boxcarsboxcars - Kommentare

Alle Kommentare von boxcarsboxcars

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      Die zweite Staffel ist unglaublich schön. Unbedingt versuchen, auch und gerade, wenn man wie ich die erste Staffel fürchterlich fand.

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      • Dolan vor Godard, I'm lovin' it! Wer braucht da noch Sight & Sound?

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          Spoiler(?)

          Vor ziemlich genau zehn Jahren strahlte FOX die vierte, letzte und herrlich konfus-überdrehte Staffel “The O.C.” aus und weil man hin und wieder von Anfällen überbordender Nostalgie geplagt wird, die einen dazu zwingen sich stundenlang von schon bekannten Laufbildern hypnotisieren zu lassen, kommt mir dieses Jubiläum als Aufhänger für diesen kleinen Einwurf sehr gelegen. Denn: Wie sich zeigt, ist die von Josh Schwartz konzipierte Serie ganz hervorragend gealtert. Nicht im Sinne einer ästhetischen Frische oder anhaltenden, politischen Relevanz, nein nein. “The O.C.” war und ist genau das, was es sein wollte: Die Geschichte eines übermäßg intelligenten Jungen aus dem Prekariat, der durch die Verkettung absurdester Zufälle - meisterhaft in den ersten fünf Minuten der Serie in Szene gesetzt - unter das Dach einer stinkreichen Familie in Newport und in die Fänge der High Society und deren übliche Alltagsgeschäfte - Machtspiele, Intrigen, Egoprobleme, Hedonismus, Homophobie, etc. - gerät. Diese, spätestens seit Bernard Shaw, etablierte Idee ist aber nicht das, was die Serie, die ihrer Zeit zu den Aushängeschildern von ProSieben gehörte, wenn ich mich recht an endlose Schulhofdebatten erinnere, auszeichnet. Auch, wenn das stringente Fehlen jeglicher Subtilität und die sich so wunderschön unbeholfen in den sich immer wiederholenden Gesprächen und Phrasen - “Ich hatte keine Wahl.” / “Wir müssen sie da rausholen.” / “Das mit uns...” etc. - verfangenden Figuren herzallerliebst sind, das, was die Produktion zehn Jahre später noch immer lohnenswert macht, ist etwas anderes.

          Da wäre zum einen das überraschend stimmige Bild einer Jugendkultur, die sich aus Comicbüchern (Büchern), “Videospielen” und dem Besuch von Rockkonzerten - Gut, Rooney und The Killers mal bei Seite: Modest Mouse und The Walkmen, anyone? Großartig! - zusammensetzt. Eine Jugendkultur, deren Bestand zu allererst durch Treffen und Unternehmungen gesichert wird. Dazu gehören gemeinsame Besuche von Cafes, dem Pier, unzähligen, öffentlichen Veranstaltungen wie Bällen und Wohltätigskeitsveranstaltungen, und Ausflüge nach Vegas, Tijuana oder Los Angeles.

          Der Zahn der Zeit hat genagft, zweifellos, aber einem Lächeln der Zukünftigen war er damit nur zuträglich. Wenn ein Handyfoto 2003, in der ersten Staffel, wiederholt als “Autogramm des 21.Jahrhunderts” bezeichnet wird und man sich dieses nur wenig später bei der Erfinderin des Berufswegs “It-Girl”, Paris Hilton, abholt, ist das nicht weniger als wunderbar und wenn in diesem Zusammenhang Kirsten, die Mutter und Matriarchin der Cohens, das “Fotohandy” als Mittel zur Überwachung braucht, mit dem ihr Sohn die Anwesenheit Erwachsener und seine Nüchternheit über Kilometer hinweg bezeugen kann, ist das nicht nur herrlich naiv in Anbetracht dessen, was in den Jahren darauf aus dem lustigen Hosentaschenbeschwerer werden sollte, sondern auch eine Art Medienkunst, die Mediendispositive unterwandert und für eigene Zwecke urbar macht.

