Der Witte - Kommentare

Alle Kommentare von Der Witte

  • 8
    über Atemlos

    [...] Für ihn heißt es freie Fahrt bei ausschließlich roter Ampel, von heißem Wind angeschoben auf der Suche nach Monica (Valérie Kaprisky), jener französischen Architekturstudentin, die ihn in unvergesslichen Nächten um den Verstand gebracht hat. Der Antrieb unseres Rebellen wird über die Inszenierung aufreizend zum Ausdruck gebracht, so euphorisch und naiv sich Jesse auf die Abenteuer des Silver Surfers stützt und Jerry Lee „Das wilde Vieh“ Lewis besingt, als stecke sein ganzer Lebenssaft in der Jugend klassischer Pop-Americana. Seinen Hang zum Träumen will McBride ihm auch nicht austreiben, stattdessen verneigt er sich vor ihm mit knalligen Panoramen der Prärie und galanten Bewegungen, die jedem seiner Hüftschwünge die richtigen Akzente verleihen: ein „Wooh!“ nach dem anderen. [...] Die Spannung zwischen Outlaw und Dame steigert sich proportional zum Drang der Verfolgung – sobald sich bei Jesse die Realität meldet, ist die Lebenslust umso ausgeprägter. Spielerische wie fesselnde Erotik lassen sodann bitten, der Atemlosigkeit beizuwohnen – und so wird auch Monica endgültig Teilnehmer am Spiel gegen die Regeln. [...]

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    • 8

      Das Schönste am neuen Film der Coen-Brüder ist schlicht seine Vielfältigkeit. Das übergreifende Thema passt dabei ideal in das Werk des Duos, welches oftmals die Irren und Wirren der menschlichen Existenz in empathischen Gleichnissen aufstellt. Nun springt die Betrachtung in einen fiktiven Studiokomplex binnen der frühen fünfziger Jahre und bewandert anhand von Mogul/Halbgott Eddie Mannix (Josh Brolin), wie sich die Traumfabrik Hollywood mit Irdischem wie Überirdischem zu messen hat sowie sich Schauspiel und Persönlichkeit, Wahrheit und Lüge ergänzen. Leidenschaft, Dienstleistung, Beziehung, Leben und Tod, Kunst und Kommerz: In diesem System fängt alles mit dem kleinsten Rad an und doch weiß einerseits keiner so genau, wie und warum er es macht; andererseits kann hinter der individuellen Fassung stets etwas anderes stecken. Stars können hier genauso liebenswerte Trottel sein, von Regisseuren unterbuttert werden, obgleich diese sich auch bei Mannix melden müssen, welcher wiederum von Investoren gedeckt ist. Die Cutterin kann sich mit dem Schal im Projektor verfangen und nach dem Moment der Befreiung gleich den nächsten Zigarettenzug inhalieren - unzählbar viele Facetten stehen ganz natürlich nah beieinander. Das Ziel aller ist in ihrer „Unkenntnis“ weniger die Macht, als das Selbstverständnis der Existenz, ferner des Konzepts Kapitalismus - ein weiterer thematischer Punkt, der in diesem Film von einer kommunistischen Aktion unterwandert werden soll, obwohl sich aus dem Kampf letztendlich auch keine Lösung ergibt, jedoch eine Spannung der Arbeit, die ebenso Mannix zufällt.

      Objektiv zu bleiben ist sein Alltag (und auch die Methode der Coens) sowie für den Erhalt seines Jobs und dem der anderen sowie der Studioanlage an sich zu sorgen, die aus dem Boden heraus alles erschafft und genauso schnell scheitern kann. Dementsprechend spielen die Coens erneut mit der Umkehrung von Erwartungen, ziehen mit Mysterien an und lösen absurd auf, ehe sie zu einem nächsten Szenario schneiden. In diesem Fall begegnet man Rekreationen zeitgenössischem Eskapismus, die im Detail an die Retro-Liebe eines Joe Dante (oder auch „Hudsucker - Der große Sprung“ der Coens) erinnern und auch nur bedingt parodistische Ironie gebrauchen, wenn das Overacting einen Charme ausstrahlt, dem man genauso gut in Spielfilmlänge beiwohnen möchte. Jene Vignetten stehen als Mikrokosmen womöglich sogar etwas im Abseits vom eigentlichen Narrativ, entkräftigen in ihrer Varianz aber auch jede absehbare dramaturgische Richtung, an der man eine Ideologie hinsichtlich des Settings anheften könnte. Hollywood ist hier eben genauso Freudenspender wie Ausbeuter - eine Familie zwischen Rivalität, Geltungsdrang, Geheimnissen, Naivität und Zynismus, in der ein Kuriosum nach dem anderen hingenommen wird. Beinahe überflüssig sei dazu erwähnt, dass jenes Panoptikum an Gestalten höchst kurzweilig unterhält (auch Lachtränen hinterlässt), in vielen kleinen Momenten mit Anmaßungen, Anspielungen, Überraschungen und Dummheiten gleichermaßen entzückt, wie es nur allzu menschlich ist.

      Der Krisis entkommt ebenso keiner und auch da fachen die Coens erneut den religiösen Diskurs zwischen Hingabe und Schlichtheit an, während im Raum steht, wie mit der Realität der Zeit umgegangen werden soll und wie sich diese im Medium wiederfindet, ob es nun subversiv oder zufällig geschieht beziehungsweise wie sehr man das eine dem anderen überlässt oder ob man sich für eine der Seiten entscheidet. Obwohl das durchaus schwerwiegend klingt, besitzt dieser Film gewiss noch zugänglichere Züge als die moralischen Fragen manch vergangener Coen-Werke, die ihre „Men“ aber auch hier mehrere Pfade abwägen lassen, anhand derer sie sich letztendlich in einem äußerst urigen Gleichgewicht wiederfinden. Wer da inwiefern die Kontrolle hat, ist keine allzu transparente Angelegenheit, wie eben auch Hobie Doyles (Alden Ehrenreich) Lasso in loser Bewegung, das schnell zuschnappen kann, doch im Auge des Betrachters ebenso für reichlich Spaß sorgt, zudem von einem halbwegs talentfreien und doch aufrichtigen Naivling geführt wird. Hier kann jeder, hier will auch jeder etwas sein, außerhalb und innerhalb der Wahrheit, umso mehr verschwimmen deren Grenzen (gerne auch mit musikalischer Euphorie), wie auch die Filmerfahrung an sich mehrere Gefühle abgleicht und an reichhaltiger Schönheit - zumindest bis zum nächsten Film der Coen-Brüder - eine Ausnahmeerscheinung im modernen Kino darstellt. Außerdem gibt es einen tollen Hund zu bewundern!

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      • 4

        [...] Vor einer überlangen Rückblende erleben wir zunächst das akrobatische Ass in seiner mutierten Form als Supersöldner, der mit reichlich CGI-Moves, Zeitlupen-Blutbatzen und Shittalking zum forciert-zynischen Posing ansetzt und mit Blick zum Publikum eine erwachsenere Version von „Looney Tunes“, „Animaniacs“ und „Freakazoid“ zu emulieren versucht – kein Wunder, dass der Stoff vornehmlich adoleszente und hängen gebliebene Nerds anspricht. [...] Die Zugaben von Gewalt, Sexismus und Roast-Humor, mit denen er kokettiert, können nicht kaschieren, in welch anstrengendes Korsett er sich zwängt, das auf den letzten Metern immer noch nicht fertig ist, neue Nebencharaktere für ein erweitertes Universum einzuführen und allesamt in einen Höhepunkt münden lässt, der mit der Entführung der holden Maid beginnt und mit einer gigantischen Zerstörungsorgie endet. [...] Fans können damit durchaus zufrieden sein. Jenseits dieses Standardsatzes lässt sich jedoch nur wenig über die Relevanz von „Deadpool“ äußern, so sehr er sein Potenzial zur Umkehrung der Verhältnisse verpasst und sich sogar vorangegangenen, weit fieseren Genrewerken wie James Gunns „Super“ geschlagen geben muss.

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        • 8

          Zum 76. Geburtstag George A. Romeros blicke ich auf die "Nacht", das "Morgengrauen" und den "Tag" seiner Untoten zurück. Es darf reichlich gelesen werden, die Texte zu den anderen Filmen finden sich an entsprechender Stelle.

          Der Alptraum beginnt von neuem. George A. Romero hat die Tage inzwischen zusammen mit seiner Protagonistin Sarah (Lori Cardille) am Kalender heruntergezählt, ihre Apokalypse geht in die Überlänge und ist folgerichtig in den achtziger Jahren angekommen (nebenbei: schade, dass der Meister in den Neunzigern kein entsprechendes Segment einreichte). Der „Day of the Dead“, wie sich der Film im Original nennt, bezeichnet mancherorts ein Fest für die Toten. Dementsprechend müssen sie in diesem Eintrag der losen Serie an Zombie-Geschichten keinen allzu hohen Grad an Furcht und Schrecken verbreiten, das erledigen die Menschen im Untergrund nämlich schon von alleine. Vorerst versuchen diese aber an der Oberfläche womöglich noch Überlebende zusammen zu kriegen, was mit unheimlichem Gestöhne sowie dessen zugrundeliegendem Flashmob an Untoten entschieden verneint wird. So sehr unser engagiertes Gespann an unverwestem Fleisch auch ins Horn der Verzweiflung ruft, muss es jene Großfläche des wandelnden Todes doch (quasi im Übergang vom „Dawn“) mit dem Helikopter verlassen und dort wieder landen, wo man mit den Resten der „Zivilisation“ auskommen muss. Für Romero bedeutet das reichlich Potenzial zum Diskurs, sobald sich die Katakomben öffnen, wieder schließen und Sarah sowie Pilot John (Terry Alexander), McDermott (Jarlath Conroy) und Miguel (Anthony Dileo Jr.) durch eine Handvoll an Militär abholen lassen. Die neue Sperrspitze der Menschheit hat sich denkbar mühsam hier eingelebt, baut saubere Korridore um klobige Felsformationen auf, welche so massiv im Raum stehen bleiben wie die Umstände an sich ebenso stets präsent ihr innerlich verletzendes Gesicht zeigen.

          Erst am frühen Morgen ist einer vom Militär verstorben, nun braucht es zu Forschungszwecken neue Exemplare an Untoten, die man sich gleich nebenan aus dem Schacht einfangen muss. Jene wirkende Gettoisierung wandert auf den Spuren der Ronald-Reagan-Administration, bezeichnenderweise ebenso das reaktionäre Gehabe der Militärfraktion, die sexistisch, rassistisch und handgreiflich ihre Überlegenheit ausspielt - und wer da nicht spurt, steht alsbald einer Faust oder dem Lauf einer Knarre gegenüber. Als Gegenpol sind die Experimente von Dr. Logan alias Frankenstein (Richard Liberty) auch ausschließlich im Untergrund „legitim“, so wie er mit morbidem Ehrgeiz das neurologische Vermögen seiner Versuchsobjekte frei legt und im Wust des Fleischs nach einer Möglichkeit der Domestizierung des Zombies forscht. Seine Methodik basiert auf reiner Logik, das heißt er fummelt unmenschlich am ehemals menschlichen Körper herum und will gleichsam eine Rückkehr zum sozialen Umgang erreichen. Solche Widersprüche sind in diesem aufgezeichneten Alltag unter Tage allgegenwärtig, entsprechend angespannt verstärken sich die Verhältnisse zwischen den Charakteren, wenn der stellvertretende Machthaber Rhodes (Joe Pilato) links und rechts mit Ultimaten um sich wirft und keine Vorbehalte macht, jeden abseits seiner Truppe erschießen zu können. In einem nationalen Klima, das stets den nuklearen Holocaust im Hinterkopf hatte, ist Romeros Konzentration der Gegenwart in die Postapokalypse - abgestiegen in eine Zone, welche zudem Massen an menschlicher Erinnerung per Medien hortet - ein ideales Spielfeld für „social commentary“ im Genrefilm, obgleich seine letztendliche Lösung auch mit einem Stück Naivität vorgetragen wird, aber mehr an Hoffnung als bei seinen Vorgängerfilmen voraussieht.

          Dem Frieden im Neuanfang streben unsere Protagonisten (da gibt es diesmal nicht allzu viele Grauzonen) mit ausgesprochener Sehnsucht entgegen und man kommt nicht umhin festzustellen, dass der Film seine sozialkritische Komponente bewusster als zuvor wahrgenommen haben möchte, was sich besonders an den Ausführungen Dr. Logans abzeichnet. Zumindest findet die Suche nach dem menschlicheren Umgang ein Gesicht in Hauptzombie Bub (Sherman Howard), der seine vergangenen Fähigkeiten allmählich wiedererlernt, während seine Hausherren untereinander immer weniger miteinander umzugehen wissen. Das Drama zieht auch seine empathischen Bahnen um Sarahs Beziehung zum Kollegen Miguel, sie selbst steht aber ohnehin im Mittelpunkt der Zuschauererfahrung, so wie sie sich als starke Frau (oder doch gleich als Mary Sue?) auf die bei Romero sehr beliebten Streitgespräche des Handelns einlässt. Der Charakter eines Kammerstücks klingt in jener Reibung der Ideologien vielleicht etwas weniger reizvoll, geht in der filmischen Erfahrung aber durchaus zum Kern der „Nacht“ zurück und auch über derer Intensität hinaus. Die emotionalen Zusammenbrüche im Angesicht der Situation häufen sich hier zudem im Einklang mit schockierenden Offenbarungen, welche die schlimmsten Vermutungen wahr werden lassen, obgleich das Vertrauen von Vornherein zahlreiche Vorzeichen ausgeblendet hat - seien es nun Miguels fragiler Geisteszustand, „Frankensteins Motivation“ für die Untoten oder die manische Konsequenz des Selbsterhaltungspsychos Rhodes.

