YupYum - Kommentare

Alle Kommentare von YupYum

  • 8
    YupYum 04.03.2024, 23:28 Geändert 05.03.2024, 21:33

    Im Jahr 1978 versetzt der sogenannte „Grabber“ der stadtnahe Vorort North Denver (in Colorado) in Angst und Schrecken. Immer wieder verschwinden Kinder spurlos auf den Strassen. Die Grundschülerin Gwen (Madeleine McGraw) sieht zwar in ihren visionären Träumen einen unheimlichen Mann mit schwarzen Luftballons, traut sich das aber kaum zu sagen, weil ihr ständig besoffener Vater Terrence (Jeremy Davies) sie deswegen verprügelt. Dann wird auch Gwen‘s 13-jähriger Bruder Finney (Mason Thames) entführt und findet sich alsdann in einem dunklen Keller mit rostigen Wandspuren wieder. An einer Wand hängt noch ein schwarzes, klobiges Telefon ☎️ von anno dazumal, das jedoch mit seinem durchtrennten Kabel schon längst dahin ist - oder etwa doch nicht?

    Auch bei diesem effektiven und äusserst klaustrophobischen Top-Entführungsthriller „The Black Phone“ (2021) können Sie wiedermal den alten Kanon anstimmen: Nur ja nichts darüber im Netz lesen - sämtliche Portale spoilern nämlich auch hier die halbe Geschichte ohne Erbarmen, und rauben dem Film so ein Vielfaches seines ursprünglichen Reizes!

    Schon mit den ersten paar Einstellungen wird schnell klar, dass hier Leute an der Arbeit waren, die ihr Handwerk in jeder Hinsicht verstehen:

    Neben gekonnten Kamerafahrten, raffinierten Schnitten, dramatisch-kurzen Dialogabfolgen, der leicht übertriebenen Colourisierung des Bildes, adäquaten Requisiten, typischer Maske mit Frisuren und Make-Up, den Rocksongs der Edgar Winter Band, Sweet und Pink Floyd - und vor allem durch die Einfügung von Super 8-Schnipsel (das Medium, das schon von vornherein immer ziemlich creepy wirkt) ist hier gelungen, was auch voll beabsichtigt war: Nämlich das perfekte Seventies-Zeitkolorit zu reproduzieren.

    Gerade 1978, in dem Jahr in dem der Film spielt, trieben brutalst-berüchtigte Serienmörder, wie z.B. John Wayne Gacy (1942 - 1994), in ländlichen Gegenden ihr damaliges nacktes Sexualverbrechen-Grauen, fielen jedoch meistens als nette Nachbarn auf. Im Falle Gacy‘s arbeitete die Polizei trotz meherer konkreter Hinweise so unverzeihlich schlampig (ein Phänomen der Zeit), sodass auf sein Konto sage und schreibe mindestens 33 Teenager-Morde gingen, deren Leichen er allesamt unter seinem Haus oder im Garten vergrub.

    Schauspieler Ethan Hawke sagt, dass es damals als Kind völlig zum amerikanischen Alltag gehörte, dass einem wöchentlich wieder ein neues Vermisstenplakat mit Schwarz/Weiss-Foto auf dem Schulweg begegnete.

    Auch sonst fällt in diesem rundum gelungenen Thriller das grosse Plus auf, dass genau dieses einzigartige Zeitkolorit (mit seinem faszinierend-makaberen Beigeschmack) die Komponente schlechthin ist, dank der nämlich diese ganze schleichende Balefulness erst richtig spürbar wird.

    Nachdem er beschloss, aus der für ihn faszinierenden Kurzgeschichte von Joe Hill (Sohn von Stephen King - wen wundert das noch?) ein Drehbuch für einen abendfüllenden Spielfilm zu zimmern, kam Director Scott Derrickson die Idee, diese doch gleich mit Hill‘s eigenen Kindheitserinnerungen zu koppeln. Und traf damit voll ins Schwarze!

    Die Schauspieler gingen in ihren Rollen richtig auf: Für Ethan Hawke war es eine besondere Herausforderung, dass er sich, wegen seinen unheimlichen Masken auf dem Gesicht, voll auf Tonfall und Gestik konzentrieren musste. Die tollen Kinderrollen sind in all ihren Facetten präsent: Vom harten Rocker mit Jeans-Jacke, über den scheuen Paperboy bis zur intensiven Geschwister-Dynamik der beiden Hauptdarsteller/innen Mason Thames und Madeleine McGraw (die mit ihren schwarzen Zöpfen herrlich Wedensday Addams, aus der „Addams Family“, ähnelt), wurde dem ganzen Spektrum einer möglichen Klassenzusammensetzung in grossem Respekt Rechnung getragen.

    „The Black Phone“ (2021) mit seiner eingewobenen Sixth Sense-Mystery, seiner raffinierten Minimal-Dramaturgie und seinem konsequenten Showdown, ist bestimmt der beste Thriller, den ich in den letzten sechs Monaten gesehen habe.
    Hut ab!

    31
    • 7
      YupYum 01.03.2024, 11:35 Geändert 01.03.2024, 23:04
      über Old Man

      Ein alter Mann (Stephen Lang) lebt mit seinem Hund Rascal in einer Hütte, mitten im Wald in den rauen Great Smoky Mountains, die die US-Bundesstaaten Tennessee und North Carolina miteinander verbinden. Eines Tages klopft ein junger Mann namens Joe (Marc Senter) an seine Tür und behauptet, beim Wandern vom Weg abgekommen zu sein und sich verlaufen zu haben. Der misstrauische Alte verhört den Fremden erst einmal regelrecht - und das mit vorgehaltener Schrotflinte – denn er ist es nicht gewohnt, hier oben in der selbstgewählten Einsamkeit Besuch zu empfangen. Der junge Mann ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er diese Hütte überhaupt jemals unversehrt verlassen kann, derweil draussen ein drohendes Unwetter aufzieht…

      Der grosse Schauspieler Stephen Lang (*11. Juni 1952) hat eine Biografie, die irgendwie an den grossen Anthony Hopkins erinnert: Jahrlang in zahlreichen Rollen ohne Fame tätig, schlug er mit den beiden Erfolgsfilmen „Don’t Breath/Don’t Breath 2“ (2016/2021) im gesetzten Alter ein wie eine Bombe, und sein Name war plötzlich in aller Munde. Genauso, wie Hopkins damals 1991 mit „Silence Of The Lambs“ voll re-durchstartete.

      In „Old Man“ (2022) nun, ist er der Rolle seiner Parade als Norman Nordstrom nicht ganz unähnlich: Unglaublich facettenreich wird hier ein isolierter und verschrobener Mann portraitiert, voller toller Zwiegespräche mit sich selbst oder später im Kammerspiel mit seinem ungebetenen jungen Gast.

      Diese spezielle Spannung im Film wird genau in diesen grossen psychologisch versierten Gesprächen forciert, die vielen Wendungen bis zur überraschenden Auflösung tun ihr übriges.

      Wie Sie hier feststellen werden, sind die Leute hier allesamt durchgehend enttäuscht von dem Film - das nicht, weil er nicht gut wäre, sondern weil sie in ihren üblichen Mord-, Blut- und Splattererwartungen nicht bedient wurden.

      Verstehen wir uns richtig: Das ist Schauspiel-Kino auf allerhöchstem Niveau, ähnlich einer packenden Theateraufführung. Aber diese Leute sind sehr wahrscheinlich durch ihren ständigen Handy-Konsum von den schnellvarierenden Abfolgen so geschädigt, dass sie weder die Nerven für ein Theaterstück mehr hätten, noch sich mal auf ein Sofa zurückziehen würden, um konzentriert eine Schallplatte in aller Ruhe anzuhören.

      Auch für dieses akute Gegenwartsproblem gibt dieser tolle Film angenehm Gegensteuer und erinnert in seiner Machart etwas an Stephen King‘s verblüffendes Psychogramm „Secret Window“ (2004; mit Johnny Depp). Mir haben beide Filme gefallen.

      31
      • 6
        YupYum 26.02.2024, 17:26 Geändert 14.03.2024, 13:24

        Der taubstumme Sohn einer erfolgreichen Anwältin verschwindet nach der Schule spurlos und wird kurze Zeit später umherirrend aufgefunden. Der Polizei erzählt er, dass er entführt wurde, aber fliehen konnte. Während die Ermittlungsarbeiten laufen, nimmt die Mutter das Heft des Handelns selbst in die Hand und sucht ihrem Ex-Mann auf, der Kontakte in zwielichtige Kreise hat.

        In der Folge verlagert sich der Fokus des Films, und die Suche nach den Tätern kommt in ein ganz anderes Licht. Dass aus dieser interessanten Ausgangslage im Grund eigentlich eine Anatomie systematischen Zerfalls einer angesehenen Person erzählt wird, eröffnet sich dem Zuschauer erst mit der Zeit.

        Die platzierten Wendungen in „Secuestro“ (2016) sind unglaublich zahlreich und voller Raffinesse, die Polizeiarbeit akribisch, die Schnitte gekonnt, die Atmosphäre ausgesprochen kühl, das Schauspiel exquisit, die soziologischen Unterschiede gekonnt erfassbar gemacht - und die Schlusspointe ist dann so fies, dass man leer schluckt.
        Emotional dennoch seltsam unterkühlt.

        26
        • Dieser Text wurde von anderen Nutzern als möglicherweise bedenklich gemeldet und ist daher momentan ausgeblendet. Wir schauen ihn uns an und entscheiden, ob er wieder freigegeben werden kann oder gegen unsere Community Richtlinien verstößt. Im Falle einer Löschung werden alle Antworten auf den Kommentar ebenfalls gelöscht.

        • 4

          Als ich diese DVD 📀 im Second Hand-Shop aus der Kiste hob, war ich wohl selbst irgendwie vom ersten Eindruck benommen: Femme Fatale, wasserstoffblond, bedrohlich entschlossen dreinschauend, in der Hand die offensichtliche Waffe eines Wagenhebers, flashige, rote Schrift des Titels auf weissem Grund, darunter der Satz „Rache war noch nie so süss!“ plus das Superlativewort „Oscar Gewinner“ als Leit: Die perfekt sarkastische Revenge, also, war der Eindruck meines Unterbewusstseins.

          Leider übersah ich dabei das Kleingedruckte, nämlich den Satz „Von den ausführenden Produzenten von Killing Eve“. Das war ja eigentlich auch schon eine Art feministische (Katz- und Maus-)Rache-Persiflage - eine Serie, die über mehrere Staffeln hinweg immer weiter auseierte 🥚 und weder zu einem Punkt, noch zu irgendeiner Erkenntnis fand. Diese Fantasy-Rache hier, called „Promising Young Woman“ (2020), hat nun immerhin den ergiebigen Vorteil, dass sie nach 110 Minuten zu einem (kruden) Photo Finish-Abschluss kommt.

          Carey Mulligan spielt die Titelrolle, und ich kann mich eigentlich an keinen einzigen Film mit ihr erinnern, in dem sie mir jemals wirklich gefallen hat. Sie kann sich hier auch nicht wirklich entscheiden, ob sie nun komisch oder ernst sein will, schwarzhumorig oder eiskalt. In ihrer unfreiwilligen Komik erinnerte sie mich gar streckenweise an Goldie Hawn.

          Dieser merkwürdige Film trifft nach der ausgiebigen „MeToo“-Debatte dann dafür aber voll den Zeitgeist: „Geplagte Frau rächt sich an den Jugendsünden ihrer sexgewalttätigen Ehemaligen“ könnte der Lead dazu heissen. Es sind dies natürlich meistens Männer (aber nicht nur), die in allesamt schierer Doofheit glänzen (weil sie natürlich so inszeniert wurden), ebenso die weitere restbekloppte Mittäterschaft gemischten Geschlechts. Doch der Mann soll im Zentrum stehen:

          Solche Halbstarken beispielsweise, die kurzum auf der Landstrasse „Cunt“ und „Bitch“ pöbeln, weil der Wagen des Opfers grad nicht vom Fleck kommt. Oder die Titelheldin Carey selbst, alias Cassie, die zum Rache-Spass eigenhändig regelmässig in den schicken Neon-Club geht, wo sie dann das scheinbesoffene Abschleppwild spielt, um die Deppen vorsätzlich in ihre wohlverdiente Falle zu locken, was mit Zählstrichen auch sauber dokumentiert wird. Dann wäre da noch eine machthungrige Rektorin, die zum Ruf ihrer Fakultät Vergangenes unter dem Deckel zu halten versucht, und ein ehemaliges Klassenblödchen als damalige Mitwisserin des grossen angedeuteten Verbrechens. Und dieses Verbrechen, so lernen wir, ist der Haupt(an)trieb unserer Carey.

          „Rache statt Vergebung“ ist die Devise - hinter der komödiantischen Fassade ist die Message hier nämlich bitterernst. Der grösste Fehler, den man in allen, noch so grässlichen, geschehenen Ungerechtigkeiten machen kann, war für mich seit jeher der Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Nicht nur mit der „MeToo“-Debatte wurde mir das wieder bewusst, sondern auch wenn ich von ehemals geknechteten und geplagten Nationen höre, wird das altbekannte Muster-Phänomen wieder präsent, und niemand scheint es jemals zu begreifen:

          Geben wir in gleichem Masse zurück, was wir selbst erlebt und erleidet haben, wird es nämlich nie eine Besserung geben. Es ist für mich in diesem Zusammenhang nicht nur bezeichnend, sondern fast schon an der Grenze zur Selbstentblössung, wenn die Schweizer 🇨🇭 Fast-Bundesrätin von 1990, Christane Brunner aus dem Waadtland, gerade erst kürzlich im Interview mit der NZZ voller Triumph sagte: „Diskriminierte Männer? Das ist halt ausgleichende Gerechtigkeit!“ So werden begangene Fehler der Vergangenheit lediglich aufs Neue rezykliert - diesmal halt diametral.

