Tobi_G93 - Kommentare

Alle Kommentare von Tobi_G93

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    Tobi_G93 21.01.2021, 12:03 Geändert 21.01.2021, 20:03

    Hochbudgetiertes und im Grunde genommen völlig bescheuertes B-Movie vom finnischen Actionspezialisten Renny Harlin, der die total unsinnige Story über mutierte, intelligente Superhaie sogar einigermaßen kurzweilig in Szene setzt.
    Also erstmal zum Positiven: Harlin führt seine unterschiedlichen Figuren und den schön klaustrophobisch eingefangen Schauplatz einer Forschungseinrichtung mitten im Meer ziemlich effektiv ein. Auch der Spannungsaufbau und einige überraschend brutale, intensiv inszenierte Momente zeugen von überdurchschnittlichem Handwerk.
    Die Story dagegen ist wirklich Mumpitz übelster Sorte und kann nicht eine Sekunde ernst genommen werden. Auch die Charakterzeichnung der unterschiedlichen Figuren wirkt äußerst stereotypisch und abgedroschen, von den oftmals fürchterlichen, Fremdscham erzeugenden Dialogen ganz zu schweigen.
    "Deep Blue Sea" möchte wohl (hoffentlich) unintelligente, spaßige Unterhaltung mit flottem, spannungsgeladenem Actionkino verbinden und das funktioniert sogar bis zu einem gewissen Grad ganz ordentlich.
    Für einen gemütlichem Kumpelabend mit ordentlich Bier im Kühlschrank und Chips keine komplett falsche Wahl. Hirn ausschalten ist jedoch Grundvoraussetzung, sonst wird es ziemlich ärgerlich.
    5 von 10 abgebissenen Armen.

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      Tobi_G93 19.01.2021, 12:20 Geändert 19.01.2021, 14:02

      Der kleine, clevere Bruder von "Hostel".
      Mit der französich-georgischen Low-Budget Produktion "13 Tzameti" gelang dem aus Georgien stammenden Regisseur Gela Babluani ein gesellschaftskritischer sowie äußerst beklemmender Psychothriller, der insbesondere mit einer sehr beängstigenden Grundprämisse zu überzeugen weiß.
      In trist-trostlosem Schwarz-Weiß-Look gehalten, schildert der Regisseur nach einer leicht schleppenden Exposition relativ schnörkellos eine anfangs rätselhaft anmutende Geschichte, zieht die Spannungskurve dabei gekonnt nach und nach an, bis schließlich ungefähr zur Filmmitte die Katze aus dem Sack gelassen wird..
      Mit einer abrupten Enthüllung bekommt "13 Tzameti" eine ausgesprochen zynische, menschenverachtende Note verliehen, die in seiner nüchternen Präsentation und dem Fokus auf psychische Qualen durchaus zu verstören weiß.
      Nach den ersten großen Schockmomenten verliert Babluani allerdings für eine gewisse Zeit etwas den Drive in der Narration, weshalb sein Film zwischenzeitlich etwas durchhängt.
      Erst in der letzten Viertelstunde zieht der Regisseur die Zügel nochmals deutlich an und findet mit einem grimmig-kompromisslosem Finale den idealen Schlusspunkt für seine Geschichte.
      "13 Tzameti" punktet mit fieser Prämisse und beklemmender Atmosphäre, dramaturgisch fehlt allerdings hier und da der letzte Schliff.
      Nichtsdestotrotz ein guter Thriller.

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        Tobi_G93 16.01.2021, 12:47 Geändert 16.01.2021, 14:32

        So, diese Filmlücke wäre nun auch mal geschlossen.
        "Whiplash" (2014) kommt ja zumeist sehr gut weg, was an sich nicht verwundert, denn Damien Chazelle ist mit seiner zweiten Regiearbeit ein größtenteils hervorragender Film gelungen.
        Angesiedelt an einer New Yorker Musikschule, verwendet Chazelle die Musik bzw. das obsessive Streben nach Erfolg in der Musikbranche als Leitmotiv für einen kammerspielartigen Psychothriller.

        Der doppeldeutige Titel „Whiplash“ bezieht sich einerseits auf das gleichnamige Jazz-Stück von Hank Levy, auf das sich immer wieder im Filmverlauf bezogen wird. Andererseits passt die eigentliche Bedeutung des Begriffs, übersetzt "Schleudertrauma", wie die Faust aufs Auge.
        Der Regisseur schildert ein intensives Psychoduell zweier Getriebener, dem Musikschüler Andrew Neiman (Miles Teller) und Musikdozent Terence Fletcher (J.K. Simmons), deren Lehrer-Schüler-Beziehung zerstörerische Ausmaße annimmt.
        Seine beiden Hauptcharaktere zeigt Chazelle dabei angenehm ambivalent und vermeidet jegliche Schwarz-Weiß Kategorisierungen.
        So wird der talentierte Musikschüler und Schlagzeuger Andrew von Anfang an als obsessiv Getriebener gezeigt, der mit starken Minderheitskomplexen zu kämpfen hat, noch weit vor dem Aufeinandertreffen mit Fletcher.
        Auf der anderen Seite Musikdozent Fletcher, ohne Frage ein aufbrausender Choleriker sowie Narzisst, der seine zweifellos fragwürdigen Lehrmethoden jedoch nicht aus niederen Beweggründen anwendet, sondern aufgrund seiner tief sitzenden Überzeugung, dass nur Blut, Schweiß und Tränen zu Höchstleistungen führen.
        Beide Darsteller machen ihren Job außerordentlich gut, insbesondere J.K. Simmons stellt seine Figur mit einer ungemein charismatischen, bisweilen gar dämonischen Präsenz fantastisch dar (gab wohl auch den Oscar als bester Nebendarsteller).

        Für lange Zeit beleuchtet Chazelle die Grundthematik seines Werks, nämlich Fletchers höchst fragwürdige Pädagogik, bestehend aus Erniedrigungen, Beschimpfungen und seelischen sowie physischen Verletzungen, schön ambivalent und differenziert.
        Sind Fletchers schroffe Methoden ein sinnvolles, ja notwendiges Mittel, um Höchstleistungen abzuliefern?
        Oder sind seine Lehrmethoden nicht längst überholt, strafrechtlich relevant und sogar faschistisch?
        Leider bezieht Chazelle für meinen Geschmack gegen Ende (evtl. sogar unbewusst) Stellung, bewegt sich mehr und mehr auf Fletchers Seite und teilt immer deutlicher die Meinung, dass Fletchers harte Gangart ein zwingend notwendiges Übel für Erfolg darstellt.
        Noch mehr Ambivalenz am Ende hätte hier nicht geschadet.
        Nichtdestotrotz ein gelungenes Werk, sehr intensiv, ausgesprochen packend und genial gespielt.

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          Tobi_G93 13.01.2021, 12:58 Geändert 13.01.2021, 20:33

          Wenn man den deutschen Filmtitel "Der Chaos Cop" liest, denkt man wohl zuerst an eine bescheuerte Blödel-Komödie in bestem Adam Sandler Klamauk-Stil.
          Glücklicherweise weit gefehlt, denn mit "Thunder Road" (2018) ist Jim Cummings, der sowohl als Drehbuchautor, Regisseur als auch als Hauptdarsteller fungiert, eine eigenwillig-intensive und durchaus aufwühlende Tragikkomödie gelungen.

          Wo viele andere Filme, die eine dramatische Geschichte mit Humor verbinden, das Bittere ins Humoristische und andersherum kontrolliert und behutsam übergehen lassen, wählt Cummings seinen eigenen, deutlich ungewöhnlicheren Ansatz.
          Er vollzieht tonale Wechsel deutlicher abrupter sowie unkontrollierter und hebt in manchen Momenten dabei sogar jegliche Grenzen auf.
          Findet in grundsätzlich komischen Momenten eine unterschwellig brodelnde Bitterkeit und fügt in sehr tragischen, aufwühlenden Szenen eine groteske Komik hinzu, wodurch einige Momente äußerst irritierend wirken und sehr ambivalente Gefühle beim Zuseher entstehen lassen.