          Da wird schlicht vom Guten im Menschen ausgegangen, obwohl die humaneren „Instinkte“ am Zaun an der Erdoberfläche herum kraxeln und Zugang zu dem haben wollen, was ihnen gehört: Das Futter und die Archive der Vergangenheit, sprich Menschlichkeit, die in jenen Höhlen lagern. Der Inhalt all dessen explodiert umso reichhaltiger in seinem Fleisch und Blut, sobald ihnen der Zutritt per Menschenhand gelingt. Die Zombies sind da als „Befreier“ zwar eine durchaus verschrobene und schlurfende Erscheinung, ihr Biss ist jedoch im Effekt die Urgewalt schlechthin, wie auch ihre Hände zusammen Köpfe und Körper ausreißen, um an das Gemeingut zu gelangen. Wie im „Dawn“ holen sie sich ihre Rechte zurück und an erster Stelle sowieso Bub, der am ehesten seine Würde in menschlichen Gesten ausdrücken kann, während die letzte Bastion der „Zivilisation“ ihrem passenden Ende verfällt - wenn da natürlich nicht noch unsere Protagonisten wären, die sich von den Parteien und Alpträumen des Militärs, der Wissenschaft und der Untoten ihrer Vergangenheit trennen und die Flucht nach oben ans Tageslicht wagen. Romero hat sein eigenes Rad der menschgewordenen Monster/monsterhaften Menschen damit gewiss nicht neu erfunden, sondern passt es eher wie gehabt an die Grundstimmung der Ära an. Genau das macht jeden Teil der Trilogie dann doch zu einer einzigartigen Entwicklung im Genre, so wie hier die Kreaturen auch fast ausnahmslos vom Film sympathisiert werden, wie die Protagonisten als Außenseiter für die Harmonie in der Disharmonie einstehen und sich gegen das wahre Übel im Menschen bewähren. Romero will seine Zuschauer wieder darauf vorbereiten und motivieren, dem Zynismus der letzten Jahrzehnte, welchen er in der „Nacht“ und im „Morgengrauen“ reflektiert hat, zu entsteigen. Dass er sich da ein bisschen zu erklärungsfreudig gibt, ist vielleicht ein etwas ungeschickter Makel im ansonsten geschickt zurückhaltenden Film (der sich in seiner stetigen Kohärenz diesmal jedoch jeder Suggestion entzieht), aber was wären Menschen und Menschenfresser nur ohne Makel?

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          • 10

            Zum 76. Geburtstag George A. Romeros blicke ich auf die "Nacht", das "Morgengrauen" und den "Tag" seiner Untoten zurück. Es darf reichlich gelesen werden, die Texte zu den anderen Filmen finden sich an entsprechender Stelle.

            Eine Dekade nach der „Nacht“ geht die Sonne auf - und diese könnte genauso gut das Licht einer Atombombe sein. George A. Romero denkt noch immer im unabhängigen Rahmen inklusive unbekanntem Cast fern der Major Studios, aber in Größenordnungen einer vollständig realisierten Apokalypse, welche die Intimität des Familienhauses übersteigen und eine gesamte Nation einnehmen. Wenn es Licht wird, sieht man eben mehr und sodann kündigen die Farben seines „Dawn of the Dead“ ein grelles Grauen mit blauen Zombies und knallrotem Blut an, das die moralischen Grundgedanken des Zuschauers ebenso anhand des beleuchteten Ensembles herausfordert. Auch die Figuren wachen eben aus der stetig eskalierenden Schlichtheit des Vorgängers auf und wachsen an Komplexität, wie wird man da nur seine Sympathien ansetzen oder verschieben? Zur Auswahl stehen dafür sogar bereits vor dem Start der eigentlichen Filmerfahrung mehrere Sichtungsvarianten, von Romero selbst und sogar von Dario Argento, der eine „europäische“ Fassung montierte, welche zumindest in bundesdeutschen Landen zusätzlich noch mehrmals geschnitten und im Grunde für mehrere Jahrzehnte aus der kollektiven Mediensozialisierung verbannt wurde. Bei Argento geht es jedenfalls flotter zur Sache, mit Goblin-Soundtrack statt Muzak, minus einigen Humor-Einlagen und Charaktermomenten der Zwiegespaltenheit, die im abstrahierten Handlungsrahmen des „Eurocuts“ eher nebenbei, aber vom erfahrenen Filmfreund umso eindringlicher ins Auge gefasst werden. Soviel sei gesagt: Beide Versionen haben ihre Vor- und Nachteile, was den Film alleine deshalb schon reichhaltiger macht, zum Zwecke der Transparenz möchte ich betonen, dass ich dieses Mal Argentos Fassung gewählt habe.

            In beiden Fällen ist die Radikalisierung der Situation im Zeichen der siebziger Jahre jedenfalls von Anfang an spürbar, so urplötzlich man mit Francine (Gaylen Ross) bekannt gemacht wird, die aus einem Alptraum erwacht, nur um in einem weiteren zu landen: Die Toten kommen (natürlich ohne Erklärung) auf die Erde zurück und nach einer Niederlage wie Vietnam ist der Zündstoff für Aggression im Schatten einer nationalen Krisis unvermeidbar, weshalb sich in jenem Fernsehstudio, in welchem Fran arbeitet, vor laufenden Kameras um Entscheidungen der Sicherheit gestritten wird, als sei man zurück im Konflikt zwischen Ben und Harry in der „Nacht der lebenden Toten“, nur dass sie eigentlich über Notunterkünfte berichten sollten. Hier werden verbal Köpfe eingeschlagen und als Maßnahmen im Umgang mit den Untoten empfiehlt man von Vornherein genau solches mit allerlei Waffengewalt. Spätere ausgestrahlte Diskussionen im Film wollen umso entschiedener die „konsequente Vernichtung“ und den vollkommen trocken vorgetragenen Vorschlag zum Einsatz der Atombombe propagieren. Romero ist mitten im Umbruch und in der Hysterie, die er begonnen hat, umso sicherer in der Inszenierung, die mithilfe des Argento-Schnitts erst recht die Traditionen in dieser post-industriellen Aura ablegt. Der erste Entschluss jedoch, der von Fran und ihrem Liebsten sowie Helikopter-Piloten Stephen (David Emge) gefasst wird, ist die Flucht, egal wohin. Dazu gesellen sich Peter (Ken Foree) und Roger (Scott H. Reiniger), zwei fähige, doch geplagte Haudegen vom Einsatzkommando, die wir ebenso mitten in der Hölle kennenlernen, als sie die Bewohner eines Blocks in Gewahrsam nehmen, nachdem sich einige Schmalspurterroristen dort versteckt hielten und alsbald ihr Ende fanden.

            Ehe man sich als Zuschauer im Chaos der Situation einfinden kann, reißt ein verrückt gewordener Einsatzleiter die Türen auf und lässt Köpfe explodieren, bis er ebenso rasant das Zeitliche segnet und zu alledem noch wandelnde Leichen im Haus sowie im Keller verweilen, weil die Einwohner so „auf ihre Art an das ewige Leben glauben“ - ein verheißungsvolles Vorzeichen auf den späteren Umgang mit jenen Werten passiert, als Peter mit schwerer Miene die Waffe auf diesen Glauben richtet. Die meisten Eindrücke der Gewalt sind hier wie auch später - ähnlich wie schon einst in der „Nacht“ - zwar impulsiv, aber im Tempo des Schnitts beinahe beiläufig auftretend (auch per Musik nur gelegentlich akzentuiert). Manch hiesige Amtsgerichte haben hierbei, jeden Kontext abblendend, von einer Abstumpfung gegenüber reeller Gewalt gesprochen - knapp 40 Jahre nach Erscheinen und x-fachen Sichtungen ist der Eindruck jedoch weiterhin der eines Schockmoments, da der Einschnitt in die Wahrnehmung des Zuschauers so scharf ist, dass es schmerzt. Da ist das Argument der Verteidigung, Zombies wären ja eh keine menschlichen Lebewesen und demnach würde der Film den Zuschauer entlasten, sogar kontraproduktiv, weil im Verlauf der Dramaturgie klar wird, dass sich bei den Figuren (und dem Zuschauer) durchaus das Gewissen meldet, auch sobald sie noch größere Bestien heraufbeschwören oder selber welche werden. Der Fluchtgedanke wird nämlich keine Änderung der Gegenwart hervorrufen, wenn nicht der Neuanfang angesetzt wird (dazu kam Romero später im „Day of the Dead“). Stattdessen bestimmt das Fortbestehen unsere im Helikopter herumfliegende Truppe, die trotz aller Gelassenheit und Vorsichtigkeit im Ton wie die alleinunterhaltende Bürgerwehr am Boden ebenso ausschließlich mit Gewalt auf die Wiederkehrer reagiert, welche sich als Schleicher ohnehin nicht so energisch verbeißen. Untereinander gibt es schon die ersten Schwierigkeiten, sobald Stephen blindlings auf einen Zombie im karierten Hemd ballert, hinter dem Peter steht - darauf tönt es in bezeichnender Hypokrisie „Man richtet eine Waffe niemals auf einen Menschen, Mister! Schreckliches Gefühl, nicht?“. Dass man dennoch viele Aspekten all dieser Charaktere nachempfinden kann und gleichzeitig ebenso viele von sich distanziert, hält die Spannung natürlich in vielerlei Richtungen offen.

            Bald aber finden die Vier eine neue Heimat: Anhand des stellvertretenden Markenzeichen des Kapitalismus, dem Einkaufszentrum, rekreiert Romero im Folgenden die Geschichte der ersten Siedler Amerikas. Die Ureinwohner sind in diesem Fall trotz ihres Ablebens in den vertrauten Hallen ihres „ehemaligen“ Alltags unterwegs - aufgrund der reichhaltigen Ressourcen für unser Team im Rausch des Überlebenswillens will dieses die unliebsamen Beißer (auf ihre Art allesamt liebenswert gestaltete Charaktere) jedoch unschädlich machen. Eine Harmonie zwischen Mensch und „Ex-Mensch“ ist nicht möglich, obwohl sie aus demselben Ursprung herrühren und das eine das andere eben nicht ausschließt - man befasst sich nicht mit den selbst erschaffenen Problemen, sondern betreibt „Troubleshooting“ mit Blei und Klinge. Dieser innere Zustand der Menschheit, der zur Entstehungszeit zwischen Vietnam und Perestroika stets in der Ungewissheit pendelte und der fatalistischen Entladung nicht fremd war, wird hier zum Antrieb für eine ambivalente Figurenbetrachtung, die sich anhand der vier Recken aus der Behütung des modernen Lebens ins Rangeln um die Vorherrschaft über Güter versetzt. Diese Horror-Fantasie kritisiert die Strukturen der Konsumgesellschaft mithilfe ihres eigenen Hangs zur Übersteigerung, spätestens dann empfindet man den speziell angefertigten, straffen Eurocut mit seinen treibenden Goblin-Sounds als allzu stimmiges Bestandteil eines Reißertums um und vom Menschen selbst. Das amerikanische Epos hangelt sich in jener Umgebung zudem allzu geschmeidig an verschiedenen Stimmungen entlang: Furcht, die Lust am Shoppen und Untoten-Veralbern, Entschlossenheit, Risiko, kindische sowie scheinbar erwachsene Entscheidungsgewalt - und das alles schon nach dem ersten Einkauf. An der flinken Bezwingung des Kurses empfindet man als Zuschauer eine gewisse Katharsis sowie einen Genre-gemäßen Thrill, wirklich warm will man mit diesen Figuren aber auch nicht werden, obgleich man ihre Erkundung dieses „Lands der Möglichkeiten“ nur zu gern selbst einlösen würde. Romero macht es ihnen und uns aber gewiss nicht so leicht.

            Einige Beispiele: Als sich ankündigt, dass Fran schwanger ist, erklärt sich Peter sowohl als Hebamme als auch als Hilfe zur Abtreibung bereit. Fran scheint als Unschuldige auf diesem Trip den inneren Halt zu verlieren, doch ehe der Zuschauer absolute Sympathie für sie empfindet, knallt sie vom Dach aus, mit zynisch geknirschten Zähnen der Wut, die „elenden, verdammten Blutsauger“ ab. Zumindest hat sie erfolgreich daran appelliert, dass sie sich selbst verteidigen kann und nicht bloß das Hausmütterchen für die Herren spielen will. Stephen blickt trotz seiner Liebe zu ihr bockig auf diese Ambitionen, bringt ihr später aber auch das Helikopterfliegen bei. Dass sie in dieser Extremsituation auch irgendwann seinen Heiratsantrag ablehnt, ist aber nur konsequent in jenem Gesellschaftsdurchschnitt, den Romero hier konzentriert und ganz klar fernab des Wunschdenkens seiner Protagonisten ansetzt. Der erste, der jedoch von seinen Idealen überrollt wird, ist Roger, der sich in seiner John-Wayne-artigen Selbstüberschätzung gegenüber den Untoten zuerst in den Wahnsinn, dann auch ins physische Verderben verheddert - während in Fran ein Kind heranwächst, stirbt Roger schleichend dahin und trotzdem macht er im Rollwagen mit bei der Jagd auf die Menschenfleischfresser, zu denen er bald selbst gehören wird. Seine Mitstreiter tun sich entsprechend schwierig daran, das Unvermeidliche zu erkennen, nämlich, dass die Untoten so oder so ein Teil von ihnen sind. So wirkt auch der scheinbare Frieden in der ausgemerzten Mall mit ihrer Illusion eines Lebens in Freiheit, Selbstbestimmung und Zivilisation eben durchgehend ungemütlich - auch weil das eigentliche Volk, untot oder nicht, weiterhin zahlreich an der Türe steht. Die Furcht unserer Besetzer vor dem Teilen zeigt sich dann auch daran, dass sie ihre Pelzmäntel fester an sich drücken und auf der Eisbahn zur Übung Schaufensterpuppen abknallen.

            Romero geht eben durchaus kritisch mit seinen Hauptfiguren um, ungefähr vergleichbar mit dem „Affe im Menschen“, der Bipolarität seiner späteren Stephen-King-Verfilmung „Stark“ oder auch dem Charakterwandel in „Bruiser“. Richtig und Falsch ergänzen sich dennoch immens kurzweilig im Verhältnis zum Konsum, welches Romero allein deshalb nicht verurteilen will, weil sich Homo sapiens und Homo zombiens gleichsam dazu hingezogen fühlen. Der Diskurs, den das Ensemble dabei durchweg hält, wie man überhaupt handeln soll, während es für die Untoten nur das Fleisch gibt, ist in seiner Divergenz ohnehin ein Quell an Menschenkenntnis. Und wer die Geschichte des jungen Amerikas kennt, hat auch schon mal vom wilden Westen gehört, nich'? Deswegen bleiben die ersten Siedler auch hier nicht die einzigen, sobald eine anarchische und schwer bewaffnete Rockerbande das Zentrum stürmen und plündern will, was einerseits die Zombies wieder in ihren Pilgerort hineinlässt, andererseits aber auch den Verteidigungswillen in den Herren des Hauses erweckt, selbst wenn ihnen nichts davon überhaupt gehört. Die Eskalation dieser Widersprüche ist im Finale natürlich eine blutige Katastrophe sondergleichen, bei der die Gewalt schlicht aus der Idee entsteht, dass Erzfeinde unserer eingekesselten Mikrogesellschaft ein Eindringen wagen und diese außerdem ohne Hemmschwelle zurückschlagen. Es ist ein Klassenkampf am Gipfel der Entbehrlichkeiten, an dessen Boden sich zerfleischt wird und an dessen Spitze sogar der Suizid in Erwägung gezogen wird, ehe man die annektierte Heimeligkeit unfreiwillig verlässt. Das letzte Stück Hoffnung fliegt aber letzten Endes doch noch in eine weitere Ungewissheit davon, anstatt das Schauspiel wie ursprünglich von Romero gedacht in der „konsequenten Vernichtung“ enden zu lassen. Hätte seinem (im US-Cut präsenteren) schwarzen Humor zwar auch irgendwo gestanden, aber es ist auch eine der wenigen Entscheidungen, die unsere verbliebenen „Helden“ richtig treffen, obwohl sie sodann mit verschmitztem Auge ins Niemandsland flattern.

