Tobi_G93 - Kommentare

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    Tobi_G93 15.10.2021, 12:42 Geändert 15.10.2021, 13:03

    Mit seinem surrealen Psychothriller "The Uncertain Guest" hat mich Regisseur Guillem Morales schon mehr als überzeugt. Das Regiedebüt des Spaniers glänzte sowohl auf formaler Ebene als auch inhaltlich mit einer psychologisch doppelbödigen, hintersinnigen Geschichte.
    Sein nächster Film "Julias Eyes" ist wiederum ein absolut gelungener Genrevertreter geworden, an das Debüt von Morales kommt das stimmungsvolle Werk jedoch nicht in Gänze heran.
    Mit dem Tod ihrer erblindeten Zwillingsschwester Sarah erhält Julia unvermittelt einen schweren Schicksalsschlag. Die wie ihre Schwester ebenfalls an einer seltenen Augenkrankheit leidende Frau glaubt allerdings nicht wirklich an den von der Polizei suggerierten Suizid. Sie macht sich deshalb in der Folge selbst auf die Suche nach Hinweise und Antworten auf die zahlreichen Ungereimtheiten, doch das schleichende Voranschreiten ihrer Krankheit macht ihr mehr und mehr zu schaffen...

    Vom Start weg hüllt Morales das Geschehen in eine mit stetig unheilvoller Note versehene Schauerstimmung, was schonmal unabhängig von der Narration einen gewichtigen Pluspunkt darstellt.
    Zwischen unheimlichen Mysteryflick, hitchcockschen Suspense-Thriller und Neo-Giallo entwirft der Regisseur eine unberechenbare, hakenschlagende Geschichte, die zwar niemals vorhersehbar jedoch bisweilen ebenso leicht konstruiert daherkommt.
    Wie clever und effektiv dagegen die schleichende, stetig voranschreitende Erblindung von Hauptfigur Julia sowohl erzählerisch als auch visuell als entscheidendes Motiv verwendet wid, ist fraglos beachtlich. Kein Gimmick oder nur nette Spielerei, versteht es Morales immer wieder geschickt das Publikum mit seinen Kniffen zu täuschen, in die Irre zu führen und einige intensive Suspense-Momente daraus zu generieren.
    "Julias Eyes" ist dabei weniger ein klassischer Whodunnit, ganz im Gegenteil wird dem aufmerksamen Publikum schon vergleichweise früh die Enthüllung des Täters suggeriert. Somit wird die Spannung größtenteils nicht mehr durch die Aufklärung der Identität des Täters generiert, sondern insbesondere durch die Frage "Was wird passieren?", wenn Hauptfigur Julia unvermittelt wie unwissend mit dem potenziellen Mörder in Berührung kommt. Im wahrsten Sinnes des Wortes.
    Packendes Spannungskino, das hier und da leicht konstruiert wirkt. Was zu einem gewissen Grad völlig akzeptabel ist.
    Feiner spanischer Genrebeitrag

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      Tobi_G93 10.10.2021, 12:13 Geändert 10.10.2021, 13:49

      Mit dem überdrehten, wilden Stil von Alex de la Iglesia bin ich bis hierhin nicht unbedingt gut zurecht gekommen. Bei "Balada triste de trompeta" (2010) verhält es sich nicht unbedingt anders, dennoch würde "Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und tot" als das bisher ohne Frage gelungenste Werk bezeichnen, das ich von Iglesia gesichtet habe. Wie schon Guillermo del Toro in einigen seiner Filmen (Pans Labyrinth, Devils Backbone) verwendet Iglesia die dunkle Epoche des faschistischen Franco-Regimes Spaniens als historisches Setting für seine völlig abgedrehte, bizarre Geschichte.
      Doch was der Regisseur letzenendes mit seinem Film ausdrücken wollte, hat sich mir nicht wirklich erschlossen.
      Eine wüste, schrill-überkandidelte Horror-Groteske als Metapher für das Franco-Regime?

      In die latent unfokussierte Erzähweise webt Iglesia unterschiedlichste Motive ein, was seinen Film unter anderem so schwer greifbar werden lässt
      Die Zirkuskulisse erinnert dezent an Alejandro Jodorowskys "Santa Sangre", wie auch einige verrückte Traumsequenzen an den chilenischen Surrealisten erinnern.
      Als (strukturandeutendes) Leitmotiv der Geschichte dient Iglesias eine Art toxische Dreiecksbeziehung, mit der Akrobatin Natalia als Objekt der Begierde, die einen gewissen Femme Fatale Vibe versprüht, was dem Ganzen sogar eine leicht noirartige Note verleiht.
      Das völlig wahnwitzige, pompöse Finale auf einem 150 Meter in den Himmel ragenden Kreuz, dem „Nationalmonument des Heiligen Kreuzes im Tal der Gefallenen“, verweist schlussendlich gar an Hitchcocks "Der Unsichtbare Dritte".
      Auch die Brücke zu Franco wird hier nochmals geschlagen, denn das Monument "Valle de los Caídos" war jahrelang die Grabstätte des einstmaligen Diktators.
      "Mad Circus" ist bizarr, blutig-brutal, irrsinnig, opulent, enorm kreativ und völlig drüber. Hat jedoch auch mit deutlichen Längen zu kämpfen und wirklichen Sinn konnte ich dem Ganzen nicht unbedingt entnehmen.
      Der Unterhaltungsfaktor ist dennoch recht hoch und hat seinen ganz eigenen Charme.

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        Tobi_G93 06.10.2021, 10:45 Geändert 08.10.2021, 15:17

        Eine grausige Mordserie und ständiger Regen hüllt die malerische Skyline Chicagos in einen dunklen Schatten. Detective John Prudhomme (Christopher Lambert) und sein Partner Detective Hollinsworth (Leland Orser) heften sich an die Fersen des scheinbar religiös motivierten Serienkillers, der die Auferstehung Christis an Ostern wohl auf seine ganz eigene Art und Weise zelebrieren möchte.
        Auch wegen traumatischer Ereignisse in seiner Vergangenheit verliert sich Prudhomme fast schon obsessiv in dem schockerienden Fall, und zu allem Überfluss ist ihm der Killer durchweg mindestens ein Schritt voraus...

        Richtig, die Geschichte kommt einem doch mehr als bekannt vor.
        Regisseur Russell Mulcahy und Leading Actor sowie Produzent Christopher Lambert bewegen sich in ihrem düsteren Thriller "Resurrection" (1999) mehr als offensichtlich auf den Spuren von Finchers Meisterstreich "Seven", dessen Qualität sie allerdings um Längen verfehlen.
        Die Geschichte wurde bis auf kleinere Abweichungen fast schon dreist eins zu eins übernommen und in bestimmten Momenten werden gar haargenau die gleichen Kameraeinstellungen verwendet. Einen Innovationspreis gewinnen Mulcahy und Lambert somit schonmal gar nicht.

        Optisch macht "Resurrection" dagegen eine mehr als akzeptable Figur.
        Wie schon im Vorbild entfachen die dunklen Bilder (inklusive Colorgrading), das nasskalte Regenwetter und der düstere Tonfall der Geschichte eine bedrückende, beinah schon präapokalyptische Stimmung, die alleine schon für genug immersive Wirkung sorgt. Wo jedoch Fincher seinen Fokus insbesondere auf psychische Grausamkeit und Kopfkino richtete, geht Mulcahy einen etwas anderen Weg.
        Abermals werden in erster Linie die Produkte der Taten gezeigt, jedoch hier deutlich expliziter und graphischer, und wirkt dadurch deutlich plumper und schafft nicht diese verstörende Wirkung.

        "Seven" war schon ein sehr geradliniger und kein besonders komplexer Thriller, sondern punktete in erster Linie mit einigen Details der Geschichte oder der Inszenierung, die clever umgesetzt wurden (Die genau herausgearbeiteten Charaktere, das Kopfkino, das kompromisslose Ende)
        "Resurrection" verfehlt leider genau diese Stärken, was nochmals gegen Ende entscheidend sichtbar wird. Anstatt hier durch ein fiesen Schlusspunkt die bis dahin durchaus beklemmende Wirkung des Films zu potenzieren, wird ein fades, hollywoodartiges Ende präsentiert, das absolut enttäuscht.
        Durch die einnehmende Stimmung noch so einigermaßen schaubar, mehr jedoch nicht.

