SoulReaver - Kommentare
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Alle Kommentare von SoulReaver
[...] „2001 Maniacs“ beschränkt sich aber nicht darauf, in derlei stumpfe Ressentiments zu flüchten, wenngleich das Menschenbild in seiner karikaturesken Zeichnung sicherlich amüsiert und auf so manche Denkmuster bestimmter Regionen der USA zutreffen mag. „2001 Maniacs“ ist vielmehr beschwingter Fun-Splatter mit passender Trash-Note, der ein ordentliches Tempo an den Tag legt und sich weitestgehend darauf konzentriert, die notgeilen Studenten in der Gemeinde Pleasant Valley möglichst kreativ zu zerlegen und auf den Grill zu packen – Nachdem sie ihren niederen Trieben erlegen sind und blankgezogen haben, versteht sich. [...]
[...] „Jung & Schön“ hat es dabei gleichwohl nicht nötig, sein bürgerliches Milieu mit analytischer Finesse zu dekonstruieren, er beschränkt sich – wenn überhaupt - auf das familiäre System im Inneren, ohne auf dramatische Überhöhungen zu setzen. Ozon, dessen visuelle Bewandtnis lange außer Frage steht, schildert Isabelle ohne moralisches Urteil, er lässt ihr letztlich die Freiheit, nach der sich die Schülerin und Hure in Wahrheit sehnt. Kann Prostitution aber überhaupt in Relation mit seelischer oder doch nur mit physischer Freiheit stehen? Die Antwort überlässt „Jung & Schön“ dem Zuschauer allein, sein Porträt der Unschlüssigkeit der Jugend, welches sich nie in Resignation stürzt, bleibt eine Punktlandung, denn nichts ist so unverständlich für Außenstehende wie die Pubertät selbst.
[...] Eine Story ohne Drive, mit Twists, so alt wie das Kino selbst, Gags ohne Pointe und ein schäbiges Hauptgespann ohne jede Chemie: „Ride Along“ ist die peinlich-lustlose Degradation eines jeden Buddy-Movies und eine Schande für Martin Riggs und Roger Murtaugh, für Jack Cates und Reggie Hammond und sogar für Mike Lowrey und Marcus Burnett – Und das will schon was bedeuten.
[...] Exzellent spielen sie natürlich allesamt auf, besonders aber Kevin Spaceys Talent in Sachen ausgereifter Gestik, Positur und Mienenspiel ist wie immer eine süffisante Klasse für sich. [...] Wie schon in „Chinatown“ ist Los Angeles in „L.A. Confidential“ eine urbane Illusion funkelnder Dekadenz. Ist der Vorhang erst mal gefallen, dann wird offensichtlich, dass hier jeder für sich spielt und nur den eigenen Vorteil in der Verdorbenheit zu suchen vermag. Auch die Ordnungshüter müssen sich erst einmal ins Gedächtnis rufen, was sie zu diesem Beruf bewegt hat. [...] „L.A. Confidential“ ist ein Musterbeispiel von Hommage, ein Neo Noir, der seine Vorbilder kennt und liebt; der weiß, wie man Spannung mittels ausstaffierter und mit ambivalenten Charakteren gepickter Erzählstränge erzeugt, ohne sich in der inhaltlichen Komplexität zu verheddern. [...]
Irgendwo nördlich im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten liegt es, dieses verschneite Städtchen namens Fargo; irgendwo im Bundesstaat North Dakota; dort, wo er Provinzialismus herrscht, die Uhren rückwärts laufen und die Handvoll Touristen, die es im Jahr in dieses Teilstück amerikanischen Hinterlandes verschlägt, am einheimischen Dialekt zerschellen: „Oh, jeez!“. Für die Coen Brothers hat dieses eigenwillige Dasein jedoch sentimentalen Wert, sind sie doch in einer solchen Gegend aufgewachsen, nicht umsonst gibt sich „Fargo“ auch zweifelsohne als eine Art Heimatfilm zu verstehen. Und obgleich sich die Brüder über – und auf Kosten dieser - jene lokale Eigenart amüsieren, lieben sie diese Gepflogenheiten, die Einheimischen, innig und eröffnen dem Zuschauer so herrlich ungeschliffene Porträts unterschiedlicher Menschen, die durch ein Szenario stolpern, das in seiner ganzen Absurdität vollkommen dem Leben selbst entspricht. Menschen, die sich durch ihren Egoismus, ihre Dummheit, ihre Verzweiflung und auch durch ihre Güte auszeichnen. „Fargo“ ist ein Film über eben solche unverstellten Menschen und über die Nadeln des individuellen moralischen Kompasses, die immer wieder in verschiedene Richtungen ausschlagen. Unkonventionelles, aber dennoch schlichtweg brillantes Erzählkino, das sich glücklicherweise erlaubt, Freiräume für eigene Gedanken zu lassen, in seiner Struktur aber immer so homogen wie harmonisch wirkt. Kunst. Coen'sche Kunst.
PS: Das aufrichtige, durch und durch vertraut wirkende Ehebild von Marge und Norm zählt zu den schönsten, welches die Filmwelt je beglücken durften. Allein dafür muss man „Fargo“ schon lieben.
»SoulReaver und lieber_tee in den Untiefen des ganz normalen Genrewahnsinns«
Teil 10
J...wie Jugendfilm.