          Für eine richtige Satire, was wohl die ursprüngliche Intention hiervon war, ist der Film meiner Meinung nach dann halt doch zu bieder, zu zahnlos, zu anpassend, zu unentschlossen, zu konfus und auch zu karikiert - auch wenn er so gerne das Gegenteil davon wäre. Die Romantik-Dialoge, die zum Selbstzweck der Story eingeschoben wurden, könnten auch aus der Feder von Nancy Meyers sein, meistens sind sie im Gros nur auf unterstem TikTok-Niveau, und die gesprochenen Rachelinien, der eigentliche Clou, sind im Ergebnis (und als Konsequenz von beabsichtigter Krassheit) dann so richtig plakativ herausgekommen.

          Die Musik: Für Paris Hilton-Plastik-Pop sind die Leute hier für mich einfach zu alt (ab 35 hört man eigentlich eher wieder Led Zeppelin), der angebliche Szenen-Climax wird mit lachaft imitierter Hichtcock-Psycho-Musik orchestriert, und der Abschluss macht dann gar der Pseudo-Country-Heuler „Angel Of The Morning“ von Juice Newton (1981). Keine gute Wahl alles.

          Dramaturgisch gibt es hier so unglaubliche Durchhänger, sodass ich immer wieder versucht war, vorzeitig abzubrechen - blieb aber dran. Aber die meisten, so lese ich, sind ja restlos begeistert davon, deshalb nehmen Sie es mir bitte nicht übel: Ich gehöre mit grösster Wahrscheinlichkeit eh nicht zum Zielpublikum hiervon.

          26
          • 7 .5
            YupYum 12.02.2024, 21:23 Geändert 15.02.2024, 00:17

            „Bereust du deine Sünden?“
            (Die jeweils letzte Frage seit 1000 Jahren, die der Retter der Familenehre der sog. „Schande“ stellt, während er ihr ins Gesicht schaut, und sie dann exekutiert.)

            Aynur (Almila Bagriacik), eine junge deutsche Frau mit türkisch-kurdischen Wurzeln, liebt das Leben und weiß genau, wie sie es leben möchte. Sie entflieht der Gewalt in ihrer Ehe und lässt sich auch von ihren Brüdern und Eltern nicht vorschreiben, was sie zu tun hat. Sie sucht sich und ihrem kleinen Sohn Can eine eigene Wohnung, macht eine Lehre, geht aus und lernt neue Freundinnen und Freunde kennen. Sie weiß, dass sie sich damit gegen die Traditionen ihrer Familie stellt und sich selbst in Gefahr bringt, doch ihr Drang nach Freiheit ist groß. Bis die Beleidigungen, der Telfonterror und die Drohungen ihrer Brüder immer krasser werden. Als sie sich endlich dazu entschliesst, Berlin mit ihrem Sohn zu verlassen, ist es schon zu spät.

            Heute also vor ziemlich genau 19 Jahren, wurde Hatun Sürücü von ihrem Bruder erschossen. Am Abend des 07. Februar 2005 besuchte sie ihr jüngster Bruder in ihrer Wohnung in Tempelhof, da es immer die Aufgabe des jüngsten Familienmitglied ist, die Tat zu vollstrecken. Nach seinen Angaben kam es zum Streit.

            Trotzdem begleitete sie ihn anschließend noch zur Bushaltestelle in der Oberlandstraße. Auf dem Weg fragte er sie: „Bereust du deine Sünden?" Dann schoss er ihr drei mal in den Kopf. Wenig später wurden drei ihrer Brüder festgenommen. Nur der jüngste, Ayhan, wurde zu einer Jugendstrafe von 9 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Er ist schon lange wieder frei, lebt inzwischen in der Türkei. Die anderen wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.Hatuns Vater hatte Ayhan 4 Tage nach dem Mord eine goldene Armbanduhr geschenkt. Man vermutet, dass diese als Geschenk für seine Tat gedacht war.

            Der Mord an Hatun Sürücü war der erste Ehrenmord in Deutschland, der endlich eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit auslöste. Hatun starb, weil sie frei sein wollte. Der Film „Nur eine Frau" (2019) erzählt ihre Geschichte.

            Jetzt, wo ich nochmal über den Fall Hatün Sürücü nachdenke (A.S.):
            Ist euch aufgefallen, dass der Begriff „Ehrenmord“ völlig aus der gesellschaftlichen Diskussion verschwunden ist? Bei jedem Fall dieser Art wird nur noch von einer „Beziehungstat“ oder maximal einem „Femizid“ gesprochen.

            Tatsächlich wurde in den letzten Jahren viel über den Begriff des Ehrenmordes diskutiert. Mir scheint, dass das auch so ein Hobby bei Themen geworden ist, deren ursächliche Probleme man nicht anpacken will. Lieber diskutieren wir uns blöde, ob ein Begriff, der sich nun einmal etabliert hat und bei dem jeder weiß, was damit gemeint ist, richtig ist oder falsch.

            Natürlich hat ein Ehrenmord nach unserem westlichen Verständnis nichts mit Ehre zu tun. Er hat aber sehr wohl etwas mit dem Ehrverständnis der Täter zu tun. Mit ihren kulturell gewachsenen Vorstellungen von Ehre und dem, was diese Ehre beschmutzt. Mit ihrer Erziehung, Sozialisation, Religion.

            Der Ehrenmord ist oft nicht einfach nur die Tat eines verletzten oder verlassenen Mannes. Er geht seht oft noch weit darüber hinaus. Nicht selten handelt es sich, wie auch das Beispiel von Hatun Sürücü zeigt, dabei nicht um den Partner, der die Tat begeht, sondern um die eigene Familie. Frauen inklusive.

            Die Gruppendynamik, die hier zugrunde liegt, der Druck innerhalb der eigenen islamischen Community, die ständige Beobachtung und Bewertung durch diese, fällt beim Wort „Beziehungstat“ völlig hinten runter und vermengt die spezifischen Eigenheiten eines „Ehrenmordes“ mit der Tat eines rachsüchtigen Partners, der als Einzeltäter agiert. Für das Opfer mag es unerheblich sein, wer es aus welchen Motiven heraus getötet hat. Für die Lehren der Gesellschaft aus und die Präventionsarbeit bezüglich solcher Taten ist es das aber nicht.

            Ein sogenannter Ehrenmord ist immer in eine kulturelle und meist auch in die familiäre Struktur eingebettet. Begriffe wie „Beziehungstat“ oder auch „Femizid“ verallgemeinern in unsachlicher Weise und gestalten damit eine spezifische Aufarbeitung der kulturellen und religiösen Ursachen des Ehrenmordes schwierig.

            Kurz und knapp könnte man sagen: Jeder Ehrenmord ist immer ein Femizid, aber nicht jeder Femizid ist ein Ehrenmord.

            Hatun Sürücü und viele muslimische Frauen sind nicht allein ermordet worden, weil sie Frauen sind, sondern, weil sie Frauen sind, die sich den religiösen und kulturellen Geboten ihrer Community und Familie entzogen haben. Das ist ein wichtiger Zusatz, wenn es um die Ursachenforschung und Prävention geht.

            Und so ist auch klar, weshalb wir in der öffentlichen Debatte nicht mehr, wie vor einigen Jahren noch, über „Ehrenmorde“ reden, sondern pauschal über „Beziehungstaten“ und „Femizide“, als ob es dasselbe wäre, wenn Dieter seine Frau im Affekt erschlägt oder Ayhan mit seiner Familie den Mord an seiner Schwester plant. Nichts davon ist besser, aber alles ist anders.

            Dinge sollen nicht mehr genau benannt und spezifiziert werden, sollen pauschal unter „Femizid“ und „Männergewalt“ subsumiert werden, damit wir nicht mehr über die kulturellen und religiösen Ursachen gewisser Taten sprechen. Denn wenn wir über die kulturellen und religiösen Ursachen sprechen, müssten wir auch darüber sprechen, ob diese Kultur überhaupt zu uns passt. Ob sie sich vereinbaren lässt mit unseren westlichen Werten. Dann müssten wir wieder prinzipiell nicht nur darüber reden, wie viel Zuwanderung wir verkraften, sondern auch WELCHE Art der Zuwanderung wir wollen.

            All das ist nicht gewünscht. Lieber gehen wir gegen uns selbst auf die Straße, vermengen Rechts mit Rechtsextremismus und tabuisieren die Debatte um Zuwanderung und kulturelle Kompatibilität erneut, um uns nicht damit auseinandersetzen zu müssen. Auf das weiterhin nicht nur die Opfer dieser Taten zu uns kommen, sondern auch die Täter.

            Bis die Probleme so groß sind, das uns die Entscheidung abgenommen wird. Bis es nicht nur keine Freiheit für Hatun gibt, sondern keine Freiheit mehr für uns alle.

            25
            • 6
              YupYum 10.02.2024, 21:33 Geändert 10.02.2024, 22:47

              (Kurzkommentar:)
              Das ist doch mal eine irrwitzige (Film-)Idee: Wird man als Zuschauer einfach wieder mal mit einem, so denkt man, hundertesten Heist-Movie bedacht, entpuppt sich dann der Keller (wo der Tresor steht) der altehrwürdigen Bank unverhofft als Slasher-Paradies des grossen Unheils. Da kommen selbst die toughen Gangster-Bräute Leah (Francesca Eastwood) und Vee (Taryn Manning) mächtig ins Schwitzen, aber zum Glück gibt der biedere Buchhalter James Franco hilfreiche Auskünfte und Anweisungen. Doch etwas scheint dennoch nicht mit dem zu stimmen!

              Das Rätsel, um was es hier eigentlich geht, bleibt für den Zuschauer bis (fast) zum Schluss bestehen…
              Fazit: Unterhaltsamer Quatsch.

              27
              • 6 .5

                „Yellowstone City“ (in Montana), das in der abgelegenen Prärie liegt, hat als Goldgräberstadt seine besten Zeiten hinter sich. Als ein Schürfer Dunnngan (Zach MacGowan) doch wieder Erwarten auf Gold stößt und die frohe Botschaft mehr als auffällig der ganzen Stadt verkündigt, scheint sich das Schicksal der Stadt zum Besseren zu wenden. Kurz darauf wird der Goldsucher ermordet aufgefunden. Sheriff Ambrose (Gabriel Byrne) hat den angeblichen Täter schnell ausgemacht und verhaftet. Es ist der ehemaliger Sklave Cicero (Isaiah Mustafa), der neu in der Stadt ist. Doch das Priesrerpaar Thaddeus (Thomas Jane) und Alice (Anna Camp) finden Ungereimtheiten und stehen dem Sheriff immer mehr im Weg. Das Klima der Stadt wird immer vergifteter. Doch dann geschieht ein zweiter Mord…

                Der epische Neo-Western „Murder At Yellowstone City“ (2022) von Richard Gray ist vor allem ein Film der grossen Bilder eines exquisiten Kameramanns (John Garett) und seiner edlen Ausstattung. Beinahe jedes Bild strahlt für sich diese einmalige Western-Stimmung und grosse Atmosphäre aus. Seien es die Nachtaufnahmen, die unberührte Natur oder das Interiors eines Westen-Saloon, in dem der Whisky 🥃 fliesst und dem Glückspiel 🃏 gefrönt wird.

                Der Plot ist nicht minder interessant, viel Gewicht wird auf Psychologie und Interaktion der einzelnen Figuren (die alle exzellent spielen) gelegt und wie sich immer weiter voneinander entfremden.

                Doch dann wird diese Murder Mysterie dem Zuschauer im letzten Drittel unerwartet offen gelegt und erst viel später vom Priester Thaddeus gelöst. Das hat mir etwas Mühe bereitet, denn eigentlich möchte ich eine Auflösung nicht unbedingt vor den Betroffenen selbst und als eigentlicher Climax wissen.

                Anyway, alles ist sehr solide inszeniert und in seiner Art auch ungewöhnlich erzählt, und zum Schluss wird man gar noch mit rasanter Action belohnt, quasi als grosse dramaturgische Abwechslung. „Mord In Yellowstone City“ (auf deutsch) kann man durchaus mal mit einer Sichtung würdigen.

