NewSTARs - Kommentare

Alle Kommentare von NewSTARs

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    31 Days of Fright – Tag 11: "Die neun Pforten"

    Über 30 Jahre nach seinem fieberhaftem Meilenstein Rosemary‘s Baby nähert sich Regisseur Roman Polanski wieder dem Thema Okkultismus. Für seine Literaturverfilmung Die neun Pforten konnte er Johnny Depp für die Hauptrolle bekommen, der in seinem einst rationalem Leben dem Übernatürlichem ungewollt nahe kommt.

    Depp spielt einen langfingrigen Bücheraristokrat, der die Echtheit dreier Bücher prüfen soll. Bei diesen soll es sich um Beschwörungsbücher des Teufels handeln – doch kann nur eins von ihnen das Original sein. Im Laufe seiner globalen Entwicklung merkt er schnell, dass hinter dem Buch noch andere her sind und dieses um jeden Preis der Welt kriegen wollen.

    Roman Polanski bleibt ein eigenwilliger Geschichtenerzähler, der es trotz scheinbarer Nüchternheit schafft eine sofortige Sogwirkung zu erzeugen. Sobald sich der Plot nach 20 Minuten zusammengesetzt hat, erhält der Film eine Art Suchtgefühl wie bei einem spannenden Roman. Interessanterweise schaut sich Polanskis Mystery-Thriller ebenso, wie sich ein Buch liest. Die klaren, ineinander übergehenden Kapitel erwecken das nötige Interesse, um nicht ein Mal pausieren zu wollen. Doch vergisst er ebenso nie das Alleinstellungsmerkmal jeder Szene zu kennzeichnen, was den Film letztlich mit einem hohen Unterhaltungsniveau auszeichnet.

    Schwierigkeiten bereitet sich Die neun Pforten selbst, wenn er versucht sich im letzten Drittel schrittweise aufzulösen. Dort behält er seine mystische Erzählweise weiterhin, was die Begeisterung für das Gesamtbild trotzdem etwas hemmt. Wohlmöglich liegt es ebenso an dem Drehbuch, welches sich den Sprung zum Finale etwas zu sperrig gestaltet. Nichtsdestotrotz schafft es jene Sogkraft doch nochmal aufzublitzen und rettet den Film vor einem Gefühl der Enttäuschung.

    Wer den Erzählstil von Polanski mag, wird mit Die neun Pforten ein schwer vergessliches Filmerlebnis haben. Auch wenn es durchaus bessere Schlussstriche geben könnte, bietet der Großteil des Filmes ein unschlagbares Mysterium, das süchtig macht.

    Empfehlenswert für Halloween, weil der schleichende Schauer für jene ruhigen Zuschauer den nötigen, subtilen Thrill bietet. [Robin Längert]

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    • 8

      31 Days of Fright – Tag 9: "Der Exorzist"

      William Friedkin inszenierte nach seinem Oscar-überhäuftem Cop-Thriller French Connection alias Brennpunkt Brooklyn den skandalösen Roman Der Exorzist von William Peter Blatty. Dieser schrieb auch das Drehbuch für die Verfilmung, welche im Jahre 1973 weitaus größere Diskussionen auslöste als das Buch selbst; Neben dem höchstem Einspielergebnis des damaligen Kinojahres erreichte das Horrordrama auch den Status des Skanalfilms. Grund genug, um endlich ein Teil unserer Frights zu sein.

      Friedkin schien wohl die atmosphärische Kälte seines Vorgängerprojektes zu gefallen, um die im Herbst angesiedelte Literaturverfilmung mit einer solchen Hingabe zu inszenieren. Seine ruhige Handschrift ist der Schlüssel für jenen hochqualitativen Regiestil. Der Horror kommt dabei schleichend in das harmonische Familienleben der Familie MacNeil. Doch wie in so vielen Horrorfilmen handelt es sich um brodelnde, unter Verschluss haltende Prozesse, die ihren langsamen Weg ans Licht suchen. Im Falle der zwölfjährigen Regan ist das diabolische Szenario auch als eine schwere Verarbeitung der Trennung ihrer Eltern zu verstehen – vielleicht sogar beruhend auf ehemalige, häusliche Gewalt.

      Der entscheidende Schritt von Der Exorzist ist es, die Gräueltaten erstmals auszusprechen. Dabei nimmt Friedkin keinerlei Rücksicht auf bekannte Gewohnheiten des Horrorgenres und lässt jeden Grusel in explizite Gewalt- oder Ekelakte zuspitzen. Das mag damals ein Schock gewesen sein, doch hat es heutzutage einen erheblichen Eindruck seiner Wirkung verloren. Nichtsdestotrotz mag der Film aufgrund seiner keinerlei zarten Bilder in gewisser Weise zu beeindrucken, ganz besonders wegen des schaurigen Make-Ups. Sein weiterhin faszinierendes Filmerlebnis basiert jedoch am ehesten auf die Balance zwischen intensiver Bildästhetik und dem ausgewogenem Erzählstil, welcher großes Interesse an Geschichte und Charaktere aufweist. Dies mag gegenüber den Event-geilen Schockmomenten am meisten überraschen.

      William Friedkins Der Exorzist polarisiert heute noch. Zwischen Mitverursacher für die Verrohung der Sehgewohnheiten von Gewalt und Mitbegründer revolutionärer Erzähltechniken gehört lediglich die hochwertige Bildkomposition zum einstimmigen Kanon. Dass es zudem ein einfühlsames Familiendrama ist, sollte keineswegs vergessen werden – von der Stärke des Casts mal ganz zu schweigen.

      Empfehlenswert für Halloween, weil dieser herbstliche Horrorklassiker in keine Jahreszeit besser passt. Noch dazu hat atmosphärisches Kulturgut noch nie geschadet, auch wenn es für manch einen etwas zu entschleunigt sein mag. [Robin Längert]

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      • 5 .5

        31 Days of Frights – Tag 7: "Halloween (2018)"

        Der mittlerweile fünfte Neuversuch und elfte Spielfilm der Halloween-Reihe führt zum Beginn des Franchises; nach Haddonfield. Jamie Lee Curtis alias Laurie Strode, sowie der originale Myers-Darsteller Nick Castle sind ebenfalls mit von der Partie. Darüberhinaus beteiligte sich der Halloween-Godfather persönlich, John Carpenter, an dem von Blumhouse produzierten Horrorfilm – als ausführender Produzent, sowie als Komponist. Wird dies also endlich wieder ein gelungenes Halloweenfest mit Myers?

        Drehbuchautor Danny McBride, hauptsächlich als Darsteller aus Komödien bekannt, entschied sich dafür, alle gedrehten Fortsetzungen, einschließlich des Teils von 1981, komplett zu ignorieren und ein direktes Sequel des Originals zu machen. „Direkt“ bedeutet in diesem Falle trotzdem 40 Jahre nach den Ereignissen aus Teil 1. Damit schaffen sich die Macher nicht nur Platz für Neuinterpretationen, sondern können auch unabhängiger ihre eigene Geschichte erzählen. An diesem Punkt könnten einige Zuschauer auf Enttäuschungen treffen, denn allzu weit ist das Plot-Korsett nicht. Schließlich ist es wieder Halloween in Haddonfield, Laurie kämpft wieder ums Überleben und Myers Psychiater ist wieder mit auf der Jagd nach ihm mitsamt eines Polizisten.

        Der Schein trügt jedoch, denn Regisseur David Gordon Green dreht in den letzten Momenten oft den Spieß ein kleines bisschen um. Das macht er mit viel Feingefühl ohne erzwungenen 180 Grad-Drehungen. Dadurch kommt es ebenfalls zu zahlreichen Zitaten des Originals, die glücklicherweise nicht allzu sklavisch wirken.

        Green erzeugt in Haddonfield eine Atmosphäre, als wäre die Zeit stehen geblieben. Diese allein macht einen großartigen Part der Wirkung von Halloween aus. Diese wird besonders durch viel Ruhe und einer ausführlichen Exposition kreiert, wie sie heutzutage in kaum einem modernen Blockbuster zu finden ist. Dabei vergisst er nie den Zuschauer an kommende Grausamkeiten in Form von innovativen Details zu erinnern, um den düsteren Ton inmitten des kleinen Familiendramas nicht zu vergessen. Das alles schafft in seiner zweiten Hälfte mitsamt des brandneuen Scores von Carpenter seine finale Zündung, die tatsächlich enormen Spaß macht.

        Lediglich anzukreiden sind ein paar lächerliche Situationen, die voller Naivität sind. Vielleicht soll es jene Naivität sein, wie sie in 40 Jahre alten Horrorfilmen zu finden ist. Durchaus passend ist dieser retrospektive Stil jedoch nicht. Das ist trotz alledem vollkommen zu verkraften, denn Greens Liebe zur Realisierung dieses Projektes ist in jeder Szene spürbar – sei es bei der Beleuchtung, den Suspense-haltigen Perspektven oder dem schaurig-schönen Sounddesign. Darüber hinaus wartet ein hochspannender Showdown auf, der den elften Teil des Franchises mit Würde abschließt.

