Solveig - Kommentare

Alle Kommentare von Solveig

  • 6
    über Regen

    Weißt Du schon, dass Regen etwas ganz Bezauberndes sein kann?
    Oder hockst Du beim Regen griesgrämig daheim und ziehst ein Gesicht wie siebentägiges Wetter, das sich gerade draußen abspielt?
    Ich selbst mag Regen sehr gern, ob draußen auf Feldwegen oder im Wald - man hat das Gefühl, mit sich und der Natur richtig allein zu sein und ungestört. Regen kann schon etwas Schönes geben: leichter Regen zaubert einem kleine Perlen ins Haar, manchmal sogar einmalig schöne Locken oder durchnässt einen bis auf die Haut, sodass man das Gefühl häuslicher Wärme beim Heimkommen am meisten schätzt und genießt.
    Oder kennt ihr noch das sich immer wieder wiederholende Kinderlied
    "Hejo, spann den Wagen an.
    Denn der Wind treibt Regen übers Land.
    Hol die gold'nen Garben, hol die gold'nen Garben!"?
    Dann wisst ihr vielleicht, dass widerstandslos vom Wind getriebener Regen etwas sehr Malerisches bekommen kann.
    Oder auch im Dunkeln, wenn es regnet, die Tropfen die Fensterscheiben zeichnen und das Licht einer Straßenlaterne von draußen hereinscheint, scheinen Regentropfen an der Fensterscheibe wie kleine Diamantenkörner.
    Für die ganz Empfindsamen kann Regen auch zum eigenen Gefühlsausdruck werden:

    "Da draußen regnet es weit und breit.
    Es regnet graugraue Verlassenheit.
    Es plaudern tausend flüsternde Zungen.
    Es regnet tausend Erinnerungen.
    Der Regen Geschichten ums Fenster rauscht.
    Die Seele gern dem Regen lauscht.

    Der Regen hält dich im Haus gefangen.
    Die Seele ist hinter ihm hergegangen.
    Die Insichgekehrte ist still erwacht,
    Im Regen sie weiteste Wege macht.
    Du sitzt mit stummem Gesicht am Fenster,
    Empfängst den Besuch der Regengespenster."
    - Max Dauthendey -

    Der Kurzfilm "Regen" von 1929 fängt Bilder dieses Wetters in der Stadt ein.
    Auch das kann eine eigene Schönheit entwickeln: Straßen, die allmählich von Nässe immer mehr gezeichnet werden oder Fensterscheiben öffentlicher Verkehrsmittel, ins Trockene flüchtende Menschen, sich leerende Straßen, die ebenso einem ganz allein zu gehören scheinen, weil man zu den Wasserratten gehört, die nicht aus Zucker sind.
    Für Regenliebhaber ist dieses kleine Filmchen durchaus einen Blick wert, vorallem da die Hintergrundmusik sehr schön zu lauschen ist und ein paar Aufnahmen auch nett anzusehen sind. Wer Regen aber richtig liebt - sowie die Schreiberin dieses Textes hier -, dem wird der Film allerdings nicht so viel geben und ich muss sagen, dass ich mir, als ich nur den Titel des Films las, eben all jenen Zauber und all jene Poesie vorgestellt habe, die ich mit dem Regen selbst verbinde.
    Ein netter Film für Regenscheue. Für Regenliebhaber: lieber beim nächsten Wasserlassen des Himmels wieder selbt hinausgehen und genießen.

    18
    • 8

      *Eine Tochter wird eine Weile deine Hand halten, aber ein Leben lang dein Herz.*
      -
      Eigentlich wurde hier ja schon alles gesagt: ein wunderschöner und stimmiger kleiner Film, der 2001 den Oscar für den besten animierten Kurzfilm erhalten hat. Eine ganz kleine Geschichte mit großer persönlicher Note und Aussage vor in dezanten Brauntönen gehaltenem Hintergrund, wunsderschöner musikalischer Untermalung und tlw. Schattenfiguren, was ich immer ganz besonders mag, weil man so viel hineinprojizieren kann. Vater und Tochter durchfahren mit ihren Fahrrädern eine überschaubare Landschaft, bis der Vater an einem Gewässer anhält, seine Tochter in seine Arme hebt und daraufhin verlässt, indem er in ein Boot steigt und fortfährt. Immer wieder kehrt die Tochter hierhin zurück, sogar selbst als Mutter und alte Frau kann sie nicht vergessen, dass ihr Vater sie hier verließ. Die vergangene Zeit - die hier in 8 Minuten sehr schön durch den Wind oder Helligkeit und Dunkelheit vergehender Tage erzählt wird, die über die Landschaft streifen und über das Erwachsenwerden und Altern des Mädchens zur Frau, Mutter und Greisin - schenkt dem Film eine schöne Melancholie und das Gefühl von der Flüchtigkeit aller Dinge. Am Ende ist das Gewässer ausgetrocknet und längst zu einem Feld geworden, sodass sich die alte Frau hineinwagt und das verlassene Schiff des Vaters findet - und vielleicht noch etwas mehr.
      Für mich ein kleines Schmuckstück an Kurzfilm, sicher auch für jede andere, die das Glück einer schönen Vater-Tochter-Beziehung erleben durfte und darum weiß, welches Geschenk soetwas sein kann. Und für alle anderen vielleicht auch zumindest etwas sehr Sehenswertes, da man die Vaterfigur sicher auch metaphorisch mit eigenen und nicht weniger persönlichen Vorstellungen besetzen kann und somit etwas aus diesen 8 Minuten für sich ganz allein herausnimmt. Einfach ein sehr schönes Sinnbild, dieser kurze Film.
      -
      "Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln." (Jes 54,7)

      17
      • 8
        über Aqua

        Was ist denn bitte das?!
        Wow!!
        8 Minuten Animationsmagie pur!!
        Eine kleine Katze, die sich durch das unendliche Meer kämpft wurde zu einer ganz besonderen Reise für mich. Vielleicht sind die manchmal sehr grellen Farben nicht jedermanns Sache, aber die Animation und das Spiel mit changierenden Lichteffekten ist unglaublich schön, das Ausschöpfen weit erscheinender Bildtiefe atemberaubend, die Figuren eher silhouettenhaft, sodass ich mir nicht konkret eine Katze oder einen Fisch vorstellen muss, sondern meine eigene Phantasie bei diesem Film einen Tanz beginnt - und apropos Tanz: die Musik ist der Hammer!
        "Aqua" war für mich eben 8 Minuten intensivste Meditation und autogenes Training zu gleich: eine kleine Katze kämpft sich durchs Meer, Zeit und Raum gewinnen unendliche Weiten und ich, ich erlebe eine ungalubliche Reise zu etwas, das tief in meinem Inneren steckt. Was "Life of Pi" bei mir wohl auch auslösen sollte, hat "Aqua" bei mir wirklich geschafft - Gints Zilbalodis, ein 17jähriger. Hut ab!
        Unglaublich schön, unglaublich intensiv. Für mich ein ganz besonderer Kurzfilm!
        Alle, die ihn noch nicht gesehen haben: Schaut ihn euch an, unbedingt, jetzt, sofort!
        http://vimeo.com/36338055

        17
        • 10

          "Alle Märchen sind nur Träume von jener heimatlichen Welt, die überall und nirgends ist."
          - Novalis -
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          Wie steht es aber um "Das Märchen der Märchen"?
          Ein unglaublich schöner Film; künstlerisch in jederlei Hinsicht auf ganz, ganz hohem Niveau, sowohl von den Zeichnungen (die slawisch-folklorisch daherkommen und für mich deshalb einen besonders reizvoll zauberhaften Nostalgiecharme versprühen), als auch von der Animation, Musikuntermalung und inhaltlichen Darbietung her. Eine stringente Handlung gibt es allerdings nicht, was es auch sehr, sehr schwer macht, den Film zu beschreiben: jeder wird aufgrund eigener Erfahrungen zwischen Welt, Wirklichkeit und Traum sicher etwas anderes in diesen halbstündigen Bilderrausch hineindeuten und für sich einen Inhalt des Gesehenen konstruieren, der mir persönlich am Ende genauso entschwand wie ein Traum, an den ich mich morgens erinnere und noch weiß, dass während ich ihn träumte, er mir besonders nahe und intensiv war - aber sobald ich aufwachte sind nur noch Bruchstücke da, nur noch blasse Erinnerungen - die was bedeuten?
          Ein kleiner Wolf hört wie eine stillende Frau einem Säugling ein Schlaflied vorsingt; das Kind solle nicht weinen, sonst hört es der kleine, graue Wolf, der stets in der Nähe sei, und er würde es mit sich nehmen in den dunklen und unheimlichen Wald.
          Dabei ist doch die Märchenwelt so ein schönes und helles Elysium einer blühenden Kunst, wo alles möglich ist: auch große Ochsen, die mit kleinen Mädchen Seil springen. Dunkle Märchen, grausame Märchen, der böse Wolf? Das gibt es nur in Märchen? Nein, die Märchen, die Träume sind entschwunden - vergessen?
          Der dunkle und unheimliche Ort des Märchens, an dem der böse Wolf lauert, ist entschwunden - das Wölfchen heimatlos geworden, das sich in der märchenentschwundenen Welt nicht mehr zurechtfindet. Der dunkle und unheimliche Ort, das ist jetzt die Welt, die Welt des Menschen, der sich - absurder Weise - einst diese Märchen erträumte...
          Ich empfand "Das Märchen der Märchen" als einen unglaublich traurigen Abgesang an eben eine verblassende und schwindende Welt der Schönheit und der Phantasie und gleichzeitig als eine Dekonstruktion der realen Welt durch den Menschen. Das Wölfchen aus dem "Märchen der Märchen" wurde seiner Heimat beraubt und findet sich nicht mehr wirklich zurecht in einer fremd gewordenen Welt. Aber auch der Mensch, der doch eigentlich einst all das Schöne und Märchenhafte erträumte, der sich von dem Schönen und jenem, das für immer zu vergessen werden droht (an Kenner: ich meine hier vorallem den Apfel, der mir als ein Symbol aus irgendeinem Grund am markantesten in Erinnerung blieb), abwendet, der destruiert letztendlich auch seine eigene Welt, die ihn umgibt.
          Der Film ist inhaltlich schwer zu fassen und wiederzugeben, weil eben jeder wohl etwas anderes darin sehen wird. Ich kann aber trotzdem nur jedem empfehlen, sich "Das Märchen der Märchen" einmal anzuschauen - und keine Sorge, Gedanken dazu werden bestimmt bei jedem von selbst kommen, denn das assoziative Potential dieses Films ist aufgrund seiner wunderbaren Bilder, der Farbgestaltung und musikalischen Untermalung enorm hoch. Man darf nur nicht erwarten, dass der Film seinem Rezipienten einen Inhalt von selbst öffnet - der Rezipient muss den Inhalt dieses Films ganz allein für sich selbst suchen, was ich wunderbar finde, denn vielleicht ist das ja der erste Schritt, der Welt der Phantasie und der eigenen Vorstellungkraft wieder entgegenzugehen - wir destruieren dann nicht, wir konstruieren und erschaffen - und dann hat der arme, kleine Wolf vielleicht endlich wieder eine Heimat und auch wir hören mit dem Zerstören - für diese Weile zumindest - auf.
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          "Alle Märchen sind nur Träume von jener heimatlichen Welt, die überall und nirgends ist."
          - Novalis -

          13
          • 7

            Nicht warten
            auf den Zug, der einfährt
            in den Bahnhof Deiner Träume
            denn nie erkennst Du wirklich
            seine Abfahrtszeit

            Zurücktreten bitte!
            Verspätung auf Gleis neun!
            Und wichtig ist auch nicht,
            wohin er fährt, der Zug
            denn oft gibt es kein Ziel
            das wirklich weit genug

            Es ist die Reise
            die Dich lockt
            Weil hinter jeder Bahnstation
            die nächste auf Dich wartet
            Und Dein Gepäck?
            Du brauchst nur Dein Gefühl
            die kleine Tasche mit der großen Ungeduld
            und etwas Liebe zum Wechseln