          Immer wieder mag einen Wunder nehmen, was die Macher für eine Konzeption, von dem was man vielleicht am treffendsten mit “Heranwachsenden” betiteln kann, verfolgen. Die Absurdität von Siebzehnjährigen, die zugleich im SUV um die Ecke gebogen kommen, in fuselfreien Anzügen auf Verlobungspartys mit einem Glas Champagner abhängen, bösen Buben die Schusswaffen aus den Händen schlagen, mit ihren eventuell schwangeren Ex-Freundinnen zusammenziehen und Jobs auf dem Bau annehmen, um sie “durchzubringen”, Segelboote besitzen, sprich: Erwachsenendinge tun, und zugleich Hausarrest erteilt bekommen, weil sie entweder mal einen über den Durst getrunken haben oder eine leicht inzestuöse Beziehung verheimlicht haben, ist immens. Gleichzeit ist sie aber auch extrem unterhaltsam, weil sie sich eben nicht um Logik oder “das Reale” (no Lacan-pun intended) kümmert. “The O.C.” folgt hier ganz dem, was doch alle Siebzehnjährigen wollen: Auf dem Drahtseil des Erwachsenseins tanzen und dabei von hundert Seilen abgesichert sein. Und das sind sie, Infinitypools und Aston Martins lassen keinen Zweifel aufkommen. So können sie sich vollends auf Beziehungsdramen und Probleme konzentrieren, die den meisten Zuschauenden wohl nur recht wären.

          Und natürlich auf das Drama, und das sucht seinesgleichen. Besonders interessant scheint mir, wie schnell Katastrophen einerseits verdaut werden und andererseits wie lange sie als Beweggründe für emotionale Zustände oder Motivationen für Handlungen herhalten müssen - wenn Ryan nach drei Monaten zu den Cohens zurückkehrt, seine Ex das Kind verloren hat und im Grunde alles für ihn und die, allmählich dem Alkoholismus verfallende, Marissa spricht, grenzt es fast an Hohn, dass die einzige Hürde eine nicht gebeichtete Affäre mit dem Gärtner ist, die ab sofort für die Unmöglichkeit einer Beziehung sorgt, die von Anbeginn an masochistische Züge getragen hatte. Handlungsmotivationen werden vollständig von der Plausibilität der Figurenzeichnung abgelöst und werden schlicht instrumentalisiert. Sie kommen dann zum Einsatz, wenn die Geschichte sie braucht.

          In ihrer Naivität verzichtet die Serie selbstverständlich auch vollkommen - beziehungsweise mit wirklich minimalen Ausnahmen - auf alles, was nicht weiß ist und sie ist um kein Stereotyp verlegen. Der Gärtner ist Latino, genauso wie die, im Armutsviertel wohnende, Ex-Freundin von Ryan, Jura ist nach wie vor ein streng jüdisches Betätigungsfeld, schwarze haben den Weg an die Westküste noch nicht gefunden, und damit wären noch nichtmal die gröbsten Fehltritte genannt und damit natürlich keinesfalls gebannt. Zumindest außergewöhnlich scheint mir zu sein, wie völlig offen die Serie mit der Konstruktion des “sissy jew” in Form von Seth Cohen umgeht. Das führt aber zu einer anderen Begebenheit, die bezeichnend ist: Die Serie lügt und das am laufenden Band, sie macht sich mit ihren Figuren gemein. Seth, der Loser, der Versager und Gehänselte, der Junge mit dem Waschbrettbauch und Enkel des reichsten Mannes von Newport, der erst mit dem Auftreten von Ryan zu einer sichtbaren Person wird, ist zugleich auch der, der sich der libidinösen Zuneigung zweier Frauen erwehren muss. Natürlich, wie hätte es anders sein können, kommt ihm letztlich seine sexuelle Potenz in den Weg. Seine eigentliche Funktion liegt aber zum Großteil in der des sarkastischen Kommentators und der ist absolut unverzichtbar.

          Denn was “The O.C.” trotz all der Blauäugigkeit, Leichtigkeit und politisch völlig verachtenswerten Ideologie schafft, ist Melancholie. Es scheint, als besauften die Produzenten sich an der karikierenden Überzeichnung von katastrophalen Ereignissen und Schicksalsschlägen. Die glatte, harte Oberfläche kann ausschließlich mit Mordwerkzeug gebrochen werden. Da reichen keine verbotenen Küsse oder geheimgehaltene Leidenschaften mehr, da muss es schon ein Job als Cagefighter oder eine Affäre mit dem Ex-Freund der Tochter sein, die geführt wird, während man mit dem Großvater von...usw. Diese Ambivalenz ist es, die “The O.C.” noch immer sehenswert macht. Sie schafft es bei aller Stereotypie und Sorglosigkeit, trotz all dem Unverständnis, das man den Figuren entgegenbringt, das Publikum an sich zu binden. Sie pocht dabei nicht auf horizontale Erzählstränge - by the way: Sie läuft fast zeitgleich mit “The Wire” an und steht damit recht zu Beginn vom oft herbeizitierten “Quality-TV” - oder ästhetische Raffinessen und präsentiert so auf eindrückliche Weise ein Gegenmodell zu aktuellen Serien: Einem zur emotionalen Teilhabe aufrufenden Format, gefilmt auf 16mm, ausgestrahlt in wunderschönem 1.78:1.

