Tobi_G93 - Kommentare

Alle Kommentare von Tobi_G93

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    Tobi_G93 03.09.2022, 18:26 Geändert 24.08.2023, 18:08

    Als ersten Kinofilm schüttelte der spätere Genre-Fachmann Peter Hyams mit "Busting" (1974) einen eiskalten, vor frechem Sarkasmus und giftiger Zynik nur so strotzenden Cop-Thriller in bester New-Hollywood Manier aus dem Ärmel, der in Sachen rau-ungeschliffener, abstoßender Großstadt-Stimmung dem kurz im Voraus entstandenem Referenzwerk "French Connection" in kaum etwas nachsteht.
    Ähnlich wie in Friedkins Meisterwerk begleitet Hyams zwei moralisch extrem ambivalent bis fragwürdig agierende, abgehalfterte Cops auf Abwegen, jeweils stark gespielt von Robert Blake und Elliot Gould, die schon lange realisiert haben, dass im örtlichen Großstadtdschungel L.A. dem organisierten Verbrechen um Gangsterboss Rizzo auf legale Weise kaum beizukommen ist.

    "Busting" versteht sich jedoch weniger als elektrisierendes, rasantes Spannungskino, wenn auch Hyams mit druckvollen Auto-Verfolgungsjagden und knallharten Schusswechseln intensive Action Set-Pieces findet, sondern in erster Linie als pessimistischer, von unbehaglich-abweisender Atmosphäre geprägter Stimmungsfilm. In mäanderndem, häufig kaum zu erkennenden Spannungsbogen, dramaturgisch unterentwickelt, verortet Hyams seinen Film passenderweise vorwiegend in schmuddeligen Erotikschuppen, dreckigen Hinterhöfen und verlassenen Straßenzügen; die potenziell anschauliche, von oftmals geradezu mythischer Schönheit geprägte Kulisse von Los Angelos gibt es hier nicht zu sehen. Die Realität sieht eben anders aus.
    Ein zynisch-unbequemer, trostloser Copfilm; beachtliches Debüt.

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    • 8 .5
      Tobi_G93 29.08.2022, 12:18 Geändert 03.10.2022, 17:14

      „Every single thing I've ever felt, wanted to feel, in one moment. Hitting him. I had to hit him again. (...) He knew. He was saying like ‚welcome home‘. I had to kill him.“

      Das ist schon ein ganz harter, kräftezehrender Brocken voller heimtückischer Ambivalenzen und beklemmender Finsternis.
      Wie auch für den brillanten "Equus" verlagerte Meister Sidney Lumet nicht von ungefähr die Produktion seiner bedrohlichen, tiefschürfenden Mixtur aus Psychothriller und abgründiger Charakterstudie "The Offence" (1973), basierend auf John Hopkins Bühnenstück "This Story of Yours", nach Europa, genauer gesagt nach UK, zu irritierend, abgründig und kontrovers erschien ihm offenbar der Stoff für die USA.
      Das verwundert bei dem vorliegenden Resultat nun wahrlich nicht, denn bei "The Offence" handelt es sich zusammen mit oben genannten Film locker um das experimentellste wie düsterste Werk des Regisseurs.

      Lumets Film beginnt dabei so entrückt wie nur möglich, zeigt, wie die Welt aus den Fugen gerät: Extreme Slow-Mow, ein gleißendes, blendendes Licht, mit dem Lumet die Szenerie eines englischen Polizeireviers überblendet. Dazu unheilvoll dröhnende Soundscapes. Eine bizarre Pre-Title-Sequence, anmutend wie eine irreale, verzerrte Albtraumvision. Was ist hier Geschehen?
      Eine Eruption. Sargeant Johnson (genial: Sean Connery) hat während des Verhörs eines Verdächtigten Selbigen fast zu Tode (im Verlauf darf das "fast" gestrichen werden) geprügelt. Wie konnte es zu diesem fatalen Vorfall kommen?
      Der gewaltsame Vorfall stand offenbar in Verbindung mit der Jagd nach einem pädophilen Serienvergewaltiger. Es kam zur Befragung eines Verdächtigen, etwas geriet außer Kontrolle...

      In elliptischer, teils flashbackartiger Erzählweise mit trister, bläulich-grauer Bildästhetik, die immerzu Unbehagen vermittelt, beleuchtet Lumet die Figur des Sargeants, begibt sich tief in die Abgründe dieses innerlich kaputten Charakters, einem ausgebrannten, von PTSD gepeinigten Cop, der irgendwann seine eigenen Dämonen nicht mehr leugnen konnte. Frei nach Nietzsches „Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“.
      Jahrelanger Selbstbetrug, unterdrückte Treibe und die Erkenntnis im Angesicht des Vergewaltigers, dass jener wie ein Spiegelbild seines selbst sei. Alles verdrängte findet er plötzlich in dieser Person vor, quasi ein dunkler Doppelgänger, der vernichtet werden muss. Freuds Rückkehr des Verdrängten. Dennoch verweigert Lumet größtenteils eindeutige Kausalitäten und Sachverhalte, viel mehr schildert er das irrationale, seelische Befinden eines lädierten, langsam aber sicher außer Kontrolle geratenen Geistes.
      "The Offence" taugt sowohl als Studie über PTSD in Folge jahrelanger Polizeiarbeit als auch als fiebrig-bedrückender Psychothriller.
      Großartig

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      • 9 .5
        Tobi_G93 24.08.2022, 18:50 Geändert 25.08.2022, 11:57

        "This is the Zodiac speaking"

        Zwischen Dezember 1968 und Oktober 1969 ermordete (vermutlich) ein Mann in San Francisco und dem regionalen Umland der Stadt mindestens fünf Personen und verletzte zwei weitere schwer. Der Täter gab sich selbst das Pseudonym "Zodiac" und sandte codierte Botschaften an die örtliche Presse, wovon einige bis heute noch nicht entschlüsselt werden konnten.
        Seine Identität wurde dabei bis heute nicht ermittelt.
        Dieser Kriminalfall diente David Fincher als Vorlage für seinen meisterhaften True-Crime Thriller "Zodiac - Die Spur des Killers" von 2007, der den Fall basierend auf den Büchern "Zodiac" und Zodiac Unmasked" des involvierten Karikaturisten Robert Graysmiths in dokumentarisch anmutender Form nachzeichnet und damit einen grandiosen "Anti-Thriller" erschafft, der festgefahrene Thriller-Konventionen und Zuschauererwartungen mühelos sprengt wie unterläuft.

        Nachdem sich Fincher im ersten Drittel zuerst auf den chronologischen, detailgetreuen Ablauf des Falls und auf die Darstellung des elektrisierenden Katz- und Mausspiels mit Medien und Polizeiapparat konzentriert, widmet er sich fortlaufend den anschließenden Ermittlungsarbeiten dreier Personen, die auf jeweils unterschiedliche Weise mit dem Fall in Berührung kommen. Da wäre zum einen der idealistische, verbissene SFDP-Cop Dave Toschi (Mark Ruffalo), der unentwegt mit Verständigungs- und Kooperationsproblemen zwischen den verschiedenen Polizei-Counties zu kämpfen hat, jedoch so gut es geht versucht, die unterschiedlichen Fährten schnitzeljagdartig auf gesetztestreue Weise zusammenzuführen.
        Der hedonistische Journalist des SF Chronicles Paul Avery (Robert Downey Jr.) ist ein ebenso guter Spürhund und mit allen Mitteln gewaschen, allerdings in seinem launischen Auftreten zwar gut am Glas, jedoch ohne Ausdauer und genügend Courage, um längerfristig am Ball zu bleiben. Hilfe im Zodiac-Case bekommt er vom introvertierten Karikaturisten Robert Graysmith (Jake Gyllenhaal) (auf dessen Büchern die Verfilmung basiert), der sich schnell hoffnungslos in den codierten Rätseln und dem Aufspüren des Killers verliert.

        Fincher inszeniert einen Film, der sich voll und Ganz seinen Figuren widmet und auf sensible Weise die Wechselwirkungen des Kriminallfalles mit dem Innenleben seiner Charaktere schildert, die sich jeweils auf ihre Art obsessiv an der Lösung des Falles abarbeiten.
        Wenn das Sehverhalten durch die detailierte Darstellung der Ermittlungsarbeiten und dem nuancierten Beleuchten der Figurenentwicklungen entsprechend irgendwann nur noch zäh, zermürbend und ziellos wirkt, ist dies ganz und gar kein Fall von fehlender dramaturgischer Finesse, sondern viel mehr exakt der Kern von Finchers Film.
        Denn genau hierin liegt die eigentliche Tragik des Films begraben.
        Realistische Ermittlungsarbeit sieht Sackgassen vor, die zermürben, ernüchtern und Körper und Geist unendlich lähmen. Red Herings en masse, perfekte Puzzle oder notfalls Selbstjustiz findet nur im Kino statt, wie Fincher am Beispiel von "Dirty Harry" mehrmals vielsagend klipp und klar unterstreicht. Manche Fälle wollen eben nicht gelöst werden. Und bleiben für immer ungelöst...

