Tobi_G93 - Kommentare
Die 5 meist diskutierten Serien
der letzten 30 Tage
-
Dept. QDept. Q ist eine Kriminalserie aus dem Jahr 2025 von Scott Frank mit Matthew Goode und Alexej Manvelov.+24 Kommentare
-
Star Wars: AndorScience Fiction-Serie von Tony Gilroy mit Diego Luna und Genevieve O'Reilly.+18 Kommentare
-
Das ReservatDas Reservat ist eine Drama aus dem Jahr 2025 von Ingeborg Topsøe mit Marie Bach Hansen und Danica Curcic.+16 Kommentare
Die 5 meist vorgemerkten Filme
-
28 Years Later390 Vormerkungen
-
The Fantastic Four: First Steps94 Vormerkungen
-
Jurassic World 4: Die Wiedergeburt93 Vormerkungen
-
Weapons - Die Stunde des Verschwindens87 Vormerkungen
Alle Kommentare von Tobi_G93
In seinem unverschämt stilsicher inszenierten Debütfilm "Margin Call" (2011) widmet sich Regisseur J.C. Chandor dem Börsencrash und der damit einhergehenden Finanzkrise im Jahr 2008. Bewusst sperrig und mit Mut zur trockenen "Nicht-Unterhaltung" wirft Chandors Film einen kammerspielartigen Blick auf eine Investmentbank, die scheinbar kurz vor dem finanziellen Ruin steht. Die Finanzwelt wird den ZuseherInnen als abstrakte, unverständliche Parallelwelt vermittelt, in der (größtenteils) jegliche menschliche Emotionen und moralische Werte schon längst abhandengekommen sind. In äußerst kühlen, sterilen Bildern bewegen sich die Figuren in hohen Wolkenkratzern, umgeben von dem beunruhigend schimmernden Lichtermeers New Yorks, die enorme Fallhöhe in den schwindelerregenden Abgund ist jederzeit omnipräsent.
Die Figuren schwadronieren ununterbrochen in unverständlichem Börsen-Fachjargon, roboterartig, scheinen sich selbst nicht wirklich zu verstehen, reden immerzu aneinander vorbei. Jegliche Konversationen, auch persönliche, drehen sich einzig und allein ums Finanzielle, alles wird auf Zahlen und den Wert heruntergebrochen.
Der Finanzmarkt wirkt fast wie eine irrationale, unkontrollierbare Dystopie-Welt. Es wird gezeigt, wie skrupellos und ohne moralische Bedenken toxische Wertpapiere mit fiesen Manövern veräußert werden müssen, um noch einigermaßen die Haut der Bosse zu retten. Menschen, die sich den Mechanismen des Marktes widersetzten, fallen dementsprechend tief und zerbrechen. Erst ganz am Ende, zermürbt von Jahrzenten als Finanzmarkt-Marionette, als Kevin Spaceys Figur nach einem moralischen Zwiespalt aus der Welt ausbricht und die letzten Überreste seines Lebens begraben muss, wird die tiefe menschliche Tragödie, die die kapitalistische Denkweise zu Tage fördern vermag, deutlich.
Ein beachtliches Debüt.
"Eine schöne Frau und ein Mysterium. So beginnt jeder Film Noir."
Ole Bornedals grotesk-eigenwilliger, latent bedrohlicher Thriller-Pulp im stylischen Skandinavic Neo-Noir Gewand startet ungemeint rasant, hektisch, bewusst verwirrend, indem drei entscheidende Plotpoints schon vorab ohne jegliche Zusammenhänge präsentiert werden, wodurch schnell ein gewisses Grundinteresse beim Publikums geweckt werden kann.
Es ist anschließend die Geschichte eines Toten, ähnlich Billy Wilders großartigem "Sunset Boulevard", die Bornedal fortlaufend zwischen vorerst subtilen, leisen Psychothriller-Abgründen und hitzigem Ehe-Melodram mit einer schönen Prise schwarzen, skandinavischen Humor schildert. Der in seiner unbefriedigenden, unterkühlten Ehe gefangene Protagonist Jonas (Anders W. Berthelsen) findet seinen dringend benötigten Eskapismus durch (so einige) (un-)glückliche Zufälle in der von einem Unfall schwer verletzten Julia (Rebecka Hemse), nachdem er irrtümlich für ihren (verschollenen) Freund gehalten wurde. Doch die sich anbahnende Liebelei der Beiden steht unter keinem guten Stern, denn die düstere Vergangenheit von Julia holt sie langsam aber sicher ein...
Damit einhergehend fügt Bornbedal mehr und mehr düstere Noir-Elemente in seinen unberechenbaren, hakenschlagenden Thriller hinzu, so kann Julia, Jonas Objekt der Begierde, durchaus als Femme Fatale Figur verstanden werden, deren mysteriöse, undurchsichtige Vergangenheit Jonas in kriminelle Verstrickungen und abgründige Beziehungsgeflechte verstrickt.
Interessant gestaltet sich dabei Bornedals Umgang mit den Motiven des klassichen Film-Noir, einerseits zitiert er gründlich und respektvoll ehe im nächsten Moment wieder ironisch gebrochen wird. So ist Hauptprotagonist Jonas eine in bester Genretradition moralisch ambivalente, psychisch durchaus fragile Figur, die aber durch Bornedals stimmige Charakterzeichnung niemals grob unsympathisch wirkt. Dagegen erscheint die vermeintliche Femme Fatale Julia anfangs gerade nicht als besonders verführerisch oder überschwänglich attraktiv, sondern schwer verletzt, mit entstelltem Gesicht und im Koma liegend, als Folge eines Autounfalls.
Bis zum (bitteren) Ende hält Bornedal geschickt die Balance zwischen der bedrohlichen Grundstimmung und seinem grotesken, schwarzhumorigen Witz, der der abgründigen (teilweise auch wenig glaubwürdigen) Geschichte eine angenehm pulpig-augenzwinkernde Note verleiht. Ein sehr unterhaltsamer, flotter Scandinavic-Noir, nicht mehr, nicht weniger.
Ridley Scotts "Black Rain" (1989) taugt vielleicht weniger als ernst gemeinte, vielschichtige Auseinandersetzung des amerikanisch-japanischen Culture-Clashs, obwohl Scott durchaus die Schwierigkeiten des Verstehens und der Verständigung zwischen dem amerikanischen Macho-Cop Michael Douglas und der japanischen Kultur, zwischen Tradition und moderner High-Tech Gesellschaft, beleuchten möchte. Dennoch geschieht dies beinah ausschließlich über abgedroschene Stereotypen und Vorurteilen aus westlicher Perspektive, hier fehlt ganz klar der tiefergehende, differenzierte Blick. In diesen Belangen ist Scotts Film zweifellos eher schlecht gealtert und lässt inhaltlich einiges an Möglichkeiten liegen, wenn dies jemanden stört, ist eine Ablehnung tendenziell verständlich. Mir geht es jedoch mehr um das Filmische, die audiovisuellen Qualitäten, und da macht Ridley Scott einmal mehr einen fulminanten Job.
Zwischen hypnotisch-fiebriger Neon-Noir-Ästhetik, geradlinig fettreduziert, zweckdienlich voranschreitendem Plot und einem starken Michael Douglas als ambivalenter Antiheld-Protagonist liefert Scott einen konventionell-ruppigen Genre-Reißer aller erster Güte ab, der seinen Reiz beinah ausschließlich über die grandiose Form ausübt. Ähnlich wie einige Jahre zuvor im hypnotischen "Blade Runner" zeigt Scott das fernöstliche Osaka als einnehmend-faszinierende Parallelwelt aus neondurchfluteten Straßenschluchten und gleißenden Sonnenuntergängen, ein mal bedrohlich wirkendes, mal betörend funkelndes Großstadt-Lichtermeer. Veredelt wird das Ganze mit wenigen, aber dafür intensiv-packenden wie kompromisslosen Action Set-Pieces. Ich mag den Begriff eigentlich nicht, aber selten passte es besser: Style over Substance, at its finest expression.
In seinem letzten Film "Un Flic" (1972) treibt Meister Melville seinen filmischen Ausdruck endgültig auf die Spitze. Vorwiegend erschuf er in seinen Filmen in der Mischung aus extremer Stilisierung, dem Ausstellen des Artifiziellen, und einem vermeintlichen Realismus, "echte" Drehorte bevorzugend, eine merkwürdig triste, betörend kühle Parallelwelt, in der stoische, emotionslose Figuren an der eigenen Coolness ertrinken, sich rein über die gestellte Pose definieren.