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          • Vielen Dank für einprägsame Seminare und hitzige Diskussionen. Hat immer Spaß gemacht und das Denken vorangetrieben.

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            • Muss noch jemand darüber lachen? Das wird ab jetzt immer meine Pointe sein, wenn ich über ‘Toni Erdmann’ sprechen muss.

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                ”Sylvia Lacan hat einen Satz in Erinnerung behalten, den Foucault eines Abends bei ihr in der Rue de Lille äußerte: ‘Es wird keine Zivilisation geben, solange nicht die Ehe unter Männern zugelassen ist.’” - ‘Michel Foucault’, Didier Eribon

                “Im Kern dieser Tragödie steht die Rasse. Die Rasse ist in weitem Maße ein ikonenhaftes Geld. Es erscheint auf dem Umweg über den Handel - den der Blicke. Dieses Geld dient dazu, das, was man sieht (oder auf keinen Fall sehen will), in ein Element oder Symbol innerhalb einer allgemeinen Ökonomie von Zeichen und Bildern zu konvertieren, die man austauscht, die zirkulieren, denen man einen Wert beimisst oder nicht und die zu einer Reihe von Urteilen und praktischen Einstellungen berechtigen. Die Rasse, so kann man sagen, ist zugleich Bild, Körper und Zauberspiegel innerhalb einer Ökonomie der Schatten, deren Eigenheit darin besteht, dass sie das Leben selbst in eine geisterhafte Realität verwandelt.” - ‘Kritik der schwarzen Vernunft’, Achille Mbembe

                ‘Moonlight’ ist ein Anfang. Und Anfänge müssen wissen wie sie beginnen möchten. ‘Moonlight’ möchte mit Boris Gardiner beginnen (https://www.youtube.com/watch?v=mYnenIWZjwE) und verheißt schon an dieser frühen Stelle einen Schulterschluss, hat doch vor ziemlich genau zwei Jahren ein weiterer Anfang mit ihm begonnen (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/f/f6/Kendrick_Lamar_-_To_Pimp_a_Butterfly.png). Genauso wie Kendricks ‘To Pimp a Butterfly’ ist ‘Moonlight’ mit dem Prädikat ‘game changing’ zu versehen. Genauso wie bei ‘To Pimp a Butterfly’ soll ‘Moonlight’ sich in Acht nehmen. Im Taumel der Diskurse, der verwirrten Twitteraccounts und selbstbesoffenen Filmfreunde soll auf einmal das gelten, was doch sonst nie interessiert: Der Film ist nur zur rechten Zeit am rechten Ort. Ohne die oscarssowhite-Debatte hätte ‘Moonlight’ nicht gewonnen. Ohne die ‘Black Lives Matter’ Bewegung hätte Kendrick niemals den ‘Key of Compton’ erhalten. Hinter Argumentationsmustern wie diesen verbirgt sich nichts als ein zutiefst rassistisches Denkschema, dessen Salonfähigkeit betrifft. Dass ein Film den Oscar erhält, weil er ‘zur richtigen Zeit am richtigen Ort’ war, wird wohl den Preis in der Kategorie der grenzdebilen Kurzschlüsse im Abonnement haben. Denn um nichts anderes geht es doch. Darum zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Darum einen Zeitgeist warhzunehmen, ihn aufzunehmen und in etwas ganz Wundervolles zu transponieren. Nichts anderes tut ‘Moonlight’.

                Er erzählt von einer unzivilisierten Gesellschaft, einer, in der Gewalt mit ungleichen Mitteln bekämpft wird.

                Er erzählt von Körpern, deren einzige Bestimmung darin liegt, malträtiert und nicht berührt zu werden.

                Er erzählt von Körpern, die geformt, die trainiert werden müssen, um dem Martyrium zu entgehen.

                Er erzählt von Körpern, die nicht mehr sind als Masken. (Und man würde den Film sträflichst unterschätzen, wenn man an dieser Stelle nicht an Frantz Fanons ‘Schwarze Haut, weiße Masken’ dächte.)

                Masken, deren Fallen nicht nur unmöglich scheint, sondern ist.

                i, ii, iii. ‘Moonlight’ macht keinen Hehl daraus, dass es sich beim Protagonisten nicht um eine Einzelperson handelt. Namenlos schliddern Little, Chiron, Black durch die Gegend und passen sich den äußeren Umständen an. Aber es gibt keinen Kern, es gibt nur noch die Maske.Wenn in den letzten Minuten die Maske zu sprechen beginnt, dann ist das bewusst als Utopie inszeniert.