[http://www.moviepilot.de/liste/soulreaver-und-lieber_tee-in-den-untiefen-des-ganz-normalen-genrewahnsinns-soulreaver]
„Billy Elliot“ gehört zu diesen Filmen, die man vorab nur zu gerne in eine Schublade drängen möchte; einer dieser Filme, die das findige Spiel auf der Klaviatur der Gefühle in Perfektion zu beherrschen glauben, letztlich jedoch keinerlei echte Emotionen wecken, weil ihre Konstruktion augenscheinlich nur auf sprödem Sentiment fußt: Augenwischerei und Pathos, eine Symbiose, die so manchem Zuschauer verständlicherweise schon das Fürchten gelehrt hat. Wo man also zu Anfang noch die Vermutung hegen wollte, Stephen Daldrys Debüt wäre in seinen Absichten vielleicht noch durchaus gut gemeint, mit ehrenwerter Intention bestückt, hinten raus jedoch kaum von den unzähligen Manifesten der Rührseligkeit zu unterscheiden, wie sie nun mal alltäglich produziert werden, der täuscht sich gewaltig. „Billy Elliot“ ist anders. Erfrischend anders, weil er sich eindeutig für seine Figuren interessiert, ihnen ein plastisches, herzliches Profil verleiht und das jeweilige Schicksal dieser nicht nur temporär ankratzt.
Die Botschaft, die „Billy Elliot“ schlussendlich präsentiert, ist so abgestanden, wie sie sich auch anhört: Lebe deinen Traum. Das Drehbuch von Lee Hall („Gefährten“) macht allerdings nicht den Fehler, sich in einer solch klischeehaften Tonalität zu verständigen, sondern wartet mit einem gesunden Realismus auf, wie ihn ein solcher Film, ein solches Thema, einfach dringend benötigt. Obgleich hier ganz klar Billy Elliot im Rampenlicht steht und Jamie Bell („Snowpiercer“) der große Auftritt gebührt, gelingt es „Billy Elliot“ vortrefflich, eine fein akzentuierte Milieuschilderung – Hier gilt das Lob auch Kameramann Brian Tufano - vom nordenglischen Durham während des Streiks der Bergarbeiter in der Mitte der achtziger Jahre anzulegen. Während Billy Elliot also seinen ihm vorbestimmten Weg einschlagen soll, der ihn nicht nur in die Boxhandschuhe seines Vaters Jackie (Gary Lewis) führen möchte, sondern irgendwann auch mal in die Kohlegrube, in der sich Billys Vater und großer Bruder Tony (Jamie Draven) jeden Tafaufs Neue den Rücken krumm schuften, entdeckt Billy eine neue Leidenschaft: Das Ballett.
In einem von konservativer Männerhand geführten Haushalt (Billys Mutter ist verstorben, seine Großmutter verfällt der Demenz) kommt diese neu gewonnene Leidenschaft befremdlich daher, assoziiert man dem Ballett doch eher einen Mädchensport. Natürlich wird auch Billy postwendend zum Homosexuellen benannt und muss in einem eh schon angespannten Umfeld verärgertes Unverständnis am eigenen Leibe ausbaden. „Billy Elliot“ mausert sich im Laufe der Zeit immer mehr zu einem Werk, das steife Vorsätze aufbrechen möchte, das festgefahrene Geschlechterrollen folgerichtig als lächerlich darstellt und offeriert, dass es in einer Gesellschaft, die wirklich rund läuft, nur das biologische Geschlecht gibt. Stephen Daldrys hat einen Film inszeniert, der für Freiheit steht, für Individualität, und der sich gegen kulturellen Vorurteile stemmt, in dem er aufzeigt, wie wichtig es ist, zu sich selber zu stehen und Chancen zu ergreifen, wenn man die Möglichkeit dazu bekommt. Vor allem aber geht „Billy Elliot“ durch seine wirklich saubere Ausarbeitung der Charaktere auf, bei der auf jeden schemenhaften Zwischenton grundsätzlich gepfiffen wird.
Wollte sich Frank Sinatra noch kopfüber in den Trubel der nie schlafenden Metropole stürzen, Teil des »Big City Life« werden, zeichnet James Gray ein New York, dem man eigentlich nur entfliehen möchte. Ja, New York stirbt, der Tod frisst sich von Stadtbezirk zu Stadtbezirk und ist hier nun, der Titel verrät es, in Little Odessa, Brooklyn, angekommen. Wie graue Donnerwolken legt sich der sakrale Chorgesang über den südöstlichen Borough, mahnt vor dem jüngsten Tag, dann, wenn der Himmel auf diesen Flecken Erde zu stürzen droht. »Little Odessa« gibt sich als vortreffliche Milieustudie inmitten zermürbender Leere; als Familiendrama, dessen Katalysator paradoxerweise die Ohnmacht zu sein scheint; als Gangsterfilm, der sich mit der Vergangenheit beschäftigt, angesichts der tauben Fragmente aber nur noch Desillusion erntet. Ein tieftrauriger Film, so elegisch wie eiskalt.