        Man kann überrascht von Greens Halloween sein, dessen Potenzial zum Scheitern viel zu groß war. Fans können jedoch getrost aufatmen, denn das Endprodukt bietet einen rundum zufriedenstellenden Kinobesuch, welchen man definitiv mit einem befriedigtem Lächeln verlässt.

        Empfehlenswert für Halloween, weil Halloween. [Robin Längert]

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        • 9
          über Psycho

          31 Days of Fright – Tag 5: "Psycho"

          Alfred Hitchcocks Psycho gehört zweifelsohne zu den einflussreichsten Thrillern aller Zeiten. Dafür gibt es viele Gründe. Ist es überflüssig darüber zu schreiben? Keinesfalls.

          Die Vita von dem größenwahnsinnigen Briten sollte für jeden Filmemacher eine Inspiration sein – nicht zuletzt darum, da sein Lauf an Kinofilmen, die heute allesamt zum Kanon der größten Klassiker gehören, mit kaum einer anderen Laufbahn vergleichbar ist. Somit erschien Psycho unmittelbar nach Vertigo – Aus dem Reich der Toten und Der unsichtbare Dritte. Zugegeben, Vertigo wurde zu seiner Zeit eher mittelmäßig aufgenommen, doch ist die bunte Dichte an Qualität mehr als beachtlich.

          Mit Psycho bricht Hitchcock eine große, ungeschriebene Filmregel und opfert seine Protagonistin in der ersten Hälfte des Filmes. Dieser Schritt ist in seiner hemmungslosen Konsequenz nicht nur filmisch meistzitiert aufgrund der hohen Schnittgeschwindigkeit, die die wahre Gewalt ausübt, sondern ist ebenso der nötige Stoß zur mysteriösen Desorientierung, die die Atmosphäre des Filmes beispiellos macht.

          Die gesamte Laufzeit über lässt sich Psycho nicht in die Karten schauen. Das betrifft, neben dem Verlauf der Handlung, besonders das Mysterium um Norman Bates Mutter. Wir hören sie, wie sehen sie, doch ins vollkommene Licht tritt sie nicht. Hier treibt Hitchcock seine stilistische Suspense in die Höhe. Analog übt er diese im üblichen Maße innerhalb einzelner Szenen aus, am liebsten jedoch als Ankündigung für das Auftreten der Mutter. Dass jene Vorahnung bei wiederholter Sichtung spannungssteigender sein kann, ist wohlmöglich der entscheidende Grund für die Unsterblichkeit des Filmes.

          Dass der Thriller, welcher damals noch durchaus als Horrorfilm durchgehen konnte, inhaltlich nicht ganz auf der Höhe wie von Vertigo ist, sei verziehen. Dafür besitzt Psycho die vielleicht beachtlichste Deatilverliebtheit des Master of Suspense. Sein Status als Klassiker ist damit unbestreitbar.

          Empfehlenswert für Halloween, weil der alles verschlingende Score von Bernard Hermann, sowie der hohe Mysteryfaktor im Verlauf des Filmes zweifellos für feinste Atmosphäre sorgen werden, wie sie sich erst in der Nacht des Schreckens vollends entfalten kann. [Robin Längert]

          • 7 .5

            31 Days of Fright – Tag 3: "Tanz der Teufel II – Jetzt wird noch mehr getanzt"

            Sechs Jahre nach dem ersten, blutüberströmten Evil Dead kam Tanz der Teufel II – Jetzt wird noch mehr getanzt ins Kino. Hier spielt jedoch ganz eindeutig der Ton die Musik, denn stockernsten Slasher sucht man hier vergebens.

            Vorab: Aufgrund der fehlenden Rechte für das Bildmaterial aus dem ersten Teil war Regisseur Sam Raimi dazu gezwungen, die Geschehnisse für das Intro kurz und leicht abgewandelt nachzufilmen. Darum handelt es sich bei Tanz der Teufel II nicht um ein Quasi-Remake, was man dadurch vermuten könnte.

            Während sich der erste Teil durchweg ernst nimmt und noch versuchte waschechten Terror durch Gewaltorgien zu projizieren, distanziert sich Teil 2 von jener Machart komplett. Stattdessen persifliert Raimi seinen eigenen Film und entstellt jede einst noch ernst-genommene Situation des Vorgängers. Dafür sollte man belastbare Nerven mitbringen, denn hier möchte alles übertrumpft werden, was vorher bereits expliziert konsumierbar war: Abgetrennte Körperteile, grelles Schreien und tonnenweise Blut.

            Risikoreich ist der Versuch allemal, denn das Endprodukt steht und fällt mit der abstrusen Situationskomik, welche sich oft mit grotesken Gewaltdarstellungen präsentiert. Doch auch wenn der Humor keinerlei Anspruch anstrebt und durchweg albern bleibt, verfehlt er nie sein Timing, wie auch sein Feingewühl. Hier darf nicht nur ab und zu geschmunzelt, sondern sogar lauthals gelacht werden. Damit sieht er im Gegensatz zum Vorgänger auch noch heute besser aus, da der Humor, im Vergleich zum ernsten Horror des ersten Teils, weitaus besser gealtert ist.

            Tanz der Teufel II ist zweifellos eine große Überraschung nach den finsteren Slasher-Tönen von Tanz der Teufel. Raimi vollendet hier wiedermal eine komplett eigenwillige Vision und landet mit ihr einen Punkttreffer zwischen all den Horrorkomödien. Wär darüber lachen kann, wird auf seine ganzen Kosten kommen.

            Empfehlenswert für Halloween, weil die drastische Gewalt, gemixt mit pechschwarzem Humor und extrem alberner Situationskomik einen enormen Spaß machen – alleine, sowie in einer Runde mit seinen Freunden. [Robin Längert]

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            • 5

              Der Fall um die Eiskunstläuferin Tonya Harding ging um die Welt. Nun macht sich Hollywood Gebrauch von dem Stoff und verfilmt das wahnsinnige Unterfangen mit Margot Robbie in der Hauptrolle. Hält I, Tonya das, was Trailer und Auszeichnungen (Oscar in der Kategorie Beste Nebendarstellerin) versprechen?

              Während in vielen Biopics die dokumentarische Ruhe dominiert, ist es in I, Tonya der scrosese‘sche Pop-Einfluss mit reizüberflutenden Schnitten, knallbunten Bildern, Songs aus dem Mainstream und einer großen Prise schwarzem Humor. Alles in allem zielt der australische Indie-Regisseur, Craig Gillespie (Lars und die Frauen), auf ein modernes Erzählgewand. Der Unterhaltung schadet dies auf keinen Fall, schließlich vergehen die zwei Stunden Laufzeit wie im Flug. Jenseits der Oberfläche befinden sich dennoch heimtückische Schwächen.

              Gillespie bezieht sich mit seinem Film stark auf die Interviews der Betroffenen, deren Gesamtbild sich wiederholend als widersprüchlich herausstellt. Das mag ein interessanter Erzählkliff sein, gerade da sich hier, anders als bei Scorseses Biopics, auf verschieden Ansichten explizit gestützt wird. Sonderlich innovativ oder erfrischend wirkt das Ganze jedoch nicht. Stattdessen müssen die Figuren dem Zuschauer auf die vielen widersprüchlichen oder scheinbar überspitzten Szenarien wiederholend hinweisen. Plakativ wird daran erinnert, dass es tatsächlich wahre Begebenheiten sind. Sonderlich witzig ist das nicht – nur peinlich. Schließlich zeigt es nicht von Raffinesse andauernd auf die Waghalsigkeit der Protagonisten hinzuweisen, wenn man es als Zuschauer selbst sieht. Doch Gillespie möchte nicht missverstanden werden und besteht auf jede Realiätserinnerung.

              Lediglich ausgleichen kann dieses Unterfangen nur der grandiose Cast, der bis auf die letzte Rolle ausgezeichnet besetzt ist. Da gebe es neben Sebastian Stan als cholerischen Ehemann und Paul Walter Hauser als miserablen Kleinganoven die bestialische Mutter von Tonya, gespielt von Allison Janney. Sie gibt ihrer Figur nicht nur den nötigen Ekel, sondern auch zugleich eine höchstinteressante Tiefe, wie sie das Drehbuch nur teils erreicht hätte. Das verdient zweifelsohne den Oscar als Beste Nebendarstellerin. Zu guter Letzt wäre da natürlich noch Margot Robbie, die zwar eher durch ihre Physis beeindruckt als durch die charakterliche Tiefe, jedoch ganz klar auch einige Szenen für sich gewinnen kann.

              I, Tonya ist kein Highlight unter den Biopics. Dafür ist seine Erzählung teils zu imitiert von Scorsese und an anderen Stellen lediglich nervendes Selbstloben. Wer jedoch nur auf kurzweilige Unterhaltung und gutes Schauspiel setzen möchte, wird hier mit diesen Ansprüchen durchaus befriedigt. [Robin Längert]

              • 5

                Nach einer Reihe belangloser Direct-to-DVD-, Low Budget und Trash-Produktionen schließt sich der einst große Action-Star Bruce Willis für den Rachefilm Death Wish dem Regisseur Eli Roth an und ersetzt Charles Bronson in dem Remake zu Ein Mann sieht rot.