                Die letzte Szene ist ein Anfang. Die Diskussionskultur, die diesen Film umweht, sollte auch ein Anfang sein. Einer, der ohne Umschweife die Richtung Zivilsation einschlägt. Eine Zivilisation, deren Willen die geisterhafte Realität zu zerschlagen klar erkennbar ist.

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                • Irgendwie hat Rajko ja recht, auch ich hab im Gefühl, dass hier immer weniger los ist. Aber andererseits denkt man sich dann, dass es auch ganz gut so ist. Wenn sich schon zu einer so völlig offensichtlichen Kacke die Leute ihren Unsinn aus der Nase ziehen, mag man nicht wissen, wie es aussähe, wenn es um was anderes als ein geschmackloses und widerwärtiges T-Shirt ginge. (Das ist mit Didi Hallervordens ‘Trump-Song’ mein fail des Tages. <3 ...davon mal ab: T-Shirts mit Sprüchen aus Serien, echt jetzt?)

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                    Der Film vereint zielsicher sämtliche Widerwärtigkeiten, die man sich vorstellen kann. Was Schweighöfer hier verantwortet, treibt einem die Kotze strahlweise aus der Nase. Wie völlig schamlos in jeden Diskurs reingewurzt wird ohne auch nur das geringste Interesse an irgendetwas anderem als an sich selbst erkennen zu lassen, das sucht schon seinesgleichen. Der Umgang des Staats mit Familien, Verteilungsgerechtigkeit, Sexismus, Rassismus, alles ist einem recht, solange es als Vehikel für Gags, die man so und genau so schon in den neunziger Jahren erzählt hat. Das einzig aktuelle an diesem auch beleuchtungstechnisch völlig versauten Mist ist der Staubsaugerroboter, von dem man sich wünscht, er würde ganz in der Manier der Wasserfolter immer wieder und wieder und wieder auf Schweighöfers verpestete Birne brettern, die im Aufsetzen eines Tintenfischkopfs ihre einzige Funktion findet, eine dekorative.

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                      ‘Personal Shopper’ ist nicht weniger als eine Kinosensation, um das mal gleich vorwegzunehmen. Denn diese Einschätzung steht nicht als Ergebnis unter'm Strich, über dem man die zahlreichen Gründe für die wirklich uneingeschränkte Lobhudelei, die dieser Film verdient, zu finden sind. Sie ist vielmehr die Voraussetzung für eine intensive Auseinandersetzung, die man, wie immer und überall, an dieser Stelle nur rudimentär vornehmen kann und möchte. Könnte man diese Idee, das Urteil der Analyse zuvorkommen zu lassen, leicht verallgemeinern und zum in Stein gemeißelten Credo werden lassen, ist es im Fall von ‘Personal Shopper’ eher eine Form sich dem Film und dem, was er zeigt, anzunähern. Ein Film, der sich die altbekannte Proklamation von Paul Klee, der die Aufgabe der Malerei darin sah das Unsichtbare sichtbar werden zu lassen, zu eigen macht, erlaubt es nämlich auch die Begründung eines Urteils erst nach deren Fällen in Erscheinung treten zu lassen. ‘Personal Shopper’ evoziert eine Erfahrung, deren Ursachen während ihres Verlaufs nicht auszumachen sind, sie sind schlichtweg da. Die ureigenste, mediale Kraft des Films, das Einfangen zeitlicher Bewegung, entfaltet sich vollends in der vermittelten Erfahrung, die von einer so großen Unmittelbarkeit ist, das einem einzig und allein Verhoevens aktuelles Meisterstück als Vergleich einfällt. Das Filmemachen und das Filmegucken, Produktion und Rezeption verlaufen parallel zueinander in einem Film, der bewusst offen lässt, ob das, was die Hauptfigur spürt, das ist, was es ‘ist’. Wahrnehmen hat hier nur bedingt etwas mit dem zu tun, was man gemeinhin ‘real’ nennen mag. Wahrnehmen heißt - endlich wieder! möchte man sagen - auch fühlen. Damit ist ‘Personal Shopper’ vor allem ein zeitgenössischer Film im wahrsten Sinne des Wortes.