          Dieses Konzept steht und fällt natürlich mit dem Hauptprotagonisten Officer Jim Arnaud, ein leicht trotteliger aber herzensguter, geschiedener Familienvater, dessen Alltag ohne großen Spannungsbogen Tag für Tag begleitet wird und sein Leben langsam aber sicher aus den Fugen gerät.
          Jim Cummings liefert hierbei eine wahre One-Man-Show ab, der unterschiedlichste Facetten bestehend aus cholerischen Anfällen, tragischen Gefühlausbruchen und komischen, slapstickhaften Momenten fantastisch darstellt und übermittelt.
          Regisseur Cummings verzichtet dabei auf eine sich fortlaufend entwickelnde Geschichte, zeigt auf nüchterne Weise den Alltag seiner Hauptfigur, beruflich wie privat, mit detaillierten Einblicken in seine Gefühlswelt, womit "Thunder Road" auch sehr gut als tragische Charakterstudie funktioniert, die er mit einem abrupt einsetzendem, ambivalentem Ende auf interessante Weise beschließt.
          In seinem eigenwilligen, ungewöhnlichen Vibe sehr erfrischend.

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            Tobi_G93 12.01.2021, 13:59 Geändert 12.01.2021, 15:20

            Schönes Werk vom Großmeister Alfred Hitchcock.
            "Spellbound" ist in erster Linie eine Romanze oder Liebesdrama, das sich allerdings fast durchweg große Mühe gibt, als psychologischer, bisweilen gar surrealer Thriller angesehen zu werden.
            Diese Elemente nutzt Hitchcock allerdings nur als Aufhänger oder narratives Werkzeug (Macguffin, da war doch was), um seiner Liebesgeschichte einen interessanteren, spannenderen und individuelleren Dreh zu verpassen.

            Unterschiedliche Thrillerelemente wie Amnesie, Traumdeutung oder in der Vergangenheit liegende Traumata verlagert Hitchcock in die Psychoanalytik, die hier leider für heutige Maßstäbe (und wahrscheinlich auch schon für die damalige Zeit) ziemlich unglaubwürdig und nur sehr oberflächlich angerissen wird.
            Der Begriff "Waschküchenpsychologie" lässt sich bezogen auf den Film deshalb nur schwer vermeiden, auch wenn der Fokus insgesamt auf die Liebesgeschichte gerückt wird. Mit einer etwas detaillierteren, tiegründigeren Betrachtung der psychoanalytischen Aspekte läge in dem Stoff noch einiges an Potential für hochklassiges Thrillerkino, welches Hitchcock für meinen Geschmack nicht ganz ausschöpfen konnte.

            Dennoch macht der Großmeister auf handwerklicher Basis einen großartigen Job.
            Cinematographisch ist "Spellbound" enorm durchdacht und stilvoll inszeniert.
            Hitchcock spielt viel mit Symboliken und Metaphern (öffnende Türen, Traumsymboliken) und inszeniert einige tolle Momente (alleine das Finale mit dem Revolver). Die surreale Traumsequenz, die von keinem geringeren als Salvador Dali erschaffen wurde, ragt hierbei nochmals heraus und dürfte als das inszenatorische Highlight des Films gelten.
            Eine wirklich gute Arbeit von Hitchcock, für meinen Geschmack auch kaum schwächer als deutlich bekanntere Klassiker wie "The Birds" oder "Rear Window".
            An die großen Meisterwerke Hitchcocks ("Psycho", "Vertigo") kommt Spellbound aber keineswegs heran.

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              Tobi_G93 09.01.2021, 12:46 Geändert 09.06.2021, 10:33

              Geniales Thriller-Frühwerk von Michael Mann.
              Für "Manhunter" (1986) nahm sich Mann Thomas Harris' Roman "Red Dragon" als Vorlage und stellte damit zugleich den ersten Versuch dar, eines der Werke des Schriftstellers zu verfilmen, wo zukünftig dann noch einige folgen sollten ("Silence of the Lambs", "Hannibal").
              Wer schon den ein oder anderen Film von Michael Mann kennen lernen durfte, weiß, dass "Manhunter" keine klassische, konventionelle Thrillerkost darstellen wird.
              Sein dritter Spielfilm erweist sich viel mehr als doppelte Charakterstudie mit Psychothriller-Anleihen, wo der Regisseur ähnlich wie in seinem späteren Magnus Opum "Heat" das Talent für nuancierte, präzise Charakterzeichnung und sein Gespür für visuelles Storytelling auf famose Weise offenbart.

              In einem auf dem ersten Blick klassischen Thrillerplot (rätselhafte Mordserie; Polizei sucht den Täter) schildert der Regisseur das destruktive Leben zweier eigentlich ganz unterschiedlicher und doch wieder sehr vergleichbarer Männerfiguren, dem ehemaligen Profiler Will Graham (William Petersen), der versucht, den Serienkiller Francis Dollarhyde a.k.a. "Zahnfee" (Tom Noonan) aufzuspüren.
              Hierfür sucht Graham helfende Unterstützung bei dem von ihm inhaftierten, kannibalistischen Serienkiller Dr. Lecktor (Brian Cox), was sich als großer Fehler erweist.
              Mann forscht mit viel Tiefgang in der Psyche seiner Figuren, insbesondere bei Hauptprotagonist Will Graham. Obwohl dieser gezeichnet durch seine Vergangenheit und den psychischen Folgen des Lecktor-Falles ist, schildert Mann die Figur Will Graham als obsessiv Getriebenen, mit der Gabe, sich in die Psyche von Killern zu begeben, die Fluch und Segen zugleich darstellt. Dadurch jedoch ein "normales", reguläres Leben mit Familie langfristig zum Scheitern verurteilt ist, da Graham seiner Obsession, Serienkiller aufzuspüren, nicht entkommen kann.
              Ungefähr ab Filmmitte rückt Mann parallel die Figur von Serienkiller Dollarhyde in den Fokus, der als relativ normaler, jedoch schwer verstörter Mensch gezeigt wird.
              Ähnlich wie Graham kann auch er nicht aus seiner Haut, seiner destruktiven Natur entkommen, gefangen in seinem Körper, seiner Psyche.

              Auf audiovisueller Ebene ist "Manhunter" schlicht purer Exzess und das bisher stylischste, gesichtete Werk von Mann.
              Die famose Inszenierung und der Style ist allerdings keineswegs selbstzweckhaft, sondern ein perfektes Beispiel von "Visual Storytelling", wo beinah jeder einzelne Frame Substanzielles enthält, mal subtiler Art, mal völlig klar und eindeutig.
              So dient beispielsweise die kühl-sterile Architektur der Gebäudeinnenräume als clevere Bebilderung, um das "Gefangensein" der Protagonisten in ihrer Natur, in ihren Obsessionen visuell zu veranschaulichen.
              Ein großartiger Film, der auf interessante Weise die vergleichbaren Motive aus Manns weiteren, genialen Werken wie "Thief" und "Heat" gekonnt variiert.
              Ein zweistündiger Eyegasm.

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                Tobi_G93 07.01.2021, 13:48 Geändert 07.01.2021, 15:49

                Wuchtig-grimmiges Westerndrama in winterlicher Alpenkulisse vom österreichischen Regisseur Andreas Prochaska, der zuvor schon mit seinen beiden "In drei Tagen bist du tot"-Filmen relativ ordentliche Vertreter deutschsprachigen Horrors auf die Beine stellen konnte.
                Qualitativ hat sein Ausflug ins Westerngenre aber nochmals deutlich mehr zu bieten.
                Sein düsteres Racheepos "Das Finstere Tal" (2014) glänzt mit beunruhigend-bedrückender Atmosphäre, sehr fähigem Schauspiel und einer zwar geradlinigen, jedoch sehr intensiv vorgetragenen Geschichte.
                In kontrastarmen, trist-düsteren Aufnahmen der winterlichen Berglandschaft (Schauplatz Südtirol) treibt Prochaska seine beinah archaische Rachegeschichte geradlinig-reduziert voran, etabliert die wichtigsten Charaktere zwar ausführlich, jedoch teilweise etwas zu einseitig, wodurch die ein oder andere Figur vieleicht eine Nuance zu wenig ambivalent gezeichnet wird.
                Mit Hilfe der bedrohlich wummernden Tonspur und einigen durchaus brutalen Momenten (FSK 12 ?? WTF) entwickelt Prochaska trotz des durchgängig sehr geringen Tempos eine brodelnde, stetig anschwellende Sogkraft, was in einem genialen Showdown mündet, der in seiner blutigen Kompromisslosigkeit deutliche Erinnerungen an Peckinpahs "The Wild Bunch" hervorruft.
                "Das Finstere Tal" ist ein hochspannender, dramatischer Film, der die Genrekonventionen des Westerns überzeugend in ein alpines Setting überträgt und kleinere Schwächen nur marginal ins Auge fallen.
                So muss deutschsprachiges Kino aussehen.

