Audreyfan - Kommentare

Alle Kommentare von Audreyfan

  • 7

    "Do you want to remember or do you want to forget?"

    Danny Boyle gehört zugegebenermaßen nicht zu den Regisseuren, an die ich direkt denke, wenn es um gute Filme geht, was vielleicht auch daran liegt, dass ich noch nicht soviel von ihm gesehen habe. Bisher gesehene waren "Trainspotting" - der beste Drogenfilm aller Zeiten, "127 Hours" - James Francos immer noch oscarwürdige One-Man-Show (aber auf mich hören die ja nicht) und das schön anzusehende Bollywoodmärchen "Slumdog Millionaire". Dazu kommt jetzt "Trance".
    "Trance" fängt harmlos an. Simon erklärt uns nett und ausführlich wie so eine Kunstauktion von statten geht und was es alles für Sicherheitsmaßnahmen gibt. Das erklärt er nicht ohne Grund, schließlich passiert bei der nächsten Auktion gerade das, was besser nicht passieren sollte. Kriminelle dringen in das Gebäude ein und wollen ein Bild stehlen. Simon, ganz der brave, tüchtige Bub, schafft das Gemälde weg und will es vorschriftsmäßig in einem Tresor verstauen, da steht plötzlich einer der Diebe, Franck, hinter ihm und bedroht ihn mit einer Waffe. Simon tut genau das, was man nicht tun sollte und spielt den Helden. Dafür kriegt er einen Schlag auf den Kopf, der ihn zusammen sinken und einen wichtigen Teil seiner Erinnerungen vergessen lässt. Denn Simon ist gar nicht so brav wie er aussieht. Wegen immenser Glücksspielschulden hat er sich bereit erklärt, für Frank und seiner Bande das Bild zu verstecken, wenn sie ihren scheinbaren Überfall begehen und es ihnen danach zu bringen. Doch wegen dem Schlag kann er sich nicht mehr daran erinnern, wo er das Bild versteckt hat. Ein paar Ohrfeigen und blutige Nagelbetten später beschliesst Franck ihn hypnotisieren zu lassen, um so an das Geheimnis zu kommen. Simon wählt die Hypnotiseurin Elizabeth aus, einfach weil ihm ihr Name gefällt. Weil sie natürlich nicht die Wahrheit sagen können, gibt Simon vor seine Autoschlüssel zu suchen und findet diese mithilfe der Hypnose auch. Nur das Bild haben sie immer noch nicht. Elizabeth schöpft aus dem Zuschauer noch unbekannten Gründen Verdacht und forscht nach. Bei der nächsten Sitzung stellt sie Simon zur Rede und zwingt Franck ein gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe zu werden. Die Sitzungen beginnen erneut. Spielten sich die Ereignisse bisher auf einer Bewusstseinsebene ab, kommt es mir so vor, als ob mit jeder Hypnose eine neue Ebene entstehen würde. Durch das ganze Liebeschaos wird das Ganze noch ein wenig verschachtelter und schon bald weiß niemand mehr, wer wo und für wen steht. Ich persönlich fand diese ganzen Liebesszenen ziemlich unnötig, auch wenn sie ihr Ziel erreichen und Elizabeth als eine unberechenbare, manipulierende, starke und hinterhältige Frau erscheinen lassen. Simon dagegen wirkt immer noch wie ein netter Junge mit ein paar schlechten Neigungen. Doch je tiefer Elizabeth in seine Psyche dringt und je näher sie dem Geheimnis kommen, desto mehr vermischen sich die Ebenen und verändern sich die Persönlichkeiten der Protagonisten. Franck wirkt teilweise sehr schwach, manipulierbar und naiv. Elizabeth erscheint immer stärker, aber es wird auch erkennbar, dass ihre Vergangenheit sie und die Geschichte sehr prägt. Die interessanteste Charakterentwicklung macht aber Simon durch. War er am Anfang noch der liebe, vertrauenswürdige Junge, wird er immer mehr der wahre Böse. Oder wie eine Freundin von mir sagte: “Am Anfang fand ich ihn so nett, am Ende wollte ich nur noch, dass er stirbt“. 
    Simon wird nicht unsympathisch, er dreht nur komplett durch. Das wird besonders durch seine Träume und Trancezustände unterstrichen, wobei man da ja auch nie weiß, was real ist und was nicht. Die Frage ist, ob er wirklich zu einem Psychopath mutiert, wie sein genial-hässliches Grinsen vermuten lässt, oder ob er nur seine wahre Persönlichkeit preisgibt. Denn es gibt ja noch eine Vergangenheit, die ihn mit Elizabeth verbindet. Über diesen Teil des Filmes will ich nicht zuviel verraten, für all die, die noch nicht im Kino waren. Schließlich ist es der wichtigste und verwirrendste Teil vom Film.
    Je nach Sehgewohnheiten kann "Trance" ein großer Mindfuck werden oder eine mittlere Verwirrung. Gegen Ende wird das Ganze ein wenig gelüftet, aber sich da auf eine Interpretation festzulegen, wäre langweilig. Das Ganze ist gefilmt in oftmals perfekt polierten Bildern, manchmal aber auch in zu polierten Bildern. Nicht jede Szene hätte sein müssen, aber wenn man durch Gewalt kein Fsk16 kriegt, kriegt man es halt wegen etwas anderem. 
    Ein paar Worte möchte ich auch noch zum Soundtrack sagen, der passte nämlich absolut. Er verschmolz so mit den Bildern, der Geschwindigkeit und allem, dass ich manchmal gar nicht mehr bewusst mitbekam, dass Musik lief. Die Musik war nicht mehr nur Untermalung, sie wurde viel mehr zu einem Gefühl. 
    Einige Szenen erinnerten an "Inception" und selbst nach einiger Bedenkzeit weiß ich immer noch nicht, ob das positiv oder negativ zu werten ist. Aber so schön "Trance" auch anzuschauen ist, bleibt der Film leider ziemlich kurzweilig und irgendwie hätte ich mir auch gewünscht, dass die Hypnose hinterfragt wird und nicht nur der Handlung dient. 
    Trotz allem ist "Trance" ein sehenswerter Thriller und wenn man Mindfuck und Boyle mag, sollte man sich den Film auf keinen Fall im Kino entgehen lassen.

    http://planetofpictures.blogspot.de/2013/08/trance-us-2013-danny-boyle_15.html

    13
    • 8

      François Truffaut: Retrospektive #10

      Baisers Volés (Geraubte Küsse)

      "Que reste-t-il de nos amours
      Que reste-t-il de ces beaux jours
      Une photo, vieille photo de ma jeunesse
      Que reste-t-il des billets doux
      Des mois d' avril, des rendez-vous
      Un souvenir qui me poursuit sans cesse"

      Nach den ersten zehn Filmen von François Truffaut kann ich sagen: Truffaut macht mich glücklich.
      Seine Geschichten, simpel, ohne allzu große Wendungen und Verdrehungen, stecken so voller Details, dass eine oder zwei Sichtungen nicht reichen, um sie alle zu bemerken. Seine Filme sind wie etwas, für das man nicht genug schlechte Vergleiche finden kann. Leichtfüßig und schillernd wie ein Schmetterling und fliegend, aber doch lebensnah, voller Humor, voller Tragik. Filme, wo aus jeder Pore eine Liebeserklärung dringt an das Leben, an die Liebe, an den Film. In Truffauts Filme kann man sich eigentlich nur verlieben, oder zumindest sehnsüchtig hinterher schauen.
      "Baisers Volés" ist der dritte Film des Antoine-Doinel-Zyklus und Antoine ist erwachsen geworden, wenn auch nur einseitig. Äußerlich ist er vielleicht zum Mann geworden, jedoch hat er kaum etwas von seiner romantischen, kindlich-naiven, leichten Art verloren. Er läuft immer noch ziellos durch Paris, denkt weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft. Man könnte sagen, er folgt nur seinem Herzen, nichts anderem. Er rennt über die Straße und es ist ihm egal, ob er dabei vielleicht angefahren werden könnte. Sein Herz rennt von einer Nutte zu seiner großen Liebe von da wieder zur Nutte, dann zur begehrenswerten reiferen Frau und von da wieder zu seiner großen Liebe. Er ist launisch, ein wenig verwirrt über Liebe, Leben und sich selbst. Er ist beinahe frei, nur sein Herz kettet ihn noch. Zum Glück, was würde aus ihm nur werden, wenn er nicht mehr lieben würde. So oft wie seine Liebe schwankt, so schwankt auch der Beruf. Militär, Nachtportier, Privatdetektiv, Schuhverkäufer, Mechaniker... Nur hat man hier das Gefühl, das er sich niemals festlegen wird. Bei der Liebe hat man das wohl. Immer wieder zieht es ihm zu Christine zurück. In der Vergangenheit schrieb er ihr Briefe, mal nett, mal gemein. Er hörte damit auf. Er versucht sie zu küssen. Sie will nicht. Dann will sie, aber er will nicht. Es ist ein Hin- und Her, aber es ist ein schönes Hin- und Her, weil Antoine voller Liebe ist, genauso wie der Film. Er ist wie ein Kind und vielleicht ist es gerade das, was ich an ihm liebe. Er verkörpert all diese kindlichen Dinge, ohne dabei kindisch zu wirken. Er verkörpert nicht nur das Kind mit seiner launenhaften Liebe, seiner Liebenswürdigkeit, seiner verwirrten Lebensweise, seiner Bedenkenlosigkeit und Naivität. Er verkörpert auch die jugendliche Art mit seiner gewissen Rebellion, seinem Hang zum Außenseitersein, seiner Romantik, seinem Witz und Spontanität und seinem Wunsch nach Liebe. 
      Wie schon bei "Les Quatre Cents Coups" beschreibt "Baisers Volés" eigentlich nur einen Wendepunkt in Antoines Leben. Jedoch ist hier der Wendepunkt nicht so radikal und im Ganzen länger gezogen. Und es ist wie immer (es hört sich fast gelangweilt an das zu erwähnen) brillant inszeniert von Truffaut. Ich bin fast jedes Mal begeistert von den Dialogen, von der Geschichte selbst, von diesem unfassbar feinen Humor und in diesem Fall besonders von diesen Szenen, die man eigentlich weglassen würde, weil sie für die Handlung unwichtig sind. Zum Beispiel die Szene in der Antoine vor dem Spiegel sagt und minutenlang Christines, Fabiennes und seinen Namen aufsagt. Oder die schon oft hier erwähnte Szene mit dem Zwieback. Solche Szenen, die eigentlich unwichtig sind und auf die andere Filmemacher niemals im Leben kommen würde, machen Truffauts Filme noch einzigartiger, noch wunderbarer, noch liebenswerter als sie eh schon sind. 
      Und sie machen glücklich. "Baisers Volés" macht glücklich. 

      http://planetofpictures.blogspot.com/2013/09/truffaut-retro-10-baisers-voles-fr-1968.html

      11
      • 6
        Audreyfan 09.08.2013, 10:54 Geändert 30.12.2018, 11:38

        "I'm not crazy. I'm in love!"