Da setzt Melville in seinem letzten Film in noch radikalerer Form an. Mit aufgemalten Hintergründen, irrealen Matte Paintings, eiskalter Blaustich-Ästhetik und einem Zug-/Helikopter-Heist, der offensichtlich mit Miniaturmodellen umgesetzt wurde, verweist hier alles nur irgendwie Mögliche auf das Ausgestellete, das Artifizielle. Zugleich entwirft er in seinem kompakt-geradlinigen Heist-Noir abermals ein strenges, mininamlistisch-nuanciertes Psychogramm zweier befreundeter Männer, die auf unterschiedlichen Seiten des Gesetztes verweilen. Zusätzlich treibt die Anhimmelung für die eisig-kalte Femme Fatale Catherine Deneuve einen Keil zwischen die Beiden. Alain Delon passt als pragmatischer, müde-emotionslos umherwandelter Polizeichef wie immer perfekt in Melvilles filmischen Ansatz. Über subtile Gesten, stechende Blicke und coole Posen zieht einen der Mann spielend leicht in seinen Bann.
Das spielt Melville in Verbindung mit der gewohnt fatalistisch fortschreitenden Crime-Story und der betörenden filmischen Form gekonnt aus und erschafft dadurch einen wundervollen letzten Film, zweifellos seines großartigen Euvres würdig.
Otto Premingers verträumt-rätselhafter Film Noir "Laura" (1944) gilt als überaus einflussreiches Werk des frühen Thriller- und Mysterykinos, so reichen die Einflüsse von Premingers Film über Hitchcock (v.a. "Vertigo") bis hin zu David Lynch, der in seiner TV-Serie "Twin Peaks" auf ähnliche Weise das Leben eines Mordopfers mit dem Namen Laura (Palmer) über Aussagen, Flashbacks und polizeilichen Ermittlungen rekonstruiert hatte. In Premingers herausragend fotographierten Film verstrickt sich ein (über-)ambitionierter Detective namens McPherson (Dana Andrews) in ein undurchsichtiges Kriminal-Puzzle eines mysteriösen Mordfalls. Opfer war die Werbemanagerin Laura, die aufgrund ihrer attraktiven Erscheinung und ihrer verführerischen Art allen Männern den Kopf verdreht hatte.
Sie war scheinbar die Muse des exzentrischen Schriftstellers Waldo Lydecker (einnehmend beunruhigend: Clifton Webb), der ihr mit Haut und Haaren verfallen war. Je mehr der charismatische Polizist den Schilderungen der ambivalent-eigenwilligen Beziehung des Schriftstellers zum Mordopfer Gehör schenkt, desto mehr scheint auch er der anziehenden Aura der Toten zu verfallen...
Nachdem der Film zu Beginn wie ein typisches Kriminalstück beginnt, eine schnitzeljagdartige Suche nach einem Mörder vorgetäuscht wird, erhält Premingers Film spätestens ab Filmmitte durch unvermittelte Wendungen und Aufdeckungen fataler Charaktergeflechte einen ganz neuen, abgründigen Dreh und erweist sich mehr und mehr als für die Zeit erstaunlich finstere, bedrückende Charakterstudie.
Eine erste Anziehung, Freundschaft, die mit der Zeit zur unerfüllten Liebe wurde. Unerfüllte Liebe, die irgendwann auf zerstörerische Weise umschlägt.
Genau da setzt Preminger im finalen Akt an und entwirft ein tragisches Charakterportrait zwischen Selbsterniedrigung, manischer Besessenheit und pathologischem Kontrollzwang. Die dunkle Seite der Liebe. Um es wie David Lynch zu formulieren, "so strange what love does".
Ganz groß.
"Kinder kann man glauben, die Lügen nicht!"
Die moderne Hexenjagd in der dänischen Provinz.
In Thomas Vinterbergs "Jagten" (2012) geht es allerhöchstens am Rande um sexuellen Missbrauch von Kindern, der Regisseur nutzt diese heikle Thematik viel mehr als Katalysator für sein eigentliches Interesse: der Offenlegung sozialer und soziologisch-gesellschaftlicher Mechanismen, die (unter anderem) mit diesem Thema einhergehen können. Vinterbergs Film bewegt sich hier durchaus auf den Spuren von Filmen wie "Straw Dogs" oder Cronenbergs "A History of Violence", die sich auf ähnliche tiefschürfende Weise mit Mechanismen der Gewalt auseinandersetzen.
In "Jagten" gerät der angesehene Kindergärtner Lucas (genial: Mads Mikkelsen) durch unglückliche Umstände in den Verdacht, sexuelle Übergriffe an einem Mädchen des Kindergartens begangen zu haben. Die Frage "Wie konnte es dazu kommen?" ist Vinterberg dabei weniger von Interesse als nun genauestens zu erforschen, was dies bei involvierten Mitmenschen bewirkt. Quasi als eine Art soziologischer Feldforscher möchte er in erster Linie die gruppendynamischen Prozesse aufdecken, die zur Folge haben, dass sich der Anfangsverdacht mehr und mehr hochschaukelt und gnadenlos verselbstständigt.
In herbstlich-grauen, nasskalten Bildern schildert Vinterberg präzise und allerhöchstens minimalst überspitzt die Wandlung eines einst angesehenen, unbescholtenen Bürgers zum Ausgestoßenen. Durch sichtlichen Übereifer, offensivem Misstrauen, einseitig-suggestiver Aufarbeitung des Falles und bisweilen gar (unbewusster-instinktiver) Schadenfreude wird der unschuldige Lehrer sozial radikal ausgegrenzt, sieht sich einer außer Kontrolle geratenen, verselbstständigten Lawine aus Rufmord, Hass und psychischer, beizeiten gar physischer Gewalt ausgesetzt.
Vinterberg möchte diesen Zustand beim Publikum gnadenlos erfahrbar machen, vermittelt eindringlich, welche Effekte dies insbesondere psychisch auf den Beschuldigten und seinen Angehörigen zur Folge hat. Wann läuft das Fass endgültig über und führt gar zu eigenen Maßnahmen bis hin zur (nachvollziehbaren?) Gegengewalt?
Die wahrscheinlich sogar größte Stärke von Vinterbergs Film liegt schlussendlich sogar seiner Ambivalenz begraben, denn bis zu einem gewissen Grad kann man die Taten der Involvierten, besonders der Familie des Kindes, absolut verstehen.
Wer würde nicht zuallererst seinem eigenen Kind glauben schenken, selbst wenn ein guter Freund eines schweren Verbrechens verdächtigt wird. Wenn man nun plötzlich gesagt bekommt, dein bester Feund hat dein Kind missbraucht, klar, da tickt womöglich jeder erstmal komplett aus. Es geht schlussendlich um die sachliche, nüchterne Aufarbeitung des Verdachtsfalls, ohne jegliche Vorverurteilung, hierfür benötigt man den Rechtsstaat, keine archaische, affektgeleitete Lynchjustiz.
Selbst gegen Ende, nach einem vermeintlich versöhnlichen Abschluss für alle Beteiligten, bleibt Vinterberg gnadenlos ehrlich wie ambivalent. Selbst als erwiesenermaßen Unschuldiger bleibt in der Gesellschaft "etwas haften", du bist bei einigen Menschen unbewusst gebrandmarkt, dein ganzes Leben.
"Jagten" ist eine ungemein hinterhältige, grausige Parabel über vorschnelle Verurteilung und fatale Gruppendynamiken in der Gesellschaft, was besonders in Zeiten von Social Media und der einhergehenden Anonymisierung (was hier gar kein Thema ist) brisanter denn je ist. Ein Meisterwerk
Hot sweaty Florida Nights.
Als zweite Station im Zuge des Noirvembers verschlägt uns Lawrence Kasdans Regiedebüt "Body Heat" (1981) in die schwül-verschwitzten Küstenregionen Floridas, unweit Miamis. Dort trifft der zwielichtige, mäßig erfolgreiche Anwalt Ned Racine (William Hurt) eines Abends auf die attraktiv-aufreizende, promiskuöse Matty Walker (Kathleen Turner), mit der der triebgesteuerte Anwalt von nun auf gleich eine leidenschaftliche Affäre beginnt, die sich schon in kurzer Zeit vermeintlich in wahre Liebe zu verwandeln scheint. Einziges Problem ist der an den Wochenenden auftauchende, jedoch zugleich enorm wohlhabende Ehemann von Matty, den sie von ganzem Herzen hasst. Deshalb schmieden die beiden einen verhängnisvollen Plan...
Beginnend in den 80ern bis Mitte/Ende der 90er Jahre erschienen einige Filme auf der Bildfläche ("Basic Instinct" als berüchtigte Speerspitze), die gemeinhin beiläufig salopp als "Erotikthriller" bezeichnet werden. Bei den meisten (und besonders den gelungeneren Beispielen) dieser Filme handelt es sich in der Regel um Variationen des Noir-Motivs, nur eben um eine deutliche Note sexueller aufgeladen bzw. wird das Spiel mit Anziehung, Begehren und der dadurch ermöglichten Manipulation nochmals stärker in den Fokus gerückt.