            Für sie wird es so oder so etwas zu erkunden geben, so wie man auch nach mehreren Jahrzehnten auf diesen Film zurückblicken und neue Aspekte vorfinden kann, die über die Nostalgie oder die schlichte Einnahme von „Kult“- und „Retro“-Dosierungen hinausgeht (obwohl ich die Gesamtheit des Films in seiner Erscheinung, seiner Energie und seinem Platz in der Geschichte des Mediums sowie des Genres grundsätzlich abfeiere und sammle). Speziell im Horrorfilm ist solch eine groß angelegte Spannweite in der Erzählung und deren Sympathieverschiebungen en masse selten so ambitioniert versucht worden - bei der noch relativ „kleinen“ Größe der Produktion an sich ohnehin ein Wunder! Im Grunde wirkt da eine Varianz der Methode aus der „Nacht der lebenden Toten“, die sich in der Kohärenz zur Umwelt recht zentriert gab und dafür allmählich bewusst die Suggestion aus der Gewalt entfernte, während letztere hier von Anfang an aufgedeckt bleibt und die Umwelt ausgerechnet anhand suggestiver Verknappung größer wirkt. Vergleiche aufzustellen wäre hier aber fehl am Platze, so sehr die Filme zwar ihrem Autoren geschuldet, aber zweifellos auch in ihrer Zeit verwurzelt sind. Es heißt gottseidank nicht, dass man sich ganz simpel von ihnen distanzieren kann, schließlich lassen sie den gleichen Lebenssaft und dieselben Eingeweide verspritzen, die in jedem von uns wohnen sowie komplex, schön und ekelerregend zugleich unsere Existenz aufrecht erhalten. Frei nach dem Werbespruch: Es gibt keinen härteren Lieblingsfilm.

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              Zum 76. Geburtstag George A. Romeros blicke ich auf die "Nacht", das "Morgengrauen" und den "Tag" seiner Untoten zurück. Es darf reichlich gelesen werden, die Texte zu den anderen Filmen finden sich an entsprechender Stelle.

              Nach einer Neusichtung der ersten drei maßgeblichen Untoten-Filme von Regisseur und Autor George A. Romero hat „Die Nacht der lebenden Toten“ für mich im Vergleich mit ihren losen Nachfolgern nicht ausnahmslos die Nase vorn. Ihre „Schwächen“ lassen sich vielleicht am einfachsten (sprich: zu einfach) im Vergleich mit modernen Sehgewohnheiten erklären, jedoch ist „Die Nacht“ gezwungenermaßen zu sehr einem Konzept der „Etablierung“ unterworfen, als dass sie ihre innewohnende Vision derartig verselbstständigen kann wie es ihren Fortsetzungen gelungen ist. Und das ist bei aller skeptischer Färbung in meiner Einleitung alles andere als eine Schande - natürlich auch unter den Gesichtspunkten einer Independent-Produktion Ende der sechziger Jahre betrachtet, die ein Erstlingsregisseur wie Romero umso beeindruckender auf die Beine stellt. Abseits dieser legitimen Faktoren, also den mehr oder weniger vorteilhaften Einschränkungen, ist der Stellenwert des Films aber gewissermaßen auch ein Fall vom getroffenen Nerv der Zeit. Werke wie Alfred Hitchcocks „Psycho“ (1960) und Herschell Gordon Lewis' „Blood Feast“ (1963) hatten nämlich nicht gerade publikumsfremd die Saat für Romeros hier geschehene Synergie der Stile gelegt, also klassischen Horror und Suspense zu expliziteren Noten geführt - Romero selbst hat auch zugegeben, dass ihm Herk Harveys „Tanz der toten Seelen“ (1962) eine massive Inspiration war, welche im Endprodukt nicht von der Hand zu weisen ist. Seine „Nacht“ ist sich ihres Genres durchweg bewusst, erfüllt aber nur bedingt jene Theorie, die besagt, dass die ersten Filmemacher die Welt, wie sie sie kannten, anhand des Mediums verarbeiteten, während deren Nachkömmlinge schlicht die Welt des Kinos reflektierten. Romero liefert dafür einen gewitzten Gegenbeweis mitten aus Pittsburgh, indem er seine Grundlage in Handlung und Inszenierung nach nur wenigen Minuten aus dem Stativ-lastigen Prozedere altbackener Schauerreißer in neue Aspekte münden lässt, die seinem Publikum einst einen durchaus subversiven Schrecken bereitet haben dürften.

              Sein Fundus an Archivmusik evoziert Anklänge an die vierziger Jahre, genauso wie die ersten zu sehenden Charaktere, Barbra (Judith O'Dea) und Johnny (Russell Streiner), ein allzu braves Bürgertum mit (zumindest bei Johnny) provinziell-kecker Haltung zum Horror abgeben. Genau jene breite Zielgruppe will Romero am ehesten anhand dieses Filmes mit einer neuen Ära des Genres bekannt machen, wenn sich die atmosphärisch unheimliche, aber geerdete Einführung im standhaften Schwarz-Weiß-4:3-Vollbildformat allmählich für eine höhere Gangschaltung entscheidet. So kommt die Handkamera zum Einsatz, sobald der Angriff der Untoten erfolgt und bald trifft die junge Blondine der Unschuld beim Zufluchtsort - ein scheinbar verlassenes Familienhaus - auf die Großaufnahme einer entsetzlich entstellten Leiche. Dieser Schockmoment ist schnell geschnitten, umso nachhaltiger hinterlässt die Situation aber einen Effekt bei Barbra, die fortan im katatonischen Zustand verweilt - die potenzielle Heldin, die Identifikationsfigur eines mittelständischen Amerikas, ist nicht mehr zum Handeln fähig. Mit jenem Handgriff kehrt Romero schon die Erwartungen um, mit dem rettenden Erscheinen des afro-amerikanischen Ben (Duane Jones) kommt zudem erst der wahre Protagonist zur Geltung. Von der Selbstverständlichkeit eines schwarzen Hauptdarstellers konnte zu der Zeit kaum die Rede sein und auch wenn der Film an sich im Verlauf keine allzu große Gewichtung auf jene damalige Innovation heraus posaunt, stattdessen hauptsächlich den Überlebenskampf eines Ensembles im Angesicht des Terrors zeigt, ist das Bewusstsein zur politischen Reflexion letztendlich sein effektivstes Zugpferd. Vorerst ist die Vision von wiederkehrenden Leichen als Monster in ihrer Umsetzung jedoch so radikalisiert, wie es sich ein „Major“ bis dahin nie getraut hätte, obgleich das Phänomen des Zombies schon Jahrzehnte zuvor behandelt wurde.

              Romero ist jedoch scheinbar als erster bemüht, die Gewalt daran offen zu zeigen, was er mangels finanzieller Mittel mit einer Rohheit tätigt, die sich schlicht mit der Wahrnehmung der damaligen Gesellschaft deckt. Im US-amerikanischen Spektrum wurde diese erst recht medial mit den Folgen und Eindrücken des Vietnamkriegs konfrontiert, wie auch die westliche Welt an sich auf jenem Wege Unruhen und Umdenken aus der inneren Sicherheit heraus erfuhr. Und selbst obwohl hier Untote ihr Unwesen treiben, wird man nie den Eindruck los, dass hier Menschen gegeneinander agieren - ein gedankliches Spiel, anhand dessen Romero die Schwere seiner Ära bewusst nur leicht verzerrt und umso tiefgreifender in der Verletzlichkeit des Zuschauers andockt. Sein Film kommt gleichsam Stück für Stück der frischen Richtung fürs Kino entgegen, jedoch bleibt er hier noch der einst bewährten Erzählformel des Genres treu, weshalb man in dieser „Zwischenphase“ mit reichlich Exposition gefüttert wird, die zumindest von der charakterlichen Erfahrung her mündet. Das daran erbaute Kopfkino stellt Szenarien auf, die man als erfahrener Zuschauer inzwischen zu Genüge gesehen hat, ganz abgesehen von diesem eher zeitbedingten Umstand sind Romero und seine allmählich zusammenkommende Schar an verbarrikadierenden Menschen äußerst erpicht darauf, Meinungen zur Überlebensstrategie zu debattieren und Erklärungen für das Geschehene zu finden. Romeros Geschick ist hierbei, die Funktionen seiner Figuren im Sinne der Situation effektiv aneinandergeraten zu lassen, obgleich ihre Eigenschaften eher oberflächlich bleiben (und auch die emotionale Verbindung zu Barbra ohnehin nur bedingt vom Film weiterverfolgt wird, weshalb ihr Charakter entweder zu kurz kommt oder wir alles stets aus ihrer Perspektive sehen, was ebenso schlüssig wäre).

              Familienvater Harry (Karl Hardman) besitzt noch die ambivalentesten Züge, das äußere Geschehen bleibt trotz der inneren Streitigkeiten jedoch stets der Fokus der Spannung und wird sodann in mehreren Reportage-Segmenten mit äußerst realitätsgebundenem Anspruch unter die Lupe genommen. Romero geht dabei scheinbar weiterhin von Zuschauern aus, die dem Phantastischen nicht allzu vertraut sind, so ausgiebig er die vertraute Form des Fernsehens als Vermittlungsventil ins Auge fasst. Er nimmt einen da im heutigen Eindruck gewissermaßen schon an der Hand (zumindest arbeitet er einen genialen Kniff ein, als einem Nachrichtensprecher bei einer Einleitung zunächst ein „Saigon“ raus rutscht, ehe er dies mit „Washington“ berichtigt), aber eines ist sicher: Schaut man sich das als junger Filmfreund an, klebt man sich an jeder Info fest - ich spreche aus Erfahrung, kann aber auch bezeugen, dass der Effekt inzwischen abgenutzt ist. Was hingegen noch immer beeindruckt, ist die Eskalation der Gewalt, die sich nach langer Vorbereitung von Seiten Romeros zum Finale hin auf der Leinwand entfaltet. Der Mut zum Durchbrechen der Suggestion ist sodann zufälligerweise einer der einflussreichsten Schritte, welche dieser Film für sein Genre geleistet hat, so wie er im Kontext der Erfahrung für seine Zuschauer das Grauen greifbar macht, welches man sich einst kaum traute (oder verdrängte), überhaupt zu denken. Er mag nicht ganz der erste in diesem Ansatz gewesen sein, so oder so repräsentiert er damit (mit nicht gerade unverdientem Ruhm) einen Wandel in den Fähig- und Möglichkeiten des Horror- sowie unabhängigen Films im Allgemeinen.

              Eingangs habe ich aber auch gemeint, dass Romero nicht nur vom Genre ausgeht, sondern auch Bezüge zur Wirklichkeit in seinem Werk verarbeitet. Die kulminieren in den letzten Minuten des Films, welche nach dem Zusammenbruch bewährter Beziehungs- und Familienstrukturen (hier ist eben niemand sicher) sowie dramaturgischer Regeln die Bürgerwehr auf die Jagd ansetzen und durch diese eine Rücksichtslosigkeit in den Gegenmaßnahmen darstellen, bei denen die Rassenunruhen jener Zeit sowie die Bereitschaft zum „offiziellen“ Morden in einem äußerst erschütternden Schlusspunkt reflektiert werden. Allzu authentisch erscheinen sodann die im Hintergrund zum Abspann laufenden Standbilder einer inhumanen Leichenentsorgung, deren Teilnehmer (scheinbar) von einem Monster ausgehen und im Gegenzug weit erschreckender als diese wirken, wenn sie ohne moralisches Zögern (und im Gegensatz zu Zombies mit vollem Bewusstsein) zur Gelegenheit schreiten, weiterhin menschenähnliche Wesen zu richten. Jene Erkenntnisse zur kontemporären Gegenwart über ein anfangs gängiges Genrewerk an ein uneingeweihtes Publikum zu vermitteln, ist in solch einer Aufmerksamkeit und Aufrichtigkeit (fernab aufdringlicher Belehrung) bis heute keine Selbstverständlichkeit geworden. Diese transformative Qualität war wie gesagt aber auch mit Hürden verbunden, die sich an Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen orientieren wollten und mussten. Wie spannend wäre es da erst, wenn diese wegfallen würden?

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                (Gesichtet im Rahmen des BIZARRE CINEMA im Metropolis Kino Hamburg, 35mm, OV)

                Ein Film seiner Zeit, dessen Gegenwart ihn mit nur wenig Gegenliebe empfing und inzwischen natürlich das Abbild der Neunziger Jahre schlechthin abgibt. Nicht gerade selten hört man derartige Narrative der Kinogeschichte, welche anfangs manchmal die Reife eines Werkes abseits der leicht angreifbaren Oberfläche verkennen. Jedoch gerade bei Paul Verhoevens Kanonade der Vulgarität ist der offene Dialog um Geschlechter- und Menschenverhältnisse allgemein so ergiebig, dass der Faktor der Überspitzung Massen an direkter und bewusst fordernder Konfrontation vermittelt. Die Kalkulation aus Hedonismus, Sex, Gewalt und Zickereien ist dabei das Markenzeichen einer Ära im Überschwang, verloren in Koks und Brüsten, hier allzu bezeichnend in Las Vegas verortet. Die Machtkämpfe des verkauften Körpers und der Geltungsdrang im pervertierten Karrierezwang des US-amerikanischen Kapitalismus stapeln sich hier zu einem Spektakel zusammen, das seine Emotionen mit barer Brust vorführt und Feuer im Rückenwind hat. Gleich dahinter steht aber auch die Bühne, die Illusion des Aufstiegs, um die hier versessen gekämpft wird, obwohl die Ware der Fleischbeschau das Geschäft, viel mehr aber gezwungenermaßen die „Chance“ der Tänzerin ausmacht. Protagonistin Nomi kann in der Hinsicht auch schlicht nicht als Unschuldsengel vor dem Zuschauer stehen, ist von der Charakteretablierung her ohnehin eher ein stürmisches Wesen, beinahe bipolar in den Wirren der Bewährung unterwegs - engagiert, furchtlos, furios und verletzlich zugleich, wie sich Elizabeth Berkley überhaupt auch jener Figur hingibt.