        Dennoch lässt es sich Fincher nicht nehmen, das gemächliche Tempo und die oftmals nur latent vorhandene Intensität mittels einigen irren Spannungs-Sequenzen und beklemmenden Set-Pieces, die in ihrer verstörenden Wucht nachhaltiges Unbehagen entfachen, unvermittelt in die Höhe schießen zu lassen und packendes Spannungskino zu zelebrieren.
        Ein Beispiel dafür ist der zweite Mord an einem See, der wohl beunruhigendsten Szene des Films: Nachdem der Zodiac-Killer einem Pärchen einen Raubüberfall vorgetäuscht hat, fesselt er das Pärchen und sticht die Beiden kaltblütig mit einem Messer ab. Fincher bleibt hierbei jedoch wenig explizit bzw. zeigt nur die Bewegung des Zustechens und kreirt dadurch puren Horror im Kopf des Zuschauers.
        Solch aufrüttelnde und wuchtig-unbehagliche Momente verteilt Fincher geschickt über die komplette Laufzeit, damit sich der Zuseher niemals in Sicherheit wiegen kann.
        Nachhaltig im Hirn nagend, plättend, schlicht meisterhaftes Kino.

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        • 7 .5
          Tobi_G93 22.08.2022, 12:07 Geändert 25.10.2023, 11:21

          Architekt Félix befindet sich nach der Trennung von seiner Freundin in einer schweren Lebenskrise. Eines Abends steht ein fremder Mann vor der Tür und bittet kurz das Telefon benutzen zu dürfen. Eine Bitte, der nachzukommen sich als verhängnisvoller Fehler erweist. Denn als der allein lebende Felix den Mann kurz aus den Augen verliert, ist er plötzlich wie vom Erdboden verschwunden.
          Oder etwa doch nicht, denn in der Folge geschehen in der weiträumigen Villa äußerst merkwürdige Dinge...

          Der spanische Regisseur Guillem Morales wusste schon mit dem schicken Neo-Giallo Thriller "Julias Eyes" zu überzeugen, sein (deutlich weniger bekanntes) Regiedebüt "The Uncertain Guest" (2004) ist sogar nochmals einen Tick stärker einzuschätzen.
          Der faszinierende wie gleichwohl im wahrsten Sinne unheimliche Psychothriller ist ein sehr subtiler, stimmungsvoller slow-burn-Film, der in seinem schleichendem Unbehagen und in seiner doppeldeutigen Geschichte eine durchaus nachhallende Wirkung entfacht.
          Morales macht um seine Vorbilder erstmal keinen großen Hehl.
          Da trifft der subtile Psycho-Horror des frühen Polanski auf Hitchcock'schen Suspense, streift vorsichtig gar den dunklen Surrealismus eines David Lynchs und erschafft damit ein psychologisch tiefgründiges, zugleich packendes Werk mit genügend individuellem Anstrich.

          Das Gefühl, in seinem eigenen Heim nicht mehr sicher zu sein, packt Morales in suggestiv beunruhigende Bilder. Felix sieht plötzlich schemenhafte Gestalten im Spiegel. Wo hin ist der mysteriöse Mann verschwunden, der nur kurz telefonieren wollte und plötzlich wie vom Erdboden verschwunden ist. Felix kann seiner Wahrnehmung immer weniger vertrauen. Fenster, die geschlossen wurden, sind plötzlich offen. Woher kommen die klopfenden Geräusche?
          Und wer lag in seinem Bett, schließlich befinden sich im Kopfkissen eindeutig Druckstellen, die nicht seine sind. Wieso sind nachts plötzlich die Jalousien wieder geöffnet worden?
          Wer glaubt, die weiteren Entwicklungen erahnen zu können, wird durch eine harte Wendung jäh überrascht.

          Die Perspektive wechselt, das gespenstische Home-Invasion Szenario entwickelt sich unvermittelt zu einem wahnhaften Voyeurismus-Alptraum. Mit verquerer, perverser Logik wird dabei ganz im Geiste von Hitchcocks Suspense-Prinzip brodelndes Spannungskino zelebriert, mit fiesen Nagelkau-Momenten.
          Doch welcher Perpektive ist hier überhaupt noch zu trauen. Die weibliche Doppelrolle von Monica Lopez verweist plötzlich auf Kim Novak aus "Vertigo" und noch mehr Patricia Arquette aus "Lost Highway". Gibt es hier Doppelgänger? Sind übernatürliche Kräfte am Werk? Oder doch alles psychotisch?
          Morales setzt final die wichtigsten Puzzleteile zusammen, lässt dennoch genug Freiheiten und Interpretations-Spielraum für produktive Mehrfachsichtungen.
          Hervorragender Thriller aus Spanien, (fast) mehr als ein Geheimtipp.

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          • 7
            Tobi_G93 22.08.2022, 12:07 Geändert 22.08.2022, 20:06

            Tödliche Eifersucht
            Ungläubig schaut der gutaussehende Dirigent und Frauenheld Adrián auf die Videobotschaft seiner Freundin Belén. Sie verlässt ihn, einfach so.
            Doch schon beim obligatorischen Frustabbau in einer Bar schleppt er die attraktive Kellnerin Fabiana ab, die kurz darauf sogar zu Adrian in sein riesiges Landhaus einzieht. Aber dann beginnen die quälenden Fragen.
            Was ist mit Adrians Ex-Freundin Belén passiert, die spurlos verschwunden zu sein scheint? Selbst die Polizei findet keine Spuren.
            Hat Adrián noch eine weitere Affäre? Zumindest flirtet er ununterbrochen mit seiner Violinistin. Und vor allem - sind die unheimlichen Stimmen und Geräusche im Badezimmer echt, oder ist das nur überspannte Fantasie?

            Hinterhältigen, zuweilen quälend spannungsgeladenen Psycho-Thrill liefert der kolumbianische Regisseur Andres Baiz mit "La Cara Oculta" (2011).
            Dabei startet Baiz seine zweite Regiearbeit vorerst unscheinbar und behutsam. Im ersten Drittel des Films wird das Publikum Zeuge, wie eine neue Liebe auf den Ruinen einer alten entsteht. Doch spätestens wenn die neue Flamme bei dem undurchsichtig wie arrogant-abgehoben auftretenden Adrian einzieht, bekommt das neue Glück merkliche Risse.
            Angetrieben von rätselhaften Vorfällen im Haus und beunruhigenden Enthüllungen bezüglich Adrians Vergangenheit entspinnt sich schnell eine bedrohlich-paranoide Grundstimmung, die Baiz stilsicher konsequent verdichtet, ehe der Film unvermittelt in eine längere Rückblende kippt, die das Geschenen (zeitlich) von hinten aufrollt und den notwendigen Kontext der vorangegangenen Ereignisse liefert.

            Durch einige bizarre Enthüllungen, die leider am Klappentext der DVD schon gespoilert werden, erhält die Geschichte zwar eine merklich konstruierte Note, wird jedoch von Baiz in Form eines hundsgemeinen Suspense-Szenarios lange Zeit ungemein aufregend und unerwartet perfide aufgetischt. Leider fehlt dem Regisseur gegen Ende der letzte Mut und Courage zur Konsequenz, indem das Geschehen letztendlich vergleichsweise versöhnlich endet und er die hinterhältige Idee der Geschichte kaum befriedigend zu Ende denkt.
            Wahrscheinlich ist der Film in der Theorie cleverer als in der praktischen Umsetzung, reicht für mich dennoch zu 7 von 10 fatalen Flirts.

            10
            • 7 .5
              Tobi_G93 18.08.2022, 12:17 Geändert 19.08.2022, 11:01

              Wie auch schon im exzellenten Vorgänger "The Yards" interessiert sich Regisseur James Gray in seiner wuchtigen Crime-Ballade "We Own the Night" (2007) weniger für besonders ausgeklügelte Plotkonstruktionen, sondern richtet den Fokus in erster Linie auf das nuanciert und sorgfältig herausgearbeitete Innenleben seiner Figuren und die in den Details durchaus komplexen Beziehungen zwischen den Charakteren. Einmal mehr beleuchtet Gray das sensible Gefüge innerhalb einer Familie.
              Die beiden Brüder könnten unterschiedlicher nicht sein: Der charismatische New Yorker Club-Betreiber Bobby (Joaquin Phoenix) ist ein lebenslustiger Partylöwe mit hohen Zielen. Er träumt davon, eines Tages den größten Club der Stadt zu managen. Opportunistisch drückt er deshalb beide Augen zu, wenn die Russen-Mafia den Club für Drogengeschäfte nutzt.
              Joseph (Mark Wahlberg) ist ein aufrechter, nichtsdestotrotz knallharter Cop, der ein wenig im Schatten seines übermächtigen Polizeipräsidenten-Daddys (Robert Duvall) steht. Joseph ordnet eine Razzia in Bobbys Nachtclub an, um den Drogenkönig Vadim Nezhinski (Alex Veadov) einzubuchten, der sich jedoch umgehend auf brutalste Weise rächt. Bobby steht nun zwischen allen Fronten...