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          Tobi_G93 30.09.2021, 13:39 Geändert 25.06.2022, 19:49

          Lässig-entspannter, gewitzter und nichtsdestotrotz zugleich latent abgründiger Neo-Noir, der zwar leicht in Vergessenheit geraten locker einen mehr als sehenswerten Thriller-Geheimtipp der 90er Jahre darstellt.
          Regisseur Stephen Frears (Gefährliche Liebschaften) schildert in "The Grifters" in erster Linie eine spezielle Variante einer fatalen Dreiecksbeziehung um Hauptfigur Roy (John Cusack), einem Gauner (also Grifter), der sich sein Kleingeld durch geschickte Manöver und Trickbetrügereien verdient.
          Mit der durchtriebenen Myra (Annette Bening) führt er eine mehr oder weniger oberflächliche Liebelei, denn er traut ihr insgeheim kaum über den Weg. Seine vergleichsweise junge, für die Wettmafia agierende Mutter Lilly (Anjelica Huston) hat er seit acht Jahren nicht mehr gesehen, als sie plötzlich an seiner Tür steht. Die Freude ist nicht unbedingt groß, auch weil das Aufeinandertreffen der beiden Frauen nicht wirklich von großer Wertschätzung geprägt ist...

          Frears nimmt sich zu Beginn sehr viel Zeit und Raum, um seine Figuren und deren Verstrickungen ausführlich und glaubwürdig zu etablieren. Dadurch kommt das Geschehen zwar etwas schleppend in die Gänge, die Herangehensweise macht jedoch für die Geschichte im Speziellen absolut Sinn.
          Auch wenn der Tonfall dabei erstmal eher lässig daherkommt und die Figuren grundsätzlich eine gewisse Coolness ausstrahlen, macht sich schon früh eine gewisse Skepsis breit. Auch weil Frears das Noir-Motiv der lasziven, dutrchtriebenen Frauenfigur (Femme Fatale) gleich in doppelter Ausführung aufbietet, mitsamt Clash untereinander.
          Nach dem langsamen, ausführlichen Einstieg nimmt das Geschehen deutlich an Fahrt auf, deutet bisher verborgene Abgründe hinter der vorgegaukelten Fassade an, mit sich stetig verdichtender Atmosphäre, in bedrohlich-unheilvoller Note.
          Dem lässig-coolen Thrillerplot fügt Frears dann mehr und mehr Elemente eines düsteren Dramas bei, wo sich hinterfotzige Betrügereien, Misstrauen, Geldgier und Eifersucht als verhängnissvolles Cocktail erweisen, aus dem kaum jemand als Sieger hervorgehen wird. Sondern viel eher in einer bitteren Tragödie enden wird.
          Feine Nummer

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            Tobi_G93 27.09.2021, 18:26 Geändert 29.09.2021, 14:29

            "You've gotta decide. You've gotta work out where you fit."

            Der 17-jährige Joshua (James Frecheville) muss mitansehen, wie seine Mutter einer Überdosis Heroin erliegt. Er wendet sich deshalb an seine Großmutter, die ihn mit Freude bei sich zu Hause aufnimmt. Die ist leider ebenso heroinabhängig und lebt dort zusammen mit ihren kriminellen Söhnen, inklusive leicht inzestuöser Tendenzen. Der dritte Sohn Andrew ‘Pope’ Cody (Ben Mendelsohn) lebt gar untergetaucht in ständigem Versteckspiel vor der Polizei, die ihm und seinen Drogengeschäften dicht auf den Fersen stehen.
            Nachdem der gute Freund der Familie, Barry (Joel Edgerton), unter fragwürdigen Umständen von der Polizei getötet wird, eskaliert die Lage. Joshua gerät immer mehr zwischen alle Fronten...

            Mit "Animal Kingdom" (2010) ist dem australischen Regisseur David Michod ("The Rover") ein außerordentlich starkes Stück Kino gelungen. Der packende Mix aus düsterem Familiendrama und knallhartem Gangsterfilm zeichnet sich insbesondere durch die authentische, nihilistische Grundtimmung aus, wodurch das Geschehen auch ohne besonders ausgetüfteltem Spannungsbogen und größeren Actionsequenzen durchgehend eine fesselnde Intensität versprüht.
            Von Beginn an fügt Michod seiner unheilvollen Geschichte einen Hauch Melancholie bei, sei es durch den sphärischen Score, der versierten Inszenierung (der Einsatz von Slow-Motion sitzt hier auf den Punkt) oder dem ausdrucksstarken Spiel der Darsteller (besonders Mendelsohn ist hervorzuheben), was in seiner Gänze wie ein dunkler Schatten über der Geschichte schwebt.

            Der kriminelle Welt von "Animal Kingdom" wirkt dabei jederzeit überaus realitätsnah, rau und zumeist auch klischeebefreit. Kriminalität wird als ein in gewissen Miilieus fast schon notwendiges Übel gezeigt, das dort den Alltag der Familien bestimmt und deren Moraldenken fest im Griff hat.
            Dadurch wird in "Animal Kingdom" ab einem gewissen Punkt eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt, die alles und jeden der Beteiligten gnadenlos in den Abgrund reißen wird. Familiäre Bindung spielt dann ebenso schnell keine Rolle mehr, Hauptsache die eigene Haut wird gerettet.
            Wenn dann noch prinzipiell Unbeteiligte durch unglückliche Umstände Opfer der Gewaltspirale werden, erweisen sich vor allem die Hinterbliebenen derer als die größten Leidtragenden.
            Da kann auch die finale Vergeltungstat nichts mehr retten, ist sogar mehr der letzte Schritt in den bodenlosen Abgrund.
            Ganz und gar bitter.

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              Tobi_G93 24.09.2021, 15:39 Geändert 24.09.2021, 18:12

              Die Designerdroge "Synchronic" ist der aktuelle Shit in New Orleans Drogenszene. Doch der Konsum scheint fatale Folgen zu haben, denn viele der Konsumenten werden bald tot aufgefunden, mitunter grausamst zugerichtet. Es heißt, die Wirkung der Droge würde das Zeitempfinden auf bizarre Weise verzerren.
              Den beruflichen Alltag der beiden Notfallsanitäter Steve (Anthony Mackie) und Dennis (Jamie Dornan) prägen von nun an die blutigen Fundorte der Synchronic-Konsumenten, was ihren schon zuvor belastenden Job nicht unbedingt vereinfacht. Auch weil sich im Privatleben die Sorgen anhäufen. Und dann verschwindet auch noch Dennis Tochter Brianna spurlos...

              Mit ihren gemeinsamen Werken wie "Spring" oder "The Endless" konnten sich die beiden Regisseure Justin Benson und Aaron Moorhead einen Namen als vielversprechende Indiependent-Genrekino Regisseure machen. Ihre nunmehr vierte Zusammenarbeit "Synchronic" (2019) punktet vorerst mal mit der oben anskizzierten, sehr vielversprechenden Grundprämisse, aus der letzendlich leider zu wenig Potential geschöpft wird.
              Mehr als ist löblich dagegen ist, wie angenehm ausführlich und mit Feingefühl zuallererst die beiden Hauptfiguren und ihre Lebensumstände eingeführt werden. Besonders die im Zentrum stehende Freundschaft der beiden ist besonders für einen vermeintlichen Genrefilm durchaus vielschichtig ausgearbeitet und mit gewissen Ambivalenzen versehen.