„Take a look at my face, I am the future“, krächzt Alice Cooper uns von der Tonspur zu Beginn von „Die Klasse von 1984“ entgegen. Ein markanter Satz, der nicht nur von Bandenchef Peter Stegman repetitiv ausgespuckt wird; es ist auch ein Zitat, das auf der auditiven Meta-Ebene den prophetischen Charakter von Mark L. Lesters Semi-Klassikers beschreiben soll: Kinder sind unsere Zukunft, doch wie soll diese Zukunft aussehen, wenn sich diese Menschen bereits in ihrer Jugend vollkommen verschwendet haben? Den Schimmer von dystopischer Sozialkritik, die uns heutzutage übrigens schon so gut wie eingeholt hat, möchte man dem Drehbuch nicht vorenthalten. Allerdings ist „Die Klasse von 1984“ nicht als solche konzipiert, sondern verfällt in der dramaturgischen Stereotype vollkommen bewusst den Mechanismen des plakativen Exploitationskinos. Wenn die Wut des Paukers Perry Norris erst so richtig kocht, kennt „Die Klasse von 1984“ kein Erbarmen mehr und während die Figuren vom Reißbrett auch mal mit der Kreissäge malträtiert werden, vermischt sich Lesters tendenzielle Geneigtheit zum Trash mit einer bunten Zitierwut differenter Genres. Wer eine Reflexion über die Gewalt und Kriminalität in Schulen erwartet, der läuft selber ins offene Messer. Wer sich mal wieder an einem rohen 80s-B-Picture ergötzen will, der wird hier fündig.
[...] Darüber hinaus gefällt „The Collector“ durch die absolut kundige Inszenierung seitens Dunstan, der seine Sujet-Affinität mit atmosphärischen Karten auszuspielen weiß. Stringent verlagert auf die Behausung, die geräumig ist, dank der kompetenten Kameraarbeit aber nie zum architektonischen Irrgarten verkommt. [...] Jedoch vergisst sich der Film keinesfalls in seinen expliziten Gewaltspitzen und lässt einiges an physischen Grauen in den Köpfen der Zuschauer explodieren. „The Collector“ überzeugt viel lieber durch sein packendes Suspense, welches dadurch intensiviert wird, dass das Drehbuch komplett auf unnötige Nebenstränge verzichtet. [...]
»SoulReaver und lieber_tee in den Untiefen des ganz normalen Genrewahnsinns«
Teil 9
I...wie Indianerfilm (Mesoamerika).
[http://www.moviepilot.de/liste/soulreaver-und-lieber_tee-in-den-untiefen-des-ganz-normalen-genrewahnsinns-soulreaver]
Geht man heutzutage mit einem Projekt etwas härter ins Gericht, das sich noch traut, mit Mel Gibson zu werben, dann steht schnell der Vorwurf im Raum, diesen Film doch eigentlich nur aufgrund persönlicher Antipathien gegenüber dem australischen Enfant Terrible zu verdammen. Mit Sicherheit sind diese Beschuldigungen auch so manches Mal nicht zu widerlegen und einige Zuschauer stemmen sich so ostentativ gegen den Mann, wie sich andere gegen Roman Polanski, Woody Allen oder auch Klaus Kinski stemmen. Allerdings muss auch bei offenherziger Differenzierung zwangsläufig das Urteil gefällt werden, dass Mel Gibson zwar ein wunderbarer und charismatischer Schauspieler sein kann, als Regisseur jedoch auf der inhaltlichen Ebene (bis auf sein Debüt) ausschließlich Miserables abliefert. Ob sein historisch-verzogener Egotrip Braveheart, in dem sich Mel Gibson als William Wallace zum Messias im Schottenrock stilisiert oder der weitreichend polarisierende Die Passion Christi, bei dem er letztlich nur daran interessiert schien, die Leiden Christi in ultrabrutale Bilder zu schweißen.
Es zeichnete sich ab, dass Gibsons Werke technisch vollkommen auf der Höhe sind, als Geschichtenerzähler taugt der achtfache Vater und Buddy-Movie-Veteran allerdings so überhaupt nicht. Und genau das gilt auch für sein Maya-Abenteuer Apocalypto, mit dem sich Gibson als Filmemacher endgültig das Genick gebrochen hat, weil er sich gleichsam jedwede Glaubwürdigkeit, auf die er augenscheinlich so erpicht schien, in katastrophalem Ausmaß negiert. Selbstredend ist Apocalypto kein Film, der sich wirklich um den Untergang der Hochkultur der mesoamerikanischen Indianer von vor über 600 Jahren kümmert, auch wenn hier (angeblich) in Originalsprache kommuniziert wird und auch mal von der Gottheit Kukulkan die Rede ist. Vielmehr dient das Sujet Mel Gibson als schemenhafte Projektionsfläche seiner Weltanschauung, die er – mal wieder – mit extremen Gewaltspitzen und religiöser Verstrahlung verknüpft. Seinen manierierten Geltungsdrang akzentuiert Gibson jedenfalls auch hier nachhaltig.
Die Probleme beginnen schon in der ersten Minute, in der das Zitat „Eine große Zivilisation kann erst von außen erobert werden, wenn sie sich von innen bereits selbst zerstört hat.“ von William James Durant über den Schirm flimmert. Es ist die Einleitung für Gibsons durchaus pathologisch-weltfremde Opfer/Täter-Verschiebung, die gleichwohl den Titel Apocalypto postwendend in den Kontext seiner fundamentalistischen Ideologie rückt. Untergang als Erlösung; Befreiung und Reinigung durch das Christentum anhand der Kolonialmacht Spanien. Eine Katharsis der Brutalität, katalytisch basierend auf einer Prophezeiung - frei nach Monsignore Mel Gibson. Und diese Gewalt, dieses evidierende Blutvergießen, wird ausgeschöpft, wo es nur geht. Wenn das Dorf der Maya im Dschungel überrannt wird und die Bewohner sich bald als Teil ritueller Opfergaben in einer zivilisiert-barbarischen Tempelstadt wiederfinden, langt Mel Gibson aus den Vollen. Herzen werden aus dem Brustkorb gerissen, Köpfe vom Torso getrennt und Berge von Leichen getürmt. Was zu Anfang noch einen durchaus abschreckenden Charakter inne trägt, wird irgendwann nur noch plakativer Gegenstand plumper Revenge-Grammatik.