                Der Chirurg Dr. Paul Kersey (Bruce Willis) hatte ein erfülltes Leben mit seiner Frau Lucy (Elisabeth Shue) und seiner Tochter Jordan (Camila Morrone) – bis es ihm von drei Einbrechern entnommen wurde. Verzweifelt sucht Paul den Weg zurück ins Leben, bis es schließlich nur noch eine Möglichkeit für seinen Seelenfrieden gibt: Rache.

                Ja, es ist ein Plot, der viel Kreativität bei der Umsetzung verlangt, um nicht nur ein bloßer Teil einer Masse zu sein. Zum Glück aber sitzt kein Geringerer als der Torture-Porn-Master des Mainstreams höchstpersönlich auf dem Regiestuhl. Und tatsächlich: Kommt der Film erstmal zur Sache, gibt es einige explizite, wenn auch dezente Splattereinlagen zu Gesicht, die sich aufgrund ihren physischen Umsetzung durchaus sehen lassen können. Allgemein ist Roths Liebe zum alten Handwerk bemerkbar, was durchaus seine Kehrseite haben kann.

                Während der Cast einen durchaus gelungen Eindruck hinterlässt, zu dem Vincent D’Onofrio als Pauls Bruder oder Dean Norris als ermittelnder Cop gehören, lässt der narrative Gesamteindruck zu wünschen übrig. Der geradlinige Erzählstil verweigert sich modernen Schnellschnitten und synthetischen Soundeinlagen. Das tut dem gegenwärtigen Actionkino sicherlich gut, doch bietet sich der rohe Plot dafür nicht an. Zum Glück wurde aber auf einen zeitgemäßen Content geachtet, bei dem die Reflexion der Medien den Schwerpunkt bildet. Neu ist das keineswegs. Trotz alledem ist die Thematisierung in einem gewaltverherrlichenden Film wie Death Wish nicht verkehrt.

                Eli Roths Rachefilm ist definitiv kein Glanzstück in seiner Filmografie. Unterschätzen sollte man ihn dennoch nicht, da er sich in vollem Maße der alten Schule widmet. Dass er dies jedoch bei einem Plot macht, der bereits zu oft kopiert wurde, ist leider etwas taktlos. Wer sich jedoch mit der genugtuenden Unterhaltungen und den sehenswerten Splatter-Akzenten zufrieden gibt, kann mit Death Wish seinen ersehnten Spaß haben. [Robin Längert]

                • 6

                  Black Friday #3: "Der falsche Mann"

                  Das klassische Gerüst des Film noir umfasst ein düsteres Weltbild, das von einer verschleierten, wendungsreichen Erzählung umworben wird. Üblich sind dafür Kriminalgeschichten, oft aus der Sicht des Detektives, eher seltener aus der Sicht des Täters. In Der falsche Mann von Alfred Hitchcock geht es um keine der beiden Personen – und doch könnte er Teil jener Rubrik sein. Ein kleiner Spezialtext zur Frage, wann ein Film zum Kanon des Film noir gehört.

                  Der Familienvater Manny Balestrero (Henry Fonda) wird angeklagt, eine Versicherungsgesellschaft zweimal überfallen zu haben. Während es Manny und sein Umfeld bezweifeln, sind sich die Opfer und Angestellten der Gesellschaft ihrer Anschuldigung sicher. Daran scheint nicht nur der Angeklagte zu verzweifeln, sondern viel mehr Mannys Ehefrau Rose (Vera Miles).

                  Hitchcock entzieht sich großräumigen Stilmitteln und erzählt die wahre Geschichte um Manny Balestrero so nüchtern und dokumentarisch wie möglich. Sein konsequenter Realismus erzielt in der ersten Hälfte die volle Wirkung, während er zum Ende hin deutlich nachlässt. Grund dafür ist der überraschend neue Erzählweg, der in seiner Gesamtheit zu viel Platz im Film einnimmt. Hitchcock ist eben kein Meister der subtilen Narration, doch ein belegbarer Schauspielmentor – denn das Zusammenspiel von Fonda und Miles ist heute noch überragend.

                  Abseits der bis heute polarisierenden Wirkung von Der falsche Mann stellt sich die Frage, ob der Thriller zum Kanon des Film noir zählt. Dafür sollte erst geklärt werden, was der Film noir eigentlich ist. Schließlich ist er nach wie vor ein überaus dehnbarer Begriff, welcher sich stets einer Definition verweigert (was ironischerweise übereinstimmend mit Noir-Geschichten selbst ist). Den Grundstein bildet im Üblichen ein verwickelter Kriminalfall, bei dessen düsterer Erzählung der Weg zur Lösung mehr Interesse wecken soll als die Lösung selbst. Visuell wird gerne auf mittelmäßge Grautöne verzichtet. Stattdessen sollen starke Lichtkontraste entstehen, die ebenso als Irritierung dienen können.

                  Hitchocks Thriller besitzt zwar jene Stilistik, doch findet sein Labyrinth-Konstrukt nicht auf narrativer Ebene statt. Wider den Normen, die Sicht des Gesetzes oder des Getzlosen zu übernehmen, erzählt er aus der Sicht des Hilflosen. Dennoch weißt Der falsche Mann eine teilzeitige Orientierungslosigkeit auf, die aber auf psychologischer Ebene stattfindet: Albtraumhaft wird die Identifikation des Zuschauers zum Protagonisten aufgedrängt, der sich lediglich selbstlos in die Entwicklung der Geschichte fallen lassen kann – und das Publikum ist dem Prozess schonungslos ausgesetzt.

                  Es hängt sicherlich von den individuellen Defintion des Begriffes ab, ob Der falsche Mann letztlich zur schwarzen Serie gehört. Unabhängig davon bleibt über Alfred Hitchcocks Thriller zu sagen, dass er eine intensive Charakterstudie ist, die sich überaus stilsicher aufbaut. Auch das Ende kann den Anspruch seiner dokumentarischen Erzählung halten, doch verliert die Dramaturgie zu sehr an Fahrt, um konsequent zu wirken. Für Fans des Master of Suspense und von Henry Fonda ist er trotz alledem eine klare Empfehlung mit limitierten Highlights. [Robin Längert]

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                  • 8

                    Black Friday #2: "Frau ohne Gewissen"

                    Billy Wilder drehte bereits vor Sunset Boulevard einen waschechten Film noir: Mit seinem finsteren Thriller Frau ohne Gewissen von 1944 ging Wilder einige Schritte weiter als die Filmemacher davor und konzentrierte sich auf ein Gesellschaftsbild, das durch und durch abstoßend erscheint. Der perfekte Start in ein hemmungsloses Wochenende.

                    Inmitten einer rabenschwarzen Nacht stürmt der Versicherungshai Walter Neff (Fred MacMurray) in sein Büro und dokumentiert sein Geständnis über die vergangenden Wochen: Während eines Kundenbesuches verliebte sich Walter in die Hausgattin Phyllis (Barbara Stanwyck). Beide gingen überaus spielerisch miteinander um und begannen sich im Zuge einer Lebensversicherung den perfekten Mord auszumalden – an den Hausherren. Gesagt, getan.

                    Anders als die anderen Filme seiner Zeit zentriert Billy Wilders Frau ohne Gewissen zwei durch und durch unsympathische Charaktere. Es ist nicht so wie bei den üblichen Gangsterfilmen, wo der Zuschauer einem empathischen Handlanger ausgesetzt ist. Viel mehr bemüht sich Wilder darum die Figuren so abstößend wie möglich zu konstruieren. Somit ist die erste gemeinse Szene von Walter und Phyllis von falschen, unangenehmen Annäherungen kaum zu übertreffen. Walters Flirt ist dabei ebenso fremdschämend und aufgesetzt, wie die Perrücke von Barbara Stanwyck, welche Wilder bewusst für ihren Charakter gewählt hat.

                    Die Ausnahmefigur inmitten des Abschaum-Ensembles ist der Freund und Kollege von Walter, namens Barton. Dieser wird gnadenlos gut und überraschend anders von Edward G. Robinson gespielt, dessen Positionierung als moralische Nebenfigur ein humorvoller Kommentar zu seiner bisweiligen Karriere als Gangster-Darsteller bildet. Mit ihm tritt auch der grandiose Streichholz-Runnig Gag wiederholt in die Handlung. Die Art und Weise, wie Wilder diese Symbolik im Verlauf des Filmes variiert, hilft nicht nur bei dem Verständnis der Charakterbeziehungen, sondern erfüllt zudem das Schlussbild mit einer Wärme, wie sie das erste Mal im Film vorkommt.

                    Frau ohne Gewissen hat bis heute nichts von seiner Finsternis verloren. Der Versuch, zwei widerwertige Figuren in den Mittelpunkt der Handlung zu platzieren, funnktioniert im ganzen Maße und tränkt das ohnehin schon düstere Setting versärkt in Schwarz. Doch schafft Wilder neben all dem Zynismus eines: Verdammt gute Unterhaltung. [Robin Längert]

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                        Black Friday #1: "Die Spur des Falken"

                        Die Goldene Ära Hollywoods. Es war die hingebungsvolle Pionierzeit der Genrefindung für das Kino. Und noch bevor es mit dem Western, eines der cineastischen Ur-Genres, im Jahr 1948 von Howard Hawks mit Red River gebrandmarkt wurde, gab es da den Autorenfilmer John Huston. Dieser schuf 1941 nicht nur den Grundstein einer ganzen Filmreihe, sondern prägte das Kino auch stilistisch für immer. Die Rede ist von keinem geringeren Film als von Die Spur des Falken.