        Von Vittorio De Sica kennen wir ja am ehesten "Ladri di biciclette". Dieser Film gehört zu seinen unbekannteren Werken. Auch wenn es absolut kein Meisterwerk ist, möchte ich "Woman Times Seven" doch gerne empfehlen, denn der Film hat auf jeden Fall seine gewissen Vorzüge, die vor allem im ausgeflippten Humor der Protagonisten liegen. Der Film ist in sieben Episoden gegliedert, die jeweils einen Moment im Leben einer Frau zeigen. Alle sieben Frauen werden von Shirley MacLaine verkörpert, die wir zum Beispiel als Miss Kubelik aus "The Appartement" oder als Martha aus "The Children's Hour" kennen. Die Episoden stehen getrennt von einander, der einzige Verbindungspunkt ist, dass sie alle in Paris spielen. 

        * Achtung, Spoiler! *

        Die erste Episode handelt von Paulette, deren Mann gerade verstorben ist. Sie und die Angehörigen sind unterwegs in einem Trauerzug durch die Parks von Paris. Paulette gerät in ein Gespräch mit ihrem Arzt, der ihr nach kurzem Drumherumreden seine Liebe gesteht. Er schwärmt ihr von dem gemeinsamen fiktiven Leben vor. Besonders amüsant ist hier das Trauern von Paulette. Im ganzen Film herrscht sowieso ein Over-Acting vor und in dem Heulen von Paulette kommt es besonders zum Vorschein. Den ein oder anderen mag sowas nerven, aber ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. 
        In der zweiten Episode handelt es sich um Maria Teresa, die von einem Urlaub in Rom nach Hause kommt und ihren Mann erwischt, wie er mit ihrer besten Freundin im Bett liegt. Nachdem sie die halbe Wohnung zertrümmert hat, läuft sie durch Paris und gelangt durch Zufall auf den Strich, der in Paris ja im Grünen an einer normalen Straße liegt. Dort versuchen die Prostituierten Maria Teresa zu überreden, sich an ihrem Mann zu rächen, indem sie mit einem anderen Mann schläft und sich dabei fotografiert. 
        In der dritten Episode geht es um Linda, eine Dolmetscherin. Die Männer beten sie an und nach einer Feier sitzt sie mit zwei Männern im Zimmer und geniesst mit ihnen sozusagen einen spirituellen Rausch der Literatur. Das hört sich komisch an und ist es auch. Es ist meine Lieblingsepisode, da sie so dermaßen verrückt und absurd ist, dass man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist.
        In der vierten Episode wird das Leben von Edith gezeigt, eine brave normale Hausfrau, deren Mann ein berühmter Schriftsteller ist. Er schreibt immer Geschichten, deren Hauptfiguren bezaubernde, andersartige Frauen sind. Da Edith das Gefühl hat, dass er sie nicht mehr wirklich beachtet, will sie so werden wie die von ihm beschriebenen Frauen. Sie läuft singend und tanzend durchs Haus, zieht sich Kostüme an und versucht ihren Mann so zu verführen. Doch dieser denkt, sie wäre verrückt geworden.
        In der fünften Episode sehen wir die reiche Eve Minou, die sich für die Einweihung eines Opernhauses extra ein Kleid hat schneidern lassen. Doch der Entwurf wurde geklaut und durch eine Zeitschrift erfährt Eve, dass ihre größte Rivalin das gleiche Kleid tragen wird. Sie setzt alles daran, dass ihre Konkurrentin ausgeschaltet wird oder ein anderes Kleid trägt. Sie lässt sogar eine Bombe legen und bringt ihren Mann so zur Verzweiflung.
        Die sechste Episode mutet noch etwas merkwürdiger an. Marie und ihr Geliebter liegen auf dem Hotelbett und planen einen gemeinsamen Selbstmord. Auch wenn die Situation eigentlich ernst ist, war es noch nie so amüsant, der Planung eines Selbstmordes zuzusehen. Doch Frauen sind unberechenbar und es stellt sich die Frage, ob der Selbstmord gelingen wird.
        In der letzten und siebten Episode sehen wir Jean, die mit ihrer Freundin über der Champs-Élysées spazieren geht. Die beiden bemerken, dass ein junger Mann sie verfolgt und sie beschliessen sich zu trennen, um zu sehen, wen von den beiden der Mann wirklich verfolgt. Er verfolgt Jean und nach und nach bildet diese sich ein, dass er vielleicht in sie verliebt ist und sie verliebt sich auch ein wenig in ihn, schließlich ist ihr Ehemann langweilig. Doch was ist, wenn der junge Mann sie nur für ihren Ehemann ausspioniert...?

        Fazit: "Woman Times Seven" ist ein kurzweiliger, amüsanter Episodenfilm. Er eignet sich hervorragend für einen schläfrigen Sonntagnachmittag und das ist schließlich auch ein positiver Vorzug. Es muss ja nicht jeder Film ein absolutes Meisterwerk sein, solange er sein Ziel erreicht und den Zuschauer für etwa 100 Minuten den Alltag vergessen lässt und auf höherem Niveau als so manch andere Sonntagnachmittag-Komödie unterhält.

        http://planetofpictures.blogspot.de/2013/08/woman-times-seven-fr-it-us-1967_8.html

        7
        • 7

          François Truffaut: Retrospektive #9

          "La mariée était en noir" (Die Braut trug schwarz)

          Wir alle kennen doch diese Geschichte. Es passiert ein Attentat auf eine Hochzeit, die Braut überlebt und will sich an den Verantwortlichen rächen. Nur, dass wir es diesmal nicht mit einer Blondine mit Schwertern und gelben Klamotten zu tun haben, sondern mit einer hübschen Französin, die Abendkleider trägt. Genauer gesagt wir haben es hier mit Truffauts Verfilmung vom gleichnamigen Buch zu tun. Da es irgendwie langweilig ist, Filme zu vergleichen, vergessen wir das, was auf dem Cover steht und betrachten diesen Film alleine. Ich muss sagen, dass ich gar nichts von der Story wusste, ich hatte es zwar irgendwo im Hinterkopf, aber war trotzdem von Anfang an ahnungslos, so wie wahrscheinlich die Zuschauer von damals. Und jedem, der diesen Film noch nicht kennt, rate ich: Vergesst das, was ihr gerade gelesen habt und lest am besten nicht weiter, sondern schaut stattdessen den Film. 
          Eine Frau schleicht in einem weißen Abendkleid um ein mehrstöckiges Haus. Der Zuschauer erfährt gar nichts von ihr. Sie wirkt geheimnisvoll, unnahbar, wie ein Geist. Sie fragt in der Rezeption nach einem Mann, wird aber nicht rauf gelassen. Der Zuschauer weiß immer noch nichts über sie, es werden Fragen über Fragen aufgeworfen. Es ist schwer, eine Figur zu zeichnen, die total geheimnisvoll wirkt und bei der man rausfinden will, wer sie ist. Zu schnell kann das Ganze nämlich gewollt und aufdringlich wirken. Truffaut schafft es aber. Dazu zeichnet er eine Atmosphäre der Suspense, man merkt wieder einmal, dass Hitchcock ihn sehr inspiriert. Zwar wird uns alles als normal gezeigt, wenn wir der Situation im wahren Leben begegnen würden, würden wir uns nichts dabei denken. Aber hier weiß der Zuschauer: Es wird etwas passieren. Die Frage ist nur Was und Wann und Wie. Auf einer Feier des Mannes passiert es dann. Er kommt mit der Frau ins Gespräch und sie stürzt ihm vom Balkon. Spätestens wenn sie im Zug sitzt und auf einem Notizblock einen Namen durchstreicht, wird einem klar: Diese Frau ist auf einem Rachefeldzug. Wir wissen ihren Namen, wir wissen was sie will und wir wissen, dass jeder Mensch, dem sie begegnet in Todesgefahr ist. Das Treffen mit der nächsten Familie verläuft quälend langsam und es entfaltet sich die gesamte Macht der Suspense. Der Zuschauer weiß, was passieren wird und wartet gespannt darauf. Das Opfer weiß gar nichts. Und so geht es weiter. Fünf Namen stehen auf ihrer Liste. Ab und zu sackt die Spannung etwas ab, aber Truffaut schafft es immer wieder, durch geschickte Wendungen, Zusammenhänge und kreativen Mordmethoden die Spannung auf den Höhepunkt zu treiben.

          8
          • Ein, entschuldige, bescheuerter Test. Ich mein, wenn jemand das wirklich anwenden will, soll er doch, aber dann verpasst er tolle Filme, wie zum Beispiel die unten schon genannten Filme.
            Und was ist mit Letztes Jahr in Marienbad? Dort sind alle Personen anonym. Ach ne, da gibt es ja nur eine Frau, die sich mit dem Mann nur darüber unterhält, dass sie ihn nicht kennt und was letztes Jahr alles passiert ist, als er dabei war.
            500 Days of Summer? Redet Summer da je mit Autumn? Nee.
            Blue Valentine? Gilt das kleine Mädchen auch als Frau oder redet Cindy mit anderen Frauen nur dann, wenn sie sich über Dean aufregt.
            2001? Gibt es da überhaupt Frauen? Gelten weibliche Affen auch?
            Da könnte man jetzt tausende Filme aufzählen, die zeigen, dass dieser Test absolut sinnlos ist...

            1
            • 8

              François Truffaut: Retrospektive #8 und auch gleichzeitig mein 800. Film.