              "We Own the Night" wirkt auf den ersten Blick wie ein herkömmlicher Unterwelt-Thriller mit nur allzu oft geseher Plot-Variation. Die Komplexität von Grays Film liegt somit fraglos nicht in der Erzähl-Konstruktion, viel mehr jedoch in den gegen festgefahrene Genre-Klischees angelegten Figuren, die er mit viel Sensibilität und Ambivalenz begleitet und dem Publikum verständlich zu machen versucht, ohne groß zu werten oder zu richten.
              Die ruhige, sich Zeit nehmende Erzählweise fesselt alleine durch die intime Nähe zu den Figuren und Grays stilvoller Inszenierung irgendwo zwischen düsterer Noir-Ästhetik und ruppig-authentischen 70er Copfilm-Flair enorm. Doch ausschließlich darauf möchte sich Gray nicht vollends verlassen, sondern lässt die Intensität seines Films mehrmals wie aus dem Nichts mittels elektrisierenden Suspense-Momenten und furiosen, knallharten Action Set-Pieces in atemberaubende Höhen steigen.
              Nur gegen Ende, wenn das Geschehen plotlastiger wird und schlussendlich generisch-heitere Züge annimmt, das Suspension of Disbelieve dadurch größer und größer wird, verliert Gray etwas die Zügel aus der Hand in seinem insgesamt immer noch hervorragenden Film. Nicht so bitter und niederschmetternd wie der (etwas bessere) Vorgänger, dafür partiell noch druckvoller und mitreißender.
              Starke Nummer

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              • 7 .5
                Tobi_G93 14.08.2022, 10:13 Geändert 14.08.2022, 17:24

                Purer Terror sorgt für puren Bann.
                James Watkins "Eden Lake" (2008) ist ein ultra destruktiver, zu hundert Prozent humorbefreiter Fuck You-Film, und sicherlich einer der intensivsten wie kompromisslosesten Terrorfilme seit der Jahrtausendwende.
                Dabei beginnt das Geschehen vorerst harmlos und unscheinbar: Die Grundschullehrerin Jenny (Kelly Reilly) und ihr Freund Steve (Michael Fassbender) wollen ein romantisches Campingwochenende an einem idyllischen Waldsee mit dem symbolisch vielsagenden Namen Eden Lake verbringen. Doch schon kurz nach Ankunft am Badestrand werden sie von einer aggressiven Clique Jugendlicher und deren Rottweiler gestört. Anfängliche Streiterein und Meinungsverschiedenheiten enden schnell in einer erbarmungslosen Spirale der Gewalt...

                In etwa vergleichbar von der intensiven Wirkung könnte Watkins Tour de Force locker aus der New French Extremety stammen, auch wenn er sich in Sachen Drastik und Explizität der Gewaltdarstellung vergleichsweise zurückhält und die fiesesten Momente sogar im Off geschehen lässt. Dennoch ist die Wirkung von Watkins Film fulminant, was zu großen Teilen an der durchaus glaubwürdigen, schlüssig dargebotenen Grundprämisse liegt. Was mit vorerst kleineren Streitigkeiten und verbalen Sticheleien beginnt, die so in dieser Form alles andere als übertrieben wirken, eskaliert schnell durch unglückliche Umstände (und sicherlich auch einigen irrationalen Verhaltensweisen) und wirkt selbst in dieser anschließend extremen Form der Übergriffe nur leicht entrückt.

                Klar, die Intention der Kids bleibt im Grunde in ihrer skrupellosen Schärfe und gnadenlosen Kompromisslosigkeit durchweg irrational und irgendwie total off, was die verstörende Grundstimmung allerdings nicht schmälert, ganz im Gegenteil.
                Und wenn der Film den oftmals obligatorischen Rachefeldzug der "Guten" gegenüber ihren Peinigern vollends verweigert und mit einer unglaublich fiesen, wenn auch in ihrer gesellschaftskritischen Anprangerung tendenziell zu forciert wirkenden Magentritt-Pointe endet, beschließt Watkins seinen Film letztendlich endgültig passend als beinah unerträglichen Höllenritt, der alles aufbietet, was Zuseher*innen fertig macht.
                Am Ende darf sich der Champ im Angesicht seines Spiegelbildes lässig auf die Schulter klopfen. "Was bin ich nur für ein tougher Guy..."

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                • 7 .5
                  Tobi_G93 11.08.2022, 11:47 Geändert 12.08.2022, 11:59

                  Die Hölle des Alltags, gefangen und gelähmt im Wiederholungszwang.
                  Michael Hanekes erster Kinofilm "Der Siebente Kontinent" (1989) ist schon ein wahrlich unbequemer, erdrückender Brocken.
                  Haneke zeigt in quälender Nüchternheit und zerdehnter Monotonie den Alltag einer Otto Normal-Mittelschichtsfamilie. Das Interesse liegt hierbei ausdrücklich auf dem Alltagsleben an sich, denn alleine in der ersten Viertelstunde des Films zeigt der Regisseur nicht einmal die Gesichter der Familie, scheint viel mehr vom Menschen abstrahieren zu wollen.
                  Wir sehen den morgendlichen Wecker, der jeden Tag pünktlich um 6 Uhr klingelt. Das gemeinsame Frühstück. Die Zahnbürste, die Schuhe, die zugeschnürt werden. Das Starten des Autos, die Fahrt zur Arbeit, das Betreten des Arbeitsplatzes.
                  Wieder und wieder. Diese entsetzliche Monotonie.

                  Die Fahrt durch die Waschanlage als ultimative Alltags-Metapher. Einmal die Fahrt gestartet, ist jeder einzelne Step von Anfang an klar determiniert. Ohne Zurück oder Ausweg. Das Programm unmissverständlich klar strukturiert. Unerwartete Ereignisse nicht vorgesehen.
                  Wenn sich nun das Seherlebnis von "Der Siebente Kontinent" als ähnlich träge, langatmig-monoton und zermürbend erweist, trifft Haneke den Nagel genau auf den Kopf. Dennoch sucht er nach neuen Möglichkeiten, für den Ausbruch aus dem verstörenden Leerlauf des monotonen Alltags sowie zugleich für eine ansteigende Filmdramaturgie. Die Lösung für beide Probleme ist ein und dieselbe und kann nur von außerordentlicher, plättender Radikalität sein. Raus aus der kapitalistischen Konsumgesellschaft. Aber bitte nicht nachmachen, selbst wenn die sonst oftmals überspitze Filmrealität in diesem Fall leider viel zu real zu sein scheint.
                  Ganz und gar bösartiges Kino.

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                  • 7 .5
                    Tobi_G93 09.08.2022, 13:46 Geändert 09.10.2023, 12:51

                    Psychedelisch-sleaziger Mystery-Giallo vom ewigen Gore-Maestro Lucio Fulci.
                    Im Gegensatz zu vielen seiner späteren Arbeiten verzichtet Fulci in "A Lizard in a Woman's Skin" (1971) größtenteils auf derbere Gore-Sauereien, viel mehr konzentriert er sich vollends auf die atmosphärische Präsentation und die resultierende (unbewusste) Wirkung seiner Geschichte. Und da punktet Fulcis Frühwerk gar fulminant. Die Zuseher*innen werden in ein entrückes, unwirklich-alptraumartiges London entführt, wo Fulci zum hypnotischen, eigenwilligen Score von Ennio Morricone ein beunruhigendes Labyrinth aus Traum und Realität, odysseartigen Ermittlungsarbeiten und küchenpsychologischen Nonsense entwirft, das seine ganz eigene fiebrige Sogwirkung erzeugt. Ganz giallotypisch erweist sich die entsprechende Auflösung des Kriminalfalls mitsamt einiger verwirrend-quatschiger Twists als ziemlicher Unfug, wen das stört, völlig falscher Film.
                    "Una Lucertola con la pelle di donna" ist trotz kleinerer Längen ein starker Giallo-Thriller, der durch seine rauschhaft-hypnotische Atmosphäre, dem traumartigen Spiel um Wahn und Wirklichkeit sowie seinen wunderbaren Bildern stellenweise ungemein zu fesseln und faszinieren weiß.

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                      Tobi_G93 03.08.2022, 11:04 Geändert 22.02.2024, 10:33

                      Mit seinen Drehbüchern zu "Hitcher - der Highwaykiller" und Kathryn Bigelows Thrillern "Near Dark" und "Blue Steel" hat Eric Red das Genrekino der späten 80er Jahre durchaus nachhaltig geprägt. Sein beachtliches Regiedebüt "Cohen and Tate" darf sich qualitativ durchaus in diese Riege einordnen lassen.
                      Reds finsterer Roadmovie-Thriller bedeutet 85 Minuten elektrisierende Anspannung und pures Unbehagen. Schon der westernartige Auftakt, der in seiner grimmigen Intensität und kaltblütigen Schroffheit locker von raubeinigen Meistern wie Sam Peckinpah oder Walter Hill stammen könnte, entfacht beinah körperliches Unwohlsein.
                      Malerische Landschaft, blauer Himmel, darunter die schier endlose Weite Oklahomas. Der Blick schwenkt auf ein weißes Farmhaus, in dem die heile Familienidylle eines friedvollen Amerikas perfekt zu sein scheint. Der Vater spielt mit seinem Sohn Football im Garten, die Mutter kredenzt parallel nebenan das Abendessen.
                      Doch zwei Männer im schwarzen Anzug, die scheinbar das Haus bewachen, wirken sogleich wie Fremdkörper innerhalb der Idylle. Es ist das FBI, das die Familie beschützt, denn der Junge ist ein Kronzeuge gegen die Mafia.
                      Dann treten zwei weitere Männer auf den Plan, die zwei titelgebenden Auftragskiller, die sogleich mit stoischer Eiseskälte Familie und FBI liquidieren. Nur der Junge bleibt verschont, er soll nach Houston zu den Auftraggebern gebracht werden.