Den wahrscheinlich ersten Film (und definitiv einen der Gelungensten), der hier hinzuzuzählen ist, liefert Lawrence Kasdan Anfang der 80er Jahre, der maßgeblich von Billy Wilders "Double Indemnity" inspiriert eine grob vergleichbare Geschichte vom damaligen L.A. der 40er in das schwüle Florida der 80er verlagert.
Selten hat es dabei ein Film geschafft (mir fällt spontan noch "Angel Heart" ein), so greifbar ein Gefühl von Hitze und tropisch-schwülem Klima zu vermitteln, wie Kasdans Film. Schon ab der ersten Einstellung in "Body Heat" sehen wir, dass in diesem verloren Nest im amerikanischen Süden tatsächlich alle Menschen die ganze Zeit mächtig am Schwitzen sind. Deshalb agieren die Figuren (besonders Protagonist Ned) wie benebelt, von Sinnen, sind im Animalisch-Triebhaften gefangen, der Verstand bleibt auf der Strecke.
Kasdan schildert uns einen dauerrattigen William Hurt mit Porno-Schnorres als tragischen Spielball von Kathleen "The Vamp" Turner, die als irre heißer Feger eine fantastische Femme Fatale Darbietung liefert. Dazu tönt passend John Barrys sleazig-fummliger Jazz-Score zum bösen, aber geilen Spiel nur so um die Ohren.
Regisseur Kasdan findet für seine Geschichte jederzeit eine schlüssige, passende Ästhetik, nutzt tagsüber extremen Weichzeichner, der die Sicht unklar, aus den Fugen und verschwommen zeigt. Nachts kommen die klassischen Noir-Strategien zum Einsatz, mit harten Kontrasten, artifizieller Beleuchtung sowie dem gekonnten, alptraumhaften Spiel mit Licht und Schatten.
Als einziger deutlicher Kritikpunkt sollte erwähnt werden, dass Kasdan damit inhaltlich das Rad nun wirklich nicht neu erfindet und im Grunde ziemlich einseitige Figuren (Noir-Archetypen, "The Vamp" sagt schon alles) entwirft, daraus in diesem Fall aber genauso maßgeblichen Reiz schöpft. Zumindest meint man ganz zum Schluss eine vage Note Ambivalenz zu entdecken, denn Reichtum in exotischer Einsamkeit scheint dann doch nicht vollends auf allen Ebenen Erfüllung zu bieten.
Kleiner, heimlicher Neo-Noir Geniestreich
"Was he really going away with her?"
Jeff Bailey (Robert Mitchum) ist Inhaber einer Tankstelle in der idyllischen, verschlafenen Kleinstadt Bridgeport, Kalifornien, unweit der Sierra Nevada. Dort führt er eine glückliche Beziehung mit der Einheimischen Ann Miller.
Des Leben scheint hier perfekt. Doch mit der Ankunft des zwielichtigen Joe erhält die Idylle merkliche Risse. Der Fremde arbeitet für den charismatischen Gangsterboss Whit Sterling (Kirk Douglas) und ist Jeff Bailey wohlbekannt. Einst arbeitete Bailey als Privatschnüffler und erhielt den verhängnisvollen Auftrag, die Geliebte Cathy (Jane Greer) von Gangsterboss Whit aufzuspüren. Doch als er sie in Mexico gefunden hatte, verfiel er der lasziven, attraktiven Frau mit Haut und Haaren...
Mit "Out of the Past" (1947) inszenierte der französische Regisseur Jacques Tourneur einen der prototypischsten, essenziellsten Film Noirs der 40er Jahre, der alle erzählerischen wie inhaltlichen Motive der Strömung kompakt und prägnant auf den Punkt bringt. Eine fatalistische Kriminalgeschichte, in der das zukünftige Glück im Leben von Hauptfigur Jeff durch seine verhängisvolle Vergangenheit längst zur Utopie verkommen ist. Deine Taten holen dich irgendwann wieder ein, no matter what.
In cleverer, teils flashbackartiger Erzählweise, sprunghaft und mit allerlei Aussparungen vorgetragen. Sehr beindruckend gestaltet sich insbesondere der Umstand, wie Tourneur im Speziellen das Spiel mit den Auslassungen forciert und auf die Spitze treibt, so dass ZuseherInnen ein ums andere Mal selbst die Geschichte zu Ende denken und vervollständigen müssen. Konsequent werden Plotdetails bewusst ausgespart und narrative Gewissheiten vermieden, alles bleibt merkwürdig sprunghaft und vage in den Kausalitäten.
Eine ähnliche Strategie verfolgt Tourneur klassisch der Tonalität des Film Noirs folgend bei seinen Figuren, die allesamt durchweg schemenhaft, so ambivalent wie rätselhaft bleiben, indem ihnen mitunter auch wenig bis kaum Hintergrund gestattet wird. So bleibt beispielsweise bis zum Ende die vermutete Femme Fatale Figur Cathy, toll gespielt von Jane Grier, ein einziges Mysterium, deren Handlungsmotive nie wirklich klar werden. Ihre Figur wird zwar vorerst klar Femme Fatale - artig angelegt, dennoch bleiben Zweifel. Einerseits kann ihr Verhalten genauso gut als Abwehr- und Überlebensstrategie in einer kriminellen, männerdominierten Welt verstanden werden. Zudem wird sie oftmals als subjektive Erzählung in Jeffs Flashbacks inszeniert, es gibt also schon eine subjetiv überformte Perspektive auf sie, die das Geschehen in einer unklaren Schwebe hält. Mit solchen perspektivischen Ambivalenzen arbeitet Tourneur andauernd, um das Publikum ständig neu herauszufordern.
Zusätzlich findet Tourneur gerade in Hälfte zwei (der Film ist deutlich in zwei Hälften gegliedert), wenn sich einige Plotelemente wiederholen und Figuren wie Spiegelbilder neu auftreten (Lynch hat hier gut hingesehen), eine wunderbar (alp-)traumhafte Ästhetik, mit extrem harten Schatten, ungewöhnlichen Perspektiven und irrealen Day for Night-Einstellungen.
So entsteht ein zeitloser, makelloser Klassiker des Film Noirs.
Paul Schraders Remake von Jacques Tourneurs gleichnamigen Noir-Klassiker erweist sich als optimale Brücke vom Shocktober zum Noirvember, verbindet Schraders betörendes, phantasievolles Werk doch beide Stilrichtungen auf konzentrierte und doch beizeiten höchst eigenwillige Art und Weise. Im Vergleich zum (ebenso großartigen) Original ist Schraders Film sexuell um eine merkliche Note aufgeladener, aufreizender, zudem wird der Fantasy-Noir-Vibe des 40er Jahre Films um einige Horror-Elemente erweitert.
Herausgekommen ist ein mysteriöses, traumartiges und atmosphärisch phantastisch bebildertes Märchen irgendwo zwischen Erotik-Thriller, Neo-Noir und bizarrem Body-Horror, welches nicht unbedingt als rasanter Suspensefilm verstanden werden will, sondern beinah ausschließlich über seine faszinierend-betörende Grundstimmung zu fesseln weiß.
Da setzt Schrader gleich mit der Intro-Sequenz ein ganz dickes Ausrufezeichen, die ein mysteriöse Ritual schildert, in welchem eine attraktive Frau in dem surreal-träumerischen Setting einer blutroten Wüste scheinbar einem Panther geopfert wird. Im Anschluss scheinen die Umstände vorerst geerdeter, als die junge Frau Irena (Nastassja Kinski) nach langer Zeit ihren merkwürdigen Bruder Paul (Malcolm McDowell) in New Orleans besucht, den sie seit dem Tod ihrer Eltern in Kindheitstagen nicht mehr gesehen hat. Schrader schildert vortan einen dezent entrückten, mystischen Neo-Noir Thriller mit Nastassja Kinski als ungewollte, metaphysische Femme Fatale, die auf der Suche nach Antworten bezüglich ihrer Herkunft immer mehr mit der Abgründigkeit ihrer eigenen (monströsen) Sexualität konfrontiert wird. Denn Sexualität bedeutet für Cat People, die sich fortlaufend immer deulicher als tragische Existenzen entpuppen, den Katalysator für barbarische Gewalt.