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                  Tobi_G93 06.01.2021, 13:41 Geändert 30.11.2023, 13:38

                  "Behold, I give you Equus, my only begotten son."

                  Wenn von Sydney Lumets besten Arbeiten gesprochen wird, so werden zurecht frühe Meisterwerke wie "12 Angry Men", "Serpico" oder auch das brilliante Spätwerk "Before The Devil Knows you´re Dead" zuallererst genannt.
                  "Equus" (1977) wird hierbei leider kaum eine Erwähnung finden, denn der Film scheint immer noch relativ unbekannt zu sein (auch hier im Forum gibt es nicht viele Kommentare zum Film).
                  Zweifellos zu Unrecht, denn das höchst intensive, abgründige Psychodrama gehört qualitativ locker zu Lumets besten Werken und ist für meinen Geschmack vielleicht sogar sein interessantester Film.

                  Der bisher unauffällige Stallbursche Alan Strang (Peter Firth) hat in einem Anfall plötzlichen Wahnsinns sechs Pferde mit einer Sichel geblendet.
                  Psychiater Dr. Dysart (Richard Burton) wird gebeten sich dem Fall anzunehmen und soll die Hintergründe der Tat klären.
                  Dabei wird der ausgebrannte Psychiater mit geheimnissvollen sexuellen Begierden und religiösem Wahnsinn konfrontiert, wodurch er schlussendlich mehr und mehr auch mit seinen eigenen Dämonen ringen muss...

                  Der auf dem gleichnamigem, britischem Theaterstück von Peter Shaffer basierende Film wurde von Lumet u.a. aufgrund der sexuell irritierenden, abgründigen Thematik in Großbrittanien gedreht.
                  Einleuchtend, denn in Hollywood wäre der kontroverse Stoff so sicherlich nicht durchgewunken worden.
                  Schon mit der ersten Szene, die an einem chronologisch späteren Zeitpunkt verortet ist, wird Lumets experimentelle Inszenierung deutlich. Er lässt Richard Burton die vierte Wand durchbrechen, indem sich der Psychiater in Form von aufgebrachten, aber auch hadernden Monologen an das Publikum wendet, um u.a. seinen moralischen Zwiespalt zu erörtern, was fortlaufend mehrmals als Stilmittel verwendet wird.
                  Psychiater Dr. Dysart versucht die grausame Tat des Stallburschen Alan Strang aufzuklären und bringt dabei nach und nach eine beänstigende, bizarre Geschichte aus Mythos und Wahnsinn, verqueren Religionsausübungen und äußerst irritierenden sexuellen Neigungen ans Tageslicht.
                  Je näher er der Lösung des Falles kommt, desto stärker hinterfragt er sein eigenes Leben, insbesondere aufgrund seiner unerfüllten, leidenschaftslos geführten Ehe.
                  Höchst ambivalent diskutiert der Psychiater die absurde, jedoch stark lodernde Leidenschaft des Stallburschen, die alles andere als normal ist, aber dennoch für ihn Alles ist. Ihn dabei aber auch gleichzeitig zerstört. Eine Leidenschaft, die der Psychiater in seinem Leben niemals hatte.
                  Ein (fast) vergessenes Meisterstück von Sydney Lumet, selten hat man dem Wahnsinn so tief ins Auge geblickt.

                  "He won't gallop anymore, and - horses will be quite safe."

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                    Tobi_G93 05.01.2021, 13:37 Geändert 06.01.2021, 13:51

                    Ausgesprochen lässige Gangsterkomödie, die der zuvor nur als Werbefilmer tätige Guy Ritchie mit seinem Regiedebüt auf die Beine stellen konnte.
                    "Lock, Stock and Two Smoking Barrels" (1998) ist für meinen Geschmack sogar bis heute das gelungenste Werk des Regisseurs, da es jegliche Stärken Ritchies perfekt nuanciert und doch herrlich ungezügelt auf den Punkt bringt.
                    Ein clever ausgeklügeltes Drehbuch, eine schwarzhumorige Kriminalgeschichte im Londoner Gangstermillieu, durchgängig verdammt coole Dialoge und schlicht wahnsinnig unterhaltsam.

                    Der anfänglich episodisch angelegte Plot führt die unterschiedlichen Gruppierungen aus Drogendealern, verschrobenen Gangsterbossen und tolpatschigen Kleinkriminellen äußerst smooth und gekonnt ein, die Verwirrung zu Beginn stört durch Ritchies lässige, leicht experimentelle Inszenierung kein Bisschen.
                    In der Folge führt der Regisseur die unterschiedlichen Handlungsstränge Stück für Stück zusammen, lässt die irrwitzige Geschichte immer stärker eskalieren und übertrifft sich mit dem brachial-groteskem letztem Drittel zwischen brutalen Schießereien und bitteren Konsequenzen nochmals selbst.
                    Dass die Figurenzeichnung der meisten Charaktere relativ spärlich und dünn geraten ist, kann man wenn man möchte als einzigen größeren Wermutstropfen ausmachen, hat mich allerdings bei dieser Art Film wenig gestört.
                    Immer noch eine der besten Gängsterkomödien und bis heute Guy Ritchies Magnus Opum.

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                      Tobi_G93 02.01.2021, 12:33 Geändert 06.01.2021, 13:52

                      Äußerst mysteriöser, surrealer und bisweilen gar unheimlicher Psychothriller von Regisseur Jeff Baena, der damit zugleich ein (seltenes) Beispiel für eine gelungene Netflix-Produktion umsetzen konnte.
                      In "Horse Girl" (2020) verliert die junge, schüchterne Frau Sarah (Alison Brie) scheinbar immer mehr den Bezug zur Realität, die bizarren Auswüchse ihrer Wahrnehmung erlebt das Publikum durch die konsequent subjektive Innenperspektive Sarahs zusammen mit der Hauptfigur mit.
                      Nach einem trügerischen ersten Drittel, welches die Protagonistin und ihr Umfeld engagiert aber beinah etwas zu langatmig einführt, häufen sich die rätselhaften Vorkommnisse.
                      Merkwürdige Schlafwandelattacken, Albträume mit Einfluss auf die Realität, unmögliche Zeitdehnungen und aberwitzige Verschwörungstheorien lassen den Zuseher immer stärker am Verstand der Hauptfigur zweifeln. Was anfangs noch teilweise erklärbar und harmlos erscheint, steigert sich fortlaufend immer deutlicher zu einem ausgesprochen beunruhigenden Seherlebnis.
                      Spätestens im letzten Drittel löst Baena schließlich jegliche Logik und Rationalität auf, verwischt die Grenzen von Wahn und Wirklichkeit, Raum und Zeit auf erschreckend radikale Weise (fast schon lynchesk) und entfacht einen desorientierenden, alptraumhaften Rausch mit nicht geringem Mindfuck-Faktor.
                      #Kleiner Spoiler#
                      Bewusst vage und mehrdeutig lässt der Regisseur dabei für seine Geschichte einiges an interpretativem Freiraum.
                      Je nach Sichtweise stellt "Horse Girl" womöglich eine Metapher für eine psychische Krankheit dar (wo die Wahrnehmung von Realität und Einbildung sowie das Zeitempfinden gestört ist) oder es handelt sich um einen bizarren, vage skizzierten Science-Fiction Thriller über eine absurde Alien-Verschwörung (zugegeben etwas unwahrscheinlicher).
                      #SpoilerOff#
                      Absolut gelungener, surrealer Mindfuck-Geheimtipp aus dem Hause Netflix.