                      Was von nun an folgt, ist ein finsterer nächtlicher Roadtrip direkt in die gewalttätige Hölle Amerikas. Ein ungemein unbehagliches Kammerspiel-Setting, das Red hier initiiert, bestehend aus drei Personen, welches sich bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich im Innenraum des Autos abspielt.
                      Da wäre zum einen der abgebrühte, erfahrene Cohen (genial: Roy Scheider), der in seinem codexartigen Perfektionismus skrupellos-pragmatisch den Auftrag erfolgreich beenden möchte. Schließlich ist Scheitern für ihn ein Fremdwort. Sein (ungewollter) Partner in Crime ist der psychopathische Tate (sehr chargierend: Adam Baldwin) mit latentem Gewalt-Fetisch, der am liebsten den entführten Jungen einfach gleich beseitigen möchte. Der dritte im Bunde ist zuletzt der entführte Junge, der die beiden ungleichen Gegenspieler versucht, gegeneinander auszuspielen.
                      Red zeigt die beiden Auftragsmörder konsequent durch die Augen des Jungen, dem sie wie zwei große böse Wölfe erscheinen. Und wie in einem Märchen muss er seinen Mut unter Beweis stellen, mit Intelligenz und List, um als Sieger hervorzugehen.
                      Und natürlich mit Gewalt, sie ist die Konstante in Reds Film, einmal losgetreten, ist die fatalistische Spirale der Gewalt unaufhaltsam. Und folglich endet "Cohen and Tate" nach einem fulminanten finalen Akt mit gnadenloser, destruktiver Gewalt.
                      Unbehagliches Genrekino der intensiven Sorte, das seine Wirkung bei mir hinterlassen hat. "How about that!". Ein wahrhaft nachtschwarzer Sog.

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                      • 6 .5
                        Tobi_G93 01.08.2022, 10:59 Geändert 01.08.2022, 11:30

                        Gnadenloser Terror inmitten der malerischen Naturkulisse Neuseelands.
                        Dieser minimalistische, fies-beklemmende Roadmovie-Psychothriller, dem Regiedebüt des neuseeländischen Regisseurs James Ashcroft, ist schon ein ganz und gar ungemütlicher, destruktiver Brocken.
                        Ashcroft verliert in "Coming Home in the Dark" (2021) keine Zeit und macht mal so gar keine Gefangenen, wenn er den Wanderausflug einer namenlosen Familie durch das Auftreten zweier fremder, verwarloster Männer zum verstörenden Terror-Albtraum mutieren lässt. "Coming Home in the Dark" beginnt dabei ungemein effektiv und wahrlich destruktiv, denn der Regisseur lässt von Beginn an keine Zweifel am Gewaltpotenzial der beängstigend entschlossen auftretenden Männer aufkommen, die mit ihren unerbittlichen Gewaltakten Zartbesaiteten früh den Rest geben dürften und auch abgebrühterem Publikum einen gehörigen Schlag in die Magengrube verpassen dürften. Ashcroft gelingt es zusätzlich alleine durch die Form seines Films und der reifen, wohl durchdachten Bildsprache jederzeit etwas Gespenstisches, Unbehagliches in seinen Kompositionen zu transportieren.

                        Leider hält Ashcroft diese dringliche, erbarmungslose Intensität des Beginns nicht wirklich aufrecht, was mehrere Gründe hat. Zum einen wird die Intention der Kidnapper total unnötig nach ca. einem Drittel preisgegeben, wodurch das Szenario erheblich an Spannungspotential verliert. War es doch gerade diese rätselhafte Gnadenlosigkeit und beliebige Randomness der Entführer, ohne nachvollziehbarer Kausalität, die dem Geschehen diese unangenehme, gruselige Note verlieh.
                        Zudem nutzt sich das Roadtrip-Szenario gerade zur Filmmitte merklich ab und plätschert in seiner Wiederholung von Abläufen und möglichen Fluchtversuchen vergleichsweise monoton vor sich hin. Erst gegen Ende gelingt es Ashcroft wieder dem Geschehen mittels einigen abermals gnadenlos fiesen Set-Pieces eine gewisse Unberechenbarkeit zu verliehen und die beklemmende Intensität des Beginns wieder druckvoll aufheulen zu lassen.
                        Zu Teilen ein unerhört kompromissloser Terror-Albtraum, stimmungsvoll bebildert, (anfangs und gegen Ende) von schockierender Intensität. Dazwischen offenbaren sich mitunter deutliche Schwachpunkte.
                        6,5 von 10 fehlender Zivilcourage

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                          Tobi_G93 31.07.2022, 11:42 Geändert 31.07.2022, 12:25

                          Dieses vergleichsweise unbekannte Frühwerk (dritter Spielfilm) vom italienischen Horror-Maestro Dario Argento zeigt schon vollends den eigenwilligen, individuellen Stil des Regisseurs, der ihn in seinen großen späteren Werken wie "Deep Red" oder "Suspiria" berühmt machte.
                          An der konfus und unfokussiert zusammengeschusterten Narrative, die zwar noch schlüssiger wirkt als in späteren Arbeiten, zeigt Argento auch hier im Grunde kaum Interesse, sie ist viel mehr Mittel zum Zweck, um eine Vielzahl grandios inszenierter Einzelsequenzen zu komponieren. Dementsprechend zeigt Argento hier schon ganz klar seine Tendenz zum performativen Kino, wo insbesondere die Wirkung einzelner losgelöster Sequenzen im Zentrum des Interesses liegt und weniger eine stringent und glaubwürdig erzählte Handlung vermittelt werden soll.

                          "Vier Fliegen auf grauem Samt" (1971) ist dabei zusammen mit "Suspiria" und "Inferno" wohl sein surrealstes Werk. Zusammen mit dem ebenso verwirrten Protagonisten stolpern die Zuseher*innen durch einen (insbesondere zur ersten Filmhälfte) wahnsinnig stimmungsvollen Bilderrausch, der zwischen einigen ziemlich unheimlichen Set-Pieces, surrealen Traumsequenzen und den giallo-typischen, in die Länge gestreckt-ausgereizten Mordsequenzen die Atmosphäre eines bizarren Fiebertraums vermittelt.
                          Leider hält Argento diese Stimmung nicht den ganzen Film aufrecht, gerade ab Filmmitte fügt der Regisseur dem Geschehen eine merkliche Note befremdlich-albernen Humor hinzu und dröselt zudem seine Geschichte nach und nach konkret auf, wodurch die abstrakt-entrückte Atmosphäre des gruseligen Beginns deutlich an Intensität verliert. Dennoch in seiner leicht trashigen, unbeholfen zwischen Genie und Wahnsinn wandelnden Art sympathisch und creepy zugleich.

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                            Tobi_G93 25.07.2022, 20:31 Geändert 31.07.2022, 12:02

                            Melancholisch-verkitschte, lässig und handgemacht aus der Hüfte geschossene Action-Ballade auf den Spuren des druckvollen Honkong-Kugel-Balletts. Der auf dem gleichnamigen Manga basierende "Crying Freeman" (1995) ist der Debütfilm des Franzosen Christophe Gans ("Silent Hill"-Verfilmung) und wenn ihm auch fraglos kein absoluter Action-Meilenstein gelingt, ist das hier schon knackiges, unterhaltsames und jederzeit packend vorangetriebenes Kinetik-Kino.
                            Ganz nach bester Art von Peckinpah und Woo liefert Gans brachial-eruptive Slow-Mow Action, ob druckvolle Shoot-Outs, flott choreographierte Nahkämpfe oder blutige Schwert-Gemetzel, da ist für jeden was dabei.
                            Die mystisch-märchenhafte, phantastisch angehauchte Story ist je nach Vorliebe eine interessante, mit gar leicht romantischer Note angereicherte Actionplot-Variation oder einfach ziemlicher Unfug (tendenziell eher meine Position), was für diese Art von Film kein großes Problem darstellt.
                            Rasante, kurzweilige Action-Sause, die Laune macht.

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                              Tobi_G93 22.07.2022, 09:39 Geändert 22.07.2022, 21:55

                              “Where does it come from? All this hatred?”