Auch weil Schrader seine morbide, unheilvolle Geschichte, von Giorgio Moroders sleazigen Synthie-Score passend unterlegt, mehr und mehr mit Horror- und fantastischen Elementen erweitert, gelingt es mit ihm auf sehr geschickte Weise einen doppelbödigen, ambivalenten Schwebezustand zwischen Abgrund und Faszination herzustellen. Sexualität als vorerst sinnlicher, betörender Akt, der in brutale Gewalt umschlagen kann (ob Claire Denis für ihren "Trouble Every Day" womöglich hier inspiriert wurde, Parallelen liegen zumindest klar auf der Hand). Schlussendlich findet Schrader keine befriedigende Lösungsansätze, nur im Tod oder in dem Wegsperren, der Unterdrückung von Sexualität, kann das Raubtierhafte kontrolliert werden. Wunderbar faszinierendes Kino, sehr underrated.
„Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst. Fasst mich doch an und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht.“
Grausame Morde, eine rätselhafte Seuche, Schamanismus, wütender Exorzismus, Zombies, ein böser Fluch?
Nachdem der koreanische Regisseur Na Hong-Jin mit The Chaser und The Yellow Sea schon zwei Highlights des koreanischen Thrillers hervorgebracht hat, gelang ihm mit dem bizarren wie verstörendem Genremix "The Wailing" (2017) seine wohl bisher stärkste, ganz sicher aber seine faszinierendste Arbeit.
Sein fast schon überladener, zermürbender und dabei dennoch sehr rund erscheinender Film enthält laut Aussagen des Regisseur sogar vorsichtig autobiographische Züge, denn das Drehbuch wurde demnach stark durch einige rätselhafte Todesfälle im privaten Umfeld des Regisseurs beeinflusst. Definiv beeindruckend gestaltet sich die Tatsache, dass Na Hong-Jin diverse Themen wie Religion, Schamanismus oder Fremdenhass sowie unterschiedlichste Genre-Elemente jederzeit schlüssig und smooth unter einen Hut bekommt. "The Wailing" bedient spielend leicht vom Neo-Noir-Police Procedural, mit beizeiten Züge einer heiteren Comedy, düsteren Seuchenfilm bis zum okkulten, halluzinierenden Horror mehrere Genres und entfacht dabei das pure Grauen.
Im ersten Drittel erscheint das Geschehen vorerst wie ein rätselhafter Kriminalthriller, in dem die stümperhaften Polizisten rund um den Familienvater Jong-goo (Do-won Kwak) versuchen, eine mysteriöse Mordserie aufzuklären, wobei die unterschiedlichen Täter scheinbar durchweg wahnsinnig geworden sind und seltsame Krankheitssymptome auf keine übliche Mordserie schließen lassen.
Indem der Regisseur die ermittelnde Hauptfigur und seine hasenfüßigen Kollegen erstmal recht tollpatschig und ängstlich erscheinen lässt, werden insbesondere zu Beginn oftmals schön humoristische Elemente in die Handlung eingewoben, welche die ansonsten bedrückende Grundstimmung keineswegs unterlaufen, sie viel mehr geschickt um eine weitere irritierende Ebene erweitern.
So gelingt es Na Hong-Jin vom Start weg durchgängig eine Atmosphäre des permanenten Unbehagens zu erschaffen, indem er schon im ersten Drittel einige regelrecht furchteinflößende Impressionen inszeniert, die wirken, als stammten sie direkt aus der Hölle.
Indem Polizist und Familienvater Jong-goo im Filmverlauf mehr und mehr persönlich in den Fall involviert wird und damit einhergehend Elemente eines bedrückenden Familiendramas in die Handlung eingefädelt werden, ändert sich der Tonfall des Films nochmals deutlich und der Regisseur entfacht mehr und mehr einen nihilistischen Höllenritt.
Mit beeindruckenden Montagen (doppelter Exorzismus, Finale), drückenden Soundkulissen, markerschütterdem Exorzismus und kurzen fiesen Gewaltspitzen erschafft der Film dabei eine irre Stimmung irgendwo zwischen rästelhafter, abgründiger Faszination und alptraumhafter Sogwirkung.
Spätestens im diabolischen Finale, das in seiner pessimistischen Grimmigkeit und Kompromisslosigkeit dann schon überrascht, werden ZuseherInnen schlussendlich zermürbt, erschöpft, betroffen aber zugleich auch merkwürdig berauscht zurückgelassen.
Sicherlich einer der stärksten, einnehmendsten wie eindringlichsten Horrorfilme der letzten Dekade.
Kleiner, fieser Psychothriller aus den frühen Neunzigern.
Nach dem Tod seiner Mutter wird der 12-jährige Mark (Elijah Wood) zu Tante und Onkel gebracht, um aufgrund einer Geschäftsreise seines Vaters den trauernden Jungen ein wohlbehütetes Heim zu bieten. Dort lebt jedoch auch der gleichaltrige Cousin Henry (Macaulay Culkin), der stark verhaltensgestört ist und offensichtlich ausschließlich Böses im Schilde führt...
In stimmungsvoll-beunruhigender Winter-Stimmung schildert Regisseur Joseph Ruben in Folge des Todes seiner Mutter den Einzug des Irrationalen in Marks Leben. Der psychopathische Henry fungiert als das personifizierte Böse, vergleichbar mit Damien aus "The Omen", der das Leben seiner Familie unter dem Deckmantel des kleinen lieben Jungen zur Hölle macht.
Aufgrund des extremen Ausmaß seiner Taten und dem zusätzlichen Umstand, dass Ruben dem Publikum keinerlei Erklärungsansätze für sein Verhalten liefert, ist "The Good Son" (1993) auschließlich als reinrassige, in eine bedrohliche Stimmung getauchte Genre-Kost gut konsumierbar. Sicherlich bietet Rubens Film zusätzlich durchaus interessante Interpretationsansätze. Da wir vorwiegend die Perspektive des trauernden Marks teilen, kann Henry als das reine Böse genauso gut als Metapher auf Marks Kampf gegen die Trauer und den Verlust verstanden werden, die final besiegt werden muss. Dennoch scheint mir Regisseur Ruben nicht wirklich an solch allegorischen Lesarten interessiert zu sein, viel mehr liefert er einen atmosphärisch dichten, auf den Thrill fokussierten Genrefilm ab; schnörkelloses, geradliniges Spannungskino, was ihm durchweg ordentlich bis gut gelingt.
The Power of the Audio.
Der britische Movie-Sound Engineer Gilderoy (Toby Jones) ist auf Montage in einem Tonstudio in Italien, wo ihn die Produzenten eines italienischen Horrorfilms namens The Equestrian Vortex für die Tonspur engagiert haben. Der introvertierte Brite fühlt sich jedoch von Anfang an unwohl mit der extrovertierten Art der italienischen Produzenten, da er zusätzlich auch kein Wort italienisch versteht. Während der Mann nun morbide Geräusche auf die Tonspur bringt, bröckelt um ihn herum merklich die Fassade der Realität...
Peter Stricklands "Berberian Sound Studio" (2012) benutzt seine Verweise zum italienischen Horrofilm in erster Linie als stimmungsvolles Meta-Kino, welches die Grundelemente des Kinos, Bild und Ton, separiert, um die ganze suggestive Kraft des Sounds zu reflektieren und dem Publikum vorzuführen. Mit viel Liebe zum Detail schildert der Film die komplexe analoge Entstehung des Sounddesigns eines italienischen Horrorfilms, für die der britische Soundexperte sorgen muss. Einzelne Sound-Komponenten, wie Soundeffekte von Kills, müssen sorgfältig nachproduziert und exakt in die vorhandene Score- und Tonspur integriert werden. Die klare Message: Der wahrhaftige Horror nistet sich erst suggestiv über den Sound im Kopf des Zusehers ein, denn trotz fehlender Visualität (des gedrehten Films) ist die Wirkung von Stricklands Film fulminant.
Was jedoch auch daran liegt, dass Strickland nach und nach seine oftmals mit herrlich schräg-verschrobenen Humor durchsetzten Meta-Spielereien um die zusätzliche Ebene eines unerwartet gespenstischen Psychothrillers erweitert. Denn je länger der introvertierte Gilderoy dem dubiosen Verhalten der Produzenten mit einer ordentlichen Dosis Machismo, Sexismus und Feindseligkeit ausgesetzt ist, umso labiler scheint seine wohl schon zu Beginn angeknackste Psyche zu werden.
So kann das Publikum der Wahrnehmung seiner Figur wie auch seiner eigenen immer weniger trauen, wenn Realität und Einbildung erst schleichend, dann ab einem gewissen Punkt radikal verschwimmen, das Geschehen sich zum kafkaesken Wahn transformiert, mit bizarren, alptraumhaften Einschüben und surrealen Film-im-Film Elementen. Am Ende löst sich Gilderoys Psyche komplett auf, scheint im Angesicht der gleißend weißen Leinwand zu transzendieren. Weird? Weird!!
Ein starkes Stück wahnhaftes Horror-?, Thriller-?, Meta-Kino.