                        Wir sehen dem Privatdetektiv Sam Spade (Humphrey Bogart) dabei zu, wie er einer verzweifelten Engländeren in den Tiefen von San Francisco dabei hilft ihre Schwester zu finden. Doch stellt sich der Fall als verstrickter heraus, als er anfänglich klingt. Letztlich führen alle Wege zu einer antiken Statue mit unvorstellbaren Wert: Dem Malteser Falken.

                        Die Spur des Falken basiert auf dem Krimi-Roman Der Malteser Falken von Dashiell Hammett und stellt John Hustons Regiedebüt dar. Aufgrund seines Budget von 300.000 US-Dollar zählt der Film noir als Low-Budget-Produktion, was dem sperrigen Setting jedoch mit einer dichten Atmosphäre entgegen kommt. San Francisco wird damit zu einem pechschwarzen, nächtlichen Irrgarten aus Korruption und ungehemmten Intrigen, in dem sich alle gesellschaftlichen Abgründe wiederfinden. Dafür mixt sich John Huston einen noch nie dagewesenen Kino-Cocktail aus Mystery, Krimi, Thrill und zynischem Humor.

                        Zu Beginn des Filmes sehen wir die Figuren noch bei Tag agieren, was sich ab dem ersten Mord sofort ändert. Die Welt färbt sich von dort an schwarz. Und bleibt es auch. Durch die sich wiederholenden Drehorte, welche man an einer Hand abzählen kann, wirkt es zusätzlich, als ob Sam Spade mitsamt seinem Umfeld auf der Stelle tritt. Das bezieht sich jedoch nicht auf die Aufklärung des Falles selbst, welche Szene für Szene größere Formen annimmt. Viel mehr wirkt es sich auf das Bild der Charaktere aus, die trotz jedes Fehlschlages keinerlei Entwicklung zeigen. Das Böse und jeder sonst so kleine Schatten scheint damit niemals verdrängbar zu sein.

                        Die Sprachauswahl von Die Spur des Falken sollte im Voraus gut überlegt sein. Denn während im Original das Underscoring von Adolph Deutsch die mystische Atmosphäre der Bildsprache auffängt und beiläufig wiedergibt, entschied man sich bei der deutschen Synchronisation von 1964 für prägnante, schwungvolle Jazz-Themen. Interessanterweise ist die deutsche Version eine äußerst sympathische Neuinterpretation, die den Grundtenor des Film noirs zwar entfremdet, ihn damit aber gleichermaßen modernisiert. Darüber hinaus gewinnt das Endes durch den starken Kontrast eine gänzlich neue Form der Härte ab.

                        Die Definition des Film noirs wurde zwar erst mit Howard Hawks Tote schlafen fest im Jahr 1946 vervollständigt, doch sind die grundlegenden Maßstäbe von John Hustons Die Spur des Falken unverkennbar. In einer Welt, in der die rücksichtslose Verwirklichung fest verankerter Sehnsüchte das Bild der Gesellschaft beeinflusst, ist der Mut zur Vernunft der letzte Tropfen Menschlichkeit. Oder wie es die Worte von Sam Spade beschreiben: “The stuff that dreams are made of.” [Robin Längert]

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                          über Transit

                          Gesterm durfte ich "Transit" ein drittes Mal im Kino sehen. Diesmal im Freiluftkino Kreuzberg mit mehreren hunderten Menschen unterm Sternenhimmel bei nächtlichen 23 Grad. Der Besuch wurde zu eines der größten Filmerlebnisse für mich - und das nicht nur wegen der mystisch-surrealen Handschrift von Petzold, der sich wohl von den Irrgärten der "Schwarzen Serie" beeinflussen ließ. Wäre das Drehbuch in den 1940er-Jahren verfilmt worden, hätten wir vielleicht eine geradezu identische Umsetzung erleben können. Wer immaterielles Kino liebt, das kein einheitliches Verständis der Zuschauer anstrebt, sondern individuell verstanden werden möchte, wird mit "Transit" überglücklich sein.

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                            Inmitten der nicht enden wollenden Welle an Serien sieht auch die deutsche Fernsehlandschaft ihre Chance und veröffentlichte 2017 die Neuköllner Gangster-Serie 4 Blocks. Anders als die vielen anderen deutschen Produktionen setzt die Serie einen hohen Wert auf Authentizität, was wohl auf den Cast zurückzuführen ist. Doch schafft die Milieustudie auch genügend Individualität und frischen, narrativen Wind? Wir nehmen die erste Staffel unter die Lupe.

                            Bestehend aus sechs Episoden á 50-60 Minuten erzählt uns die erste Staffel von 4 Blocks von einem Berliner Clan, der allmählich zu zerfallen bedroht. Kopf der arabischen Großfamilie ist Toni Hamady (Kida Khodr Ramadan), der nach zehn Jahren auf seinen alten Freund Vince (Frederick Lau) trifft. Während Abbas Hamady (Veysel) Vince gegenüber misstrauisch ist, heißt ihn Toni wieder herzlich Willkommen im Kiez. Was der Hamady-Clan jedoch nicht weiß: Vince ist ein Spitzel von der Polizei.

                            Es ist einer der ältesten Gangstergeschichten der Neuzeit und trotzdem ist sie es immer wieder würdig zu erzählen und neu zu interpretieren. Im Falle von 4 Blocks folgt sie ebenfalls einem altbekannten Schema, welches jedoch nur ein Mittel zum Zweck ist. Sieht man sich nämlich den Cast genauer an, findet man eine Handvoll Deutschrapper, die selbst aus dem Milieu stammen, seit Jahren darüber rappen und auch bereits im Konflikt mit dem Gesetz waren. Die deutlich umfangreichste Screentime hat Rapper Veysel, der bereits drei Jahre seines Lebens im Gefängnis saß. Neben ihm sind auch die Rapper Massiv und Gringo zu sehen, von denen der letztere einen Großteil der Tracks innerhalb der Serie gemacht hat, u.a. den Creditsong Nb4. Darüber hinaus wurde ihnen oft das letzte Wort bei den Dialogen gegeben, um keinesfalls verfälscht zu wirken. Das Resultat hat glücklicherweise mehr als funktioniert und beweist in dieser Hinsicht bereits die versprochene Dosis Glaubwürdigkeit.

                            Zu Beginn der ersten Staffel sollte man jegliche Vorbeurteilungen noch Ruhen lassen. Die ersten zwei Folgen erscheinen nämlich bezüglich ihrer Frische etwas abgenutzt. Zu schwer tut sich die Serie Identifikation zum Zuschauer aufzubauen. So fällt zu Beginn schneller die Vertrautheit der Story auf, die spätestens ab der dritten Folge weniger negativ heraussticht. Ab dort sind es die Figuren und ihre Dramaturgie, die das Augenmerk der Serie gewinnen und den Fokus auf die bloße Kiezreflexion mildern. Ebenso steigt auch das Erzähltempo enorm von Episode zu Episode, was bei Serien oft goldwert ist. Doch dort waren die Macher etwas zu voreilig und verlieren ein leichtes Gefühl zu einige Subplots, die entweder zu belanglos oder zu schnell erzählt erscheinen.

                            Die drei Hauptfiguren haben zweifelsohne die perfekte Zeit innerhalb der sechs Episoden, um sich vorzustellen und zu entwickeln. Ausbaufähig ist das jedoch bei einigen anderen Charakteren, u.a. bei dem von Massiv gespielten Latif Hamady, dessen Rolle angeblich für die zweite Staffel größer ausgelegt werden soll. Wünschenswert ist das allemal, zudem der Kult-Rapper und seine Darstellung des Clan-Mitglieds eine sehr außergewöhnliche Bildschrim-Präsenz besitzen. Nichtsdestotrotz haben alle Charaktere ihre eigenen, denkwürdigen Szenen, genauso wie die Serie selbst sich mit der sich zuspitzenden Gewalt qualitativ ins Gedächtnis brennt (für Kenner der Serie ein Wortspiel). Nebenbei sollte keinesfalls die einschüchternde, beinahe mystische Erscheinung des Ur-Paten vergessen werden, die mitsamt ihrer atmosphärischen Dichte zu den Höhepunkten der ersten Staffel zählt.

                            4 Blocks kann stolz von sich behaupten, dass es sowohl von Szenenkennern als auch von nicht involvierten Zuschauern gleichermaßen Zusprüche erntet. Der Sound und der Cast stimmen vollends überein – und das sind die vielleicht wichtigsten Zutaten einer deutschen Hip-Hop-/Gansgterserie. wie es sie zuvor noch nie gab. Wir dürfen gespannt auf zweite Staffel sein, die dieses Jahr im Oktober auf TNT Serie ausgestrahlt wird. [Robin Längert]

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                              Noch bevor der spanische Regisseur Alejandro Amenábar mit The Others eines der besten Mystery-Dramen der Gegenwart schuf, widmete er sich in seinem Heimatland dem psychologischen Thriller: Öffne die Augen (alternativ auch Open Your Eyes oder Abre los ojos) war 1997 ein weltweiter Erfolg, der vier Jahre Später das US-amerikanische Remake Vanilla Sky, mit Tom Cruise in der Hauptrolle, mit sich brachte. Für beide Filmen übernahm Penélope Cruz die Rolle der Sofia, die Flamme des Protagonisten. Ebenso sind beide Spielfilme inhaltlich und vom Ablauf her identisch. Trotz alledem sollte der Fokus vorerst auf das Original gelegt werden.