                              Hell lodert das Feuer in der rassistischen Vorhölle.
                              Nach seinem genialen Thriller-Meisterstück "Angel Heart" gelang Meister Alan Parker (R.I.P.) 1988 mit seinem nächsten Ausflug in die fiebrig-verschwitzte Umgebung der amerikanischen Südstaaten "Mississippi Burning" nur ein Jahr später gleich der nächste Volltreffer. Im Zentrum der Narrative steht der Rassismus in den Südstaaten der 60er Jahre, im Speziellen befasst sich der Film basierend auf wahren Begebenheiten mit dem Mord dreier Bürgerrechtler im Bundesstaat Mississippi (Neshoba County) im Jahr 1964, der von Mitgliedern des Ku Klux Klans verübt wurde.
                              Zur Aufklärung des Falles werden die beiden FBI-Agents Anderson (Gene Hackman) und Ward (Willem Dafoe) in den Süden geschickt, um das Verschwinden der drei Bürgerrechtler zu untersuchen. Dabei müssen sie jedoch feststellen, dass die ganze Region regelrecht vom Rassismus verseucht ist und selbst die örtliche Polizei davon nicht ausgenommen ist. Durch ihre Ermittlungen spitzt sich dabei die Lage mehr und mehr zu...

                              Parker und sein Kamerateam gelingt es abermals ihren Film in eine ungemein immersive Atmosphäre zu tauchen. Mit düster-verschwitzter Noir-Ästhetik, den authentischen Sets und dem mal melancholisch angehauchten, mal pochend-druckvollen Score wird in Kombination mit der bedrückenden Thematik eine unangenehme, zuweilen fiebrig-beklemmende Stimmung erzeugt, die durchgehend unter die Haut geht. Auch das grausame, sadistische Vorgehen der "Weißen" gegen die dunkelhäutige Bevölkerung (Abbrennen von Scheunen und Kirchen, Ermordungen) erzeugt immerzu pures Entsetzen.
                              Parker nimmt sich viel Zeit für seine hervorragend herausgearbeiteten Figuren, der Thrillerplot gerät dabei gar desöfteren in den Hintergrund. Es ist mehr der Clash seiner zwei Hauptfiguren mit den rassistischen Gegebenheiten im amerikanischen Süden, der Parker in erster Linie interessiert.

                              Auf den ersten Blick bedienen Parkers Hauptfiguren durchaus gewisse Genre-Stereotypen. Zum einen der impulsive, erfahrene Haudegen (Gene Hackman) mit dem Herz am rechten Fleck, der ursprünglich selbst als Südstaaten-Sheriff arbeitend den Fall lieber auf seine eigene (weniger legale) Weise löst. Auf der anderen Seite der junge, karrieregeile Paragraphenreiter (Willem Dafoe), der stets pragmatisch das Gesetzbuch im Blick hat, dabei auch eher gefühlskalt und abweisend wirkt. Diese unterschiedlichen Einstellungen führen folglich im Filmverlauf nachvollziehbarerweise zu maßgeblichen Konflikten untereinander.
                              Es geht um die stete Annäherung und Abnutzung zwischen den beiden, es muss der gemeinsame Nenner gefunden werden, um das rassistische Herz Mississippis zu bändigen. Das grandiose Schauspiel und die wunderbar bedrohliche Grundstimmung ergeben allein trotz kleinerer dramaturgischer Mängel eines der besten Werke eines ungemein fähigen Regisseurs. Zu einem Thema, das (leider) zeitlos relevant bleibt.
                              Grandioses Thrillerkino, simple as dat.

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                                Tobi_G93 17.07.2022, 10:21 Geändert 17.07.2022, 20:02

                                Kalte Nächte im texanischen Juli.
                                Jim Mickles fiebriger, hakenschlagender Südstaaten-Thriller "Cold in July" (2014) beginnt unvermittelt schweißtreibend: Nachdem Familienvater Richard Dane (Michael C. Hall) nachts Geräusche in seinem Haus hört, seinen Revolver zückt und zitternd durchs Haus schleicht, ereignet sich ein verhängnisvoller Zwischenfall: Aufgrund unglücklicher Umstände erschießt er einen unbewaffnenten Einbrecher.
                                Für die Polizei ist der Fall klar: Notwehr. Der Vater des erschossenen Jungen sieht die Sache naturgemäß anders und schwört bittere Rache. Die Familie steht fortan unter Polizeischutz. Doch damit fangen die Probleme erst so richtig an...

                                Ein für mich echt schwierig einzuordnender Film.
                                Jim Mickles Film wartet einerseits vorerst mit großartigen Momenten auf. Wie es Mickle in der ersten halbe Stunde gelingt, ein subtiles, glaubhaft beunruhigendes Bedrohungs-Szenario heraufzubeschwören, ist fast schon herausragend. In flirrender Texas-Atmosphäre zu einem druckvoll pumpenden Synthie-80s-Score baut sich von Anfang an eine ungemein immersiv-unbehagliche Grundstimmung auf, die in einem furios spannendem Home-Invasion Set-Piece mündet, welches durchaus das Potenzial hat, den Puls dezent in die Höhe schießen zu lassen. Bis hierhin (ca. 30 Minuten) ist das packendes, zuweilen großartiges Spannungskino.

                                Nun das große "Aber":
                                Von jetzt an gleitet Mickle leider für meinen Geschmack die Geschichte deutlich aus den Händen, verliert die Spannungskurve größtenteils komplett aus den Augen und glänzt mit einigem Leerlauf und tonalen Brüchen, die mir spontan kaum getaugt haben. Zwar immer noch in eine wunderbare Atmosphäre getaucht, verliert "Cold in July" zwischen abgedroschenem Verschwörungsthriller, albern-überdrehter Gangster-Comedy und generischem Selbstjustiz-Reißer lange Zeit beinah vollends die erzählerische Stringenz und den erzählerischen Drive, womit die Laufzeit von ca. 110 Minuten klare Längen offenbart.
                                Erst gegen Ende, in den finalen 20 Minuten, schließt Mickle wieder an das großartige erste Viertel an, verdunkelt die zwischendurch heitere Stimmung abermals enorm und liefert einen wunderbar grimmigen, garstig-brutalen Showdown, der in seiner brachialen Intensität nochmals ein klares Highlight darstellt.
                                Schwierig: partiell herausragend in Sachen Intensität und Spannung, dann wieder albern, nervig und ohne jeglichen Drive.
                                Macht 6,5 von 10 zerschossenen Ohrläppchen.

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                                  Tobi_G93 13.07.2022, 15:05 Geändert 19.04.2023, 11:53

                                  Oftmals als übermäßig gewalttätiger, zuweilen misogyner Skandalfilm abgetan, der massenweise Publikum vorzeitig aus den Kinosälen trieb und einst Anarcho-Regisseur Takashi Miike erst zu seinem großen (westlichen) Durchbruch verhalf, handelt es sich bei Miikes Magnum Opus "Ôdishon" (1999) viel mehr um ein tieftragisches, vielschichtiges und ausgesprochen sensibles Meisterwerk.
                                  Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Ryu Murakami gelingt Miike hier in Form eines wahrlich gespenstischen Psychothrillers eine überaus differenzierte, hintersinnige Abhandlung über fatale Auswüchse von Geschlechter-Rollenbildern und Klischees, falschen Erwartungen und Oberflächlichkeiten innerhalb Liebesbeziehungen und den einhergehenden Missverständnissen, die daraus resultieren.

                                  Wie der Großteil der Filme in Miikes Euvre lässt sich "Audition" nie exakt kategorisieren und bleibt die volle Laufzeit ein ganz eigenes, unberechenbares Biest, das es zu bändigen gilt.
                                  Wenn der einsame Witwer Aoyama sich zu Beginn nichts sehnlicher wünscht, als nochmal eine Frau zu finden und mittels gefaketer Film-Auditions auf die schüchterne, mysteriöse Asami trifft, die vordergründig wie ein süßes, zerbrechliches Mauerblümchen wirkt, könnte man sich erstmal auch in einer lahmen Rom-Com wähnen. Doch Miike geht viel mehr sehr geschickt vor, nimmt sich genau so viel Zeit, wie es benötigt, um die Figuren verstehen zu lernen, um später die volle, verstörende Wirkung zu entfalten. Früh gelingt es Miike schon mittels kurzen unheimlichen, entrückten Einschüben Zweifel zu sähen, sowohl bezüglich der trügerischen Stimmung als auch der scheinbar klaren Rollenverteilung zwischen den beiden Figuren, welche dadurch erste kleinere Risse erhält.

                                  Miike zeigt Figuren, die als Resultat und fataler Auswuchs einer problembehafteten, männerdominierten Gesellschaft zu werten sind. Aoyama ist grundsätzlich kein schlechter Kerl, sein antiquirtes Frauenbild und seine konservativen Vorstellungen einer Partnerschaft dagegen sehr wohl. Doch diese Ansichten machen ihn nicht zum schlechten Menschen per se, denn er wurde eben von Kind auf mit jenen Werten erzogen, sind für ihn immer schon schlicht Normalität. Zusätzlich scheint er auschließlich seine eigenen Erwartungen und Vorlieben auf Asami zu projezieren, was sich unter anderem deutlich in Asamis Audition zeigt, die er dort ausschließlich mit seinen Suggestivfragen konfrontiert.
                                  Wenn er nun auf die stark traumatisierte, von psychischen und physischen Gewalttaten von Männern gezeichnete Asami, die diese Rollenverteilung und Gewaltrichtung nun umkehrt, trifft und sich in sie verliebt, dann ist das Unheil in dieser Partnerschaft folglich längst schon gesellschaftlich determiniert.