            © Götz vor dem Gentschenfelde

            7
            • 9

              - "Glaub' mir, mein Amt ist
              schwer! Es ist ein Fluch!
              Ich bin es müd, der Menschen
              Leid zu sehen
              Und Haß zu ernten, weil ich
              Gott gehorche ..."
              - "Gibt's denn kein Mittel, Dich
              zu überwinden - ?
              Ich glaube: Liebe ist
              stärker als der Tod - !"
              - "Ist Deine Liebe stärker als
              der Tod?
              Willst Du den Kampf mit
              dem, der ewig ist?
              Ich wollt' Dich segnen, wenn
              Du mich besiegst!"
              *************************
              In "Der müde Tod" aus dem Jahr 1921 entführt uns Fritz Lang in ein kleines Städtchen, das im Irgendwo liegt und erzählt uns von einer Handlung, die im Irgendwann spielt. Alles mutet sehr märchenhaft an: das Städtchen liegt abgeschieden für sich allein und vermittelt eine fast verträumte Atmosphäre. In der Schenke "Goldenes Einhorn" versammeln sich allabendlich fünf Würdenträger dieses Städtchens - der Herr Bürgermeister, der Herr Pfarrer, der Herr Medikus, der Herr Notar und der neue Lehrer -, um über den seltsamen, in schwarz gekleideten und einen breitkrempigen Hut tragenden Fremden zu debattieren. Dieser kaufte sich kürzlich erst ein Stückchen Land neben dem Friedhof der Stadt, um das er eine Mauer baute. So sehr die Bewohner auch um diese Mauer herumliefen, konnten sie doch keinen Eingang finden - nur den merkwürdigen Fremden davor, der mit einem Stock ein Kreuz und die griechischen Buchstaben 'alpha' und 'omega' in die Erde schrieb und sie wissen ließ: "Ihr müht euch vergebens. Ihr Menschen! Das Tor, das diese Mauern öffnet, kenne nur ich!"
              Eines Tages kehrt ein junges Liebespaar, mit dem der Zuschauer schon gleich zu Beginn des Films kurze Bekanntschaft gemacht hat, zum "Goldenen Einhorn" ein. Als die junge Frau ihren Liebsten kurz verlässt und bei ihrem Wiederkommen merkt, dass dieser verschwunden ist, erfährt sie, dass er mit dem merkwürdigen Fremden mitgegangen ist. Auf der Suche nach den beiden gelangt auch sie an die ominöse Mauer und erblickt darauf zuwandernde gespenstische Gestalten - darunter auch ihren Liebsten. Der Fremde? Es war der Tod, der ihn geholt hat, denn die Zeit des jungen Mannes war abgelaufen.
              Verzweifelt versucht die junge Frau die Mauer zu überwinden, wodurch sie ins Fieber fällt und von dem Apotheker des Städtchens aufgefunden wird, der ihren gesundheitlichen Zustand wiederherstellen will. Bei ihm findet sie eine Schrift, die ihr verrät, dass Liebe stark wie der Tod ist, ihr Eifer fest wie die Hölle, ihre Glut feurig und eine Flamme des Herrn. Die Frau mischt sich etwas beim Apotheker, das sie trinkt - und somit ins Reich des Todes gelangt, obwohl dieser sie weder gerufen, noch geholt hat. Der Tod? Ja, wie ist er denn? Ein müder Wanderer, umgeben von Kerzen, deren Flammen das Leben eines einzelnen Menschen symbolisieren; manchmal erlischt eine, deren Kerze schon heruntergebrannt ist, manchmal auch die einer eben erst entzündeten. Ist der Tod schrecklich? Nein, keineswegs! Er scheint vielmehr seines undankbaren Jobs überdrüssig.
              Als die junge Frau ihn um das Leben ihres Liebsten bittet, lässt er sich mit ihr auf einen Handel ein. Drei Kerzen, drei Leben, seien kurz vorm erlöschen. Wenn sie auch nur eines dieser Leben retten kann, so soll sie ihren Liebsten wiederbekommen. Und auch diese drei Prüfungen werden einzeln erzählt - mein persönlicher Lieblingspart des Films! -, die uns in die muslimisch-arabische Welt entführen, in die italienische Renaissance und in 'das Reich der Mitte' - nach China. In allen drei Prüfungen erlebt sich die junge Frau mit ihrem Liebsten selbst in der jeweiligen Rolle der jeweiligen Kultur. In all den Prüfungen - die sich in der Manier einer je eigenen kleinen Abenteuererzählung gestalten - sind sie sich Liebende, deren Liebe aber nicht sein darf, nicht sein kann oder aber auseinandergerissen wird. Und immer ist es der männliche Part, der den Tod fürchten muss. Wird die Frau eine der Prüfungen bestehen? Und was wird danach passieren?
              Ja, liebe Leute, seht es euch doch einfach an.
              "Der müde Tod" ist ein toller Film! Besonders hervorheben möchte ich das wunderbar idyllische Städtchen, das mir sofort das Gefühl gab, mich auf ein Märchen einlassen zu können - fast so wie jene, die zur Zeit der Romantik verfasst wurden. Das mag daran liegen, dass der Tod hier wie eben jene vertraute Person auftritt, stets an der Seite der Menschen, dessen Geschicke er in der Hand hält. Ich dachte während des Films oft an diverse Märchen aus der grimm'schen Sammlung wie z.B. das vom 'Gevatter Tod', an Preußlers 'Krabat' (der Tod und die Liebe), an Johann Peter Hebels Erzählung 'Unverhofftes Wiedersehen', an das Gedicht 'Der Tod und das Mädchen' von Matthias Claudius, an Bergmans 'siebentes Siegel' etc. pp. Ich mag das alles, all diese Vorstellungen vom Tod als einer Person, die weder gut noch schlecht ist, immer an der Seite des Menschen, dessen Geschick eine unwissende Grenze setzend, undurchsichtig, aber doch so vertraut nahe.
              Sehr schön auch die Gestaltung der Zwischentitel: während von den Ereignissen in dem Städtchen erzählt wird, erscheinen diese in der hübschen altdeutschen Frakturschrift; die Geschichte im arabischen Raum erhält Zwischentitel, deren Schrift zwar das lateinische Alphabet ist, jedoch so verschnörkelt wurde, dass sie den arabischen Buchstaben ähnelt - gleiches trifft dann auch jeweils auf das Abenteuer zu, das das Paar in China erlebt. Für mich fühlte sich der Film deshalb so an, als blättere ich tatsächlich in einem alten Märchenbuch, vielleicht sogar noch vor Großmutters Zeiten, wo jede Seite eben noch in altdeutscher Schrift steht, wo jede Initiale noch aufwendig geschmückt und illustriert ist und auf manchen Seiten Verbildlichungen im Stil eines Holzschnitts zu finden sind, die das Gelesene illustrieren. Wer so etwas Schönes mal in der Hand hatte, weiß, was ich meine.
              Zu diesen Eindrücken haben letztendlich auch die sagenhaft schönen Drehorte, sehr aufwendigen und überaus detailverliebten Kulissen und Kostüme, sowie das gesamte Ambiente des Films überhaupt beigetragen.
              Ich schwankte bei "Der müde Tod" lange zwischen 8,5 und 9,0 Punkten und habe mich nun doch für die höhere Wertung entschieden. Warum? Auch "Der müde Tod" ist für mich sehr schön inszenierte 'schwarze Romantik' und somit habe ich das Bedürfnis diesen Film für mich neben Murnaus "Nosferatu" zu stellen; Filme, die einerseits ganz unterschiedlich sind, aber sich für mich doch irgendwo auch sehr ähneln und die Stärken des jeweiligen Regisseurs für mich noch einmal schön hervorheben: wo Murnau eine soghafte Atmosphäre aufbaut und mich um seine mir sympathischen Figuren zittern lässt, bastelt Lang - und da kann ich meinem Vorschreiber nur beipflichten - an für seine Zeit beeindruckenden und innovativen Effekten, die erstaunen und deren Weiterentwicklung mir in dem drei Jahre später produzierten ersten Nibelungenteil "Siegfried" den Atem verschlagen haben. Allerdings ist "Der müde Tod" eben kein Monumental à la Lang - im Gegenteil: so verträumt und poetisch (von den abenteuerlichen Passagen abgesehen, die dafür sehr unterhaltsam sind) habe ich Lang noch nicht erlebt; hier ist er eben ein Märchenerzähler.
              9,0 Punkte: Murnau oder Lang? Sind beides einfach meine Herzbuben - wie soll sich ein Mädchen da entscheiden?

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              • Warum ich ein Lang-Fan bin ...
                "Film ist die Romantik unserer Zeit. Film ist das unerschöpfliche Abenteuer. Film ist sichtbar gewordenes Märchen, ist Bildhaftmachung von noch nie Geschautem, nie mehr zu Schauendem, denn er hat die Macht, geahnte Wunderwelten kommender Jahrhunderte prophetisch vor unseren Augen aufzubauen, eine Brücke zu schlagen zu den nie betretenen Gefilden noch unerreichbarer Gestirne und Film hat auch die Macht, versunkene Welten wieder hervorzuzaubern, tote Jahrtausende wieder auferstehen zu lassen ["Die Nibelungen" ♡], dass Vergangenes wie Künftiges uns gegenwärtig wird."
                - Langs Leitworte zu >>Metropolis<<, 1927 -