              Das anfangliche, potenziell enorm spannende Set-Up einer mysteriösen neuen Droge mit ominösen Auswirkungen nutzen die beiden Regisseure für meinen Geschmack kaum überzeugend aus, wenn sich das Geschehen schließlich in ein psychedelisch angehauchtes Zeitreise-Szenario entwickelt, das mit leicht monotoner, vorhersehbarer Erzählweise schon etwas enttäuscht.
              Da hift dann auch die stimmungsvolle, sehr schicke Optik nicht mehr viel. Schade.
              "Synchronic" überzeugt mit vielseitig herausgearbeiteten Charakteren und atmosphärischen Bildern, die Story über ein drogeninduziertes Zeitreise-Phänomen fesselt dagegen ab einem gewissen Punkt kaum noch.

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                Tobi_G93 21.09.2021, 13:24 Geändert 09.10.2021, 16:34

                Hinter der Fassade eines Poliziottescos, was mitunter sicherlich auch zutrifft, entpuppt sich Umberto Lenzis "Der Berserker" (1974) in erster Linie als ungemein dreckiger, zynischer wie blutiger Exploitation-Thriller, eine gestörte, abstoßende Perle des schlechten Geschmacks.
                Tomas Milian als kaltblütiger, pschychopathischer Gangster Julio Sacchi spielt seine fast schon karikaturartige Figur mit dermaßen ekelhafter, verabscheuenswerter Aura, gibt sich dabei dennoch überaus charismatisch-durchtrieben und hinter seiner anarchisch-animalischen Fassade deutlich berechnender und kalkulierter, was das Ganze umso fieser gestaltet.
                Sehr beachtlich, wie druckvoll und mit stetig ansteigender Spannungsschraube Lenzi das zentrale Entführungsszenario vorantreibt und dadurch absolut packendes Spannungskino zelebriert, mit ausschweifendem Hang zu asozial-dreckiger Exploitation. Hierbei geht es nicht unbedingt um explizite Sauereien, auch wenn Lenzi sich da nicht vollends zurückhält, sondern insbesondere um die psychische Brutalität und Empathielosigkeit, die der Brutalo-Gangster Sacchi an den Tag legt.
                Mündend in einem passend zynischem Schlusspunkt, wodurch der Film in seiner Gänze durchaus als nihilistisches, wenn auch fraglos überzeichnetes Zeitbild des damaligen Italiens taugt.
                Ein kompromissloses, räudiges Miststück von Film.

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                  Tobi_G93 19.09.2021, 11:28 Geändert 23.09.2021, 13:17

                  "February" oder "The Blackcoats Daughter" (2015) ist das Regiedebüt von Osgood Perkins, Sohn von Schauspiellegende "Psycho himself" Anthony Perkins.
                  Sein Film bedient sich zwar durchaus einigen Horrormotiven, erweist sich jedoch kaum als der konventionelle Horrorflick, den der 0815-artige Filmtitel suggeriert.
                  "February" bezieht seine immersive Wirkung insbesondere durch die von Perkins mit allerlei Feingefühl in seinen Bildern transportierte, unheilvolle Schauerstimmung, die die volle Laufzeit aufrechterhalten wird.
                  Audiovisuell ist das schon auf unverschämt hohem Niveau, gerade für ein Debütfilm. Die permanent dröhnende, unbehagliche Soundkulisse beschwört zusammen mit den düsteren, ja auch bisweilen unheimlichen Bildern eine stetige Bedrohung herauf, die sich einfach nicht konkret entladen will. Was die beklemmende Wirkung nicht unbedingt verringert.
                  Erst wenn Perkins gegen Ende die vage Geschichte um Glaube, Verlust und psychischen Abgründen mit deutlichem surreal-übernatürlichem Dreh in den unterschiedlichen Handlungssträngen einigermaßen schlüssig zusammenführt, bekommt der Horror, bis dahin eher subtil brodelnd, ein nachvollziehbareres Gesicht. Einhergehend mit wenigen nur kurz aufzuckenden, deshalb umso unangenehmeren Gewalteruptionen, die in ihrer überraschenden Explizität ihre Wirkung nicht verfehlen.
                  "February" ist insgesamt schon sperrig und unkonventionell, für den Mainstream-Horrorfan wohl eher zu minimalistisch und suggestiv in der Darstellung des Grauens.
                  Für ein aufgeschlosseneres Publikum ist der stimmungsvolle Genre-Geheimtipp dagegen locker einen Blick wert.

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                    Tobi_G93 14.09.2021, 13:00 Geändert 15.09.2021, 18:57

                    Das zugrunde liegende BluRay-Cover und der banale Filmtitel lassen (unter)durchschnittlichen Horror-Mumpitz nach Schema F vermuten, davon ist Ivan Kavanaghs "The Canal" (2014) glücklicherweise weit entfernt.
                    Gut, einen Innovationspreis gewinnt der irische Regisseur mit seinem Debütfilm keinesfalls und eine wirkliche Genreoffenbarung gelingt ihm ebenso wenig, dennoch lohnt es sich schon nochmals einen detaillierteren Blick auf das durchaus gut schaubare Independent-Werk zu richten.
                    Kavanagh vermengt da unterschiedlichste Genre-Elemente, man nehme das verfluchte Haus mit Mordvergangenheit im Stile von "Shining", die Snuffvideos aus "Sinister" und einen psychisch angeschlagenen, am Rande des Wahnsinns stehenden Hauptprotagonisten.
                    Auch das Motiv von Eifersucht und Verdrängung mit frappierender Ähnlichkeit zu Lynchs Meisterwerk "Lost Highway" taucht dann wieder auf, scheint schlussendlich gar als strukturgebendes Leitmotiv zu fungieren.

                    Wirklich stringent unter einen Hut bringt Kavanagh das Ganze nie und weder als klassischer Horrorflick noch als schweißtreibender Psychothriller taugt "The Canal" schlussendlich vollends.
                    Viel mehr nutzt der Regisseur die unterschiedlichen Bausteine um die verirrte, gestörte Gedankenwelt der Hauptfigur in seinen gespenstischen Bildern zu visualisieren. In Form einer halluzinierend-alptraumartigen Geisterwelt zwischen Haunted-House und surrealem Psycho-Thrill.
                    Gerade was das Handwerkliche angeht, befindet sich "The Canal" auf bemerkenswertem Niveau. Ein toller Schnitt, das schicke Spiel mit Licht und Schatten, mit schon leicht gialloartiger Ausleuchtung. In manchem Momenten gar unheimlich bis verstörend.
                    Vollkommen ohne Kinderkrankheiten kommt Kavanagh jedoch nicht aus, was sich insbesondere in der zuweilen fehlenden Subtilität der Stilmittel offenbart. Da wird dann leider zu oft auf vordergründige Schockmomente gesetzt, anstatt noch mehr die zweifellos vorhandene Atmosphäre zu nutzen und daraus noch mehr an schleichendem Unbehagen zu generieren. Auch das Ende gestaltet sich einen Tick zu eindeutig und enttäuscht dadurch fast schon ein wenig.
                    Schlussendlich sehe ich "The Canal" als durchaus kleinen Geheimtipp, der allerdings viel Potential liegen lässt und auch einige Kritikpunkte aufweist.

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                      Tobi_G93 11.09.2021, 12:04 Geändert 14.01.2022, 21:32
                      über Bug

                      William Friedkins experimentellstes, zugleich verstörendstes Werk.
                      "Bug" (2006), wie das Insekt, der Käfer, die Schabe. Oder ein Software-Defekt, ein Programmfehler, der durch fehlerhaftes Programmieren entstand.
                      Die Bedeutung von Ersterem führte zu Letzterem (Der Käfer im PC).
                      Auf Friedkins düsteren Kammerspiel-Thriller trifft jenes Prinzip gewissermaßen auch zu, in leicht abgeänderter Variation.
                      "Bug" beginnt erstmal überaus ruhig und unscheinbar.
                      Eine Wohnungsanlage im staubigen, amerikanischen Nirgendwo. Die vorort lebende, drogensüchtige Agnes (Ashley Judd) leidet unter dem bedrohlichen, gewalttätigen Verhalten ihres kriminellen Ex-Freundes. Durch ihre freizügige Freundin RC lernt sie den schüchternen, mysteriösen Peter (Michael Shannon) kennen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kommen sich die beiden näher und der merkwürdige Peter zieht bei Agnes ein. Doch das frische Paar wird schnell von hartnäckigen Ungeziefer heimgesucht...

