                                          und drücken sie in meine kalten Venen
                                          [...]."
                                          Vor dem thematischen Hintergrund dieses Films bekommt Rammsteins 'Mein Herz brennt', der "Lilja 4-ever" rahmt, einen bitter-konkreten Beigeschmack.
                                          Für Lilja gibt es letztendlich nur einen Ausweg zu beweisen, dass ihr bei all ihrer Entwürdigung etwas Einziges geblieben ist, das ihr wirklich niemand nehmen kann, weil nur sie darüber verfügt ... Selbst gegen ihren Peiniger findet sie einen Weg der Auflehnung, indem sie ihr Inneres unverhoheln in ihr Gesicht schminkt (für mich die stärkste Szene des Films) und sich ihre Haare schneidet.
                                          - "Lilja war schon immer ein ungewolltes Kind."
                                          "Vater unser im Himmel
                                          Geheiligt werde dein Name.
                                          Dein Reich komme.
                                          [...]
                                          Denn dein ist das Reich
                                          und die Kraft und die Herrlichkeit
                                          in Ewigkeit."
                                          - Lilja 4-ever -

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                                          • 8 .5

                                            MESHES OF THE AFTERNOON hält absolut, was allein schon dieser wunderbare Titel einem verspricht:
                                            Es sind die Schlingen
                                            die verführerisch beginnen.
                                            Der Tag hat uns womöglich aus seinen Pflichten entlassen - was tun wir also jetzt?
                                            Da legt uns eine Hand von oben kommend eine schöne Blume zu Füßen. Wir haben das Bedürfnis, sie aufzuheben... Ach schade, da ist jemand schneller als wir. Ähm, "jemand"? Naja, ein Schatten hatte wohl den selben Gedanken - ein Schatten, etwas Unbestimmtes. Eigentlich unverschämt. Schließlich haben wir doch die Blume zuerst gesehen. Aber der Schatten enthüllt sich als so liebreizend, dass wir ihm verzeihen. Er gewährt uns immerhin einen kleinen Teil seines Geheimnisses, indem er uns einen Blick auf seinen wirklichen Arm wie auch auf seinen wirklichen Gang einen kleinen Moment gewährt. Wir folgen ihm und als Dank zeigt uns der Schatten etwas mehr von seiner Silhouette: eine wohl sehr attraktive Frau, die an der aufgehobenen Blume riecht. Und sie duftet bestimmt: die Blume, die Frau, die Allee, die sie entlang geht, die Tageszeit des Nachmittags. Wir vernehmen kurz eine andere Gestalt, schenken ihr aber kaum Beachtung; schien nur flüchtig dagewesen zu sein, was bedeutet es schon? Lieber folgen wir dem weiblichen Schatten, der immer wieder mal ein kleines bisschen mehr seine Wirklichkeit preis gibt, in seine Wohnung, werden einen kurzen Moment hingehalten, da der Schlüssel aus der Handtasche fiel; aber dann, dann dürfen wir eintreten. Eine übersichtlich eingerichtete Wohnung ist das, die eine gewisse Weiträumigkeit vorgaukelt und zum entspannen einlädt. Vorhänge des geöffneten Fensters mit denen der Wind sacht spielt; ein Sessel, dessen schöne Decken mit edlen Blumen bestickt sind. Hier lässt sich die Frau nieder, während wir sehen, wie sich eins ihrer Augen sachte schließt und ihr letzter Blick der schönen Allee vor ihrem Fenster gilt.
                                            Bis hier hin haben uns die 'Schlingen des Nachmittags' gelockt. Du bist mitgegangen?
                                            Dann mach Dich auf etwas gefasst, denn die Schlingen beginnen ein exzellent inszeniertes Verwirrspiel und ich musste nebenbei an ein paar Verse meines Lieblingsgedichtes denken
                                            "[...]
                                            Wenn mich willkommner Traum mit Sammethänden streicht,
                                            Und Tag und Wirklichkeit von mir entweicht,
                                            Der Welt entfremdet, fremd dem tiefsten Ich,
                                            [...]."