                28
                • 3
                  YupYum 02.02.2024, 14:49 Geändert 10.02.2024, 22:11

                  „Und das widerliche Blut aus euren F-tzen? Eure Menstruations-Schei-se, alles auf meinem Land!“ - „Wir kriegen schon lange keine bescheuerten Menstruationen mehr!“ - „Ja,und wisst ihr warum? Weil Ihr unfi—bar seid! Mit euren widerlichen, vertrockneten, überflüssigen F-tzen!“
                  (O-Ton)

                  Der rauhe Matt (Peter Mullan) und seine halbstarken Söhne vom neuseeländischen Kaff Lake Top staunen nicht schlecht: Da fährt doch seelenruhig eine Karawane vollbeladen mit Container zum Streckenabschnitt „Paradise“ und lässt sich dort beim See nieder - voll mit Plus-50-Frauen, die hier in der Abgeschiedenheit unter Führer-Guru GJ (Holly Hunter) Perspektiven der Erleuchtung erfahren wollen. Und die haben voraussichtlich alle einen ziemlichen Schaden, wie Matt bei seiner ersten Begegnung festzustellen glaubt. Dem Depp, der denen das Land verpachtet hat, droht eiskalte Vergeltung - denn Matt und seine ihm blind ergebenen Söhne verstehen bei solchen Dingen keinen Spass! Gleichzeitig hat dieser Matt noch eine 12-jährige Tochter, eine Asiatin(!) namens Tui, die schwanger Reiss-Aus gemacht hat. Die Polizistin Robin (Elizabeth Moss) aus Sidney, die in Top Lake aufgewachsen war und hier grad zufällig ihre krebskranke Mutter besucht, wird mit dem Fall betreut, als sogenannte Expertin für Jugendfragen. Die stellt auch schell mal fest, dass hier eigentlich alle, ausser vielleicht Sergeant Al Parker (Michael Lott), eine ziemliche Schraube locker haben…

                  Jane Campion, die hier für Idee, Drehbuch verantwortlich ist und für einige Folgen im Regiestuhl sass, finde ich doch ziemlich überschätzt: Nach ihrem Überraschungshit „Das Piano“ (1993, auch schon mit Hunter) kam nie wirklich mehr was von der selbstsicheren Dame, über „Portait Of A Lady“ (1996) schüttelte man den Kopf, das Erotikdrama „In The Cut“ (2003; mit Meg Ryan) war völlig unausgegoren. Und heute gehörte es denn zum guten Ton, auch noch eine Mini-Serie abzudrehen.

                  Doch ausser einem speziellen Schauplatz mit einem mystischen See und so Twin Peaks-nebelverhangenen Schneebergen, ist in dieser halbgaren Dramaserie „Top Of The Lake“ (2013) gar nichts erinnerungswürdig: Die Geschichte plätschert zäh und völlig spannungsfrei vor sich hin, die Dialoge sind gestelzt und teilweise schwer an der Grenze zum erträglichen (wie obiges Beispiel exemplarisch zeigt), dramaturgische Finessen, Überraschungen oder Aha-Erlebnisse sind nicht vorhanden, die ganze Amateur-Psychologie ist zum schreien und der Jungmädchen-Archetypus ist schon lange abgegriffen.

                  Am schlimmsten ist aber die schablonenhafte Figurenzeichnung eigentlich der ganzen Darstellerriege - ohne Scham vermittelt Campion hier Stereotype ohne Ende: Frauen sind partout ausgenütze, geplagte, hysterische, krank gewordene und missgebrauchte Opfer, Männer gewalttätige, cholerische, dauergeile und minderbemittelte Halbstarke, so hohl im Kopf wie ihre ausgesoffene Bierflasche.

                  Elisabeth Moss als junge Detective Robin Griffin ist keine Mare Of Easttown: Ihre Urintention ist der bedingungslose Schutz dieser vermissten Kindsfrau Tui. Das - erfahren dann später - weil sie früher als Jugendliche selbst von diesen Kaff-Hinterwäldler mal in der Gruppe vergewaltigt sein soll: Was Campion hier als psychologischer Clou dem Zuschauer verkaufen will, prallt bei diesem höchstens als weiteres Indiz des Untermauerungsversuch eines erneut urbösartigem Männerbildes ab. Ihre Polizeiarbeit ist höchst unprofessionell: Die Hausdurchsuchung beim bösen Matt ist nur lächerlich und statt dass der Spur im Wald nachgegangen wird, vögelt sie dort lieber eine erneute Runde mit ihrem ungepflegten Freund. Obwohl sie annehem muss, dass Tui‘s Freund ihr mit dem Kanu 🛶 ständig Sachen zum Ufer am Wald bringt (z.B. das Drögeler-Medikament Roypnol!), verfolgt Robin diese Spur nicht.

                  Und diese Tui, Campion’s versinnbildlichte Reinheit und Unschuld, taucht dann auch ganz plötzlich unverhofft und ganz unversehrt putzmunter wieder auf und lässt sich bei den New Age-Frauen verköstigen (die es natürlich auch nicht für nötig halten, das der Polizei zu melden). Man sieht sie alsdann im Wald wieder, wie sie unter ihrem Lederhut Urlaute abkreischt und Gewehrsalven abfeuert. Sie ist hochschwanger und die anschliessende Geburt im Wald ist nach drei Schreilauten auch schon vorüber: Der frisch geborene Schreihals hat weder Nabelschnur, noch ist er blutüberströmt oder voll Fruchtwasser.

                  Wie gesagt, sämtliche hier gezeigten Männer sind primitive und dauergeile Saufbolde. Natürlich lässt sich auch gleich einen Depp finden, der gleich kommt, wenn er im Pub von der übergewichtigen Rubensfrau im oberen Stockwerk für einen Hunderter sieben Minuten sein ungewaschenes Ding reinschieben darf. Matt und seine Söhne sind der Inbegriff des Primitiven, mit ihren ständig nackten, hässlichen Oberkörpern voller Billig-Tattoos verdreschen sie sich auf irgendwann noch gegenseitig.

                  Die gezeigte Frauenriege, die ihre Opferrollen, ihre Frustration und die Abkehr der bösen Männer in Gruppensitzungen zu heilen versucht, ist der wahrgewordene Alptraum. Trotz ihres ständig geäusserten Männerhasses, bleiben sie alle hetero und schwärmen von „fetten Penissen“ und gehen mit den Dorf-Primitivos unter die Decke - in der Not frisst der Teufel Fliegen 🪰! Beim gemeinsamen Nacktbaden im See erquicken sie vor kollektiven Erleuchtungsströmen - eine Zumutung für den Zuschauer: Was sie zwischen den Beinen präsentieren, haben die Männer im Gesicht, nämlich ungepflegte Bartstoppeln. Alles hier Gezeigte ist eine Karikatur und eine Selbstentblössung der Peinlichkeiten.

                  Die Krönung dieses ganzen Schreckenskabinett bleibt jedoch Holly Hunter als streng autoritäre Oberführerin dieser ganzen Karavanne: Ihr böser Gesichtsausdruck und ihre weissen Strähnen erinnern nicht umsonst an die heillos überschätzte Rock-Poetin aus New York, Patti Smith. Auch diese setzt sich auf Fotos aus reinen Imagegründen ständig eine saure Schnute auf - hoffentlich lächelt sie wenigstens dann, wenn Johnny Depp sie wiedermal auf seine Yacht einlädt.

                  Die 6 Episoden von „Top Of The Lake“ in der Season One (2013) kranken dramaturgisch als Fazit in jeder einzelnen Einstellung, und es braucht viel Durchhaltewillen, sie überhaupt zu Ende anzusehen. Ausgelegte Storylines wie das Drogenlabor, das Roypnol, der Mord am Immobilienmakler Pratt oder die Droge im Wein 🍷 werden einfach mir nichts, dir nichts, fallengelassen. Der letzte Twist, 8 Minuten vor Schluss, ist nur noch ganz lächerlich. Ich empfehle, einen grossen Bogen um diese Serie zu machen - ihre allgemein hohen Bewertungen lassen in mir nur Rätsel aufkommen.

                  Fazit: Seht es endlich mal ein, Frauen und Männer passen einfach nicht zusammen. Also lasst es doch einfach gut sein und bleiben!

                  23
                  • 6 .5
                    YupYum 02.02.2024, 11:19 Geändert 02.02.2024, 12:20
                    über Cop Car

                    Ein Hitzeflimmern liegt über der weiten, mit Tumbleweeds (Steppenläufer oder Steppenroller) überwucherten Landschaft von Colorado. Von links stapfen die etwa zehnjährigen Ausreißer Harrison (James Freedson-Jackson) und Travis (Hays Wellford) ins Bild und üben sich dabei in der Aufzählung von Schimpfwörtern. Dann entdecken sie wenig später mitten im Nirgendwo einer kleinen Waldlichtung ein verlassenes Polizeiauto mit offener Fahrertür und einem Schlüssel. Spontan kapern die Jungs den Wagen 🚙, um mit 30 Meilen pro Stunde und in Schlangenlinien über den Highway 🛣️ zu brettern. Der fiese Sheriff Kretzer (Kevin Bacon) war indes nur kurz um die Ecke und staunt bei seiner Rückkehr nicht schlecht. Blöd nur, dass der selbst in einer Mission unterwegs war, die nicht gerade für die Öffentlichkeit gedacht war…

                    Der gradlinige Bad Cop-Thriller „Cop Car“ (2015) von Regisseur Jon Watts („Clown“), der das Drehbuch gemeinsam mit Christopher D. Ford („Robot & Frank“) geschrieben hat, feierte seine erfolgreiche Premiere in Sundance und reüssierte auch als standesgemäßer Abschlussfilm des Fantasy Filmfest 2015.

                    Hier wechseln sich ellenlange Einstellungen mit kurzbündigen Handlungen gekonnt ab, und dieser Kontrast macht letztendlich auch den grossen Reiz dieses staubigen Highway-Krimis aus. Immer wieder bringt eine neue Figur oder eine sonstige Wendung den Plot aus den Fugen - ein Film also voller Überraschungen. Und der Witz mit dem Meerschweinchen ist ein richtiger Höhepunkt!

                    Das undefinierte Ende mag zuerst verwirren, ist aber eigentlich wie eine Faust in die Fresse. Bacon, die Highway-Frau und die Kids sind allesamt herrlich!

                    30
                    • 6 .5
                      YupYum 02.02.2024, 10:31 Geändert 02.02.2024, 10:55

                      Der durch einen unglücklichen Zwischenfall an einer Tankstelle verwitwete und in finanziellen Nöten steckende Abrissunternehmer Scott (Thomas Jane) erhält den Auftrag, das Haus eines zwielichtigen Geschäftsmanns in einer verlassenen Siedlung außerhalb der Stadt dem Erdboden gleich zu machen. Nach erstem Zögern nimmt er an. Als er und seine hörgeschädigte, rebellische Tochter (Harlow Jane) an dem Grundstück mitten in der Wüste New Mexicos eintreffen, werden sie jedoch umgehend vom schrägen Vic (Emile Hirsch) und seiner kaum weniger durchgeknallten Freundin Lola (Liana Liberato) mit vorgehaltenen Pistolen begrüßt. Was will das Duo?

                      Dieser schnörkellose und herrlich fiese Klein-Wüsten-Kammerspiel-Thriller holt mit ziemlich Wenig grosse zelebrierte Absurditäten aus dem Köcher. Die Figurenzeichnung und das Schauspiel sind exquisit, die Atmosphäre durchgehend bedrohlich.

                      Schauen Sie den Film unbedingt in der amerikanischen Original-Sprachfassung an, denn verbal wird hier eine Logik auf den Punkt gebracht, die ein Otto Normalbürger kaum noch nachvollziehen kann. Und die ist fast noch toller, als der eh schon gross ausgedachte Abtrus-Plot.

                      Es verwundert mich nicht, dass ich mich hier bei „Dig Or Die“ (2022) ausschliesslich mit schlechten Repliken konfrontiert sehe. Ich sehe das etwas anders: Geben Sie dem Film eine Chance!

                      27
                      • 3 .5
                        YupYum 02.02.2024, 10:03 Geändert 02.02.2024, 16:26

                        Grenoble ist eine französische Stadt in der historischen Region Rhône-Alpes im Südosten des Landes. Das bekannte Wintersportziel liegt am Fuß mehrerer Berge zwischen den Flüssen Drac und Isère und besitzt renommierte Museen, Universitäten und Forschungszentren. Es gibt eine Seilbahn, die man im Film mal aus der Weite sieht, ihre Gondeln erinnern irgendwie an Blasen und haben deshalb die Bezeichnung "Les Bulles" 🚠.

                        Und die Geografie und das Landschaftsbild ist letztendlich auch das einzig Erwähnenswerte in diesem drögen Ermittlungsfilm (ohne Auflösung). Frankreich 🇫🇷 zollt seinem Ruf als schlechtes Krimiland also wiedermal alle Ehre!

                        Die akribisch genauen und mühseligen Recherchen und Verhöre in „La nuit du 12.“ (2022) färben in ihrer Langeweile schnell auf den Zuschauer ab, dazu gibt’s etwas Psychologie-Internas und wiederum die hippe Woke-Aussage, dass „Männer halt doch richtige Schweine sind“ - es liegt also eh in ihrer Natur, wehrlose Frauen bestialisch zu ermorden. Keine Wunder, johlen die Kritiker und César-Verteiler „Ein ganz grosser Film!“ im Chor. Und Leute übrigens, die verbissen Sport 🚲 treiben, mag ich eh nicht leiden.
                        Also: Ohne mich!

                        24
                        • 7 .5

                          „Es war einmal ein Spielzeughändler, der hiess Marcus - und nahm mit sich alles Spielzeug dieser Welt. Es war einmal ein kleiner Blechtrommler 🥁, der hiess Oskar. Er verlor seine arme Mama, die zufällig Fisch gegessen hatte. Es war einmal ein leichtgläubiges Volk, das glaubte an den Weihnachtsmann. Aber der Weihnachtsmann war in Wirklichkeit der Gasmann.“ - Oskar

                          „Die Anderen werden kommen. Sie werden die Festplätze besetzen, sie werden Tribünen bauen, Tribünen bevölkern und von den Tribünen herab unseren Untergang predigen.“ - Bebra

                          Schulstoffe polarisieren. Sie lösen oftmals besonders hitzige Debatten und Traumatabewältigungen gebrannter Kinder aus. Man braucht nur mal die Bewertungen zu Volker Schlöndorffs Groteske „Die Blechtrommel“ (1979 🥁) hier auf Moviepilot anzuschauen - sie unterscheiden sich nicht gross von anderen Stoffen, die im Unterricht aufgezwängt wurde, wie z.B. „Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (1981).