                20
                • 9

                  In "Der letzte Mann" aus dem Jahre 1924 spielte Murnau einmal mehr seine ganz besonderen Talente aus, die ihn - sicher nicht nur für mich - zu einem meisterhaften Regisseur machten. Ich kann hier eigentlich allen, die sich schon für "Nosferatu" (die Anzahl der abgegebenen Bewertungen und der Punktedurchschnitt scheinen auch hier auf MP zu bestätigen, dass dies wohl noch immer Murnaus bekanntester und populärster Streifen ist) begeistern konnten, ans Herz legen, auch einmal einen Blick auf weitere Murnautitel zu werfen. Eins merkt man seinen Filmen immer sofort an: der Mann schien es zu lieben, an technischen Möglichkeiten und Innovationen zu feilen und immer wieder mal nach neuen, künstlerischen Ausdrucksformen und -möglichkeiten für seine Geschichten auf der Leinwand zu suchen, um sein Publikum zum Staunen zu bringen und sie damit zu erfreuen - was ihm auch immer noch hervorragend gelingt, wenn ich mir heute, soviele Jahrezehnte später, seine Werke anschaue. Damals müssen sie wohl hochmodern dahergekommen sein, heute sprechen sie für ihre Zeitlosigkeit. Soviel zur knappen Erwähnung des Talents der Filmtechnik; jenes andere, mit dem Murnau gesegnet war, zeigt sich auch wieder in "Der letzte Mann" durch die Inszenierung einer perfekten atmosphärischen und überaus berührenden Dichte durch Bildsprache, die kleinen Dinge wie einen abgefallenen Knopf, motivische Doubletten, einer sehr so sanften wie eindringlichen musikalischen Untermalung aus traurig-melancholischen Klängen und insbesondere Emil Jannings (=Titelrolle) unglaublich einfühlsamem und herausragendem Schauspiel, welches unter die Haut geht und beim Zuschauer haargenau die richtigen Knöpfe drückt, sodass dieser auf der Gefühlsebene voll und ganz in "Der letzte Mann" hineingesogen wird. Wenn man so sagen will, dann war hier für mich nicht nur die sog. "entfesselte Kamera" eine (sensationelle) Neuerung, mit der man die Innenperspektive der Titelfigur für den Zuschauer erlebbar machen konnte, sondern auch die Entfesselung der Emotionen dadurch, dass "Der letzte Mann" - wie hier auch schon erwähnt - bis auf eine einzige Ausnahme ohne jegliche Zwischentitel auskommt und die Gefühlswelt des Zuschauers somit voll und ganz dem Erzählgehalt der Bilder, dem Schauspiel der Akteure und der Atmosphäre der Inszenierung unterliegt. Eben auf jener Ebene habe auch ich besonders intensiv den sozialen Abstieg Jannings', seine Demütigung und das Brechen seiner Person erlebt. Und vorsicht! In der falschen Stimmung erwischt, kann "Der letzte Mann" ein echter Runterzieher sein, bei dem man irgendwann selbst am Boden liegt.
                  Ach so, worum es in diesem Film überhaupt geht?
                  Es ist ein trüber, dunkler, verregneter Tag der die Geschäftigkeit auf den Straßen der Stadt vor dem Hotel "Atlantic" jedoch nicht beeinträchtigt - die Drehtür zum Eingang des Hotels steht nicht still, während der in die Jahre gekommene Hotelportier - Emil Jannings, der zum 'letzten Mann' werden wird - wie immer die Hotelgäste grüßt und ihre schweren Koffer trägt, was ihm zu schaffen macht. Er benötigt eine Verschnaufspause und ein Glas Wasser, das ihm der junge Hotelpage bringt (der sich um den älteren Portier doch ein wenig zu sorgen scheint). Vom Hotelbesitzer beobachtet, erhält der Portier einen Tag später, nachdem er bereits seinen jüngeren Nachfolger auf seinem Posten sah, die schriftliche Erklärung, dass er aufgrund seines Alters eine neue Stelle im Hotel erhalte, die allerdings mit der Minderung seines Prestiges verbunden ist. Als der Portier dem Geschäftführer beweisen will, dass er noch auf der Höhe seiner Kräfte sei, läuft dies schief: unter dem Gewicht eines großen Koffers bricht der Portier zusammen. Während er benommen und apathisch hockt, wird ihm seine Uniform vom Körper gezerrt - ein Knopf fällt unbeachtet und nur von der Kamera bemerkt zu Boden und bleibt dort liegen. Fortan ist der neue Posten des ehemaligen Portiers der Waschraum der Toiletten des Hotels, zu denen man gelangt, indem man einige Schritte einer Treppe hinuntergeht und dabei zwei Schwingtüren passiert, deren Schwingen und Stillstand auch hier von der Kamera ein paar Sekunden festgehalten werden, sodass der Abstieg und das Schicksal des ehemaligen Portiers, der nun 'der letzte Mann' in der Hierarchie des Hotelpersonals ist, besiegelt zu sein scheinen.
                  Um jedoch sein Ansehen im armen Arbeiterviertel, in dem er wohnt, zu wahren, stiehlt der letzt Mann seine Uniform, um mit ihr am Leib den Heimweg anzutreten. Doch dieser Schwindel fliegt bald auf und was danach folgt, zog bei mir abermals die Schraube der Spirale der Erniedrigung an. Von den Nachbarn verspottet und von der Familie verstoßen und geächtet bleibt dem letzten Mann nur noch der Waschraum der Hoteltoiletten, um sein Dasein zu fristen. Einzig der Nachtwächter des Hotels nimmt sich in einer kleinen Geste des letzten Mannes an, indem er der vollends gebrochenen Person einen Lumpen als Decke reicht und mit der Hand über die Schulter streicht.
                  Hier wäre die Geschichte eigentlich zu Ende, würde der einzige Zwischentitel dieses Films nicht eine merkliche Zäsur im Erzählverlauf setzen und uns u.a. mitteilen, dass der letzte Mann nur noch eins im Leben erwarten dürfe: seinen Tod.
                  Aber in dieser Geschichte des Abstiegs, die sich bis zu diesem Zwischentitel vorallem in der Gebrochen- und Verlorenheit seiner Titelfigur, in der Leere der verlassenen Wohnung, in der sozialen Kälte seines Viertels und seinr Familie und schließlich dem Blick auf die dunkle Nacht, nach der es hier keinen Sonnenaufgang mehr gibt, manifestier, zeigt doch wenigstens eine einzige Figur Erbarmen: nämlich der Autor mit seinem Protagonisten, der uns mitteilt, er habe dem letzten Mann noch einen Epilog gespendet - und dieser ruft förmlich nach einer Interpretation durch den Rezipienten.
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                  Ab hier SPOILER bzw. soetwas wie mein Interpretationsansatz:
                  Wer die letzten zehn Minuten des Films als lapidares Happy-End versteht, der hat meiner Meinung nach das gesamte Potential des Erzählten nicht ausgeschöpft.
                  Ich fühlte mich tatsächlich etwas vor den Kopf gestoßen. Nachdem ich mit dem letzten Mann die Abwärtsspirale seines Gangs vorallem eben auf emotionaler Ebene sehr intensiv mitvollzogen habe, schienen mir die letzten zehn Minuten fast wie eine Farce, eben weil der Zwischentitel, der den Epilog einleitet, das nun Geschehende als deutliche Fiktion markiert, die sich allein der Gnade des Autors verdankt und offenlegt, dass nicht immer der leistungsfähigste auch tatsächlich der begütertste und angesehenste ist, sondern dieses sinnentleerte hierarchische Gesetz der Gesellschaft eine Laune des Schicksals ist. Alle Hotelgäste zeigen sich ja reichlich amüsiert über die Zeitungsnachricht - welche für mich schon fast märchenhaft anmutet -, dass ein reicher Gast in den Armen des Toilettenwärters verstarb und ihm sein gesamtes Vermögen vermachte. Die Zeitungsüberschrift "Demnach scheint sich jene biblische Verheißung, daß die Letzten die Ersten sein werden, diesmal schon auf Erden zu erfüllen [...]" empfand ich in dem gezeigten Kontext und Stimmung als zynisch, eben weil sie zeigt wie launisch und willkürlich das Schicksal eines gesellschftlichen Mitglieds im Hier und Jetzt sein kann, dessen Bedeutung und Funktion man entleert, indem sie einzig auf äußerlich Sichtbares - hier eben die Uniform - reduziert wird. Dies zeigte sich für mich in gewisser Weise nun auch an der Titelfigur selbst: hatte Jannings im gesamten Film mein vollstes Mitleid für sich gepachtet, weil mich seine Figur menschlich berührte (erwähnt sei vorallem die Szene, in der er eines morgens auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz beobachtet, wie ein kleines, in Lumpen gekleidetes Kind in den Dreck des Arbeiterviertels fällt und von anderen Kindern gehänselt wird, dem Kind aufhilft, den anderen Kindern mit dem Finger droht und das hingefallene Kind tröstet, indem er es ihm über das Haar streicht, ein Bonbon und gleich danach die ganze Schachtel der Süßigkeit schenkt), so war mir seine Figur hier plötzlich fremd geworden. Nicht nur die hier erwähnte Verschwendungssucht, sondern vorallem die Jovialität der Titelfigur empfand ich schon fast als verstörend. Die Szene mit dem hingefallenen Kind doppelt sich ja in gewisser Weise mit der Szene, in der der ehemals letzte Mann dem nächsten armen Teufel begegnet, der nun Toilettenwärter ist. Das ist eine Szene, die wohl jeder für sich selbst werten muss - für mich fühlte sie sich nicht mehr nach der menschlichen Wärme an wie jene mit dem Kind. Wenn man das Verhalten der Titelfigur nun als jovial bezeichnen will, dann drückt dieser Charakterzug ja auch das Bewusstsein für eine Hierarchie und der eigenen Stellung in ihr aus; selbst wenn man zu geben hat und gibt, ist auch dies Antrieb aus einer Prestigelaune heraus, die letztendlich das Über- und Untergeordnetsein von Menschen bestätigt. (Ja, ich empfinde das nicht als einen unbedingt positiven Charakterzug.) Und eben diese gegensätzliche Empfindung macht für mich dieses Ende irgendwie bitter oder zumindest ernüchternd, so wie der 'letzte Mann' sich während der Hochzeitsfeier seiner Nichte betrank und phantasierte, am nächsten Tag vorm Hotel jedoch schlagartig ernüchterte.
                  Aber selbst wenn man das anders deutet, dann bleibt dieses Ende letztendlich ein vorgegaukeltes, von einer Laune abhängiges Ende und auch für mich deshalb noch lange kein glückliches.
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                  Letztendlich kann man sich im Leben, das sich einfach so immer weiter dreht wie die Drehtür des Hotels, nie seiner gesellschaftlichen Stellung und seines Ansehens sicher sein; ja vielleicht gerade in einer leistungsorientierten Gesellschaft (das mag jetzt recht modern klingen) versagt die Menschlichkeit, die doch ganz natürlich ist: irgendwann nicht mehr (genug) leisten zu können einerseits und das Absprechen des persönlichen Werts andererseits. Und dieses Gesetz dreht sich unaufhörlich, dreht sich wie die Drehtür des Hotels, jemand wird aus diesem sich Drehen ausgestoßen und ein anderer in dieses Drehen neu eingespannt, sei es der neue Hotelportier, sei es auch darüber hinaus das Verlassen des familiären Hauses durch Heirat und das endgültige Hineintreten in die Gesetzlichkeit der Gesellschaft (um nicht weiter auszuschweifen, lasse ich das Motiv hier nur kurz erwähnt).

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                  • So, dann jetzt aber auch von mir:
                    herzlichen Glückwunsch zur Krone, Sigmund.
                    Der Film ist ja schon auf meiner Vormerkliste, als ich den Kommentar auf meinem Dashboard entdeckte. In meiner Umgebung spielt ihn leider auch kein Kino, weshalb ich damit warten muss. Bin aber nach Deinem Kommentar ebenfalls mächtig neugierig und glaube, dass mir L’INCONNU DU LAC gefallen wird.
                    Auf viele weitere solcher Kommentare!

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                    • Hermann Hesse wusste genau wie und wann man Dostojewskij richtig lesen muss.
                      Nicht zurückschrecken lassen. Wenn man einmal in die Welt zwischen den Zeilen dieses großen russischen Schriftstellers hineingefunden hat, kann das einer Offenbarung gleichkommen.
                      "Wir müssen Dostojewskij lesen, wenn wir elend sind, wenn wir bis zur Grenze unserer Leidensfähigkeit gelitten haben und das ganze Leben als eine einzige brennende, glühende Wunde empfinden, wenn wir Verzweiflung atmen und Tode der Hoffnungslosigkeit gestorben sind. Dann, wenn wir aus dem Elend vereinsamt und gelähmt ins Leben hinüberstarren und es in seiner wilden, schönen Grausamkeit nicht mehr begreifen und nichts mehr von ihm haben wollen, dann sind wir offen für die Musik dieses schrecklichen und herrlichen Dichters. Dann sind wir nicht mehr Zuschauer, dann sind wir nicht mehr Genießer und Beurteiler, dann sind wir arme Brüder unter all den armen Teufeln seiner Dichtungen, dann leiden wir ihre Leiden, starren mit ihnen gebannt und atemlos in den Strudel des Lebens, in die ewig mahlende Mühle des Todes. Und dann auch erhorchen wir Dostojewskijs Musik, seinen Trost, seine Liebe, dann erst erleben wir den wunderbaren Sinn seiner erschreckenden und oft so höllischen Welt."