                      Was wie ein trashiges Insekten-Creature-Feuture klingt, entpuppt sich unter der Regie von Altmeister Friedkin als ein purer, maximal intensiver Trip in den Wahnsinn und weit darüber hinaus. Ein plättendes Horror-Experience.
                      Unaufgeregt, geduldig und dabei dennoch mit klarer, versierter Hand gewährt Friedkin dem Publikum zu Beginn Einblick in das trostlose, einsame Leben und die angeknackste, labile Psyche von Agnes.
                      Auf subtile Weise wird dabei dennoch schon früh geschickt eine schwer zu greifende Bedrohung vermittelt, sei es durch die ungreifbar beklemmende Tonspur oder die etwas zu lange verharrenden Kameraeinstellungen, die erst später im Verlauf an Schlüssigkeit gewinnen.
                      Die Bekanntschaft mit Peter scheint Agnes wieder mehr und mehr an Halt und Freude am Leben zurückzugeben, doch ist es mehr der finale Schritt in den Abgrund.
                      Schnell ist die extrem verquere Art des mysteriösen und dennoch ungemein charismatischen Mannes klar, doch Agnes will es nicht wahr haben, verdrängt es und gibt sich ihm vollends hin.

                      "Bug" zeigt eindringlich und wahrlich verstörend, wie sehr eine psychisch labile, schwächere Persönlichkeit von einer sehr dominanten und zudem überzeugend auftretenden Person eingenommen werden kann. Die Ansichten und Meinungen jenes Menschen blind akzeptiert, weil das Gegenteil wieder nur Schmerz und Einsamkeit zur Folge haben würde. Dann lieber gemeinsam wissentlich dem Abgrund entgegen treten.
                      Besonders im finalen Drittel schickt Friedkin seine Figuren wie den Zuseher mit dermaßen intensiver Wucht in den Irrsinn, das man einerseits durch die zunehmend grotesken Vorkommnisse fast schon lachen möchte, es andererseits durch die Tragik, die dem Geschehen innewohnt, einfach nur schmerzt.
                      Gegen Ende transformiert sich die Wohnung vollends zu einer surrealen Parallelwelt im silber-neonblauen Wahnsinnsambiente, der Ventilator mimt einen Helikopter, der die Wohnung zum Beben bringt.
                      "I am the Super-Motherbug".
                      Krasser Streifen, krasses Schauspiel.

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                        Tobi_G93 08.09.2021, 14:08 Geändert 08.09.2021, 14:12

                        Mal wieder ein mehr als beachtlicher Vertreter des deutschen (Genre)kinos.
                        Auf den Tag genau 23 Jahre nach dem Mord an der kleinen Pia werden nahe eines abgelegenen Dorfes in der deutschen Provinz exakt am selben Tatort wieder Blutspuren und ein Mädchenfahrrad gefunden. Alles deutet auf ein erneutes Gewaltverbrechen hin.
                        Auch weil der sich in der Vergangenheit ereignete Fall niemals aufgeklärt wurde, werden bei den ansässigen Bewohnern und Beteiligten des zurückliegenden Falles alte, verdrängte Wunden wieder aufgerissen.
                        Ist der Täter etwa wieder zurückgekommen und hat er sich ein neues Opfer geholt?

                        Der zweite Spielfilm "Das letzte Schweigen" von Baron Bo Odar ("Dark", "Who Am I") beginnt unbequem und verstörend.
                        Ein junges Mädchen wird an einem Feldweg von einem Mann brutal überwältigt, vergewaltigt und anschließend ermordet. Der Komplize des Täters beobachtet das Geschehen irgendwo zwischen Apathie, Verängstigung und Bewunderung, scheint einerseits angeekelt und zugleich erregt.
                        Es ist die Schlüsselszene des Films, welche Baron Bo Odar in seinem abgründigen Thrillerdrama immer wieder aus unterschiedlichen Perpektiven umkreist.
                        Tendenziell sogar mehr Drama bzw. Psychogramm als rasantes Thrillerkino, fokussiert der Regisseur folgerichtig in seiner dunklen Geschichte um Vergewaltigung, Mord und Pädophilie mehr die Folgen und Auswirkungen des Verbrechens auf die unterschiedlichen Beteiligten.
                        Wie geht man mit Verlust um?
                        Ist es nicht im Grunde unmöglich Derartiges zu verarbeiten?
                        Ist der Umgang mit Schuld nicht unausweislich?
                        Antworten möchte Odar nicht ausformulieren, zeigt unterschiedliche Möglichkeiten, wobei eine Sache sicher ist.
                        Für alle Beteiligten ist die Welt nun eine andere.

                        Eindrucksvoll gestaltet sich fraglos die handwerkliche Arbeit des Reigisseurs, die für die erst zweite Regiearbeit schon ungemein reif und stilsicher geraten ist.
                        Durch die traumhaft-malerischen Bilder der Wälder und Wiesen in Verbindung mit der unbehaglich-drückenden Sounkulisse schafft Odar eine irritierende, auch beunruhigende Gegensätzlichkeit.
                        Daraus resultiert eine merkwürdige, leicht bedrückende Stimmung, die zuweilen deutliche Erinnerungen an meisterhafte Genreklassiker wie Bong Joon-Hos "Memories of Murder" oder George Sluizers "Spurlos Verschwunden" weckt, zu denen fraglos auch inhaltliche Parallelen bestehen.
                        Alles in allem nicht ohne Schwächen (wie die etwas zu hohe Laufzeit), dennoch eine insgesamt klare Empfehlung.

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                        • Tobi_G93 06.09.2021, 19:42 Geändert 06.09.2021, 19:42

                          Ein ohne Zweifel toller, phantasievoller Film. Auch wenn die Gut/Böse-Figurenzeichnung viel zu einseitig ausgefallen ist und kaum größere Ambivalenzen bietet. Klarer Wermutstropfen eines ansonsten grandiosen Films.

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                            Tobi_G93 06.09.2021, 19:32 Geändert 08.09.2021, 19:29

                            Golfkriegsveteran Jack Starks (Adrien Brody) überlebt einen Einsatz in Irak nur schwerstverletzt. Durch einen Kopfschuss an Amnesie leidend wird er nach der Rückkehr in seine Heimat in einem Mord involviert. Jack steht vor Gericht, denn angeblich hat er einen Polizisten kaltblütig ermordet.
                            Urteil unzurechnungsfähig, deshalb wird er in eine psychiatrische Anstalt überwiesen.
                            Chefarzt Dr. Thomas Becker (Kris Kristofferson) praktiziert dort recht ungewöhnliche und illegale Therapieformen, denen auch Jack hilflos ausgeliefert ist.
                            Jeden Abend wird Jack daraufhin in eine Zwangsjacke gesteckt, mit Drogen vollgepumpt und anschließend in eine dunkle, enge Leichenschublade gesperrt.
                            Plötzlich findet er sich in der Zukunft wieder und obwohl physisch präsent gilt er inzwischen als tot...

                            "The Jacket" (2005) ist prinzipiell kein schlechter Film, schöpft jedoch aus oben beschriebener, enorm vielversprechender Grundprämisse das Potenzial maximal ansatzweise aus, womit der Film für meinen Geschmack auf hohem Niveau leicht enttäuscht.
                            Das surreale Grundgerüst der Geschichte irgendwo zwischen dem alptraumhaften Psycho-Thrill eines "Jacob´s Ladder" und einem bizarren Zeitreise-Szenario im Stile von "Butterfly Effect" dient John Maybury weniger als klassischer Spannungsplot, der Regisseur nutzt den Rahmen mehr für eine mindgameartige Love-Story, die sich jenseits eines rationalen Raum-Zeit-Gefüges entwickelt.
                            Gut, die Suche der Hauptfigur nach klaren Antworten bezüglich seiner Identität und Vergangenheit spielt mitunter schon eine gewichtige Rolle, das Ganze gestaltet sich leider nie gänzlich packend.
                            Auch weil besonders im zweiten Abschnitt dem Drehbuch merklich die Luft ausgeht und die Geschichte vergleichweise monoton und vorhersehbar vor sich hin plätschert. Und zudem der deutlich zu große Fokus auf die Liebesgeschichte kaum spannungsfördende Elemente beinhaltet.
                            Schlussendlich ist "The Jacket" mit "Mindgame für Anfänger" treffend beschrieben. Das ist niemals wirklich schlecht oder uninteressant, bietet jedoch weder viel Tiefgang noch wird eine besonders nachhallende Wirkung entfacht.