"I was born with a disfigurement where my head is made of the same material as the sun. It makes it impossible for you to look directly at me."
Zwei Menschen fühlen sich zueinander hingezogen, finden und verlieben sich. Beide teilen exakt diesselben Kindheits-Erinnerungen. Etwas ist in der Vergangenheit passiert, zu einer Zeit, wie ein einziger Filmriss. Es verbindet die beiden, ein Trauma. Das Publikum weiß bereits Bescheid, und doch gleichzeitig gar nichts. Was verbindet Menschen mit Schweinen, Würmer mit Orchideen? Ein merkwürdiger Kreislauf (Kapitalismusmetapher?), der sowohl produktives als auch fürchterliches hervorbringt. Sounds Weird? Aber hallo!
Shane Carruths hypnotischer LowBudget-Trip "Upstream Color" (2013) fühlt sich an wie ein einziger Traum, der ZuseherInnen in eine entrückte, verzerrte Paralleldimension entführt. Suggestives, bedrohlich-tranceartiges Stimmungskino, auf den Spuren von Lynch, Malick und dem frühen (Shivers-)Cronenberg. Mit rein assoziativer Erzählweise, einem sphärischen Indie-Electro Score und dröhnenden Soundscapes schildert Carruth ein bizarres Kreislauf-Szenario, das es mehr zu fühlen als zu verstehen gilt. Klar, einige Interpretationsansätze liegen auf der Hand. "Upstream Color" lässt ohne Frage eindringlich die Folgen eines Traumas erlebbar machen. Das man sich anschließend zu Menschen hingezogen fühlt, die Ähnliches erlebt haben und einen dadurch besser verstehen. Man sich allerdings nur selbst helfen kann, ansonsten zieht man sich zu zweit nur noch mehr in die Tiefe. Zudem bietet sich die Kapitalismusmetapher definitiv als Lesart an. Dennoch bleibt "Upstream Color" auch bei Mehrfachsichtung schwer zu fassen, ist und bleibt ein einziges, rätselhaftes Faszinosum.
Allerdings wird Multitalent Carruth, der hier nicht nur als Regisseur fungiert, sondern auch selbst (überzeugend) eine Hauptrolle übernimmt und sich zusätzlich noch für den Score verantwortlich zeigt, wohl keine große Rolle mehr in der Filmbranche spielen, seit 2020 Vorwürfe von Morddrohungen und sexuellen Übergriffen gegen Schauspielerin und Regisseurin Amy Seimetz (die hier die zweite Hauptrolle spielt btw.) öffentlich geworden sind.
Sehr unterhaltsame Horror-Anthologie aus asiatischen Gefilden.
"Three Extremes" (2004) beginnt mit dem ersten Beitrag "Dumplings" von Fruit Chan, dem schwächsten Part, wie ich finde. Chan inszeniert durchaus stimmungsvoll eine Art Horror-Groteske über Teigtaschen mit "speziellen" Zutaten, die vermeintlich für eine Verjüngungskur sorgen. Klingt krude, ist es iwie auch, aber schlussendlich weniger originell als vermutet. Aus der schon ziemlich morbiden, fiesen Grundidee holt Chan für meinen Geschmack schlussendlich deutlich zu wenig Wirkung heraus, Macht für diesen Part 6 von 10 Punkte.
Es geht weiter mit Chan-Wook Park, der mit "Cut" einen für den Regisseur gewohnt inszenatorisch großartigen Beitrag beisteuert. Er handelt von einem Regisseur (Byung-Hun Lee), der momentan an den Dreharbeiten eines Vampirfilms arbeitet. Eines Abends kommt er nach Hause und wird von einem unbekannten Eindringling in seinem Haus überrascht und überwältigt. Was nun folgt, ist ein reichlich irrer Abstieg in ein groteskes Home-Invasion-Szenario, surreale Meta-Spielereien, Film im Film Elemente, gewürzt mit bizarren Humoreinlagen und fieser Kopfkino-Violence. Von Park entsprechend auf audiovisuell großartigem Niveau präsentiert.
7,5 von 10 abgeschnittenen Fingern. "Cut"
Der finale Beitrag gehört dem japanischen Regie-Berserker Takashi Miike, der mit "The Box" einen wiederum außergewöhnlichen Kurzfilm präsentiert. In stimmungsvoller winterlicher Schneekulisse handelt Miikes Beitrag von einer Schriftstellerin, die durch eine Delirium zwischen Traum und Alptraum, geschriebener Fiktion und vermeintlicher Realität unherwandelt, dabei von einem qualvollen Kindheitstraumata heinmgesucht wird. Ähnlich wie in seinem Magnum Opus "Audition" erschafft Miike eine ruhige, schaurige Grundstimmung, findet geschickt die Balance zwischen tiefgründigem Drama und explizitem Genrefilm.
Macht ebenfalls 7,5 von 10 Punkten.
Insgesamt 7 von 10.
Paul Hyetts "The Seasoning House" (2012) ist schon der schauderhafte, verstörende Film, den sein Ruf verspricht. Geschildert wird der Alltag eines serbischen Bordells während des Balkan-Krieges; in der Perspektive der taubstummen Angel, die in das heruntergekommene, irgendwo im Wald abgelegene Bordell verschleppt wurde, nachdem ihre Familie von Soldaten brutal ermordet wurde. Da der Bordellchef Viktor sie lieber als "privates Mädchen" für sich selbst vorsieht, angeblich schwer verliebt ist, ist sie "nur" für die Pflege der oftmals schwer misshandelten Mädchen zuständig.
In extrem tristen, beinah komplett von jeglicher Farbgebung entzogenen Bildern, größtenteils in Slo-Mo, als würde die Zeit still stehen, inszeniert Regisseur Paul Hyett vorerst ein in eine extrem unangenehme, deprimierende Stimmung getauchtes Drama über Zwangsprostitution. Frauen die wie Vieh behandelt werden, mit Drogen vollgepumpt, werden endlos wieder und wieder brutal vergewaltigt.
Leise im Hintergrund meint man, eine wenig subtile Kapitalismus-Kritik auszumachen, doch das bleibt auch durch die weiteren Entwicklungen allerhöchstens schmückendes Beiwerk in diesem ungemein bedrückenden Terrorfilm.
Aus dem deprimierenden Drama formiert sich spätesten ab Filmmitte ein unvermittelt rasanter, ultra-brutaler Rape & Revenge Survival-Thriller mit nicht wenig Suspense und stellenweise extrem drastischer Gewalt. Auf sehr befriedigende Weise geht es nun (endlich) den Peinigern an den Kragen, die unbequeme Grundstimmung legt sich dadurch vorerst nun merklich. Leider gelingt es Hyett nicht wirklich, die typischen Genre-Fallen, wie die stellenweise extrem dummen Entscheidungen der Figuren, zu umschiffen. Zumindest findet der Regisseur mit der finalen Schlusseinstellung einen passend zynischen, treffenden Schlusspunkt, der das Geschehen halbwegs offen und doch zugleich hoffnungslos beschließt. Sehr harter Tobak, der so gar keinen Spaß bereitet.
Auch eine Qualität, Betonung liegt jedoch nachdrücklich auf "Qual".
"Es gibt nichts zu verstehen, gar nichts...; es gibt auch nichts zu erklären."
Irgendwo zwischen einem abgründigen Psychogramm, zermürbenden Manifest einer kriselnden Beziehung und dem frühem Giallo-Kino bewegt sich Elio Petris surreal-gespenstischer Psycho-Thriller in ganz eigenen wahnhaften Bahnen, welcher dem Publikum beginnend mit einem abstrakt-avantgardistischen Intro permanent den Boden unter den Füßen wegzuziehen vermag.
Im Mittelpunkt steht der exzentrische Maler Leonardo Ferri (wie immer stark: Franco Nero), der unvermittelt, spontan beschließt, ein seit Jahren verlassenes Haus auf dem Lande zu kaufen, auf dem sich vor dem zweiten Weltkrieg vermeintlich ungeklärte Morde ereigneten. Ganz zum Leidwesen seiner Freundin Flavia (Vanessa Redgrave), die sich in den maroden Gemäuern sichtlich unwohl fühlt. Unter anderem aufgrund rätselhafter Vorkommnisse und beunruhigender Geschichten rund um das Haus verliert der an einer Schaffenskrise leidende Maler mehr und mehr den Bezug zur Realität...
"Das verfluchte Haus" (1968) macht von Beginn an unmissverständlich allein über die Form klar, das das Publikum herausgefordert werden soll. Mit wilden Jump-Cuts, der klaustrophobischen Kameraführung ohne groß auf Establishing-Shots zurückzugreifen, und der schrillen, dissoziativen Tonspur hält Petri das Geschehen unmittelbar in einem Zustand permanenter Desorientierung, was den Film gerade anfangs relativ sperrig und anstrengend erscheinen lässt (man gewöhnt sich dann auch schnell daran).