              "Fahrenheit 451"

              "These Books are my family"

              Bücher. Hände streichen sanft über ihren Einband, spüren das raue Material, umfassen den Einband, klappen das Buch auf, blättern die Seiten um, bedacht darauf sich nicht am Papier zu schneiden, Seite für Seite, Papier, schnell wirbeln sie sie wie ein Daumenkino um, dieser Geruch, dieser Geruch von Papier, die Schrift, klein, mittel, groß, was die Zeichen wohl bedeuten, Lesen, Wort für Wort, Emotionen und wieder dieser Geruch. Göttlich. 
              Bücher waren meine erste Liebe. In der Grundschule las ich sämtliche Bücher der anliegenden Bibliothek. Jedes Mal, wenn sie für ein paar Stunden geöffnet hatte, saß ich dort auf den teppichbezogenen Stufen, die Nase tief in den Büchern. Am Ende lieh ich mir meistens etwa drei bis fünf Bücher aus, die ich je nach Dicke innerhalb von drei, vier Tagen aus hatte. Das einzige Buch für das ich damals eine ganze Woche brauchte, war Harry Potter und der Orden des Phönix, der hatte ja auch über 1000 Seiten oder so. Das ganze Haus ist voll Büchern. Es sind so viele, noch nicht mal meine Mutter, die sie ja gekauft hat, hat bisher alle gelesen. Im Kindergartenalter fing ich mit kleinen Bilderbüchern an, die pro Seite vielleicht einen geschriebenen Satz beinhalteten. Oder diese Bücher mit der Taschenlampe, ich weiß noch nicht mal mehr, wie sie heißen. Aus Bilderbücher wurden Märchen, Abenteuerbücher, Detektivbücher, Lustige Taschenbücher, Tierbücher, Liebesgeschichten für zehnjährige Mädchen, der erste Krimi, der erste Psychothriller, das erste grausame Horrorbuch mit darauffolgenden Alpträumen und das traumatisierendste überhaupt: das Aufklärungsbuch. Es folgten Enzyklopädien, so schwer, dass ich Angst hatte, das sie mir auf den Fuß fallen würden. Mangas, Belgische Comics, Liebesromane, Weltliteratur, Lieblingsbücher. Medizinhefte und Medizinthriller meiner Mutter, von denen ich kaum ein Wort verstand. Irgendwann fing ich selber an zu schreiben. Kurzgeschichten, Gedichte, lose Gedankenstränge, die so dermaßen miserabel sind, dass ich sie heute am liebsten wegschmeißen würde. Aber es half mir mit den Ärgernissen der Pubertät klar zu kommen. Ich konnte alles aufschreiben, mit der Sprache spielen, aus simplen Wörtern emotionale Sätze bilden. Auch wenn niemand das Ganze las, hatte ich doch das Gefühl, das mir jemand zuhörte. Und zwar die Seiten. Das Papier. Die Farbe des Stifts. Jetzt bin ich in dem Alter, wo man plötzlich keine Zeit mehr hat. Ich lese vielleicht nur noch ein Buch im Monat und die Liebe ist alt geworden, aber sie ist noch da. Und deshalb...
              Es tat weh.
              Diese Bücher da fallen zu sehen, brennen zu sehen. Die Seiten rollten sich schwarz ein, Bilder und Wörter verschwammen, verschwanden. Es starb nicht nur das Papier, es starb auch eine Welt mit jedem Buch. Ich denke, genau das will dieser Film uns sagen. Klar, man sollte nicht außer Acht lassen, dass nicht jedes Buch wunderbar ist. Jeder Idiot schreibt heutzutage ein Buch. Aber vergessen wir das mal. In jeder Kunstform gibt es sowas. Was wäre die Welt ohne Bücher? Wie man in "Fahrenheit 451" feststellen kann, ist es keine schöne Welt. Eindrucksvoll die Szene, wo Truffaut quasi ein Buch zum Leben erweckt, indem er den Wind die Seiten umblättern lässt. Oder am Ende, wenn alle Menschen rumgehen und zitieren. Auch wenn dieser Film keine Perfektion ist, sind es diese Szenen, die ihn zu einem ausgezeichneten Film machen. Denn was wäre der Film ohne die Bücher? Was wäre das Leben ohne die Bücher? Es wäre kein Leben. Und wenn ich meine alte Liebe so aufflammen sehe, tut es weh, verdammt weh und ich will aufstehen und über all die Buchrücken streichen und ihnen sagen, dass ich sie liebe. Ihnen versprechen, dass ich auf sie aufpassen werde, dass sie niemals brennen werden. 

              http://planetofpictures.blogspot.de/2013/09/fahrenheit-451-gb-1966-francois-truffaut.html

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              • 7

                "The stars will wheel forth from their daytime hiding places; and one of those lights, slightly brighter than the rest, will be my wingtip passing over."

                "Up in the Air", das ist das Motto von Ryan Bingham. Sein Beruf ist es, Leute zu feuern und dafür reist er durch ganz Amerika von einer Stadt zur nächsten. Er hat sich frei gemacht von allen gesellschaftlichen Lastern. Er hat keine zwischenmenschlichen Beziehungen, kein eingerichtetes Haus, keine Kinder, keine Menschen, die er vermissen könnte und sein Gepäck passt in einen kleinen Koffer. Sein Zuhause ist der Flughafen. Sein Wohnzimmer das Flugzeug, das Einchecken der Guten-Morgen-Gruß und das geschäftige Hetzen der Menschen seine Beruhigungsmusik. Für andere ist es der Horror, lange zu fliegen. Für ihn ist es der Horror, lange auf dem Boden zu sein. Er fliegt und fliegt, sein Ziel sind die zehn Millionen Meilen und wenn er mal am Boden ist, feuert er halt professionell Menschen oder hält Vorträge über sein leichtes Gepäck. Ich denke sehr wenige von uns könnten sich so ein Leben vorstellen, vielleicht würden wir im wahren Leben sogar Mitleid mit so einem Menschen haben. Eine Qualität von diesem Film ist es aber, dass Reitman schafft, dass wir Sympathien für Ryan aufbauen. Sein Lebensstil und seine Philosophie kommt uns nicht wirklich absurd vor, vielleicht gibt es ja auch ganz viele von seiner Sorte. In vielen Momenten strahlt dieses ständige Fliegen sogar einen aufregenden, poetischen Reiz aus, vor allem bei den Sequenzen mit den toll gefilmten Vogelperspektiven von Landschaft, Städten und Wolken. Alles in allem ist "Up in the Air" toll gefilmt und fängt - soweit ich das aus meiner bescheidenen Erfahrung sagen kann - ziemlich gut den Flair des Flughafen und des Fliegens auf. Und so könnte das locker weitergehen, unterlegt mit einem ruhigen, angenehmen Soundtrack, wenn da nicht das alt bekannte Problem auftauchen würde: die Liebe. Oder zumindest die Frage nach der Liebe. Es wird nicht erklärt, warum Ryan sich gerade für so ein Leben begeistern kann und ehrlich gesagt bin ich froh, dass auf diesen psychologischen Ansatz verzichtet wird, das hätte dem Film sicher einiges geraubt. Es stellt sich nur die Frage, ob ein Mensch wirklich sein ganzes Leben ohne zwischenmenschliche Beziehungen leben kann, ohne Anker, ohne Ruheort, eben ohne Liebe. Zuerst ist die Geschäftsfrau Alex für Ryan nur eine kleine Nacht, die man gerne wiederholt, doch als die ehrgeizige, junge Natalie auftaucht mit all ihren romantisierten Idealen, Träumen und Hoffnungen, stellt er sich langsam die Frage, ob er dieses Leben noch lange weiter leben kann. Spätestens nach der Hochzeit seiner Schwester wächst in ihm der Wunsch, auf andere Menschen zu achten, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken und er fängt an, seine Lebenseinstellung anzuzweifeln. Doch immer noch schwebt er in den Wolken. Er verweilt zwar jetzt lieber auf dem Boden, doch innerlich ist er immer noch da ganz oben. Bis er schließlich unsanft landet. Die Frage ist jetzt nur: Wird er jemals wieder starten?
                Man sollte in "Up in the Air" keine große Botschaft suchen. Der Film ist viel mehr eine Liebeserklärung an den eigenen Lebensstil, an das was man ist, an das was man leben will. Das Ganze unterlegt mit dem schon erwähnten angenehmen Soundtrack und den poetischen Bildern kreiert einen absolut sehenswerten Film, der ein schwebendes, gutes Gefühl hinterlässt.

                http://planetofpictures.blogspot.com/2013/07/up-in-air-us-2009-jason-reitman_25.html

                10
                • Bei mir war es früher so, dass ich einen Film eigentlich nur wegen den Schauspielern schaute und seltener wegen dem Regisseur. Mit der wachsenden Filmbegeisterung ist es jetzt andersrum geworden. Die Schauspieler, wegen denen ich ins Kino gehen würde, kann ich an einer Hand abzählen, die Liste der Regisseure dagegen wird immer länger. Das merke ich auch immer sehr schön, wenn ich jemanden erzähle, was ich für Filme gekauft habe, dann heßt es zB Blue Velvet von David Lynch, Metropolis von Fritz Lang und Drive mit Ryan Gosling. Wie auch immer, ich denke, dass die Begeisterung für Regisseure mehr zunimmt, je mehr man filmbegeisteter wird, weil man sich dann auch für all das was hinter dem Film ist, interessiert und nicht mehr für die reine Unterhaltung, die ja die SchauspielerInnen dann symbolisieren.