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                              Tobi_G93 27.08.2021, 11:58 Geändert 29.08.2021, 13:11

                              Die Stunde des Wolfs, die Zeit zwischen Mitternacht und Morgengrauen. Die Zeit des Tages, an der am häufigsten Menschen sterben und gleichzeitig die meisten Neugeburten stattfinden. Aber auch jene Zeit der Nachtmahren, wenn der Mensch ins Grübeln kommt und seine Ängste und Sorgen ihm den Schlaf rauben.
                              Ingmar Bergmans "Vargtimmen" (1968) ist bisher ohne Zweifel das eindrucksvollste, faszinierendste Werk, das ich von der berüchtigten Regie-Legende sehen durfte. Sogar noch vor dessen ebenso großartigen "Persona", der auch einige Ähnlichkeiten zu diesem Film aufweist.
                              In dem oftmals als sein persönlichstes Werk bezeichnetem "Vargtimmen" zeichnet Bergman ein finsteres, surreales Psychogramm des langsam in den Wahnsinn abdriftenden Malers Johann (Max von Sydow), wobei Bergman zugleich in einem gewissen Maß sicherlich auch seine ganz eigenen Dämonen und Abgründe heraufbeschwöhrt.

                              In Form von Rückblenden und den Eindrücken und Aussagen seiner Ehefrau Alma (Liv Ullmann) erhält der Zuseher Schritt für Schritt Einblick in die letzten Vorkommnisse des Lebens von Johann auf der abgelegenen Nordseeinsel Baltrum, der kriselnden Ehe mit seiner Frau und seiner Schaffenskrise als Maler, die ihn lähmte und ihm den Schlaf raubte. Bis er irgendwann auf mysteriöse Weise ganz und gar verschwand.
                              Bei der Schilderung der Ängste und des Wahns von Johann bleibt Bergman lange Zeit subtil, entfacht jedoch schon früh durch einige irritierende Äußerungen, den düsteren Schwarz-Weiß-Bildern und dem voranschreitenden Auseinanderdriften des Ehepaars ein ungutes, brodelndes Gefühl, belässt es allerdings vorerst bei Kopfkino.
                              Erst im finalen Drittel bekommen die voher anskizzierten Ängste und Schilderungen seiner Alpträume ein sichtbares, irrationales Gesicht, wenn Bergman auf radikale Weise die Grenzen zwischen Realität, Traum und Wahn, Realem und Imaginiertem komplett aufhebt.
                              Und die Gesichter der aristokraten Gesellschaft, die Johann schon zuvor als feindselig und erniedrigend wahrgenommen hat, vollends zu alptraumhaften Fratzen mutieren.
                              Genauso wie ihr Mann wird auch Alma ebenso wie der Zuseher schließlich von der Dunkelheit Johanns regelrecht verschlungen, nachdem er final in dem irrsinnigem Delirium aus Psychologischem, Psychotischem und mythisch-dämonischen Auswüchsen davon plötzlich spurlos verschwand. Und von hier auf gleich nicht mehr existierte.
                              Der Vogelmann hat ihn jetzt.
                              Unsagbar unheimlich.

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                                Tobi_G93 25.08.2021, 17:07 Geändert 03.12.2022, 17:16

                                Packender sowie stilvoll inszenierter 80s-Thriller von Roger Donaldson.
                                "No Way Out" (1987) kommt zu Beginn vergleichsweise zäh in die Gänge, beginnt vorerst wie eine gemächlich-unspektakulär vorgetragene Lovestory, die nun wirklich nicht besonders das Interesse weckt.
                                Doch das gehört alles zu Donaldsons sorgfältig durchdachtem Kalkül, indem er eine überlange, ca. 45-minütige Exposition in aller Ruhe anskizziert, dabei eine Art toxische Dreiecksbeziehung schildert, welche kaum überraschend ab einem gewissen Punkt auf fatale Weise eskaliert.
                                Und damit erst das grundlegende Set-Up für die eigentliche Geschichte bildet, die Donaldson auf famose Weise im Gewand eines irrsinnig spannenden, elektrisierenden Suspense-Thrillers atemlos-druckvoll vorantreibt. Es ist sowohl ungemein unterhaltsam wie zugleich wahnsinnig beunruhigend mitanzusehen, wie sich die Schlinge um Navy-Offizier Tom Farrel (hier mal wirklich stark: Kevin Costner) und seinem Hals hier Stück für Stück auf fast schon fatalistische Weise zusammenzieht.
                                Was final in einem erstaunlich konsequenten Schlusspunkt mit einer doch sehr überraschenden, gleichwohl zynischen Pointe mündet.
                                Als besonders hervorstechend erweist sich ebenso der geniale, sphärisch-beunruhigende Score, der einen essentiellen Beitrag zur immersiven Atmosphäre des Film beiträgt.
                                Feines Spannungskino.

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                                • Tobi_G93 16.08.2021, 18:50 Geändert 16.08.2021, 18:54

                                  "Mulholland Drive" und "Inland Empire" von Lynch.
                                  "La Mala Educacion" von Almodovar gewissermaßen auch.

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                                    Tobi_G93 15.08.2021, 11:14 Geändert 15.08.2021, 13:34

                                    Hui, bizarres Werk aus Mexiko.
                                    Mit seinem vierten Spielfilm "The Untamed" liefert Regisseur Amats Escalante einen sehr ungewöhnlichen, sperrigen Hybriden aus abgründigem Drama und metaphorisch aufgeladenem Sci-Fi-Horrorfilm.
                                    Wenn schon gleich zu Beginn eine nackte Frau auf groteske! Weise von einem metaphysischem Wesen sexuelle Befriedigung erlangt, bekommt man unvermittelt den Eindruck, dass ein "spezielles" Filmerlebnis bevorsteht.
                                    Doch Escalante bleibt nach den grotesken ersten Eindrücken erstmal deutlich gesettelter, erzählt in erster Linie ein unbequemes, in vergleichweise authentischem Rahmen anskizziertes Beziehungsdrama, das allerdings durch die sprunghafte, elliptische Erzählweise mit etlichen Aussparungen und irrationalen Verhaltensweisen schon vorsichtig irritiert.
                                    Wunderschöne Aufnahmen der malerischen mexikanischen Landschaften werden von düster-stimmungsvollen Sounds unterlegt, und sich dadurch eine subtil beunruhigende Stimmung breit macht. Auch weil sich die zwischenmenschlichen Konflikte mehr und mehr als metertiefe Gräben erweisen.

                                    Spätestens wenn Escalante immer deutlicher den Bogen zum irritierenden Beginn spannt und sich in surreal-poetische Gefilde begibt, entwickelt sich "La Region Salvaje" endgültig zum irrsinigen, metaphorischen Rausch auf den Spuren von Zulawskis "Possession", auf den schließlich auch im Abspann verwiesen wird.
                                    In einigen verstörenden Momenten, die zwar von kurzer Dauer jedoch maximal bizarr in Szene gesetzt werden, werden die Ähnlichkeiten beider Filme umso deutlicher.
                                    Wie auch in Zulawski Höllenritt zeichnet Escalante die Parallelen von Sexualität und Monströsität, verändert allerdings im Gegensatz zum 80er Jahre Film nochmals deutlich den Kontext, sprich ist meiner Auffassung nach insbesondere gesellschaftskritisch motiviert.
                                    Insofern scheint mir "La Region Salvaje" in erster Linie als metaphorische Abrechnung mit dem Patriarchat in Mexiko zu verstehen sein.
                                    Ein irrsinniger Trip, eigenwillig, verstörend, hypnotisch, wenn auch nicht ohne kleinere Längen.