                                            ("Der Spruch" von Ernst Stadler)
                                            Ab hier beginnt sich das zuvor Gesehene in leicht variierter Form zu wiederholen und zu duplizieren. Jegliches Bewusstsein wird aufgehoben: träumt die Frau? Träumt sie etwas Wahres? Träumt sie immer noch? Blicken wir in ihr Bewusstsein? In ihr Unbewusstsein? Aus ihrem Mund gleitet ein Schlüssel. Gibt sie ihn uns für ihr Inneres? Oder verweigert es sie uns, indem sie damit ausdrückt, dass ihr Inneres uns verschlossen ist? Oder fordert sie uns zum Öffnen auf?
                                            Und wer ist der geheimnisvolle Fremde, dem sie plötzlich hinterherläuft und von dem ich jetzt auch wissen will, wer das eigentlich ist - bis er sich umdreht. Schauder.
                                            Der hat ja gar kein Gesicht; sein "Gesicht" in ein blanker Spiegel. Warum schaudere ich kurz? Will ich nicht in sein "Gesicht" sehen? Weil ich fürchte, mich darin zu sehen... oder ... oder eben nicht? Oder gar nichts zu sehen, das Nichts? Ich weiß jetzt gar nicht, was schlimmer und furchterregender wäre!
                                            Langsam wird es hier unheimlich ... ich will hier raus.
                                            Warum bin ich bloß den "Meshes of the afternoon" gefolgt? Jetzt haben sie mich umgarnt, versponnen, jetzt lassen sie mich nicht mehr weg, sondern führen mich in die Wohnung der Träumenden (?), die sich plötzlich verfielfältigt hat, von einem Mann gestreichelt wird - sie ist auch eine unglaublich natürlich schöne Frau...
                                            Zerbrechender Spiegel, Scherben, Tod ...
                                            ???
                                            "Tod ist ein langer Schlaf, Schlaf ein kurzer Tod."
                                            - Friedrich Logau -
                                            Ein wunderbarer Film, eine Perle und ein Meisterwerk des Surrealismus.
                                            Maya Deren - gebürtig eigentlich Eleanora Solomonovna Derenkovskaya - gilt als jene Frau und avantgardistische Filmemacherin, die den europäischen Surrealismus in die Vereinigten Staaten brachte. Ihr Film wird häufig in Verbindung mit Dalis und Buñuels ANDALUSISCHEM HUND gebracht; nur wo der Experimentalfilm der beiden damals noch Befreundeten provokativ und eher abstoßend sein will, sind MASHES OF THE AFTERNOON verführerisch und für sich einnehmend. Für mich ein etwa ähnliches Erlebnis wie in Resnais' MARIENBAD: der Anfang ist betörend, man folgt, irgenwann fangen die Sinne an verrückt zu spielen, es ist so schön hier, aber langsam, langsam, unterschwellig, aber zunehmend wird es hier unheimlich und unheimlicher - ich will hier weg -!- wo bin ich hier eigentlich? Wo ist hier der Ausgang? Den findest Du nimmer mehr, MESHES OF THE AFTERNOON hat dich fest verstrickt.
                                            Bemerkenswert ist hier allerdings, dass Maya Deren und ihr damaliger Ehemann Alexander Hammid eigentlich ganz einfache Gegenstände, Symbole und Aufnahmen verwenden, jedoch so in Szene setzen, dass sie als ganz besonders ästhetisch malerische Momente erscheinen, die verführen.
                                            Ich kann letztendlich nur Björn Last zustimmen, der da schrieb:
                                            "Nach 13 Minuten hat man den Triumph des Films als Kunst hinter sich. Maya Derens Film ist ein enigmatisches Meisterwerk durch und durch. Die innovativ gestalteten Bilder, düster und irritierend, und die fantastische Montage, die sämtliche Grenzen der Logik und des Verstandes einrennt, fügen sich zu einem brillant funktionierenden Film zusammen, der meditativ und hochgradig lyrisch wirkt. "Meshes of the Afternoon" ist mit Sicherheit eines der schönsten, herausfordernsten Stücke Film aller Zeiten, ein surreales, verstandbeugendes Gedicht."
                                            (Quelle: http://www.filmzentrale.com/rezis/meshesoftheafternoonbl.htm)
                                            Hier unterschreibe ich jedes Wort vorbehaltslos.

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                                              Hi, hi, was sich Kurzfilmmagier Jan Svankmajer da schon wieder ausgedacht hat.