                  8
                  • 9

                    Wenn ich jetzt an "Only God Forgives" denke, muss ich an Blattgold denken. Ich weiß nicht warum, wahrscheinlich wegen den Farben. Vielleicht auch weil man ruhig mit dem Material umgehen muss und es schnell zerreißt. Der Film kam mir auch vor wie einer dieser hoch empfindlichen Christbaumkugeln aus Glas. Sie sind so perfekt und wunderschön anzusehen, doch wenn man nicht richtig mit ihnen umgeht, zerspringen sie. Wenn man so im Kino sitzt, ist da immer eine Wand zwischen der Filmwelt und dem Zuschauer. Bei manchen Filmen ist sie so hauchdünn, kaum vorhanden, dass man sich schnell in ihnen einfindet. Bei anderen ist sie sehr dick und bis man sich in den Film einfindet, dauert es seine Zeit. "Only God Forgives" ist keins von beiden. Es gibt keine Wand, es gibt nur diese Tür. Entweder man fragt sich, was das alles zu bedeuten hat, wo der Sinn ist, was das Ziel ist, worum es geht...oder man geht einfach rein. Zuerst empfängt einen Befremdlichkeit, leichtes Gruseln, der letzte Widerstand gegen den Sog, doch dann ist man da in dieser Welt von "Only God Forgives". Eine Welt mit Wänden aus Blattgold, Boden aus dünnem Glas und unendlichem Himmel. Alles bewegt sich so langsam, so bedächtig, so perfekt. Ihre Gesichter sind emotionslos, weil diese wunderschöne Welt in Wirklichkeit hässlich ist und niemanden verzeiht. Es scheint, als ob es kaum Geräusche gibt, nur gelegentliches Reden und hallende Schritte zerreißen die Stille, doch ohne dass wir es merken umgibt uns eine zarte, strudelnde, rauschhafte Musik. Alles sieht so perfekt aus, alles ist parallel, gerade, glänzend, mittig, koordiniert. Ich habe das Gefühl, dass wenn ich mich nicht überlegt bewege, alles zerstöre und aus der Welt raus geschleudert werde. Ab und zu explodiert eine Flasche der Gewalt und ich stolpere zurück, will hier raus. Aber ich möchte mal ehrlich sein: Ich will hier nicht raus. Ich habe noch nie eine so wunderschöne Hässlichkeit gesehen. Noch nie eine so leere Fülle. Noch nie eine so volle Leere. Noch nie einen so gegensätzlichen Film, bei dem man einerseits verachtend und angeekelt still wegschauen will, anderseits aber fast übersprudelt vor Begeisterung und Kunstliebe und über jedes Bild einen Roman schreiben könnte.
                    Wundervoll, hypnotisierend, paralysierend, rauschhaft, bedrückend, erfüllend, perfekt, unkonventionell, gewaltig, still, unvergleichbar, unbeschreiblich, all das und noch viel mehr ist "Only God Forgives". 

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                    • Wenn ich mir das so anschaue, wird das eher das langweiligste Kinojahr aller Zeiten. Von den dort aufgezählten will ich KEINEN einzigen Film sehen, bis auf Star Wars vielleicht, aber das ist ja auch so eine Sache...

                      13
                      • 8 .5

                        François Truffaut: Retrospektive #7

                        "La peau douce" (Die süße Haut)

                        François Truffaut beschrieb die Entstehung seines vierten Langfilmes sehr schön und passend: "Die süße Haut ging von einem Bild aus, das ich einige Jahre zuvor sah oder mir einbildete von einem Pärchen in einem Taxi. Ich sah das und sagte mir um 19 Uhr abends: Die fahren jetzt heim, sind nicht verheiratet, zumindest nicht miteinander, vielleicht auch mit Kindern. Ihr Kuss in diesem Taxi in einer Großstadt ist äußerst sinnlich [...] denn man hörte beim Küssen das Geräusch ihrer Zähne."
                        Ehebruch. Ein Mann, seine Frau und seine Geliebte. Die süße Haut. Die süße Haut der Geliebten, das Neue, das Ausbrechen aus dem Versprechen. Urlaub vom Alltag, von der Ehe, vom normalen Leben. Ihre süßen Lippen. Ihre süßen Augen. Ihr süßer Körper. Ihre süße Haut. Doch wie schnell kann aus süß, bittersüß werden, und aus bittersüß bitterböse.  Wie schnell kann aus einem Blickkontakt Körperkontakt werden und aus einer heilen Welt eine tote Welt. Das Gewissen nagt an ihm, ihm den Betrüger. Er hatte all diese gesellschaftlichen Ideale. Frau, Kind, Haus, Job, Reisen, Intellekt. Und nur ein Blickkontakt, eine Streichholzschachtel lässt alles zusammenbrechen. Weil er seinem Herz gefolgt ist? Weil er seinen Verstand ausgeschaltet hat? Weil er undankbar war? Oder alles zusammen? Oder war das alles nur ein Zufall? Ein Zufall, der so schön mit den Hüften schwingt, so schönes Haar hat, so süße Haut und der sich als kleine Ausnahme verpackt erkenntlich gibt. Nur einmal. Und aus einmal wird zweimal. Und aus zweimal wird dreimal. Und aus dreimal wird eine Affäre. Und aus einer Affäre wird ein Missverständnis. Hätte auch nur einer dieser Ereignisse nicht stattgefunden, wäre es eine andere Geschichte geworden. Aber so wurde es diese tragisch-süße Geschichte, die Truffaut so wunderbar inszeniert mit diesen Gänsehautszenen, die ich mir wieder und wieder ansehen könnte. Die Liebe, die gebrochen wird von der Liebe und erlischt wegen der Liebe. Wegen eines Betrugs. Wegen einer Lüge. Wegen einem Zufall. Wegen der süßen Haut.

                        http://planetofpictures.blogspot.com/2013/08/la-peau-douce-fr-1964-francois-truffaut.html

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                        • 8

                          François Truffaut: Retrospektive #6

                          "Antoine et Colette"

                          Und was soll ich jetzt tun?
                          Ein paar Jahre später im Leben des Antoine Doinel. Wir befinden uns wieder in Paris. Antoine lebt alleine und arbeitet bei einer Schallplattenfertigung. Der einzige Kontakt zu seinem früheren "Les Quatre Cents Coups" - Leben ist sein alter Schulfreund René, was in einem Rückblick auch noch mal dargestellt wird. Der Kurzfilm ist die bekannteste Episode aus dem Film "L' amour à vingt ans". Laut Truffaut ist der Film wieder autobiographisch angehaucht und soll Truffauts erste Liebe nachempfinden.
                          Antoine trifft bei einem Konzert Colette und verliebt sich direkt in sie. Colette ist in etwa so alt wie er, geht aber noch zur Schule und hat offene, warmherzige Eltern, die Antoine auch bald kennen lernt. Er freundet sich mit ihnen an, isst mit ihnen zu Abend und denkt, seine Beziehung zu Colette hätte eine Zukunft. Doch eines Abends klingelt ein anderer Mann an der Tür, der Colette ausführt, und Antoine realisiert mit einem Schlag, das sie nicht mal annähernd in ihn verliebt ist. 
                          Truffaut zeigt hier wieder eine besondere Variante der Lebenstragik. Einseitige Liebe. Die Person, in die du verliebt bist, ist nicht in dich verliebt. Das kann Männern sowohl Frauen passieren. Und wieder bietet Truffaut keine Lösung an, kein Kopf-hoch, noch nicht mal ein So-ist-das-Leben-halt-manchmal, nein, er lässt Antoine (und den Zuschauer) sitzen. Er blickt wie paralysiert auf den Fernseher. Neben ihm fremde Eltern. Alles ist fremd. Sogar die Liebe ist ihm fremd, denn sie bleibt ihm fern und zeigt Seiten auf, die er noch nie erahnt hat. Was ihm wohl in dem Moment durch den Kopf geht? Was er wohl denkt? Denkt er dasselbe wie der Zuschauer? Oder denkt er: Und was soll ich jetzt tun?

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                            Auf dem ersten Blick sehen wir die Welt in der Zukunft, genauer gesagt im Jahre 2022 (auch wenn der deutsche Titel einerseits doof, anderseits auch faszinierend ist). Die Erde ist überbevölkert und ausgerottet. Ein anderes Tier als den Menschen wird man hier wohl kaum zu Gesicht bekommen. Da wegen einer andauernden Hitzewelle auch die ganze Natur mit ihren ganzen Nahrungsmitteln dahingeseucht ist, wurde alles durch quadratförmige Plättchen aus Plankton oder Sojabohnen ersetzt, die kreative Namen wie "Soylent Rot", "Soylent Gelb" oder halt "Soylent Grün" tragen. Es gibt nur eine Wasserration am Tag und jeden Dienstag ist der "Soylent Grün" - Tag. Die meisten leben auf der Straße. Viele leben in kleinen Wohnungen. Und Wenige leben mit ihrem Inventar in schicken, großen Wohnungen mit warmen Wasser, Klimaanlage, Strom und natürlichem Essen. Robert Thorn ist ein Polizist und ermittelt im Mordfall von einem dieser Wenigen. Robert lebt mit dem alten Salomon zusammen, der ihm bei seinen Fällen hilft und sich zu gerne an die gute, alte Zeit zurück erinnert. Nach und nach merken sie, dass Soylent ein fürchterliches Geheimnis verbirgt und sie sind gewillt es zu lüften...
                            Auf dem ersten Blick also ein passabler, spannender Sci-Fi-Krimi. 
                            Auf dem zweiten Blick sehen wir aber Themen und Fragen, die heutzutage aktueller denn je sind. Das offenbart schon der Vorspann und der Film erst recht. Überbevölkerung, Massenproduktion, Kapitalismus, Armut, Lebensmittelnot, Umweltverschmutzung, Zerstörung der Natur, Sterbehilfe und vor allem die allseits beliebte und häufig thematisierte Frage: Wie weit würde der Mensch gehen? 
                            Neben dieser Frage hat mich die Darstellung der Sterbehilfe sehr mitgenommen. Vor allem sollte bedacht werden, dass wenn dieses Thema noch heute ein so umstrittenes Tabuthema ist, wie groß war der Tabubruch wohl damals? Die Art, wie Salomon stirbt, ist wohl die Art, wie fast jeder gerne sterben würde. Daliegen, von der Lieblingsfarbe eingehüllt sein, die Lieblingsmusik läuft, man sieht wunderschöne Bilder und schläft schließlich einfach ein. 
                            Es ist ein grausamer Kontrast. Die Bürger von Soylent haben über gar nichts in ihrem Leben Kontrolle, nur über dem Tod. Heutzutage ist es doch eher das Gegenteil. Wir versuchen jeden Bereich in unserem Leben zu kontrollieren (auch wenn das je nach Person mehr oder weniger nicht gelingt) nur beim Tod entgleitet uns komplett die Kontrolle. Vielleicht auch der Grund, warum die Sterbehilfe so umstritten ist. Wenn man den Tod kontrollieren kann, würde dann nicht das Leben außer Kontrolle geraten?