                          „Die Blechtrommel“ ist also ein berühmter Roman von Günter Grass. Er erschien 1959 als Auftakt der Danziger Trilogie und gehört zu den meistgelesenen Romanen der deutschen Nachkriegsliteratur. Der Roman lässt sich als historischer Roman, Zeitroman, Schelmenroman und Entwicklungsroman charakterisieren. Wikipedia sagt: „Roman, Magischer Realismus, Bildungsroman, Historische Fiktion, Politik-Fiktion.“

                          Spätestens seit Marcel Reich-Ranicki ihn 2012 öffentlich schonungslos abgekanzelt hatte („Es ist ein ekelhaftes Gedicht!“), wurde aus Grass eine Art Persona Non Grata bei vielen Leuten - der Lack unantastbarer Figuren der Nachkriegszeit wurde plötzlich hinterfragt. Kam der charismatische und leicht egozentrische Autor damals persönlich auf das Set der „Blechtrommel“-Verfilmung, fühlte sich Director Schlöndorff in seinem kreativen Prozess eingeengt. Es war ihm lieber, wenn er gar nicht erst auftauchte.

                          Das Buch der unzähligen disparaten Stile und Stimmungslagen, übersetzt Schlöndorff auf einleuchtende Weise in eine locker gefügte Nummernrevue in Überlänge. Von der hastigen, gleichwohl lustvollen Zeugung unter den vier weiten Röcken der Grossmutter Anna Bronski auf einem kaschubischen Kartoffelacker bis zum erzwungenen Aufbruch des überlebenden Teils der Bronski/Matzerath-Sippe 1943 im Güterzug von Danzig in den Westen reiht sich, durch gelegentliche Off-Kommentare des zwölfjährigen Erzählers David Bennent als Oskar mit Kinderstimme, eine Episode an die andere.

                          Den „großen epischen Atem", mit dem der Grass-Roman viele Leser überfordert hatte, wird man hier zum Glück vergeblich suchen. Die Erzählweise ist eher fragmentarisch, fast eine Folge von höchst unterschiedlichen Kurzfilmen, deren Kontinuität nur durch die wiederkehrenden Darsteller gewahrt bleibt. Beschaulicher Naturalismus hat keine Chance sich einzuschleichen, allzu drastisch prallen Horror- und Heimatfilm, Slapstick und heroisches Drama, kleinbürgerliches Satyrespiel und politische Satire aufeinander: Ein eigentliches Chaos.

                          1979 sorgte der Film jedenfalls für ziemlich Furore in der Presse (er gewann den Auslands-Oscar und teilte die goldene Palme von Cannes mit Coppola’s Vietkong-Überwerk „Apocalypse Now“), und was bis heute anscheinend ungebrochen ist: Die Kommentare darüber sind von ausufernd schwärmerisch und verklärt bis zu wüst beschimpfend. Gewisse Leute reden gar nach puritanischer U.S.-Tradition von gezeigtem „Kindersex“ (niemand der Crew sah Katharina Thalbach überhaupt jemals nackt, ihre Vagina wurde für besagte Skandalszene mit einem Stoffetzen abgedeckt). Verbote des Films und Prozesse waren die Konsequenz in den amerikanischen Staaten 🇺🇸 und in China 🇨🇳.

                          Dass gerade Schurkenstaat China den Film auf dem Verbotsindex hat, ist wohl eher darauf zurückzuführen, dass der Film auch konsequent als Anleitung zum Hintertreiben von Obrigkeiten und Autoritäten verstanden werden kann - „Kinder-Oralsex“ als Vorwand. Die Kontroversen, die der Film bis heute auslöst, beweisen eigentlich seine Qualität.

                          Weil mir meine Eltern den Besuch im Kino damals strengstens verboten hatten, versuchte ich mich auch am Buch (meine Mutter hatte ein volles Klassiker-Büchergestell), doch es war mir mit 14 Jahren zu dick, zu verschachtelt, zu komplex und zu ausufernd. Also schrieb ich einfach in der Not spontan Hauptdarsteller David Bennent einen kleinen Brief nach Pully im Waadtland und er antwortete mir erstaunlicherweise auch darauf. Irgend in einer Kiste im Keller hat es bestimmt noch welche unseres naiven und kurzen jugendlichen Briefwechsels.

                          Schlöndorffs „Die Blechtrommel" hielt sich bereits in seiner frühen Fassung schon eng an die Vorlage: Verfilmt wurde zwar nur exakt die Hälfte aller Kapitel (wobei das komplette dritte Buch weggelassen wurde), diese jedoch sehr detailliert. Vereinzelte Dialoge wurden teilweise übernommen und es tauchen am Rande im Buch Figuren auf, die im Film fast nur als Statisten erschienen sind, während sie im Buch zu einprägsamen Nebenereignissen geraten (die Truczinskis, Herr Fajngold).

                          Einige Szenen geben Gretchen Scheffler (Ilse Pagé) und dem Gemüsehändler Greff (Heinz Bennent, Davids Vater) mehr Platz, bauen die Beziehung zwischen Oskar und seinen zwei mutmasslichen Vätern weiter aus. Vieles wirkt im Film abgefahren, surreal und grotesk, der Humor ist pechschwarz und tut in seiner beabsichtigten Entlarvungstaktik dementsprechend weh. Viele Zuschauer nervt der „Gnom“ Oskar vom ersten Beginn seiner Präsenz weg - sein Getrommle und Geschreie und seine Piep-Erzählerstimme - so krass, dass sie in den Foren Schimpfwörter gebrauchen. Alle Mazareth-Familienmitglieder haben zudem eine gehörige Schraube locker. Maurice Jarre’s aufdringlich statische Maultrommel-Musik nervt ebenso vorsätzlich, da ist nichts Symphonisches wie wir seine Musik von den Epen eines David Lean oder Georges Franju kennen.

                          Oskar trommelt auf seinem rot/weiss-gezackten Ding gegen die ganze Erwachsenenwelt an und treibt diese damit in den Wahnsinn - es ist auch kein offensichtlicher politischer Protest, die Nationalsozialisten hier hatten wohl grad Pech. Ansonsten gibt sich der Film ähnlich uneindeutig wie die literarische Vorlage: Einerseits wird versucht, ein heimeliges, gemütliches, normales Umfeld zu schaffen, in dem der Nationalsozialismus sich schliesslich entfaltet, andererseits sieht man, wieviel Abgründiges schon im scheinbar Normalen steckt:

                          Da ist das Füsseln unter dem Tisch zwischen Jan (Daniel Olbrychski) und Mutter Agnes (Angela Winkler), das nur Oskar aus seiner Perspektive heraussieht, da ist der Gemüsehändler Greff, der als Pfadfinderführer mit seinen Jungs homoerotisch aufgeladene Bindungen eingeht, da ist die anrüchige Lektüre von Gretchen und Agnes. Da ist der autoritär-naive Deppenvater Alfred Mazerath (Mario Adorf) mit brauner Uniform („Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps!“), der am verschluckten NS-Parteiabzeichen stirbt. Da wird dank Oscar die lokale Nazikundgebung zum Walzerfest mit Gewittersturm.

                          Da ist das Brausepulver als Aphrodisiak von Nichte Maria (Katharina Thalbach) und Klein-Oskar, mit dem dieser auch dann noch lockt, nachdem er Maria mit Gewalt zur ungewollten Schwangerschaft mit Vater Alfred getreten hatte („In die Klappsmühle ghörsch!“). Da plärrt Zarah Leander aus dem deutschen Volksempfänger „Kann denn Liebe Sünde sein?“, während sich Maria vor Vaginalschmerzen windet. Da kommt der kleinwüchsige Zirkuskünstler Bebra (Fritz Hakl) in Oskars Leben und verbündet sich umgehend mit ihm - seine elegante Artikulation ist dabei bemerkenswert erhaben altedeldeutsch, etwas das es heute nicht mehr gibt.

                          Film und Buch werden nicht müde aufzuzeigen, wie stark Sexualität und Gewalt schon im nächsten Umfeld latent parallel erblühen, natürlich immer unter dem Tisch, im Keller, in den eigenen vier Wänden und sonstwo, solange es nur dem öffentlichen Blick verborgen bleibt. Das gibt dieser gemütlichen Normalität, in der dann der Nationalsozialismus entsteht, eine ungemütliche Note.

                          Das fabulierende Voranschreiten der Geschichte führt letztlich dazu, dass ein Brei aus Handlungen entsteht, und dass sich keine eindeutig greifbare lineare Aussage herauslesen lässt. Man hat den Eindruck, dass der Regisseur selbst den Überblick zeitweise verloren hatte. Ab der zweiten Stunde wird der Film für viele zur ziemlich zähen Durchalteübung.

                          Man darf dabei eines nicht vergessen: Dieser Film wurde mitten im „deutschen Herbst“ gedreht (Schlöndorff war selbst Teil des Autorenkolkekivs, das die Filmcollage selben Titels 1978 realisierte), die Filmgroteske „Die Blechtrommel“ transportiert quasi die damals sehr präsente intellektuelle Auflehnung gegen Obrigkeiten (was die R.A.F. gleichzeitig in Form von roher Gewalt tat) in die hier gezeigte und in ihren Augen unaufgearbeitete Nazizeit zurück. Sie war letzendlich ein weiteres Mosaikstück in einer grossen medialen Ereignisfolge der späten Siebzigerjahren.

                          Auch wenn man den Film abgründig hasst, kulturhistorisch bleibt er relevant. Die Schauspielerin Käte Jaenicke sah man exemplarisch im gleichen Jahr dann wieder als verfolgte Jüdin Frau Levy im TV-Gassenfeger „Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss“, dem wohl grössten damaligen Mosaikstein von all denen.

                          31
                          • 9

                            „Klare Sache, und damit hopp!“

                            „Na, dann freu dich…“, „Alles greulich und abscheulich, Scheisse mit Reisse“, „Wie gehts, wie unterstets?“, „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist“, „Sieht sie denn nicht aus wie eine Gräfin, mein Gretilein?“, „Konservativ bis auf die Knochen, aber kein Nazi!“, „Da fliegen die Raben noch um den Turm,“ „Wo Tränen fliessen, kann nichts gelingen, wer schaffen will, muss fröhlich sein!“, „Was kümmert sich die stolze Eiche, wenn sich ein Borkenvieh dran wälzt?“, „Was macht die Haut? - Eine Haut wie ein Kinderpopo!“, „Tadellos, nee tadellöser!“ oder natürlich: „Wie isses denn bloss möglich?“

                            Manchmal ist man schon dankbar, der deutschen Sprache mächtig zu sein, es gibt so (oft historische) Filme, bei denen man sich eine Synchronisation in eine andere Sprache echt nicht vorstellen kann. Z.B. grad im Zweiteiler „Tadellöser & Wolf“ (1975) von Eberhard Fechner, nach Walter Kempowskis autobiografischem Roman, der 1971 erschien und schon sehr erfolgreich war.

                            Es gibt wohl kaum ein Film, der den deutschen Alltag einer durchschnittlichen Familie in den Kriegsjahren so authentisch rüberbringt, wie dieser hier. Das liegt nicht nur am Sepia-Farbton, in dem er gedreht wurde und an den absoluten deutschen Top-Schauspieler und TV-Legende Ernst Jacobi als Erzähler, sondern auch, weil die meisten Beteiligten diese Kriegsjahre selbst miterlebt hatten.

                            Walter Kempowski hat sich derweil auch zu Kriegsfilmen der neueren Zeit ziemlich abschätzig geäussert: Ihn ärgere immer wieder, wie da in praktisch allen Details geschlampt wird, als allerschlimmstes Beispiel nannte das Hitler-Bunker-Drama „Der Untergang“ (1995, mit Bruno Ganz). „Wenn Soldaten beispielsweise eine Kneipe betraten, nahmen sie die Mütze immer vom Kopf, in den meisten Filmen lassen sie sie drauf.“, erklärt er. Als wirklich gutes Beispiel von Kriegsaufarbeitungsfilmen nennt er gerademal den Vierteiler über Hitler von Hans-Jürgen Syberberg.

                            Hier in der Familiensaga „Tadellöser & Wolff“ stimmt indes jedes Detail. Kempowski, der sich selbst als Genauigkeitsfanatiker sieht, sagte, es gäbe keine einzige Szene, die ihn im Nachhinein störe. Dialoge und Verhaltensregeln sind absolut identisch, genau wie er es selbst als Kind erlebt hatte. Und natürlich fand der Weihnachtsabend 1940 🎄an einem Sonntag statt!

                            Man muss auch die Geschichte aus der Zeit heraus beurteilen, man macht es sich (zu) einfach, wenn man aus heutiger Perspektive sagt „Ach, hättet ihr doch…“, und „Warum ward ihr nicht aufmerksamer?“, etc. Die hohe Authentizität macht eben gerade auch aus, dass Hitler generell und der ganzen politischen Entwicklung sehr naiv begegnet wurde, bis man dann in Rostock auch selbst im Bunker sass, oder ein Pamphlet an einer Wand sah, auf dem ein Mensch als „Volksschändung - bin dafür im KZ“ (als Spruch unter dem Foto) degradiert wurde.