                                  Doch Miike verurteilt seine Figuren nicht, auch später im Verlauf, wenn das surreal-alptraumhafte Spiel um Wahn und Wirklichkeit den Plot vollkommen durchdringt, zum zerfaserten Fiebertraum werden lässt und in brutalen Gewaltexzessen mündet, bleibt alles nur ein Resultat von "falschen" gesellschaftlichen Verhältnissen, fatalen Missverständnissen und den Schwierigkeiten, seinen Partner nicht auschließlich als Projektionsfläche für seine eigenen Vorstellungen zu missbrauchen.
                                  In Zeiten von Dating-Apps wie Tinder, Lovoo und co., die erstmal auf reine Oberflächlichkeit getrimmt sind, ist solch ein Stoff natürlich aktueller denn je.
                                  "Audition" funktioniert jedoch gleichwohl exzellent als plättender, von wahrhaftiger Tragik durchzogener Psychothriller, in dem die Einsamkeit zweier "Suchender" grausamste Gewalt und pures Chaos zur Folge hat.
                                  Fürchterlich gut.

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                                    Tobi_G93 11.07.2022, 15:01 Geändert 11.02.2023, 10:38
                                    über Maniac

                                    Für mich immer noch einer der intensivsten Vertreter im Bereich des Terrorkinos. "Maniac" (1980) von William Lustig, der zuvor nur als Pornofilmer arbeitete, ist fraglos kein sonderlich cleveres, ambitioniertes oder gar subversives Werk geworden, ganz sicher gelingt es dem Low-Budget Terror-Slasher jedoch sichtlich inspiriert von Motiven aus Hitchcocks "Psycho" und dem italienischen Giallo-Kino ultra effektiv die knappen Möglichkeiten seines Budgets vollumfänglich auszuschöpfen.
                                    Hierfür hat Lustig vorwiegend zwei maßgebliche Asse im Ärmel, die diese extrem intensive, brachiale Wirkung des Films erschaffen.

                                    Zum einen die ungemein beklemmende, knüppeldicke Atmosphäre des 80er Jahre New Yorks, das als abstoßender, alles verschlingender Großstadtmoloch wie der Vorhof zur Hölle wirkt und in seinem dreckig-abstoßenden Vibe an ähnliche New York Filme jener Zeit (Ende 70er, Anfang 80er) wie Scorseses "Taxi Driver", Friedkins "Cruising" oder Ferraras frühe Underground-Exploitationer erinnert.
                                    Noch wichtiger ist die physische Erscheinung von Hauptdarsteller und Co-Autor Joe Spinell, der als schwer gestörtes Wrack und Monster in Menschengestalt einfach nur eine irre intensive Darbietung zeigt. In seinem ungemein physischen, kantig-versifften Auftreten und mit seiner gequählten, fratzenhaften Mimik quillt ihm der Wahnsinn von Beginn an aus jeder Pore.

                                    Aber auch aus handwerklicher Sicht ist Lustigs Arbeit astrein. Die dreckigen, abstoßenden Schauplätze werden jederzeit stimmungsvoll in Szene gesetzt, der im positiven Sinne grausig-bedrückende Score und unangenehme Soundeffektive leisten ihr Übriges für eine immersiv-unbequeme Seherfahrung.
                                    Zusätzlich darf Special-Effekt Maestro Tom Savini ordentlich die Gore-Keule schwingen und so einige drastische Sauereien initiieren, wobei er in einem kurzen Cameo mit die derbste Szene für sich selbst reserviert hat.
                                    Zeitlos unbehaglicher, räudiger Terror-Slasher, nun nach Deindizierung uncut auf Netflix verfügbar.

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                                      Tobi_G93 07.07.2022, 17:38 Geändert 04.11.2022, 20:36

                                      Meine Güte, ist der Film böse!
                                      Regisseur Miguel Angel Vivas liefert mit seinem garstigen Home-Invasion Thriller "Secuestrados" (2010) einen der kompromisslosesten Terrorfilme der jüngeren Vergangenheit und zugleich einmal mehr einen stichhaltigen Beweis für die enorme qualitative Dichte im spanischen Genrekino.
                                      Der Umzug in eine neue Wohnung ist für die dreiköpfige Familie (der hier nicht einmal ein Familienname vergönnt ist) um Ehepaar Jaime und Marta mit ihrer Tochter Isa im Teenageralter gerade so über die Bühne gebracht worden, als drei skrupellose Gangster in die Wohnung einbrechen, die Familie gefangen nehmen, um das ganze Vermögen der Familie auszurauben. Die Familie steht vor einer Nacht puren Horrors, auch weil unterschiedliche Pläne unter den Gangstern zu Unstimmigkeiten und fatalen Eskalationen führt...

                                      Maximal aufs Nötigste reduziert und von jeglichen erzählerischen Ballast befreit schickt Vivas die Familie wie die Zuseher*innen in ein unerbittliches Höllenszenario, das Zartbesaiteten früh Alpträume bescherren und selbst dem abgebrühteren Publikum ein sehr mulmiges Gefühl vermittelt dürfte. Mit den insgesamt nur 12 Plansequenzen, die Vivas für die knappe Laufzeit benötigt, und der unmittelbaren Kameraführung übermittelt "Kidnapped" von Anfang an eine enorme Athentizität, wodurch das Geschehen ungemein glaubhaft wirkt. Vivas übermittelt sofort das Gefühl, ja, so etwas könnte hier nebenan genau so ablaufen und das dient dem Film und seiner intensiven Wirkung sicherlich als größtes Fauspfand
                                      Zusätzlich versteht es Vivas ganz genau, die knappe Laufzeit von ungefähr 85 Minuten effektiv, stilistisch einwandfrei und jederzeit packend zu gestalten. Etwa mittels Splitscreen-Einsätzen, die keineswegs zu Selbstzweck verkommen, sondern viel mehr spannungsfördernd wirken, indem durch zeitgleiche Täter- und Opferperspektive herrlich unangenehmer Suspense heraufbeschworen wird.

                                      Nachdem Vivas schon zu Beginn die Brutalität vor allem auf psychischer Ebene in schier unermessliche Regionen gehoben und die Kamera vorerst etwaige Eskalationen im Off gehalten hat, knallt der Film seinem Publikum mit Fortschreiten der Laufzeit einige ziemlich drastische, dabei jederzeit dermaßen abstoßende Gewalteruptionen vor den Latz, da kann selbst der abgebrühte Gorehound keinen Gefallen mehr daran finden.
                                      Obendrein wird einem im Anschluss noch ein ungemein niederschmetterndes, sadistisch-perfides Finish um die Ohren gehauen, das erstmal nur kaum bis gar nicht zu verdauen ist und das unangenehme Gefühl in der Magengegend nicht unbedingt kleiner werden lässt.
                                      Ulta-bösartiges, hundsgemeines Terrorkino, auf ähnlich destruktiven Pfaden unterwegs wie James Watkins "Eden Lake" oder Pascal Laugiers "Martyrs". Bitterböse

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                                        Tobi_G93 05.07.2022, 16:50 Geändert 05.07.2022, 16:53

                                        Mit seinem fies-beklemmenden Home-Invasion Terrorfilm "The Collector", der ursprünglich als Saw-Prequel konzipiert war, offenbarte Regisseur Marcus Dunstan sein ganzes Talent knochenhartes, aufs Nötigste reduziertes Genrekino effektiv und hochklassig umzusetzen.
                                        Der Nachfolger "The Collection" enttäuschte im Vergleich dagegen dann leider doch merklich. Seine nunmehr vierte Regiearbeit "The Neighbor" (2016) bewegt sich alles in allem wieder mehr in Richtung seines starken Regiedebüts, auch wenn er nie an dessen kompromisslose, viszeral unbequeme Intensität heranreicht.
                                        Eine ländliche Kleinstadt irgendwo im abgelegenen White-Trash Hinterland Mississippis: Der stoisch-wortkarge John (Josh Stewart) und seine attraktive Freundin Rosie (Alex Essoe) erledigen Drogengeschäfte für Johns skrupellosen Onkel Neil. Um sicher zu gehen, dass niemand von Ihren Geschäften Wind bekommt, spähen sie die umliegende Nachbarschaft beizeiten mit einem Teleskop aus, wo ihnen besonders der kauzig-verschrobene Nachbar und seine merkwürdige Art Rätsel aufgibt. Das Misstrauen erhärtet sich weiter, als Johns Freundin plötzlich spurlos verschwindet...