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                        Tobi_G93 31.12.2020, 13:43 Geändert 31.12.2020, 15:25

                        Toll inszenierter, stimmungsvoller Neo-Noir Rachethriller von Steven Soderbergh, der hier für mich zusammen mit dem starken Drogendrama "Traffic" seine beste Regiearbeit abgeliefert hat.
                        Der Engländer Wilson (Terence Stamp), ein gealterter, englischer Gangster fliegt nach seiner Haftentlassung nach L.A., um mehr über den Tod seiner Tochter herauszufinden. Im sonnendurchfluteten Los Angeles stößt er auf einen schmierigen, kriminellen Plattenproduzenten (Peter Fonda), der wohl in die Sache verwickelt zu sein scheint.

                        "The Limey" (1999) überzeugt insbesondere mit dem "Wie" als mit dem "Was", denn Soderberghs relativ geradlinige, unspektakuläre Rachegeschichte ist sicherlich nicht sonderlich komplex, wird mit dem leicht experimentellen Inszenierungsstil aber genial unkonventionell umgesetzt.
                        Die ungewöhnliche Schnitttechnik mit fragmentarischen Rückblenden, einer oftmals asynchronen Bild- und Tonsetzung sowie subtilen Vermischungen von Einbildung und Realität erweist sich nicht nur als nette Spielerei, sondern als sinnvolles Stilmittel, die der klassischen, schon oftmals gesehenen Rachegeschichte einen individuellen Anstrich verpasst und dadurch erst den eigentlichen Reiz des Films ausmacht. Denn durch die eigenwillige Inszenierung muss das Publikum im asoziativen Fluss des Films die Geschichte selbst zusammensetzen und eventuelle Lücken füllen.
                        In Sachen Emotionalität hat "The Limey" bei mir allerdings nicht sonderlich punkten können, die Atmosphäre gestaltet sich ausgesprochen kühl und der dramatische Aspekt der Geschichte wird nur teilweise ausgeschöpft.
                        Summa sumarum ein dennoch sehr gelungener Thriller, herausragend inszeniert und toll gespielt.

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                          Tobi_G93 25.12.2020, 13:44 Geändert 03.01.2021, 13:19

                          "Behold I send you out as sheep amidst the wolves."

                          Der Teufel lebt unter uns, sitzt in einer New Yorker Anwaltkanzlei von Strafverteidigern, als Kopf der Kanzlei hält er alle Fäden in der Hand.
                          Über 60 Fälle konnte Strafverteidiger Kevin Lomax (Keanu Reeves) in Florida für sich gewinnen. Deshalb möchte die einflussreiche sowie zwielichtige New Yorker Anwaltskanzlei des charismatischen John Milton (Al Pacino) den aufgehenden Staranwalt für sich gewinnen.
                          Die Versuchung von Erfolg und Macht leitet ihn dazu das folgenschwere Angebot anzunehmen.

                          "The Devil´s Advocate" von Regie-Altmeister Taylor Hackford ist ein toller Thriller aus den 90ern zwischen klassischem Justizthriller und übernatürlichem Mysteryflick, äußerst stimmungsvoll und schauspielerisch herausragend.
                          Handwerklich erweist sich Hackfords Regiearbeit auf durchweg überdurchschnittlichem Niveau.
                          Sein Plot ist vielleicht mit 140 Minuten Spielfilmlänge ein wenig zu lange geraten, narrativ geht Hackford dennoch ausgesprochen clever und durchdacht vor.
                          Den Hauptfiguren wird genug Zeit gelassen um sich zu entfalten, mit einigen Zweideutigkeiten und verschiedenen Andeutungen wird die Spannung und der Mysteryaspekt durchweg hoch gehalten.
                          Den Schauplatz New York setzt Hackford dabei sehr atmosphärisch und ambivalent in Szene.
                          Die Schönheit und das malerische Panorama New Yorks halten sich gekonnt die Waage mit einem brodelnd-bedrohlichem Unterton, den der Regisseur mit seiner Symbolik aus religiösen und übernatürlich-mystischen Elementen mehrdeutig und durchdacht in seinen Bildern transportiert.
                          Überragend gestalten sich dabei zweifellos die schauspielerischen Leistungen.
                          Al Pacino stellt seine Mephisto-Figur John Milton mit einem ausgesprochen charismatischem Auftreten und einer gleichzeitig konstant bedrohlichen Aura herausragend dar und ist sicherlich als das Highlight des Films zu werten.
                          Keanu Reeves kann als angfänglich arrogant wirkender Anwalt Kevin Lomax, der im Filmverlauf eine klare Entwicklung vollführt, ebenso brillieren und liefert eine beinah ebenwürdige Perormance.
                          Im Gesamten würde ich "The Devil´s Advocate" nicht ganz als Meisterwerk bezeichnen, da der letzte Funke etwas fehlt (beispielsweise der thematisch ähnlich gelagerte "Angel Heart" von Alan Parker konnte aus vergleichbarer Thematik eine deutlich verstörendere Wirkung und mehr Mindfuck Potential ausschöpfen).
                          Ein richtig starker Thrillervertreter der 90er ist das hier aber zweifellos.

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                            Tobi_G93 24.12.2020, 14:10 Geändert 24.12.2020, 14:11

                            Überraschend gelungener Vertreter (bezogen aud die Durchschnittsbewertung hier im Forum) des Home- Invasion Terrors, den Regisseur David Morlet mit "Home Sweet Home" (2013) serviert.
                            Insbesondere in der ersten Filmhälfte weiß der Regisseur mit einer interessanten, angenehm frischen sowie beunruhigenden Grundprämisse zu überraschen.

                            In irritierend langsamen Aufnahmen fängt die Kamera zu Beginn die Innenräume eines Hauses ein, welches sich im Verlauf als die Wohnung eines Paares herausstellt.
                            Eine phantomartige Gestalt, deren Gesicht lange Zeit verborgen bleibt (u.a. durch Unschärfen, später mit Maske), verschafft sich unerlaubt Zutritt.
                            Mit abgebrühter Ruhe und beängstigender Routine setzt der Einbrecher seinen für das Publikum vorerst unbekannten Plan um, inspiziert intime Photos und Kleiderschränke, während die eigentlichen Hausbesitzer abwesend sind und nichtsahnend in Bälde zurückkehren.
                            Bis zur unausweichlichen Konfrontation mit den Hausbesitzern setzt Morlet seine Grundprämisse inszenatorisch durchaus eindrucksvoll um, erschafft eine beänstigende, unbehagliche Stimmung, die vor sich hin brodelnd jederzeit eskalieren könnte.
                            Als sich dann der mysteriöse Unbekannte an dem verheirateten Paar vergreift, spult Morlet das klassische, oftmals schon gesehene Terrorspiel ohne große Innovationen herunter, wodurch zur starken ersten Hälfte schon ein klarer qualitativer Abfall zu spüren ist.
                            Auch gegen Ende, als sich der Einbrecher vorerst viel zu simpel und letztendlich unglaubwürdig überrumpeln lässt, bleibt der Film insgesamt etwas unrund sowie uninspiriert, wobei Morlet wenigstens noch den ein oder anderen derb-blutigen Moment einbaut.
                            Schlussendlich vor allem wegen dem starken Beginn ein ordentlicher Home-Invasion Terror, durch die deutlich schwächere zweite Hälfte reicht es allerdings keineswegs für höhere Wertungen.