Dazu gesellt sich ein holzschnittartige Figurenmuster, welches Gut und Böse zu kennen glaubt, während sich die inhaltliche Struktur von Apocalypto zum gleichschenkeligen Dreieck aus Fanatismus, Determinismus und Fundamentalismus formt. Das „damals war es nun mal so“-Argument zieht nicht in diesem Fall so gar nicht, weil nichts davon der Historik dienlich ist, sondern nur dem reinen Selbstzweck folgt, wie sich gegen Ende in einer furchtbaren Doppel-Schnitt-Szene manifestiert, in der unser Held Jaguar Pranke erst in Zeitlupe den Schädel eines Widersachers einschlägt, um es dann noch einmal in normale Geschwindigkeit zu wiederholen. Grauenhaft, wie Mel Gibson hier an allen Ecken und Ende ethische Rechtfertigung für seine Bilder sucht und es damit auch vermeidet, dass der Zuschauer irgendwie Mitgefühl für die Figuren aufbaut. Der Patriarch tut eben das, was ein Familienoberhaupt nun mal zu tun hat, jedenfalls in Gibsons konservativen Gehirnwindungen. Apocalypto möchte Authentizität suggerieren, ist in Wahrheit aber nur ein stupider Exploiter, manisch darauf versessen, das Reißerische aus dem Ethno-Korsett zukehren.
Wenn man Apocalypto allerdings etwas zugutehalten kann, eigentlich sogar muss, dann sind es seine handwerklichen Aspekte: Die Fotografien, seine Ausstattung, frei von jeder CGI-Entfremdung, und die abstrusen Fantasy-Masken. Das macht schon etwas her, ohne Frage. Sicher verlässt sich Gibsons Dschungel auch auf die tumbe Paradies & Hölle-Dialektik und ist weit entfernt von der pittoresken Metaphorik eines Werner Herzog (Aguirre, der Zorn Gottes), der diese beiden Aspekte immerzu überlappt, anstatt sie zu parallelisieren. Dan Semlers Kameraarbeit fängt die Erhabenheit der Natur, ihre gefährlich-faszinierende Flora und Fauna, dennoch mehr als überzeugend ein. Nur reicht das nicht allein, denn der Inhalt siegt immer über die Oberfläche, jedenfalls wenn man versucht, etwas zu erzählen. In Apocalypto herrscht nun wirklich alles andere als eine gesunde respektive symbiotische Koexistenz beider Segmente. Das müsste auch der größte Gibson-Fanboy erkennen.
Nachdem sich Chan-wook Park in Amerika beweisen durfte, tut es ihm Joon-ho Bong, anders als noch Jee-woon Kim, gleich und liefert mit „Snowpiercer“ ein cineastisches Brett ab. Um eine sich anbahnende Klimakatastrophe zu vermeiden, evoziert die Menschheit eine neue und befördert damit den Großteil ihrer Gattung ins Nirwana. Die letzten Überlebenden donnern in einer kontinuierlich tätigen Blechlawine durch die computergenerierte Eiszeit. Im Inneren des Zuges findet man nicht nur ein in sich geschlossenes Ökosystem, sondern trifft auch auf ein rigide hierarchisiertes Ordnungsprinzip: Der Pöbel kauert im hintersten Waggon, frisst gepresste Kakerlaken und schläft in der eigenen Scheiße, während die Privilegierten im vordersten Abteil residieren und im klinischen Ambiente die Steaks in die Pfanne hauen. „Snowpiercer“ verfügt in seiner Umsetzung über eine tonale Wandlungsfähigkeit, wie sie nur aus dem asiatischen Raum importiert werden kann und funktioniert als Allegorie auf soziale Segregationen, wie auch als satirisch-groteske Parabel auf gesellschaftliche Machtstrukturen und tief verwurzeltes Triebverhalten. Es ist aber auch auf visueller Ebene ein packendes Wechselspiel aus monochromer Verzweiflung und überstrahlter Angriffslust, mal poetisch entschleunigt, mal energetisch-physisch getrieben. Eine Dystopie in der Horizontalen, die ihren Mikrokosmos erst in der letzten Minute entblättert und dann rücksichtslos ins Gedächtnis brennt. Virtuoses, kinetisches, intellektuelles Kino. Viva la revolución!
[...] „Inside Wikileaks“ kennt keine Ruhe, alles geht Schlag auf Schlag, alles ist vollgestopft mit Denkanstößen und Querverweisen, hier etwas Redefinition von Informations- und Redefreiheit, da etwas Revolutionsgeplänkel. Über all dem thront (neben der unfassbar debilen Schleichwerbung für Club Mate) die nach und nach zerbröckelnde Beziehung zwischen dem androgyn-suggestiven Assange und dem introvertierten Domscheit-Berg, die durchweg leblos bleibt. [...] Beim nächsten Mal sollte man seine Ziele vielleicht nicht ganz so hoch stecken, der Sturz jedenfalls wäre etwas angenehmer.
[...] An der australischen Küste verortet, wo türkisfarbenes Wasser in hohen Wellen an den Strand peitscht, über dem die zwei architektonisch verwurzelte Häuser wachen, entfaltet „Tage am Strand“ seine Dimensionen der (sexuellen) Begierde und potenziert sie durch die idyllisch-verzaubernden Naturbilder: Ein abgeschirmtes Paradies, in dem sich eine Freiheit genommen wird, die in den Mühlen der gesellschaftlichen Prüderie postwendend zermahlen werden würden. [...] Irgendwann jedoch muss das trotz narrativer Linearität stetig flackernde (Gefühls-)Kartenhaus zerbrechen, so wie auch Träume vom Undenkbaren bei geöffneten Augen zerplatzen. [...] Der Hedonismus der Mittvierziger konfligiert mit dem „Lauf der Dinge“ und verfällt. Wo einst Jahre mit einem einzelnen Blinzeln übersprungen wurden, verrät das Spiegelbild nun die tiefen seelischen Furchen. Irgendwann musste der Glanz abperlen und mit dem Tränen davon geschwemmt werden. [...]