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                                      Tobi_G93 12.08.2021, 19:07 Geändert 08.11.2021, 16:34

                                      Wenn die inneren Abgründe nach außen dringen.
                                      "Chasing Sleep" (2000), das Spielfilmdebüt des amerikanischen Regisseurs Michael Walker, wartet mit einem vorerst überaus vielversprechendem Set-Up auf.
                                      Ed Saxon (Jeff Daniels), der Literatur an einem College unterrichtet, vermisst seine Frau, die eines Tages nach der Arbeit nicht nach Hause gekommen ist. Er ruft die Polizei, die schon bald ein Verbrechen vermutet. Währenddessen leidet der psychisch labil wirkende Unidozent mehr und mehr an Schlaflosigkeit, vermutlich durch die Angst um seine Frau. Oder ist noch irgendetwas Schwerwiegenderes in der Vergangenheit des zunächst harmlos erscheinenden Mannes vorgefallen, was seine Psyche dermaßen beschäftigt und quält...

                                      "Chasing Sleep" ist der scheinbar einzige positive Ausreißer in der ansonsten qualitativ eher mäßigen Vita des Regisseur, doch sein Debüt kann sich zwar mit gewissen Abstrichen insgesamt schon absolut sehen lassen.
                                      Die verhältnismäßig schwache Bewertung und der grundsätzlich geringe Bekanntheitsgrad überraschen jedoch keineswegs, denn Walkers Film lässt sich erstmal schwer auf ein Genre herunterbrechen und verweigert mitunter gänzlich eine "mainstreamorientierte Unterhaltung".
                                      Für einen Thriller ist das viel zu ruhig und entschleunigt vorgetragen, große Storywendungen fehlen völlig. Für das klassische Horrorgenre fehlen die vordergründigen Schreckmomente.
                                      Walker seziert viel mehr auf subtile, dabei jedoch gleichwohl beunruhigende Weise die Psyche seiner an Schlaflosigkeit leidenden Hauptfigur, liefert eine finstere Charakterstudie in kargem Kammerspiel-Ambiente, wo die krankhaften Auswüchse der maltretierten Psyche immerzu nach außen gekehrt werden.

                                      Ähnlich dem frühen Psycho-Horror eines Roman Polanski spiegelt hier der Zustand der eigenen Wohnung die Seelenlandschaft des Protagonisten wider.
                                      Mit schleichendem Verfall der Psyche erhält die Architektur Risse und Löcher, es tropft laufend Wasser von den Wänden, die Abflüsse verstopfen vollends.
                                      Am Ende macht Walker gar vorsichtige Schwenker in verstörende Body-Horror Regionen, jedoch immer stringent seiner Metaphorik folgend.
                                      Insgesamt fehlt Walker für höhere Wertungen die letzte erzählerische wie inszenatorische Finesse. Das ist alles gut gemeint und sieht auch ordentlich bis schick aus, dennoch hat man vergleichbaren Stoff schon häufig besser und radikaler umgesetzt gesehen (Lynch, Polanski,...).
                                      Dennoch ohne Frage empfehlenswert.

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                                        Tobi_G93 08.08.2021, 10:58 Geändert 11.08.2021, 19:28

                                        Schicker, stilistisch einwandfrei inszenierter 80er Jahre Thriller, der seine Längen und Logikprobleme durch zahlreichen Stärken locker wettmacht.
                                        Businessman Harry Mitchell (Roy Scheider) kostet sein in erfolgreichen Bahnen verlaufendes Leben in vollen Zügen aus. Zusammen mit seiner langjährigen Gemälin lebt er in einer traumhaften Villa samt Swimming Pool, fährt darüberhinaus einen exquisiten Sportwagen. Dass die Ehe schon längere Zeit mehr schlecht als recht läuft, stört ihn kaum. Da kommt die Liebschaft mit einer 22jährigen Striperin gerade recht. Doch dies erweist sich als folgenschwerer Fehler, als Gangster ihn alsbald mit einem heimlich aufgezeichnetem Sex-Tape erpressen...

                                        Regisseur John Frankenheimer (Ronin, Der Zug,...) gelingt es von Beginn, seinen Film stimmungsvoll und trotz gemächlichem Erzähltempo packend zu gestalten.
                                        Die atmosphärischen Aufnahmen zeigen das Geschehen beinah ausschließlich in den schmutzigsten Ecken L.A.s, von versifften Hinterhöfen bis hin zu zwielichtigen Pornoschuppen. Mit dem melancholischen Synthiescore mehr als passend unterlegt entfacht Frankenheimer hierbei eine schön klassische 80s Neo-Noir Stimmung.
                                        Wie perfide Harry Harry Mitchell, stark gespielt von Scheider, vorerst von den Gangstern in die Ecke gedrängt wird, wird als ein mehr als beängstigender Akt dargestellt. Von jetzt auf gleich wird ihm komplett die Kontrolle über die Situation und seinem Leben entzogen. Mit durchaus fiesen Momenten versehen (Snuff-Video).
                                        Wie er dann langsam aber sicher zurückschlägt und seinen Kopf Schritt für Schritt aus der Schlinge zieht, ist umso bemerkenswerter.
                                        Kein klassischer Revenge-Flick, was ebenso locker möglich gewesen wäre.
                                        Sondern mit psychologischer Kriegsführung. Harry Mitchell stiftet geschickt Zwietracht unter den Gangstern, die sich weniger und weniger über den Weg trauen. Bis zur entscheidenden Eskalation.
                                        Über einige Lögiklöcher besonders im finalen Drittel muss man zwar hinwegsehen, durch die schöne Stimmung und die dennoch packende Geschichte jedoch kaum problematisch.

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                                          Tobi_G93 01.08.2021, 12:02 Geändert 06.08.2021, 11:34
                                          über Alpen

                                          Trauerbewältigung nach Lanthimos.
                                          Ähnlich den weiteren Filmen des griechischen Regie-Exzentrikers handelt es sich bei "Alpeis" (2011) um ein groteskes, sperriges und vor allem pechschwarzes, bitterböses Werk.
                                          Eine vierköpfige Gruppierung namens „Die Alpen" betreibt ein mehr als sonderbares Geschäftsmodell: Die Mitglieder bieten gegen Bezahlung an, in die Rolle von verstorbenen Menschen zu schlüpfen, um die Trauerarbeit der Hinterbliebenen zu erleichtern. Potenzielles Fehlverhalten wird von Anführer "Mont Blanc" (die unterschiedlichen Mitglieder benennen sich nach bekannten Bergmassiven der Alpen) mit drastischen Bestrafungen sanktioniert. Doch Hauptfigur "Monta Rosa" fasst die Angelegenheit nicht nur als "Dienstleistung" auf, sondern projeziert und lebt mehr und mehr ihre eigenen Sehnsüchte und Wünsche in den maximal grotesken Szenarien und Situationen aus. Doch das steht in krassem Widerspruch zur Auffasung des Anführers "Mont Blanc"...

                                          In losem, diffusem und gar elliptisch anmutendem Erzählstil treibt der Regisseur sein maximal bizarres Gedankenspiel mit surrealer Note und schließlich allerlei bitterer Konsequenz voran. Filmische Realität und vorgespielte Rolle lässt Lanthimos von Beginn an verwischen, wodurch der Zuseher nie sicher sein kann, auf welcher Ebene er sich überhaupt befindet.
                                          In langen, kühl-kargen Einstellungen und ungemütlicher Stimmung verdichtet sich die Intensität nach und nach, wenn die Situationen mehr und mehr an Absurdität gewinnen und in der Mischung aus groteskem, pechschwarzem Humor und schockierenden, tragischen Ereignissen eine ungemein irritierende Wirkung entfachen.
                                          Insbesondere Hauptfigur "Monta Rosa", die ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche in ihren Rollen mit maximaler Leidenschaft auslebt, bringt schließlich das ganze Sytem zum kollabieren, wenn die Trennlinie zwischen ihrem "echtem" Leben und der gespielten Rolle komplett aufgehoben zu sein scheint. Und sie gar lieber komplett in der Rolle bleiben möchte.
                                          Wie immer von Lanthimos hintersinnig bis ins Letzte, mit nachhallender Wirkung versehen. Stark

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                                            Tobi_G93 28.07.2021, 12:31 Geändert 08.11.2021, 16:36

                                            "Have you ever heard of Body Modification?"