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                              Tobi_G93 19.12.2020, 12:26 Geändert 19.12.2020, 14:00

                              Atmosphärisch herausragender Giallo-Klassiker vom italienischen Altmeister Dario Argento.
                              "Profondo Rosso" oder "Deep Red" (1975) gilt ja als einer der wichtigsten Gialli und das sicherlich nicht von ungefähr. Argento perfektioniert hier den zuvor schon in seinen vorigen Werken angedeuteten Stil und liefert mit dem Arrangement aus audiovisueller Perfektion, expliziten Morden, schwarzem Humor und einer etwas kruden Kriminalgeschichte seine bis dato beste Arbeit.
                              Der eigentliche Kriminalplot ist dabei im Grunde nicht der Rede wert und einigermaßen unsinnig, argentotypisch überzeugt "Profondo Rosso" daher mehr mit dem "Wie" als mit dem "Was".
                              Die Laufzeit von über zwei Stunden ist für die Geschichte grundsätzlich auch deutlich zu lang ausgefallen, wobei Argento mit einem für die Lauflänge überraschend ausgefeiltem Spannungsbogen, erstaunlich glaubwürdigen Charakteren und der atemberaubend atmosphärischen Inszenierung größere Längen zu verhindern weiß.
                              Gerade handwerklich ist der Italiener schlicht ein Meister seines Fachs.
                              Mit ausdrucksstarker, bis aufs Detail durchdachter Cinematographie, beunruhigenden Kamerafahrten, sehr stimmungsvollen Sets in einem ausgesprochen düster eingefangenem Rom und derb-blutigen Mordsequenzen erschafft er eine schwelend-bedrohliche, gar alptraumähnliche Atmosphäre mit konstant einehmender Sogwirkung.
                              Der irritierend-beunruhigende Goblin-Soundtrack leistet hierbei noch sein Übriges.
                              Audiovisuell atemberaubend, die narrativen Schwächen mitsamt Logikproblemen sind deshalb nur kleine Wermutstropfen, die kaum ins Gewicht fallen.
                              Stark

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                                Tobi_G93 14.12.2020, 12:00 Geändert 14.12.2020, 15:00

                                Das Ende der Jugend in Sunshine Hill.
                                Der australische Film "Beautiful" (2009) ist eine unausgegorene und nicht sonderlich packende Mixtur aus Coming of Age Drama, Psychothriller und giftiger Gesellschaftssatire, wo die heile Fassade einer australischen Vorstadt als Fake entlarvt wird und das Grauen dahinter frei gelegt wird.
                                Regisseur Dean O´Flaherty wandelt dabei recht deutlich auf den Spuren von thematisch vergleichbaren Klassikern wie "Society" und insbesondere Lynchs Thrillerdrama "Blue Velvet", an dessen Storyverlauf sich hier klar orientiert wurde.
                                Qualitativ kann O´Flaherty dabei keinesfalls mithalten, dennoch sammelt "Beautiful" auch den ein oder anderen Pluspunkt.
                                Inszenatorisch wurde hier durchaus ordentliche Arbeit verrichtet, insbesondere die äußerst atmosphärischen, blaustichigen Nachtaufnahmen können sich absolut sehen lassen.
                                Auch die Schauspielleistung des jugendlichen Hauptprotagonisten erweist sich als durchweg überdurchschnittlich, wobei die weiteren Darsteller dagegen teilweise ziemlich hölzern agieren.
                                Ohne besonders ausgefeiltem Spannungsbogen und großen inhaltlichen Innovationen kurbelt O´Flaherty seinen woanders schon oftmals stimmiger umgesetzten Plot geradlinig herunter, wirklich uninteressant oder gar ärgerlich wird es dabei allerdings nicht.
                                Mit dem ausgesprochen intensiven, verstörend-nihilistischen Showdown wird dann sogar ein kleines Highlight gesetzt, das allerdings in seiner übertrieben fiesen Konsequenz fast schon "Over The Top" wirkt.
                                Nicht wirklich schlecht, aber etwas belanglos.

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                                  Tobi_G93 11.12.2020, 14:48 Geändert 11.12.2020, 20:22

                                  Ordenlich gespielter und recht schick inszenierter Neo-Noir Copthriller in unterkühter 90er Atmosphäre, der mit erstaunlich prominenten Cast daherkommt.
                                  "China Moon" (1994), das Spielfilmdebüt von Regisseur John Bailey, bietet eine nicht sonderlich komplexe, jedoch größtenteils interessante Geschichte, die mit einigen schönen Suspense-Momenten (samt deutlicher Parallelen zu Hitchcocks "Vertigo") zumeist gut unterhalten kann.

                                  Nach einem etwas zähen Einstieg kurbelt Bailey seinen relativ klassischen Noir-Plot handwerklich einwandfrei, stimmungsvoll und recht packend herunter, ohne sonderlich innovativ zu sein.
                                  Ein prinzipiell gutmütiger Cop (Ed Harris) beginnt eine verhängnisvolle Affäre mit einer undurchsichtigen sowie verheirateten Femme Fatale (Madeleine Stowe), was sich fortschreitend als folgenschwerer Fehler mit fatalen Auswirkungen für den verliebten Polizisten erweist.
                                  Mit relativ ruhiger und unaufgeregter Erzählweise lässt sich Bailey einige Zeit, seinen Hauptcharakter und dessen Umfeld einigermaßen engagiert zu etablieren.
                                  Leider konzentriert er sich dabei fast zu stark auf seinen Hauptprotagonisten, denn die Charakterzeichnung der weiteren Figuren gestaltet sich ausgesprochen dünn und spärlich, wodurch einiges an Potential liegen gelassen wird.
                                  Auch die finale Pointe, die den vorangegangenen Plot in einem ganz anderen Licht stehen lässt, ist nur so semi-überzeugend geraten und bei genauerer Betrachtung keineswegs sonderlich glaubwürdig umgesetzt.
                                  Dennoch würde ich Freunden der gepflegten (B-Movie) Thrillerunterhaltung eine vorsichtige Empfehlung aussprechen.

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                                    Tobi_G93 09.12.2020, 14:35 Geändert 09.12.2020, 20:27

                                    "The Game" (1997) hat mich nach der Zweitsichtung abermals mit einem wahnsinnig frustrierendem Gefühl zurückgelassen.
                                    Denn lange Zeit befindet sich Finchers dritter Spielfilm auf sehr hohem Niveau, ehe er in den letzten Minuten leider beinah vollständig in sich zusammenfällt.
                                    Aber Alles der Reihe nach.
                                    Der stinkreche, arrogante Investment-Banker Nicolas Van Orten (Michael Douglas) erhält von seinem Bruder Conrad (Sean Penn) ein merkwürdiges Geschenk:
                                    Es handelt sich um ein ominöses "Spiel", welches die Firma „Consumer Recreation Service“ (CRS) ihren Kunden anbietet.
                                    "Es ist so als würde man nicht selbst in die Ferien fahren, die Ferien kommen zu einem", so einer der CRS-Mitarbeiter.
                                    Widerwillig lässt Nicholas die notwendigen Gesundheitstests über sich ergehen, obwohl er selbst keinerlei konkrete Vorstellungen hat, was das mysteriöse Spiel eigentlich genau sei.

                                    Dieses Grundsetting ist prinzipiell enorm reizvoll und birgt enormes Potential für hochklassiges Spannungskino, welches Meisterregisseur David Fincher auch für sehr lange Zeit im Grunde maximal ausschöpft.
                                    Nach gelungener, angemessen ausführlicher Einführung des Hauptprotagonisten Nicolas Van Orten und dessen Welt und Umfeld, schickt er Nicolas in einen beängstigenden, unheimlichen Strudel aus Paranoia und Kontrollverlust.
                                    Erste merkwürdige, verwirrende Ereignisse, die für den zynischen Bankier kaum zu erklären sind.
                                    Ist das jetzt das angekündigte Spiel?
                                    Oder hat es damit gar nichts zu tun?
                                    Oder ist die seltsame Firma CRS nur Fake und Verbrecher wollen ihm an den Kragen?
                                    Praktisch frei von jeglichen Längen hetzt Fincher seinen Hauptprotagonisten durch ein ausgesprochen düsteres San Francisco, treibt ihn gnadenlos in die Enge, er scheint bald gar in Lebensgefahr zu schweben.
                                    Wie die Ratte im Labyrinth, gegen einen schier übermächtigen Gegner ankämpfend.
                                    Finchertypisch ausgesprochen stimmungsvoll und mit feinem Gefühl für Dramaturgie und konstant anschwellender Spannungskurve.