Zudem gibt sich der Film relativ früh klar zu verstehen, dass hier mit den Konzepten des unzuverlässigen, elliptischen Erzählens gearbeitet wird. Lücken müssen demnach von ZuseherInnen selbst über die suggestive Art der Inszenierung erschlossen werden, genauso sollte schnell verstanden werden, dass der Wahrnehmung der Hauptfigur keineswegs zu trauen ist.
Mit den Mitteln des Haunted-House Films und des Psychothrillers möchte Petri hier in erster Linie den Zustand eines irrationalen, verirrten Geistes vermitteln; vorsichtig vergleichbar mit dem frühen Polanski formiert sich erlebter Wahn und vermeintliche Wirklichkeit zu einer neuen verzerrten Wahrnehmungsform, die Petri erst ganz zum Ende vorsichtig greifbar, jedoch keineswegs verständlich werden lässt.
Tolles (Genre?-)Kino aus Italien.
Philip Kaufmans Remake des gleichnamigen Klassikers von Don Siegel aus den 50er Jahren ist eine wunderbar beunruhigende Kombination aus Sci-Fi, Gesellschaftskritik, irritierendem Körper-Horror und dem zeitgeisttypischen Paranoia-Kino.
Kaufman inszeniert einen Film, der beinah ausschließlich von seiner gespenstischen Stimmung lebt.
Ein in kühl-unheimliche Bilder getauchtes San Francisco, mit düsterer Noir-Ästhetik, harten Schatten, irrealer Lichtsetzung und schrillen Sounds; wie eine apokalyptisch verzerrte Geisterstadt aus einer Paralleldimension. Bevölkert von apathischen, roboterhaft agierenden Doppelgängern.
Den Untergang der Menschheit findet Kaufmann in dem Verlust der Identität vor, dem Abgesang des Individualismus. Der Alltag wird zum grotesken, alptraumhaften Zerrbild.
Donald Sutherland, Brooke Adams und Jeff Goldblum, gefangen in einem fremdartigen Großstadt-Labyrinth, von Blicken verfolgt, verängstigt durch ständige Paranoia.
Minimal verliert Kaufmans Film in der zweiten Filmhälfte an unheimlicher Grundstimmung, wenn sich der Nebel mehr und mehr lichtet und die diffuse Bedrohung ein klareres Bild bekommt. Dennoch überrascht der Film auch hier noch mit schaurigen Horror Set-Pieces und bizarren Einfällen (die Hund-Menschenkopf Kombination, klasse), entsprechend veredelt mit höchst anständigen Practical Effects.
Abgerundet von einem wunderbar zynischen, pessimistischen Finale, welches in der gruseligen, ikonischen Schlusseinstellung eine Art filmische Interpretation von Edvard Munchs "Der Schrei" liefert.
Großartiges Paranoia-Horror Kino aus dem späten New Hollywood.
Mit "Martyrs" und "Ghostland" erschuf der französische Regisseur Pascal Laugier zwei der radikalsten wie erschütterndsten Terrorfilme des neuen Jahrtausends.
Sein deutlich zurückgenommeneres Spielfilmdebüt "Saint Ange" (2004) beschreitet dagegen noch maßgeblich andere Pfade.
Die junge, schwangere Anna wird im Jahre 1958 als Haushälterin in einem stillgelegten Waisenhaus eingestellt und beginnt recht schnell anzuzweifeln, dass an diesem Ort alles mit rechten Dingen zugeht. Unerklärliche Geräusche, Schritte und Kinderstimmen zeugen von einem dunklen Schatten, der sich über dem Haus als Zeugnis einer scheinbar unheilvollen Vergangenheit manifestiert. Und sie führt Anna mehr und mehr an den Rand des Wahnsinns...
Laugiers Debüt zeigt sogleich das ausgeprägte Talent des Regisseurs, stimmungsvolle, symbolisch aufgeladene Bilder zu komponieren, die jederzeit eine latente Düsternis transportieren. Die fraglos abgegriffene Ausgangssituation, die frappierend an J.A. Bayonas drei Jahre später erschienenen "Das Waisenhaus" erinnert, nutzt der Regisseur weniger als stringent vorgetragene Narration, viel mehr möchte Laugier auf subtile, geradezu minimalistische Weise seine bewusst vage und brüchig dargebotene Geschichte über Stimmungen und Eindrücke vermitteln.
Call it Visual Storytelling. In sehr entschleunigten, oftmals durch irritierende Winkel entrückt wirkenden Einstellungen erschließt Laugier Innenräume der verlassenen Einrichtungen, transportiert dabei immerzu eine latent unheilvolle Note in seinen Bildern.
Zugleich wird jederzeit die volle Aufmerksamkeit des Zusehers eingefordert, denn früh wird klar gemacht, dass der Psyche von Hauptfigur Anna nicht immer vollends zu trauen ist. Irgendwo zwischen Haunted-House Grusel, Charakterdrama und entrücktem Psychothriller hält Laugier die Grenze zwischen Realität und Einbildung durchweg in einem fragilen, trügerischen Zustand, zu trauen ist den atmosphärischen, symbolhaft aufgeladenen Bildern nie komplett, was einen großen Reiz des Films ausmacht.
Dennoch macht er es dem Publikum alles andere als leicht, denn "viel" passiert in "Saint Ange" nun wahrlich nicht, das vorgelegte Erzähltempo ist zusätzlich mehr als entschleunigt, beizeiten fast im Stillstand stehend. Auch nach dem surrealen Finale, in dem Laugier abermals wie auch im späteren Nachfolger gesellschaftliche Abgründe im (verdrängten) Keller-Untergrund vorfindet, bleibt eine vage Ungewissheit über dem schlussendlich recht eigenwilligen Film, welchen Laugier mit einem wunderbar rätselhaften Schlussbild passend beschließt.
Der wahrscheinlich schwächste Film in Laugiers Euvre ist immer noch ein gelungener, gut schaubarer Genrefilm.
Vinyan: eine rastlose Seele voller Dunkelheit, deren Mensch einen grausamen Tod gestorben ist.
Nach dem ultra-beklemmenden, entrückten Terrorfilm "Calvaire" verschlägt es Regisseur Fabrice du Welz mit seiner zweiten Regiearbeit "Vinyan" (2008) in den tiefsten Dschungel Burmas. Ein Ehepaar auf der Suche nach ihrem verschollenen Sohn, der vor sechs Monaten in Folge eines Tsunamis spurlos verschwand. Nun behauptet die schwer vom Verlust gezeichnete Mutter Jeanne, ihren Sohn in einem Videoclip über obdachlose Kinder in Burma entdeckt zu haben. Widerwillig lässt sich ihr Ehemann Paul, der insgeheim längst die Hoffnung auf einen noch lebenden Sohn aufgegeben hat, auf die kostspielige Suche ein...
Wie auch das Regiedebüt des belgischen Regisseurs ist auch "Vinyan" ein ganz und gar eigenwilliges, ambitioniertes Werk geworden. Vorsichtig erinnernd an Meisterwerke wie Nicolas Roegs "Dont Look Now" oder von Triers "Antichrist" nutzt du Welz den (vermeintlichen) Tod des Sohnes bzw. im Speziellen die Suche nach ihm, um eine toxische, aus den Fugen geratene Ehe-Konstellation und den Umgang mit Verlust über Symboliken und irreale Verflechtungen begreifbar werden zu lassen.
Obwohl der Film zu Beginn klar in der Realität verankert scheint, dringt der Regisseur früh zwischen atmosphärischen Landschaftskompositionen, fiebrig-klaustrophobischen Großstadt-Impressionen und seinem dröhnendem Soundscapes in das traumatisierte Unterbewusstsein des Ehepaars hervor; webt surreale Traum- und Schreckensvisionen in die zunehmend sprunghafte, elliptische Erzählweise ein.
Mit voranschreitender Suche lässt du Felz die gegensätzlichen Ansichten und Umgangsweisen des Ehepaars mit ihrem Verlust immer deutlicher aneinanderprallen. Westliche Rationalität vs. östliche Mystik und Mythologie, dieser Clash scheint anfangs als übergreifende Fragestellung zu fungieren. Wie kann man Verlust akzeptieren bzw. ihm ins Auge blicken? Vorerst klar abgrenzbar, der rationale Mann im Gegensatz zum zwischenweltlichen Glauben der Frau (interessante Paralellen wieder zu "Dont Look Now" und "Antichrist"). Doch so einfach möchte es du Welz dem Publikum schlussendlich nicht machen, die Grenzen werden mehr und mehr verwischt. Die anfangs noch malerischen Aufnahmen der hiesigen Landschaft gewinnen merklich an entrückter und gespenstischer Note, bis im Dschungel irgendwann vollends das Spirituell-Übernatürliche überhandnimmt.