                Es gibt für sie auch Grenzen, inwiefern sie sich ausbeuten lässt, aber wie alle in diesem konzentrierten Spielfeld des Ruhms geht auch sie zum Äußersten, um einen Platz im Olymp zu erringen. So einfach sich das Drehbuch von Joe Eszterhas vielleicht auch ein reißerisches Melodram mit Milieu-Tönung zusammenspekuliert, so pompös lenkt es Verhoeven in die offenbarende Perspektive, wenn das Ziel/die Endstation der Begierde den Titel „Goddess“ trägt, Versace und Edelspeisen im himmlischen Einkaufszentrum namens „Forum“ gehandelt werden und die neon-beleuchteten Wolkenkratzer mit unwirklicher Imposanz ans Göttliche heranreichen. Himmel und Hölle standen sich aber nimmer näher als hier, sofern die Menschen versuchen, binnen ihrer irdischen Existenz Götzenstatus zu erreichen, Herr ihrer Natur zu werden und sie auszustellen (siehe Kyle MacLachlans Behausung mit echten Palmen, Neon-Palmen oben drüber sowie Delphinstatuen, unter deren Wasserfall Nomi als Neptun-Nixe eine Sturmflut des Sex entfesselt). Im Glanz der Perfektion, auch jene choreographierter Haut, sind sich Missgunst, Hinterfotzigkeit und Vergewaltigung wohlbekannt - der Exzess findet pointierte Szenarien (und Revue-Nummern), in denen sich der Schmierfaktor reicher Güter wie die Made im Speck fühlt. Ehrlicher und herzlicher scheint da noch der Untergrund, sprich die Absteigen, Wohnwagen und Striptease-Schuppen, bei denen man im Voraus auspackt, wie es laufen wird, obgleich in dieser „Sin City“ ein Ei dem anderen gleicht. Zumindest schaut der Bodensatz zusammen dem Traum entgegen, während die Dienstleistung des „fucking without fucking“ mit klarer Ansage beim Kommen noch Aug' in Aug' schaut. Im Kontrast dazu ist Intimität ein No-Go auf der Showbühne der „Goddess“ - den „Gefallen“ muss man dort eben Backstage leisten, ob man nun will oder nicht.

                Die wahre Enthemmung findet Nomi eher in ihren von Grund auf treuen Freundschaften, die sie in Vegas macht und vor allem im genussvollen Hau-Rein fettiger Burger - amerikanisch und universell verbindendes Glied zugleich, welches Verhoeven so auch keineswegs ironisiert, wie er nun mal voller Euphorie mit der Welt arbeitet, die er reflektiert. In solchen Aufsteigerdramen sind die Reize der Branche und des eigenen Stellenwerts aber natürlich nicht ausblendbar und so gerät Nomi ebenso in Extreme des Gewissens sowie der Unmenschlichkeit, bis sie genauso bluttriefend mit Stiefelhacken das korrumpierte Ich sowie dessen „Team-Player“ zurücktritt. „Impulsivität“ ist dem Herrn Verhoeven eben kein Fremdwort und umso heftiger spielt er die Mechanismen von Leid und Glorie aus, die in der Konsequenz und Energie der Inszenierung ihren Meister finden, welcher das Kurzweil des Grand Guignol darin lustvoll vorantreibt. Dabei begegnet man jedoch in erster Linie einem Schwall an Emotionen und menschlichen Beziehungen (egal ob nun zwischen Konkurrenten, Schwarz und Weiß, Boy & Girl, Girl & Girl - Liebe ist hier blind), der in seinem ungehemmtem Bombast mit NC-17-Rating sowie berauschender Licht-und-Körper-Performance nur allzu schön zu seiner Zeit passt und erst recht auf der Leinwand ewig währt (Eine Sichtung 20 Jahre nach Erscheinen gibt jedenfalls eine Zeitreise sondergleichen ab). Insbesondere gilt das für den letzten Kuss zum Abschied, jene befreiende Menschwerdung nach dem filmgewordenen Aufgebot des entmenschlichten Größenwahns. So oder so ist „Showgirls“ insgesamt auf jeden Fall unbedingt eine Wiederentdeckung wert, wie es beim oft missverstandenen Verhoeven nun mal geradezu selbstverständlich ist.

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                • Meganice, IMMENSEE und OPFERGANG werden restauriert!

                  http://murnau-filmtheater.de/projekt-immensee-opfergang

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                    Blickt man mal ab und an auf Werke des klassischeren Hollywoods zurück, begegnet man durchaus erquickenden Filmen mit alles andere als erquickenden Gefühlslagen. Mark Robson hat bei seinem „siebten Opfer“ mit gerade mal 71 Minuten Laufzeit in dem Sinne ein flottes Händchen für sein Narrativ parat, reflektiert im Endeffekt jedoch die Unsicherheit einer Ära, die sich mitten im zweiten Weltkrieg befand und die Mächte des Bösen auch heimatgebunden nur schleppend zu verstanden begann, insbesondere wenn sie im Herzen Amerikas anwuchsen. Das Mysterium basiert dabei zwar auch auf eine greifbare Gruppe, als Symptome eines Weltbilds voller nachvollziehbarer Zweifel und Ängste werden sie hier jedoch nicht mit eskapistischem Einsatz ausgeschaltet. Dies hat - insbesondere hinsichtlich der Schlussnote - im Mobilisierungskino jener Zeit zwar sicherlich einen schwierigen Stand eingenommen, zumindest aber einen Realismus im Genrefilm gefunden, der sich in dieser Konsequenz eben nicht selbstverständlich durchsetzt und umso menschlicher denkt. Ehe sich nämlich Satans-fixierte Geheimgesellschaften als Reißertum durchsetzen könnten, steht die Sorge ums Individuum im Vordergrund, angeführt von Protagonistin Mary (Kim Hunter), welche sich auf die Suche nach ihrer in Manhattan vermissten Schwester Jacqueline (Jean Brooks) macht.

                    Aus der strengen Behütung des Internats geht es für sie also in die echte Welt, obgleich Robson daran keine ideologisch gefärbte Reise erbaut. Nicht selten erhält man bei derartigen Fish-Out-Of-Water-Geschichten den Eindruck, das Stadtleben wäre eine Bombe an Überwältigungen oder Dämonen konservativer Furchtsamkeit - in diesem Fall wird das Prinzip der Begegnung in der großen Stadt aber auch nicht ausgesprochen positiv, sondern eben mit Selbstverständlichkeit gezeichnet, so wie sich das Ensemble Stück für Stück erweitert, um Mary zu helfen und zahlreiche Hintergründe zu offenbaren. Nicht jeder ist jenen Aktivitäten wohlgesonnen, doch die Alternative zur Güte hin stellt sich mit gutem Gewissen vorne an. Jene repräsentativen Charaktere sind dabei dementsprechend auch keine, die sich mit Mut brüsten oder zum Beweis der Überlegenheit mit Reaktionen um sich werfen. Ansonsten ist ihre Spannweite charakterlicher Impulse vielleicht mehr auf die Funktion reduziert, das Spiel wirkt aber keineswegs aufgesetzt, ist im Rahmen des Plots angemessen, aber in manchen Beziehungspunkten vielleicht doch etwas kurzgefasst beleuchtet. Eventuelles Heldentum weicht hier jedenfalls dem Drama auf dem Pfad zum Verständnis, Regisseur Robson kommt gleichsam in konzentrierten Szenarien auf den Würgegriff jener Bewältigung der dunklen Mächte zurück, die im Menschen verborgen liegen oder sich als Bedrohung im Innern bemerkbar machen.

                    Beispielhaft dafür seien der nächtliche Korridor in Esther Redis Fabrik, die auf- und abtauchenden Leichentransporteure in der Straßenbahn sowie der warnende Schatten an Marys Duschvorhang genannt. Nichts davon würde einem modernen Rezipienten per se einen Schauer über den Rücken jagen, aber die Perspektive der Verletzlichkeit, die durch Marys Unschuld an den Zuschauer übertragen wird, lässt ihn die umgebenden Rätsel dennoch mit Unruhe wahrnehmen, obgleich deren Auflösung nicht das Herzstück des Films ausmacht. Stattdessen ist dies eine fragile Persönlichkeit, der man unterstützend und liebevoll zu neuem Lebensmut verhelfen will, im Umfeld der eigenen und kollektiven Skepsis gegenüber der Existenz aber bereits gefangen ist, im Gleichnis des Films zur Depression auch von der schleichenden Selbstaufgabe nachverfolgt wird. Im rasanten Noir-Modus entstehen umso schwärzere Schatten, je tiefer der Film in die Nacht steigt und dennoch um jene Hoffnung ringt, die sich anhand aller anderer Charaktere allmählich abzeichnet, wie sie an der gemeinsamen Unterstützung gewachsen sind. Das Leben kann eben mächtig diffus verlaufen und es erquickt, wenn ein Film dies frei von prätentiösen Tönen bewusst macht (auch offen über Selbstmord diskutiert sowie homosexuelle Beziehungen andeutet) und dennoch ohne forcierte Schwere in seiner Gestaltung voranschreitet; somit nicht übertrieben viel Zeit beansprucht, um das zu sagen, was er zu sagen hat. Der Effekt, den er hinterlässt, wirkt ohnehin länger nach.

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                    • 7

                      Roger Corman ist bekanntermaßen ein Filmemacher, bei dem die Lust auf seinen Beruf, der kommerzielle Aspekt sowie die Ökonomie daran Hand in Hand gehen. Umso stimmiger ergibt sich an diesem Werk das Gesamtbild eines Könners, welcher die Geometrie seiner Sets sowie die Koordination der Kamera, des Schnitts, der Darsteller und derer Emotionen aufs Genaueste beherrscht und diese Faktoren auf eine Geschichte anwendet, in der die Dimensionen der Sinne, speziell des Sehens, in ein neues Licht gerückt werden. Mit Versteifung ist dabei nicht zu rechnen, da Corman in der Treue zum Konzept kein künstlerisches Ego an die vorderste Stufe stellt, höchstens eine hypnotische Spirale zum Vorspann. Sein empathischer Schauerfilm der Science-Fiction um den engagierten Wissenschaftler James Xavier (Ray Milland) bugsiert sich dafür auch nicht von Anfang an durchweg auf eine Gefühlsrichtung, sobald dieser eine Droge entwickelt, mit welcher das menschliche Auge tiefer blickt als man es sich in seinen kühnsten Träumen vorstellen könnte. Der Forschungsdrang zu neuen Horizonten birgt hier schon gewisse Vorteile, für die Xavier gewiss ein Risiko eingeht, aber auch davon ausgeht, Menschen helfen zu können. Mit unaufgeregtem Kurzweil (kaum zu glauben, aber ein Corman schafft diese Mischung mit links) wird die Sache in Angriff genommen sowie mit Interesse und Skepsis zugleich begegnet, wie es nun mal mit jeder Innovation ist.

                      Die Stimme des Künstlers hat da gewiss ein Wörtchen an Erfahrung mitzureden und im Verlauf des Films sind die Parallelen zum Medienumgang nicht von der Hand zu weisen, wenn Xaviers eigentlicher Fortschritt für die Menschheit von den Vorgesetzten untersagt sowie später als Schaubudensensation, gar Wunderheiler-Ausbeutungsmasche, unterfordert und missbraucht wird. Vorerst lässt sich aber Stück für Stück in Regionen des Menschen schauen, die per Oberfläche abgedeckt bleiben und eine Wurzel des Schmerzes hüten, der man anhand Xaviers Perspektive effektiver begegnen kann. Die Wahrheit, im Auge eines einzigen Betrachters, ersetzt sodann die Spekulation, hat aber gleichsam Folgen für den Propheten. Und damit sind nicht nur die etwas unschuldigeren gemeint, wie etwa durch Kleider durchsehen zu können - obgleich jene Episode ihren wohlverdienten enthemmenden Platz in diesem Genrewerk findet. Nein, es fängt schon im Kopfkino an, das Corman mit seinen Drehbuchautoren Robert Dillon und Ray Russell aufzieht, wenn es darum geht, mit welchen Eindrücken und mit welchem „Licht“ Xavier konfrontiert wird. Sein Blick wird uns in einigen ausgewählten (somit auch nicht allzu reißerischen) Tricksequenzen dargeboten, aber gemäß der limitierten Möglichkeiten der Entstehungszeit konzentriert man sich auf den Ausdruck der Ereignisse im Zwischenmenschlichen (sowie im Verhältnis zwischen Schauspieler und Umgebung).

                      Beinahe als einzige Bezugsperson bleibt Xavier dafür nur Kollegin Dr. Diane Fairfax (Diana Van der Vlis) übrig, nachdem der Rest der Krankenhausbelegschaft seinen Umgang bezweifelt und ihn aufzuhalten versucht. Da die Droge eben noch immer eine solche ist, birgt seine Überzeugung eine Abhängigkeit, die ihn immer weiter von seiner Position und somit auch seinem Potenzial entfremdet, bis der Abstieg in ärmste Gesellschaftsgruppen passiert. Aus Not und Verzweiflung ist man mit solch einem Talent zwar noch für jede Anwendungsmöglichkeit dankbar, doch die richtige Hilfe und Möglichkeit zum Helfen bleiben ihm vergönnt, erst recht, da der Einfluss der übermenschlichen Fähigkeit seine menschliche Fassung übersteigt. Die geisterhaften Todeschöre tun ihr Übriges. Ohne noch mehr von den folgerichtigen Eskalationen dieser Mächte preiszugeben, sei hervorgehoben, dass Corman stets fernab erzwungener Gimmick-Ausschöpfung mit dem Thema arbeitet und seinen Charakteren eher treu bleibt als den Anforderungen des Genres. Unter Umständen könnte sich ein bisschen Staub darauf ansammeln, Ray Millands Darbietung allein aber erschafft einen zentralen Leidenden, der seine experimentellen Augentropfen bewusst wie Tränen wegwischt - kein Wunder, wenn die Sonnenbrillen immer kräftiger werden, die Augen an sich brüchiger erscheinen und die Beschreibungen der allumfassenden Beobachtung als „zweiter Gott“ den existenziellen Schrecken schlechthin suggerieren.