Und der nächste Volltreffer der Coens. „Inside Llewyn Davis“ ist wieder großes, wirklich wahrhaftiges und herrlich nostalgisches Erzählkino. Aus jeder Frame quillt die exzellent bebilderte und durch den erhabenen Schnitt unterstrichene Melancholie eines verschneiten New Yorks der 1960er Jahre. Was zu Anfang wie eine kleine, liebenswerte Geschichte anmutet, zieht immer größere Wellen und offenbart sich als durch und durch aufrichtige Auseinandersetzung mit dem Künstlerdasein – Ohne zu romantisieren oder zu dämonisieren. Llewyn (Hervorragend: Oscar Isaac) mag ernüchtert erscheinen, er mag auch mal ans Aufgeben denken, weil jeder mal daran denkt, doch er kann nicht, weil niemand seine Passion einfach fallen lassen kann. Auch wenn er dafür immer wieder auf dem Boden schlafen muss, auch wenn er immer wieder um Geld betteln muss und auch wenn er dafür immer mal wieder auf's Maul bekommt. Das gehört dazu. Ein wunderschöner, herzlicher, zuweilen urkomischer, aber nie zynischer oder maliziöser Film. Ja, auch die Coens lieben ihren Llewyn.
Herrlich, wie sich die Reihe doch von Teil zu Teil steigert. „Undisputed III“ ist für seine formellen Ansprüche tadellos, ohne irgendwie kalt oder lustlos hingerotzt zu wirken – Isaac Florentine ist wirklich ein Segen, nicht nur für dieses Franchise. Wer hier natürlich ein MEISTERWERK erwartet, der ist wohl mit dem Schädel gehörig gegen Adkins' Ellenbogen gestolpert, anders wäre diese beknackte Annahme nicht zu erklären. „Undisputed III“ versteht sich als maßgeschneiderte Fortsetzung zum eh schon ziemlich guten Vorgänger; hier aber wird auf jede überbordende Dramatik verzichtet, kein deplatzierter Kitsch weit und und breit. Dafür gibt es eine kernige Männerfreundschaft zwischen Scott Adkins und Mykel Shannon Jenkins, die sich erst mal schön die Fressen polieren, um sich anschließend respektvoll die Hände zu schütten, so wie sich das nun mal gehört. Die Kämpfe im Allgemeinen sind wiedermal hervorragend fotografiert, vermischen sämtliche Stile, werden nicht durch unnötige Slow-Mo ausgebremst, sondern unterstrichen und gewinnen dieses Mal sogar noch etwas an Intensität und Tempo dazu. Am Ende sieht man dann den Adkins sogar noch lachen und wir tun es ihm gleich. Sachen gibt’s....
Gut, machen wir uns mal nichts vor: Die Story von „Undisputed II“ ist wirklich nur ganz marginal besser als die von „Undisputed“. James Townsend und David N. White recyceln im Großen und Ganzen das eh schon lauwarme Handlungsgerüst des Vorgängers, mit dem Teil 2 ansonsten aber nichts zu tun haben möchte, reihen Klischee an Klischee, fügen hier und da mal eine mehr oder weniger sinnvolle Facette hinzu und fertig ist der Brei. Im Gegensatz zu Walter Hills schnöder Knast-Nummer, weiß Regisseur Isaac Florentine wie er inszenatorisch die richtige Dynamik aus der abgestandenen Prämisse zieht und Kameramann Ross W. Clarkson schweißt seine Vision von energischer Physis in plastische Bilder: Wenn Michael Jai White zuschlägt, dann knallt es ordentlich, schlägt Scott Adkins, diese ständig knurrende Bestie, jedoch zu, fallen die Ziegel vom Dach des sibirischen Gefängnisses im Nirgendwo. Die Fights, und darum geht es letztlich in „Undisputed II“, auch wenn hier noch versucht wird, ein seltsam dramatisches Plateau einzuführen, welches in einem mehr als befremdlichen Finale kulminiert, gehen mal so richtig herzhaft nach vorn und sind durchweg hervorragend choreografiert wie adäquat proportioniert – Keinerlei Gefahr von Übersättgung, sondern gekonnt gesetzte Highlights. So machen B-Ostblock-Immer-Auf-Die-Fresse-Produktionen Laune.
Sicher steht „Undisputed“ qualitativ immer noch über dem DTV-Krempel, der allmonatlich aus aller Herren Länder in die Videotheken gekotzt wird. Dass hier aber ein echtes Genre-Urgestein wie Walter Hill, der immerhin Filme wie „Nur 48 Stunden“, „Die letzten Amerikaner“ und „Johnny Handsome“ in seiner Vita vorzuweisen hat, die Zügel übernommen hat, macht zu Anfang noch Mut auf wirklich reinrassiges (Action-)Kino. Das Resümee stimmt dann im Nachhinein umso trauriger, denn „Undisputed“ ist nicht nur ein beliebiger Knast-Klopper ohne echten Dampf geworden, er ist auch komplett befreit von jeder charakteristischen Handschrift und steht Walter Hill damit mal so rein gar nicht. Die Prämisse ist in abgewandelter Form schon unzählige Male aufarbeitet worden - man denke nur an Jean-Claude Van Dammes müden Reißer „Mit stählerner Faust“ -, und während Ving Rhames als Iceman zwar unheimlich dick aufträgt, aber immer noch etwas Präsenz besitzt, passt sich Wesley Snipes in Sachen Ausstrahlung ganz dem durchgeweichten Zahnstocher an, den er andauernd von einem Mundwinkel zum anderen schiebt. Es gab schon redlich Schlechteres aus dieser Sparte, die Rede wert ist „Undisputed“ dennoch nicht.