                                              Herzlich willkommen zu ... ja, zu was denn?
                                              Pssst, da ist eine alte knartschige Holztür, ganz leise, psst, tritt ein, was siehst du?
                                              Naja ... Stein... weiß, kalt, langweilig. Ich will ja die Tür wieder schließen, Steine sind doch total langweiliges, totes und kaltes Material.
                                              Aber weißt Du noch wie es in Kindertagen war, wenn man dachte, dass alle Spielsachen lebendig werden, sobald sie unbeobachtet sind
                                              (Randnotiz: das hat mir nicht erst 'Toy Story' beigebracht)
                                              ?
                                              Geh nur ruhig wieder, zieh die Tür hinter Dir zu, hier gibt es absolut nichts Spannendes... aber da vernimmst Du, dass die Uhr zur vollen Stunde schlägt und Du drehst dich doch auf der Schwelle um und lugst durch den Türspalt, nimmst plötzlich den seltsamen Wasserhahn über der Uhr war und das rostige Eimerchen darunter. Die Uhr schlägt die volle Stunde und es tropfen Steine aus dem Wasserhahn. Das ist noch nicht alles, wenn du leise und unbemerkt bleibt, hörst du die Melodie einer Spieluhr.
                                              Herzlich willkommen zu ... ja, zu was denn?
                                              Na, zum Ballett der Steine. :)
                                              Ein ganz süßer und putziger Kurzfilm, der mich irgendwie packte und für seine 8 min. Laufzeit gut unterhalten hat. Alls allererstes zeigen sich Steine unterschiedlichster Formen und Farben, tuen sich zusammen, gehen wieder auseinander, passend zur Musik. Steine werden zu Hampelmännern, Spielzeugfiguren, Skeletten, zu Mosaiken, die Gesichter darstellen, welche anbändeln, sich küssen, sich gegenseitig verschlucken. Steine, die sich spalten, als wären sie zerbrochen - aber nein, selbst "kaputte" Steine haben ihre eigene Ästhetik in diesem kleinen Ballett.
                                              Und am Ende?
                                              Ein Haufen Steine. Wie, "Edelsteine" sind die teuren Klunker beim Juwelier? Nö. Auch Steine, die man am jeden Wegrand finden kann, können durch eine besondere und einzigartige Form, Farbe oder sogar ein Muster etwas Einmaliges sein, das sich bestaunen lässt.
                                              Und zudem inszeniert Svankmajer sein Steinballett irgendwie spannend: ich wartete schon beim Anblick des Pendels, wann endlich wieder die nächste Stunde schlägt und die Steine sich neu formieren.
                                              Kleines Manko ist lediglich, dass ich sogar gern noch ein paar Minuten und Ideen mehr gesehen hätte, denn das, was ich sah, fand ich sehr kreativ und unterhaltsam.
                                              Und am Ende hatte ich noch eins meiner Lieblingszitate von Antoine de Saint-Exupéry im Ohr:
                                              >>Ich habe viel über die Kinder nachgedacht, die mit ihren weißen Kieseln spielen und sie verwandeln: "Sieh doch", sagen sie, "dort marschiert ein Heer und dort sind die Herden!" Der Vorübergehende aber, der nur Steine sieht, weiß nichts vom Reichtum ihrer Herzen.<<

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                                                Liebes Schwesterchen,
                                                weißt du noch? Dereinst, die zwei kleine Mädchen in weißen Kleidern mit weißen Schleifen im Haar, welches ein unbendiges Lockenmeer war
                                                - zwei kleine Mädchen, dereinst, unbeschwert und glücklich miteinander spielend, hinter der kleinen Katze hinterherlaufend
                                                - zwei kleine Mädchen, dereinst, plötzlich elternlos, auf sich ganz allein gestellt
                                                - zwei kleine Mädchen, dereinst, alle Wege zusammen gehend, unzertrennlich
                                                - zwei kleine Mädchen, dereinst, die zu jungen Frauen wurden, unzertrennlich, alles teilend, die karge Wohnung im engen, schmutzigen und tristen Arbeiterviertel Ménilmontant; liebes Schwesterlein, weißt du noch, wir beendeten unsere tristen Tage im gemeinsamen Bett - und weißt du noch, Schwesterlein, wie wir sie gemeinsam begannen? Der Wecker klingelte und ich ließ ihn ganz schnell verstummen, damit Du noch ein bisschen länger, ein ganz kleines Weilchen nur weiterträumen darfst und von mir geweckt wirst.