                            Im Fazit ist "Soylent Green" also ein Sci-Fi-Krimi, der aktuelle Themen behandelt, wichtige Fragen aufwirft und einprägendere Szenen und Bilder schafft, als so manch anderer Sci-Fi-Film heutzutage. Ich würde "Soylent Green" sogar zu den wichtigsten Sci-Fi-Filmen zählen, aber davon kann sich ja jeder ein eigenes Bild machen.

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                              François Truffaut: Retrospektive #5

                              "Jules et Jim" (Jules und Jim)

                              Ihr kennt doch bestimmt diese Filme, an die ihr hohe Erwartungen hattet und dann nach dem Sehen feststellt, dass sie nicht erfüllt wurden, der Film aber trotzdem gut war. Ihr gebt dem Film dann eine niedrigere Wertung, als ihr euch vorher eigentlich erhofft hattet und versucht dann diese Wertung mit Kontraargumenten zu begründen, bis ihr plötzlich feststellt, dass ihr den Film noch schlechter findet, als davor. Ihr habt ihn euch sozusagen schlecht geredet. Ich hoffe, dass ich mit sowas nicht ganz alleine da stehe, denn dass ist mir bei "Jules et Jim" passiert. Und ich warne im Voraus: Es ist Meckern auf hohem Niveau.
                              Von Truffaut hatte ich bisher Coming-of-Age und Gangstertragödie gesehen, aber noch keine wirkliche Liebesgeschichte. "Jules et Jim" ist diese Liebesgeschichte. Truffauts dritter Langfilm. Zwei Männer, die eine Frau lieben und diese Frau liebt diese Männer. Also kurz die Geschichte erzählt: Jules und Jim lieben Catherine und Catherine liebt Jules und Jim und so springt sie von einem zum anderen und alles endet in der gewohnten von Truffaut so gern inszenierten Lebenstragik. Das Ganze ist gewohnt poetisch brillant inszeniert und der Film hat, denke ich mal mehr als sieben Punkte verdient, aber diese Bewertung ist subjektiv, genauso wie der Kommentar. Das Problem war, dass ich nicht mit den Charakteren mitfühlen konnten. Stellenweise nervte mich ihr Geplänkel und vom Ende war ich mehr als nur gelangweilt. Irgendwie kam mir der ganze Film zu zahm vor. Nicht, dass Truffaut ein offensichtlicher Provokateur wie Godard oder so wäre, aber er verstand es doch bisher immer unterschwellig zu provozieren und einem die Augen aufzureißen für die poetische Tragik des Lebens. Ich mag schlichte Storys, die sich in einem Satz zusammenfassen lassen und doch auf allen vorstellbaren Ebenen einem viel mehr mitgeben, aber die Geschichte, die hier erzählt wird, könnte genauso gut in irgendeiner RomCom  erzählt werden. Sie hat einfach nichts Besonderes und von Minute zu Minute wurde es mir egaler, wen von den beiden Catherine jetzt liebt. Das ist alles andere als Truffauts Fehler. Truffaut macht alles richtig, auch wenn er es eigentlich sonst besser macht.
                              Das hört sich jetzt alles so negativ an, aber im Endeffekt hat mir der Film gefallen, deshalb auch die 7. Ich könnte auch all die positiven Sachen beschreiben, aber das spar ich mir für die nächsten Filme auf, die mich dann hoffentlich wieder total begeistern.
                               
                              http://planetofpictures.blogspot.com/2013/08/jules-et-jim-fr-1962-francois-truffaut.html

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                              • 8 .5

                                "We like our coffee bloody!"

                                "Bringing out the Dead" zeigt grob gesagt ein paar Tage aus dem Leben des Rettungssanitäters Frank Pierce, der von Schuldgefühlen, Depressionen, Schlafmangel, Alkohol und dem Wahnsinn der Welt geplagt wird. 
                                "Bringing out the Dead" ist eine Wucht und ich will diesen Film mit positiven, großen Adjektiven überhäufen. Nicolas Cage spielt hier die beste Rolle, die ich je von ihm gesehen habe und mit einem Schlag vergesse ich all seine filmischen Schandtaten und liebe diesen Kerl einfach. Die Rolle passt einfach. Genauso wie hier alles andere passt. Jede einzelne Szene, jeder Farbton, jedes Detail trägt dieselbe Wichtigkeit für diesen Film, diesen Rausch der Bilder unterlegt mit Sirenengeheul, Musik und den Lauten des Wahnsinns. Wahnsinn. Zuerst kündigt er sich langsam an. Wir sehen Frank, wie er Nachts mit seinem Beifahrer im Rettungswagen durch New York fährt und den Wahnsinn blutend, schreiend oder tot in die Notstation einliefert. Anfangs erinnert der Film sogar ein wenig an eine Krankenhausserie wie zum Beispiel "Emergency Room". Der Wahnsinn hält sich in Grenzen, wir streifen ihn kurz, aber wir verfallen ihm nicht. Es ist laut, schmutzig, ekelhaft, lebendig und im Sterben liegend. Frank schleppt ein Problem mit sich rum. Er gibt sich die Schuld an dem Tod eines Mädchens, das er nicht retten konnte. Ihr Gesicht verfolgt ihm und treibt nicht nur ihn langsam in den Wahnsinn, sondern auch den Zuschauer. Die Farben, die Bilder, alles prasselt schneller und hektischer auf mich ein und spätestens nach Franks Drogenrausch bin ich dem Ganzen komplett verfallen. "Bringing out the Dead" zeichnet ein Gesellschaftsbild, das so dermaßen durchgeknallt und krank ist, dass es surreal wirkt. Der Tag existiert nicht mehr, nur noch die Nacht. Die laute, bunte, brutale, unvorhersehbare, blutige, tiefe Nacht. Es gibt kein Glück und wäre der Film nicht so durchtränkt vom schwarzen Humor, der mich vor Lachen fast umhaut, müsste ich traurig sein. Aber Traurig sein gibt es hier nicht. 

                                "You have to be strong to survive in this city." 

                                Die Sanitäter blenden alles aus, wollen der ganzen Sache mit dem Leben und dem Tod den Ernst entziehen und doch scheint es so, als ob in ihnen irgendwas zerbrochen wäre, das jetzt Platz macht für den vollkommenen Wahnsinn. Und so rasen sie durch die Stadt, durch die Nacht, durch die Farben, durch den Wahnsinn und der Zuschauer rast mit durch die Stadt, durch die Nacht, durch die Farben, durch den Wahnsinn, durch die rauschhaften Bilder und es ist kein Ende in Sicht. Der Wahnsinn wird immer größer und größer, er verschlingt jede Normalität des Lebens. 
                                Ich weiß nicht, was vorher war oder was nach dem Abspann passiert. Ich weiß nur: Es war toll. Verdammt toll. Ein wahnsinniger Film.

                                "Our mission: to save lives!"
                                "Our mission is coffee, Tom! A shot of the bull, Puerto Rican espresso."

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                                • 9

                                  "Blue Valentine" zeigt uns die Trümmern einer Liebe und die Dinge, die sich leuchtend und glänzend darunter verbergen. Es ist ganz bestimmt kein Weltereignis, wenn ein Liebesfilm pessimistisch wirkt und doch ist es immer eine schöne Abwechslung - vor allem wenn es wie hier so grenzgenial inszeniert wurde. Übertreibe ich? Nein, denn auch wenn es hier nichts absolut Neues gibt, gibt es trotzdem drei ganz besondere Dinge, die ich persönlich sehr schätze. Zum ersten wäre das die Abwesenheit von Klischees und sonstigem, die von einem Liebesfilm sonst eigentlich wie magisch angezogen werden. Zum zweiten ist es das vollkommene Einfühlen in die Protagonisten, das Verständnis für sie und die damit verbundene Neugier auf ihre Geschichte. Dieses Mitlächeln und Mitheulen. Was dann auch zum dritten Punkt führt. Und das ist etwas, was mich gleichzeitig begeistert und verwirrt. Das Wechselbad der Gefühle. Etwas unchronologisch zu erzählen, ist ganz sicher nichts Neues, aber Cianfrance schafft es ganz ohne irgendwelche Einblendungen verständlich zu machen, was Vergangenheit und was Gegenwart ist. Man merkt es ganz einfach an ihren Mienen. Sind sie in den Rückblicken himmelhoch jauchzend verliebt, merkt man in der Gegenwart ganz klar die Anspannung und den gegenseitigen Hass. 
                                  Aber dürfen Liebesfilme pessimistisch sein oder vermitteln sie damit ein falsches Bild von der Liebe?
                                  Wir werden von Geburt an mit dem Wort Liebe bombardiert. Wir lieben unsere Eltern, wir lieben die Welt, wir lieben den süßen Nachbarsjungen (oder von mir aus auch das Nachbarsmädchen), wir sehen Liebesfilme, hören Liebeslieder, lesen Liebesromane, beobachten Liebespärchen, spielen Hochzeit auf dem Dachboden und wollen nur eins: Lieben. Bis wir dann merken, dass Liebe auch Schmerz mit sich bringt und wir uns fragen, was Liebe eigentlich ist. Doch trotz diesen brennenden Fragen wird uns immer noch das tolle, optimistische Bild der Liebe vermittelt, vor allem durch die sogenannten Liebesfilme. Egal was passiert, am Ende küssen sie sich. Doch was passiert nach dem Happy End? Kommt da nicht der Alltag? Ist Streiten Hass oder Liebe oder beides? Und nochmals was ist eigentlich Liebe? Das jahrelang vermittelte Bild der Liebe fängt an zu wackeln und entweder wir spüren den Schmerz der Liebe am eigenen Leib oder wir bleiben wie der Teenager so schön sagt "Forever Alone" und verachten die Liebe, weil sie uns vergönnt bleibt. Vielleicht gibt es irgendwo das perfekte Paar, das sich jeden Tag noch mehr liebt als am Tag zuvor, sich nie streitet, prunkvoll heiratet, seine Kinder wohl erzieht, das Leben miteinander teilt und zusammen stirbt. Ich kenne dieses Paar nicht und ich will es auch gar nicht kennen lernen. Alles was ich von der sogenannten Liebe weiß, ist, dass Hass auch dazu gehört. 
                                  Doch was ist, wenn der Hass die Liebe übersteigt, sie schwarz färbt und jeder Versuch, die langsam runterfallenden Trümmer aufzufangen, vom Alltag erstickt wird? Deans und Cindys Liebe kann man nicht mit einem Kartenhaus vergleichen. Eher mit einem schönen Haus mit Fenstern und Türen. Doch der Alltag schlägt mit immer stärker werdenen Fäusten auf dieses Haus ein und jeder Streit verursacht zusätzlich einen Riss. Langsam stürzt das Dach ein und sie sehen es auf sich zukommen und versuchen verzweifelt auf ihre Weise die Trümmer aufzuhalten. Sie schaffen es nicht und zerstören dabei die Fenster. Nach und nach brechen die Mauern ein und der Schutt begräbt den glänzenden Boden und die leuchtenden Möbeln. Es nähert sich dem Ende und nur noch eine Tür steht da mit der Frage, ob man sich unter den Trümmern begraben lassen will oder ob man das einstürzende Haus verlässt und auf den Straßen des Lebens weiter wandert, bis man ein neues Haus findet oder einsam stirbt. Jetzt muss nur noch jemand euer Lied ausschalten, während eure Liebe in den Himmel steigt wie eine tote Seele und sich in ein funkelndes Feuerwerk der Erinnerungen verwandelt. 
                                  Ja, ein Liebesfilm darf pessimistisch sein, denn dadurch wird er realistisch.