Eine zischelnde Flöte im harmonischen Wechselspiel mit der raunenden Trompete, mechanisch plärrende Sirenen lassen die Welt im Angesicht einer havarierten Gesellschaft erzittern; eine auditive Rhythmik, die den Maulwurf, den vollbärtigen Vollstrecker im Namen Gottes, den ganz in schwarz gehüllten Erlöser im Namen seiner selbst, durch den ewigen Wüstensand graben lässt. Da, wo die Unschuld der Kindheit begraben liegt, wo Gerechtigkeit blinde Doppelmoral bedeuten vermag und einem luziden Traum gleicht: Blut in Blut, Feuer mit Feuer, Schuss um Schuss. Genesis, Katharsis, Apokalypse. „El Topo“, diese psychedelische Studie über Gewalt und soziale Entfremdung, diese metaphorische Religionsparabel, kennt keine erzählerische Struktur. Er kennt nur die suggestive Macht des Mediums als spiritueller Anti-Film-Rausch für die Sinne. Doch wie der linkische Befreier, der reinkarnierte jesuitische Mönch, immer auf der Suche nach innerem Frieden ist, sehnen auch wir uns nach Erlösung – Überall. Der Kreis schließt sich, weil er sich für den Einzelnen schließen muss, irgendwann, irgendwo, begleitet von lodernden Flammen, wie es sich für einen Teufelskreis gehört. Ein stimulierendes Unikum der Midnight-Kunst.
Nicht ganz auf einer Höhe mit „The Lost Boys“ und „Near Dark“, dafür aber ist „Die rabenschwarze Nacht“ zweifelsohne der 80s-Film mit dem größten Nostalgiefaktor im Umgang mit dem Vampirmythos. Zwar findet sich der hiesige Oberblutsauger (Chris Sarandon) nicht im altehrwürdigen Domizil in den transsylvanischen Karpaten wieder, sondern im idyllischen Vorstadtleben, die traditionellen Regeln und Paradigmen des Sujets aber gelten ebenso. Auch Tom Hollands „Die rabenschwarze Nacht“ ist ganz filmisches Dokument seiner Ära und versprüht den damaligen Charme an allen Ecken und Enden. Seine wahre Stärke aber bezieht „Die rabenschwarze Nacht“ durch den symbiotischen Einklang aus parodistischen Anleihen, referenziellen Verweisen und klassischem Grusel: Der Humor neutralisiert das unheimliche Klima niemals und der Respekt (vor allem vor den Hammer-Studios) ist allgegenwärtig. Roddy McDowell überstrahlt als TV-Vampirjäger Peter Vincent (Cushing Price – Na?) alles und schafft es sogar, dem unglaublich nervigen Stephen Geoffrey gegen Ende einen hochemotionalen Augenblick zu schenken. Interessant ist auch der sexuelle Subtext, der den Vampir nicht nur auf die Hälse junger Damen hetzt, sondern auch eine homoerotische Komponente erlaubt. Großer Star – neben Roddy, versteht sich – aber ist die schleimig-schöne und handgemachte Maskenarbeit. Hachja, selige Zeiten...
Eine durch Schmerzen gekrümmte Gestalt stolpert über die unebene Fläche eines Ackers; der Staub der trockenen Erde vermischt sich mit dem Staub seiner widernatürlichen Vergänglichkeit. Was in seiner äußerlichen Hülle menschlich anmutet, entpuppt sich nämlich als Neugeborener des Schattenreiches, der erst verstehen muss, dass die Sonne von nun an zu seinen Feinden gehört. Allein diese Sequenz ist eine stilistisch Bravourleistung und bringt den inneren Konflikt, dem Caleb, so sein Name, nachdem ihm Mae einen unvergesslichen Kuss mit bissigem Finale beschert hat, von nun an ausgeliefert ist, auf den Punkt. „Near Dark“ schildert in eindrucksvoller Bildsprache die Anpassung des sensiblen Calebs an sein neues Leben in der Finsternis, der sich in einer vom Metronom des Gemeinwesens abgeschirmten Randgesellschaft wiederfindet, von den Sternen aber eigentlich nur den Weg zurück nach Hause ablesen möchte – Nur wo ist zu Hause? Kathryn Bigelows kommerzieller Totalflop zählt weiterhin zu den Sternstunden des Vampirfilms und weiß die Stilistik eines Neo-Western mit den Motiven des Road-Movies zu verstricken, die Romanze um die nach Erlösung suchenden Caleb und Mae darf dazu so manches Mal in salbungsvollem Kitsch baden. Endlose Straßen reflektieren den morbiden Charme des poetisch säuselnden Mondscheins, während der drängende Synthie-Score den Karavan der blutsaugenden „Alien“-Sippschaft in ihr flammendes Verderben hetzt. Nur die junge Liebe darf sich der aufgehenden Sonne entgegenstellen. Endlich angekommen.