                            Der Widerstand kam, wenn überhaupt, sehr leise. Mutter Greti (Edda Seippel) sagte kein einziges Mal „Heil Hitler!“ und schaffte es gar, den dänischen Verlobten ihrer Tochter Ulla aus dem Gefängnis zu holen. Kempowski hatte Seippel und den köstlichen Karl Lieffen als Vater Karl praktisch selbst gecastet, schon als junger Mann stellte er fest: „Die sind Abbilder meiner Eltern!“

                            Bei aller Ernsthaftigkeit der Thematik ist dieses Alltags-Panoptikum eben auch oftmals irrwitzig und voller köstlichen Absurditäten: Höhepunkte sind sicher die Klavierstunde bei Ilsemarie Schnering, zu der Klein-Peter-Pupp (Kempowski) gehen muss, oder dann der Nachhilfeunterricht beim resoluten Fräulein Anna Kröger (Komikerin Helga Feddersen) im zweiten Teil, zu dem er ebenso verdonnert wurde - Rute inbegriffen!

                            Ein prägendes Merkmal der Verfilmungen (wie auch des Buches) sind die speziellen Sprüche und Redensarten, mit denen die Familienmitglieder hier untereinander kommunizieren. Vereinzelt fanden diese Redewendungen Eingang in die deutsche Alltagssprache der damaligen Siebzigerjahre, kurz nach der populären Erstausstrahlung.

                            „Tadellöser & Wolff“ fand vier Jahre später eine Fortsetzung im Dreieiler „Ein Kapitel für sich“ (der die DDR-Jahre thematisierte), zusammen wurden die Filme somit dann 1979 erneut hintereinander am ZDF ausgestrahlt. Der Erfolg und das Echo waren so überwältigend, dass der Goldmann-Verlag sogar ein bebildertes Film-Taschenbuch „Materialien zu ZDF-Fernsehprogrammen“ herausgab. Doch der Nachfolger hat für mich nicht mehr annähernd die Magie und der Esprit des ersten Films. Kempowski mochte ihn selbst ebenso wenig und verkrachte sich als Folge regelrecht mit Regisseur Eberhatd Fechner. Zwei Alphatiere ertragen sich eben selten länger.

                            „Das Allerprivateste ist auch das Allerallgemeinste, je mehr Sie in ihrer eigenen Erinnerung absteigen, je mehr treffen Sie auch das Allgemeine“, meinte Kempowski.

                            PS: Die ältere DVD 📀 hat eine Bonus-DVD, die fehlt auf der neueren Ausgabe, dafür ist dort das Bild sauber restauriert.

                            26
                            • 7

                              „Oh yeah! Germany - what a beautiful country 🇩🇪, have better luck with your next war!“

                              Peter (Ian Moorse) und Karin (Moni Greser) sind ein Teenagerpaar aus dem Sauerland. Sie lesen die Bravo, küssen sich ständig so Zunge, wie sie es bei Dr. Sommer gelernt haben und sind recht gelangweilt, weil es so wenig Konzerte bei ihnen gibt („Dafür müssen wir meistens nach Köln oder Bochum.“). Peter ist schon vom Punk-Fieber gepackt, während seine dauergewellte Freundin lieber Disco 🪩 mag. Doch dann sehen sie auf einem Self-Made-Plakat, dass tatsächlich die Urpunks „The Adverts“ auf einen Gig vorbeikommen. Sie verbringen die Zeit bis zum Konzert in einer Kneipe - und siehe da: Alle Adverts sind auch da! Da die männlichen Bandmitglieder grad Gefallen an Karin finden, freundet man sich doch einigen Verständnisproblemen schnell an und zieht mit ihnen mit Peter liebt natürlich insgeheim Gaye Advert, die coole Bassistin, die als erster female Star des Punkrock galt… 🎸

                              Die Adverts selbst hatten zunächst keinen blassen Schimmer, dass sie Part in diesem semidokumentarischen Spielfilm von Wolgang Büld („Gib Gas, ich will Spass“, „Manta, Manta“) werden sollten. Punks hassten eh alle kommerzielle Medien, wie das Fernsehen. Sie spielten in Konsequenz einfach sich selbst, alles mit ihnen ist herrliche Improvisation. Die britischen Sprüche über das biedere Gastland sind wundervoll lakonisch.

                              Wirken die deutschen Laienschauspieler mit ihren gelernten Drehbuchlinien oft ziemlich steif und hölzern, machen die diametralen Spontansätze der Band den ganzen Film höchst amüsant und bringen den Kulturenclash richtig zum tragen.

                              Wolfgang Büld (*4.9.1952) war zu Beginn von der Punkszene in London angetan, dank seinen Musikdokus wie „Punk In London“ (1977) konnte er Connections zu den einzelnen Exponenten der Szene knüpfen. Die Tatsache, dass Bands in Deutschland damals so viele Probleme bei der Einreise am Zoll, mit der Polizei im allgemeinen (die R.A.F.-Fahndungsplakate sind im Film omnipräsent!) und mit spiessigen Hoteliers hatten, reizte es ihn, darum herum ein Spielfilm mit Handlung zu machen. Es wurde der erste Film in Deutschland überhaupt, der das Thema „Punk in Deutschland“ überhaupt je aufgriff.

                              Nur mit Glück konnte er seinem Film dem ZDF unterjubeln: Deren „kleines Fernsehspiel“ war nämlich ausschliesslich ein Ventil für abgehobene Autoren-Avantgarde und nicht für Strassenkunst mit Aktionismus - also Glück für Büld, dass der Programmchef grad im Urlaub war und ein unbedeutender Stellvertreter das Geld für die Produktion und einen Ausstrahlungstermin sprach!

                              Das Semidokument „Brennende Langeweile/Bored Teenagers“ (1979) ist als Fazit ein irre tolles Zeitdokument geblieben: Viele Konflikte passierten tatsächlich grad so, wie man sie im Film sieht und sind echt - Feuerwehr, Zollbeamte und Polypen da drin sowieso!

                              Witzige Einfälle beweist der Film außerdem bei seinem komplett schrägen Charakteren wie dem Lokaljournalisten mit seinem dummen Fragen („How many strings got your guitar?“) und vor allem seiner oscarreifen Tanzeinlage, dem Promoter, der Schwierigkeiten hat die Band vor dem Rausschmiss aus der Pension zu bewahren, oder der Tussi, die nicht zum Konzert mitkommt, ohne sich vorher so richtig aufzudonnern, allerdings keinen Schimmer hat, wer überhaupt die Adverts überhaupt sind. Statt Rockfans kamen wegen eines Verstänigungsproblem halt eben Rockers (ja die mit den Motorrädern) in die Disco - Ergebnis: eine wilde Schlägerei!

                              Nur das Publikum beim letzten Film-Auftritt der Adverds ist ein Fake und reingemogelt: Weil nämlich der Heini vorgehend vergass, die Plakate aufzuhängen, fanden sie gerade mal fünf Leute in der Halle ein.

                              PS: DVD 📀 ist 2007 endlich vom Verlag „Sunny Bastards“ erschienen, immer noch billig zu haben!

                              30
                              • 6 .5

                                Moritz (Michael Kebschull) ist 15 und lebt mit seinen Eltern in einer prunkvollen Villa am Elbchausee in Hamburg. Doch die Einrichtung ist schon gepfändet, und der Auszug droht, denn Vater Stuckmann hat bereits Privatkonkurs angemeldet. Moritz fühlt sich zunehmend von seinen Eltern missverstanden und in der Schule vom Lehrer und einzelnen Schülern drangsaliert. Die Grossmutter, die er liebt und immer wieder im Heim besucht, verlangt von ihm heimlich Schlaftabletten, damit sie endlich sterben kann. Konsequent zieht er sich in seine Welt zurück, seine Tagträume sind seine Rachefantasien an den verhassten Obrigkeiten. Er spioniert seiner ständig zu Sex aufgelegten Tante nach, liebt seine Kröte und die zahme Kellerratte, verliebt sich in das Mädchen Barbara und spielt sein Saxophon immer besser. Da quatscht ihn auf der Strasse eines Tages Uwe an, der Gitarrist in einer Lokal-Band ist…

                                Von der Ästhetik her, mutet alles etwas wie eine alte Derrick-Folge an, doch Hank Bohms Panoptikum von Hamburg 1978 hat viele Schauwerte zu bieten und teilweise sehr schräge Szenen im Köcher. Man darf den Kontext nicht auslassen: In dieser Zeit wütete in Deutschland die R.A.F. gegen das Politestablishment.

                                Bohm selbst war auch Schauspieler in vielen Fassbinder-Filmen, für Jugendportraits hatte er eine besonders empathische Ader. Der eine Junge, Uwe Enkelmann, den er im Vorgängerfilm „Nordsee ist Mordsee“ (1976) engagierte, adoptierte er später und aus diesem wurde ein berühmter Theaterschauspieler, der Asiate Dschingis Bowakow war schon immer sein Ziehsohn, und beide sind auch hier wieder mit dabei.

                                In der Rolle der geplagten Grossmutter ist Grete Mosheim zu sehen, eine der bedeutetesten deutschen Schauspielerinnen der Zwanziger- und Dreissigerjahren. Mutter Kyra Mladeck war ein bekanntes Gesicht in Tatort-Folgen. Der coole Elekropiano-Fusion-Soundtrack stammt von Klaus Doldinger, der mit seiner Band Passport grosse Erfolge feierte.

                                Es hat schon sehr köstliche Szenen in „Moritz, lieber Moritz“ (1978): Zum Beispiel, als dieser sich mit seinem Saxophon beim lokalen Kirchenchor bewirbt (weil sein Traumgirl Barbara darin singt), und dann vom Herrn Kapellmeister zu hören bekommt: „Dieses Instrument 🎷 gehört doch in einen Nachtclub und bestimmt nicht in eine Kirche!“, oder als am Konzert der Schülerband eine Revolte ausbricht, weil Moritz‘ Klassenerzfeind mit ihm noch eine Rechnung offen hat. Und wenn dann noch die verhasste rote Katze 🐈 die Kellerratte attackiert, versteht der Moritz dann keinen Spass mehr und Freunde vom Tierschutz sollten besser wegsehen…

                                Fazit: Estaunlich frisch gebliebener Film einer gut aufgelegten Crew mit dem Esprit von etwas Naivität und Spätsiebziger-Anarchie.

                                28
                                • 4 .5
                                  YupYum 24.12.2023, 14:55 Geändert 24.12.2023, 23:35

                                  „Was die wollen, sind doch saubere Menschen, die in Schöner-Wohnen-Wohnungen fleissig konsumieren.“

                                  Anna (Sabine Bach) ist 24 und engagiert sich mit ihrer Kommune gegen den Abriss alter Häuser in ihrem Kreuzberger Kiez. Ausgerechnet sie verliebt sich in den Architekten Martin (Hanns Zischler), der nicht nur 20 Jahre älter ist und schon zwei Ehen hinter sich hat, sondern eigentlich Aufträge für die verhasste Gegenseite ausführt…

                                  Eigentlich sammle ich alle Filme, die aus dieser Zeit kommen und diesen einmaligen Anarcho-Spirit von around 1980 haben, doch Rudolph Thomes Film „Berlin Chamissoplatz“ werde ich als DVD wohl kaum behalten:

                                  Grund: Fast zwei Sunden lang plätschert das alles vor sich hin, ohne dramaturgisch jemals zu irgendwie zu packen oder gar zu verstören und ohne einen bemerkenswerten Schauwert darin: Ausser den ständig grau-tristen Himmel (tatsächlich mal mit einem eingeblendeten Punk/NDW-Konzert), ist von Berlin praktisch nichts zu sehen, und die langweilige Geschichte ohne Höhepunkt geht seinen trägen Gang. Mit dieser spannenden Ausgangslage wäre echt mehr drin gewesen! Doch der Look des Films schon sehr zeitkoloriert ist: Sogar die Himmel beim Ausflug nach Italien sehen seltsam farblos aus.

                                  Ich möchte hier noch der MP-Community frohe Weihnachten 2023 wünschen (einigen tat ich das ja bereits schon bescheiden) - also auf ein tolles neues Filmjahr mit vielen spannenden Rezessionen von Euch!
                                  Herzlichst, Rick 💫🎄❄️🍷🪐🎁

                                  24
                                  • 10

                                    „Have no fear, little one - I am here to protect thee…“ („Hab keine Furcht, kleiner Mann - ich bin hier dich zu beschützen…“)

                                    Immer wieder steht der ultimative Suspenseklassiker „The Omen“ (1976), von Richard Donner, in der direkten Competition mit William Friedkin‘s in meinen Augen ziemlich überschätztem „Exorzisten“ (1973) von William Friedkin, was ich überhaupt nie verstand: Weder sind die Filme dramaturgisch, stilistisch oder von ihrer Ästhetik her ähnlich, noch sind sie es in der Story und vor allem nicht in ihrer Qualität: Setzt „Das Omen“ ständig einen drauf und steigert so permanent die Spannung, läuft es beim „Exorzist“ einfach von A nach B, immer nach denselben Mustern und mit den gleichen Zutaten ab. Publikumserfolge wurden sie dennoch beide, wobei Director Richard Donner immerhin das Zwanzigfache seiner Kosten hereinholte, auch dank sehr cleveren Werbestrategie und den velseitigen Plakatmotiven. Fazit: Jede/r wollte damals „Das Omen“ sehen.