                      Feingliederig ziseliert er sämtliche Kommunikationsformen und dekliniert die Funktionen der - auch nicht mehr allzu - neuen Medien. Das Spektrum reicht von hinterlassenen, handschriftlichen Notizen, bis zu SMS, Telefonaten, Skypegesprächen und nicht zuletzt telepathisch Vermitteltem. Körper entziehen sich den Kommunikationsformen auf die eine oder andere Weise beharrlich. Maureen hat Kyra nicht gesehen, einzig ihre Spur ist in Form von Anweisungen auf einem Zettel zu finden. Die Abnabelung des Körpers vom Geist wird am offensichtlichsten in der titelgebenden Berufsbezeichnung. Die Sorge um den Körper einer Anderen als Tätigkeit, die zwangsläufig eine Art Supplement erzeugt. Verbotenerweise ersetzt Maureen Kyra in ihrer Kleidung und wird zur Statthalterin. Aber hier geht es keineswegs um eine schnöde Modekritik wie sie uns von ‘The Neon Demon’ vor Augen geführt wurde, sondern um die zwanghafte Vorstellung von einer Körper-Geist-Entität, mit der Maureen bricht. Fast schon mehr erschreckend als überraschend schafft Assayas es für keinen Moment in eine abgedroschene New Age-Klamotte zu schlüpfen, beständig entgeht er der Malickfalle. Die Verweise auf neue Geschichtskonstruktionen, die eine Umschreibung der Kunst- und Literaturgeschichte sind nicht als Konzeptionen oder philosophischer Mummenschanz zu enttarnen. Einfach deshalb, weil sie als gegeben präsentiert werden. Visuelles Material, Filme, Leinwände, werfen den Verlauf der Geschichte um, versehen Ereignisse und Realitäten mit neuen Bedeutungen. Und so gibt es nichts selbstverständlicheres als ein youtube-Video, das einem während einer Busfahrt in aller Kürze davon berichtet, dass die Abstraktion eben nicht den historischen Umständen oder gesellschaftlichen Umwälzungen zu verdanken ist, sondern der Eingebung einer Frau, der man zu Zeiten ihres Schaffens aller Wahrscheinlichkeit nach den Hysterikerinstempel aufgesetzt hätte. Hundert Jahre Kunstgeschichte mit einem Wimpernschlag vergessen machen, was wünscht man sich denn mehr? Nichts.

                      Denn Kristen Stewart hätte man sich nicht wünschen können. Sie ist so fabelhaft, dass schlicht niemand auf die Idee gekommen wäre sie zu erfinden. Ihr Spiel ist beeindruckend und - ja, auch das darf man mal sagen - einzigartig. Sie hat ein unglaubliches Gespür für kleine Gesten. Die Details sind so zahlreich, dass ich nicht behaupten möchte alle gesehen zu haben. Aufgefallen ist mir vor allem der Einsatz ihres Munds als ‘dritte Hand’, in der sie ihren Reisepass transportiert, das Einstecken des Handys in die hintere Hosentasche (noch nie gesehen) und das beständige Unterbrechen von Handlungen. Alles, was sie anfasst, lässt sie liegen. Egal ob Kaffee, Bier, eine Mandarine und jede der gefühlt hundert Zigaretten, die sie sich im Laufe des Films anzündet. Diese Gesten verkörpern das ständige Unterwegssein, ihre Rastlosigkeit, ihr ‘Warten’, das sie dazu zwingt permanent in Habachtstellung zu verharren und sich auf nichts konzentrieren zu können. ‘Personal Shopper’ hätte leicht daneben gehen können. Es ist Kristen Stewart zu verdanken, dass dem nicht so ist. Ein Film, der sich mit der Digitalisierung der Kommunikation, der Virtualisierung der Geschichte und Gesichter und der Auflösung des Körpers und fluoreszierenden Körpern überhaupt auseinandersetzt, kann nur von einer Schauspielerin getragen werden, deren körperliches Spiel in allen Nuancen pointiert scheint. Von ihren zitternden Fingern in den Großaufnahmen des Handydisplays, über das Ballen der Faust beim nervenden Telefonat mit der Chefin bis hin zur Grandesse, mit der sie in Designerkleidern auf dem Boden hockt.

                      So ist ‘Personal Shopper’ nichts anderes als die wahrgewordenen Hoffnung auf ein Kino, das sich eben nicht vollständig abschaffen will und lässt. Dafür kann man kaum dankbar genug sein.

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                      • D'accord. Besonders schön auch die Szene, in der kurz vor Bereiten des Abendbrottischchens eher rhetorisch in die Runde gefragt wird, ob es denn in Ordnung sei, wenn die Männer eine etwas größere Portion bekämen. Nach sofortiger Zustimmung sämtlicher Tattoo- und Lieblingsbodyhäschen war es an Hanka diese Ungerechtigkeit zu unterbinden, was sie selbstredend auch bereitwillig tat.