                                        Dunstans Film setzt trotz durchaus fieser Momente weniger auf drastische Gewalt oder einen hochkomplexen, cleveren Plot, sondern viel mehr auf seine beunruhigende Grundprämisse und der daraus resultierenden Spannung. Klar, innovativ ist "The Neighbor" mal gar nicht und in den Grundzügen wirkt die minimalistische Story bisweilen wie ein ungelenk zusammengeschustertes Mash-Up aus "Arlington Road" und Fede Alvarez´´ druckvollen Home-Invasion Reißer "Dont Breathe", an deren Qualität Dunstan nicht ansatzweise herankommt.
                                        Nach einer ruhigen, stimmungsvollen ersten Hälfte eskaliert die Situation nach mehrmaliger Hilfe von Kollege Zufall dann merklich, Tempo und Action steigern sich in eine gradlinig-schnörkellos, kinetisch voranschreitende Gewaltspirale, ohne jedoch groß explizite Gore-Sauereien anzubieten. Dunstan regt da viel lieber die Imaginationskraft des Publikums an, indem die Kamera immer wieder konsequent den Blick auf die härteren Momente verweigert.
                                        Reduziertes, kurzweiliges Genrekino ohne jeden Schnick Schnack.

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                                          Tobi_G93 01.07.2022, 17:48 Geändert 01.07.2022, 20:31

                                          Der notorisch klamme Texaner Michael Williams (Nicolas Cage) ist unterwegs in Wyoming, um dort einen vorübergehenden Job zu suchen. Er gelangt in das verschlafene Städtchen Red Rock, wo er durch ein Missverständnis von dem zwielichtigen Barbesitzer Wayne (J.T. Walsh) beauftragt wird, gegen entsprechende Bezahlung dessen Ehefrau zu ermorden. Anstatt den Auftrag auszuführen, flüchtet er aufgrund merklicher Skrupel mit der Anzahlung des Auftraggebers aus der Stadt.
                                          Doch die unglücklichen Zwischenfälle scheinen nicht enden zu wollen, denn nach einem Autounfall begegnet der flüchtige Michael dem exzentrischen Auftragskiller und ehemaligen Vietnam-Soldaten Lyle (Dennis Hopper), der sich gerade auf den Weg nach Red Rock zu seinem neuesten Auftrag begibt...

                                          Was in einem anderen Film die vollständige Synopsis sein könnte, ist in John Dahls stimmungsvollen, schwarzhumorig-perfiden Kleinstadt-Thriller nur der Startschuss für eine irre wendungsreiche, ungemein packende Hinterland-Odyssee, in der Geldgier die einzig treibende Kraft für jegliche Protagonist*innen zu sein scheint.
                                          In staubigen, hitzeflirrenden Bildern irgendwo zwischen boshaftem Neo-Noir und staubtrockenem Western (der geheimnisvolle Fremde) zeigt Dahl eine verdorbene, verkommene Welt, die ausschließlich von Gier, Verrat und Niedertracht geprägt zu sein scheint.
                                          Dementsprechend gibt es kaum bis keine "echten" Sympathieträger, denn Dahl findet in Red Rock ausschließlich mindestens mal ambivalente Figuren vor, deren mal vordergründig sichtbaren, mal auch nur erahnbaren Abgründe irgendwann zu Tage treten werden.

                                          Kritisiert werden darf dagegen am ehesten die stellenweise doch sehr wenig plausiblen Entscheidungen der Figuren, insbesondere von Protagonist Michael, der sich mehrmals mit seinen scheinbar masochistischen Tendenzen sehenden Auges ins Verderben stürzt.
                                          Grundsätzlich sehe ich Kritik an Verhaltensweisen von Filmfiguren als eine eher lahme bis wenig zielführende Angelegenheit an, in diesem speziellen Fall hat es mich in dem ansonsten hervorragenden Film doch dezent gestört.
                                          Nochmals gesondert hervozuheben sollte man dagegen die hervorragenden Performances aller beteiligten Schauspieler. An der Seite eines damals noch guten Nic Cages brillieren vor allem Dennis Hopper als psychopathischer Killer und J.T. Walsh als schmierig-durchtriebener (Gangster-)Sheriff. Zusätzlich darf Twin Peaks-Girl Lara Flynn Boyle als diabolisch-laszive Femme Fatale mal ihre verruchtere Seite präsentieren.
                                          Sehr spannendes, immersives und stellenweise großartiges Thrillerkino.

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                                            Tobi_G93 25.06.2022, 12:07 Geändert 25.06.2022, 19:30
                                            über Narc

                                            Joe Carnahans zweiter Spielfilm "Narc" (2002) entführt das Publikum straight in die trostlos-unwirsche, dreckige Welt der Polizeiarbeit in Detroit, eine Stadt, die hier einmal mehr wie ein Vorhof zur Hölle anmutet. In düsteren, blau-/graustichigen Bildern von fröstelnder Kälte schildert Carnahan in seinem Anti-Feelgood Copthriller die Geschichte zweier ungleicher, von stetig zwischenmenschlicher Spannung geprägter Polizisten, gespielt von Jason Patrick und Ray Liotta (grandios!), die den Mord an einem verdeckten Ermittler im Drogenmillieu aufklären sollen.
                                            Schnell sticht Carnahans versierter, recht eigensinniger Inszenierungsstil ins Auge, der mit seiner stellenweise experimentellen, suggestiven Schnittechnik, die vorsichtig an Klassiker von Nicolas Roeg (Dont Look Now) oder John Boorman (Point Blank) erinnert, einen fiebrigen, immersiven Sog erzeugt, der kleinere narrative Längen locker wettmacht.

                                            Durchaus authentisch und in einem schmutzig-überpointierten Realismus verhaftet durchschreiten die beiden kantigen Cops einen unübersehbaren Sumpf aus Drogenhandel, organisierter Kriminalität, räudiger Gewalt und Korruption, wo einfache Gut/Böse-Schemata längst zur Utopie verkommen sind, denn unschuldig ist hier mal so gar niemand.
                                            Überhaupt fehlt in der Welt von "Narc" jegliches Licht am Ende des Tunnels, das ist ein grauer, trister Brocken voller Abgründe, ein dreckiges, perfides Miststück eines Copthrillers. Wer dies hier zu schätzen weiß, darf gleich im Anschluss mit Gerard Johnsons "Hyena" und Craig Zahlers "Dragged Across Concrete" weitermachen.

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                                              Tobi_G93 24.06.2022, 17:53 Geändert 24.06.2022, 21:09

                                              Dieser ruppig-fatalistische Thriller von Regisseur Scott Frank ist ganz klar ein deutlich hervorstechendes Highlight aus dem ansonsten generischen Actiondaddy-Einheitsbrei, den man in den letzten 10-15 Jahren von Liam Neeson auf der Leinwand zu sehen bekommen hat. Überhaupt ist Franks Film mit den nur spärlich verteilten, dennoch viszeral-unbequemen Action- und Gewaltmomenten und der nihilistischen, trist-nasskalten Großstadtatmosphäre New Yorks viel mehr ein echter, staubtrockener Neo-Noir, der mit Neesons sonstigen 0815-Actionern kaum etwas gemein hat.
                                              Folglich gibt es hier auch nicht die typische Neeson-Heldenfigur mit guter Miene zu schönen Spiel zu bestauen, denn er darf diesmal als ein von seiner Vergangenheit gepeinigter, gequälter Ex-Cop in latentem Death-Wish Mode tatsächlich eine schön ambivalente Figur darstellen, die in ihrem durchaus kaputten Mindset und abgehalfterten Auftreten mehr an Joaquin Phoenixs Figur aus Lynne Ramsays tollen "You Were Never Really Here" erinnert.

                                              Leider kommt "A Walk Among The Tombstones" (2014) keineswegs ohne Fehler aus, wo allein die merklich zu ambitionierte Laufzeit von knapp zwei Stunden locker 10 - 15 Minuten Straffung hätte vertragen können. Insbesondere die Figur von Neesons Sidekick T.J. wirkt hierbei einerseits durch sein comic-reliefartiges Auftreten störend in seiner Tonalität, andererseits liefert seine Figur auch aus dramaturgischen Gesichtspunkten keinerlei produktive Reizpunkte.
                                              Zusätzlich bewegen sich die beiden (vermeintlichen) Antagonisten in ihrem grundlos psychopathisch-irren Habitus tendenziell schon leicht in überdreht-karikaturesken Bereichen, was sich in einem solch gesettelten, atmosphärisch ambitionierten Film schon dezent störend auswirkt. Alles in allem ein angenehm kantiger, ruhig-stimmungsvoller Neeson-Reißer.

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                                                Tobi_G93 21.06.2022, 17:32 Geändert 14.11.2023, 22:44

                                                New York City: Zusammen mit seiner Frau Bridget (Linda Fiorentino) wickelt der Drogendealer Clay Gregory (Bill Pullmann) gefährliche Deals mit der kriminellen Unterwelt New Yorks ab. Ihr aktueller Coup brachte den beiden gar 700.000 US-Dollar ein. Doch nach einem Streit mit ihrem Mann flüchtet die lasziv-durchtriebene Bridget mit dem ganzen Gewinn in eine irgendwo im hintersten New Jersey gelegene Kleinstadt, wo sie in einer Bar den attraktiven, aber naiv-gutmütigen Jüngling Mike Swale (Peter Berg) kennenlernt, welcher sich sofort schwer in sie verliebt..