[...] Durch das offensichtliche Matte Painting gehen den auf Epik getrimmten Bildern zwar jede Regulation von Breite und Tiefe verloren, was sich vor allem in der Vogelperspektive bemerkbar macht, die Aufnahmen an und für sich strahlen in ihrer artifiziellen Ausstaffierung einen falschen Glanz aus, an dem man sich trotz der Künstlichkeit gerne mit den Augen festsaugt – Beinahe memorabel möchte man da die sinnlich Sequenz im sich sanft wiegenden Getreidefeld titulieren, in dem sich zwei Scharfschützen mit Pfeil und Bogen bis zum bestialischen Höhepunkt bekriegen. [...] Kompositionen, ganz den vordergründigen Graustufen verschrieben, werden im kinetischen Todesballett durch leise Farbschimmer durchbrochen, während der Heroismus aus der Retorte kein Halten kennt. Die Tragödie wird zur intimen Parabel auf familiäre Ehre und prinzipielle Rechtschaffenheit. Das hat man alles schon imposanter und charakterlich ausbalancierter gesehen, allerdings auch schon reichlich müder und reizloser.
Weit weg von dem Scherbenhaufen, den die Ehe im familiären Konstrukt der Emersons hinterlassen hat, sucht Lucy mit ihren Söhnen Sam und Michael den sonnengefluteten Neubeginn an der kalifornischen Küste; genau da, wo sich Unsterblichkeit und Verdammnis im flüsternden Wellengang der Nacht kreuzen. Nur auf den ersten Blick verspricht Santa Carla idyllisches Urlaubsflair, in Wahrheit entpuppt sich das Städtchen als Treffpunkt für Blutsauger und Höllenhunde, die sich in der Dunkelheit in Lederjacken auf ihre Motorräder schwingen und auf die Jagd nach Frischfleisch begeben. Wenn Michael dann höchstpersönlich vom Elixier der ewigen Jugend kostet, kreiert Joel Schumacher seine ganz eigene, sehr freie Peter Pan-Interpretation. „The Lost Boys“ ist heute in erster Linie wohl Extrakt der 1980er Jahre, mit seiner schultergepolsterten Mode, den grässlichen Haarschnitten und der tollen Musik – Alles Teil einer längst vergangenen Periode. Dennoch hat sich der Film beachtlich gut gehalten und wusste die ominöse Staubschicht, die so manch gleichaltriges Werk schon verschlungen hat, weiträumig zu umgehen. Wenn der albtraumhafte Aufnahmeritus vollzogen ist und die sakralen Orgelklänge von Echo & The Bunnymen los brummen, lässt „The Lost Boys“ die Luzi abgehen, in dem er schaurige Mythen des Vampirismus gekonnt mit dem locker-ironischen Ton eines (guten) Teenie-Films vermischt. Unterhaltsam, stimmungsvoll, die Frog Brothers und ein NOCH cooler Kiefer Sutherland. Geht immer.
[...] „Midnight Meat Train“ hätte als Kurzfilm unter findiger Ägide funktioniert, als abendfüllender Spielfilm jedoch geht dem unnötig aufgeblähtem Szenario so schnell die Puste aus, wie Mahogany (Vinnie Jones) die Innenleben der Wagons mit dem Lebenssaft der unglücklich selektierten Passagiere befleckt. [...] Die Inszenierung erstickt an ihrer aseptischen Optik, jede Einstellung ist frei von groben Zwischentönen auf der Bildebene, alles ist auf Hochglanz getrimmt, was vor allem in Kombination mit den erschreckend offensichtlichen CGI-Effekten zur Negation jedweder Stimmung führt. [...] Über die Auflösung sollte dann noch einmal besser der Mantel des Schweigens gelegt werden, und wenn manche Stimmen behaupten möchten, dass der Film in seiner Gesamtheit dadurch erst richtig rund wird, dann höchstens in seiner unermesslichen Inkompetenz. Immerhin kann er so wenigstens um die Ecke rollen und sich dort schämen. [...]
[...] Wenn sich die schwarzen Handschuhe langsam vom unteren Rand in das Bild schieben, dann grinst der Giallo-Liebhaber. Wenn Melonen, Radieschen, Auberginen und Kopfsalate zu Gunsten des perfekten Sounds manisch massakriert und zerrupft werden, dann ist das nicht nur auf bizarre Art und Weise amüsant, es ist gleichwohl Hofknicks vor der Nostalgie des Kinos, aber auch Mahnmal vor der Kraft der Illusionen, denen Gilderoy höchstpersönlich verfällt: Willkommen im Reich der Täuschungen. „Berberian Sound Studio“ definiert sich dabei als Referenzfilm und Hommage mit all seinen offensichtlichen und versteckten Querverweisen. Gleichwohl inszeniert Strickland – lyncheske Schlüsselassoziationen hin oder her – einen autarken Psychotrip, der mit unserer auditiven wie visuellen Resonanz spielt, Ohren spitzt, Augen schärft, die Sinne sensibilisiert, natürliche Reaktionen auf das Unbestimmte, das Mysteriöse erweckt und den Zuschauer am Ende dann doch alleine lässt: Ein Vexierspiel, dessen knisterndes Zelluloid kein Zufall bedeutet. [...]
»SoulReaver und lieber_tee in den Untiefen des ganz normalen Genrewahnsinns«
Teil 8
H...wie Holocaust.