                      Die darin enthaltene Furcht vor der Selbstaufgabe, vor dem Verlust des Inneren, der Gefangenschaft als Außenseiter im ständigen Überblick, eben dem Gegenpol absoluter Blindheit in absoluter Sicht - sie trifft weniger mit filmischem Affekt im Zuschauer ein, als dass es ihr in der Schlichtheit der aufgezeigten Verhältnisse gelingt. Cormans Spannung findet sich daher auch vornehmlich in einer geradlinigen Dramaturgie und einigermaßen einfachen Szenarien, zum Beispiel in der Konfrontation durch Menschen, die eine Erklärung von Xavier für sein Wissen einfordern, was ihnen jedoch zu unbequem und persönlich wird. Oder auch in seinem ungewissen Gang durch die Wüste Nevadas hinein in ein kleines Zelt von Kirche. Hier trifft der Prophet auf die Verkünder und Gefolgsleute des Himmelreichs und was er sieht, will nicht gehört werden, ist in der Vorstellung daran aber auch ein mutiger Schlusspunkt, dem ein glaubwürdig eingesehenes Leinwand-Schicksal vorausgeht. Schließlich ist darin auch der Diskurs allgegenwärtig, ob der Mensch über sich hinauswachsen kann, ob er es überhaupt sollte und ob seine Mittel dazu ausreichen. Bevor der Film aber eine kritische Haltung zum Aufbegehren einzunehmen droht, macht er trotz aller Ambivalenz der Folgen klar, dass die Einsamkeit der ärgste Feind im Schaffen sein kann, aber dass es auch möglich ist, gemeinsam an einem Strang zur Horizonterweiterung zu ziehen. Jedes Mitglied der Menschheit trägt nun mal gewisse Schmerzen mit sich, aber ob jedes zur Änderung bereit ist, stellt der Film weniger optimistisch, zumindest realistisch in Frage.

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                        Sowas hat man noch nicht erlebt! Bitto Albertini - eher bekannt durch beherzten Klamauk der Marke „Drei Spaghetti in Shanghai“ - nimmt sich der einst immens beliebten Softsex-Exploitation an und geht in ungehemmter Absurdität dort zu Werke, wo Just Jaeckin zuvor spekulative Mondo-Sexyness zur cineastischen Haute Couture fingierte. Albertini, Regisseur und Autor des folgenden Nackedei-Quatsches, steigt also ebenbürtig prätentiös mit einem (nach meinen Recherchen eher angeblichen) Zitat von Sigmund Freud ein: „Der Patient, der mich am meisten beunruhigt, bin ich selbst.“ Fortan wird dieser Film dessen Methodik der Psychoanalyse sowie ihren Bezug auf sexuelle Neurosen derartig überspitzen und trivialisieren, dass er sich damit zumindest vom Einheitsbrei ähnlicher italienischer Erzeugnisse absetzt. Umso ironischer wird man sodann alle Wandlungen wahrnehmen, die unseren Charakteren anfallen - ganz besonders dann, wenn Dagmar Lassander ihrem behandelnden Gatten zunächst zuruft: „Scheiß doch auf dich und deinen Freud!“ und am Ende doch noch einen Walzer vom letztgenannten verschlingt. Aber auch sonst ist das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten eine Komödie, die Freuds Theorien in die Extreme treibt: Emanuelle (Shulamith Lasri) leidet unter Gedächtnisverlust, ist als exotische Schönheit aber durchweg ihrer Reize bewusst und versucht Dr. Paul (Angelo Infanti) zu verführen, der zudem noch seine notgeile Nichte Sharon abwehren muss.

                        Er bleibt unbeirrt, doch alles an seinen Heilmethoden wird peinlichst genau sexualisiert: So wie Sharon die Behandlung des Psycho-Klempners für ausgewachsenen Voyeurismus hält, bestätigt sich dieser anhand von Glasscheiben zur Beobachtung ihrer Gelüste, während der Wachmann die Nachtschwester mit seinem „Knüppel“ im Kabuff an der Eingangspforte bearbeitet. Sogar selbst wenn Emanuelle in Tonbändern auf ihre Lebenserlebnisse zurückblickt, erzählt sie dort im Detail vom Liebesspiel der Tiere, was alle Anwesenden im Raum sofort zur Selbstbedienung anregt. Die verdeutlichte Verballhornung von Genre-Werken wie dem „Schulmädchen-Report“ - die ihre offensichtlichen Schauwerte in pseudo-intellektuelle Lehrfilme verpackten - setzt sich sodann auch in Rückblicken fort, wenn sich Frau Patientin und ihre Mitmenschen zu blumigen Bildern in vergangene Zeiten zurückversetzen und jeder Moment wie von einem Außerirdischen inszeniert zu sein scheint: Emanuelle erinnert sich an ihren Vater als Säufer mit Trompete und Grabschfingern, in Wahrheit war er aber wohl ein fürsorglicher Akademiker am Klavier - beide Optionen passen sich an die verspekulierte Grundhaltung des Films an. Die Verwirrung ist in Emanuelle jedenfalls so stark (und mit reichlich Zooms aufgepeppt), dass sie ihren Daddy beim Aufeinandertreffen anhand dusseliger Überblendungseffekte sogar für ihren Ehemann hält und ihn folglich ödipal abzuknutschen versucht - sein Kommentar dazu: „Total...traurig.“.

                        Ihre sexuellen Aktivitäten sind regulär jedoch ohnehin nicht immer von Erfolg gekrönt, da sie das männliche Geschlecht oftmals lustvoll anpackt, aber sodann (als Opfer einer unerklärlichen Bipolarität) einen Angreifer im Liebhaber wiedererkennt. Bei anderen Malen jedoch muss sie jede Stunde „Liebe machen“, was ihrer Ehe mit Basketball-Star Fred schon zum Verhängnis geworden ist. Andere Gelegenheiten führen sie schließlich auch dazu, mit Frauen zu hantieren und wildfremde Haudegen zu vernaschen, die einen Anker mit dem Schwengel stemmen können (!). Es geht wahrlich drunter und drüber in diesem Werk der siebziger Jahre, das offenbar in hämischer Voraussicht genau dem entsprechen will, was man sich als moderner Zuschauer unter der inzwischen fremdartigen Kuriosität jener Ära vorstellt. Ehe man sich nämlich versieht, pendelt der Streifen über Signale eines Frauengefängnisfilms rüber nach New York, zurück in einen Terroranschlag binnen Beirut bis hin zum journalistischen Bumsvergnügen in Venedig, sofern nicht gerade von den Brüdern in Harlem die Rede ist und Dr. Paul vor seinen Eheproblemen in die Arbeit hinein flüchtet. Das herausstechendste verbindende Glied stellt da noch die Präsenz stets anwesender J&B-Scotch-Flaschen auf allen Sets dar. Um noch weniger durchzusehen, sind die Großaufnahmen von großen Brüsten gewiss keine Seltenheit; Dialoge sind dementsprechend in Plattitüden aufgequollen, welche die kaum vorhandene Dramaturgie umso flotter vergehen lassen.

                        In der zweiten Hälfte des Films kann man dadurch durchaus noch in das eine oder andere Loch der Langeweile fallen, ehe das verstrahlte Realitätsverständnis einen wieder am Haken hat und den Geist seiner Patienten dadurch zu retten glaubt, dass selbst die Heilung an Taktlosigkeit und naiver Symbolik kaum zu überbieten sein darf. „Emanuelle Nera und ihre wilden Hengste“ verarschen einen eben nach Strich und Faden, doch zumindest wird der Sex positiv abgefeiert. Der ansonsten omnipräsenten Irrationalität muss sich selbst Dr. Paul jedenfalls ganz rational geschlagen geben, so glanzvoll obszön sich das Freud'sche Spektrum hier an der frischen Luft „erfüllt“ hat (nicht, dass man hier irgendwas Substanzielles davon erfahren würde). Nun bleibt aber die Frage: Ist Bitto Albertini ein Genie im Schmierlappen-Look oder ein Schmierlappen mit zufälligen Ebenen der Genialität? Als erfahrener Zuschauer solch feiner Werke wird man die Wahrheit bestimmt mit Freude für sich selbst herauslesen können, aber auch alle anderen dürften mit jener blödsinnigen Erotica eine unvergessliche Filmerfahrung haben.

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                          Bei John Waters' erneutem Ausflug in die Fantasieversion seines Heimatortes Baltimore kommt eine gute Handvoll an gesellschaftlichen Phänomenen zu einer Satire zusammen, die aus dem manifestierten Symbol der Geborgenheit - die Mutter - das Mörderische herauskitzelt. Was sich da anfangs schon für eine Bilderbuchfamilie herausputzt und im beliebtesten Ort des Genrekinos, nämlich dem Suburbia, Halt macht, um das Plakative bereits anhand seiner Existenz zu persiflieren. Die Nettigkeiten stapeln sich im Sekundentakt, solange der Nukleus der Familie - Ehemann, Ehefrau, Tochter und Sohn - am Frühstückstisch versammelt ist oder auf der Einfahrt zum Hofe Bekannte und Nachbarinos grüßt. In Kürze lässt sich aber allein durch den schleichend wechselhaften Score von Basil Poledouris das bipolare Wesen im Herzen Amerikas entdecken, das seine Faszination mit der Gewalt nimmer ablegen wird. Die Ursprünge dafür versucht Waters gar nicht erst mit vorsichtigem Skalpell zu ergründen, schließlich gebraucht er die Signale derer Einflüsse für eine Komödie, welche gewiss überzeichnet, aber stimmig in der Erziehung an sich anfängt. So sind seine Eltern und die Gesellschaft an sich hier als konservatives Vorzeigeideal derartig (scheinbar) konfliktbefreit unterwegs, dass eben nur ein verfremdetes Bild der Realität auf allesamt abfärben kann. Also passt sich die Perspektive des Films entlarvend daran an, wenn beobachtet wird, wie Frau Mutter (Kathleen Turner) mit Provokationen umgeht, die ihre Perfektion, also auch solche ihrer familiären Werte und des Anstandes allgemein, in Frage stellen.

                          Waters zeichnet den Gegenpol an Menschenschlag zwar durchaus verballhornend und lenkt die Sympathien der Zuschauer mit Keckheit auf die „Serial Mom“, nutzt diesen Hang aber auch für die Verinnerlichung seines durchlaufenden Kommentars über die mediale Aufmerksamkeit für die Sensation der Kriminalität. Der Zeitgeist der Neunziger konnte in der Hinsicht schon auf Jahrzehnte der Berichterstattung zu Killern nationalen Interesses von Charles Manson bis Ted Bundy zurückblicken (von frühen Outlaws wie Jesse James ganz zu schweigen) - 1994 machten die „Natural Born Killers“ gleichsam darauf aufmerksam, zu welchen Persönlichkeiten sich Fernsehen und Co., somit auch das Publikum, hingezogen fühlten. Weniger extrem als Oliver Stone wirkt da der Sohnemann der Familie Sutphin, Chip (Matthew Lillard), wenn er der Gewalt anhand der Reflexion durch Horrorfilme einigermaßen abgeklärt begegnet und einen enthemmten Dialog zum Thema halten kann. Mutter Beverly hält ihren Bezug hingegen geheim, bis sie ihn im stets aufrechterhaltenen Gesellschaftskleid ausbrechen lässt und umso gewiefter per Außenwirkung manipuliert - eben eine Soziopathin im mütterlichen Schafspelz. Daran ergibt sich eine Verwirklichung vom naiven Wunschdenken, wie man es der Spießerschaft der Umgebung heimzahlen oder auch den Mutterinstinkt umsetzen kann, wenn zum Beispiel der Mathelehrer darüber meckert, dass sich der werte Herr Sohn offenbar aufgrund seiner Horrorfilme nicht auf den Unterricht konzentriert und stattdessen den lieben langen Tag über „herumkritzelt“ (Nur zu gerne erinnere ich mich daran, dass meine Mutter ähnliche Elterngespräche durchstehen musste und dennoch standhaft blieb, dass ich trotz meiner Schwierigkeiten auf dem Gymi bleiben dürfte).

                          Mutti ist die beste, in Waters' Märchen der Mordlust übertreibt sie es aber natürlich und nimmt die Wünsche ihrer Kinder wortwörtlich todernst. Die Erfüllung elterlicher Pflichten ergänzt sich sodann mit einer Räumungsaktion durch die Eigenheime der Selbstgefälligkeit, in denen klar wird, dass ein jedermann böse Absichten in sich trägt und sich in jener behüteten Umgebung dennoch stets zu profilieren versucht. Das gesamte Ensemble konfrontiert sich hier nun mal mit seinen jeweiligen Oberflächen, entsprechend irrsinnig schnell vergucken sich gut aussehende Männer und Frauen ineinander, wie überhaupt auch unsere Mutter auf die pingeligsten Kleinigkeiten reagiert und sich in der Blutsudelei nur nicht die Hände schmutzig machen will. Das tönt von Waters' Seite aus so laut und grell, dass die bald folgende Empörung seiner Gesellschaftskarikatur umso mehr in Superlativen denkt, dem Entfesselten mit religiöser Hysterie begegnet und genauso religiös die Vermarktung dessen fördert. Natürlich ist Chip da an erster Stelle, die „schlechte Seite“ seiner Mutter mit Freude zu empfangen, zeitgleich versucht er sie im Zaum zu halten, so wie die Generation X zur Entstehungszeit eben auch erst einigermaßen „in-progress“ war. Die Post-Moderne kündigt sich aber dennoch lustvoll und lustig an, sobald L7 als „Camel Lips“ auf der Bühne abfetzen und die „Serial Mom“ den sich nie anschnallenden Nachbarsjungen nebenbei abfackelt, ehe sie sich ebenso rockend im Publikum verliert und per Festnahme durch die Polente zur Ikone wird. Das Gleichnis von der herzlichen Aufnahme „abtrünniger“ Kultur, das Autorenfilmer Waters hier in Zart-Bitter-Kurios zugleich konzentriert, mündet dementsprechend auch in eine Farce von einem Gerichtsprozess: Die Mutter verteidigt sich selbst; Chip regelt bereits die Verkaufsrechte fürs Fernsehen und Schwester Misty (Ricki Lake) verkauft vor dem Justizgebäude T-Shirts, Pins sowie Bücher (Das nennt man mal eine treue Brut!); Suzanne Somers ernennt Beverly provisorisch zur feministischen Heldin, während im Innern jedes Beweisstück anhand absurder Freveleien der Zeugen entkräftet wird.