                                                John Dahls dritter Spielfilm "The Last Seduction" (1994) ist der Schlusspunkt seiner inoffiziellen Neo-Noir-Trilogie, zusätzlich bestehend aus den herrlich lakonischen, unangenehm hinterhältigen Kleinstadt/Hinterland-Thrillern "Kill Me Again" und "Red Rock West", die sich durch ihre latent abgründigen, unvorhersehbaren Plots, unberechenbaren Figuren und einer unverschämt stimmungsvollen Inszenierung auszeichneten. Eben durchaus stringent den Motiven des Film Noirs folgend.
                                                "The Last Seduction" zeigt abermals Dahls Faszination für die Filme der schwarzen Serien, denn hier liefert der Regisseur im Grunde eine einzige Hommage an Billy Wilders Meisterwerk "Double Indemnity" (der Fachterminus wird erneut explizit von einer Figur im Film aufgegriffen).

                                                Eine Frau, die ihren Ehemann loswerden möchte, da dieser das gestohlene Geld zurückhaben möchte. Hierfür muss nur noch der neue Liebhaber überzeugt werden, damit dieser den Auftrag ausführt.
                                                Unterlegt von einem stimmungsvollen, irritierend heiteren Jazz-Score zeigt Dahl (seeehr) ausführlich, wie die schwarze Wittwe ihre Beute ködert, fängt und unentwegt manipuliert. Sie durch ihre Promiskuität und aggresiv-freizügige Sexualität einlullt und zermürbt. Ihr den Kopf verdreht, bis letztenendes dessen Moralempfinden im Eifer des (Geschlechts-)Triebes kurzfristig neu definiert werden kann. Das führt hier leider zu einem recht trägen, zerdehnten Mittelteil, der den Zuseher ähnlich zermürbt wie den armen, viel zu leichtgläubigen Mike.
                                                Erst zum Finale hin, wenn der lange Zeit locker-humorvolle Vibe mehr und mehr schwindet und merklich an düsterer Note gewinnt, zieht Dahl die Spannung und Intensität deutlich an und liefert einen passenden, wunderbar zynischen Finish, der zwar schon lange in der Luft liegend in seinem fiesen Ausmaß dann schon überrascht.
                                                Nice, mit Abstrichen gelungener, sehenswerter Neo-Noir.

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                                                  Tobi_G93 18.06.2022, 16:49 Geändert 18.06.2022, 17:06

                                                  Los Angeles, Kalifornien, in einer verregneten Nacht: Carol Hunnicut (Anne Archer) hat sich auf Drängen von Freunden zu einem Blind Date mit dem New Yorker Rechtsanwalt Michael Tarlow (J.T. Walsh) überreden lassen. Doch der Abend endet abrupt, als der für die Mafia arbeitende Anwalt in seiner Hotelsuite kaltblütig von einem seiner Klienten, dem Gangsterboss Leo Watts, ermordet wird. Was die Gangster (scheinbar) nicht wissen: Carol beobachtete den Mord aus einem Nebenzimmer....Schnitt.
                                                  Der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Robert Caulfield (Gene Hackman) ist seit Jahren auf den Fersen von Leo Watts. Im Fall des ermordeten Michael Tarlows kommt Sergeant Dominick Benti (M. Emmet Walsh) mit einer sensationellen Entdeckung zu ihm, die die Ermittler schon bald auf die Spur von Carol Hunnicut bringt…

                                                  Wenn schon zu Beginn zum unheilvollen Score von Bruce Broughton Protagonistin Carol durch ein düster-verregnetes Los Angelos schreitet und das Hotel betritt, in dem sie ihr Blind Date trifft, entfacht Regisseur Peter Hyams in seinem Remake des gleichnamigen Film Noirs von 1952 jetzt auf gleich eine wunderbar bedrohliche Grundstimmung, die die gesamte Laufzeit von gut 90 Minuten gnadenlos durchdringen wird.
                                                  "Narrow Margin" (1990) erweist sich in der Folge als eine einzige, atemlose Hetzjagd, in der Zeugin Carol und Anwalt Caulfield als Zielobjekt von brutalen Killern auserkoren wurden, die gnadenlos und dennoch wohlüberlegt immerzu ihr Objekt der Begierde in die Enge treiben. Dem schier übermächtig und unbezwingbar wirkenden Gegner irgendwie möglich noch von der Schippe springen, daraus schöpft "Narrow Margin" sein ganzes Spannungspotenzial und das weiß Hyams auch vorwiegend effektiv auszuspielen.

                                                  Nach einem rasanten, vergleichsweise actionreichen ersten Akt mündet das Geschehen in das kammerspiel-artige Setting eines fahrenden Zuges, in dem das zuvor schon durchaus beunruhigende Versteckspiel von Jäger und Gejagten erst so richtig an Fahrt aufnimmt. Glücklicherweise aber nicht durch übertriebene, unzählige Action Set-Pieces, sondern mit ruhiger, versierter Kugel wird die minimalistische Grundprämisse mit packendem Suspense und bedrängender Grundstimmung in feinstes Spannungskino transportiert.
                                                  Dabei sticht insbesondere Hyams fantastische Inszenierung ins Auge, der selbst als Kameramann tätig mit der cleveren Balance aus malerischen Landschaftsaufnahmen und beklemmenden, unübersichtlich eingefangenen Innenräumen des Zuges zeigt, wie man mit einfachen Mitteln effektiv Spannung erzeugt.
                                                  Vergleichsweise enttäuschend gestaltet sich dann leider das widerum zu vordergründig auf spektakuläre Action ausgelegte Finale, das zwar abermals wunderbar fotographiert schon auf den ersten Blick unter physikalischen Gesichtspunkten schlicht grober Unfug ist. Dennoch packendes, reduziertes Genrekino, passt.

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                                                    Dieser lässig-elegante, zugleich dezent unheilvolle Okkult-Noir von Meisterregisseur Roman Polanski gehört in seiner Gänze sicherlich nicht zu seinen besten Arbeiten, dennoch ist dieser stimmungsvolle, doppelbödige Thriller ein bisweilen herrlich soghaftes Seherlebnis.
                                                    Der verruchte Buchdetektiv Dean Corso (Johnny Depp), der in seinem abgehalftertem Auftreten beizeiten deutliche Erinnerungen an Mickey Rourkes Figur aus "Angel Heart" hervorruft, wird von dem charismatisch-zwielichtigen Sammler Boris Balkan (Frank Langella) angeheuert, um die Echtheit des sagenumwobenen Buches „Die neun Pforten ins Reich der Schatten“ zu überprüfen. Hierfür soll der für eine horrende Summe engagierte Schnüffler die zwei weiteren Ausgaben jenes Buches auftreiben, um sie zu vergleichen. Doch auch andere involvierte Parteien jagen das ominöse Buch, von dem es heißt, der Teufel selbst habe seine Finger im Spiel gehabt...

                                                    Auf der Suche nach dem geheimnisvollen Buch schickt Polanski seinen Protagonisten wie auch das Publikum in ein schnitzeljagd-artiges Neo-Noir Labyrinth quer durch Europa, wo an den vielzähligen Schauplätzen jeweils nur neue Fragen aufgeworfen werden, wodurch das immerzu in der Schwebe zwischen Rationalität, Glauben und Okkultismus gehaltene Geschehen mehr den Eindruck einer rästelhaften, unbegreiflichen Irrfahrt vermittelt. Corso gerät immer mehr zwischen die Fronten von bedrohlichen Killern, satanischen Kults und einer mysteriösen Frau, die ihn unentwegt verfolgt und wenn nötig gar als Schutz"-Engel" fungiert.
                                                    Zu heiter-lässigem Score fügt Polanski dem Ganzen zudem eine latent ironische Note bei, die trotz konstant unheilvoller Atmosphäre mit ihrem lakonisch-doppelbödigen Witz bis zum furiosen Ende den Film durchzieht.

                                                    Ein besonders rasanter Spannungsfilm gelingt Polanski nicht unbedingt, sein ruhiger Vortrag, man darf ihn durchaus gemächlich bezeichnen, glänzt in erster Linie durch die gewohnt stilsichere, atmospärische Umsetzung und tollen Schauspiel-Performances. Noch vor seinen Clown-artigen Jack-Sparrow-Darbietungen darf Johnny Depp als trinkender, kettenrauchender Bücherdetektiv eine seiner besten Karriereleistungen zeigen. Merklich hervorstechen darf zudem Polanskis langjährige Muse Emmanuelle Seigner, die als diabolisch-metaphysische Femme Fatale eine mehr als erinnerungswürdige Darbietung abliefert.
                                                    Atmosphärischer, elegant-altmodischer Thriller. Auch bei Mehrfachsichtungen eine unterhaltsame Angelegenheit.

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