                                            "American Mary" pendelt irgendwo zwischen zynischer Thriller-Groteske und verstörendem Rape & Revenge Horror, findet jedoch nie so richtig zu der potenziellen Intensität, die der Stoff zweifellos bieten würde, was vor allem an dramaturgischen Schwächen liegt.
                                            Mary Mason (Katharine Isabelle) ist Medizinstudentin im Fachbereich Chirurgie und in akuter Geldnot. Deshalb besssert sie parallel zum Studium durch dubiose ("Schönheits")-Operationen und chirurgische Eingriffe ihr Bankkonto auf. Auf einer Party ihres arroganten Dozenten ereignet sich jedoch ein verhängnisvoller Zwischenfall...

                                            Die beiden Regisseurinnen und Zwillingsschwestern Jen und Sylvia Soska entführen das Publikum tief in die absurde Welt des "Body Modification"-Fetischs, eine Form von extremen Körpermodifikationen und "Optimierungen", meist aus ästhetischen oder sexuellen Motivationen. Gespaltene Zungen, amputierte Gliedmaßen oder das Aufhängen der Haut an Widerhaken gehören hier zum guten Ton.
                                            "American Mary" nimmt dabei kaum eine groß wertende Partei ein, sondern verwendet die bizarre Thematik als Background für eine Art feministische Rachephantasie.
                                            Mary greift für die Vergeltung an ihrem Peiniger auf ihr chirurgisches Fachwissen zurück, wodurch ihr Rachefeldzug auf grotesk-abartige Weise die Deformation und Zerstörung des männlichen Körpers gnadenlos-kompromisslos durchexerziert.
                                            Doch die Regisseurinnen bleiben insgesamt deutlich zu kühl und distanziert, verpassen es wirkliche Emotionalität in die Geschichte einzuweben, was vor allem an den für meinen Geschmack eher comicartig angelegten Figuren liegt, die zumeist schlicht zu überzogen und unglaubwürdig gezeichnet sind. Dadurch wirkt das Geschehen oftmals mehr satirisch angelegt und deutlich von der Realität entrückt.
                                            "American Mary" bietet zwar einige bizarre, verstörende Bilder und auch interessante Ansätze, verspielt durch die zu selten packende Geschichte und unglaubwürdige Charaktere jedoch einiges an Potential.
                                            Ganz gut, mehr jedoch nicht.

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                                              Tobi_G93 25.07.2021, 11:40 Geändert 26.07.2021, 13:16

                                              Schwer verdaulicher Thriller, den der spanische Regisseur Josue Ramos mit "Bajo La Rose" (2017) serviert.
                                              Wenn zu Beginn ein zehnjähriges Mädchen nach der Schule nicht nach Hause kommt und quasi spurlos verschwindet, erzeugt der bei Prime unter "Under the Rose" verfügbare Film schon früh eine dezent beunruhigende Wirkung.
                                              Doch Ramos benutzt das vermeintliche Entführungsszenario nur für sein eigentliches Anliegen. Der Entführer meldet sich telefonisch, und schlägt ein Gespräch mit der Familie des Mädchens in deren Haus vor, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Komplett in schwarz gekleidet und mit kühl-stoischem, fast schon fatalistisch anmutendem Auftreten schlägt der rätselhafte Mann ein perfides Spiel vor, ansonsten würde das entführte Mädchen getötet werden...

                                              Wie schon weiter unten in den Comments angemerkt, erinnert "Bajo La Rose" bezogen auf die beklemmende, erschütternde Stimmung durchaus an die Werke eines Michael Haneke oder auch an van Warmerdams "Borgman", jedoch deutlich weniger surreal.
                                              Im unbehaglichen Kammerspiel-Setting treibt Ramos sein bitterböses Spiel gnadenlos voran, entfacht auf nüchtern-präzise Weise bedrückenden Psycho-Terror, der in seiner konsequenten Art durchweg an die Nieren geht.
                                              Die Motivation des mysteriösen Mannes, der Richter und Henker zugleich ist, bleibt lange Zeit undurchsichtig, wobei für mich häuptsächlich zwei große Möglichkeiten bestanden:
                                              Ist der Mann ein in ultra-perfider "Funny Games"-Art irrer Psychopath, der Gefallen am Leid und der Erniedrigung anderer Menschen findet?
                                              Oder liegt ein vergangenes, womöglich schwerwiegendes Ereignis zu Grunde, wegen dem sich der Mann an der Familie zu rächen gedenkt.
                                              Was dann gegen Ende schlussendlich enthüllt wird, hat mich in der schockierenden Kompromisslosigkeit schon überrascht und fast sprachlos werden lassen.
                                              Heftige Thrillerkost aus Spanien, ganz im Stile von "Sleep Tight" und "Kidnapped".

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                                                Tobi_G93 23.07.2021, 14:30 Geändert 25.10.2022, 12:46

                                                Abermals ein sehr sehenswerter Genrefilm aus deutschen Gefilden.
                                                Polizist Klaus Roth (sehr stark: Tom Schilling) bekommt unvermittelt den Auftrag, sich Undercover in die serbische Wettmafia in Berlin einzuschleusen. Er lernt bei seinen Versuchen, Anschluss in der Szene zu finden, den sympathischen Luka (Edin Hasanovic) kennen, dem Neffen des örtlichen Drahtziehers Aco Goric.
                                                Je tiefer er in die kriminelle Szene eintaucht und mehr und mehr das Vertrauen von Luka gewinnt, desto stärker entfaltet sich sein moralisches Dilemma. Bis die Lage endgültig eskaliert...

                                                Philipp Kadelbachs Thriller "Auf kurze Distanz" (2016) bezieht seine intensive, packende Wirkung in erster Linie aus dem "Wie" als mit dem "Was".
                                                Die Geschichte über einen Cop, der im Rahmen einer riskanten Undercover-Mission zwischen die Fronten und zugleich in einen moralischen Zwiespalt gerät, hat man sicherlich schon zigmal auf der Leinwand bestaunen dürfen.
                                                Doch entscheidende Kniffe, die Kadelbachs Film deutlich über den Einheitsbrei hieven, sitzen schlicht und einfach absolut auf den Punkt.
                                                Es werden vielschichtige Charaktere gezeigt, die sich im moralischen/ethischen Graubereich bewegen und dadurch kaum in klassische Schwarz/Weiß-Ordnungen kategorisiert werden können.
                                                Die geradlinig und reduziert vorgetragene Geschichte taucht Kadelbach in kühl-blaustiche Aufnahmen eines tristen Berlins, entfacht dadurch in Verbindung mit dem drückendem Score eine gleichwohl fiebrig-elektrisierende wie melancholisch angehauchte Stimmung. Unheilvoll-brodelnd spitzt sich das Geschehen in der Folge mehr und mehr zu.
                                                Der kompromisslose, nihilistische Schlußpunkt ist schließlich noch die krönende Kirsche auf der bitteren Torte.
                                                Gerne mehr davon im deutschen Kino.