                                    Kein einziges Sequel (die nach diesem Erfolg halt typisch Seventies die logische Konsequenz waren und Donner selbst nicht mehr interessierten - er machte lieber „Superman“) erreichte später je wieder das Niveau dieses genialen Erstlings des „psychological Suspense“.

                                    Die Leute kommen hier denn auch auf ziemlich bizarre Weise und explizite Art ums Leben. Donner entwickelte hierfür auch seinen berühmten „Wegschau-Effekt“: D. h., wendet der Zuschauer bei beispielsweise einem Abschlachten eines Kopfes geschockt seinen Blick weg, ist der Kopf auch dann noch am weiterrollen, wenn der Zuschauer einen erneuten Blick auf die Leinwand wagt. Visuell hat der Film unglaublich (symbolisch) überraschende Einfälle zu bieten: Ein Sturm wütet zum Beispiel so lange, bis die verfolgte Person tot ist, dann ist plötzlich wieder schönes Wetter. Ein Nachtflug wird schon so zur Bedrohung, wenn in der Ferne ein Gewitter vernommen wird. Der dekadente Kindergeburtstag (mit Karussell) der Upper Class unter dem grauen Himmel von London wird jäh unterbrochen.

                                    Überhaupt werden die ganze Symbolik, Mystik, Spurensuche und sogar Bibelkunde grossgeschrieben. Der milchig erscheinende Weichzeichnerfilter ist für die Dekade bezeichnend, Jerry Goldsmith‘ unheilvolle Choralklänge wurden mit einem Oscar (der einzige in seiner langen Karriere) belohnt, sie waren für das Kino neuartig und bis anhin so ungehört.

                                    Dialoge und Schauspiel sind auf allerhöchstem Niveau: Gregory Peck spielte für ihn selbst eigentliches Neuterrain, und der Film gab seiner Karriere denn auch ganz neuen Schub (wie seine Rolle beispielsweise später als Nazi-Arzt Dr. Mengele in „The Boys From Brazil“, 1978). Er sprang eigentlich für William Holden ein, der die Rolle zuvor aus ziemlicher Feigheit ablehnte, da er sie als karriereschädlich erachtete (nach dem Erfolg des Filmes, sprang er gerne ziemlich opportunistisch zwei Jahre später auf den Zug auf, in „Damien - Omen II“).

                                    Die wunderbare Lee Remick wollte nach vielen strengen Dramas und Kostümromanzen einen Change im Image (sie leitete das eigentlich schon mit dem Thriller „Hustling“, 1975, ein) ein Jahr später wiederum war sie im ebenso tollen Roadmovie-Krimi „Telefon“ (1977) neben Charles Bronson zu sehen und weiter im Ausnahmethriller „The Medusa Touch“ (1978) als Psychiaterin Dr. Zonfeld.

                                    David Warner als alternativ angehauchter Fotograf gibt dem Film ebenfalls eine tragende Note, 1978 brillierte er dann als Nazi Heydrich in „Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss“. Dass er es zeitlebens nicht zur grossen Berühmtheit schaffte, war dem coolen Briten völlig egal.

                                    Der eigentlich blonde Junge Harvey Stephens als Teufelskind Damien fällt heutzutage nur noch durch irgendwelche Skandälchen in der Yellow Press auf. Als Donner also die letzte Filmeinstellung mit ihm aufnahm, sagte er ihm ständig: „Harvey, don’t smile! Just don’t smile, boy!“ Harvey selbst konnte sich das Lächeln natürlich irgendwann nicht mehr verkneifen, und so kam die berühmte Schlussszene des Films zustande.

                                    Das Tüpfchen auf dem i gab aber die erst kürzlich verstorbene Samuel Beckett-Haus-Actrisse Billie Whitelaw dem Klassiker, in ihrer berühmtesten aller Rollen „The Nanny From Hell“: Ihr diabolisches Play ist einzigartig und unvergessen, ihr Blick zum schaudern! (Donner filmte wahrscheinlich zum ersten Mal Augen-Close-Ups, die man später oft wieder in Filmen der Siebzigerjahre sah.) Sie selbst, die zufälligerweise ebenso am 6. Juni Geburtstag hat (!), mochte die Rolle kaum: „I almost played it against my will“, schrieb sie in ihrer Autobiografie „Bille - Who He?“, und die Geschichte selbst nannte sie einen „Old Hokum“. 2006 versuchte Mia Farrow im völlig misslungenen Remake des Films, Whitelaw‘s unerreichbare Leistungen zu kopieren und scheiterte daran kläglich.

                                    Apropos Remake: Verzichten Sie einfach darauf, es überhaupt anzusehen, es spoilert Ihnen lediglich die tolle Story, wirklich nur das Original von 1976 schauen - denn nur diese „real version“ hier ist letzendlich der ultimative Mesmerismus der schlotternden Knie und ständigen Bedrohungsszenarien, top gespielt und atmosphärisch einfach unerreicht!

                                    32
                                    • 5 .5
                                      YupYum 21.12.2023, 16:43 Geändert 22.12.2023, 14:29

                                      POSSIBLE SPOILER ALERT
                                      (Bitte lesen Sie folgender Kommentar nicht, falls Sie den Erstling „Das Omen“ (1976) noch nicht gesehen haben.):

                                      „Dieser Blick wird Sie verfolgen…

                                      …und Sie kämpfen mit Ihren Träumen bis der Morgen graut!“

                                      …und Ihr Heimweg wird zum Horrortrip!“

                                      …und Sie erleben eine neue Dimension der Angst!“

                                      …und er wird Ihnen ein Zeichen in die Seele brennen!“

                                      Naja, Hand aufs Herz: Heutzutage würden solche Plakat-Kreativ-Sprüche wohl niemand mehr gross hinter dem Ofen hervorlocken, was dieser Werbetexter-Jungspund, damals 1978, unter das bedrohliche Auge des pupertierenden Damien für das Horror-Sequel „Damien - Omen II“ textete. Doch damals fuhren solche Augen-Close-Ups von Damien selbst oder des unheilvollen Krähenvogel eben schon noch ein, gerade wenn es den Machern damals wohl klar war, dass nach dem klassischen psychologischen Suspense „Das Omen“ (1976) mit dieser Drehbuchvorlage kaum mehr wirklich Originelles zum Stoff hinzufügen liess und sie wussten, dass sie eigentlich etwas vollkommen überflüssiges in Planung hatten.

                                      Trotzdem rannten die Leute wieder ins Kino, und noch heute geniesst dieses Sequel eine Art Kultstatus. An was liegt das?

                                      Director Don Taylor hatte ein eigentliches Dilemma: Er wusste, dass der erste „Teil“ mit dem ständigen Werweissen des Zuschauers in schierer Genialität spielte, wer dieser Damien eigentlich in Wahrheit war. Zuschauer, die zum Teil zwei ins Kino kamen, wussten es jedoch, dass Damien alle durch mysteriöse „Unfälle“ ausräumen wird, die ihm auf seinem Weg nach oben im Wege stehen. Damien (Jonathan Scott-Taylor) selbst wusste es mit seinen 13 Jahren wiederum selbst nicht (und als er es schliesslich herausfindet, das fast die eindrücklichste Stelle des ganzen Film wurde.)

                                      Der Zuschauer war ebenso im Dilemma: Der Film nimmt ständig Bezug zu seinem Vorgänger - ohne Sichtung dessen, bleibt man hier im Regen stehen und wird daraus nicht schlau. Hatte man „Das Omen“ zwei Jahre früher jedoch gesehen, wirkt dieser zweite Teil seltsam bemüht und kaum noch originell im direkten Vorgänger-Vergleich. Schnell wird hier klar, dass diese spezielle Verworrenheit und Mystik nicht mehr annähernd aufkommt, stattdessen einem eine schablonenhafte Story nachgeworfen wird. Der Trumpf von „Teil“ eins war vor allem, dass das Mystische, Unerklärliche und Geheimnisvolle die lineare Erzählung der Welt von Politik und Macht zu stören wusste und diese voller „Unanehmlichkeiten“ kreuzte, und das das Böse ausgerechnet in Gestalt und Person eines knuffigen Jungen erschien.

                                      Hier in „Damien - Omen II“ ist gar nichts mehr unheimlich. Der Schauplatz ist jetzt Chicago 🇺🇸 und das winterliche Wisconsin, nicht mehr London. Die neue Obhut von Damien ist die seines reichen Industriellen-Onkels Richard Thorn (William Holden; also Filmbruder von Gregory Peck), der mit dem Siebzigerjahre-Film-Unsympath Rober Foxworth für den Zuschauer diffuse Konzernstrategien in der Lebensmittelindustrie ausbrütet und damit Dritt Welt-Länder auszubeuten scheinen („Wir bluten sie nicht aus, wir füttern sie.“).

                                      Dann sind da ihre Zöglinge, die Cousins Mark (Lucas Donat; brav und ziemlich naiv) und eben der teuflische Damien, die zusammen eine Kadettenanstalt besuchen und gleich von einem strammen Interna-Typen mit Militärhaube auf der Birne streng gecoacht werden, der plötzlich im Lauf des Films zu allem Erstaunen keine weitere Rolle mehr spielt. Unser Teufelssohn ist also nun Prep in einer schmucken Uniform (und die ständigen Trompeten-Salut-Klänge beginnen den Zuschauer auch ziemlich bald mal zu nerven). Die Jungs marschieren stramm durch die Szenen.

                                      Dann sollten wenigstens halt die „Unfälle“ mit etwas übertriebenem Budenzauber nachhaltig schocken, von denen es deren zehn im Film gibt, doch auch diese sind lediglich eine seelenlose Sensations-Abfolge geworden:

                                      Und wirklich spektakulär ist denn eigentlich für unsere slasherverdorbenen Sehgewohnheiten höchstens noch dieser „Unfall“ im Aufzug - der ist wirklich herrlich fies. Auch gut ist vielleicht noch der Krähenhackemord an der aufdringlichen Journaillen-Tüte Hart (Elizabeth Shepley, deren Motiv wieder eins zu eins aus dem ersten „Teil“ übernommen wurde, dort hatte diese Rolle adäquat Pater Brennan), wie sie mit ihrem Fallmaschen und dem roten Mantel im Strassengraben liegt.

                                      Doch in einem See gibt es kaum Strömung, warum treibt es das Opfer in Unfallszene Nummer vier unter dem Eis grad nochmals weg, wenn der sich noch an einem Baumstrunk festhalten konnte? Die weiteren wirken für unsere heutige Sehgewohnheiten nur noch ziemlich unspektakulär.

                                      William Holden war der Mann, dem die Hauptrolle in „Das Omen“ (1976) zuerst angeboten wurde, und er war der Mann der „No thanks!“ dazu sagte, da er das Drehbuch für seine Karriere schädlich empfand - nun sagt er nach dem Erfolg des Erstlings also doch opportunistisch noch „Yes please!“ - das obwohl nun die Rolle noch einen Bruchteil der Entfaltungsmöglichkeiten zu seinem Vorgänger, dem Vater Robert Thorn (Gregory Peck) hatte.

                                      Seine Filmfrau Ann wird verkörpert von Lee Grant, und eine Lee Grant ist keine Lee Remick! Für mich war diese Frau immer das Sinn- und Abbild einer typisch reichen und dekanten Siebzigerjahre-Amerikanerin - das Mixturergebnis von Hysterie aus Drinks und Benzodiazepinen - und das war sie eigentlich in jeder einzelnen ihrer bescheidenen Rollenzeichnungen damals. Nur das Lodern im Fegefeuer wird da wohl Abhilfe für ihr geplagtes Umfeld schaffen.

                                      Und dann ist da schliesslich noch Jonathan Scott-Taylor als Damien selbst (der beim Dreh schon 15 war) mit seiner faszinierenden Austrahlung, seinem Kontrast aus Milchbubi zu dem pechschwarzen Haar und seinem Blick des Schauderns. Ja, seine Person der Kindlichkeit, Androgynität und Teuflischkeit ist irgendwie seltsam sexy. Von dem brasilianisch-englischen Jung-Schauspieler (*6. März 1963) sind praktisch keine biografischen Details bekannt, 1988 hängte er jedenfalls nach verschiedenen TV-Minirollen seine Karriere entnervt an den Nagel. Director Don Taylor holt denn auch hier nicht wirklich viel aus ihm heraus, er bleibt dennoch ein visuell prägendes Rollenmodell. Und wenn er dann in der cozy Winter-Holzstube mit Mami vor einem alten Hollywoodschinken auf dem Sofa kuschelt, eingehüllt in einer Decke, ist das schon sehr sweet. Jonathan hat auf Facebook eine Fan-Seite.