                          Niemand kann sich eben reinen Gewissens ein Urteil erlauben, was rechtens scheint und was nicht - letztendlich wird dafür auch reichlich an den Emotionen gefummelt, bis die scheinbare Überzeugung bei der Jury eintritt und diese doch falsch entscheidet. Das dürfte den Überblick zur ideologischen Hin- und Hergerissenheit nicht einfacher machen, umso sicherer fühlt man sich als Zuschauer also in der entschiedenen Überakzentuierung durch John Waters, der das mentale Chaos seines Figurengefüges und somit auch jenes seiner Mitbürger nachempfinden kann. Seine Gestaltung ergibt sich nämlich ebenso liebevoll dem Trivialen, Kitsch und Klischees, obgleich sie auch mit flink beobachteter Gewitztheit über den Dingen steht und per inszenatorischer Manipulation kritisch hinterfragt. Es offenbart ein gesundes Maß an Ehrlichkeit, wenn Waters daran herausstellt, wie die kollektive Wahrnehmung und zugleich er selbst mit der finsteren Seite des Menschen umzugehen versucht: Da wird die Hand der euphorischen Krassheit geschüttelt, während man hinterrücks die Finger kreuzt. Sich darin preiszugeben, an der Darstellung von Mord und Totschlag zumindest Interesse zu haben, fällt gewiss nicht jedem leicht, doch an Waters' groteskem Cartoon zeigt sich auch, dass die Reflexion zur Realität daran nicht versäumt werden darf/kann und im offenen Dialog womöglich mehr zum Verständnis (und Potenzial für schwarze Komödien) verhilft, als man anfangs zugeben möchte.

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                            Eine neue Generation an Privilegierten traut sich in die Tiefen des Genre-Dschungels und begegnet der Bestie Mensch, wie abermals binnen des italienischen Kannibalen-Kanons, auf beiden Seiten. Regisseur Eli Roth nimmt dabei erneut den fortgeschritten jugendlichen Leichtsinn seiner Protagonisten unter die Lupe, welcher in diesem Fall mit politischem Gewissen punkten und die Welt verändern will, ohne jedoch eine fähige Kenntnis von der Welt zu haben, somit schließlich von ihr verschlungen wird. Roth liegt es allerdings nicht daran, mit ausschließlich zynischer Häme Opfer aufzustapeln, die man von Vornherein nur sterben sehen will. Die bewährte Slasher-Regel vom Final Girl wird hier einerseits dennoch eingehalten, andererseits ist das Ensemble hier an einen Komplex aus Gerechtigkeitsgefühl, Furcht und Mut gebunden, der mit guten Absichten und geförderter Selbstüberschätzung in den Regenwald vordringt. Als Sympathieträgerin ist Studentin Justine (Lorenza Izzo) dementsprechend die junge Unschuld schlechthin, aber noch eine vorsichtige Realistin, welche jenem über dem Campus heraus schauenden Aktionismus der Gruppe ACT zunächst skeptisch gegenüber steht, wie sie auch von der charismatischen Argumentation des Anführers Alejandro (Ariel Levy) angetan zu sein scheint (obgleich er bei Widerworten sofort abblockt - kein gutes Zeichen!). Er gibt zumindest einen stürmischeren Kontrast zu ihrem Vater ab, der inmitten der UN zwar mit Messer und Gabel dinieren, aber gewiss keine Veränderung erwirken kann. Die Protestaktion in Peru muss also her, um die Bulldozer von der Natur und seinen Ureinwohnern fernzuhalten.

                            Als Waffen nimmt man die Handys zum Streamen mit, um die Wahrheit zu dokumentieren und zu verbreiten. Mit der Wahrheit sieht es im Verlauf des Films bezeichnenderweise nicht so rosig aus. Das zeichnet sich beim Zuschauer schon daran ab, wie Alejandro - mit stolzem Knie an der Spitze des Bootes stehend - das allwissende Alphamännchen verkörpern will und auch nichts dagegen hat, für die Sache uneingeweihte Märtyrer vorzuschicken, um ein Zeichen zu setzen, das seines Wissens (oder auch seiner Spekulation nach) sowieso nur wenig in der Weltordnung umverteilen wird. An der Manipulation per „Jeder kann jederzeit aussteigen, aber in der Gruppenmentalität seid ihr eh nicht dazu fähig.“ rüttelt er sodann auch keineswegs, so verzerrt seine Haltung zu Ego und (gerne auch militantem) Geltungsdrang agiert. Die Umkehrung dieser Sicherheit im Selbstbewusstsein - welche allerdings schon den restlichen Mitstreitern entsagt bleibt - folgt natürlich von alteingesessener Dramaturgie und deren Genre-Schauwertem her auf dem rechten Fuße, in dem Fall ist es aber nur logisch, dass die Natur gerne Opfergaben annimmt, wenn Alejandro allesamt dazu motiviert, sich selbst für diese aufzugeben. Die Spannung daran bleibt erhalten, weil wir Justine anhand der relativ moderaten Inszenierung als Leidtragende der Hilflosigkeit verinnerlichen - das bitterböse Spiel mit Figuren und Publikum ergibt sich sodann dennoch keinen Kompromissen, sobald die Bewohner des Dschungels ihrem Way of Life nachgehen und nicht ohne Grund von einem „Geschenk des Himmels“ reden, sobald der tägliche Leichenschmaus grüßt.

                            Nah am Selbstzweck, allerdings auch nur in vereinzelten Sequenzen ausgeführt, breiten die Szenen der Gewalt ihren Effekt vor allem auf die im Käfig gehaltenen Figuren aus, die sich nun bald nichts sehnlicher wünschen als die Ankunft der einst bekämpften Bulldozer. Die Doppelmoral der Aktivisten (auch das Klischee an so einer Figurenzeichnung) lässt sich nicht abschütteln - Roth schwappt aber nie wirklich dazu über, per Lächerlichkeit zu verurteilen, da seine Gruppendynamik zwar absurde Züge annimmt, die Extremsituation daran aber greifbar bleibt. Wenn zum Beispiel aber Justine die Angst erfährt, jene Bilder von der Verstümmelung weiblicher Geschlechtsteile - die sie erst von ihrem College-Leben aus zum globalen Gerechtigkeitssinn bewegt haben - womöglich an sich selbst zu erleben, verschwimmen die Grenzen zwischen pechschwarzer Satire und cineastischem Terror bewusst ins Ambivalente. Wer sich hier in die Hölle wagt, wird sie nun mal erleben. Roths Film ist in seinem Anspruch zum kontemporären Publikum dennoch einigermaßen verträglich, wenn man ihn mit reichlich Genre-Vorgängern aus den Siebzigern und Achtzigern vergleicht (siehe Umberto Lenzi), die ihren ohnehin schon ausgeprägten Nihilismus mit Sensationalismus und Rassismus vermischten.

                            Er beläuft sich dabei im Endeffekt dennoch auf die plumpen Topoi von gestern und will sich in seinen Eckdaten nun mal zweifellos als Nasty Baby verdient machen. Dabei maßt er sich jedoch keineswegs an, eine Ideologie zum Gewinner, gar Retter zu küren, so wie sich Güte und Unschuld hier von beiden Seiten aus noch ergänzen und höchstens von einzelnen Anteilen beider Seiten derselben Medaille/Welt profitieren, eher als Individuen bestehen bleiben. Wie Justine dann schlussendlich mit der „Wahrheit“ umspringt, spricht insofern Bände. Gleichsam ist der Film in seiner Rohheit gewiss nicht das Maß aller Dinge: Einerseits digital gefilmt, in zwei Szenen voll mit halbgaren Computereffekten und im Spannungsbogen insgesamt recht gewöhnlich gehalten, bis die Schlussminuten inklusive Abspann einiges an Chuzpe wieder entwerten - andererseits mit intensiven Impulsen der Bedrängung ausgestattet, die effektiv am Körper rumoren und somit auch in der Vermittlung durch das Schauspiel beim Zuschauer Unbehagen auslösen, während die charakterlichen Verhältnisse sowie deren verzweifelte Überlebensideologien eine horrible Farce abgeben. Lassen sich eben solche Gefilde nur mit teils „primitiver“ Haltung begegnen, so dass Roth mit seiner nicht immer einwandfreien Moral doch etwas in die stumpfe Ungewissheit zielt? So oder so stecken im Horror wie auch in der Politik stets Risiken, bei denen sich an die Urängste des Menschen herangetastet wird, welcher in seiner Verletztlichkeit manchmal auch nur einer von vielen oder schlicht die Hauptspeise wird.

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                              Für wahr, ein weiterer Craven in der Videobesprechung, zusammen mit 3 anderen mehr oder weniger glücklichen Kandidaten der Filmkunst:

                              https://www.youtube.com/watch?v=3tkD6eKEKfQ

                              Viel Spaß beim Sehen, Hören und Mitfiebern ;)

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                                Wie man es aus der Ära kennt, gibt auch dieser Sci-Fi-Grusel anno 1960 ein einziges großes Gleichnis über die Angst vor dem kalten Krieg ab, beziehungsweise wie man ihm und dem Kommunismus theoretisch gegenwirken kann. Sein Hang zum Durchgreifen per militärischer Gewalt wäre inzwischen eine recht diskutable Angelegenheit, zumindest ist die dörfliche Bürgerwehr hier wie eh und je allzu unfähig, anhand ihres Reaktionismus etwas Substanzielles abseits ihrer eigenen Zerstörung zu erreichen. Etwas ambivalent erscheint dagegen die Krisensitzung, in der von Dritte-Welt-Ländern berichtet wird, welche ihre Kolonien an Alien-Kids sowie deren unfreiwillige Mütter sofort hinrichten, worüber sich die britische Spitze unseres Figurenensembles allein schon in der ermatteten Wirkung der Inszenierung echauffiert. Im Verlauf des Films wird hingegen aber klar, dass man schon längst zur Tat hätte schreiten, die diplomatische Vorhut also ablegen müssen. Und obwohl Professor Zellaby (George Sanders) darin schlussendlich die Verantwortung für seinen missglückten Vorschlag friedlich wissenschaftlicher Beobachtung übernimmt und erst recht verhindern will, dass Midwich das Schicksal eines russischen und somit natürlich atomar beseitigten Dorfes teilt, findet er die Lösung nur scheinbar im Intellekt.

                                Stattdessen benutzt er die bezeichnende, stets wiederholt eingebläute Symbolik der Mauer als letztes Mittel für eine Nachstellung des Aktionismus nach dem Formate Stauffenbergs - schon ein gewaltiger Unterschied zum Carpenter-Remake, das die Schuld entsprechend der Entstehungszeit auf die Skrupellosigkeit des inländischen Militärapparates und seiner Regierung lud, wie es auch Abel Ferraras "Body Snatchers" hielten. Im klassischeren Gewand gilt für diesen Stoff auf jeden Fall, dass die Gestaltung ihrem Konzept der ansteigenden Furcht im Sachverhalt durch Regisseur Wolf Rilla doch noch stimmiger gerecht wird und sich allein vom Drehbuch her durch Sequenzen auszeichnet, die in der Kürze die Würze finden. Somit erfüllen sich binnen weniger als 80 Minuten mit schlichter Eleganz reichhaltige Vermittlungen an Atmosphäre, Charaktereigenarten, Zweifeln und Theorien, welche die Sinne des Zuschauers per einfacher, doch geschickter Suggestion (inklusive Hypnose auf der Handlungsebene) als Pointen der Hilflosigkeit bar jeder Kontrolle erreichen. Die Einschüchterung im eigenen Familien- und Bekanntenkreis aus ideologischen Lagern oder eben solchen unterschiedlicher Spezies kommt daher auch weiterhin universell an, obwohl sich da natürlich durchweg die Ära zu Wort meldet, wenn das uniformierte wie überintelligente Grüppchen an "subversiven Elementen" die Provinz heimsucht.

                                Dazu muss man aber auch anrechnen, dass die psychotronischen Kids in ihrem Alpha-Arier-Kostüm das Echo des (von Regisseur Wolf Rilla erlebten) Nazi-Terrors abgeben und somit durchaus die temperamentvollen Reaktionen der Bevölkerung erklären (auch wie diese ihre Angst in Alkohol tauchen und sich den Tod mutierter Säuglinge wünschen: großartige Räudenszene!). In diesem Kontext der Ungewissheit zum Ost/West-Konflikt manifestieren sie rückblickend aber durchaus konservatives Kopfkino (z.B. die Invasion an den hilflosen Hausfrauen durch das unbekannte Übel), denen man hier im westlichen Survival-Instinkt nur per Zerstörung gewinnbringend entgegen kommen mag. Als eskapistisches Relikt bleibt der Film natürlich vornehmlich ein (seinen Genreverwandten entsprechend recht kluger) Nervengitzel der Fantasie, der heute garantiert nicht mehr die dringlichen Existenzängste von einst im Zuschauer hervorrufen könnte, somit trotz seines Horrors etwas unbefangener reizt (auch weil er wie schon die Urversion von der "Invasion vom Mars" einige unfassbar aufhaltende Längen besitzt) und in seinem Subtext zum humanistischen Diskurs ansetzt. Dass dieser natürlich nicht wirklich zusammenkommt und seine Katharsis schließlich im Konsens findet, kann man aber nicht ohne Grund als problematisch empfinden.

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                                  Nun denn, jetzt ist der Film auch für jedermann auf Youtube zu sehen :) Ich wünsche jedem, der sich da hinein verliert, ein einigermaßen schauriges Stimmungsstück, das sich umringt von der Dunkelheit am gemütlichsten anschauen lässt:

                                  https://youtu.be/m92CmS6-6EU

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                                    Ich bin für diesen Film wieder on-screen gegangen, um Lewis Teagues etwas anderen Selbstjustiz-Film unter die Lupe zu nehmen, der von seiner Aufmachung her zwar das übliche Genreprozedere verspricht, in seiner Charakterzeichnung aber mit Ambivalenzen punktet, die einem Charles Bronson höchstens ansatzweise ins Gesicht geschrieben werden könnten. Der urbane Crime tritt gegen die Selbstgefälligkeit des Reagan-Pöbels an, es wird spannend, wirft Sympathien durcheinander, beweist die Nötigkeit einer unbefangenen Diskussion bei derartiger Thematik und kommt dennoch auf einige gemeinsame Nenner mit den Schauwerten eines Michael Winners - wenn auch beileibe nicht so exploitativ, wie es das Poster vermittelt. Mehr dazu in den folgenden zehn Minuten:

                                    https://youtu.be/MjiLZwp6FaI

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                                    • Am 21.02., um 14.30 Uhr, läuft im Metropolis Kino Hamburg niemand Geringeres als ROBOCOP in 35mm, somit in der alten deutschen Kinofassung. Pflichttermin! Vorher am 31.01. gibt es aber noch zur selben Uhrzeit Verhoevens SHOWGIRLS, ebenso in der deutschen Kinovariante. Als Einstimmung zur hoffentlich baldigen VÖ von ELLE dieses Jahr perfekt geeignet!