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                      • 10

                        Ein Ort im Irgendwo. Ein prächtiges, barockes Schloss beherbergt seine Gäste (gefilmt wurde in den Schlössern Nymphenburg, Schleißheim und der Amalienburg; der Ort im Film selbst bleibt jedoch unbestimmt). Herzlich Willkommen zu "Letztes Jahr in Marienbad"! Und hier trifft es wirklich einmal zu: ein Film von äußerst sinnlicher und hypnotischer Wucht, der seinen Betrachter im Zustand eines permanenten Wachtraums hält.
                        Seien Sie hier willkommen!
                        Sie ... "der da schreitet, der da wieder einmal schreitet diese Flure entlang, durch diese Säle, durch diese Galerien in diesem Bauwerk einer anderen Zeit, diesem gigantischen Hotel: luxuriös, barock, schaudernd da schreitend wo endlosen Fluren Flure folgen, lautlose Leere, überladen von düsterem, kaltem Zierat, [...] vom bleichen Marmor, verblichenen Spiegeln, verblichenen Gemälden, von Säulen, geschnitzen Rahmen der Türen ... von Fluchten vor Türen, von Galerien, von Fluchten, von Fluren, die wieder in leere Salons führen. In Salons, überladen von Zierat einer anderen Zeit, schweigende Säle [...]."
                        Seien Sie willkommen! Nehmen Sie sich Zeit, alles zu bestaunen! Die Kamera führt sie durch einen Sinnesrausch an barocker Schönheit des Schlosses - wir haben Zeit, eilen Sie nicht! - genießen Sie es, genießen Sie ihren Aufenthalt bei uns als Gast. Hohe und schmuckvolle Deckengewölbe, prächtige Ornamente, barocke Engel, antike Statuen, lange Flure ... vorsicht, denn je weiter Sie schreiten, je weiter Sie sich von all den Eindrücken verführen lassen, desto mehr laufen Sie Gefahr, sich in den immer größer auftuenden Weiten der Flure, Säle und Galerien zu verlieren, so weit, dass Sie das Gefühl bekommen, in einen Irrgarten geraten zu sein. Sie drehen sich um sich, immer schneller - Sie haben doch hoffentlich nicht die Orientierung verloren?
                        Wo bin ich hier?
                        Wer sind Sie?
                        Wer bin ich?
                        Ich weiß es! Ich weiß etwas über Sie, das Sie vergessen haben - oder ... oder vergessen wollten?
                        Sehen Sie: hohe und schmuckvolle Deckengewölbe, prächtige Ornamente, barocke Engel, antike Statuen, lange Flure, überladen von Zierat einer anderen Zeit: stumme Zeugen, die jedes Geheimnis in sich für die Ewigkeit aufnehmen und sich beharrlich darüber ausschweigen.
                        "Birgt dieses Hotel viele Geheimnisse?"
                        "Unendlich viele."
                        Sie wissen es. Was wissen Sie? Was geschehen ist? Oh ja, was geschehen ist - letztes Jahr in Marienbad. Sie wissen es nicht? Sie wissen es nicht mehr? Sie wollen es nicht mehr wissen? Dann hören sie mir zu, lauschen Sie mir, ich erzähle Ihnen, was geschah - letztes Jahr in Marienbad.
                        "Habe ich mich so verändert? Oder geben Sie nur vor, mich nicht wiederzuerkennen? Ein Jahr - oder schon mehr?
                        Sie sind noch immer die selbe. Die selben abwägenden Augen. Das selbe Lächeln. Das selbe plötzliche Lachen. Das selbe Ausstrecken des Armes, um abzuwehren. [...] Sie tragen noch immer das selbe Parfum."
                        Wir trafen uns - letztes Jahr.
                        "Ich habe Ihnen gesagt, sie sehen nicht aus, als ob sie erstarrt seien. Zur Antwort haben sie gelächelt. Nur um etwas zu sagen, kam ich auf jene Statuen. Ich habe Ihnen gesagt, der Mann wolle die junge Frau daran hindern, weiter zu gehen. Er müsse etwas erblickt haben, etwas Gefährliches jedenfalls. Er halte seine Begleiterin mit seiner Geste zurück. Sie haben geantwortet, dass eher sie etwas erblickt haben müsse, etwas im Gegenteil Wunderbares, das sie mit ihrer ausgestreckten Hand bezeichne. Beides war nich unvereinbar. Der Mann und die Frau haben ihr Land verlassen, seit Tagen gehen sie - sie gehen geradeaus. Sie geraten an eine schroffe Küste. Er hält die Begleiterin zurück, damit sie nicht bis zum Äußersten geht, während sie ihm das weite Meer zeigt [...]. Sie haben mich nach den Namen der Figuren gefragt. Ich sagte, es bedeute nichts. Sie waren anderer Meinung. Sie haben ihnen Namen gegeben. Willkürlich, glaube ich. Aber ich habe entgegnet: Das könnten genauso gut Sie und ich sein. Oder wer auch immer." Lachen, schäkern. "Geben Sie ihnen keine Namen! Sie könnten eine ganz andere Vergangenheit gehabt haben."
                        Und nun? Erinnern Sie sich?
                        Wir verbrachten die Tage. Wir schäkerten miteinander.
                        Nein, Sie glauben mir also immer noch nicht.
                        Sie haben so etwas Sinnliches, Sie haben so etwas Bezauberndes, Sie haben so etwas Verführerisches.
                        Wenn es ein Traum wäre, warum haben Sie Angst?
                        Sie fanden mich überall.
                        "Sie haben ständig eine gewisse Distance gewahrt. Sie haben gezögert. Wie auf der Schwelle, wie am Eingang zu einem unbekannten Ort."
                        ...
                        Frau: "Lassen Sie mich, ich flehe Sie an."
                        Mann: "Ständig diese Flure, ständig Mauern, immer Türen - und wieder Mauern, Fluchten von Fluren. Bevor Sie waren, welche Flure habe ich da durchschritten? Was habe ich getan, bevor ich sie erreichte? Aber jetzt sind Sie da [...] in diesem Garten; nah meinen Händen, nah meinem Blick, meiner Stimme nahe, nahe meinen Händen."
                        Frau: "Wer sind Sie?"
                        Mann: "Das wissen Sie."
                        Frau: "Welchen Namen haben Sie?"
                        Mann: "Der Name? Der Name ist nicht wichtig.
                        Frau: "Der Name ist nicht wichtig? Sie gleichen einem Schatten. Und trotzdem verlangen Sie, dass ich mich Ihnen nähere? ... lassen Sie mich, lassen Sie mich, lassen Sie mich."
                        ...
                        Abends kam er in ihr Zimmer - eine atmosphärisch unglaubliche Symbiose aus Erotik, Angst und Begierde ... "Es ist falsch! [...] Es war nicht mit Gewalt."
                        ... wirklich? Wer weiß das schon ...
                        Wer weiß, was letztes Jahr geschah, in Marienbad?
                        Nur eins ist gewiss - was hier in vielerlei Hinsicht so traumartig und betörend beginnt, wird schleichend nebulös; je mehr die Erinnerung zu kommen scheint, wird sie gleich wieder verwischt. Aus Angst? Aus Verdrängung?
                        Genießen Sie es, genießen Sie ihren Aufenthalt bei uns als Gast. Hohe und schmuckvolle Deckengewölbe, prächtige Ornamente, barocke Engel, antike Statuen, lange Flure ... vorsicht, denn je weiter Sie schreiten, je weiter Sie sich von all den Eindrücken verführen lassen, desto mehr laufen Sie Gefahr, sich in den immer größer auftuenden Weiten der Flure, Säle und Galerien zu verlieren, so weit, dass Sie das Gefühl bekommen, in einen Irrgarten geraten zu sein. Sie drehen sich um sich, immer schneller - Sie haben doch hoffentlich nicht die Orientierung verloren?
                        Dann hören Sie auf die Stimme, die vorgibt zu wissen, wer Sie sind, woher Sie kommen, was Sie versprochen haben, was geschehen ist, woran Sie sich nicht mehr erinnern können - oder wollen. Aber vorsicht! Sobald diese Stimme Sie durch diesen Irrgarten führt, sobald Sie ihr verfallen, sobald diese Stimme in Sie dringt und beginnt, Ihre Erinnerungen wachzurufen, zu formen - dann sind Sie ihr vollends ausgeliefert und in ihrer Gewalt - und Ihr wunderbarer Aufenthalt hier wird schleichend zum Alptraum, den Sie am liebsten vergessen möchten.
                        "Birgt dieses Hotel viele Geheimnisse?"
                        "Unendlich viele."
                        Sehen Sie: hohe und schmuckvolle Deckengewölbe, prächtige Ornamente, barocke Engel, antike Statuen, lange Flure, überladen von Zierat einer anderen Zeit: stumme Zeugen, die jedes Geheimnis in sich für die Ewigkeit aufnehmen und sich beharrlich darüber ausschweigen.

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                        • 9

                          Vor ein paar Tagen schon einmal reingeschaut, nach zehn Minuten jedoch abgebrochen, da nicht in der richtigen Stimmung, habe ich mir nun endlich auch den deutschen Stummfilmklassiker "Der Golem, wie er in die Welt kam" aus dem Jahr 1920 unter der Regie von Carl Boese und Paul Wegener, der gleichzeitig die Titelrolle selbst spielt, angesehen - und wurde, wie immer, 87 min. lang sehr schön unterhalten.
                          .
                          Erzählt wird uns wie Rabbi Loew nachts den Sternenhimmel beobachtet, welcher ihm prophezeit, dass seiner Gemeinde ein Unheil bevorsteht. Davor also gewarnt, sucht er in seinen alten Büchern nach dem sagenumwobenen Golem: ein erschaffenes Wesen, welches auf Befehle reagiert, wenn es zum Leben erweckt wird - und vor Unheil bewahren soll, da ihm besondere Kräfte zugeschrieben werden.
                          Es kommt wie es kommen muss; der Kaiser schickt einen Boten - den Ritter Florian -, der ein Dekret (das hübsch ins Blickfeld des Zuschauers schwebt, sodass er das Dokument selbst lesen kann) in das jüdische Ghetto bringen soll, das den Auszug der Gemeinde fordert. Rabbi Loew begibt sich samt des Golems zur kaiserlichen Residenz, wo seine Schöpfung den Hof dermaßen beeindruckt, sowie Rabbi Loew die Vision vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten (assoziativ: und die verheerende Folge für die Ägypter) beschwört, die Kaiser und Gefolge in Schrecken versetzt. Das Dekret wird aufgehoben, die jüdische Gemeinde dankt ihrem Gott.
                          Doch das ist noch nicht alles. Ritter Florian verliebt sich in die Tochter des Rabbis, Mirjam. Heimlich verbringen sie miteinander Schäferstündchen. Während die Gemeinde sich versammelt, um Gott für das Abwenden des Unheils zu danken, bemerkt der Gehilfe des Rabbis, dass Mirjam nicht anwesend ist und sich in der Gesellschaft Florians befindet. Eifersüchtig beschließt er, den Golem abermals zum Leben zu erwecken, damit dieser die Liebenden entzweit - und das läuft à la Goethes "Zauberlehrling" ("Die Geister, die ich rief ...") natürlich schief. Was darauf folgt, begründete sicherlich das übliche Bild eines Monsters, das eine junge Frau in seine Gewalt bringt und anschließend seine zerstörerische Kraft entfaltet.
                          .
                          Hach, wieder so ein wunderhübsches Kleinod an Stummfilm, das wir hier haben.
                          Für Einsteiger in dieses Gefilde nicht unbedingt geeignet; wer jedoch bereits Erfahrungen mit dem eigenen Charme und der "Magie" des Stummfilms gesammelt hat, der wird diesem hier und seinen suggestiven Bildern gewiss ebenso erliegen.
                          Die Motive des Plots sind zwar ausgesprochen simpel gehalten und gestrickt, doch die besondere Atmosphäre, welche durch stimmige und perfekte Musik, sowie durch gezielt ausgeleuchtete Szenen erzeugt wird, gibt dem Zuschauer das Gefühl, Zeuge eines großen Mysteriums zu werden. Das Bühnenbild zeigt sich in seiner Detailverliebtheit einfach fantastisch; die Gebäude erinnern sehr an "Das Cabinet des Dr. Caligari", wirken jedoch weniger surrealistisch - der Film lebt viel mehr von seiner mystischen Stimmung und haucht dadurch einer alten jüdischen Legende fühlbares Leben ein.
                          Lobend hervorzuheben sind außerdem die Maske des Golems, die durch den geschickten Einsatz von Licht und Schatten tatsächlich sehr steinig wirkt, die wunderschönen Kostüme der Schauspieler und die "Massenszenen", sei es der Hof des Kaisers oder aber die Versammlung der jüdischen Gemeinde - alles ist einfach prächtig anzusehen.
                          Die Inszenierung selbst wirkt gemäß des Alters dieses Films eher wie ein üppig ausgestattetes Theaterstück, weiß aber auch heute noch durch kreative und handwerklich gelungene Effekte - wie z.B. die Darstellung von Visionen - zu überzeugen, zu unterhalten und auch zum Staunen zu bringen - also, mich jedenfalls.
                          Und ganz nebenbei: in einer Nebenrolle bekommen wir in "Der Golem, wie er in die Welt kam" Greta Schröder zu sehen, die zwei Jahre später die weibliche Hauptrolle in "Nosferatu, eine Symphonie des Grauens" spielte.
                          "Der Golem, wie er in die Welt kam" - ein sehr, sehr sehenswerter und wunderhübscher, kleiner Film!

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                          • 9 .5