                        Aber auch, wenn mir Kader, deren Schaffen ich spätestens seit den einschlägigen Kalkofe-Huldigungen (erinnert sei an: “Ich habe mich selbst gefunden, dafür verdiene ich den Nobelpreis” oder “In diesem Buch geht es um einen frechen Kater”) gebannt verfolge, und die ich gestern zufällig als Warm-Up zu IBES bei ihrem Auftritt bei Frauentausch bewundern durfte, sehr gefällt und Hanka ebenfalls keine Dschungelkompetenzen abgesprochen werden können, macht sich bei mir immer mehr der Eindruck breit, dass einen nach der einzig wahren Dschungelkönigin, die auf wundersame Weise Eleganz und Nonchalance verkörperte, lebte und in die Welt sandte, niemand mehr so richtig beeindrucken kann. Andererseits: Wenn wir eins in all den Jahren Camp gelernt haben, dann ist es sicher, dass es vorbei ist, wenn es vorbei ist. Und bis dahin sind es ja noch ein paar Tage.

                        Lustig auch, wie völlig plan- und ergebnislos Florian versucht Hass auf die, zugegeben, wirklich furchtbare Sara Joelle zu schüren. Eine Beschwerde über fehlende Mimik und künstliche Gesichter aus seiner Richtung hat aber durchaus für Heiterkeit gesorgt. In Nicole sehe ich Potential zum Publikumsliebling. Nach der wackeren Prüfung und der Premiere ihrer Stimme wird sie einige Pluspunkte gesammelt haben. Markus ist gemeinsam mit Jens das schlimmste Wifebeaterpärchen ever (ever, ever!). Jens, der das Symbol seines toten Kindes gleich über'm Vox-Logo trägt ist mir eine Spur zu gruselig, Markus hält sich für mindestens vier mal zu schlau. Da fällt mir ein: Wieso sind eigentlich immer die Komiker die absolut unlustigsten Insassen? Da steckt doch System dahinter. Anders als Du hatte ich ein wenig Hoffnung, dass von Gina-Lisa mehr kommt. Aber außer einer vielsagenden Fußnote (“Da kamen Erinnerungen hoch”, nachdem sie in einer Dschungelprüfung am Hals “gewürgt” wurde) war da bisher nix und irgendwann hat man sich an ihren Sprachduktus und die bezeichnend heißere Stimme, die einem anfänglich Freude bereitete, gewöhnt. Auch der alte Trick verflossene Liebschaften (Marc) einzuladen, hat zu nicht mehr als einem halbgelangweilten Gespräch in der Nacht geführt, an dessen Ende sich beide nochmal sagen wie lieb sie sich haben (inklusive der Information WAS Gina alles für Marc tun würde: “Er wohnt in Hannover, ich in Frankfurt, ich würde sofort zu ihm fahren.” DAS sind Opfer, die Gefahr Oliver Pocher oder Lena Meyer-Landrut zu begegnen wäre schließlich nicht gering! In Hinblick auf ersteren wäre es vielleicht nett, wenn sie Sara gleich mit in den Polo packen würde?) Dass man es bei Honey (!!!) mit einem Unsympath zu tun hat, war ziemlich schnell klar aber die aggressive Weise, auf die uns die Sendung dann auf den Widerspruch vom rauchenden Kranken stoßen wollte, war mir etwas zu viel und zu offensichtlich. Das geht besser! Abschließend sei noch gesagt, dass ich es schön finde, dass das neue The xx-Album bei den zuständigen Redakteuren auf hörende Ohren gestoßen ist, mich aber gleichzeitig auch frage, ob es nicht langsam mal wieder an der Zeit für ein bisschen Wagner wäre! (Sicher, ein Privileg, das unter anderem Giulia Siegel zu teil wurde und nicht leichtfertig vergeben wird aber wenn Kaders Kopfschmerzen nicht bald mit Sounds aus der Götterdämmerung untermalt werden, reich ich Beschwerde ein!)

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                        • Den Kinostart hätte man schon noch irgendwo erwähnen dürfen (2.2.).
                          Mein ‘Film des Jahres’, unbedingt ansehen.

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                          • Ist schon länger her, dass ich ihn gelesen habe aber ich musste gerade an diesen (http://www.gerhardscheit.net/index.php?option=com_content&task=view&id=98&Itemid=9&limit=1&limitstart=1) Text denken, in dem es unter anderem auch um die Lacher aus der Dose und ihr…sagen wir mal 'kritisches Moment' geht. (Ob die Überlegung Sinn ergibt, weiß ich nicht mehr, muss man selbst rausfinden.)