                              Öffne die Augen erzählt von dem Playboy César (Eduardo Noriega), der dank seines Vaters finanzielle Freiheit genießt. Zu seiner Geburtstagsparty bringt sein bester Freund Pelayo (Fele Martínez) die bildhübsche Sofía als Begleitung mit. César verliebt sich in sie – und findet sich kurze Zeit in einer psychiatrischen Anstalt wieder, maskiert mit einer seinem Gesicht ähnelnder Prothese, wegen Mord angeklagt. In Form von objektiven, wie auch subjektiven Erzählungen wird der Abgrund aller Zustände um César herum erforscht.

                              Amenábar macht zu Beginn kein Geheimnis aus seiner verwirrenden Erzählart, die Traum und Realität schwer unterscheiden lässt. Doch statt hektische Überschneidungen lässt er sich viel Zeit für die Gefühlswelt des Protagonisten. Diese braucht César auch, denn sein Charakter ist alles andere als glatt und empathisch gezeichnet. Umso interessanter ist der Identifikationsaufbau des Zuschauers, der erst auf alle erdenklichen Auswege hofft, wenn es bereits zu spät scheint. Das ist nicht nur ein dramaturgischer Kliff, sondern stimmt zudem vollends mit seiner Charakterentwicklung überein.

                              Wie auch in The Others geht es um die Fragilität des Lebens, das sich in der Illusion von Sicherheit einhüllt. Césars Lebensstil und Glücksgefühl ist stark abhängig von seinem Aussehen. Selbst Pelayo wünscht sich auszusehen wie er, um gleichermaßen erfolgreich bei den Frauen zu sein. Somit steckt hinter dem komplexen Erzählkonstrukt die simple Aussage, dass innere Werte bedeutsamer sind. Das klingt zwar nach einem klassischen Nolan-Blender, doch hat Amenábar im Vergleich zum britischen Regisseur das Thema verstanden. Denn bei ihm ist der Traum nicht greifbar, nicht begrenzt und vor allem nicht schlüssig. Oder wie es Ulrich Behrens perfekt beschrieben hat:

                              "Amenábar taucht sein Publikum in eine unsichere Welt, in der es selbst lebt. Und er entlässt es ebenso unsicher mit der vagen Hoffnung, alles könne nur der Alpdruck, Horror im Traum gewesen sein. Was allerdings heißt ‚alles‘? Der Unfall, Sofia? Der Psychiater? Die Firma ‚Life Extension‘? Der Kommissar? Der Freund? Nuria? Was davon war Traum und was Wirklichkeit? Und so zeigt Amenábar eben auch, wie Kino manipulieren kann und im Unsicheren hinterlässt, was doch ‚klar zu sehen‘ ist. Unsere Bilder geraten in einer Welt ins Wanken, in der wir kontinuierlich von Sicherheit träumen, ohne sie zu haben und besitzen zu können, in der wir ständig festhalten wollen, was uns lieb und teuer ist, ohne es fixieren zu können."

                              Wer dieses Meisterstück des psychologischen Thriller-Genres noch immer nicht gesehen hat, sollte dies umgehend tun. Denn bei Amenábar handelt es sich zweifellos um einen der ganz Großen des spanischen Kinos. Hoffen wir, dass sein fürs kommende Jahr angesetzter Spielfilm Mientras dure la guerra wieder gleichermaßen begeistern kann. [Robin Längert]

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                                Advent, Advent, der Tower brennt. Ja, Stirb langsam war für das moderne Actionkino so etwas wie der Urknall. Dass er bis heute einen erheblich Einfluss auf seines Genre-Gleichen ausübt, ist seit dieser Woche im Kino bei Skyscraper zu sehen. Doch wie viel Qualität nimmt der Blockbuster mit Dwayne Johnson von seinem Vorbild mit?

                                Allen voran die gute Nachricht: Skyscraper ist ein waschechter Actionfilm. Wie oft wurde man schon von dem Genre enttäuscht durch nicht genügender Spannung oder spärlichen Ausbrüchen. Doch diese Sorgen kann man in diesem Falle mit ruhigem Gewissen von Bord werfen. Es ist eine ähnliche Überraschung wie bei Deepwater Horizon, der ebenfalls eine unerwartete Intensität verbirgt. Der Unterschied zwischen den beiden Filmen liegt jedoch in ihrer Ernsthaftigkeit.

                                Ja, Skyscraper macht ernst. Wer hier den auflockernden Flair á la Bruce Willis sucht, ist am falschen Ort. The Rock ist in diesem Film nämlich nicht großartig für Späße oder Sidekicks zu haben. Das sollte jedoch kein Problem für den Zuschauer sein, der den Edel-Trash trotz alledem stellenweise sehr amüsant finden wird. Da kann man den überschwänglichen Anekdoten an Stirb langsam und plakativen Familienidealen, die einem der Film augdrängt, zum Glück verzeihen.

                                Der guten Unterhaltung ist darüber hinaus noch weitere, technische Kleinigkeiten anzukreiden: Für einen Actionfilm mit übersichtlichem Setting ist das Sounddesign noch etwas zu standardisiert. Hier hätte man für die heutigen Verhältnisse noch einiges herauskitzeln können. Besonders bemerkbar macht sich dies im IMAX, wo sich zusätzlich seine Unbrauchbarkeit für das 3D-Format bemerkbar macht. Schließlich wurde Skyscraper analog gedreht. Wer also clever sparen möchte, sollte einen großen Bogen um eine 3D-Vorstellung des Action-Thrillers machen – andernfalls werdet ihr über den Tisch gezogen.

                                Sobald die Action beginnt, zieht sie sich konsequent bis zum Ende hin durch – und das mit einer reichlichen Dosis Spannung. Dass der Kitsch ebenfalls nicht an seiner Konsequent schwächelt, kann sicherlich auch als störend empfunden werden. Liegst das Actioner-Herz jedoch am rechten Fleck, weiß man sicherlich damit umzugehen. [Robin Längert]

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                                • 6 .5
                                  über Revenge

                                  Wie auch so oft beinhaltet das französische Genrekino eine Menge Geheimtipps. Mit dazu gehört der Splatterfilm Revenge, bei dem sich der besagte Titel schon vor Sichtung auf die Oberflächlichkeit eines ganzes Subgenres bezieht. Dass dies letztendlich auch Programm ist, soll keinesfalls einen langweiligen Prototypen prophezeien.

                                  Zu der Story brauch keinesfalls groß etwas gesagt werden, bis auf den überflüssigen Verweis darauf, dass es sich um eine klassische Rape-and-Revenge-Story handelt. Vollends konsequent wird diese erzählt, ohne einen Hauch von narrativer Innovation vorzutäuschen. Interessant ist dabei viel eher der überschüssige Missbrauch von Stereotypen, die im Film platziert sind: Da gäbe es den durchtrainierten Playboy-Schönling, die sündhaft-schlanke Blondine und zwei mittelmäßig bis ungepflegt aussehende Männer, die sich allesamt in einem luxuriösen Ferienhaus mitten in der Wüste treffen. Für die Exposition jeder Charaktere geht Regisseurin und Drehbuchautorin Coraline Fargeat so stumpf und reduziert wie möglich heran, um ja keinen Anschein von Tiefe zu erwecken. So kommt es auch zur entscheidenden Vergewaltigung, Tötung und Wiederauferstehung der Lolita, um sich so gritty wie möglich an ihren Peinigern zu rächen.

                                  Fargeat interpretiert das Genre auf ebenso spielerische wie stilsichere Weise. Sie sieht es nicht ein, den Charakteren eine Art von Tiefe und Individualität zu schenken, wenn sie zum Ende sowieso nur als bloße Fleischkörper in Szene gesetzt werden und innerhalb langandauernden Splatter-Sequenzen dem puren Schmerz ausgesetzt sind. Psychologisch wird der Terror auch dort nicht. Stattdessen ist der gesamte Film mit einem hochstylischen, synthetischen Pop-Score unterlegt, der der Coolness der farbenfrohen Bilder vollends gerecht wird.

                                  Der Haken ist, dass der finale Gewaltausbruch etwas zu lange auf sich warten lässt und sich mit einer Laufzeit von 108 Minuten für seine Figuren deutlich zu sehr zieht. Dort hätten dem Film 80-90 knackige Minuten deutlich besser getan. In gewisser Weise wird dies jedoch mit einem unschlagbaren Finale wieder gut gemacht, das das gesamte Gerne ebenso absurd ins Lächerliche zieht, wie auch verdammt gut umsetzt und zuspitzen lässt. Hier kommt letztlich jeder auf seine Kosten, wenn das Ferienhaus zum glitschigen, blutüberströmten Labyrinth wird und sich splitterfasernackt, als ein Stück Fleisch reduziert, im Kreis gejagt wird.