                                      25
                                      • 7
                                        YupYum 20.12.2023, 10:03 Geändert 20.12.2023, 14:11

                                        „Nazarener, du hast nichts gewonnen. Gar nichts.“

                                        Damien Thorn (Sam Neill), der Sohn des Teufels, ist mittlerweile erwachsen geworden. Er ist der Präsident des weltweit operierenden Konzerns „Thorn Industries“ sowie nun abberufen als Botschafter der Vereinigten Staaten in London. Der Einzug ins weisse Haus und sein Aufstieg zur Weltherrschaft ist nur noch eine Frage der Zeit. Doch zwei Hindernisse gibt es: Die Konstellation der Sterne zeigen es deutlich, dass Jesus’ Wiedergeburt bevorsteht. Weiter sind die Dolche von Megiddo endlich zum Vorschein gekommen, durch die Damien ausschließlich selbst ins Jenseits geschickt werden kann. Diese wurden bei Grabungsarbeiten in Chicago wiederentdeckt und sind bei „Sotheby‘s“ nun unter den Hammer gekommen. Sieben gewiefte Mönche lassen sich nicht aufhalten…

                                        Die ewigen Miesmachereien dieses dritten „Omen“-Teils „The Final Conflict“ (1981) hat sich inzwischen doch endlich wieder etwas relativiert: Es gibt tatsächlich auch Ratings, in denen der Grusler mittlerweile besser weg kommt als sein Vorgänger „Damien - Omen II“ (1978), der eigentlich nur durch seine mehr oder wenigen bizarr inszenierten „Unfälle“ punkten konnte, nicht aber mit seiner doch recht einfallslosen Story.

                                        Schon zu Beginn fällt auf, dass die wie immer bedrohliche Musik von Jerry Goldsmith diemal sich nach einem gross angerührten und einem oppulent symphonischen Klassikwerk anhört - der geniale Komponist hat sich wirklich Mühe gegeben, eine Wiederholung seiner Oscar-gekrönten „Ave Satani“-Verse zu vermeiden. Eingeblendete Stellen aus der Bibel zeigen ebenso, dass hier wieder äusserst werkgetreu gearbeitet und recherchiert vom eigentlichen britischen No Name-Director Graham Baker wurde - so macht Mystery denn auch Freude.

                                        Sam Neill, hier in einer seiner allerersten Hauptrolle als Antichrist zu besetzen, war einfach ein genialer Griff der Casting-Direktorin: Seine Aura des Gerissenen ist bedrohlich, sein schwarzer, leicht fettiger Scheitel der über seinen bleichen Vollmondgesicht quer darüberhängt, unterstreicht seine Macht des Bösen und macht sie visuell erfassbar.

                                        Ein Verhältnis geht er diesmal ein - nämlich mit der schlauen TV-Moderatorin Lisa (Kate Reynolds), derer Sohn Peter bald symbolisch mit dem Jagdblut des Fuchses auf den Wangen in den inneren Zirkel des Satans aufgenommen wird, und dieser ihm dann ohne jegliche Skrupel in Ergebenheit für die grosse Mission Damiens bald „kleine“ Gefälligkeiten erfüllen wird.

                                        Da ist sein treu ergebener Assistent Harvey Dean (Don Gordon), der wie ein Hanswurst und ohne ersichtliche Charakterstärke den Vorgaben des Vorgesetzten folgt - zusammen mit seiner Frau Barbara (Leueen Willoughby), die ausgerechnet an einem für Damien ungünstigen Datum schwanger wird, und die Verwandlung von der biederen Hausfrau zum ultimativen Horrorfuriosum wird - eine absolut wundersame Trash-Metamorphose für den staunenden Zuschauer.

                                        Da der Film mit seinem „final“ im Titel den Abschluss der Triologie bilden sollte, weiss man auch vorausgehend, dass Damien Thorn dieses Abenteuer der ultimativen Machtergreifung nicht überleben wird: Welcher der Mönche nun wird ihm den finalen Todesstoss per Dolch denn auch geben, oder kommt doch alles anders? Nur soviel: Auch hier wird wieder äusserst kreativ gestorben!

                                        Was hier wirklich in einer Radikalität seinesgleichen auffällt, sind diese wiederholten blasphemischen Beschwörungen des teuflischen Damien - mal vor seiner treu ergebenen Geheimgemeinde unter flackerndem Licht vor einem dunklen Hügelgürtel, mal im Zwiegesprächen mit Jesus persönlich, wo die Dornenkrone blutige Spuren hinterlässt.

                                        Dieser Abschluss einer richtigen Kult-70s-Franchise kann als Fazit als ein herrlicher Graus für alle Frömmler und Freikirchler verstanden werden, auch weil er latent ständig diese wundervoll trashige Note transportiert. Mir hatte die Neusichtung dieses Mal echt Spass gemacht.

                                        PS: Mit Figuren von heute wie Putin, Ali Chamenei vom Iran oder Xi Jinping ist die These des Antichristen vielleicht dann doch nicht mal ganz so abwegig.

                                        24
                                        • 3 .5

                                          Zugegeben: Kurz vor Weihnachten 🎄 noch schnell die „Omen“-Reihe zu kommentieren, mag für einige etwas vermessen und taktlos erscheinen, aber ich habe die Filme nun halt mal wieder angeschaut und werde mich auch sputen, dass wirklich noch vor (!) dem Weihnachtsabend abzuschliessen.

                                          Eigentlich passt der TV-Film „Omen IV - The Awakening“ (1991) auch seines Datums wegen nicht in meine kleine Siebziger-/Früh-Achzigerjahre-Retrospektive rein, der Vervollständigung halber bespreche ich diesen halbgaren und gänzlich überflüssigen Aufguss halt dennoch kurz:

                                          Von den früheren Namen in den Credits der Kinoerfolge (1976 - 1981) ist ausser Harvey Bernhard und Mace Neufeld (als ausführende Produzenten) niemand mehr dabei, sie haben alle präventiv das weite gesucht. Waren die beiden etwa in Geldnot, dass sie dieses filmische Übel begingen?

                                          Damien Thorn, der ehemalige Satansbraten, hatte in seinen drei Filmen davor eigentlich niemals jemanden jemals geschwängert, trotzdem soll er nun eine kleine Tochter haben, die wiederum in einem Kloster untergeschoben wurde - und diese darauf adoptierte Delia (Asia Vieira) soll nun seine Macht- und Verderbnismission weiterführen. Die Mutter (Faye Grant) ist jedenfalls bald mal regelrecht verzweifelt und schaltet einen Privatdetektiv (Michael Lerner) ein…

                                          Der uninspirierte Film hätte man sich schenken sollen, die in sich abgeschlossene „Omen“-Triologie wird damit nur unnötig durch Konfusion belastet. Niemand interessierte sich 1991 noch für die Figur Damien und die ganze Prämisse des Teufels, die Leute schauten lieber Bruce Willis, Arnold Schwarzenegger und Jodie in „Das Schweigen der Lämmer“ - weiter waren Hip Hop- und Buddyfilme gross angesagt (Richard Donner, Director von dem ersten „Omen“-Saga-Teil, hatte also mit seiner „Lethal Weapon“-Reihe richtig gepokert).

                                          Die ganze Ideenlosigkeit zeigte sich in den vielen Versatzelementen, die direkt von genialen Erstlings-Klassiker „Das Omen“ (1976) abkopiert wurden: Das adoptierte Kind, die in Ungnade gefallene Nonne, die zwei Nannys (von deren die zweite wiederum die Abgesandte Luzifers sein soll), der Spaziergang nahe dem Fluss, wo das Kind zu ertrinken droht, der knurrenden Rottweiler, die ausbleibenden Kinderkrankheiten, die Scheibe, die einen Hals abtrennt, die Nanny, die aus dem Fenster stürzt (genau wie damals Lee Remick) - undundund. Das Schlussbild auf dem Friedhof 🪦 ist geradezu identisch mit Teil eins!

                                          Die Schauspieler sind allesamt grottig, der Film sieht visuell billig und nach typischer TV-Produktion aus, Jerry Goldsmith geklaute „Ave Satani“-Choralparts nerven, kaum neue Ideen sind hier vorhanden. Immerhin wird mal Brian DePalma‘s Mobbing- und Rachedrama „Carrie“ (1976) zitiert - eine geniale Vorlage, die diese Delia eh nie erreichen kann.

                                          Und seien Sie mir nicht böse: Ich mag auch all diese verhaltensauffälligen und TikTok-gesteuerten Teenie-Gören mit ihrer ewigen ADHS-Zelebrierung in Filmen (und im wahren Leben) generell nicht: Sie stören nur immerzu den Schulunterricht und treiben die Erwachsenen mit ihrem blöden Gekicher zur Weissglut. An diesen vorsätzlichen Systemsprengerinnen sollen sich bitte angehende Sozialarbeiter/innen und Hobby-Psycholog/innen aufgeilen, die dank denen dann ihr Diplom im WC 🚽 aufhängen können - bestimmt nicht YupYum.

                                          27
                                          • 5 .5
                                            über Airport

                                            Ein tobender Schneesturm führt auf dem Lincoln International Airport bei Chicago dazu, dass eine havarierte Maschine die Landebahn blockiert - Schneeschaufeln sind gefragt. Währenddessen befindet sich eine andere Maschine bereits im Anflug: An Bord ist ein psychisch kranker Mann mit einer Bombe im seinem Aktenkoffer. Für Flughafendirektor Bakersfeld (Burt Lancaster), den Kapitän des Passagierflugzeugs Demerest (Dean Martin) und die Stewardess Gwen Meighen (Jacqueline Bisset) wird die Situation brenzlig. Zum Glück ist die betagte und quirlige Witwe Mrs. Quonsett (Oscar für Helen Hayes) mit an Bord, die mit dank ihres Fintenreichtums auch schon mal gerne mal als blinder Passagier mitreist…

                                            Auch wenn es früher schon eine Art von Katastrophenfilmen gab, „Airport“ (1970) wird als eigentliche Übermutter all dieser charakterisiert. Die Zutaten sind simpel, aber effektiv: Man packe eine Handvoll Hollywood-Prominenz in eine ausweglose Situation und lässt sie wiederum von weiterer Hollywood-Prominenz heroisch retten.

                                            Bevor hier jedoch mal ein Flugzeug überhaupt abhebt, werden über eine Stunde lang ziemlich belanglose Kabeleien und Problemchen in bester Soap Opera-Tradition gewälzt. Überhaupt hat der ganze Film eine recht träge Ausstrahlung - viel zu viel Zeit wird mit unwichtigen Nebensächlichkeiten vertrödelt - mit Eheproblemen, Flirts, Firmenhierarchien, technischen Begebenheiten, psychischen Problemen, einigen lärmempfindliche Anwohner und schliesslich mit dem strickenden Grosi Helen Hayes, die ausführlich all ihre Tricks verrät, wie sie ohne Ticket gerne nach New York zu ihrer Nichte reist. Jaja, sowas wie 9/11 gabe tatsächlich damals noch nicht.

                                            Das Vorlagebuch von Arthur Haily war mit den eingewobenen Schneesturm ❄️ eine äusserst atmosphärische Angelegenheit. Kritiker bemängelten immer, dass der Film das nicht genügend zu transportieren wüsste - neun Oscar-Nominierungen sprechen jedoch eine andere Sprache.

                                            Für mich ist der Film letzendlich typisch gediegenes Old School-Hollywoodkino: altmodisch, elegant, behäbig, stilvoll und streckenweise auch recht langweilig: Ganze 80 Minuten Laufzeit spielt der Film am Boden, erst dann geht es mal in die Lüfte. Der eigentlichen Ausnahmesituation wurde in der Relation zum ganzen Geplänkel davor sehr wenig Zeit eingeräumt. Und die stattliche Laufzeit von 137 Minuten ist einfach zu lang geraten für diese eigentlich ursimple Prämisse.

                                            Das Staraufgebot (weiter mit Jean Seberg, Van Heflin, Barry Nelson, Maureen Stapleton und natürlich erstmals George Kennedy) kann sich dennoch sehen lassen, der Splitscreen im schönen Technicolor variiert in allerlei kreativen Formen und der Schnnesturm schliesslich, der draussen wütet, passt auch gut zu Weihnachten 🎄.

                                            Ein grosses Plus des Films ist einfach, dass man mal mit eigenen Augen sehen und fühlen kann, wie stylisch die ganze Fliegerei ✈️ damals in Zeiten von Pan Am und TWA noch war - von sowas kann man heute nur noch träumen: Stewardessen, die gestresst wirken und einem unfreundlich gebührenpflichtig bedienen (wenn überhaupt) sind die Realität von heute. Genüsslich zieht dementsprechend auch Dean Martin 🥃 als Captain im Cockpit an seiner Havannah.

                                            27
                                            • 10
                                              YupYum 16.12.2023, 15:14 Geändert 17.12.2023, 13:07

                                              „Kann es sein, dass der Treibstoff knapp wird?“ - „Keine Sorge, es ist immer noch genügend Reserve da. Abgesehen davon nimmt der Captain jedesmal noch ein paar tausend extra mit, um sich bei seiner Schwiegermutter beliebt zu machen…“

                                              Die heilige „Airport“-Reihe ist doch einfach äusserst schöne Seventies-Franchise der Fortsetzungen, eigentlich mein Favorit von ihnen allen. Genauso wie man immer nächsten Sequels entgegen fieberte (die nach ihren „ersten Teilen“ gar nie wirklich vorgesehen waren), wurde auch der Spassfaktor dieser Filme aus heutiger Sicht ständig exorbitant gesteigert, je weiter es jeweils ging. Die damals angeblich hohe cineastische Qualität wurde meistens mit jedem weiteren Film zugunsten solchem immer weiter hübsch vernachlässigt.

                                              Der Grundstein des ganzen Katastrophen-Genres hat die Reihe denn auch gesetzt: Das Drama „Airport“ (1970) war denn auch die Mutter von ihnen allen - eine gediegene Revue von Hollywood-Edel-Altstars zwischen Soap Opera und kleinbisschen Actionfilm mit komödiantischen Zutaten, die niemanden in seiner Persönlichkeit gross verletzte. Die eigentliche Katastrophe setzte denn auch erst im letzten Viertel des Films mal dann ein.