                                                Liebes Schwesterchen,
                                                erinnerst du dich noch an den jungen Mann in unserer Straße. Meine erste Liebe, meine erste Erfahrung. Damals dachte ich, ein Stück, ein ganz kleines Stückchen Glück probieren zu dürfen - Glück, dereinst, als wir zwei unbeschwerte kleine Mädchen mit unseren weißen Kleidern und weißen Schleifen im Haar waren - arm, aber wie hatten uns, bis wir alles verloren, aber selbst dann hatte ich noch dich, mein liebes Schwesterchen. Und dann, dann hatte ich auch ihn ...
                                                - zwei junge Frauen vom selben Mann verführt ...
                                                Liebes Schwesterchen,
                                                was blieb mir noch? Die engen und schmutzigen Straßen von Ménilmontant, der ewig dahinfließende Fluss, auf dem Wellen und Regentropfen spielen, die Bank, auf der ich sitze, mein Atem, den ich sehe - es ist kalt. Ich bin hungrig. Es hungert und durstet mich nach ein kleines bisschen Glück, das ich mit einem kleinen Mädchen erlebte, dereinst - mit dir Schwesterchen, immer gemeinsam, niemals einsam.
                                                Und jetzt? Liebes Schwesterchen, einsam? Ich weiß es nicht ... In meinen Armen ruht ein Kindlein. Ist es meins? Von dem Mann, von dem ich mir ein bisschen Glück versprach - erste Liebe, erste Erfahrung. Ich glaube - war ich für einen flüchtigen Moment glücklich, ehe ich sah, dass er auch dich küsste, Schwesterchen?
                                                Mein kleines Kind, es ist hoffungslos - kann ich ihm ein wenig Glück schenken, ein bisschen nur vielleicht - vielleicht du, Schwesterchen?
                                                Unsere Geschichte begann mit einem Mord und sie endet auch mit einem Mord...
                                                Glück? Ein wenig, ein bisschen, ein Fetzen, ein Funke, ein Krümelchen von, das steht uns nicht zu, dir und mir, Schwesterchen. Vielleicht aber, vielleicht dürfen wir aber wenigstens davon träumen...
                                                ************************
                                                Dimitri Kirsanoffs Stummfilm >>Ménilmontant<< aus dem Jahr 1926 ist schon etwas Besonderes. Allein aus einer unglaublich schönen, gefühlvollen und traurigen Poesie seiner Bilder, welche mit einer wunderbaren musikalischen Untermalung unter die Haut gehen, erzählt er die Geschichte zweier Schwestern, die der unteren Gesellschaftsschicht angehören und von einem Leben träumen, das ihnen wenigstens ein wenig Glück gönnt. Bildsprache und Schauspielleistung sind dabei so großartig, dass der Film vollkommen ohne Zwischentitel auskommt.
                                                Wer mal eine halbe Stunde hat, dem möchhte ich >>Ménilmontant<< sehr ans Herz legen; ein wunderschönes, poetisch trauriges Stück, das nicht vergessen werden darf. Ein kleiner Film, dessen Stilmittel später von der Nouvelle Vague wiederentdeckt wurden.
                                                Sehr empfehlenswert!
                                                >>Ménilmontant<<, die Suche nach ein bisschen Glück im Elend, aber auch die Geschichte einer Ausbeutung.

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                                                  Für >>Rabbit's Moon<< nehme man
                                                  > den traurigen Pierrot, der bildlich ganz gerne mit Tränen in den Augen dargestellt wird.
                                                  "So ist das Leben, sagt der Clown mit Tränen in den Augen und malte sich ein Lächeln ins Gesicht." Seine Tränen sieht man hinter der Maske nicht, denn eben jenes erwartet man nicht. Seine Trauer kennt nur er allein.
                                                  > Pierrot ist einsam, er ist sprachlos, nur dazu fähig, sich mit der Pantomime auszudrücken.