Am Ende schildert dieser "Apocalypse Now"-artige Wahnsinnstrip ins dunkle Herz die Erkundung der eigenen Finsternis: Der Unmöglichkeit von Akzeptanz. Man kann einen Verlust des eigenen Kindes begreifen, versuchen einen Umgang zu finden. Akzeptieren jedoch niemals. No Way
Beunruhigend-faszinierendes, tranzendentales Psycho-Kino.
Ein wahrhaft hinterhältiges Biest, welches Regisseur Shawn Linden hier vorlegt.
Im Zentrum des Interesses stehen Joseph und seine Frau Anne, die zusammen mit ihrer Tochter fernab der Zivilisation ihren Lebensunterhalt als Pelztier-Jäger bestreiten. Als Joseph sich auf die Suche nach einem besonders gefürchtetem Wolf begibt, lässt er die beiden Frauen allein in ihrer Holzhütte zurück. Jedoch wird das Warten auf seine Rückkehr für die beiden zu einer reinen Tortur, denn der Funkkontakt bricht ab und auch nach mehreren Tagen ist der naturerprobte Familienvater nicht zurückgekehrt. Als sie plötzlich einen schwer verwundeten Fremden auffinden, nehmen die Geschehnisse einen äußerst unheilvollen Lauf...
Mit "Hunter Hunter" (2020) inszeniert Shawn Linden einen spiralförmigen Trip in den Abgrund, der in seinem Zusammenspiel aus grausig-bedrohlicher Grundstimmung, entschleunigter, gleichwohl unberechenbarer Erzählweise und seiner dringlichen, symbolhaft aufgeladenen Bildsprache ein unbehagliches Delirium erschafft, welches ZuseherInnen bis zum Ende fest unklammert.
Dabei ist lange Zeit überhaupt nicht klar, wo hier überhaupt die Reise hingehen soll, worin sicherlich einer der maßgeblichen Stärken von Lindens Film liegt. Diese mysteriöse, latent beunruhigende Aura der Beklemmung, ewas unheilvolles kriecht hier von Beginn an durch das Geäst. Doch was genau vor sich geht, übersetzt Linden lange Zeit nur in vage Ahnungen. Immer wieder werden merkwürdige, suggestive Andeutungen gemacht, falsche Fährten gelegt, beizeiten umhüllt gar ein märchenähnlicher, parabelhafter Schleier das Geschehen.
Die Angst vor dem großen, bösen Wolf, lauernd im dunklen Wald.
Hier und da weht atmosphärisch wie inhaltlich eine kräftige Prise von Jeremy Saulniers großartigem "Hold the Dark" durch die finsteren Wälder, auch wenn Linden final differente Arrangements findet.
Und meine Herren, der Finish hat es mal so richtig in sich. Zwischen fiesem Kopfkino, purem Terror und drastischen, blutigen Exzessen eskaliert das Geschehen in eine grausige, verstörende Gewaltspirale, die im Anschluss erst einmal wieder verdaut werden will. Ob diese krassen Entwicklungen gegen Ende im Hinblick auf vorangegangene Charakterzeichnung wirklich schlüssig dargeboten wird, sei allerdings mal dahin gestellt.
Gnadenlos finsterer Genre-Bastard irgendwo zwischen parabelhaftem Folk-Horror Märchen, ruppigem Suvivalfilm und fiesem Psycho-Thriller. Geil
Flottes, spaßig-immersives Thrillerkino aus Norwegen.
Morten Tyldums Thriller "Headhunters" oder "Hodejegerne" (2011) beschreibt die Läuterung eines arrogant-oberflächlichen Arschlochs, des schmierig-unsympathischen Headhunters Roger Brown.
Tyldums Film beginnt seicht als lässig und stilsicher aus der Hüfte geschossener Heist-Movie, dies jedoch angenehm packend und flott erzählt. Man darf der durchaus abstoßenden Hauptfigur zusehen, wie er in steriler Hochglanz-Business Umgebung pseudo-kluge Weisheiten von sich gibt, geschäftliche Meetings durchgetaktet wie abgebrüht runterkurbelt. Als geheimes Doppelleben darf er sich dagegen als Einbruch-Profi zeigen, der es auf bedeutende Gemälde abgesehen hat. Dazu gibt es obendrein eine erkaltete Ehe mit einer weitaus attraktiveren Ehefrau, die (Ehe) auch aufgrund der schieren Großkotzigkeit des Protagonisten tendenziell schwer nachvollziehbar wirkt.
Mit dem Auftreten von Nikolaj Coster-Waldau, der mit seinem charismatisch-bedrohlichen, selbstsicheren Auftreten sich als vermeintlicher Mandant zu erkennen gibt, wird Rogers Leben wie der Film gehörig ins Wanken gebracht. Urplötzlich zieht Tyldum gewaltig an und schickt den Protagonisten, der gandenlos in die Ecke gedrängt wird, und ZuseherInnen in eine atemlos-adrenalingeladene Hetzjagd, mit leichten Anflügen aus Survival- und gar Terrorkino wird es dann auch ganz schön ungemütlich. Auch weil Tyldum immer wieder herrlich fiese Set-Pieces (Fäkal-Grube, Polizeiauto-Crash) vorfindet und diese mit ordentlich Gewalt und bisweilen derben Effekten ansprechend garniert.
Zwar erweisen sich die finalen Wendungen als ordentlicher Bullshit und auch die moralisierende Endpointe ist kaum bis gar nicht glaubwürdig umgesetzt worden, den Mut zum Pulp fand ich jedoch spontan auch nicht unbedingt unsympathisch.
Packendes, mitunter bedrohliches, pulpig-überdrehtes Spannungskino.
Mal überlegen, wann ich bei Filmen zuletzt "was im Auge hatte". Sind zumindest nicht die üblichen Verdächtigen, die man sonst erwarten würde.
Zuallerest definitiv Mark Forsters "Stay" (2005), auch insbesondere bei Mehrfachsichtung. Gibt keinen Film, der das "Abschied nehmen" und loslassen gefühlvoller vermittelt. Die klare nummer eins, was das angeht.
Wahrscheinlich auch etwas weniger der ähnlich gelagerte "death-accepting-movie" "Jacobs Ladder" (1990) von Adrian Lyne. Dieses Filmmotiv scheint iwas bei mir zu triggern.
"Oldboy" und "Mulholland Drive" womöglich auch etwas, hier ist es mehr die Mischung aus plättender Geschichte und genial-transzendierender Seherfahrung.
Ansonsten am ehesten, wenn ich micht recht erinnere, bei "House of Sand and Fog" von 2003 (tolles Drama), beim schon erwähnten "The Broken Circle" und am Ende von "Donnie Darko", wegen Gary Jules unglaublichem "Mad World".
Zuletzt auch noch bei der finalen Sequenz aus Refns "Drive", wenn zum großartigen "A Real Hero" Gosling mit trauriger Mimik durch die nächtlichen Straßen L.A.s fährt und Carey Mulligan ihn nicht mehr in seiner Wohnung vorfindet.
Das sollte alles gewesen sein.
Leben im Stillstand.
"Shame" (2011) von Steve McQueen erkundet auf ausdrucksstarke Weise das Leiden eines hypersexuellen Mannes. In einem sterilen, fröstelnd-unterkühlten New York, das mit seinen Hochhaus-Schluchten und reflektierenden Fassaden aus Glas und Metall perfekt das symbolhafte Gefängnis darzustellen vermag, wandelt der attraktive Brandon (grandios: Michael Fassbender) als gutaussehende, aber seelisch leere Hülle durch ein Teufelskreis aus Selbstzerstörung, fehlgeleiteter Triebabfuhr und deprimierender, zwanghafter Einsamkeit.
An seiner Tagesordnung steht beiläufiger, anonymer Sex als reiner, für kurze Zeit triebstillender Konsum, ob mit Prostituierten oder unbekannten Frauen, kurz mal durch Blickkontakt in der Bahn aufgerissen wie ein rastloses Raubtier auf dem Beutezug.
Wie eine unentrinnbare, spiralförmige Zwangsstörung, eine getriebene Existenz; notfalls wird die Toilette auf der Arbeit als Masturbations-Gelegenheit missbraucht oder nebenbei zum Abendessen der erstbeste Porno angeschalten. Eine "normale", geregelte Beziehung mit echten Gefühlen und Intimität ist für ihn schon lange zur Utopie verkommen.
Steve McQueen schildert dies jedoch nicht als klassisches Erzählungkino mit übergeordnetem Spannungsbogen. Das ist eine reine Charakterstudie, eine zermürbende, destruktive Momentaufnahme, die von McQueen ohne Dramaturgie dialogarm rein über Form und Audiovisualität, Fassbinders ausdruckstarkem Spiel und Stimmungen wie Eindrücken vermittelt wird.