                                  Auch wenn Fargeats Revenge noch simpler in der ersten Hälfte sein könnte, ist es trotz alledem ein sehr unterhaltsamer, spaßiger Genrefilm mit minutenlangen Splatter-Einlagen, einer reizüberflutenden Audiovisualität und einem grandiosen Finale. Freunde des metallischen Geschmacks werden definitiv ihren Spaß haben. [Robin Längert]

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                                  • 10
                                    über Transit

                                    Zur Zeit ist in unseren Kinos so etwas wie eine neue Neue Deutsche Welle zu finden, die endlich wieder etwas erzählen möchte. Im Falle von Transit, dem diesjährigen Berlinale-Liebling, kann man nicht mehr von einem klassischen, filmischen Diskurs reden, sondern von einem waschechten Meisterwerk.

                                    Ganz in der Manier von Casablanca erzählt uns Transit von einer Hafenstadt für Flüchlinge zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Dort versucht der Deutsche Georg (Franz Rogowski) ein Visum für die Fahrt nach Mexiko zu bekommen. Während seines Aufenthalts in der französischen Stadt Marseille trifft er nicht nur Personen, die sein Leid teilen, sondern ebenso auf welche, die ihn in der Frage nach einem echten Gefühl von einem Zuhause verunsichern. Interessant an der Erzählweise ist, dass das Setting auf unserem gegenwärtigen Stand ist. Das heißt, sowohl Autos, Häuser, also auch die Schutzkleidung der Polizisten wurden nicht an die 1940er-Jahre angepasst. Das ist nicht nur ein Clou für das Budget, sondern gleichermaßen für die Intensität und Identifikation. So wirkt das Geschehen real, zeitlos, unangenehm-greifbar. Der Krieg, der sonst so oft retrospektiv im Film geschieht, ist in Transit ein bedrückendes Endzeitdrama.

                                    Durch die authentische, unverfälscht wirkende Nähe ist der Film mit einer grandiosen Intensität versehen, die inmitten der surrealen Erzählart durchdringt. Inmitten der Geschichte trifft man auf viele Nebencharaktere, die vielleicht etwas hanebüchen erscheinen, dennoch vollends notwendig sind. Denn wie in so vielen cineastischen Odysseen sollen sie am Ende ein Gesamtbild erstellen, wie ein unheiles Plädoyer an die Menschheit – und ebenso fungierend als Selbstreflexion der Zuschauer. Eben diese Vielfalt an Individuen ist treffend in Szene gesetzt und grandios geskriptet. Viel eher sollte jedoch Franz Rogowski gelobt werden. Dieser viel mir persönlich bereits in Victoria positiv auf, doch beweist seine Performance als introvertiertes Zentrum des Plots sein wahres, herausragendes Talent. Der deutsche Ryan Gosling, sozusagen.

                                    Es werden sehr interessante Fragen gestellt, die zu keinem Zeitpunkt ausgesprochen werden müssen. Fragen über die Definition von einem Zuhause. Ob die Nähe zu einer Person die Frage nach dem richtigen Ort irrelevant macht. Wann das Gefühl von Nähe zerbrechen kann. Ob die Nähe eines Menschen ersetzbar ist, irgendwann. Oder ob man ungewollt immer und überall das Gefühl von Fernweh projiziert. Und ob all das irgendwann sein definitives Ende finden kann. Ja, es sind furchtbar-belastende Fragen, die sich erst durch den End Credit-Song Road to nowhere seelisch entfalten. Es zeigt uns, dass Fragen manchmal mehr Schmerz verursachen können als Antworten zu geben. Manchmal findet man auch erst im Schmerz seine Antwort. Und manchmal muss Kino verdammt wehtun, damit es auch verdammt gutes Kino ist. Im Falle von Transit ist es verdammt wirkungsvolles Kino.

                                    Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold hat das Kino verstanden, denn er verweigert sich den Antworten. Stattdessen verarbeitet er das Heiligtum des Klassikers Casablanca und entstellt die wunderschöne Stadt Marseille zu einem Fegefeuer, in dem die Menschen unwissend verwesen. Allesamt jagen sie Geister, warten auf etwas greifbares. Seit Sergio Corbuccis Django wurde die Vergangenheit nicht mehr so apokalyptisch in Szene gesetzt. Und wir Zuschauer sind dieser surrealen Odyssee ausgesetzt. Das ist Poesie, Destruktion und Realismus in einer Gestalt.

                                    Wer den besten deutschen Film unserer Zeit sehen möchte, sollte sich dringend ein lokales Off-Kino suchen und sich, am besten vollkommen allein, auf Transit einlassen. Es ist zum Glück keine weitere NS-Reflexion des deutschen Kinos, die in Massen hinterhergeschmissen werden. Nein. Transit ist hochwertig inszeniertes Kino mit Fleisch und Seele, das nicht verstanden, aber empfunden werden möchte. Ein Meisterwerk. [Robin Längert]

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                                    • 9 .5
                                      über Heat

                                      Michael Mann-Retrospektive #6

                                      Man mag alle anderen Filme von Michael Mann noch so sehr lieben, aber sein Thriller-Drama von 1995 ist unbestreitbar sein bestes Werk. Und nicht nur das: Heat zählt zweifellos zu den besten Filmen aller Zeiten. Dafür gibt es eine Menge Gründe, die auf unterschiedliche Perspektiven beruhen.

                                      Nachdem Mann die Heist-Geschichte bereits als Pilotfilm, Showdown in L.A., umgesetzt hat, durfte die erste Fingerübung an den Stoff mit ruhigem Gewissen scheitern. Diese Erfahrung mit dem Umgang der Dramaturgie ist für sein späteres Werk pures Gold wert, was man Heat zu jeder Sekunde anmerkt. Dabei interessiert sich Mann nicht für den Plot, welcher schlussendlich eine altbekannte Story über Jäger und Gejagten, Cop und Gangster ist. Aber auch über Gut und Böse? Eben nicht.

                                      Manns Interesse ist den Charakteren gewidmet. Er kniet sich in jedes Individuum, versucht es zu verstehen, zu begründen, zu empfinden. Darum fokussiert er nicht nur seine beiden Weltstars Al Pacino und Robert De Niro, sondern ebenso deren äußerlichen Einflüsse auf ihr Handeln. So entsteht u.a. ein höchst bewegender Sub-Plot um einen Ex-Sträfling auf Bewährung, der aufgrund seines Vorurteile verursachenden Strafregisters keinen Anschluss an die rechtsgesittete Gesellschaft findet. Die vielen anderen, greifbaren Begebenheiten aufzuzählen wäre jetzt sinnlos. Dafür ist schließlich der Film selbst da, um jeden Charakter und Handlungsstrang für sich zu entdecken. Doch ist es nicht nur die Authentizität jeder Figur, durch diese sich der Film jeder Schematisierung entzieht; sondern ist es die Masse jener authentischen Charakteren. Erst dadurch schafft Heat eine mitreißende Realität.

                                      Wir sehen knapp drei Stunden lang dabei zu, wie Neil (De Niro) versucht, mit seinen Leuten einen Bankraub zu planen, durchzuführen und letztlich zu fliehen, während Vincent (Pacino) versucht ihm ein einziges, notwendiges Mal einen Schritt voraus zu sein. Beide sind unverbesserliche Profis in ihrem Gebiet. Beide verfolgen mit Leib und Seele ihr Ziel. Und beide sind sich in ihrer Art, Egozentrik und Hartnäckigkeit so ähnlich, dass man denken könnte, sie würden in einem anderen Leben, wo beide auf der gleichen Seite stehen, wie Brüder sein. So haben auch ihre Privatleben Parallelen, wo ihnen die Freundin oder Frau die herzliche, warme Komponente in ihrem Leben gibt und ihnen damit zeitgleich bei der Umsetzung ihrer Ziele im Weg steht. Am Ende entscheidet es sich schließlich, welches Ziel diese Wärme fortsetzen kann und welches in Kälte verwest. Dass es nur diese Entweder-Oder-Möglichkeit gibt, trotz der ungehemmten Beleuchtung beider Charaktere, durch diese sie für den Zuschauer wie nackt erscheinen, eben auch gleichgestellt von jener Wertung, definiert die gesamte Dramaturgie dieses Donnerschlages von Film.

                                      Selbstverständlich kann man neben diesen eher auf dem Drehbuch basierenden Punkten auch auf die Umsetzung eingehen; Wie Pacino seine Figur als Kokainsüchtigen interpretiert; Dass erstmals echte, furchteinflößende Waffenschussgeräusche benutzt wurden; Wie beeindruckend-ausgeglichen dieses Epos geschnitten ist; Wie wellenschlagend die Wirkung des Endes ist in all ihrer audiovisuellen, ausgereiften Perfektion; Wie zivilisiert und respektvoll die erste und letzte Begegnung zweier solch gewaltvertrauten Protagonisten ist. Das alles könnte noch mit Vollblut vertieft werden, aber ich belasse es lieber dabei und gönne ebenso jedem selbst seine eigene Vertrautheit mit Heat. Letztendlich ist es nicht möglich Michael Manns Formvollendung retrospektiv zu bewerten, da sein Heist-Action-Thriller-Krimi-Drama wohl nie altern wird. [Robin Längert]

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                                        Michael Mann-Retrospektive #5

                                        Drei Jahre nach seiner TV-Produktion sprengt Mann das audiovisuelle Medium und verfilmt den Literaturklassiker Der letzte Mohikaner mit Daniel Day-Lewis in der Hauptrolle. Dabei sind hier schon finale Stilfindungen zu entdecken, die bis heute seine Filmografie geprägt haben.