                                                  "Der Pantomime ist in der Lage ein Echo zu erzeugen. Das Echo des Schweigens." (Bruno Ziegler)
                                                  > Pierrots pantomimische Bewegungen sind ein Tanz des Begehrens, er begehrt etwas Fernes, Unerreichbares; er begehrt den Mond, der auf seinen pantomimischen Tanz Einfluss hat; in seinen Bewegungen unterwirft sich der traurige und einsame Pierrot dem von ihm begehrten Mond. Ein Kaninchen erscheint im Bild - aufgrund der Fruchtbarkeit oft als Symbol des aufkommenden und neuen Lebens selbst verwendet.
                                                  Pierrot ist traurig, umgeben nur vom eiseskalten Blau und einer kleinen Bühne des Tanzes seiner Einsamkeit auf engem Raum; heruntergefallenes Laub ist der Teppich dieser Bühne, die Bühne umgeben von dürren Bäumen. Pierrot ist in seiner Einsamkeit gefangen, gefallenes Laub, gefallene Tränen?
                                                  Er tanzt panomimisch, er tanzt sein Begehren, das dem Mond gewidmet ist, dem er sich gleichzeitig unterwirft.
                                                  "Nacht liegt auf den fremden Wegen,
                                                  Krankes Herz und müde Glieder;
                                                  Ach, da fließt wie stiller Segen,
                                                  Süßer Mond, dein Licht hernieder.

                                                  Süßer Mond, mit deinen Strahlen
                                                  Scheuchest du das nächt'ge Grauen;
                                                  Es zerrinnen meine Qualen,
                                                  Und die Augen übertauen."
                                                  -Heinrich Heine-
                                                  > Pierrot bekommt Gesellschaft: zwei kleine Clowns, der eine hält ihm einen Spiegel hin, der andere ein Musikinstrument. Beides lehnt Pierrot ab.
                                                  > Pierrot bekommt ein Gegenüber, einen Harlekin, der seine Bühne betritt. Der traurige Pierrot ist ganz in weiß gekleidet, der Harlekin hingegen ist ein zwiespältige Figur - ihr Gewand ist auch weiß, doch von schwarzen Karos geziert. Der Harlekin ist der Verführer, der der Reize ausspielt, der Spieler, die Lust, der kleine Teufel, die Versuchung, die sich in den Tanz der Einsamkeit des traurigen Pierrots einmischt, ihn zu bezirzen scheint - Pierrot gerät in Versuchung, erschreckt und wahrt Distance.
                                                  > Pierrot wird verführt, sein Begehren nimmt Gestalt an: der ferne Mond, der Harlekin (sein ihm entgegengesetztes Spiegelbild) und nun betritt noch eine Figur die Bühne seiner Einsamkeit: die schöne Columbine, eine Art Balletttänzerin, die oft mit dem Pierrot zusammen dargestellt wird. Er nähert sich ihr an, auch sie kommunizieren durch den Tanz. Sie nimmt ihn an - doch als er ihr nichts als sein einsames Begehren zu bieten hat, lehnt sie ihn ab und wird die Gefährtin des verführerischen und verschmitzt grinsenden Harlekins und somit für den traurigen Pierrot unerreichbar. Ihm bleibt nur noch sein einsames Dasein als Beobachter im Abseits, Beobachter des Lebens, an dem er selbst keinen Anteil mehr hat, Beobachter seines Objekts der Begierde, das für ihn unerraichbar ist.
                                                  ----------------------------------------------
                                                  >>Rabbit's Moon<< ist ein wunderschöner avantgardistischer Kurzfilm, der auf mich, als ich ihn mir im Dunkeln ansah, hypnotisierend wirkte und eine seltsam kühle, elegante aber irgendwo auch verstörende Stimmung verströmte. Was mag uns dieser Tanz alles sagen? Etwas über Einsamkeit, Trauer, Depressionen, heimliche Begierden, verpasste Chancen, unerfüllte und unerfüllbare Wünsche und Sehnsüchte, alles so minimalistisch und vielsagend im schweigenden Tanz der Pantomime ausgedrückt?
                                                  Ein wunderschöner Film, allerdings nur jenen zu empfehlen, die sich auf avantgardistische Filmkunst einlassen können, die in erster Linie ein Experiment ist und für deren Bruch mit Konventionen man eigene Sehgewohnheiten für eigenwillige Ausdrucksformen entwickeln muss.