                            "Sonnenaufgang - Lied von zwei Menschen" ist einer der schönsten Liebesfilme - für mich sogar DER schönste - wo gibt und so muss er einfach mein Herz bekommen. Ganz ehrlich, den ein oder anderen Liebes-, Schmonzetten- und Schnulzenfilm (klingt jetzt abwertender als es gemeint ist - einige mochte ich ja davon selbst wirklich gern wie z.B. "Dornenvögel") habe ich auch gesehen, manche davon haben mich auch auf eine ganz seichte und naive Weise unterhalten, manche haben am Ende auch mein Herz gestreichelt wie z.B. "Frühstück bei Tiffany". Aber kein Film dieser Sparte hat es je geschafft, mich wirklich ganz sentimental zu stimmen, mich zum Kichern zu bringen oder dazu zu bewegen, zum Taschentuch greifen zu müssen. Aber Murnaus Liebespaare - ob in "Nosferatu" oder hier in "Sonnenaufgang..." - meine Güte, die haben so eine naive Unschuld und Herzlichkeit, dass ich am Ende wirklich eine Träne wegdrücken muss und mir nur zu sehr wünsche, in der Zeit gelebt zu haben, als dieser Streifen im Kino zu sehen war und ich wäre so gern Teil derer gewesen, die mit größter Sicherheit den gesamten Saal des Lichtspielhauses am Ende mit einem herztiefen und langen Seufzer gefüllt haben, weil das Gesehene einfach soooo schön ist/war. Murnau zeigt einfach in Perfektion, dass Unterhaltung und Kunst keine zwei unterschiedlichen Paar Schuhe sein müssen. Was er uns hier inhaltlich erzählt, gewinnt durch die Form noch an tieferen Gehalt - und hier will ich einfach mal auf den wunderbaren Kommentar von BaltiCineManiac verweisen -, aber selbst wenn man keine Lust auf eine Filmanalyse haben sollte, unterhält dieser Film einfach richtig gut und ist in seiner Thematik absolut zeitlos; der Prolog lügt nicht, wenn er uns mitteilt
                            "This song of the Man and his Wife
                            is of no place
                            and every place:
                            you might hear it anywhere
                            at any time.
                            For wherever the sun rises and sets ...
                            in the city's turmoil
                            or
                            under the open sky on the farm
                            life is much the same:
                            sometimes bitter, sometimes sweet."
                            Und deshalb verdient Murnaus "Sonnenaufgang - Lied von zwei Menschen" für mich alle Punktzahlen, die man überhaupt nur vergeben kann, und wenn ich hier den für diesen Film - nicht persönlich nehmen - unterirdischen Communitydurchschnitt sehe, dann habe ich erst recht kein schlechtes Gewissen, auch auf die Höchstpunktzahl zu drücken.
                            Noch ein paar wenige Worte zum Film selbst?
                            Er erzählt uns von einem Farmer, der eine Affäre mit einer Urlauberin hat, die aus der Großstadt kommt. Dabei hat der Mann eine Ehefrau, gespielt von Janet Gaynor, die ihrer Figur so eine engelhafte Unschuld verleiht, dass man als Zuschauer wohl sofort Mitleid mit ihr hat; sie hat so etwas Natürliches und unschuldig zart Feminines, wohingegen uns die Stadtfrau zum ersten Mal in sexy verführerischer Unterwäsche gezeigt wird wie sie sich gerade eine Zigarette anpafft und die Leute, bei denen sie auf dem Land als Urlauberin untergekommen ist, ihr die Schuhe putzen. Sie lockt ihren Liebhaber aus seinem Haus, wo er gerade lustlos am Tisch saß, während ihm seine Frau das Essen servierte. Als die Ehefrau merkt, dass sich ihr Mann zu seiner Affäre weggestohlen hat, sieht man sie anschließend am Bett weinen, auf dem das gemeinsame Kleinkind liegt, es zu liebkosen versucht, während uns gleichzeitig gezeigt wird wie die Stadtfrau selbiges mit ihrem Liebhaber tut.
                            Zuvor sah man noch kurze Rückblenden aus glücklichen und sorglosen Tagen des jungen Ehe- und Elternpaares auf dem Lande. "They used to be like children, carefree ... allways happy and laughing..." - "Now he ruins himself for that woman from the city-money-lenders strip from the farm." So tratschen jedenfalls zwei alte Frauen.
                            Hmm ... nun gilt Murnau ja als Vertreter des Expressionismus und zumindest in der Literatur ist diese Epoche ja gerade für ihren Pessimismus hinsichtlich der Großstadtentwicklung bekannt. Ich will mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich habe mich gefragt, ob Murnau das hier im Stillen auch kritisiert. So idyllisch das Leben des Ehepaars vom Lande mal war, wurde dies durch das Eindringen der (Groß)Stadt irgendwie beschnitten, verkörpert durch die Stadtfrau, die ihrem Liebhaber zu einem gemeinsamen Leben verführen will, indem sie ihm ins Gedächtnis ruft, welch aufregendes Leben ihn mit ihr erwarten würde - wird durch wunderbare Bildsprache gezeigt - und wofür er sich seiner Frau entledigen solle; ja, sie entwirft ihm einen Mordplan, der sich als Unfall vertuschen ließe.
                            Der Ehemann ringt mit seinem Gewissen und will den Plan tatsächlich umsetzen. Als seine Frau dies merkt, flüchtet sie - in die Stadt. Er jagt ihr hinterher, bittet sie um Vergebung, bemüht sich um sie. In einer Kirche, in der gerade eine Hochzeit gefeiert wird, wird ihm plötzlich das Eheversprechen bewusst. Das Paar entschließt sich zu einem Neuanfang, einem "zweiten Frühling", wie es hier in der Beschreibung so schön heißt und was Murnau durch wirklich sehr amüsante Episoden schildert, dessen Eindrücke das Ende umso dramatischer erscheinen lassen, dass ich hier wirklich mit meinen feuchten Augen zu kämpfen hatte und den Mann sogar dazu bringt, dass sich all sein Hass gegen die Stadtfrau richtet.
                            Das ist dann das andere Stadtbild, das uns dieser Film zeigt - vielleicht wollte der Film auch einfach den traurigen Abschied vom Alten und den Neuanfang sich wandelnder Lebensumstände zeigen, die die Figuren in diesem Film verkörpern.
                            Oder eine gewisse Parabel, da der Mann so ziemlich jede menschliche Unzulänglichkeit verkörpert, die Vergebung sucht, die Frau hingegen das Bodenständige, Vergebende, gen Ende zunehmend Engelhafte.
                            Aber abgesehen davon wählt Murnau hier für seinen Film und seine Inhalte Motive und Gefühlselemente, die Menschen über mehrere Epochen hinweg verbinden und selbst wenn man den Film nur aufs Vordergründige reduziert und ihn einfach als einen nimmt, der von einem Mann und einer Frau und ihrer Ehekrise erzählt, sowie von ihrem Neuanfang, durch die bittere und schöne Nacht hindurch bis die Sonne wieder aufgeht - das ist hier einfach so bezaubernd, gefühlvoll, emotional und unterhaltend verpackt und umgesetzt worden ... nee, der Film muss einfach mein Herz bekommen!

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                            • 9

                              Murnaus "Nosferatu, eine Symphonie des Grauens" - großartiger Film, wunderbares, sehr atmosphärisches Schauermärchen! Hat mich innerhalb der ersten zehn Minuten voll und ganz für sich eingenommen und mich bis zur letzten Sekunde begeistert. Für mich ein Musterbeispiel, dass sich gute Filme wie gute Bücher "lesen" lassen. Und aufgrund des Spiels mit dem Unbewussten und bei dem hohen Potential, seinen Inhalt grandios auf der Gefühlsebene des Zuschauers zu entfalten, ein zeitlos unterhaltendes Stück, bei dem absolut etwas verloren gegangen wäre, hätte man diesen Film damals tatsächlich vernichtet.
                              Dabei beginnt doch alles so schön, niedlich naiv.
                              Thomas und Ellen Hutter führen eine junge, glückliche Ehe. Sie wird beim Spielen mit einer Katze am Fenster gezeigt, während ihr Mann im Garten einen Blumenstrauß für sie pflückt. Während sie stickt, bringt er ihr diesen, den sie liebevoll in ihren Händen streichelt und uns beide Schauspieler anschließend das Glück ihrer jungen Liebe zeigen.
                              Bis Hutter einen Auftrag von seinem Chef Knock - einem seltsamen Makler, über den nicht gerade schmeichelhafte Gerüchte kursieren; aber immerhin bezahle er seine Leute gut - erhält, dass sich aus Transilvanien ein Graf Orlok postalisch gemeldet habe (der Zuscher darf hier über die Schulter schauen und einen kurzen Blick auf die seltsamen, okkultisch wirkenden Schriftzeichen werfen), weil er ein Haus zu kaufen beabsichtige. Knock denkt dabei an jenes, das genau gegenüber des jungen Ehepaares verlassen liegt - eine ziemliche Ruine. So schickt der Chef seinen jungen Angestellten auf die Reise, ihm versichernd, er könne dort sein großes Glück - im Sinne von Wohlstand - finden, auch wenn dies vielleicht einen, bei seiner Jugend, geringen Preis von Blut und Schmerz kosten könnte.
                              Ellen ist von Anfang an nicht wohl bei der Geschichte, die ihr ihr Mann später erzählt. Er lässt sie in befreundeter Obhut und versichert ihr , schnell wieder zurückzukehren.
                              Auf dem Weg nach Transilvanien übernachtet Hutter in einem Gasthaus. Bereits dort kündet sich Unheilvolles an. Die Gäste zeigen sich verängstigt, als sie von den Reiseplänen des jungen Mannes erfahren, Hutter findet in seinem Gästezimmer ein Buch über Vampire mit warnenden Zeilen, die er jedoch in seinem jugendlichen Leichtsinn in den Wind schlägt; und eine Hyäne streunt durch die Gegend - auf der Suche nach Aas? Und zuletzt verlässt Hutter auch noch seine Begleitung, als sie sich am nächsten Tag der Grenze zum "Land der Phantome" nähern, Hutter allein eine Brücke überqueren und durch einen mysteriösen Wald gehen muss bis ihn plötzlich ein Kutscher erwartet, ihn an sein Ziel bringt und genauso plötzlich und schnell wieder verschwindet.
                              Graf Orlok? Naja, der wirkt am Anfang noch sehr großväterlich - aber komischerweise wird er plötzlich scharf, als sich Hutter beim gemeinsamen Dinnieren in den Finger schneidet und Blut aus seiner Wunde tritt. Es seien ja noch ein paar Stunden bis zur Dämmerung, bevor der Graf erstmal wieder einen ganzen Tag schlafen müsse; die Skelettuhr schlägt die Stunde, der Graf kommt Hutter ganz nahe - - - *eigene Phantasie einschalten*. Am nächsten Morgen schreibt der Mann seiner Frau, er habe seltsame Träume gehabt und an seinem Hals befänden sich Bisse, möglicherweise von Mosquitos. Doch die unheilvolle Stimmung, sowie unheimlichen Ereignisse - welche in eine nahezu mobide Stimmung umschlagen - nehmen stetig zu: auf Orloks Schloss, der fiebrig fliehende Hutter, ein Schiff, mit dem Orlok seine Heimat verlässt, wird immer mehr gespenstisch, Knock dreht plötzlich durch - besteht zwischen ihm und Orlok irgendeine Verbindung? -, Todesfälle häufen sich in Hutters Heimat, eine Epidemie ist ausgebrochen - die Pest?
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                              Wow, also mir ging dieses Schauermärchen wirklich ans Nervenkostüm. Zum einen, weil ich um die mir sympathischen Figuren zitterte, zum anderen, weil "Nosferatu" für mich zu den Filmen mit dem besten und effektivsten Score zählt: die lieblichen und zärtlichen Töne zwischen Thomas und Ellen, die z.B. wabende Musikuntermalung bei Hutters Aufenthalt im Wald, die etwas Traumartiges und Unwirkliches suggeriert, unvergesslich die taktvollen Klänge, bei denen ich das Gefühl hatte, mein eigener Herzschlag passt sich dem erhöhten Rhythmus des Gehörten an.
                              Dann die Schatten - wieder mal das Spiel mit dem Gespenstischen, das unheilvoll näher kommt und nicht immer weiß man genau, von welcher Seite eigentlich.
                              Die rätselhafte Verbindung im Unbewussten zwischen Orlok und Knock, zwischen Thomas und Ellen. Und auch die Kontrastierung dieser: Thomas und Ellen, die in einem schönen, bürgerlichen Haus wohnen und sich eine gemeinsame Existenz aufbauen und ihr Nachbar gegenüber soll nun dieser Orlok werden und dieses Haus ist eine verfallende Ruine.
                              Die vielen Leerstellen, die die Phantasie des Zuschauers anregen, das Verwischen von Traum und Wirklichkeit, hinter dem stets ein Fragezeichen stehen bleibt.
                              Die Darstellung der Natur als z.B. Ellens Gefühlswelt; die am stetig ruhigen Meer auf ihren Ehemann wartende Frau, am Strand, an dem Kreuze aufgestellt wurden. Die zunehmende Kraft der Wellen andererseits, die das Gespensterschiff in Thomas' Heimatstadt treiben.
                              Das Unbeherrschbare der dämonisierten Natur und die Pest, dem der Mensch ohnmächtig gegenübersteht. Die an die Haustüren gemalenen Kreuze, die den Todesengel von seiner Beute abhalten sollen - die Straßen von Särgen und Leichenzügen, die dennoch nicht abebben.
                              (Nebeinbei auch ein Stück Film, der wunderbar wissenschaftliche Diskurse seiner Zeit einbindet.)
                              Und dann dieses Ende ... :'(
                              - Blood! Your precious blood! -
                              -> Masterpiece!