"Shame" gelingt dabei genau das außerordentlich gut. Ohne jedwede Hintergründe und ohne (fade küchen-) psychologische Erklärungen lernt man Brandons Figur und sein schmerzhaftes Innenleben viel mehr über die exakt durchkomponierte, kühl-abweisende Bildsprache und die sphärischen Sounds zu verstehen, wo jeder Blick von Fassbinder mehr übermittelt als es Worte jemals bewirken würden. Zudem verweigert McQueen seiner Hauptfigur beinah komplett jegliche Katharsis; es gibt auch am Ende keine Heilung oder offensichtliche Charakter-Wandlungen, auch wenn man zumindest meint, ein immer noch entferntes Licht am Ende des Tunnels zu erblicken. Unbequemes, zermürbendes, tolles Kino.
Giuseppe Tornatores "Una Pura Formalita" (1994) beginnt mit unklaren, verirrten Eindrücken eines beunruhigenden Ereignisses.
Der Lauf einer Pistole. Ein Schuss, der abgefeuert wird. Es folgen subjektive Bildfolgen einer POV-Perspektive; ein Mann, der scheinbar verwirrt und ziellos-stolpernd durch ein abgeschiedenes Waldgebiet irrt. Dazu die schrill-unbehaglichen Geigentöne von Meister Ennio Morricone, die sogleich eine beunruhigende, zugleich geheimnisvolle Grundstimmung entfachen.
Nach diesem eindrucksvollen, immersiven Intro wird der verstörte, wie sich zudem herausstellt erinnerungslose Mann (Gerard Depardieu) von Polizisten aufgegriffen und auf ein Polizeirevier gebracht. Er solle dort auf den örtlichen Kommissar (Roman Polanski) warten. In der Folge gibt sich der rästelhafte Mann als der berühmte Schriftsteller Onoff zu erkennen, der jedoch schon Jahre kein neues Buch mehr veröffentlicht hat, da er laut Medienberichten in eine tiefe Schaffenskrise gestürzt sei. Nachdem der Kommissar schließlich auf dem Polizeirevier eintrifft und das Verhör startet, stellt sich schnell heraus, dass dieser ein großer Bewunderer des Schriftstellers ist, der sogar ganze Textpassagen zitieren kann. Doch während des Verhörs erweist sich der von Gedächtnislücken geplagte und dunklen Geheimnissen umgebene Mann als rästelhaftes Mysterium, der sich immmerzu weiter in Widersprüche verwickelt...
Tornatore inszeniert mit "Una Pura Formalita" einen von melancholischer, elektrisierender Spannung durchzogenen, elegant-doppelbödigen Kammerspiel-Thriller aller erster Güte, der in dem Zusammenspiel aus wunderbarer Bildsprache, vieldeutiger Symbolik, dem fantastischen Schauspiel und seiner undurchsichtigen Geschichte locker zum erweiterten Thriller-Kanon der 90er zählen darf.
Schon früh wirkt das Setting und die Räumlichkeiten des abgeschiedenen Polizeireviers, in dem sich das zentrale Verhör abspielt, dezent unwirklich und vage von der Realität entrückt.
Der unaufhörliche auf das Dach prasselnde Regen dringt beinah sinnflutartig in die Innenräume des Polizeireviers, als würde er verdrängte Geheimnisse und fatale Erinnerungen langsam aber sicher wieder an die Oberfläche spülen.
Nachdem Tornatores Film in den durchweg brillant geschriebenen Wortgefechten der großartig aufspielenden Hauptdarsteller anfangs noch auf auflockernde schwarzhumorige Elemente zurückgreift, erhält "Una Pura Formalita" fortschreitend mehr und mehr bedrohlichere Züge. So erweitert der Regisseur nach und nach sein knisterndes Kammerspiel-Setting um abgründige Psychothriller-Elemente, indem die düstere Vergangenheit des Schriftstellers immer wieder in Form von rätselhaften, kurz aufblitzenden Montagen und unklaren Erinnerungsfragmenten ergründet wird, die Tornatore stilsicher in die Verhörsituation integriert. Zusätzlich gewinnt sein Film gleichermaßen mehr und mehr an surrealer Note, wenn das Polizeirevier irgendwann durch den Regen schon halb durchflutet wirkt und die zuvor angedeutete Symbolik immer stärker in den Fokus rückt.
Spätestens durch das bei Erstsichtung durchaus überraschende Finale, welches die wichtigsten Fragen beantwortet und die im Laufe des Films subtil etablierte Symbolik plötzlich in einem komplett anderen Licht stehend schlüssig erscheinen lässt, offenbart "Una Pura Formalita" seine ganze tragische Dimension und entlässt Zuseher*innen mit einem melancholischen, überaus geplättenden Gemütszustand zurück.
Ist der gut. Tolle Nummer
"Nietzsche once said a man can never entirely possess the female´ s soul"
Roman Polanskis leicht in Vergessenheit geratener, von erdrückender, tiefschürfender Intensität getragener Kammerspiel-Psychothriller "Death and the Maiden" (1994) entführt den Zuschauer in ein abgelegenes Küstenhaus, irgendwo in einem nicht näher benannten Land in Südamerika, kurz nach Ende einer Militärdiktatur.
Dort lebt Paulina Escobar (Sigourney Weaver) mit ihrem Mann Gerardo (Stuart Wilson). Als dieser nach einer abendlichen Autopanne den freundlichen Helfer in Not, Dr. Miranda (Ben Kingsley), zu sich nach Hause einlädt, gefriert Paulina das Blut in den Adern. Sie glaubt in dem fremden Mann ihren ehemaligen Peiniger wiederzuerkennnen, der sie vor einiger Zeit während der Militärdiktatur über Wochen gefoltert und vergewaltigt hatte. Es folgt eine nächtliche Reise in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele...
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück "La Muerte y la Doncella" des in die USA emigrierten Chilenen Ariel Dorfman, der zugleich das Drehbuch beisteuerte. Dass man es hier mit der Adaption eines Bühnenstückes zu tun hat, lässt sich unschwer erkennen. Ein minimalistisches Figurenensemble, von nur drei Personen getragen, dazu die komprimierte Begrenzung des Geschehens, welches sich (fast) nur in einem Haus abspielt.
Polanski inszeniert ein unheimlich atmosphärisches, abgründiges Kammerspiel, welches sich einzig und allein dem abgewetzten, zerfurchten Innenleben seiner Charaktere widmet. Die immer noch schwer traumatisierte Pauline möchte die Vergangenheit eigentlich nur so gut es geht hinter sich lassen. Doch immer wieder lassen unterschiedliche Assoziationen die Vergangenheit hochkochen. Als sie nun meint, den früheren Täter wie durch ein "Wunder" wiederzusehen, möchte sie die Chance auf eine ultimative Traumatherapie nicht verstreichen lassen.
"Death and the Maiden" funktioniert durch seine Ausgangslage einerseits unglaublich gut als unbehagliches, zermürbendes Spannungskino, welches insbesondere aus dem Umstand, dass der Wahrnehmung der traumatisierten Frau nicht unbedingt vollends zu trauen ist, einen enormen Reiz zieht.
Ist der vollkommen seine Schuld leugnende Dr. Miranda, der schon zuvor durch seine beiläufig misogynen Äußerungen einen überaus unangenehmen Eindruck machte, wirklich der perverse Folterknecht? Oder bildet sich die psychisch immer noch schwer lädierte Frau alles nur ein, und hat nun gar einen komplett unschuldigen Mann in ihrer Gewalt?
Zusätzlich schafft Polanski in seinem Film eine von latent irritierender Ambivalenz getragene Meditation über Schuld, Sühne und Reue, der Verarbeitung von Traumata und der absurden Frage nach der Erlösung durch Rache.
Physische Wunden mögen heilen, mentale bleiben dagegen für immer haften, no matter what you do.
"Abgrund" ist schlussendlich die treffendste Tagline für Polanskis Film. Spätestens wenn Ben Kingsley zu seinem finalen Monolog ansetzt, die Wellen unheilvoll gegen die Klippen peitschen, die Fassungslosigkeit einsetzt und der Klos im Hals wächst und wächst, erhält die psychische Grausamkeit von Polanskis Film eine bodenlose, beinah unerträgliche Dimension.
Sigourney Weavers und Ben Kingsleys Performances sind von einem anderen Stern, Polanskis Regie auf den Punkt atmosphärisch zerschneidend dicht, dazu Wojciech Kilars phänomenaler Score. Das alles ergibt eines der besten, intensivsten Werke eines begnadeten Regisseurs.
Fantastisch