                                                  (Was ich noch ergänzen muss: es gibt wohl mehr als eine Fassung des Films. Dieser Text bezieht sich auf eine aus dem Jahr 1972, die eine etwas längere Laufzeit (die Version von 1950 wirkt auf mich etwas gehetzter und nicht so einfühlsam-hypnotisierend) und einen anderen Score hat.)

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                                                    Nee, also - nee, >>Spielzeugland<< wollte mir gar nicht gafallen.
                                                    Fällt für mich in die Sparte 'Betroffenheitskitsch' für den man wieder einmal das Dritte Reich bemüht, solch emotional aufgeladenen Motive wie allumfassende Mutterliebe, Gleichheit aller Menschen und kleine Kinder benutzt. Am Ende soll der Zuschauer dank dieser Zutaten im Innersten gerührt sein und nachdenklich gestimmt werden -> et voilà DIE Garantie für den Oscar, der einem hiernach mit Sicherheit hinterhergeworfen wird.
                                                    Gegen die genannten Motive habe ich nichts und für einen Kurzfilm braucht es ja auch nicht mehr und mir ist schon klar, dass >>Spielzeugland<< nicht den Anspruch erhebt, Realität abbilden zu wollen, sondern an das 'sich Erinnern und nicht Vergessen' der Unmenschlichkeit in einem durch und durch dunklen Kapitel der Menschheitsgeschichte appelieren will. Das 'sich Erinnern' an diese Zeit wird hier eigentlich schön umgesetzt, indem der Hauptplot - eine Mutter sucht ihren kleinen Sohn, der mit den jüdischen Nachbarn mitgegangen ist, weil die Mutter ihm erzählte, sein Freund und dessen Familie werden bald eine Reise ins "Spielzeugland" unternehmen - immer wieder durch Rückblenden unterbrochen wird, die zeigen, wie sehr der Junge zusammen mit seinem Freund David und dessen Eltern in dieses Spielzeugland reisen möchte und nicht davon abzubringen ist. Das Problem für mich ist aber auch - wie es eigentlich Clint Ostwald in seinem Kommentar dargestellt hat -, dass die Motive des Films eben nur darauf zielen, betroffen zu machen, an sich aber einfach nur zusammengeflickt wurden und für mich unglaubwürdig sind.
                                                    Das fängt schon damit an, einem kleinen Jungen - der fünf Jahre alt sein soll - von seinem Vorhaben abzubringen, indem ihm ein verlockendes Spielzeugland unter die Nase gerieben wird, wo alle Teddys größer sein sollen als der geliebte 'Paul' (=das eigene Plüschtier). Und dann noch zusammen mit dem besten Freund mit dem man unzertrennlich aufgewachsen ist. Klar, hätte mich als kleines Kind sicher auch völlig kalt gelassen.
                                                    (Sicher, das "Spielzeugland" soll wahrscheinlich symbolisch für das Morden der Unschuld stehen, aber Symbole funktionieren bei mir nicht, wenn der Kontext nicht stimmt!)
                                                    Und dann nehme man wieder den bösen, bösen und fiesen Nazi, der zu doof ist, "arische" Kinder von jüdischen Kindern zu unterscheiden (ist ja auch Quatsch), dann aber doch von der Suche der deutschen Mutter gerührt ist und mit ihr die Deportationswaggongs nach ihrem Sohn durchsucht und SPOILER: ihr einfach so irgendein jüdisches Kind mitgibt, das den Stern trägt und bestimmt auch beschnitten ist.
                                                    Merke: auch fiese Nazis werden bei der hier aufgetischten Geschichte schwach und charmant.
                                                    Fazit: Wie gesagt: nichts gegen Parabeln, nichts gegen diese Motive an sich, aber hier ist mir das einfach zu haltlos, amateurhaft, plump und unglaubwürdig zusammengewürfelt mit der Absicht zu billig betroffene Gefühle beim Zuschauer auszulösen, für das man wieder einmal das Dritte Reich bemüht.
                                                    Dann doch lieber den >>Jungen im gestreiften Pyjama<< anschauen.

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