                                  Und ja, Cianfrance, ich bin von dir begeistert.

                                  "You always hurt the one you love. The one you shouldn't hurt at all. You always take the sweetest rose and crush it until the petals fall. You always break the kindest heart with a hasty word you can't recall, so if I broke your heart last night it's because I love you most of all."

                                  http://planetofpictures.blogspot.de/2013/07/blue-valentine-us-2010-derek-cianfrance_2572.html

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                                    François Truffaut: Retrospektive #4

                                    "Tirez sur le pianiste" (Schießen Sie auf den Pianisten)

                                    Nach dem Erfolg von "Les Quatre Cents Coups" war Truffaut berühmt und mit ihm auch die Nouvelle Vague. Doch anstatt nun Filme zu machen, die dem Publikum sicher gefallen würden, entschied er sich dafür, den Kriminalroman "Down There" von David Goodis zu verfilmen, und so dem amerikanischen Gangsterfilm eine Ehre zu erweisen. Truffaut sagte selber: "Ich war frei wie der Wind. Ich erlegte mir einen Zwang auf, um nicht verrückt zu werden. Ich versetzte mich in die Lage eines Filmemachers, der den Auftrag bekommt, einen amerikanischen Kriminalfilm auf Frankreich zu übertragen." 
                                    Der Film floppte in Europa, wurde jedoch in Amerika so etwas wie ein Kultfilm und spielte dort monatelang in den Kinos. 
                                    "Tirez sur le pianiste" ist eine wahre Perle der Nouvelle Vague, denn hier wird die experimentelle Poesie so klar hervor gehoben, wie in kaum einem anderen Film von Truffaut. Es gibt die radikalen Schnitte und Sprünge, die Verschmelzung der Zeitformen, ironisch-provokanter Humor, innere Monologe und noch eine Menge anderer Konventionsbrüche. Zum Beispiel in einer Szene, in der Clarisse nackt neben Charlie liegt, sagt dieser zu ihr: "Vergiss nicht, dass so etwas nicht in einem Film erlaubt ist." Eine ironische Anspielung auf die Prüderie der damaligen Filme.
                                    Der Film kann in zwei Akte aufgeteilt werden. Der erste Akt ist das Leben des Edouard Saroyan (Charlies richtiger Name). Edouard ist verheiratet und auf dem Weg ein berühmter Pianist zu werden. Als sich seine Frau aber in den Tod stürzt, gibt er alles auf und benennt sich um in Charlie Kohler. Das ist dann der zweite Akt mit all seinen Höhen- und Wendepunkten. Doch anstatt die beiden Akte klassisch voneinander zu erzählen, vermischt Truffaut sie ziemlich perfekt. Das Märchen des berühmten Klavierspielers und der Film Noir. Wiedermal beweist Truffaut auch, wie poetisch er die Tragik des Lebens zeichnen kann. Und auch wie vielschichtig und unkonventionell seine Charaktere sind. Charlie zum Beispiel weist neben seiner Namenszwiespältigkeit auch die Züge eines Antihelden auf. Er ist ängstlich, schüchtern, ruhig, verschlossen. Er ist ein kränklicher Träumer, eingesperrt in seinen Gedanken, hängend an der Vergangenheit. Er wirkt verletzlich, ist aber kein Opfer. Er ist voller Liebe, Poesie, niemand will auf ihn schießen und doch, wie er zumindest von sich selber sagt, ist er ein Schwein wie jeder Mann.
                                    Ich will gar nicht viel mehr verraten, denn dieser poetische Rausch von "Tirez sur le Pianiste" sollte einfach selber erlebt werden.

                                    "Elle s'appelait Françoise, mais on l'appelait Framboise. Une idée de l'adjudant, qu'en avait trés peu pourtant."

                                    http://planetofpictures.blogspot.com/2013/08/tirez-sur-le-pianiste-fr-1960-francois.html

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                                      François Truffaut: Retrospektive #3

                                      "Les quatre cents coups" (Sie küssten und sie schlugen ihn)

                                      Nach dem Kurzfilm "Les Mistons" und der Zusammenarbeit mit Godard drehte Truffaut seinen ersten Langfilm "Les quatre cents coups", dessen Titel sehr interessant ist, sowohl der original französische als auch der veränderte deutsche. Der französische Titel bedeutet nämlich von dem französischen Sprichwort "faire les quatre-cents coups" abgeleitet in etwa "sich die Hörner abstoßen". Passender kann es für einen Coming-of-Age-Film dieser Sorte kaum sein. Der deutsche Titel hingegen legt den Fokus eher auf die gesamte Familie von Antoine, als nur auf ihn. Es spiegelt die innere Zerrissenheit der Eltern wieder, die Kinder in seinem Alter haben. Sie lieben ihre Kinder zwar, aber deren pubertären Eskapaden bringen sie zum Verzweifeln, sie würden ihnen am liebsten ein paar Ohrfeigen verpassen. Viele tun das zum Glück nur innerlich, manche aber setzen ihre Verzweiflung in die Tat um. So wie Antoines Eltern. 
                                      Schon mit "Les Mistons" schuf Truffaut einen kleinen Coming-of-Age-Film, doch bei "Les quatre cents coups" gibt es zwei wesentliche Dinge, die anders sind. Zum einem wird bemerkbar, wenn man sich Truffauts Biographie anschaut, dass er mit diesem Film seine Kindheit verarbeitet. Zum anderen gibt es hier keine Moral. Truffaut bezieht keine Stellung, benutzt keine Klischees, er will einem keine Lebensweisheit auf den Weg geben, verurteilt niemanden, er erzählt einfach nur eine Geschichte. Mehr muss er auch nicht tun, denn die Geschichte beinhaltet schon die Kritik.
                                      Es ist die Geschichte vom jungen Antoine Doinel. Paris im Winter. Es liegt noch kein Schnee, aber die Bäume sind kahl und es gibt wegen dem Frost kein Wasser mehr in den Brunnen. Die Schüler sind nicht viel anders als die von heute. Sie spielen Streiche, ziehen Grimassen, schwindeln und treiben auch sonst allerhand Schabernack. Schule ist halt doof. Das finden auch Antoine und sein bester Freund René und schwänzen. Sie gehen ins Kino und auf den Rummelplatz, necken alte Leute und hüpfen fröhlich durch die Stadt. Sie geniessen das Leben auf ihre Art. Sie sind frei, denn sie machen sich keine Sorgen, hinterfragen ihre Taten nicht und nehmen keine Rücksicht. Doch diese Freiheit dauert nicht sehr lange, denn die kindlichen Taten werden immer krimineller, immer gefährlicher, bis sie schließlich eines Tages eine Schreibmaschine klauen, um an Geld zu kommen. So müssen wir zusehen, wie der kleine Antoine eingesperrt wird und von seinen Eltern verstoßen in der Erziehungsanstalt landet. Die Freiheit ist weg. So abrupt, dass er leise weint, als der Wagen Paris verlässt. Paris steht nun nicht mehr für die Freiheit, sondern für herzlose, genervte Eltern, Gitterstäbe und Einsamkeit. Im Erziehungsheim wird es nicht besser. Alles ist streng, böse und abstoßend. Es scheint, als ob die anderen Jungen ihr Schicksal schon aufgegeben hätten. Sie tun alles für ein paar Tage Freiheit, leben nur noch vor sich hin, sind abgestumpft und hoffnungslos. Antoine vermisst seine Freiheit. Aber wo ist die Freiheit? Wo ist die Kindheit? Wo ist das unbekümmerte Leben? Plötzlich ist die Welt groß und er klein. Plötzlich ist da eine Zukunft und eine Vergangenheit. Plötzlich sind die Mauern eng, der Himmel weg und die Farben stumpf. Wo ist die Freiheit? Wo ist das Leben? Antoine entflieht der Erziehungsanstalt und läuft weg. Er läuft und läuft, die Musik wird hoffnungsvoller, die Freiheit wird spürbar. Er erreicht das Meer, da wollte er schon immer mal hin, er spürt die Wellen, hört das Rauschen, riecht den Wind, schmeckt das Salz, sieht die Freiheit. Es muss ein vollkommener Moment für ihn gewesen sein. Das könnte ein Happy End sein, doch dann zoomt die Kamera auf sein Gesicht, verharrt und in Antoines Augen lässt sich eine Frage ablesen.
                                      Und was soll ich jetzt tun?

                                      "Ich hoffe, sie schicken mich zur Marine. Ich war noch nie am Meer. Ich würde es gerne mal sehen."