                                        Die Geschichte der Kolonialisierung Amerikas wird durch Manns Handschrift zum Historien-Blockbuster geformt, dass versucht, alles zu bedienen, was den Begriff „großes Kino“ definiert. Somit haben wir hier nicht nur eine historisch, wie auch politisch korrekte Geschichte, die die Identifikation zu den Figuren in Form eines Liebeskonflikts auf altmodisch-simple, dennoch funktionierende Weise näherbringt. Des Weiteren haben wir hier auch einen monumentalen Score mit zugänglichen und harmonierenden Themen, die sich nie verfälscht dem dynamischen Bildgeschehen anpassen. Ja, das klingt alles viel mehr nach einem Steven Spielberg der 80er-Jahre, als nach einem Michael Mann. Dennoch kann es sich durchaus von Spielbergs Blockbuster-Ideal distanzieren.

                                        Manns Filme sind Männerdramen. Wiederkehrend ist der unabwendbare Stolz des männlichen Geschlechtes, das die äußerliche Erscheinung des Überhandhabenden gleichermaßen als Selbstdarstellung nutzt. Zwar ist jenes Problem nicht im Protagonisten Poe wiederzufinden, der die Makellosigkeit in Person ist, doch findet sie durchaus in seinem Gegenspieler, Major Heyward, um das Herz der jungen Cora als Konflikt statt. Die Entwicklung und Bedeutung von Heyward für die Geschichte, welche ich ohne Spoiler zu erläutern versuche, ist gleichzusetzen mit dem politischen Kontext des Filmes. Seine emotionale Bindung zu Cora stellt somit eine intentionale Widersetzung von dem dar, was sein staatliches Regiment als Wohl(zu)stand voraussetzt für ihn. Das kommt nicht nur zu stande, weil Cora dem sich staatsentziehenden Poe folgt, sondern da Heyward durch diese Art von Kettenreaktion nicht im Sinne der Kolonialisierung handelt, welche der einzige Grund ist, weshalb er sein Heimatland verlassen hat. Heyward wird damit durch die reine Verfolgung seiner natürlichen Intrigen zum Staatsfeind, was Mann sparsam als Subhandlung nebenher laufen lässt und es dennoch vollkommen schlüssig, anspruchsvoll und sogar nachwirkend erzählt.

                                        Dem gegenüber steht schließlich die Charakterzeichnung des Poes, der Vorbildsheld des Blockbuster-Kinos. In ihm steckt all der Antrieb, den ein abenteuerlicher Historienfilm braucht, um schließlich jeden mitreißen zu können. So kann man Mann auch nicht vorenthalten, er ginge zu oberflächlich mit seinem Protagonisten um. Das Besondere dabei ist nämlich, dass er es trotzdem schafft qualitativ Emotion durch die Figur zu projizieren. Bei Poe handelt es sich nicht nur um einen Helden wie aus jedem anderen Blockbuster, da er trotz allen Konvention einwandfrei in diesem Großformat mitreißt. Zwar könnte das durchaus verständlich sein für jene Art von Filmen, doch ist es dies im Verhältnis zu den tatsächlichen, erfreifenden Wirkungen letztlich nicht.

                                        Mann-Power on! Sein Eintritt in das Blockbuster-Kino ist scheppernd und unglaublich wirksam. Nicht viele schaffen einen solch riesigen Spagat zwischen zwei Projekten, doch Mann beweist beinahe egozentrisch, dass sein Platz auf der großen Leinwand ist. Der letzte Mohikaner führt uns zu den Ursprüngen des Kinos in all seiner Harmonie, wie es uns zerbricht, mitreißt, aufbaut, vielleicht sogar inspiriert. [Robin Längert]

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                                        • 5 .5

                                          Michael Mann-Retrospektive #4

                                          Ehe sich Michael Mann an bildgewaltigen Formaten austoben konnte, musste er sich mit dem Fernsehformat zufrieden stellen. Doch auch wenn Showdown in L.A. eine TV-Produktion ist, bildet sie ein unentbehrliches Fundament für den darauffolgenden Werdegang des Action-Thriller-Pioniers. Sein späteres Remake des eigenen Filmes ist nämlich Heat.

                                          Wie auch in dem mit Al Pacino und Robert De Niro besetzen Blockbuster von 1995 erzählt Showdown in L.A. von dem Heist eines italo-amerikanischen Gangsters, dem ein gerissener Vollblut-Cop auf den Fersen ist. Da seine Laufzeit nur die Hälfte seiner Neuverfilmung beträgt, ist demnach mit viel Inhaltskürzungen zu rechnen. So fehlt bspw. der Charakter der Stieftochter, der in Heat von Natalie Portman dargestellt wird. Interessant sind dabei die letztlichen Auswirkungen auf das Werk.

                                          Manns Kampf mit dem TV-Format ist hier deutlich zu spüren. Wiederholt möchte er auf Intensität setzen, doch sind geradezu alle Szenen wie im Zeitraffer gekürzt. Das fällt besonders dann auf, wenn mehr Geschehen soll als Zeit vorhanden ist. Unter diesem Punkt muss besonders die Action leiden, die ohnehin schon den trashigen TV-Score mit schreienden E-Gitarren und softem E-Piano aus der Konserve tragen muss. Umso größer ist dafür der veraltete Charme, der sich damals noch schwer Ernsthaftigkeit erkämpfen wollte, während er heute durchgehend persifliert wird.

                                          Dass das Drehbuch ebenso von Mann selbst stammt, ist hier pures Gold wert. Ohne sein Händchen für aufbauende Dramaturgie und zündenden Dialogen wäre wohl wenig Individualität übriggeblieben. Manche Passagen sind sogar so überzeugend, dass Mann sie in Heat eins-zu-eins übernommen hat. Sein Qualitätssiegel macht sich so in den ruhigsten Szenen sehr bemerkbar, welche im Falle von Showdown in L.A. die stärksten Stellen des Filmes bilden. Alles andere, so sehr sich auch bemüht wurde, ist sich durch zweitklassige Schauspieler, hektischer Schere und sparsamster Technik nicht zu retten. Noch dazu ist der Ausklang des TV-Filmes, welcher in Heat die bedeutsamste Wirkung hat, brachial belanglos – selbst für TV-Verhältnisse.

                                          Der interessanteste Kliff bei dem Vergleich der zwei Filme ist die Zeichnung des Cops Vincent: In Heat ist man Zeuge einer tiefreichenden Charakterstudie des impulsiven Polizisten, der mit den Schatten seines Berufes und Privatlebens zu kämpfen hat. Ein dramaturgisch sehr notwendiger Punkt ist dabei das Verhältnis zu seiner Stieftochter, der die Bindung zu einem Vater fehlt. Auch wenn Vincent mit scheinbarer Distanz diese Lücke füllen möchte, versucht er zeitgleich das Grauen seines Jobs, welches er ebenso ungern mit seiner Frau teilt, von ihr fern zu halten. Zwar lebt sich jene Distanz übereinstimmend bei beiden Filmen aus, doch ist es bei Showdown in L.A. noch mit feinen Samthandschuhen behandelt worden. Die Figur Vincent flacht damit zu einem schwach beleuchteten Protagonisten ab, dessen Motivation eher eines Sterotypen gleicht.

                                          Retrospektiv ist es sehr spannend sich Showdown in L.A. anzusehen. Er filtert das nötigste der Grundstory von seinem späteren Meisterwerk heraus und zwängt sich in ein äußerst unpassendes, aber belächelndes TV-Korsett. Wer die Ursprünge jenes Thriller-Meilensteins erforschen möchte, kommt hier definitiv auf seine Kosten. Allen anderen kann die Sichtung ziemlich egal sein. [Robin Längert]

                                            • 3 .5

                                              Der damalige Pionier des qualitativen Massenkinos Steven Spielberg ist noch lange nicht müde und dreht nach wie vor Filme wie vom Fließband. Sein erster Film dieses Kinojahres, Die Verlegerin, darf sogar in zwei Kategorien bei den Oscars auftauchen: Bester Film und beste Hauptdarstellerin (Meryl Streep). Nachdem vor zwei Jahren das Journalismus-Drama Spotlight die große Haupttrophäe gewann, ist auch dieses Jahr ein Vertreter dieser Rubrik vertreten. Aber warum? Aufgrund neuen, innovativen Diskussionen über Pressefreiheit? Oder einfach, weil er sich einer eigenen, künstlerischen Vision verweigert und er sich den Jury-Senioren versklavt? Eine äußerst schwierige Frage.

                                              Die Washington Post ist im Zuge des angespannten politischen Klimas in den USA umso mehr darauf fixiert eine bahnbrechende Story für die Titelseite zu finden. Dank eines Kriegsveteranen, der in Vietnam gedient hat, kommen sie schließlich an unvorstellbare Regierungsgeheimnisse – doch steht mit der Veröffentlichung die gesamte Redaktion auf dem Spiel.