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                                        Wem sonst kann man es zutrauen, eines der unangenehmsten jüngeren Kapitel der amerikanischen Geschichte mit einer Leichtigkeit anzupacken, welche die gesamten Ausmaße von Segregation und folgerichtiger Integration zu einer Komödie der Gerechtigkeit ballt und dazu massiv Bock auf Tanz, Liebe und Heiterkeit entfacht, wenn nicht John Waters? Hier spielt er die Spießigkeit des weißen Jugend-Tanzkults um 1962 gegen die Realität der unbedingten Gleichberechtigung aus, frönt der Menschlichkeit, ob sie nun schwarz, weiß, dick oder dünn sei. Der Antagonismus der Altbackenheit verhält sich da entsprechend bockig, wird zwar von der Gegenseite (und dem Publikum) ausgelacht, hat in seiner Macht aber noch genügend Zügel in der Hand, um unseren Protagonisten zuzusetzen. Nicht, dass die sich für längere Zeit im Eigensinn aufhalten lassen, stattdessen hält man im Widerstand zusammen und hat den Spaß seines Lebens - auch in Vierteln, in denen man zuvor nie war und sich trotzdem fix zuhause fühlt. Wer seit längerem in einer Großstadt haust, wird letzteres unter Umständen gewiss nicht als Märchen empfinden. Die großartige Divine kommt dabei auch als Hausfrau zum selben Schluss wie Bob Dylan: „the times, they are a-changing“ und jene herzliche Wandlung kommt im Gesamtverlauf zudem ohne Extraladung betroffenen Pathos' aus, so wie der Film ohnehin in bunten Farben, irren Tänzen und exaltierter Performance-Laune zur großen Sause ansetzt.

                                        In der Enthemmung liegt die Kraft, umso empfindlicher stößt man sich von der Fiesheit der Gegenseite ab, selbst wenn der Konflikt in seiner Überzeichnung keinerlei historisch haargenauen Anspruch sowie keine allzu finstere Dramatik verfolgt, aber natürlich exquisit melodramatisch daherkommt - gepaart mit Dialogen der Aufrichtigkeit, die gleichsam den Ton altmodisch verpeilter Lehrfilme anklingen, Pickel platzen und dämliche Heilmethoden in den Sand setzen lassen. Dazu Ricki Lake, Leslie Ann Powers, Ruth Brown und Elvis-Klon Michael St. Gerard: Mit solchen Mengen an Charme langt der Kurzweil besonders großzügig zu, inklusive frischem Lebensgefühl der Musik in der Tasche, bei der die Weißen so gerne die Audio-Leistungen und Tänze der Schwarzen abfeiern/emulieren, die Menschen dahinter aber allerhöchstens nur zum „Negro Day“ rein lassen (ins Fernsehen schon gar nicht). Dabei wollen es die Showmaster schon anders, sind jedoch an die Sturheit der Obermacker gebunden. Dass sich das ändern muss, sollte dem modernen Menschen von Vornherein klar sein. Das Böse spielt sich hier aber besonders lächerlich auf und obwohl die Unterschiede untereinander schon stets groß genug sind (Schul-Cliquen, Arm und Reich, Hair Hopper und Beatnik, etc.), kann es trotzdem nur im Widerspruch des Gruppenzwangs aufgehen.

                                        Alles, was dazu nicht passt, kommt in die „Special Ed.“, aber da wird erst recht abgehottet, trotz ansteigender Gerüchteküche, die Haupttänzerin Tracy zum Argwohn der Neider sogar ins Positive umzusetzen im Stande ist. Am Ende zieht Persönlichkeit eben mehr, kommt mit Natürlichkeit sowie Güte voran und hat das Herz derartig am rechten Fleck, dass man als Zuschauer Lust kriegen wird, allgemein einfach netter zu werden. Waters' Ansatz zwingt einen durchweg nicht zu dieser Erkenntnis hin, dafür kommt auch seine Marke der Absurdität gewinnbringend zum Einsatz, wodurch die entrückte Welt mit Anlauf ins „Yeah, Yeah, Yeah“ der Publikumsgunst mündet. Dabei kommt der Ernst der Situation ganz von alleine im Gewissen an - etwas, das New-Line-Chef Robert Shaye mit dieser Produktion fördert, wie er es auch mit „Elm Street“ und Co. hielt: Der Schrecken im Menschen darf per Abstrahierung gefürchtet oder eben auch veralbert werden. Die Vorgänge haben durchaus ihre Gemeinsamkeiten; Hauptsache, es wird was verarbeitet, vielleicht ist man dann auch überzeugt, wenn es im drolligen Kanon heißt: „Let's Dance“.

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                                          (Gesichtet von 35mm inkl. O-Ton im Rahmen des „Bizarre Cinemas“ im Metropolis Kino Hamburg) - Tobe Hooper schaut in die Eingeweide des Prinzips vom Eskapismus im Horror, also wie bereitwillig sich Menschen dem Schrecken hingeben und umso furchtsamer entlassen werden, je bereiter sie ihn zu meistern glauben. Jene Furcht wird auf einen Jahrmarkt verlagert, der in seinen schmierigen Schaubuden voll entsprechender Belegschaft genug Vorzeichen zum Eintritt in die Hölle gibt, in seiner provinziellen Marktschreier-Qualität aber als harmloser Zeitvertreib, sprich reine Unterhaltung, angesehen wird. Seine Figuren - Animatronics in obskurer Aufmachung - altertümlich und grotesk in einer Mechanik des Ekels gefangen, laden bereits im Vorspann zum Schaudern ein. Kurz darauf hüllt sich das Intro kurzzeitig in ein Slasher-Gewand, das sich von Ikonen und Markenzeichen des Horrors umgeben sieht und mit Gummi-Messer in die Dusche steigt. Der kleine Bruder spielt das Abstechen mit der nackten Schwester - ein Bild verstörter Familiendynamik, die ebenso für eher gewöhnlich zwischen den Beteiligten gehandelt wird, in der Gesamtgestaltung Hoopers aber auch das Vorspiel zum weiteren Verlauf darstellt. Amy (Elizabeth Berridge), jene oben genannte Schwester, verbringt ihr Date mit Muskeltype Buzz (Cooper Huckabee) nämlich im titelgebenden „Funhouse“ und seinen umgebenden Attraktionen.

                                          Als Alternative wäre sogar ein Kinobesuch drin gewesen, womöglich so wie ihre Eltern auf dem Fernseher auch „Frankensteins Braut“ einnehmen. Ehe der Film weitere Monstren aus dem Fundus der Universal Studios „aufleben“ lässt, begegnen wir in langsamer, doch stets mit Unbehagen erfüllter Optik den grell flirrenden Lichtern in der Nacht, welche die Karusselle der Unterhaltung von sich geben sowie den Attraktionen und Personen des künstlichen Spektakels - Freakshows, Strips, dreckige Toiletten und keifernde Enthaltsamkeitsdamen inklusive. Man muss im Gegensatz zum „Blutgericht in Texas“ also nicht mehr tief in die Abgeschiedenheit schauen, um das dunkle Herz Amerikas aufzuspüren. Amys Bruder Joey erfährt das alleine schon am Wegesrand Richtung Karneval, schließlich will er sich ebenso ins reizvolle Unbekannte einsteigen. Der Wagemut fördert jedoch bei allen eine Herausforderung hervor, der weit mehr Terror innewohnt, als einem lieb ist - die mediale Begegnung mit den dunklen Seiten der Menschheit bleibt kein bloßes Zuschauen. Die Unbekümmertheit der mittelamerikanischen Jugend hat das Grauen unterschätzt und muss nun, eingeschlossen in den Innereien des Betriebs, durch die schweigsame Finsternis schleichen sowie im roten Licht voll entgeisterter Schreckensfratzen den Angriff fürchten. Das Monster hat dabei seine Karloff'sche Frankenstein-Plastikmaske abgerissen, somit die schlicht vom Menschen und dessen Hang zum Unmenschlichen erschaffene Mutation freigelegt. Aber natürlich auch nur, weil sich getraut wurde, dessen Geldeinnahmen zu entwenden.

                                          Jene abgründigen Geschäftsmänner, die man besser nicht betrügen sollte, nehmen dabei auch Hoopers zweites „Texas Chainsaw Massacre“ vorweg, wie auch dieser Film den Erstling in vielerlei Hinsicht zitiert. Das Selbstzitat findet sich aber stimmig ein in dieser Ausstellung von Gruselarchetypen binnen eines Räudenschuppens, der die Ausmaße menschlicher Furcht in seiner ganz eigenen Zwischenwelt fixiert. Gleichermaßen muss man dabei mit einem Erzähltempo Vorlieb nehmen, das im klassischen Sinne umherwandern lässt und in entscheidenden Momenten aus dem Unterholz zupackt, mit dem Apparat Urängste sowie Lebensgeister aufschrecken lässt und die Unschuld danach in kompletter Einsamkeit entlässt. Ganz gleich, wie entbehrlich dabei die einzelnen Charakterwerte überhaupt zur Zuschauerpartizipation beitragen und wie kurz gedacht das Drehbuch sein Potenzial teilweise ausspielt: Als Zuschauer denkt man sich so oder so recht gut in die Beklemmung hinein. Die Eltern können einen nicht hören, die Ventilatoren brummen die Außenwelt hinfort und im Labyrinth der Technik sind Protze und Grübchen verletzlicher denn je. Am Ende lacht das „Funhouse“ seine Besucher aus, sie haben auf jeden Fall was fürs Geld bekommen: Einen Schrecken fürs Leben. Oder eben auch eine unbarmherzige Schlussnote von Terror-Hooper, obwohl dieser sein Genre-Innengehäuse bezwingen ließ. Umso ironischer grüßen sodann die letzten Bilder des Abspanns, doch mal die Universal Studios besuchen zu kommen, wo sich die gleiche Monsterschaft nochmal versammelt.

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                                            In erster Linie ganz klar ein Film, der einfach dechiffrierbar ist, ein simplistisches Wertesystem aufbaut, in dem der Status Quo um Fantasie sowie Verständnis erweitert wird und dennoch so treffend nachwirkt, dass sich daran erneut beweisen lässt, wie enthemmend Musicals ankommen können. Dabei kann man anfangs noch durchaus skeptisch sein, wie rosig das England Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts umgesetzt wird und den Hang des Zuschauers zur Sympathie in die gut situierte Familie der Banks verortet. Vater George W. verdient sich die Stellung seinem Namen entsprechend im Finanzwesen, während seine Frau hauptsächlich im Einsatz für die Suffragetten die Fahne schwenkt. Letztgenannte stellt sodann den Aspekt des Films dar, über den man inzwischen am meisten grübeln kann, jedenfalls ist die Figur nur relativ funktionell anwesend und in ihrem mondänen sowie naiven Aufzug so oberflächlich um die Rechte der Frauen bemüht, dass es unter anderen Umständen als Satire gegen die oberen Zehntausend durchgehen könnte, im filmhistorischen Weltbild um 1964 aber genauso gut zu unterminieren wirkend droht, obgleich der Film sie nie der Lächerlichkeit preis gibt. Ein negatives Urteil wird dem Paar ohnehin nicht zuteil als Mitglieder einer Fortschrittsgesellschaft, so hypokritisch würde es im Hause Disney nun mal nicht zugehen.

                                            Was aber auf dem Prüfstand steht, ist das Verhältnis zu den eigenen Kindern, wie sie nämlich im Schatten der Karriere überhaupt aufwachsen könnten oder dadurch von ihren Eltern vernachlässigt werden. Erneut wird der Kelch der Schuld nicht entschieden an die Erziehungsberechtigten gereicht, solange sie fähige Individuen einstellen, die sie betreuen, aber eins macht der Film klar: Langfristig wird kein stimmiger Erfolg draus, insbesondere wenn nicht auf die Wünsche der Kinder geachtet wird, die sich stets dem durchaus strengen Gestus des Berufsstandes ausgesetzt sehen, den der Film wie eigentlich alles an sich in ein märchenhaftes Gewand steckt. Obwohl Herr Vater weiterhin der rationale Geschäftsmann bleiben will, lässt der Film also trotzdem das Märchen anhand von Mary Poppins in den Haushalt einfliegen. Mit vollem Selbstbewusstsein erfüllt sie das Ideal der Kleinen, gibt sich von außen hin zwar mit Regeln durchsetzendem Charakter, unterwandert diese Wirkung aber natürlich mit einem irren Zauber, der in seinen psychotronischen Effekten in etwa „Tanz der Teufel 2“ vorwegnimmt - nur eben in einer gewiss weit erhebenderen Funktion. Mit Partner Bert, der in glücklicher Bescheidenheit auf der Straße arbeitet, entzieht sich die Erziehung jedenfalls oftmals dem Alltag oder setzt ihn mit traditioneller Tricktechnik in einen Spaß um, der selbst in der post-modernen Betrachtung (also nach der Parodie durch „Die Simpsons“) noch aufrichtige Güte versprüht.

                                            Da geht es mit Gelächter an die Decke, selbst wenn Mary den Schein der Contenance darstellt und dennoch umso selbstverständlicher in die Vorgänge des Herumalberns mit einsteigt. In der Manipulation ihrer Außenwirkung schafft sie es auch, dem Vater Zustimmung und Lehrmaßnahmen zu suggerieren, die er eigentlich nur für seine Kinder angedacht hatte, in ihm aber gleichsam eine Wandlung anstecken, obgleich sein Enthusiasmus dafür etwas länger zum Ankommen braucht. Den Belangen seiner Kinder und dem Sinn einer Familie nachzukommen, ist kein Prozess, der von heute auf morgen gelingt, also passiert der Konflikt der Ideale, erst recht, sobald die Empathie zu den weniger bevorteilten Gesellschaftsschichten vom Film umarmt wird - die Frau mit den Tauben (im Licht atemberaubend verstrahlter Stilisierung) und die ausgefeilte „Step-in-Time“-Sequenz sind in der Hinsicht sehr bezeichnend ausgestellt. Für George ist das alles zuviel - er kriegt die Kelle des Lebens, der jene Mitmenschen öfters begegnet sind, jedoch auch zu spüren, sobald das Establishment seines Berufsstandes ihn als Individuum und seine Leistungen vergisst, weil er sich offenbar einen Fehler zu viel geleistet hat.