                                      http://planetofpictures.blogspot.com/2013/07/les-quatre-cents-coups-fr-1959-francois.html

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                                        Wir sitzen ganz oben im Kinosaal. Außer uns ist niemand da und alles ist still. Noch nicht mal der lästige Eismann kommt rein und ich frage mich, was wohl wäre, wenn wir auch nicht da wären. Würden sie dann trotzdem den Film abspielen lassen? Eine komische Vorstellung. Das Licht geht aus, der Vorhang geht auf und ich bin gespannt, was nun kommt. Einiges hatte ich ja schon gehört. Schwierig zu bewerten, schwer zugänglich, zu lang...Nun, ich will mich überraschen lassen, wie so bei ziemlich jedem Film. Der Film beginnt. Alles ist still...146 Minuten später kommen wir aus dem Saal. Ich bin benebelt, mir ist schwindlig. So wie immer nach dem Kino. Die Realität hat sich halt mit der Fiktion vermischt und für ein paar Stunden werde ich die Welt mit anderen Augen sehen. Doch diesmal ist etwas anders. Nur mit Mühe kann ich Tränen zurückhalten, so wie auch davor viele Male beim Film. Mir ist kalt und ich habe das Gefühl, dass ich in einem Traum stecke und dass nun irgendetwas Wichtiges passiert. Ich spüre die Blicke der Leute, so wie ich sie immer spüre, doch es ist mir egal. Geht doch in euren Film, verdammt. Ich war in "The Place beyond the Pines" und ich habe absolut keine Ahnung, was der Film da gerade in mir ausgelöst hat. Irgendwie hat er sich still durch meine Haut gefressen, ist in mein Herz eingedrungen und wurde durch meinen gesamten Körper gepumpt, bis er wieder an der Hautoberfläche ankam und sich dort in Gänsehaut verwandelte. Vielleicht bin ich auch einfach bescheuert. Oder der Film ist einfach nur verdammt gut. Grob gesagt.
                                        Denn "The Place beyond the Pines" ist mehr als nur verdammt gut. Der Film beginnt mit der Geschichte von Luke, dem Motorradfahrer. Klammer auf: Ist das wegen der PR so gemacht, dass Trailer und Inhaltsangabe total an "Drive" erinnern oder sollen die Wendungen so überraschender wirken? Klammer zu. Luke hatte einen One-Night-Stand mit Romina. Jetzt nach einem Jahr trifft er sie wieder und erfährt, dass Romina ein Kind von ihm bekommen hat. Er bekommt Vatergefühle und will für Jason sorgen. Für mich wirkte Ryan Gosling hier nicht zwingend als unnahbarer, cooler Typ, klar er hat nicht gerade die Mimik von einem Schauspieler in einem Stummfilm, aber er bringt die Rolle des Vaters, der es besser machen will als sein eigener Vater ziemlich authentisch und aufrichtig rüber. Es wirkt zwar etwas gerafft, dass er plötzlich Banken überfällt, aber egal. Also Luke überfällt Banken, hat dann eines Tages Pech und wird vom Polizisten Avery Cross erschossen. Tolles Drama, spannend und so weiter und so weiter jetzt kommt der Abspann. Von wegen. Da wo jedes gewöhnliche Drama das Ende setzen würde, macht Cianfrance einfach weiter. Luke war nur die Vorgeschichte. Jetzt wird der Fokus auf Avery gelegt. Avery der Held. Der Beschützer der Straßen. Väter sind für ihre Söhne Helden. Avery ist auch Vater eines Sohnes und er hat eine Frau. Er ist jung, er ist erfolgreich und er ist ein Held. Er hat den Bösen umgebracht, ihn aus den Straßen geschafft, wir können wieder sicher schlafen und träumen. Im Religionsunterricht redeten wir von Menschenwürde. Eltern, Großeltern, Gleichaltrige regen sich dauernd über die Gesellschaft auf, über die Ausländer, die Arbeitslosen, die Treulosen und Kriminellen. In den Nachrichten wird sich bei Opferzahlen versprochen. Ein Mann bringt Menschen um und die Todesstrafe wird gefordert. Ein Mann bringt einen Kriminellen um und er wird Held genannt. Warum gibt es Farben auf dieser Welt, wenn doch eh nur alles schwarz-weiß gemalt wird? Luke war sympathisch, wir haben gesehen, dass er ein Mensch ist. Ein Mensch mit Gefühlen, mit Verantwortungsbewusstsein. Ich bin mir sicher, wenn nur sein letzter Überfall gezeigt würde, dann wären wir mit eingefallen in die Avery-der-Held-Reden. Aber es gibt eine Vergangenheit, eine Vorgeschichte und wir haben Lukes gesehen. Und deshalb hätte ich kotzen können. Aber es ist dann doch nichts Neues, dass so etwas aufgezeigt wird, ich wollte es nur anmerken, denn es geht weiter. Averys Leben geht weiter und ich habe kurzzeitig Angst, dass der Film nun versemmelt wird, indem er eine Wie-ein-Cop-für-die-Gerechtigkeit-kämpft-Geschichte erzählt. Denn das tut der Film für einige Zeit und ich vergesse die Geschichte von Luke. Die Schicksale haben sich getrennt....bis sie dann fünfzehn Jahre später wieder aufeinander treffen. Lukes Sohn Jason trifft Averys Sohn AJ. Es ist schwer in Worte zu fassen, was ich fühlte und dachte. Es ist klar, wir können nie die Leben der Protagonisten in Filmen steuern, wir sehen nur ihre Geschichte. Aber ich war so in diesem Film gefangen, dass ich mich hilflos fühlte, ich konnte nur zusehen und nichts tun. Es war keine einmalige Geschichte, es ist eine Geschichte, die vielen passiert und es ist ein Thema, dass jeden betrifft, selbst wenn man ein Mädchen ist wie ich. Wir haben alle einen Vater. Manche Väter sind wie Luke, manche sind wie Avery. Wir hatten alle unseren Helden, unser Vorbild, vielleicht ist es bei manchen immer noch so. Aber wir wissen zu wenig. Wir wissen zu wenig über seinen Einfluss, sein Leben vor uns, wer er ist und was er will. Und je älter wir werden, desto weniger weiß er das über uns. Und wir kennen uns alle nicht. Ob das gut oder schlecht ist, darüber lässt sich streiten. "The Place beyond the Pines" zeigte mir zwei Männer und zwei Söhne. Zeigte mir die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, die zur Gegenwart wurde. Und ich sah das und ich erkannte, dass das nicht nur ein Film war, sondern viel mehr.
                                        Es war auch das Leben. 

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                                          François Truffaut: Retrospektive #2

                                          "Une histoire d'eau" (Eine Geschichte des Wassers)

                                          "Ich komme nicht vom Thema ab. Das ist mein Thema! Wie die Flut ein Auto querfeldein in die Felder drängt, um die Hauptstraße zu erreichen."

                                          "Une histoire d'eau" ist ein dufter Film von Jean-Luc Godard und François Truffaut, aus der Zeit ihrer Freundschaft, einer Zeit wo noch keiner der beiden einen Langfilm gedreht hatte. 
                                          Es ist ein Film des Abschweifens. 
                                          Das Wasser, das kein Kunstwerk ist, sondern ein Werk der Zerstörung, wird zum Kunstwerk, durch das die Frau und der Mann fahren, waten, gehen, tänzeln, küssen und eine Geschichte erzählen, die keine Geschichte ist, sondern eine Symbiose von Truffaut und Godard.
                                          Godard ist der mit den Vogelperspektiven, der schnellen Musik, dem Schweigen, der Gesellschaftskritik, die Witze sind schlecht, nichts ist frei und die Kunst ist zu ernst.
                                          Truffaut ist der mit den lyrischen Bildern, der sanften Musik, der anbahnenden Romantik, der Poesie, doch wo ist die Sprache hin, sind wir frei und die Kunst ist zu ernst.
                                          Beide sind die mit der Nouvelle Vague, den Konventionsbrüchen, der Off-Stimme, dem schnellen, leichtfüßigen Rausch der Bilder (schneller als das Wasser) und dem Talent aus Orginalaufnahmen einer Überschwemmung und der einfachsten Konstellation der Welt (Mann+Frau) eine Geschichte zu machen, die mehr Schönheit, Offenbarung und Wahrheit bietet als so manch mehrstündiger, kinofüllender Film. 
                                          Ist die Kunst zu ernst?

                                          Hier könnt ihr euch den schwarz-weißen Kurzfilm mit deutschen Untertiteln ansehen: http://www.youtube.com/watch?v=JnKNkwZHAkQ

                                          http://planetofpictures.blogspot.com/2013/07/une-histoire-deau-fr-1961-francois.html

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                                          • 8

                                            François Truffaut: Retrospektive #1

                                            Da ich eh nichts besseres mit meinem Leben anzufangen weiß, habe ich mir vorgenommen, eine Retrospektive von François Truffaut zu machen. Ich hoffe, dass ich es schaffe, jeden seiner Filme zu sehen und auch zu jedem Film einen würdigen Kommentar zu schreiben. Ich habe François Truffaut gewählt, zum einem weil ich ihn sehr mag, weil ich das französische Kino mag, weil ich die Nouvelle Vague mag und vor allem weil ich einmal chronologisch das ganze Lebenswerk eines bestimmten Regisseurs sehen wollte. Und da ich jetzt Zeit en masse habe (Sommerferien, wobei ich ja glaube, dass sich das Ganze bis in den späten Herbst reinziehen wird, ich will es ja nicht zu schnell angehen) fange ich jetzt mal an mit Truffauts erstem Werk.

                                            "Les Mistons" (Die Unverschämten) 

                                            "She always rode with her skirts flying. Bernadette led us to discover many of our darkly hidden dreams. She awoke in us the springs of luminous sensuality."