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                              • 9 .5

                                Die Jahreszeit wird allmählich wieder nass, kalt und trist, die Abende wieder länger und mit ein bisschen Glück vielleicht auch ruhiger, wenn man sich eine Kanne Tee kocht, es sich in seiner Lieblingsecke bequem macht und daran denkt ...
                                .
                                ~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~
                                "In der Kindheit glaubt man, was einem gesagt wird und zweifelt nichts an.
                                Man glaubt, dass wenn man eine Rose pflückt, der Familie ein Unglück widerfährt.
                                Man glaubt, dass die Hände einer menschlichen Bestie, sobald sie jemanden tötet, zu dampfen anfangen, und dass sich die Bestie dafür schämt, wenn ein junges Mädchen in ihrem Hause wohnt.
                                Man glaubt noch tausend andere naive Sachen.
                                Ein bisschen von dieser Naivität erbitte ich mir jetzt von Ihnen und sage, um uns allen Glück zu bringen, die drei magischen Worte, das wahre 'Sesam öffne dich' unserer Kindheit:
                                "Il était une fois…"
                                "Es war einmal ..."
                                ~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~*~°~
                                .
                                Es war einmal ein Mädchen, das man Bella nannte. Es lebte mit seinem Vater, dem Bruder und zwei furchtbar aufgeplusterten und habsüchtigen Schwestern zusammen in einem Haus und wurde von einem jungen hübschen Mann begehrt. Da sie ihren Vater, den nach einem Unglück Geldsorgen plagen, nicht verlassen möchte, lehnt sie Heiratsanträge ab. Als den Vater die Nachricht erreicht, dass in seinen Geschäften noch nicht alles verloren sei, fragt dieser seine Töchter, was er ihnen auf seinem Heimweg mitbringen solle; die Schwestern wünschen sich exotische und extravagante Sachen - Bella aber wünscht sich eine Rose, weil hier keine blühen.
                                Als der Vater gezwungen ist, bei stürmischer Nacht seinen Heimweg anzutreten, verirrt er sich im Wald und findet Unterkunft in einem sagenhaften und verzauberten Schloss, das ihn bewirtet. Am Morgen findet er im Schlossgarten einen Rosenstrauch und an seine Tochter denkend pflückt er eine. - und plötzlich steht er vor ihm, der Schlossherr, furchterregend schaut er aus! 'Edler Herr' mag er nicht genannt werden, da er keine Komplimente möge - er sei die Bestie und vor ihm liegt ein totes Reh, das er riss. "Ihr dürft mir alles nehmen, bloß nicht meine Rose", denn die seien ihm lieb und kostbar und wer dies wage, müsse mit dem Leben dafür bezahlen, es sei denn, eine Tochter wolle den Platz des Vaters einnehmen an seiner statt.
                                Bella grämt sich, dass der Vater ihretwegen in Schwierigkeiten geraten ist und wird die Gesellschafterin der Bestie, die es kränkt, dass Bella im ersten Augenblick Angst vor ihr hat, so sehr, dass sie bei dessen Anblick in Ohnmacht fällt. Doch statt Bella für die entwendete Rose zu töten, beginnt die Bestie das junge Mädchen zu schmücken, ihm Bedienstete zur Verfügung zu stellen, es zu beschenken, es zu ehren - es wird ihr Gebieter und sie seine Gebieterin und es will sie zur Frau, obgleich es sich für abstoßend hält und fortwährend mit seinen zwei Naturen zu kämpfen hat ... ?
                                Bella beginnt die Bestie zu achten, doch sie sehnt sich nach ihrem Vater und bittet den Schlossherrn, sie für eine Woche frei zu geben, um ihren Vater sehen zu können. Solle sie nach Ablauf dieser Zeit nicht wiederkehren, so muss die Bestie sterben ...
                                .
                                "Jean Cocteau ist ein Zauberer und ein Entzauberer. Er macht die Welt zum Traum" schreibt DIE ZEIT. So muss es wohl sein. Eins der schönsten und bezaubernsten Märchen dieser Welt wurde hier im Jahre 1946 - da kann ich meinen Vorschreibern nur zustimmen - auf eine ganz besonders einmalige poetische Weise verfilmt mit Effekten, die sich selbst heute nicht vor all den modernen Streifen verstecken müssen und mit einer atemberaubenden Schönheit, die selbst den letzten s/w-Filmphobiker davon überzeugen sollten, welch wunderbare Ästhetik sich durch den gekonnten Einsatz vom Spiel zwischen Licht und Schatten heraufbeschwören lässt.
                                "La Belle et la Bête" ist eine einzigartige Schönheit der Filmgeschichte.

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                                  Wer fügte mir meine Wunden zu?
                                  Ich?
                                  Die Liebe?
                                  Lasse ich meine Wunden berühren?
                                  Von dir?
                                  Von der Liebe?
                                  Oh, die Liebe kann weh tun - hat sie mir nicht meine Wunden zugefügt?
                                  Darf sie mich nun trösten? Kann sie mich trösten? Zart sein? Zweisam sein? Darf ich sie in meine Nähe lassen, an mich heran lassen?
                                  *
                                  - "Ich höre deinen Atem, du Bastard!"
                                  - " ... entschuldigen Sie."
                                  *
                                  - "Warum weinen Menschen?"
                                  - "Wenn jemand stirbt. - Wenn es jemand nicht mehr aushalten kann."
                                  - "Was?"
                                  - "Das Leben. Wenn es weh tut."
                                  *
                                  Tomek sah gestern abend wie Magda weinte. Er sagt es ihr. Verdammt, er hat sie ausgerechnet in einem verletzbaren Moment beobachtet, gerade sie, die doch so harsch, routiniert und abgeklärt vom Leben wirkt.
                                  *
                                  - "Warum? Warum beobachtest du mich eigentlich?"
                                  - "Weil ich Sie liebe."
                                  - kurzes sarkastisches auflachen -
                                  - "Ich liebe Sie wirklich."
                                  - "Und was, was willst du?"
                                  - "Ich weiß es nicht."
                                  - "Willst du mich küssen?"
                                  - "Nein."
                                  - "Willst du mit mir - willst du mit mir Liebe machen?"
                                  - "Nein."
                                  - "Vielleicht willst du mit mir wegfahren? An die Masuren oder nach Budapest?"
                                  - "Nein."
                                  - "Also, was willst du?"
                                  - "Nichts."
                                  - "Nichts?"
                                  - "Nichts."
                                  -------------------------------------------------------------------------------
                                  Was ist Liebe? Kann Kieslowski uns diese große und komplexe Frage erklären? Was hat Liebe
                                  mit dem Wünschen zu tun?
                                  Mit Einsamkeit?
                                  Mit Sehnsucht?
                                  Mit Bedürfnis?
                                  Mit ehrlicher Hochstimmung?
                                  Mit Verführung?
                                  Mit Dominanz?
                                  Mit Sarkasmus?
                                  Mit Sex?
                                  Mit Schmerz?
                                  Mit Qual?
                                  Mit der Seele?
                                  Mit Intensität?
                                  Mit Erfüllung?
                                  Mit dem Abgrund?
                                  Mit Schuld?
                                  Mit Reue?
                                  Mit Hinwendung - sich von jemandem berühren zu lassen, nicht weil es um die schnelle Befriedigung geht, die jeder x-beliebige einem verschaffen kann, sondern weil sich ein Mensch beginnt, ehrlich und aufrichtig für einen anderen zu interessieren, der ihn in den intimsten Momenten beobachtet, sei es beim Beginn des Beischlafs oder beim Zusammenbruch und beim Weinen.
                                  Es sind drei einfache und aus dem Leben gegriffene Leute, die meine Nachbarn sein könnten, die mir Kieslowski in seinem "kurzen Film über die Liebe" näher bringen möchte. Ich bekomme hier keinen Seelenporno, ja ich würde die Figuren nicht einmal als Seelenstripper ansehen. Die Tiefe dieses "Lehrfilms" entfaltet "Ein kurzer Film über die Liebe" allein aus dem Empathievermögen seines Betrachters und aus seiner Gabe, in den alltäglichsten und gewöhnlichsten Vorgängen wie z.B. dem Umkippen einer Milchflasche etwas Lyrisches zu sehen. Und gerade durch diesen Kunstgriff schafft es Kieslowski, seinen Film fernab von jeglichem Kitsch und jeglicher Sentimentalität zu präsentieren, mit ehrlichster, aufrichtigster und behutsamster Sensibilität, sowohl den Figuren in seinem Film als auch seinem Zuschauer gegenüber.
                                  Bin ich am Ende ein Voyeur? Oder bin ich Tomek? Oder bin ich Magda? Die Rollen der Lehrerin und des Lehrers tauschen und ich nehme mit, was ich aus diesem Film mitnehmen möchte; die Tiefe und Intensität hängt dabei von mir selbst ab. Und sind die ersten fünf Minuten des Films tatsächlich nur da, um mir zu erzählen wie Tomek ein Wekzeug für seine Beobachtungen klaut, oder ist durch die Beobachtungen in diesem Film gerade selbst etwas in mir zerbrochen (Kenner werden wissen, was ich meine)? Bin ich am Ende Tomek und Magda in einer Person? Und teile ich ihre tiefe Verletztheit und ihre Sehnsucht? Das hat mir dieser Film gegeben.
                                  Panie Kieślowski, bardzo panu dziękuję za tą lekcję.

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                                  • 7

                                    Wie ich beim Überfliegen mancher Kommentare hier sehe, ist es schon eine Herausforderung Malicks "Baum des Lebens" zu fassen und all die Eindrücke und Gedanken, die während des Films gekommen sind, in Worte wiederzugeben. Mir schien an diesem Film alles groß und weit, ein Film, der sich den menschlichen Fragen schlechthin nähern und sie dem Zuschauer zugänglich machen will - Fragen wie:
                                    - "Habe ich dir nicht immer treu gedient?
                                    Herr, warum? Wo warst du?"
                                    - Warum sterben Menschen? Warum plötzlich? Ist der Tod eine Strafe?
                                    - Wie alt ist eigentlich das Leben? Woher kommt es? Wohin geht es? Wo ist mein Teil darin, wo mein Standbein? Kann ich auf das Leben vertrauen? Kann ich mich mit und in ihm bewegen?
                                    - Woher und wie kommt es, dass Menschen eine besonders innige Zuneigung zueinander empfinden? Woher und wie kommt es, dass ich gerade in diese Familie hineingeboren werde und nicht in eine andere?
                                    - Hilft mir etwas oder jemand dabei, gut zu sein?
                                    Aber warum soll ich eigentlich gut sein, wenn du (=wer auch immer hier angesprochen sein mag) nicht gut bist?
                                    - Was ist das Wesen der Gnade? Was bedeutet allseitige Liebe, was Verzeihen, was Erdulden, was Hoffen?
                                    Im Grunde ist ja "The Tree of Life" "nur" ein Drama, das uns von dem Leben einer amerikanischen Familie erzählt, davon wie Mann und Frau eine Familie gründen, wie die Kinder aufwachsen und wie man mit dem zu frühen Tod des eigenen Kindes in der Familie umgeht. Diese Geschichte wird durch die eben gelisteten Fragen zu einem Mammutbaum aufgebauscht - Bilder und Motive mit oft pompöser Musik (Abneigung gegen klassische Stücke sollte man für diesen Film nicht mit in seinem Gepäck haben), die zu Assoziationsketten werden sollen, Aufnahmen von längeren Flussläufen, weiten Himmelsgebilden, hohen Bäumen, Treppen, Leitern, Wolkenkratzern aus der Froschperspektive, längere Kamerafahrten durch leere Räume oder solche, die einem das Gefühl von Weite vermitteln sollen, alles immer visuell sehr gut geführt und optisch hübsch verpackt.
                                    Ich muss aber sagen, dass mir vorallem die erste Hälfte des Films sehr oft an der 'das ist mir alles schon beinahe zu viel'- und an der Kitschgrenze entlangschrammte. Erst in der zweiten Filmhälfte, in der die Töne etwas leiser und ernster, sowie die Konflikte innerhalb der besagten Familie zu Tage traten, da wurde mir Malicks Lebensbaum angenehmer und immerhin, wenn man den Film aus der Perspektive des heranwachsenden Sohnes Jack betrachtet, so hat er für mich persönlich am besten funktioniert. Am Anfang ist die Welt noch groß, bunt und schön, was einen da quält, ist vielleicht das scharfe Steinchen, auf das man beim barfuß Spielen auf der Wiese tritt. Aber je älter man wird, desto häufiger treten auch existenziell schwierige Fragen auf, die man aushalten muss, Herausforderungen, den (konfliktreichen) Erwartungen der Eltern gerecht zu werden und dabei doch seinen ganz eigenen Weg zu finden, das was man in gutbürgerlichen Familien beim Gebet am Esstisch mitbekommt oder einem sonntags in der Kirche von der Kanzel gepredigt wird, reicht plötzlich nicht mehr, um das Leben mit seinen Problemen zu bewältigen und mit ihnen zu gehen, mit und an ihnen zu wachsen, sich an unterschiedlichen Lebenseinstellungen, -philosophien und -konzepten zu reiben.
                                    All diesen Konflikten gibt Malick außerdem eine universelle und uralte Bedeutung, indem er seinen Film in die Tradition des Hiobbuchs stellt. So ist das Erste, was wir in diesem Film serviert bekommen Gottes Antwort auf Hiobs Frage:
                                    "Wo warst du, als ich die Erde gründete?...
                                    Als mich die Morgensterne miteinander lobten
                                    und jauchzten alle Himmelssöhne."
                                    So wie ich auch am Ende des Films - leichter Spoiler - den Eindruck hatte, dass sich die Lebensphilosophie der Mutter durchgesetzt hat, am Meer, wo viele Menschen zusammenkommen, der Unterkörper mit weiß wehendem Gewand und nackten Füßen zu sehen war, vor denen ein anderer Mensch niederkniete - da kam mir natürlich gleich eine Jesusassoziation, sowie der für Christen wichtigste Hiobvers, an denen sie sich oft festbeißen und der wohl in jeder Bibelausgabe mit Hervorhebungen immer fett gedruckt ist: "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt."
                                    "The Tree of Life" ist sicher so ein Film, auf dessen Spiritualität und Esoterik man sich offen und vorbehaltslos einlassen können muss. Wenn das klappt, dann gibt es hier viel zu sehen und zu entdecken. Allerdings muss ich sagen, dass es der Film bei mir nicht geschafft hat, mich richtig in sich hineinzunehmen und mich zu "verzaubern". Mir waren gerade die assoziativen Bildketten und Motive oft ein ganzes Stück zu ausladend und an einigen Stellen auch etwas zu weit hergeholt (Stichwort: Dinosaurier), was ich ziemlich anstregend fand und mir auch unmöglich machte, den Film in einem Zug und Rutsch anzuschauen - ich habe mittendrin drei Mal auf 'Pause' gedrückt, um mir zwischendurch einen Tee zu kochen und ziehen zu lassen. Wirklich an sich binden konnte mich dieser Film also nicht. Aber die Art und Weise der inhaltlichen Präsentation fand ich interessant (für die man allerdings Geduld und Interesse mitbringen sollte, falls einen "Tree of Life" nicht so richtig packen will) und der Film hat auch mich vorallem durch seine großen Bilder trotzdem ganz gut bei der Stange halten können.
                                    Von all den esoterischen/religiösen/philosophischen/meditativen (was auch immer) Filmen, die ich mir jetzt angesehen habe, war mir Malicks Lebensbaum inhaltlich markanter und reichhaltiger als z.B. der Film "Life of Pi", erreichte bei mir aber bei Weitem nicht dieselbe Intensität mit der mich Kim Ki-Duks "Frühling, Sommer, Herbst, Winter und ... Frühling" berührt hat, der seine Inhalte meiner Meinung nach präzieser und genauer auf den Punkt bringt, sodass ich von dem letzten Kandidaten das meiste mitgenommen habe; obwohl ich mit dem Buddhismus weiter gar nichts zu tun habe, hat dieser Film in mir viel gezielter etwas Existenzielles getroffen als die anderen Kandidaten.
                                    Aber grundsätzlich finde ich es immer klasse, wenn ein Film auch mal den Mut hat, nicht jedem zugänglich zu sein.