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Leichtfüßig sausen Bruno und seine Freunde mit ausgebreiteten Armen durch die belebten Straßen Berlins; hinter ihnen heben sich die Hakenkreuzfahnen mit dem Wind sanft von den steilen Hauswänden ab, während vor ihm Juden unter Tränen gewaltsam aus ihren Wohnungen auf die Ladeflächen der LKW's gestoßen werden. Bruno hat kein Auge für das Grauen dieser Zeit, welches sich genau vor seiner Nase abspielt, er konzentriert sich hingegen ganz auf die Imitation der brummenden Motorengeräusche deutscher Jagdflieger. Genauso wenig kann der 8-jährige Sohn eines frisch zum Kommandanten eines Vernichtungslagers nahe Auschwitz' beförderten Nationalsozialisten verstehen, warum er und seine Familie nun auch noch aufs Land ziehen müssen, weg vom Trubel der Metropole, weg von seinen Freunden und seiner liebgewonnenen Schule. Dies ist die bedeutungsschwangere und auf Kontraste erpichte Exposition von Mark Hermans polarisierender Romanadaption „Der Junge im gestreiften Pyjama“. Sie kündigt bereits an, wie behutsam er eigentlich anhand der kindlichen Perspektive durch das schwarze Kapitel internationaler Historie führen möchte, die subtile Sensibilität aber schnell gegen plakative Symbole eintauscht, um das dröge Spiel auf der Manipulationsklaviatur nachhaltig zu intonieren.
Es ist ja immer ein Schwieriges, den Holocaust adäquat mit filmischen Mitteln zu thematisieren. Exemplarisch dafür dient Steven Spielbergs gemeinhin als Meisterwerk verschrienes Drama „Schindlers Liste“, der in seiner Intention sicher Ehrenwertes erzielen wollte, sich in seiner subjektiven Umsetzung aber in den Mechanismen blanker Hollywoodblockbuster verheddert und formal gar zur geschmacklosen Spannungsklimax in der Gaskammer auffährt. „Der Junge im gestreiften Pyjama“ hat gegen Ende eine ähnliche Szene zu bieten, ebenfalls in der Gaskammer, zwar nicht auf blankem Suspense gebettet, aber mit einer existenzialistischen Frage im Schlepptau, die in einem Film dieser Couleur aus ethischer Sicht wenig vereinbar scheint. Bis „Der Junge im gestreiften Pyjama“ aber zum großen Finale schlägt und seine primäre Absicht, die Illustration des Schreckens der Schoah durch den naiven Blick eines Kindes, endgültig über den Haufen wirft, trifft der Film in den gut 80 Minuten zuvor, im Kontext seines Inhalts respektive seines Anliegens, kaum einen geraden Ton. Den Holocaust durch die Augen eines Kindes zu vermitteln, ist an und wir sich nicht verwerflich, „Der Junge im gestreiften Pyjama“ aber fiktionalisiert die Geschehnisse vor und hinter dem elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun nicht nur, er trivialisiert sie ebenfalls. Auch wenn Bruno nicht hinter den Horror des Vernichtungslagers schauen kann, der Zuschauer erkennt die Verschiebung genereller Tatsachen von vornherein.
Obgleich die Vorlage von John Boyne bereits mit geschichtlicher Inkorrektheit glänzte, blieb der Freiraum der eigenen Gestaltung der beschriebenen Umgebung. Im Film wird das Arbeitslager, welches für Bruno ein Bauernhof darstellt, zu reinen Farce. Mit Zäunen, durch deren Maschen man mit einem Kopfsprung wohl verschwinden könnte und nicht existenten Wachen, haben wir hier das Abbild eines milderen Gefangenenlagers, nicht aber das eines Arbeitslagers. Die Ansichten Brunos hätten nach seinen Vorstellungen deutlich gemacht werden dürfen, „Der Junge im gestreiften Pyjama“ versucht diskret zu verhandeln, um dann im nächsten Augenblick das transparente Fundament doch mit heulenden Sirenen auf das Elend aufmerksam zu entblättern und findet dadurch keinen kombinierten Weg, die permanente Irritation des Zuschauers zu umschiffen. Versucht man sich mit diesen Ungereimtheiten zu arrangieren und Teil der Freundschaft Brunos und Schmuels zu werden, die offen miteinander reden dürfen, während die familiären Strukturen auf beiden Seiten langsam zerbrechen, bekommt man es mit schemenhaften Skizzen kindlicher Unschuld zu tun. Pausbäckchen und strahlend blaue Augen interagieren, lachen, schmieden Pläne, lassen den Zuschauer aber nicht angesichts ihrer Lage verzweifeln, sondern aufgrund der vom Drehbuch auferlegten Plakative, die alles ins Reißerische drängt.
Wer sich bei „Der Junge im gestreiften Pyjama“ unfähig zur Empathie fühlt, der muss nicht mit schlechtem Gewissen das Weite suchen. Das Problem liegt im bedrängend manipulativen Habitus der gesamten Inszenierung, die natürlich noch durch James Horners hochdramatisches Gesäusel weitreichend untermalt wird, während gesichtslose Stereotypen in einer erst unbefangenen, dann überemotionalisierten und schließlich gänzlich entrückten Welt aus matten Symbolen und törichten Metaphern zum Scheitern verurteilt sind – Genau wie der Zuschauer allein auf einsamer Flur verweilt und sich jeder mechanischen Stimulation verwehrt. „Der Junge im gestreiften Pyjama“ wird zum überfrachteten Kino ohne grünen Zweig, Kino zum Vergessen, zum Übergehen und Ignorieren. Und genau das sollte ein Film dieses Themas doch nun wirklich nicht sein.
„Childhood is measured out by sounds and smells and sights, before the dark hour of reason grows.“ John Betjeman