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                              boxcarsboxcars 15.08.2016, 13:37 Geändert 15.08.2016, 14:01

                              ‘The Get Down' beweist nach dem völlig misslungenen ‘Vinyl', dass eine Serie über die New Yorker Musikszene nicht zwangsläufig zum Scheitern verurteilt ist. Den Fokus auf die fünf Jahre, 'that changed music forever', wie Will Hermes im Untertitel seines innerhalb kürzester Zeit in den Kanon der Popmusikliteratur aufgestiegenen 'Love Goes to Buildings on Fire' proklamiert, zu legen, ist schlicht eine gute Idee, auf die das Prädikat 'schön aber schwer' zutrifft. 'The Get Down' macht Spaß, es fühlt sich an wie eine Mischung aus 'West Side Story' und 'Wild Style'. Aber was sich nach 'match made in heaven' anhört, verliert sich zu oft in einer verharmlosenden Märchenlandschaft. Es ist nicht so als könne die HipHop-Geschichte keinen Humor vertragen, das kann sie und tut ihr gut. Das Problem ist vielmehr, dass dieser Humor, der sich zum Großteil durch das Stricken eines popkulturellen Verweisnetztes auszeichnet, es den Figuren unmöglich macht sich zu entwickeln und emotionale Tiefe zu erzeugen. Die daraus resultierenden Drehbuchschwächen, die unübersehbar in etlichen Szenen, die uninspiriert und fade vor sich hinsiechen, zum Vorschein kommen, verhindern, dass 'The Get Down' bedingungslos gefeiert werden kann (was soll beispielsweise die ganze, völlig aufgeblasene Geschichte um das 'Inferno' und die in ihr ansässige Gang? Nicht mehr als ein Rotstiftopfer). Am Ende sind es doch zu viele ausgelutschte Figurenkonstellationen, zu häufig verwendete Stereotypen (der verdrogte Musiker, der dumpfe Gangster mit schwerem Ödipuskomplex, die obszöne Sprüche reißenden Freundinnen des keuschen Mädchens, die in Verlegenheit gebracht werden soll, usw.) und fehlender Mut zu unpopulären Drehbuchentscheidungen, die das Publikum vielleicht vor den Kopf stoßen, letztlich aber unbedingt notwendig sind, um es an die Figuren zu binden.

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                              • Gehe ich recht in der Annahme, dass Jenny das hier komplett allein geschrieben hat? Beeindruckend.

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                                  Spätestens seit 'Mad Men' und 'The Knick' ist völlig klar, dass Serien die Arbeit an der Kulturgeschichte aufgenommen haben. 'Mad Men' hat eindrucksvoll gezeigt wie sich historisierende Erzählung und zeitgenössische Probleme ineinander verweben können. So sehr, dass Kittlers Text über den 'Typewriter' nicht nur inszeniert, sondern auch ausgedeutet und verstanden schien. Was AMC mit 'Breaking Bad' vollbracht hat, ist Allgemeinplatz und bedarf kaum einer Erläuterung. (Zumindest dann nicht, wenn man bereits mehr als zwei Buchstaben über sie in die Tastatur gehauen hat…).

                                  ‘Halt and Catch Fire' von AMC gelingt beides auf spannendste Weise. Sie ist fantastisch besetzt, fantastisch gespielt, fantastisch ausgestattet, fantastisch geschnitten und fantastisch ausgeleuchtet. Es gibt nichts, was einen davon abhält sie als das zu bezeichnen, was sie ist. Nämlich die nächste, überwältigende Produktion von AMC, einen 'würdigen Nachfolger' von 'Breaking Bad'. Aber, face the facts, niemand hats mitbekommen, niemanden interessierts. Das ist bedauerlich aber leider auch genauso langweilig. Was viel entscheidender ist: ‘Halt and Catch Fire' schließt eine Lücke, welche die Medienwissenschaft bis jetzt nicht zu schließen in der Lage war: Eine Computergeschichte zu erzählen. Und abseits vom besten Soundtrack, den man bis dato in einer Serie hören durfte, den wirklich großartigen Frisuren, Innenausstattungen, Plansequenzen und Punchlines, ist es immer noch die Geschichte über dieses mysteriöse Ding, das alle benutzen und nicht verstehen. Dieses Mysterium ist es, das ‘Halt and Catch Fire' zelebriert, dessen Genese es versucht nachzuzeichnen. Es ist erstaunlich wie sehr Normative von 'Nerds' und 'Geeks' hier ausgehebelt werden. Die entsexualisierten Wesen aus 'The Big Bang Theory', die nicht wissen, was 'ein Radiohead' ist, erblassen vor Cam'ron, die 'The Clash', 'The Replacements', 'Wire' und 'Public Image lmtd.' hörend in den Tunnel abdriftet und den Code für die Zukunft schreibt. Das macht so viel Spaß und ist so unglaublich, dass es einem die Schuhe auszieht.