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                                    • 9

                                      Was war denn das?
                                      Da gehe ich einfach durch die Stadt an einem Wühltisch mit DVDs vorbei, tue das, was diesem Tisch seinen Namen verdankt und halte "Waltz with Bashir" in der Hand, überfliege flüchtig die Inhaltsangabe auf der Rückseite, sehe Bilder eines Zeichenstils, der mir eigentlich nicht gefällt, aber nach mal etwas Anderem aussieht. Komme nach Hause, in mein Zimmer fällt das Sonnenlicht gerade so unpraktisch, dass ich mich mit meinem Laptop und der DVD und - um meine Mitbewohnerin nicht zu stören - mit Kopfhörern in eine stille Ecke der Wohnung zurückziehe, ahnungs- und erwartungslos den Film einlege und starte.
                                      Und danach?
                                      Also, wenn ich nach einem Film das Gefühl habe, dass mir eben - ernsthaft - das Gehirn zerpflückt wurde, ich mich von den Schultern an bis in die Fußspitzen wie ein Eiszapfen fühle und in mir Übelkeit aufsteigt, weil ich an die eindringliche Musik des Films denken muss... Da nehme ich die DVD-Hülle noch einmal in die Hand, sehe sie mir genauer an und sehe erst da, dass mir auf der Rückseite der Tagesspiegel einen Film "Von archaischer, hypnotischer Intensität" verspricht. Bingo - da hat "Waltz with Bashir" bei mir in genau die richtige Kerbe geschlagen.
                                      Ein sehr beeindruckendes Werk über die psychische Verdrängung von Kriegserlebnissen, vom Vergessenwollen und Aufarbeitung, gespickt mit Rückblenden voller psychologischer Bilder und Metaphern, abstoßend und verstörend, beklemmende Sounduntermalung, die sich mir in den Kopf und die Magengegend bohrten; Bilder die so absurd und unwirklich wirken und trotzdem hin und wieder Realität durchschimmern lassen.
                                      -
                                      "In einem Panzer fühlt man sich ganz sicher, denn ein Panzer ist ein sehr schweres, geschlossenes Fahrzeug. In unseren Panzern waren wir geschützt."
                                      -
                                      "Guten Morgen, Libanon.
                                      Mögen deine Träume sich erfüllen.
                                      Mögen deine Alpträume vergehen.
                                      Dass es dich gibt, ist ein Segen
                                      Du wirst in Stücke gerissen ...
                                      und verblutest in meinen Armen.
                                      Du bist die Liebe ...
                                      meins Lebens,
                                      meines sehr kurzen Lebens.
                                      Reiß mich in Stücke.
                                      Ich blute ..."
                                      -
                                      "Ich weiß nicht, ob es eine Ewigkeit ist oder nur eine Minute als ich Frenkel auf der Kreuzung sehe wo aus allen Himmelsrichtungen die Kugeln angeflogen kommen. Aber, statt die Kreuzung zu überqueren, sehe ich ihn tanzen wie in Trance. Er beschimpft die, die ihn beschießen so, als wolle er für immer dort unten auf der Kreuzung bleiben, als wolle er ihnen zeigen, wie er einen Walzer tanzt, einen Walzer zwischen ihren Kugeln und den Bildern von Bashir [...]"
                                      -
                                      Nein, nein, kein schöner, überhaupt kein schöner Film - aber sehenswert ... aber ein Film, der mich richtig kalt erwischt und verstört ... ausgezeichnet - aber ... aber ein Film, der mich sogar physisch so dermaßen in die Kneifzange nimmt... der muss herausragend sein. Und schließlich freue ich mich eigentlich immer - und es kostet ja nichts -, eine hohe Punktzahl vergeben zu können.
                                      Kein schöner Film, überhaupt kein schöner, und einer, den ich so schnell nicht noch einmal sehen möchte. Aber ein Film, der mir ein unvergleichbar intensives Erlebnis bescherte wie schon seit einer Ewigkeit kein anderer mehr und genau nach sowas suche ich immer.
                                      ... wenn man vergessen will und vergisst, dann macht man sich erst richtig schuldig an dem, was man getan hat ...

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                                      • 9

                                        Huh, eine Wuchtbrumme von Film - wie von Herrn Lang eigentlich zu erwarten und wofür ich ihn auch überaus schätze - die wie das Musterbeispiel eines deutschen expressionistischen Gedichts wirkt. Ich musste die ganze Zeit - obwohl ich diese Epoche mit ihrer oft seltsamen Lyrik mehr gehasst als verehrt habe - an eins meiner Lieblingsgedichte (Ausnahmefall) dieser Zeit denken, nämlich an Georg Heyms "Die Stadt"
                                        -----------
                                        Die Stadt

                                        Sehr weit ist diese Nacht. Und Wolkenschein
                                        Zerreißet vor des Mondes Untergang.
                                        Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang
                                        Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein.

                                        Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt,
                                        Unzählig Menschen schwemmen aus und ein.
                                        Und ewig stumpfer Ton von stumpfem Sein
                                        Eintönig kommt heraus in Stille matt.

                                        Gebären, Tod, gewirktes Einerlei,
                                        Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei,
                                        Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei.

                                        Und Schein und Feuer, Fackeln rot und Brand,
                                        Die drohn im Weiten mit gezückter Hand
                                        Und scheinen hoch von dunkler Wolkenwand.
                                        -----------
                                        Dafür sprechen auch die typischen Motive dieser Zeit wie die Entfremdung des Menschen und seine Vereinsamung innerhalb des Ungeheuers, das sich Großstadt nennt, häufig gepaart mit apokalyptischen Tönen und Visionen: mit der modernen und technokratischen Menschheit geht es zu ende.
                                        "Metropolis" ist wohl die beeindruckendste Dystopie mit einer ordentlichen Portion Gesellschaftskritik, die ich bislang erlebt habe, obgleich auch ich sagen muss, dass selbst mir die religiöse Überformung des Stoffs ein bisschen "too much" war (= meckern auf hohem Niveau). Dennoch: ein beeindruckendes Abbild der menschlichen Hybris, die sich irgendwann selbst zerstört, wenn zwischen "Hirn und Händen" nicht das Herz "der Mittler" ist.

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                                        • 8

                                          Willie will nicht so recht begeistert sein, als er erfährt, dass seine Tante Lotte für zehn Tage ins Krankenhaus muss und es ihm nun anheim fällt, sich in dieser Zeit um seine Cousine, die hübsche Eva, zu kümmern, die gerade aus Budapest nach New York gereist ist und eigentlich bei der Tante in Cleveland unterkommen sollte. Eva wird ihrerseits mit ihrem Cousin Béla konfrontiert, der sich aber nur noch 'Willie' nennen lässt und partout nicht möchte, dass in seiner Gegenwart Ungarisch gesprochen wird, sondern allein auf die englische Sprache besteht. Weiter erfahren wir, dass Willie die Tage eigentlich nur damit verbringt, antriebslos auf seinem Bett herumzuliegen, ab und an Fernseh zu schauen, nicht näher definierbare sogenannte Fernsehkost aus Plastiktellern zu verspeisen, ab und an eine Zigarette zu rauchen, mit sich selbst Karten zu spielen und manchmal, ja manchmal kommt dann auch noch Eddie vorbei, meistens dann, wenn das liebe Geld aufgebraucht ist - der Vorrat wird beim Pokern nach nicht immer koscheren Regeln oder auf Pferde- und Hunderennbahnen verdient. Diese manchmal schwungvollen Momente sind jedoch nur von kurzer Dauer, die sehr bald wieder in einen tristen Alltag münden, welcher von monotoner Gleichförmigkeit durchzogen wird, auch wenn Willie und Eddie später beschließen, Eva, die mittlerweile bei ihrer Tante eingezogen ist und in einem Schnellimbiss arbeitet, zu besuchen oder die drei beschließen, Urlaub in Florida zu machen.
                                          .
                                          "Stranger Than Paradise" erscheint uns dabei auf den ersten Blick wie eine sich in ihrer Grundmotivik - wenn auch mit leicht variierten Konstellationen - permanent wiederholende Dauerschleife und auf lange Sicht glaubt man, 85 min. zuschauen zu dürfen, wie sich Willie, Eva und Eddie nach anfänglicher Aufbruchseuphorie schließlich doch immer und überall
                                          einsam langweilen,
                                          gemeinsam langweilen,
                                          einsam gemeinsam langweilen oder auch
                                          gemeinsam einsam langweilen;
                                          eigentlich nur zweckmäßig und manchmal nur widerwillig zusammen sind und sich aber irgendwo doch gegenseitig zu brauchen scheinen.
                                          Fand ich den Film auch langweilig? Nein, denn "Stranger Than Paradise" ist sehr intelligent inszeniert worden, sodass einzelne Abschnitte der Geschichte wie Episoden wirken, die durch eine immer wiederkehrende Schwarzblende voneinander getrennt werden, sodass ich in diesen Momenten stets neugierig war, was ich als nächstes zu sehen bekommen werde, sowie auch bei den sich wiederholenden Motiven immer wieder die Frage auftauchte, warum sie noch einmal erzählt werden - hat sich an der Situation oder Einstellungen der Figuren etwas geändert?
                                          Und vorallem spielt dieser Film wunderbar mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, die insbesondere zum Schluss auf die Spitze getrieben wird, sodass ich am Ende dieses Werks kein bisschen gelangweilt, sondern mit einem Grinsen dasaß.
                                          .
                                          Ist "Stranger Than Paradise" ein interessanter Film?
                                          Ich will es so sagen - ich vergleiche ihn gern mit einem stillen und eher in sich gekehrten Menschen. Zeigt man an solch einem und an seiner Geschichte ein ehrliches und aufrichtiges Interesse, dann kann daraus ein wunderbares Gespräch entstehen, dessen Qualität einerseits aus dem eben schon Genannten besteht, sowie andererseits auch von der Qualität der Fragen abhängt, die man stellt, um das Gespräch am Laufen zu halten.
                                          "Stranger Than Paradise" hat mir viel über Träume erzählt, die manche Menschen dazu bewegen können, in die USA auszuwandern (vor diesem Hintergrund erhält der Film zusammen mit seinem tollen Titel noch einmal eine eigene Note) und womit sie dann anschließend konfrontiert werden können, von der steten Suche nach dem besonderen Kick und dem großen Glück, von Entwurzelung und dem Wunsch, vielleicht doch irgendwann mal irgendwo anzukommen.
                                          (Und ich bin sicher, wenn die eben genannten Voraussetzungen stimmen, dann wird der Streifen vielen Menschen seine eigene Geschichte ebenso erzählen.)

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                                          • Oh, das freut mich!
                                            Herzlichen Glückwunsch zum Kommentar der Woche! (Verdient!)