                                              Der Zweitling „Airport ‘75 - Giganten am Himmel“ (1974) ist dann aber die Quintessenz all dieser ✈️-Filme, sozusagen die Schutzheilige davon. Hier drosselte man den Drama-Anteil gerade noch auf ein Minimum zugunsten einer reisserischen Katastrophen-Freakshow, die keine Wünsche mehr offen liess. Hatte das eigentliche 69er-Original noch eine urseriöse Grundhaltungs-Komponente, fällt im zweiten Aufguss auf, wie wundersam unfreiwillige Komik sich mit dem Trashfaktor paarte, die Seriosität damit grad über den ganzen Haufen geworfen wurde, und über allem eine so einfache wie geniale Handlung schwebte und vorausging:

                                              Man bepacke einen 747-Jumbo voller schrägen Exzentriker-Figuren, verpasst dem Cessna-Piloten (Dana Andrews), der darüber ein Kleinflugzeug im Schneesturm ❄️ wild herumsteuert, einen Herzkaspar, lässt sein Hobby-Reise-Ding den grossen Jet rammen und diesen wiederum pilotenlos ins Elend flattern.

                                              Vor dem Hintergrund der ausflippenden Passagierliste muss nun die leicht schielende Chef-Stewardess Nancy (Karen Black) frierend und fröstelnd den havarierten Vogel ✈️ im Minutentakt quasi aus brenzligen Situationen rausmanövrieren, mit Unterstützung des ewigen Airport-Faktotum George Kennedy in seiner Paraderolle als luftfahrender Alleskönner Joe Patroni und mit der unbestrittenen Katastrophen-Koryphäe Charlton Heston, die dem „Baby“ allerhand spassige Instruktionen per Funk durchgeben. Kommt das denn gut?

                                              Die Story ist hier denn auch zweitrangig, viel wichtiger ist das unverwüstliche Lach- und Gruselkabinett, das hier als Panoptikum über den Wolken die Sau rauslassen darf, mit dem ganzen Wortwitz der damalig so genialen Kunst der deutschen Synchro:

                                              Da haben wir mal die erste Hollywood-Diva Myrna Loy mit on Board, die jeden Bierkutscher mit ihren „Bazillenkiller“ (Bourbon mit Bier danach zum spülen) schon in der Flughafen-Bar unter den Tisch säuft und sich auch über dem Wolkenmeeer einen nach den nächsten hinter die Binde kippt. Da ist ein ziemlich vollschlankes Landei-Blödchen, die ihren blöden Yorkshire-Kläffer grad als blinden Passagier in der Handtasche 👜 mitschmuggelt. Da hat‘s drei notorische Saufbrüder, die bereits schon am Boden ordentlich getankt haben, besoffen boarden und auch während der Katastrophe munter weitergurgeln, während einer von ihnen (Jerry „King Of Queens“ Stiller) als Konsequenz schnarchend den eigentlichen Clou des Films im Delirium verpennt.

                                              Da ist die nahezu dauer-notgeile Pilotencrew, die jede Stewardess abbaggern („Kinder, sind das Sterne“ 💫). Da spielt Stummfilm-Diva Gloria Swanson („Sunset Boulevard“, 1950) gleich sich selbst, deren Juwelen ihr völlig egal werden, lieber für die Nachwelt ihre Memoiren in der bombensicheren Schatulle rettet. Da liegt quer auf einem Sitz noch die Horror-Göre Linda Blair, die pünktlich zur Transplantation einfahren muss. Da ist Chanteuse und Muppet Show-Gast Helen Reddy, die als Nonne verkleidet in bester „Dominique-nique-nique“-Singing-Nun-Tradition ihren neusten Hit auf der Gitarre zupft, um die Kleine zu besänftigen und so als Product Placing ihre Schallplattenverkäufe leicht egoistisch ankurbelt („That’s Why I Am A Best Friend To Myself“). Warum das Lied auf dem Soundtrack-Vinyl (neben John Cacavas’ Edeltönen) fehlte, ist mir bis heute ein Rätsel.

                                              Da sind weiter die zwei älteren Damen, die sich köstlich über die neuste Sextipp-Fibel amüsieren - wohl inspiriert vom britischen Autor Alex Comfort‘s pornographisch illustrierten Bestseller „Joy Of Sex“, der 1972 erschien und viele Schlafzimmer revolutionierte. Da ist Patroni‘s Frau (Susan Clark) die ständig mit ihrem neunmalklugen Sohn das Flugpersonal nervt. Da ist der neurotische Exzentriker (Sid Caesar), dessen Pseudo-Lebensweisheiten („Mrs, Devaney, das trockene Klima von Salt Lake City wird Ihnen guttun.“) und seine konsequente Grimassen-Show alle Sitznachbarn zur Weissglut treibt. Am Boden wiederum will der sensationsgeile und quängelige Reporter (Larry Storch) um alles in der Welt seine TV-Story 📺 - und wegen dessen konsequenten Nervattacken, und weil er allen im Wege steht, dem guten George Kennedy beinahe die Faust ausrutschen lässt.

                                              Man merkt dieser Aufzählung grad sofort an, dass wohl kein eigentliches Interesse des Zuschauers liegen kann, dieses ganze „Ship Of Fools“ voller unvergleichlichen Nervensägen sicher zur Landung 🛬 zu bringen!

                                              Der einzige eigentliche Dramapoint und Subplot ist eigentlich die bröckelnde Beziehung zwischen Black und Heston, doch das Desaster hoch über den Wolken birgt auch hier das Gros der unfreiwilligen Komik, wenn der Chef-Chauvi per Funk der Stewardess ständig mit „Liebling“, „Schätzchen“ und „Baby“ ein Manöver dirigiert, um diesem Kuriosenkabinett noch rechtzeitig eine Berührung von Liebkosung der schneebedeckten Gipfeln zu ersparen. Es erübrigt sich zu sagen, dass auf diese Weise auch die Beziehung wieder wundersam gekittet wird.

                                              Fazit: Dieses einmalig vergnügliche Trashfestival des schlechten Geschmacks ist der eigentliche Höhepunkt der ganzen Reihe, geniesst man die Folge auch mit etwas nötigem Augenzwinkern. Denn bierernst (wie z.B. im „Flammenden Inferno“, 1974) geht es hier gottseidank nicht zu. Eine überzeichnete und absonderliche Armada draufspielender Nebenrollen-Darsteller wechselt die Waagschale gekonnt mit Elementen des Profan-Thrillers und der Actionmomente mit gekonnter Tricktechnik in politisch völlig unkorrekten Tonfall ab - ich ziehe meinen Hut: „Airport ‘75 - Giganten am Himmel“ (1974) ist deshalb auch mein allerliebster Vertreter des ganzen Katastrophenuniversums.

                                              27
                                              • 6 .5

                                                Der zweite Aufguss "Airport ’77 - Verschollen im Bermuda-Dreieck" (1977) ist auch der visuell eigentlich imposanteste der ganzen erfolgreichen Airport-Serie geworden, seine eimalige Absturz-Szene ist einfach breathtaking.

                                                Geld ist eben schon geil: Schnell mal ’nen Boeing-747-Jumbo zum Cocktail-Dampfer umbauen und damit grad auch noch grad die eigene Kunst-Sammlung 🖼️ nach Florida zur Privat-Vernissage ausfliegen - für den Milliardär Philip Stevens (James Stewart) nur gerade ein Klacks!

                                                Der erfahrene Kapitän Gallagher (Jack Lemmon) hat blöderweise den Co-Piloten Chambers (Robert Foxworth) neben sich im Cockpit sitzen, und der ist selbst heiss auf die potentielle Sotheby’s-Beute. Also Gas rein, Maske auf und schön unter dem Radar vom Kurs wegdüsen, so einfach geht das. Doch dann streift die Maschine ✈️ einen Bohrturm…

                                                POSSIBLE SPOILER ALERT:

                                                …und einfach grandios sieht der Absturz ins Meer 🌊 mit anschliessendem Untergang darin dann für den Zuschauer aus!

                                                Und in der Klaustrophobie der Tiefen flippen einige der erlesenen Gäste dann auch wieder ziemlich aus - am imposantesten wahrscheinlich die unsägliche Luxury-Savage Lee Grant, die mit ihrem Cocktail aus Hochprozentigem und der Hausfrauen-üblichen Droge, den Benzodiazepinen, den Weg zum Wahnsinn voranschreitet. Da wäre ein tüchtiger Klaps ihres Gatten Christopher Lee vielleicht von Nöten (bevor die Königin der Dekadenz noch unter Wasser impulsiv die Cabin Door öffnen will), doch der erfahrene Taucher ist gerade anderswertig beschäftigt, statt mit Küchen-Psychologie unter Wasser.

                                                George Kennedy ist wie immer mit als Flugtausendassa Joe Petroni am Funkgerät dabei, die Altstars Olivia de Havilland, Joseph Cotten, Monica Lewis, Arlene Golonka, Darren McGavin und der Schwarze Robert Hooks sind auf der Passagierliste.

                                                Erwähnt sei noch die junge Pamela Bellwood, die als psychisch havarierte Claudia Blaisdel in der TV-Intrigen-Erfolgsserie „Der Denver Clan“ eine feinfühlig-exzentrische Note gab.

                                                Natürlich ist der Absturz in diesen Thrillern meistens spektakulärer als deren Rettung 🛟, doch das schöne Punishment Of Luxury, das sich hier unter den Gästen wieder ihrem gewohnten Ruf gerecht wird, reicht mir immerhin für eine Sympathie-6,5.

                                                PS: Zum zweiten Mal Edel-Soundtrack-Musik von John Cacavas (1930 - 2014), die erstmals als Doppel-CD (zusammen mit „Airport ’79“) im Jahr 2018 veröffentlicht wurde.

                                                26
                                                • 6
                                                  YupYum 15.12.2023, 09:44 Geändert 15.12.2023, 12:42

                                                  Im Rahmen der Vorbereitungen der Olympischen Spiele von 1980 befindet sich eine grad erste entwickelte Concorde-Maschine auf den Weg nach Moskau. Von Wahsington aus soll sie über Paris in die russische Hauptstadt jetten, um ein Zeichen gegenseitiger Freundschaft zu setzen. An Bord befindet sich auch Maggie Whelan (Susan Blakely), die sich erst vor kurzem von ihrem Freund Kevin Harrison (Robert Wagner; beide waren schon gemeinsam in „The Towering Inferno“ (1974) zu sehen) getrennt hat. Harrison ist Chef eines großen Rüstungskonzerns, der jedoch illegale Waffengeschäfte betreibt. Maggie hat vertrauliche Dokumente bei sich, die diese kriminellen Machenschaften beweisen. Kevin möchte natürlich um jeden Preis verhindern, dass die vertraulichen und belastenden Unterlagen in die falschen Hände geraten und versucht dabei in mehreren Versuchen, die Maschine abstürzen zu lassen - Collateralschaden egal!

                                                  Kapitän Metrand (nahe an der Chauvi-Grenze: Alain Delon) und seine Crew (u.a. David Warner, „Das Omen“ (1976) am Boden und der unverwüstliche George Kennedy als Petroni, hier mal im Cockpit) setzen wiederholt alle (Steuer-)Knüppel in Gang, die Katastrophe(n) zu verhindern - Turbulenzen natürlich nicht ausgeschlossen!

                                                  Verrückt: Der hier verwendete Concorde-Prototyp war ausgerechnet die selbe Maschine, die am 25. Juli 2000 als Air-France-Flug 4590 bei Gonesse, Frankreich 🇫🇷, in einer Flugshow-TV-Liveübertragung tatsächlich abstürzte! Die Zeitungen waren damals voll mit Bildern des ausgebrannten Jets - der ehemaligen Zukunftshoffnung wurde ein jähes Ende gesetzt.

                                                  Alle Schande ergoss sich von den Kritikern seinerzeit über „The Concorde - Airport ‘79“ (1979) - den Gesetzen der Aviatik abtrünnig, ein fantasieloser, ungereimter und spannungsloser Aufguss sei das: Eine Concorde könne nicht wie ein Militärjet navigieren und irgendwelchen Drohnen ausweichen!

                                                  Stürzt denn eigentlich jede Kiste gleich filmisch ab, wenn das Sex-Sternchen Sylvia Kristel einsteigt (sowie Bibi Anderson, neben den paar üblichen ancienten Hollywood-Grössen, wie Eddie Albert)? Muss Susan Blakely denn so nahe an der Hysterie acten? Diese Einwände sind zwar berechtigt, dennoch ist der Film kurzweilig.

                                                  Lalo Schifrin hatte nach dem grossen John Cacavas das das Soundtrack-Ruder übernommen und seine x-te Filmmusik tönt seltsam routiniert. So voll Katastrophen-Drama halt.

                                                  Irgendwie ist der routinierte Abschluss der kassentächtigen „Airport-Serie“ eigentlich ein richtig schön-schräges Retrovergnügen geworden und mit die letzte Einstellung im Schnee ❄️ könnte gar noch der ehrenwerten Frau Fletcher ein Lächeln abgewinnen. Doch ausser in Teil drei „Airport‘ 77“ sieht man eigentlich in jeder Folge die weisse Pracht.

                                                  Fazit: So schlecht wie sein Ruf ist der Film nun auch wieder nicht, der Trash-Faktor kommt auch in diesem letzten Aufguss der Reihe nicht zu kurz. Und das ist denn auch beruhigend.

                                                  27