                                              Es ist immer eine Herausforderung für einen Regisseur eine Geschichte zu erzählen, die von vorne bis hinten durchgekaut ist. Dass das jedoch glanzleistend möglich ist, bewies zuletzt erst dieses Jahr Paul Thomas Anderson Liebesdrama der Londoner Fashionszene Der seidene Faden. Doch Spielberg geht einen gänzlich anderen Weg. Er verweigert sich Neuinterpretationen oder spielerische Umsetzung mit den Erwartungshaltungen. Stattdessen erzählt er seine Story, als wäre sie die erste seiner Art und ignoriert damit die gesamten 42 Jahre zwischen seinem Film und Die Unbestechlichen von Alan J. Pakula. Das ist nicht nur dreist, sondern auch beleidigend.

                                              Sicherlich könnte man meinen, dass sein nüchterner Erzählstil sich umso mehr auf den Inhalt fokussiert. Ebenso könnte man annehmen, das Thema sei nach wie vor brennend aktuell. Das alles mag stimmen, besonders in Hinsicht auf den vielen, in der Türkei inhaftierten Journalisten, doch ist zu bezweifeln, dass sich der Film tatsächlich auf internationale, aktuelle Geschehnisse bezieht. Vielmehr dreht er sich im Kreis und schließt mit Fokus auf die USA ab, was die sonst gelungene Aussage des Dramas abflachen lässt.

                                              Während die Umsetzung bereits sehr unschön mit billig wirkenden Studioaufnahmen auffällt, pusht Spielberg krampfhaft seine “für alle starken Frauen auf dieser Welt”-stehende Hauptdarstellerin, die sich trotz gesellschaftlich hoher Position wie ein Normalbürger aus der Mittelschicht benimmt, schneller rechnen kann als alle anderen und ihr Ego vorbildlich runterschluckt, um Stolz und Respekt zu zeigen. Ich habe selten mehr abkotzen müssen im Kino als bei diesem aufgezwungenen Gutmensch-Auftreten von Meryl Streep. Doch statt jene Künstlichkeit zu ignorieren, wird sie selbstverständlich von der Academy nominiert. Logisch, da man mit realitätsfernen Zuckerwatten-Gesellschaftsbildern ein wichtiges Statement setzt: “Sei nicht wie Meryl. Sei Meryl.”

                                              Statt filmisch oder inhaltlich neue Wege zu nehmen, geht Spielberg auf Nummer Sicher und verfilmt den bekannten Stoff mit allen Konventionen, die ihm zu Verfügung stehen. Versucht man dabei einen Bezug zum aktuellen Weltgeschehen mithilfe des Filmes zu finden, wird das auch sicherlich gelingen. Damit ist jeder Zuschauer weitaus innovativer als das gesamte Journalismus-Drama Die Verlegerin. [Robin Längert]

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                                              • 10

                                                Abstoßender, ekelerregender Psycholedic-Terror, dessen erste Stunde zu jeder Sekunde unter der Haut zu spüren ist und sich durch die eigene Perspektive frisst, ehe alles zur tatsächlichen Realität wird. Hass und sexueller Antrieb bleibt der Lebens(an)trieb des Menschen, der überall ein auflösenden Sein als Leere hinterlässt. Die Zeit verstört alles.

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                                                • 5

                                                  [...] Wer den Trailer gesehen hat und sich mehr erhofft, als das Bildmaterial hergibt, wird durchweg enttäuscht sein. Überraschend ist das nicht bei dem Blick auf die Crew, wo der Name des Drehbuchautores Anthony McCarten ins Auge sticht. Dieser war bereits für das Skript des Biopics Die Entdeckung der Unendlichkeit zuständig, welcher lieber seine Hauptfigur glorifiziert als sich mit jener Biografie inhaltlich auseinanderzusetzen. Für seinen neusten Film hat er jedoch ein wenig dazugelernt, auch wenn die Formalität wiederholt reflexionslos ist.

                                                  Die Inszenierung von Joe Wright reduziert sich stark, neben das Drehbuch, auf seinen Hauptdarsteller Gary Oldman als Winston Churchill, der hier als krampfhafter Sympathieträger entstellt wird. Ähnlich eines Charles Laughton in Billy Wilders Zeugin der Anklage wird großer Wert auf seine kultige Erscheinung gesetzt, was ebenso wenig zeitgemäß wie authentisch wirkt. Zugegeben, Oldmans Schauspiel ist sehr überzeugend und bestätigt nach wie vor sein faszinierendes Talent – auch wenn seine geradezu unerreichbare Darbiertung aus Léon – Der Profi nicht getoppt wurde.

                                                  Der Altherren-Humor des Filmes funktioniert leider nicht bedingt. Ebenso mangelhaft ist seine erzwungene Kult-Ausmalung seines Protagonisten, dessen Taten und Entscheidungen nie in ein hinterfragendes Licht gestellt werden. So sind die ersten zwei Drittel von Die dunkelste Stunde monotone Pseudo-Sympathie, die ein Paradebeispiel eines Oscar-Baits sind. Erst gegen Ende schafft es der Historienfilm inhaltlich einen Schritt weiter zu gehen und weiß ebenso auch zu fesseln. Seine finale Message, man könne erst etwas bewirken wenn man fähig ist seine Meinung ändern zu können, trifft zwar sich nicht auf den Film selbst zu, doch ist es ein durchaus bedeutungsvolles Zitat, von dem folgende Biopics gerne lernen können. [Robin Längert]

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                                                  • 7 .5

                                                    Basierend auf den wahren Ereignissen Ende der 50er Jahre, erzählt Regisseur Terrence Malick in seinem Leinwanddebüt, Badlands – Zerschossene Träume, von der Unerklärlichkeit unserer Triebe und der Bedeutung innerhalb eines Systems, mit dem man sich nicht identifizieren kann. Manch einem mag jenes Fundament bereits bekannt vorkommen, wenn man sich bereits mit anderen Werken von Malick auseinandergesetzt hat. Den Beginn seiner filmischen Extasen zu erforschen ist retrospektiv besonders interessant.

                                                    Martin Sheen und Sissy Spacek spielen in diesem ungewöhlichen, und doch stilistisch maßgeblichen Roadmovie ein Outlaw-Pärchen, das distanzierter nicht gezeichnet sein könnte: Er ist der unsympathische Schönling, der wiederholend bestätigt wird durch otpische James Dean-Vergleiche. Sie ist die schüchterne Zierlichkeit, die sich mitreißen lässt und keinen Finger krümmt. Beide scheinen die stumpfesten Stereotypen ihres Geschlechtes zu sein ohne jegliche Zuneigung oder spezifisches Interesse zu haben. Viel eher sind sie orientierungslose Hülsen, die keinerlei Zweck oder Funktion in ihrem Umfeld finden. Dass man als Zuschauer dabei keinerlei Funken Bindung, Identifikation oder Mitgefühl verspührt, ist dabei die größte Schwierigkeit beim Seherlebnis. Alles, was eigenentlich schockieren oder aufwühlen sollte, lässt einen vollkommen kalt. Umso gleichgesetzter ist man selbst mit der Gefühlswelt der Protagonisten, die über Leichen gehen und sich von jeglichen Normen entfernen, ohne dabei Adrenalin, Befriedigung oder Erfüllung zu empfinden.

                                                    In gewisser Weise ist der Erzählstil veraltet. Alles wirkt irgendwie bekannt oder bereits durchgekaut. Ausgefallene Einwirkungen in die Geschichte treffen zu keinem Zeitpunkt ein. Versteht man Malicks Erzählung jedoch als kommentarlose Reflexion einer belanglosen Auslebung von Freiheit, ist seinem Film viel mehr zu entnehmen als der erste Eindruck vorgibt. Die Protagonisten verfolgen keinerlei Perspektive oder Weltanschauung, sondern leben die Flucht aus der Zivilisation lediglich als Selbstzweck aus. Erst einmal in der freien Natur angelangt, findet sich jener gefürchteter Alltag auch dort wieder. Das ist zwar ein durchaus niederschmetternder Subtext von Malick, doch ignoriert er nicht die Schönheit der Natur, wo alles seinen Weg und Zweck findet. Hat sich der Mensch also bereits so weit entfremdet von der Natur, dass er nur in seinem selbsterschaffenden System leben kann? Eine Frage, die man lieber nicht beantwortet bekommen möchte.

                                                    Der Grundstein für eine faszinierende Filmographie wurde mit Badlands- Zerschossene Träume definitv gelegt. Malicks Figuren waren schon immer Suchende ohne gestilltem Durst, was viele andere Filme von ihm ebenso zu Roadmovies macht. Kein Wunder demnach, dass sein Einstieg in das Filmgeschäft sich jenem Genre in vollen Zügen widmet. Es erfordert in gewisser Weise reichlich Auseinandersetzungen, um sein Debüt mehr den je schätzen zu können. Pure Unterhaltung sollte jedoch nicht erwartet werden. Vielmehr ist sein Roadmovie eine trockene, gegen Ende auch bissig-satirische Extase, das sein Gerne ebenso entstellt wie definiert. [Robin Längert]

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