                                    Aber...
                                    Indem fast bis zum Ende wenig Hinweise auf die ganzen offenen Fragen verteilt werden, erscheinen lange Zeit mehrere Erklärungen für die beunruhigenden Ereignisse möglich.
                                    Mit der schlussendlichen Pointe wählt Fincher leider die mit Abstand unbefriedigendste Variante, wodurch der ganze vorangegangene Plotverlauf rückblickend einige Logiklöcher offenbart und einfach nur absurd unglaubwürdig erscheint.
                                    Dem nicht genug, formuliert Fincher im Zuge dessen äüßerst fragwürdige und im Grunde total bescheuerte Moralvorstellungen bezogen auf die Geschichte aus, die mich fast schon sprachlos machen.
                                    ##Spoiler##
                                    Ganz ehrlich, hier hätten locker mehrere Menschen ums Leben kommen können, wie kann Fincher diese lebensgefährliche Hetzjagd positiv verkaufen. Nicolas bedankt sich für diese furchtbaren, gefährlichen Ereignisse auch noch. Hat ja Spaß gemacht.
                                    Komm hör auf. Fincher, das war nix.
                                    ##Spoiler Off##
                                    Bis zum finalen Showdown ein toller Thriller, durchgehend packend und ausgesprochen stimmungsvoll.
                                    Über die letzten zehn Minuten hüllen wir lieber den Mantel des Schweigens.
                                    6 von 10 Bullshit-Pointen

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                                      Tobi_G93 08.12.2020, 13:13 Geändert 24.07.2021, 16:10
                                      über Caché

                                      Was ein bizarrer und beunruhigender Streifen.
                                      In "Cache" (2005) gerät die scheinbar heile Welt einer Pariser Upperclass-Familie aus den Fugen, als ein Unbekannter beginnt, die Familie mit mysteriösen Videobändern und Drohanrufen zu terrorisieren.
                                      Diese Grundprämisse erinnert insbesondere zu Beginn an Lynchs surrealen Höllentrip "Lost Highway", wobei "Cache" seinen Fokus und weiteren Verlauf in deutlich andere Bahnen lenkt.
                                      Der berüchtigte österreichische Regisseur Michael Haneke widmet sich auch hier wieder einer seiner Lieblingsthemen, nämlich dem Verhalten von Menschen in Ausnahmesituationen.

                                      Mit welch puristischer Strenge der Regisseur hier seinen Film umsetzt, ist bemerkenswert und bisweilen problematisch zugleich.
                                      Der enorm ruhige, entschleunigte und beinah dokumentarische Inszenierungsstil kündigt sich schon mit einem ausgesprochen ungewühlichem Intro an.
                                      Wir sehen eine zwei Minuten lange, statische Einstellung auf einer Straße mit Blick auf einen Wohnblock, was sich in der Folge als Aufnahme einer Kamera entpuppt, die der Familie zugespielt wurde.
                                      Zugleich eröffnet sich hier auch schon ein kleineres Leitmotiv des Films, wo desöfteren die Grenzen der filmischen Realität und der Videoaufzeichnungen, die abgespielt werden, verwischen.
                                      Die anfängliche Grundprämisse dient Haneke mit fortschreitender Laufzeit mehr als Katalysator, um die scheinbar heile Familienidylle zu erschüttern, Misstrauen zu stiften und damit die Fragilität familiärer Strukturen offen zu legen.
                                      Mit einer kleinen Wendung etwa zur Filmmitte, erweitert Haneke seine Geschichte um ein weiteres, brisantes Motiv, nämlich der Schuld.
                                      Egal wie lange ein Ereignis bereits vergangen ist und komplett verdrängt wurde, es holt dich irgendwann ein, mit entsprechend schrecklichen Konsequenzen zur Folge.
                                      Dies macht Haneke fortlaufend unmissverständlich klar.

                                      Hanekes Inszenierungsstil weist dabei kaum Spannungsmomente auf und bleibt durchgehend reduziert, extrem nüchtern und vor allem tempoarm.
                                      Hier hätte ich mir manchmal eine etwas "thriller-mäßigere" Umsetzung gewünscht, um noch etwas mehr Wirkung zu erzielen (in den wenigen, mysteriösen Flashbacks ging es sogar in so eine Richtung).
                                      Insofern würde ich "Cache" deshalb mehr als Familiendrama/Psychodrama einordnen, die anfänglichen Mysteryelemente dienen mehr als Werkzeug für Hanekes eigentlichen Fokus, der Familiendekonstruktion.
                                      Dies wird von der sehr rätselhaften, uneindeutigen Schlusseinstellung nochmals bekräftigt, die enorm viel Spielraum für Interpretationen lässt und kaum Licht hinter die mysteriösen Vorkommnisse mit den Videobändern bringt.
                                      Dennoch ein ungemein beunruhigendes, zermürbendes Seherlebnis.

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                                        Tobi_G93 07.12.2020, 12:12 Geändert 07.12.2020, 20:13

                                        Die Horrorvariante von "Inception".
                                        Dem in Indien geborenem Tarsem Singh gelingt in seinem Regiedebüt "The Cell" ein optisch atemberaubendes Werk, welches (nicht nur) hier im Forum recht kontrovers aufgenommen wird.
                                        Wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht, denn sein polarisierender Thriller bewegt sich mit seiner berauschenden Audiovisualität teilweise ganz bewusst in "Style-Over-Substance" Regionen, während die wenig komplexe und reduzierte Rahmenhandlung nicht ganz mit der Optik des Films mithalten kann.

                                        Singhs Debütfilm weiß allerdings schon von Beginn an das Publikum mit einem eindrucksvollen Intro in seinen Bann zu ziehen, wo er schon frühzeitig den surrealen Vibe, der mit fortschreitender Laufzeit immer stärker in den Vordergrund rückt, stimmig etabliert.
                                        Die anfängliche Grundprämisse um einen psychopathischen Serienkiller (stark: Vincent D’Onofrio) gestaltet sich sicherlich nicht sonderlich komplex und wirkt mehr wie ein uninspirierter Abklatsch von Filmen wie "Seven" oder "Silence of the Lambs", wobei Singh hier schon in einzelnen Momenten eine verstörende Intensität aufzubauen vermag (Stichwort: Body Modification).

                                        Dennoch dient die Rahmenhandlung des Kriminalplots als sinnvolles Setting für Singhs eigentlichen Fokus.
                                        Eine neuartige Technik der Gedankenübertragung ermöglich es Psychiaterin Catherine Deane (Überraschend ordentlich: Jennifer Lopez), virtuell in die Gedankenwelt anderer Personen zu reisen.
                                        Nachdem der Killer recht unspektakulär gefasst wurde, ist die letzte Hoffnung mittels Reise in das Unterbewusstsein des Killers den Aufenthaltsort des letzten Opfers, einer jungen Frau, herauszufinden, die nach 40 Stunden ertrinken wird.
                                        Diese Reisen ins Unterbewusstsein des Killers weiß der Regisseur eindrucksvoll und audiovisuell brilliant in Szene zu setzen.
                                        Singh erschafft surreal-alptraumhafte Welten zwischen betörender Schönheit und blutig-bizarrer Verstörung.
                                        Dies verkommt allerdings nicht zum reinen Selbstzweck.
                                        Metaphorisch-asoziativ werden Traumata, psychisches Leiden oder die Verarbeitung seiner grauenvollen Taten sinnvoll in den Fokus gerückt.
                                        Die schlussendliche Suche nach Hinweisen zum Aufenthaltsort des Opfers, lange Zeit eher in den Hintergrund gerückt, erweist sich schlussendlich dann schon deutlich zu simpel und banal, auch das Ende war mir fast etwas zu versöhnlich und inkonsequent.
                                        Dennoch insbesondere durch die großartige Audiovisualität, die deutlich sinnvoller und thematisch passender eingesetzt wird als es oftmals kritisiert wird, schon ein guter Thriller, ohne jemals in Meisterwerk-Regionen vorzustoßen.