                                            George geht jedoch nicht bitter ein, sondern findet die Kraft im enthemmenden Ansatz, den Mary Poppins kraft ihres Amtes in den Haushalt gepflanzt hat. Das lässt sich in psychischer Hinsicht sicherlich als Verharmlosung deklarieren, als Gefühl der Katharsis schlägt der Film damit jedoch wie eine Bombe ein und ist in seiner Überzeichnung mit musikalischen Charakter ohnehin darauf ausgelegt, dass er eine Veräußerlichung des Optimismus auf die Breite der Leinwand als sentimentales (inszenatorisch ohnehin von starker Farb-, Licht-, Kamera- und Schnittdramaturgie gezeichnetes) Technicolor-Spektakel anpasst. Und siehe da, Mary Poppins braucht sich somit als stellvertretendes Ventil des Positiven nicht persönlich verabschieden, da die Familie zueinander sowie jeder zu sich gefunden hat und einander achtet. Erziehung wie Film haben dabei stets immer irgendwo Vorbildcharakter und das kann in manchen Fällen mehr oder weniger inklusive Zeigefinger vonstatten gehen. In diesem Fall jedoch machen die Finger mit einem Schnips alles möglich.

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                                              Ich erlebe zurzeit recht häufig eine Formel in Sachen Film, die mich ohne Weiteres ködern kann. Die sieht meinen Recherchen nach wie folgt aus: 1) Suburbanes Gehäuse inklusive spießiger Nachbarschaft; 2) Mindestens ein Hund; 3) High-School-Kids mit vorlauter Fresse; 4) Produktionsjahre zwischen 1980 und 1999 für reichlich stilistischen Zeitgeist und eine ganze Menge an irrem Jugendslang, dem man offenbar ausschließlich in deutschen Synchronfassungen begegnet ist; 5) Der Horror kehrt allmählich in die Idylle ein. Mit diesen Faustregeln sind gewiss reichlich Genrebeispiele der Ära ausgestattet und meistens auch von Erfolg gekrönt. Tibor Takács ist vielleicht kein Joe Dante, wenn man seinen Beitrag „Gate - Die Unterirdischen“ zu Rate zieht, doch das Märchen voller kleiner bis größerer Monster kommt alles andere als uneffektiv beim Zuschauer an, nicht nur aufgrund zahlloser (und ehrlich gesagt auch ein Stück weit zeitloser) Special-FX. Takács' Fokus auf letztere Schauwerte offenbart durchaus seinen eher schlichteren Ansporn in der Inszenierung, doch in ihm lässt sich stets ein Freund der Phantastik finden. In erster Linie berichtet er nämlich aus der Sicht des jungen Glens (Stephen Dorff), der in seiner Aura des behüteten Familienhauses zu Beginn schon von schlimmen Alpträumen - ein Höllenschlund im Baumhaus und spurlos verschwundene Eltern - heimgesucht wird.

                                              Dass ein gerade mal zwölfjähriger Junge aus der Mittelschicht solche irrationalen Ängste visualisiert, ist natürlich gar nicht mal so weit hergeholt. Finsternis und Verlorenheit lernt man schon früh genug kennen, wenn man zum Beispiel seine Mutter im Supermarkt aus den Augen verliert. Alles auch eine Frage der Größe oder eben des Mangels daran, anhand dessen selbst das Eigenheim erdrückende Leere und besonders finstere Ecken erzeugen kann. Jeder dürfte in der Hinsicht aus Erfahrung sprechen können - allen voran Drehbuchautor Michael Nankin, der hier spezifische Kindheitserinnerungen verarbeitet und somit auch nicht nur die unbequeme Unkenntnis vor unbekanntem Bösen ballt, sondern auch voller Unbekümmertheit Glens Freundschaft mit Nachbarskind und Heavy-Metal-Nerd Terry (Louis Tripp) sowie die Geschwisterkabbelei mit seiner kessen Schwester Alexandra (Christa Denton) aufzeichnet. Zusammen unternimmt man so manch herzliche Alltags-Trivialitäten, ob nun Modellraketen gezündet werden sollen oder Insekten im Glasbehälter eingefangen werden. Die kleinen Kumpels übernachten ohnehin im Kinderzimmer, doch von den Eltern gibt es zudem noch Hausarrest und Al's (Alexandras Spitzname) Freunde sind erst recht gemein und doof. Wie sagt es Glen doch so schön: „Verkauf doch deine Fresse an den Zirkus!“.

                                              Die Fantasie geht jedoch mit unseren Kids durch, sobald ein ominöses Loch im Garten für einige irre Ereignisse verantwortlich scheint und sich infolgedessen so ziemlich alles bewahrheitet, was in derartigen Provinzen immer für düstere Legenden erzählt werden. Der Grund dafür ist nicht unbedingt ein konservatives Kalkül im Film, schließlich lässt sich hier nicht mal mehr den Eltern vertrauen, die ebenso plötzlich mit finsteren Stimmen sprechen. Viel mehr zeigt sich daran hinsichtlich der Entstehungszeit - erst recht in der „jetzt wirklich“ satanischen Rockmusik Terrys -, wie das suburbane Korsett und damit auch die Reaganomics selbst in der Erziehung verstärkt „Verteufelung“ einbläuten (man denke an D.A.R.E. und Nancy R.'s Kreuzzug gegen Twisted Sister), so dass Glen eben nur immens empfindlich sein kann gegenüber dem behaupteten Horror des „Außerhalbs“, bis es ihm dann geradezu surreal aus dem Untergrund heraus in die Hacken beißt oder sich sogar klassisch unter dem Bett versteckt. Gleichsam aber findet der Film seine größte Stärke darin, den Belangen des Individuums mit Aufrichtigkeit zu begegnen und mit Glen da mitzufühlen, wo es ein Kind im Heranwachsen eben am Schwierigsten trifft, also wenn es sein näheres Umfeld, seine Freunde und seine Familie zu verlieren glaubt - und dazu zählt natürlich auch der Hund.

                                              Selbst in einigen Party-Teens aus Al's Freundeskreis kommt jenes Verständnis an, wenn davon die Rede ist, dass sich die dunklen Kräfte im Leben nicht immer erklären lassen, Glen also nicht alleine damit ist. Die urige Gruselshow im Verlauf der Handlung ist jedenfalls auch eine gemeinsame Herausforderung in kindlicher Logik; ein Schrecken jenseits der Nacht, der mit der Bewältigung der (Verlust-)Angst einhergeht, dabei aber nicht bloß mit Konservativismus und dem bewährten Mittel der Bibel geschlagen werden kann, als mit der adoleszenten Unschuld. Letzteres muss aber nicht heißen, dass sich Takács schlicht in kindgerechter Atmosphäre aufhält, im Gegenteil: Bei den psychotronischen Lovecraft-Pendants, die sich hier in universeller Heimeligkeit entfalten, hätte sich jeder einst in die Büx geschissen. In seiner grundlegenden Bodenständigkeit bleibt der Film aber auch durchweg leicht genug, um den Spaß am ausgelebten Aberglauben und Vorstadtbubi-Rabaukertum zu feiern sowie umso überraschter an der Wahrhaftigkeit im emotionalen Bündnis teilhaben zu können.

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                                                [...] Schließlich sind die Außerirdischen im Anmarsch und mächtig böse drauf – die Inszenierung in Bild und Ton gibt gerne Nachhilfe, diese Deutung mit drögem Ernst festzustellen und lässt den Invasoren eine ebenso raffinierte Betitelung zukommen: die Anderen. [...] Die Konklusion des Ganzen arbeitet sich sodann an Stichpunkten ab, denen man in typischer Blockbustermanier stets begegnet, doch hier noch eine Spur lustloser wirken. Dass das Pathos nicht nachwirkt, liegt an der eingangs erwähnten Rationalisierung der erzählerischen Routine, die eine Begegnung mit den Figuren nur an der Oberfläche ermöglicht. Zeitgleich zeigt sich daran das Unvermögen, Charaktere mithilfe visueller Mittel oder pointierter Sequenzen zu etablieren beziehungsweise nachhaltig zu verinnerlichen. Stattdessen regiert inszenatorische Fließbandarbeit nach Vorschrift. [...]

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                                                  Ein bisschen wie bei Charles Dickens kommt man sich vor, wenn Ingmar Bergman sein Figurenkonstrukt um Dr. Isak Borg (Victor Sjöström) aufbaut und folgerichtig die familiären Verhältnisse der Gegenwart und Vergangenheit dabei aufbereitet, denen Isak gleichermaßen beiwohnt. In letzterer Instanz durchwandert er seine Erinnerungen durchaus wie ein nostalgischer Scrooge, dem sich die Erfahrungen von Liebe, Enttäuschung und Benehmen eingebrannt haben, nun Jahrzehnte später einen gebildeten Gesellschaftsmann formen, der an der Kälte erzogen wurde. Von außen hin sieht man die Weisheit, das Bescheidene und den Respekt - die Jugend, der er im Verlauf begegnet und die sich in ihrem globalen Bewusstsein bewusst aus Schweden verabschieden will, ist da besonders anfällig für. Allerdings auch anhand der Perspektive von Schwiegertochter Marianne (Ingrid Thulin) steigt Bergmann in die unangenehme Psychologie jenes Mannes ein, der im Privaten selbstgefällig altertümlichen Weltbildern folgt und mehr am Ego als am Sozialen arbeitet; so taktvoll Taktlosigkeit beweist, dass er sich um die Präsenz seiner eigenen Dämonen im Alptraum sogar noch wundern muss, obgleich er sie seit jeher kennt.

                                                  Bergmann kommt aber auch (schlicht aus eigener Erfahrung) nicht umhin, das gesamte Gesellschaftsbild Schwedens voller konservativer Familienbilder und unglücklicher Beziehungen in geballten Pointen und einer Eskalation an Quasi-Situationskomik mit einzuarbeiten, begegnen sie sich alle doch mit einer Schlichtheit, die sich ohnehin blendend mit dem Kurzweil der Inszenierung, dem einvernehmenden Zug der Ein-Tag-im-Leben-Dramaturgie und einem atmosphärischen Gespür für den Raum der Kamera verknüpft. Es offenbart sich somit ganz natürlich und ohne falschen Affekt, wie viel Hässlichkeit, Einsamkeit und Unvereinbarkeit in eigentlich beschaulicher Natur wirkt, wenn sich darin mit Überlegenheit gebrüstet und ein Edelmut fingiert wird, der in steifen Zeremonien jedes Leben der Contenance wegen vermissen lässt (bezeichnet dafür sei Isaks Promotionsjubiläum genannt). Insbesondere Männlichkeitsideale transportieren sich durch die Zeiten, stellen sturköpfig ihre Überzeugung zum Nachmessen aus und kommen im Konflikt oder im Zynismus an, gefördert von einem Urquell grausamer Zeitgeschichte, anhand dessen die Werte der Familie in ihrer Strenge jedes Individuum zum Teufel schickten.

                                                  Dies repräsentiert der Film durchaus anhand von Individuen, doch Figuren wie Isaks Mutter sind keine dramaturgisch fixierten Antagonisten, sondern Ergebnisse ihrer jeweiligen Ära, die in Bergmanns ohnehin starker Lichtdramaturgie ihre schweren Schatten werfen. Dass er diese Konstellation nicht für eine Allgemeinhaltung des Leidens ausleuchtet, ist sodann aber der aufrichtige Kontrast, mit dem der Regisseur durchweg von natürlicher Beobachtung profitiert. Werte wie Optimismus, Bildung, Sinnlichkeit und Liebe sind in jener Reise durch die Zeit kein Unding und selbst wenn Isak das meiste davon aus seiner Nostalgie schöpft, ist Bergmann auch nicht darum verlegen, Dankbarkeit zu zeigen, sei es auch hauptsächlich an jener gegenüber dem Doktor, der stellvertretend für die Gesamtheit der Bildung zur Moderne beigetragen hat. An „Wilde Erdbeeren“ lässt sich eben nicht nur die leichtfüßig und kompakt vermittelte Geschichte einer gesamten Großfamilie und deren Charakteristika nachvollziehen (was schon hinsichtlich der 87 Minuten Laufzeit eine beachtliche Leistung ist), sondern auch eine Konfrontation mit den Haltungen der Generationen, aus denen ein Wandel zu entspringen beginnt - ob nun in den Geschlechterrollen oder in der Offenheit gegenüber Welt und Wahrheit (man bedenke dabei das Entstehungsjahr 1957).

                                                  Einen Pathos muss Bergman dafür nicht gebrauchen, wie er überhaupt auch keine erklärte Einsicht von Isak oder eine Sympathie/Bewunderung zu diesem vonseiten des Publikums verlangt, wie es ein Dickens oder jüngst Paolo Sorrentino in „Ewige Jugend“ gehalten hätte. Untereinander werden eben die Verhältnisse klar, Isaks beinahe ebenso „erkälteter“ Sohn Evald (Gunnar Björnstrand) kann bezeichnenderweise nicht ohne Marianne leben, wenn er ansonsten keinen Sinn darin sieht, diese Welt noch mit weiterem Leben zu unterfüttern. Ein Strang von Hoffnung lebt in jener Erklärung, doch ist er auch fast einzigartig in den Fasern eines potenziell schnell aufreißenden Pessimismus. Zeiten ändern sich zwar, aber nicht von heute auf morgen. Von daher ist Bergmans messerscharfe und doch irgendwo schwerelose Perspektive jener erfassten Balance und Charakterstärke bis heute immens lebhaft zu beobachten.

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                                                    Neues Jahr, neues Konzept: Bei "Der Witte on-screen" werde ich versuchen, zu ausgewählten Filmen so kurzweilig und informativ vor der Videolinse zu labern, wie es normalerweise sonst in Textform vonstatten geht. Der erste Streifen für diese Prozedur (und was für einer!) ist zufällig dieses Werk hier von unserem liebsten Wes (R.I.P.). Einen freundlichen Videogruß wünsche ich hiermit meinen werten Mitmenschen anhand des folgenden Links:

                                                    https://www.youtube.com/watch?v=L6hhxZoqp0w

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