                                  https://www.youtube.com/watch?v=bJ9r8LMU9bQ

                                  Die surrenden Flageoletts, das zermürbte Klavier und die aufklingenden Synthesizer sind nicht nur das Imitat eines leuchtenden Commodore oder gar 386er, sie sind ihr politisch gewordenes Credo. Das besser in Szene zu setzen als ‘Halt and Catch Fire' wird schwer. Wichtiger ist zur Zeit wohl keine Serie, besser auch nicht, schöner nicht, unterhaltsamer nicht. Sie versucht ein im Dunkel gebliebenes Kapitel der Technikgeschichte zu beschreiben, an dessen Fortführung wir doch alle angeblich so beteiligt sind. Das doch irgendwie nach wie vor 'fantastisch ' geblieben ist.

                                  Computer und Punk. Wie schön sich das anhört. Hab ich vorher nie so gesehen.

                                  Eine Computerguerilla.

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                                      Die gesamte Debatte um die Feig-Produktion halte ich für das peinlichste, was in letzter Zeit in Sachen Blockbusterkino stattgefunden hat.

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                                      • Man weiß nicht, ob man die Ausstrahlung von 'Dallas' für einen glücklichen Zufall oder eine Peinlichkeit halten soll. Ach, ich glaub ich geh heut Abend in 'The Assassin'.

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                                        • http://www.academia.edu/828951/No_Trickery_with_Montage_On_Reading_a_Sequence_in_Godards_Pierrot_le_fou

                                          https://www.youtube.com/watch?v=vCxr2x1-M3g

                                          Falls man eine andere Perspektive auf diesen 'Liebestanz' einnehmen möchte. Godardwochen bei moviepilot? Finde ich wirklich schön, aber Pierrot le fou als 'immersiv’ zu bezeichnen,…das ist schon ein starkes Stück. Wir sind zwar noch nicht beim Lehrfilm oder bei den 'Flugblattfilmen' angekommen aber mit Immersion und Einfühlung hat das doch reichlich wenig zu tun. Das Zitat von Fuller ist pure Ironie.

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                                          • Nett, wenn auch ein bisschen viel Allgemeinplatz. Sogar der bekannteste, nämlich der, auf dem Godard Franzose ist, wird bespielt. Aber so schön wir die Vorstellung auch finden mögen, Godard ist leider Schweizer.

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                                              Der mittellose Schriftsteller mit einem Haus in Silver Lake, jaja. Verstehe den Humor nicht. Lachen fällt schwer, wenn man mit Figurenhassen beschäftigt ist. Hab schon verstanden, ihr fühlt alle nichts und seid deswegen trotzdem nicht cool. Als umfassendes Prinzip leider zu wenig.

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                                              • “Selbst Taylor Swift”, “sogar Kate Bush”, was verwundert denn so sehr? Ich wundere mich eher, dass sich noch irgendjemand über Deep Purple, Led Zeppelin, Dylan oder Bon Jovi freut. Da dürfen von mir aus ausnahmsweise (!) ein paar Frauen ran.

                                                Haters gonna hate!

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                                                • “ohnehin nicht sonderlich fußballanhängerkompatiblem Dritte-Welt-Arthaus” - geh! Einen Glauber Rocha! Es gibt nur einen Glauber Rocha! Ein Glauber Rochaaa, es gibt nur einen Glauber Rochaaa!

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                                                  • 8

                                                    (Weiß nicht, Spoiler für alle Nerds wahrscheinlich.)

                                                    Es bleibt mir ein Rätsel, wieso ‘The Knick’ so wenig Aufmerksamkeit bekommt - vielleicht ist das aber auch nur gefühlt. Denn das hier ist mit weitem Abstand das beste, womit man sich seine Serienzeit im Moment vertreiben kann. ‘The Knick’ manifestiert die Funktion des Auteur-TVs als Vermittler von Kulturtechniken und -geschichte, die schon in ‘Mad Men’ begründet wurde. Das reicht von eher grobschlächtigen Informationen (Heroin als Therapiemittel etwa) bis zu kleinsten, methodischen Entwicklungen (beispielsweise die Ablösung der Stimme des Psychiaters von seiner Erscheinung während der Sitzung, die Freud, der hier nur als Stichwortgeber, nicht als Abziehbild in Erscheinung tritt, im Dispositiv seiner Möbel in der Berggasse konzipiert hatte). Absolut fantastisch. Ich habe das, glaube ich, schonmal erwähnt aber es ist unbedingt notwendig Foucaults ‘Geburt der Klinik’ parallel zu lesen, oder ‘Sexualität und Wahrheit’ (den dritten Teil). Fantastico!

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