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                                          Tobi_G93 04.12.2020, 17:44 Geändert 07.12.2020, 16:46

                                          Kleiner, solider und anschaulich inszenierter Psychothriller aus Schweden, wo es einen jungen Studenten u.a. wegen seiner Einsamkeit in den eigenen vier Wänden in den Wahnsinn treibt.
                                          "Corridor" (2010) erinnert desöfteren an den subtilen Großstadt-Psychohorror eines Roman Polanski (insbesondere "Ekel" und "Der Mieter"), wobei er niemals dessen atmosphärische und subtanzielle Dichte aufweist.

                                          Das Regio-Duo Johan Lundborg und Johan Storm legen ihren Debütfilm als klaustrophobisches Kammerspiel an, das mit einer geringen Anzahl an Protagonisten und Schauplätzen aufwartet und dennoch in seinem minimalistischem Setting einen schleichend entwickelnden Sog erzeugen kann.
                                          Die scheinbare Bedrohung entwickelt sich langsam, wird aber stetig greifbarer, allerdings nicht die Ursache hierfür.
                                          Denn die Wahrnehmung des Hauptprotagonisten erscheint frühzeitig als fragiles Konstrukt.
                                          Unerklärliche Geräusche, unklare Wahrnehmungsverzerrungen, labyrinthartig anmutende Wohnhausflure und Treppenhäuser und ein durchgängig irrationales Verhalten des Hauptprotagonisten.
                                          Paranoia und psychischer Zerfall als Folge.
                                          Die Regisseure bleiben hierbei bis zuletzt recht vage und uneindeutig, verweigern schlüssige Erklärungen sondern bieten Einiges an interpretativem Freiraum, was ich meist sehr schätze.
                                          Inszenatorisch und schauspielerisch auf ganz ordentlichem Niveau, lebt der Film häuptsächlich von seiner beunruhigenden, gar alptraumhaften Stimmung, die durchweg während der knackigen Laufzeit von ca. 75 Minuten aufrecht erhalten wird.
                                          Im großen Ganzen sicherlich keine große Offenbarung, für Freunde des subtilen Psychothrills allemal einen Blick wert.

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                                            Tobi_G93 03.12.2020, 12:41 Geändert 03.12.2020, 14:24

                                            Ähnlich wie das vorangegangene, geniale Thrillerdrama "A Simple Plan" steht auch Sam Raimis darauf folgendes Werk "The Gift" (2000) deutlich im Schatten seiner kultigen Frühwerke und der späteren Spider-Man Reihe.
                                            Deutlich zu Unrecht, denn Raimis Ausflug ins Mysterygenre kann sich absolut sehen lassen. Irgendwo zwischen übernatürlich angehauchtem Mysterythriller, bizzarem Kleinstadtportait und klassicher Kriminalgeschichte versteht es der Regisseur einen duchweg spannenden, faszinierenden aber zum Teil auch kruden Plot zu entspinnen.

                                            Wie auch der Vorgängerfilm besticht "The Gift" vor allem durch seine stimmungsvolle, einnehmende Inszenierung.
                                            Wo Raimi seinen zwei Jahre zuvor gedrehten Nordstaaten-Thriller mit frostig-kalten Bildern in Szene gesetzt hatte, verlagerte er sein nächstes Werk in den Süden.
                                            Während tagsüber die sumpfig-schwülen Landschaften der Südstaaten in verschwitz-deliriösen Aufnahmen eingefangen werden, findet er nachts dagegen immer wieder unheimliche, beunruhigende Momente zwischen nebelverhangenener Dunkelheit und düsteren Gemäuern.
                                            Zum Teil erinnernd an David Lynchs geniale Serie "Twin Peaks", lauert auch hier hinter der Fassade der portraitierten Kleinstadt ein düsterer Ort aus mystischen Vorkommnissen und abgründiger Gewalt, vollgepackt mit verschrobenen, kaputten Gestalten.

                                            Hauptprotagonistin Annie Wilson (Cate Blanchett), Hellseherin und Therapeutin (oder für manche eben Hexe), ist die (letzte) gute Seele des Ortes und versucht mit Hilfe ihrer (übernatürlichen) Gabe, den Mord an einer jungen Frau aufzuklären.
                                            Ihre Versuche, dem Verbrechen mit ihrer hellseherischen Fähigkeit auf die Spur zu kommen, inszeniert Raimi als unklare, alptraumhafte Flashs, die ihr immer wieder unvermittelt als Visionen erscheinen.
                                            Hierbei lässt der Regisseur schon frühzeitig mehrmals subtil Realität und Wahn verschwimmen, wodurch seinem Film durchgehend eine leicht surreale, deliriöse Note verliehen wird.
                                            Der überraschend prominente Cast liefert dabei durchgehend zufriedenstellend ab, wo insbesondere Cate Blanchett als Hauptprotagonistin und Keanu Reeves als aggressiver Psychopath hervorstechen.
                                            Angenehm unkonventioneller, aber auch eigenwilliger Thriller.

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                                              Tobi_G93 02.12.2020, 14:05 Geändert 02.12.2020, 16:44

                                              "Diese verdammten Krähen, die warten ständig darauf, dass irgendein Tier stirbt, um etwas essen zu können – was für ein merkwürdiger Job."
                                              Aber dieses Geld da, das ist unsere Chance, die Chance unseres Lebens.

                                              Naja, wohl eher nicht.
                                              Sam Raimis "A Simple Plan" ist gerade bezogen auf seine Qualität relativ unbekannt, was nach der Sichtung doch überrascht, denn hier versteckt sich ein tolles Juwel des 90er Jahre Thrillerkinos.
                                              Bei seinem zusammen mit dem ersten "Evil Dead" wohl stärkstem Werk handelt es sich um ein atmosphärisch herausragendes sowie stellenweise bitterböses Thrillerdrama mit Neo-Noir Anleihen, welches insgesamt deutlich mehr über die menschliche Natur aussagt, als man es sich wohl selbst eingestehen möchte.

                                              Den anfänglichen Geldfund der drei Männer (mit leichten White-Trash Tendenzen) verwendet Raimi als Katalysator, der das vorherige Wesen der involvierten Personen deutlich verändert (Naja, oder deren wahres Wesen zum Vorschein bringt).
                                              Sie werden getrieben und lassen sich treiben.
                                              Misstrauen bahnt sich an die Oberfläche, selbst zwischen Brüdern.
                                              Gewaltakte, Intrigen und Verrat werden zum festen Bestandteil ihres Lebens, doch die Abrechnung wird folgen.
                                              Hervorstechend erweist sich insbesondere Raimis Gespür für eine stimmungsvolle Umsetzung.
                                              Verschneite Winterlandschaften von klirrender Kälte, dieses unendliche Weiß und dann noch diese ständig auf Beute lauernden Krähen.
                                              All dies zusammen fängt der Regisseur in unheimlich atmosphärischen Aufnahmen ein, wodurch sein Werk bezogen auf die Stimmung deutlich an das zwei Jahre zuvor gedrehte Meisterwerk "Fargo" der Coen Brothers erinnert.

                                              Dramaturgisch fehlt insgesamt hier und da manchmal der letzte Schliff, manche Momente ziehen sich zum Teil etwas in die Länge ohne aber wirklich uninteressant zu werden. Dennoch weiß Raimi mit einigen intensiven, adrenalingeladenen Spannungssequenzen kleinere Highlights zu setzten.
                                              Schlussendlich fällt der "einfache Plan" immer mehr in sich zusammen.
                                              Zwischen Gier, Misstrauen, Lügen und eskalierender Gewaltspirale wird der anfangs so abrupt einsetzende American Dream zum blutdurchtränkten Alptraum, bei dem alle involvierten Personen böse auf die Schnauze fallen und im Endeffekt nur verloren haben.
                                              Stark gespielt (toller Cast: Bill Paxton, Billy Bob Thornton, Bridget Fonda u.a.), geniale Atmosphäre, dramaturgisch mit klitzekleinen Schwächen und schließlich überraschend bitterer, desillusionierender Message.
                                              Im Thrillerkino der 90er sehr weit oben mit dabei.