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                                                  Tobi_G93 20.07.2021, 17:13 Geändert 23.12.2021, 13:09

                                                  "Where stars make dreams and dreams make stars "

                                                  David Lynchs radikalstes, sperrigstes Werk.
                                                  Nach seinem betörenden Hollywood-Alptraum "Mulholland Drive" begibt sich Lynch abermals in die Hölle der Engelsstadt und liefert mit seinem bis dato letztem Spielfilm einen unfassbar hypnotischen, zermürbenden und bisweilen sehr beänstigenden Alptraumtrip jenseits von Zeit, Raum und jeglicher Rationalität.
                                                  Obwohl das Ganze, abgesehen von den rätselhaften ersten fünf Minuten, vorerst vergleichsweise harmlos und trügerisch beginnt.
                                                  Zusammen mit Regisseur Kingsley Stewart (Jeremy Irons) und Co-Star Devon Berk (Justin Theroux) möchte Schauspielerin Nikki Grace (Laura Dern) durch ihre neue Rolle wieder zu alter Größe finden. Ihr gemeinsames Filmprojekt "On High on Blue Tomorrows" ist das Remake eines deutschen Films, der auf einem polnischen Folk-Tale basiert.
                                                  Ihnen wird jedoch auch mitgeteilt, dass das Original aufgrund des Todes der beiden Hauptdarsteller nie fertig gedreht werden konnte.
                                                  Nach kurzer Zeit der Dreharbeiten scheint das Leben Nikkis mit ihrer Rolle Susan Blue auf beänstigende Weise zu verschmelzen...

                                                  "Inland Empire" ist eine Tortur, jedoch zumeist im positiven Sinne.
                                                  Die geniale anfängliche Grundprämisse eines verfluchten Drehbuchs und das darauf folgende Verschwimmen ihrer Rolle im Film mit dem echten Leben Nikkis führt vorerst zu einem grandiosen ersten Drittel.
                                                  Momente, die sich wie die vermeintliche Realität anfühlen, entpuppen sich immer wieder als Filmdreh, wenn plötzlich "Cut" ausgerufen wird und die Kamera bedrohlich ins Bild gerückt wird. In diesen Szenen führt Lynch die potenzielle Immersion und die Verführungskraft von Film und Schauspiel auf famose Weise vor.
                                                  Nach dem noch relativ gut nachvollziehbaren ersten Drittel dreht Lynch jedoch erst richtig auf.

                                                  Die bisher scheinbar "geradlinige" Erzählweise verändert sich abrupt und auf radikale Weise zu einem desorientierenden, alptraumhaften Labyrinth.
                                                  In seiner fragmentartigen Wiederholungsstruktur bilden einige von Lynchs wiederkehrenden Leitmotiven wie der Zusammenhang von Schauspiel und Prostitution, der Gewalt von Männern an Frauen oder die Aufarbeitung von Ängsten und Traumata den letzten vorsichtigen Halt in der zunehmend anstrengenden, zermürbenden Erzählweise.
                                                  Besonders die Abspaltung des "Hollywood-Dreams" hin zum Prostitutions-Alptraum scheint mir durchaus einer der entscheidenden Schlüssel für das Verständnis des Films zu sein.
                                                  Insofern dürfte "Inland Empire" ähnlich wie zuvor MD als giftige Dekonstruktion der "Hollywood-Scheinwelt" zu werten sein.

                                                  Der Weg zum überraschend versöhnlichen Ende ist gesäumt von unglaublich hypnotischen wie auch einigen sehr beängstigenden Momenten.
                                                  Lynch packt hierfür sein ganzes Repertoire an irritierenden, beunruhigenden Stilmitteln aus und liefert einige der unangenehmsten Szenen in seinem Euvre.
                                                  Harte, abrupte Jump-Cuts, unangenehme Close-Ups, Slow Motion, Zeitrafferverfremdungen, bizarre Überblendungseffekte (Derns "Phantom-Face") und die suggestiv beklemmende Soundkulisse zeugen von finsterer Psychedelik, die fortlaufend mehr und mehr an Überhand gewinnt.
                                                  Etwas Straffung (ca. 20-30 Min.) hätte dem Ganzen allerdings schon gut getan.
                                                  Für den geneigten Mainstreamzuschauer wohl der pure Horror, zaubert Lynch hier für Kenner einen der radikalsten sowie beunruhigendsten Filmtrips überhaupt auf die Leinwand.
                                                  Das reinste Experience.

                                                  Abschließend noch der Versuch etwas Struktur in die Handlung zu bekommen:
                                                  #Spoiler Ahead#
                                                  Der Film splittet sich meiner Auffasung nach in minimum vier unterschiedliche Ebenen auf.
                                                  Ebene 1: The Lost Girl verfolgt das Geschehen am Röhren-TV, die ihre eigene Geschichte zunehmend in den Film hineinprojeziert und die Ebenen dadurch verwischen.
                                                  Ebene 2 Film im Film: Schauspielerin Nikki Grace und der neue Filmdreh. Leben und Filmrolle (Ebene 3) verwischen.
                                                  Ebene 3 Film im Film im Film: Der Film "On High on Blue Tomorrows"; Nikkis Rolle Susan Blue, ebenfalls gespielt von Laura Dern
                                                  Ebene 4 Polen: Könnte das Original des Remakes sein. Oder das "echte" Leben des Lost Girls, die jenes in den Film, den sie im TV verfolgt, hineinprojeziert. Vermutlich sogar beides zugleich.
                                                  (Evtl. Ebene 5: der kafkaeske Therapeuth und das psychoanalytisch anmutende Gespräch)

                                                  Interessant ist hierbei noch, das in allen Ebenen Peter J. Lucas die Figur des Ehemanns darstellt, mit dem sich das Lost Girl schlussendlich wieder versöhnt. --> evtl Hinweis für ihr in den Film hineinprojeziertes Leben.

                                                  Phantom: Erscheint in unterschiedlichen Rollen, zuerst als gewalttätiger Zuhälter in Polen, dann als elektrifiziertes Hypnose-Medium, der unterschiedliche Frauen zu Morden treibt. Sowie als rätselhafter Nachbar aus Nikkis? Kindheit, mit Glühbirne im Mund.
                                                  Durch seine finalen Szenen wird dann relativ deutlich suggeriert, dass er eine Art fleischgewordenes Trauma von Nikki/Lost Girl darstellt, dass final besiegt bzw. überwunden wird.

                                                  Gibt sicherlich noch unglaublich viel anzumerken, was an der enormen Offenheit der Handlung liegt. Das soll es dann aber auch erstmal gewesen sein.

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                                                    Stimmungsvoller, exzellent fotographierter Crime-Thriller aus Schweden mit kleineren dramaturgischen Schwächen.
                                                    Student Joel führt ein Leben zwischen Jetset und tristem Alltag, der aus Vorlesungen und seinem Nebenjob als Taxifahrer besteht. Als sich Joel in die Freundin eines schwerreichen Bekannten verliebt, reicht das Taxifahren nicht mehr aus.
                                                    Um seinen angestrebten Lebenswandel zu verwirklichen, begibt er sich in zwielichtige Drogengeschäfte mit einer arabischen Dealerbande. Doch die rivalisierende serbische Gangstergruppierung beansprucht den örtlichen Drogenhandel in Stockholm ausschließlich für sich. Es spitzt sich immer mehr zu...

                                                    Regisseur Daniel Espinosa setzt in "Easy Money" ganz bewusst auf ein vergleichsweise geringes Erzähltempo. Ruhig und unaufgeregt werden die verschiedenen Figuren beinah episodisch Stück für Stück eingeführt.
                                                    Vollends entfernt von Stereotypen bewegt sich Espinosa zwar nicht, dennoch werden die Charaktere als glaubhafte, ambivalent beleuchtete Menschen gezeigt, die kaum in klassische Güt/Böse Kategorisierungen passen. Was das angeht, schonmal ein deutlicher Pluspunkt.
                                                    Stockholm wird als ein von dubiosen Machenschaften und organisierter Kriminalität durchdrungenes Pulverfass gezeigt, eine potenzielle Detonation legt jederzeit in der Luft. Die raue Authentizität, die Espinosa in seinen Bildern transportiert, weckt hier und da durchaus Erinnerungen an Refns knallharte Pusher Trilogie, die auch thematisch klare Ähnlichkeiten aufweist.
                                                    Für Höchswertungen hängt "Easy Money" in meinen Augen zwar zwischenzeitlich doch zu stark durch und insgesamt fehlt noch das "gewisse Etwas", dennoch ein zweifellos gelunges Werk.

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