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                                            • 9

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                                              "Ich sah das Buch, das Buch, das die Finsternis in Licht verwandelte."
                                              ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
                                              "Die Menschen brauchen Bücher. Daraus schöpfen sie Hoffnung."
                                              ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
                                              "Brendan, wenn meine Brüder jetzt bei uns wären, würden sie dir sagen, dass du in den Wäldern von all den Bäumen und Felsen mehr lernen kannst als sonst wo. Dir werden Wunder begegnen, und das weiß auch euer Abt - jedenfalls wusste er es früher."
                                              ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
                                              .
                                              "Das Geheimnis von Kells" erzählt die Geschichte des Jungen Brendan, der im 8. Jahrhundert sein junges Leben hinter Klostermauern verbringt; Mauern, die sein Onkel Cellach - der auch gleichzeitig der Abt ist - immer höher ziehen lässt, um sein Kloster vor der Finsternis - verkörpert durch die Nordmänner, die hier exemplarisch "die dunkle(n) Zeit(en)" darstellen - zu schützen. Eines Tages flüchtet sich Bruder Aidan hierher. Bei sich trägt er das geheimnisvolle Buch von Iona. Es ist das Buch von Engeln. ... ? Nein, das Buch ist "nur das Werk einfacher Sterblicher wie mir oder dir", aber es vermag den Menschen Licht und Hoffnung in Zeiten der Finsternis zu bringen. Aber das Buch muss noch fertiggestellt werden und so wird Bruder Aiden die Hilfe von Brendans jungen Augen brauchen, um an dieses Ziel zu gelangen. Gleichzeitig wird der junge Novize aber in die Welt außerhalb der Klostermauern ziehen müssen, wo er einige dunkle Gefahren bestehen muss, die auf irisch-keltische Mythen zurückgehen. Unverhofft trifft er dabei auf die geheimnisvolle Aisling - wird sie ihm eine Hilfe sein?
                                              .
                                              Selbst wenn man mit dem Inhalt dieses Films nichts anfangen können sollte, möchte auch ich jedem "Das Geheimnis von Kells" ans Herz legen, denn dieser Film ist wahnsinnig und einmalig schön in seiner künstlerischen und ästhetischen Gestaltung, durchzogen von Symbolen und Ornamenten, die sich hier so wunderbar miteinander verflechten wie die einzigartigen keltischen Knoten, und trotzdem nie überladen wirken. Darüber hinaus wird einem hier eine wundervolle Parabel über Licht, Hoffnung, Beistand und vorallem dir Kraft der Phantasie in finsteren Zeiten erzählt.
                                              Es wundert mich sehr, dass "Das Geheimnis von Kells" zu den eher unbekannteren Trickfilmen gehört, wo er doch immerhin 2010 in der Kategorie 'bester Animationsfilm' für den Oscar nominiert war - das sollte geändert werden, denn
                                              "es war dem Buch nie bestimmt, hinter Mauern verborgen zu sein, weggeschlossen von der Welt, der es seine Entstehung verdankt. Brendan, du musst das Buch zu den Menschen bringen."
                                              Jetzt mag man sich vielleicht fragen, warum ich dem "Geheimnis von Kells" "nur" 7,5 Punkte gebe. Nein, das liegt nicht am Film, das liegt definitv an mir, denn ich muss gestehen, dass ich bisschen länger gebraucht habe, zu diesem Film und vorallem zu seinen archaischen Inhalten, die bei der ersten Sichtung auf mich noch etwas kryptisch wirkten, einen richtigen Zugang zu finden. "Das Geheimnis von Kells" beginnt humorig und wird dann geheimnisvoll und ernst und steht im Vergleich zu anderen Trickfilmen in der Art und Weise, wie seine Inhalte präsentiert werden, auf relativ einsamer Flur, was ihn aber wiederum besonders auszeichnen kann und bei dem man den Kopf nicht ausschalten sollte. Ich werde ihn mir sicher noch ein paar Mal anschauen und es ist sehr gut möglich, dass ich ihn mit der Zeit so lieb gewinne, dass es hier noch einen halben, oder sogar noch einen ganzen Punkt mehr geben wird, denn ...
                                              "Viele Schleier verbergen im Leben die Wahrheit. Und uns ist nur eine kurze Zeit vergönnt."

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                                              • 9 .5

                                                "Based on the elephant man and other reminiscenes by Sir Frederick Treves and in part on the elephant man: a study in human dignity."
                                                - Das erwartet uns also bei Lynchs "Der Elefantenmensch" und was soll ich anderes sagen, als dass dies hier ein wirklich starker Film ist, der sich der Studie der menschlichen Würde verschreibt. Und das auf eine sehr authentisch wirkende Weise über eine Geschichte, welche auf eine wahre Begebenheit aus der Zeit des viktorianischen Englands zurückzuführen ist. Die Authentizität bezieht "Der Elefantenmensch" dabei aus einer sehr dokumentarisch wirkenden Machart, die dem Anspruch einer Studie eine besondere Note der Glaubwürdigkeit verleiht. So präsentiert sich der Streifen im schwarz/weiß Look vor einer detailverliebten Kulisse und Ausstattung: seien es der verspielte und nach Vergnügung suchende Ort fahrender Schausteller, der manches unmenschliche Geheimnis birgt, das auf dem Rummel an Schaulustige verkauft wird, die schmutzigen Gossen oder die gut situierten Unterkünfte der Oberschicht. Hinzu kommt ein starker Cast, dem man anmerkt, sich mit dem Inhalt der jeweiligen Rolle auseinandergesetzt zu haben und - meiner Meinung nach das, was den "Elefantenmenschen" besonders stark macht - eine Erzählweise, die vorgibt, die Zustände und Studie an seiner Titelfigur neutral einzufangen, sodass der Zuschauer selbst dazu aufgefordert wird, ob er all die unterschiedlichen Reaktionen der Gesellschaft auf den körperlich deformierten John Merrick - den "Elefantenmenschen" - nachvollziehen kann oder scheußlich findet. Auch die Frage, wie man solch einem Menschen angemessen begegnet, wird in diesem Film gestellt, ob es recht ist, John Merrick auf sein stark von der Norm abweichendes Äußeres zu reduzieren, das sowohl der Neugier oder auch der Sensationssucht oder aber auch der übertriebenen Freundlichkeit oder der Einladung zum Sadismus den Weg bereitet - und ganz stark auch, ob man sowohl aus Profitgier oder aber Steigerung des eigenen Prestiges John Merrick zwar auf eine unterschiedliche Art, aber im Grunde für das gleiche Ziel benutzt. Diese Frage sollte sich der Rezipient stellen, [SPOILER]
                                                diese Frage stellt sich auch Frederick Treves berechtigt, der eigentlich ein Sympathieträger des Films ist:
                                                "Ich habe über Mr Bytes nachgedacht. Weißt du, ich beginne zu glauben, dass Mr Bytes und ich ziemlich ähnlich sind. Allem Anschein nach habe ich Mr Merrick wieder zu einer Sehenswürdigkeit gemacht, oder nicht? Diesmal in einem Hospital und nicht auf einem Rummelplatz. Mein Name steht in der Zeitung, man bewundert mich, ich bin ein Modearzt geworden [...]. Bin ich ein guter Mensch? Oder bin ich ein schlechter Mensch?"
                                                [SPOILERENDE]
                                                Die andere Stärke des Films ist, dass er beim Zuschauer ein starkes Mitgefühl für seine Titelfigur aufbaut, die uns vorführt, dass das Wesen eines Menschen sowohl aus einer personalen wie auch sozialen und geistigen Dimension ("Ich habe mich auf meine Phantasie verlassen bei dem, was ich nicht sehen kann.") besteht und die Menschlichkeit einer Person oft davon abhängt, was wir in der Gesellschaft mit ihr machen oder wie wir sie wahrnehmen - ein völlig vermummter und verhüllter Mensch bietet allerlei Gelegenheiten für (blödsinnige) Phantasmen als ein adrett gekleideter Mann im Anzug.
                                                Wenn ich es kurz zusammenfassen will, dann passt sicher eins meiner Lieblingszitate auf diesen Film wie auf kaum einen anderen: "Homo sum, humani nihil a me alienum puto." ("Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.") Eine Erfahrung, die der Rezipient beim Anschauen dieses Films macht, eine Erfahrung, die die gezeigte Gesellschaft im Film mit John Merrick macht und eine Erfahrung, die John Merrick mit sich selbst machen muss - "Ich wünschte, ich könnte schlafen wie normale Menschen."

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                                                • 8 .5

                                                  "Dunkel wars, der Mond schien helle,
                                                  Schneebedeckt die grüne Flur,
                                                  Als ein Wagen blitzeschnelle
                                                  Langsam um die Ecke fuhr.
                                                  Drinnen saßen stehend Leute,
                                                  Schweigend ins Gespräch vertieft,
                                                  Während ein erschoss'ner Hase
                                                  Auf der Sandbank Schlittschuh lief.
                                                  Und auf einer roten Bank,
                                                  Die blau angestrichen war,
                                                  Saß ein blond gelockter Jüngling
                                                  Mit kohlrabenschwarzem Haar.
                                                  Neben ihm ‘ne alte Schachtel,
                                                  Die kaum zählte sechzehn Jahr.
                                                  Und sie aß ein Butterbrot,
                                                  Das mit Schmalz bestrichen war.
                                                  Droben auf dem Apfelbaume,
                                                  Der sehr süße Birnen trug,
                                                  Hing des Frühlings letzte Pflaume
                                                  Und an Nüssen noch genug."
                                                  (Lügengeschichte eines unbekannten Verfassers)
                                                  .
                                                  Was, das gibt's nicht?
                                                  Och, doch, doch! Man gebe solch einen Stoff nur Luis Buñuel an die Hand und er macht daraus die glaubwürdigste Geschichte, die man je aufgetischt bekommen hat.
                                                  Und wenn das Leben und die Menschen darin sich mal wieder selbst zu ernst nehmen, setze man einfach die Brille dieses Meisters auf und die Welt wird gleich zu einem viel lebenswerteren Ort.

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                                                    Die FAZ schrieb: "... ein Stück buddhistischer Ideologie im besten Sinn, die Spiegelung des Weltgeschehens in einer verzauberten Miniatur."
                                                    .
                                                    "Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling" von Kim Ki-Duk ist ein wirkliches Schmuckstück ohnegleichen und verdient das Prädikat "Filmperle" im ganz besonderen Sinne. Dabei spielt sich das Geschehen stets an einem einzigen Ort ab, an den wir durch ein Tor treten, nachdem uns die Dämonen, die diesen Ort bewachen, Eintritt gewährt haben. Der Film ist ein wunderschönes Tetragon, das am Ende in leicht variierter Form wieder am Anfang beginnt und durch die Jahreszeiten strukturiert wird, die wie ein Gemälde für sich stehen und sich mit jedem Schritt weiter wie ein ganz, ganz sanftes Kaleidoskop verändern. Der Ort bleibt zwar stets der Selbe, aber die intensivierende und dennoch sehr latente Unruhe, die sich in diese Idylle und gleichzeitig im Inneren des Betrachters einschleicht, ist eine Erfahrung für sich.
                                                    Ich muss ja zugeben, dass der Buddhismus, und damit meine ich jetzt nicht das bloße Faktenwissen, das man sich in jedem Lexikon anlesen kann, sowie überhaupt fernöstliche Heilsbotschaften und -lehren für mich stets Bücher mit sieben Siegeln bleiben werden. Ich bin einfach zu sehr ein Kind, das in der abendländisch/europäischen Kultur, Tradition und Wahrnehmung verwurzelt ist, sodass ich zu den fernöstlichen Anschauungen nie den richtigen Zugang finden werde, der ihren Ideen gerecht wird. Aber dieser Film reduziert seine Inhalte und Anschauung so gekonnt aufs Wesentliche und Existenzielle, dass auch ich nicht unberührt blieb und beim Anschauen des Films spürte, wie das Gezeigte sich mit zunehmender Eindringlichkeit, mitsamt ihrem Wechselspiel aus Gelassenheit, Grausamkeit, Verstrickung und Hoffnung auf Überwindung in mein Inneres schraubte und wirkte. Ich sah den Film zum ersten Mal an einem späten Abend und auch mich ließ er mit jenen eindringlichen Gefühlen, die das Gezeigte auslöste, zurück und als ich dieses Gefühl, die Bilder und die Musik mit in meinen Schlaf nahm, kann ich nur sagen, dass ich mich am nächsten Morgen selten so erholt gefühlt habe wie nach "Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling".
                                                    Ein fantastischer Film, auf dessen eigene Ruhe man sich allerdings einlassen können muss. Mich hat es ein ganz klein wenig an meine Filmerfahrung erinnert, die ich bei "Zimt & Koriander" gemacht habe, nur von Kim Ki-Duk noch viel gekonnter zugespitzt und intensiviert.

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