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                                                Manchmal fällt es schwer, diesen Glauben zu bewahren.
                                                Es gibt immer wieder diese Fälle von unfassbaren menschlichen Abgründen, die den Glauben an das Gute der Menschheit und der Welt schwer in Frage stellen.
                                                So geschehen im Jahr 1965 des amerikanischen Bundesstaats Indiana, als die 16-jährige Sylvia Likens in Folge von langwierigen Misshandlungen und Quälerein ihrer Pflegemutter und einigen Nachbarskindern tragischerweise verstarb.
                                                Regisseur Tommy O´Haver nahm sich dem Stoff an und schuf mit seiner ziemlich realitätsgetreuen Verfilmung "An American Crime" (2007) ein ungemein erschütterndes True-Crime Drama.

                                                Regisseur und Autor O'Haver nähert sich dem abgründigem Ereignis äußerst behutsam und sensibel, beleuchtet das grauenvolle Martyrium von Sylvia (Ellen Page) unaufgeregt und Schritt für Schritt, ohne es exploitativ auszuschlachten.
                                                In angenehm ausführlicher und ambivalenter Charaktereinführung wird so beispielsweise die spätere Aggressorin und Pflegemutter Gertrude (Catherine Keener) nicht von Beginn weg als reines menschliches Monster präsentiert, sondern vorerst als einigermaßen sympathisch wirkende Person, die durch Überforderung in der Erziehung ihrer Kinder, finanzieller Sorgen und Tablettensucht immer mehr ihrem Abgrund entgegen blickt.
                                                Ebenso gelingt es dem Regisseur richtig gut, mit den detailverliebten Settings, visuell passender Umsetzung und entspechendem Soundtrack den Zeitgeist der damaligen 60er Jahre Amerikas in seinen Bildern sehr stimmungsvoll zu transportieren.

                                                Als die anfänglich fast schon heitere Stimmung immer stärker kippt, der Ton von Gertrude rauer und anfängliche gewalttätige Übergriffe deutlich verschärft werden, findet der Regisseur immer wieder grauenvolle, furchtbare Bilder, um das unglaubliche Martyrium von Sylvia darzulegen. Enorm beklemmend und zermürbend, ohne auf explizite Gore-Momente zurückgreifen zu müssen.
                                                Ebenso liefert O´Haver schlussendlich keine klaren Antworten auf das "Warum", deutet Themen wie soziale und psychische Probleme oder fehlende Zivilcourage von Nachbarn an, wobei es insgesamt für ein solches Verbrechen keine eindeutigen Gründe geben kann.
                                                In den fortlaufend im Filmverlauf parallel vorangetriebenen Auschnitten aus der späteren Gerichtsverhandlung können insbesondere die beteiligten Nachbarskinder keine Antworten nennen, sondern scheinen selbst überrascht von dem schlussendlichen Resultat. Unfassbar.
                                                Schon losgelöst von den realen Ereignissen ein äußerst erschütterndes wie deprimierendes Drama, mit dem Wissen um den Realitätsbezug dann im Grunde unerträglich.

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                                                  Tobi_G93 27.11.2020, 12:22 Geändert 28.07.2021, 16:44

                                                  Unbequemer, verstörender Tobak, der hier präsentiert wird.
                                                  "Trouble Every Day" (2001) ist prinzipiell schwierig in eine Genreschublade zu stecken, was ja oftmals als gutes Zeichen zu werten ist.
                                                  Claire Denis´ radikales Werk ist wohl am treffendsten als philosophisches, existenzialistisches Drama zu beschreiben, das mit seinen rätselhaften, beunruhigenden Storyansätzen und einigen maximal schockierenden Horrormomenten eine nur schwer zu verdauende Seherfahrung darstellt.
                                                  Die französiche Regisseurin erzählt ihre bizarre Geschichte nur vage und zuweilen elliptisch, fokussiert dabei jedoch abgründige Themen wie Vampirismus, Kannibalismus oder die Verbindung von Sexualität und Gewalt relativ deutlich, wobei ihr Film durchgängig metaphorisch und doppelbödig angelegt ist.
                                                  Trotz sehr langsamer und unaufgeregter Erzählweise, vermeidet die Regisseurin zumeist vor allem durch ihre inszenatorische Finesse, das Interesse des Publikums zu verlieren.
                                                  Mit stimmungsvoll melancholischem Score und vieldeutiger Bildsprache von Denis überaus versiert und anspruchsvoll in Szene gesetzt.
                                                  Nachdem schon in der ersten Stunde kurze blutige sowie beklemmende Momente im Zusammenspiel mit den ungreifbaren, beunruhigenden Ereignissen eine bedrückend-unheilvolle Stimmung entfachen lässt, weiß der Film ca. ab der Hälfte in Sachen Intensität und Beklemmung nochmals deutlich anzuziehen.
                                                  Hier entfacht Denis in zwei, drei Szenen mit dem Zusammenspiel aus irritierender Kameraführung, krassem Schauspiel und verstörender Brutalität Momente von unerbittlicher Grausamkeit, die sich längerfristig im Kopf des Zusehers festsetzen dürften.
                                                  Angenehm geht definitiv anders, ein verdammt intensiver Höllenritt.

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                                                    Tobi_G93 24.11.2020, 12:37 Geändert 24.11.2020, 15:49

                                                    Der kleine, kongeniale Bruder von "Drive".
                                                    Hinter dem auf dem ersten Blick unscheinbaren Filmtitel "The Guest" verbirgt sich einer der genialsten Filme der letzten Dekade.
                                                    Regisseur Adam Wingard, der zuvor mit dem soliden, aber unspektakulären Slasher "You´re Next" die Aufmerksamkeit im Genre auf sich gezogen hatte, präsentiert hier einen audiovisuell ungemein einsaugenden Retro-Trip, der irgendwo zwischen subtilem Home-Invasion Szenario und terminatoreskem Actionflick sein ganz eigenes, individuelles Ding dreht.

                                                    Getragen von der brillianten Performance von Dan Stevens, der den titelgebenden Gast David der stereotypischen US-Mittelschichtsfamilie
                                                    mit unwahrscheinlich charismatischer Präsenz darstellt, setzt Wingard in seinem unspektakulären, reduziertem Plot alles auf die Karte Style und Audiovisualität und macht dadurch alles richtig.
                                                    Mit einwandfreier, stimmiger Kameraarbeit und dem unfassbarem Eargasm-Score, bestehend aus 80s Elektro-Synthiepop und modereneren Elektro/House-Beats, erschafft Wingard einen treibenden Sog, der das Publikum beinah hypnotisch an den Bildschirm fesselt.
                                                    Hauptprotagonist Dan Stevens, der hier nicht von ungefähr optisch an Ryan Goslings Figur aus "Drive" (mit auch ähnlichem modischem Style) erinnert, übermittelt von Beginn an eine beunruhigend-undurchsichtige Aura, noch bevor jegliche Brutalität von seiner Figur ausgeht.
                                                    Alleine durch seine Blicke mit seinen stahlblauen Augen, mal empathisch mitfühlend, mal erotisch verführend und dann eiskalt-bedrohlich, führt David seine Mitmenschen und das Publikum an der Nase herum.

                                                    Wingard verdichtet die Bedrohung im Filmverlauf dann mehr und mehr.
                                                    Es ereignen sich erste brutale Übergriffe, die von David schnell wieder weggelächelt werden, dann sterben plötzlich Menschen auf mysteriöse und unerklärliche Art und Weise.
                                                    Im letzten Drittel übertrifft sich der Regisseur dann endgültig selbst. Eingeleitet durch einige knallharte, intensive Actionpassagen, setzt Wingard einen audiovisuell unwahrscheinlich stylishen und betörenden Showdown in Szene.
                                                    Ein tödliches Labyrinth direkt aus der Halloween-Retro-Hölle.
                                                    "Oh Antonio", ein einziger cineastischer Orgasmus.

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