                                            Truffaut entführt uns mit seinem ersten Werk, dem schwarz-weißen Kurzfilm "Les Mistons", in eine Welt von fünf Jungen. Sie sind gerade in dem Alter, wo man bemerkt, dass es so etwas wie Liebe gibt, aber noch nicht weiß, was das ist, was das soll und was man damit anstellen kann. Der Film, rückblickend erzählt von einem der Jungen, beginnt mit einem Mädchen, das mit flatterndem Rock auf einem Fahrrad fährt. Bernadette. Sie fasziniert mich mit der typisch französischen Leichtigkeit, aber noch faszinierender muss sie wohl für diese Jungen sein. Zumindest verfolgen und beobachten die Jungen Bernadette. Diese ist mit dem gut aussehenden Sportlehrer Gérard zusammen. Die beiden wirken ziemlich verliebt und gerade diese Verliebtheit ruft in den Jungen eine Eifersucht auf, die sie sich nicht eingestehen können und der sie begegnen, indem sie sich über das Paar lustig machen. Dieses Lustig-Machen über etwas Fremdes und Neues ist allerdings nicht nur eine Angewohnheit von kleinen Jungen, sondern auch eine Angewohnheit der erwachsenen Menschen. Bei Erwachsenen handelt es sich allerdings nicht mehr um ein Gefühl, sondern eher um Dinge, Ethik oder schlicht gesagt Erneuerungen. Die Jungen schikanieren also das Pärchen und werden von Gérard als "unverschämt" betitelt. Als Gérard für drei Monate weg muss, schreiben sie eine gemeine Postkarte, um Rache zu üben und die Liebe der beiden zu zerstören. Gérard verunglückt bei einem Bergausflug und plötzlich wird ihnen ihre schlimme Tat bewusst. Sie bereuen.
                                            "Les Mistons" ist in gewisser Weise auch ein kleiner Coming-of-Age-Film, denn die Jungen begreifen, was Liebe ist, was Liebe soll und was Liebe machen kann. 
                                            "Les Mistons" ist auch die Quintessenz von Truffauts darauf folgenden Filmen. Denn hier wird der Hauptbestandteil seiner Filme vereint: Liebe, die kindliche Welt und die Tragik des Lebens. 

                                            Hier könnt ihr euch den Kurzfilm mit englischen Untertiteln ansehen: http://www.youtube.com/watch?v=Ne0OS9s8NNs

                                            http://planetofpictures.blogspot.be/2013/07/les-mistons-fr-1959-francois-truffaut.html

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                                              Es wirkt zuerst nicht gerade so, als ob "Double Take" uns etwas erklären oder aufzeigen wolle. Vielmehr wirkt es wie ein wirrer Mix aus allem möglichen.
                                              Kaffeewerbung.
                                              Hitchcocks Doppelgänger.
                                              1962 und 1980. 
                                              Der kalte Krieg.
                                              Machtkämpfe.
                                              Hitchcocks Filme.
                                              Das Fernseh.
                                              Das Kino.
                                              Der Weltraum.
                                              Die Vögel als Metapher.
                                              Erzählung wechselt sich ab mit Zeitdokumenten, Darstellungen, Texten, Filmszenen, vermischt alles und zieht den Zuschauer in einen gänsehautverursachenden Bildersog. 
                                              Doch wo ist der Sinn? Was will diese Doku zeigen? Vieles.
                                              Der Kampf zwischen dem Fernseher und dem Kino und wie das eine das andere zerstört. 
                                              Der Angriff auf unser Zuhause, unsere Heimat, alles was uns lieb ist.
                                              Paranoia.
                                              Paranoia im Fernseher, im Kino, in der Politik, in der Natur, im Krieg, in der Zukunft, im Zuhause, in der Familie, im Menschen, in Hitchcock. 
                                              "Double Take" will das zeigen und noch viel mehr, benutzt auch Mittel der Suspense so wie Hitchcock sie eins nutzte.
                                              Allerdings sollte man nicht erwarten etwas über Hitchcock konkret zu erfahren, "Double Take" macht ihn eher noch mehr zu einem Mysterium.

                                              "If you meet your double, you must kill him, or he will kill you."

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                                                Es ist schon fast eine Pflicht, bei einem Film, den anscheinend noch niemand von moviepilot gesehen hat, einen Kommentar zu schreiben. Vor allem, weil "Dschungel im Sturm" alles andere als ein schlechter Film ist.
                                                "Dschungel im Sturm" würde ich schon fast als ein klassisches Hollywooddrama bezeichnen, wären da nicht die anzüglichen Dialoge und die zumindest für die 30er Jahre erotischen Situationen. Laut dem Lexikon des internationalen Films gilt "Dschungel im Sturm" sogar "als ein Höhepunkt des erotischen Kinos der 30er Jahre." 
                                                Natürlich ist das Ganze nicht mit der "Erotik" der heutigen Filme vergleichbar, dennoch wirkt es, wenn man den zeitlichen Kontext betrachtet, gewagt und ist auf jeden Fall überraschend. Denn wer erwartet sowas schon bei einem schwarz-weißen 30er-Jahre-Film? Die Geschichte ist wie so oft für damalige Filme sehr simpel. Dennis (gespielt von Clark Gable) lebt eigentlich schon sein ganzes Leben lang auf einer Kautschukplantage in Indochina, auf der keine Frauen leben. Sein Beruf ödet ihn an. Eines Tages erscheint die Prostituierte Valentine (ganz wunderbar: Jean Harlow). Sie ist in Dennis verliebt. Als sie wieder abreist, trifft der neue Landvermesser Gary Willis mit seiner Frau Barbara ein. Dennis verliebt sich in Barbara. Doch das Schiff von Valentine läuft auf und so kehrt sie zurück zur Plantage und muss mit ansehen, wie Barbara ihren Mann mit Dennis betrügt. Die Frage ist: Wer von den beiden kriegt schlussendlich Dennis ab?
                                                "Dschungel im Sturm" ist also ein besonderes Hollywooddrama mit pfiffigen Dialogen, einer schön anzusehenden Prise Erotik und dann einem vielleicht doch etwas unkonventionellen Ende. Ich hoffe, ich konnte ein paar von euch durch diesen Kommentar Lust auf diesen Film machen. Auf dass die Bewertungen steigen :)

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                                                  "Cocktail für eine Leiche" ist ein beindruckendes Kammerspiel und macht deutlich, warum Alfred Hitchcock "Master of Suspense" genannt wird. Suspense ist eine der drei Unterteilungen der Tension, also der dramatischen Spannung. Die Suspense basiert auf dem Konzept der Vorhersehbarkeit. Und genau das ist "Cocktail für eine Leiche": Vorhersehbar. 
                                                  Vorhersehbarkeit ist sonst eher ein negativ belastetes Wort, doch hier ist es positiv zu verstehen. Denn obwohl man sich schon denken kann, wie der Film verläuft und wie er endet, schafft es Hitchcock, dass wir vor Spannung die Luft anhalten oder uns fragen, was bloß als nächstes passiert. 
                                                  Es geht wie so oft um den perfekten Mord. Der perfekte Mord wurde schon so oft in Filmen verarbeitet, vor allem in Hitchcocks, eigentlich könnte man auch sagen, dass jeder Mord auf dem Konzept des perfekten Mords beruht. Schließlich will doch kaum ein Mörder, dass er erwischt wird, oder? 
                                                  ----Hier wird gespoilert----
                                                  Im Gegensatz zu anderen Filmen, die darum handeln, dass der oder die Täter den perfekten Mord planen und ihre Pläne erst gegen Ende in die Tat umsetzen, geschieht hier der Mord direkt am Anfang. Der Zuschauer wird sofort schockiert und überrumpelt mit dem Mord, er ist der Anfangspunkt. Doch anstatt jetzt aufzurollen, wie es dazu gekommen ist, macht Hitchcock aus dieser Situation ein beindruckendes Kammerspiel. Wir erfahren nicht viel über die Täter, außer ein paar Banalitäten und ihr Motiv: Sie haben nicht gemordet aus Eifersucht, Geldsucht oder ähnlichem, nein, sie haben gemordet, weil sie Mord für eine Kunst halten, für eine Art Befriedigung, ein Experiment. Die Idee dazu haben die beiden Studenten von ihrem Lehrer Rupert Cadell, vorzüglich gespielt von James Stewart, der auch unter den Partygästen ist. Dieser würde es zwar nie wagen, seine Ideen in die Tat umzusetzen, aber die beiden sind überzeugter und tun es. Ihnen ist klar, dass sie einen perfekten Mord vollbracht wären. Um das Ganze zu feiern, haben sie eine Party geplant, natürlich unter dem Deckmantel eines anderen Anlasses. Während Phillip vor Angst stottert und sich betrinkt, ist Brandon richtig stolz auf seinen Mord und riskiert auch allerhand. Zum Beispiel benutzt er die Truhe, in der der ermordete David liegt, als Tisch. Und so kommt es, dass die Gäste fröhlich ihre Cocktails trinken und reden, während eine Leiche sie sozusagen beobachtet. Ja, man kommt sich beobachtet vor als Zuschauer und erwartet jeden Moment, dass Phillip oder Brandon sich verplappert oder das irgendetwas passiert. Die Atmosphäre ist angespannt, knisternd und obwohl an sich nichts Spannendes passiert, ist das Ganze doch spannender als so mancher Horrorfilm oder Thriller. Der ganze Film spielt in einem Raum. An der Häuserkulisse, die man durch das Fenster sehen kann, behält der Zuschauer sein Zeitgefühl. Denn obwohl scheinbar alles zeitgleich und ohne erkennbare Schnitte gedreht wurde, dauert der Abend natürlich länger als 80 Minuten. Deshalb kam mir der Abend sehr kurz vor. Dennoch hat der Film an für sich eine perfekte Länge. Die Handlung stockt nie, wirkt auch nie zu schnell, jede Aktion und Reaktion fliesst ineinander über und endet mit einem für mich höchst poetischen und atmosphärischen Bild. Die drei Männer (Phillip, Rubert und Brandon) sitzen erschöpft im Wohnraum rum, die Leiche 'beobachtet' sie weiter, die Farben der Leuchtreklame lassen den Raum rot, grün, blau aufleuchten, die Polizeisirenen übertönen die Filmmusik und einem wird klar, dass es keinen perfekten Mord geben kann, solange er von Menschen ausgeführt wird. 

                                                  "I've always wished for more artistic talent. Well, murder can be an art, too. The power to kill can be just as satisfying as the power to create"

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                                                    Jetzt, wo es nach Monaten der Depression endlich Sommer ist, will ich auch endlich mal einen Kommentar zu einem Film schreiben, der seit fast einem Jahr einer meiner Lieblingsfilme ist und den ich bestimmt bisher sechs-siebenmal gesehen habe.

                                                    500 Days of Summer.

                                                    So...wo fange ich nur an? Meine Liebe zu diesem Film ist fast unendlich, sie beträgt genau 500 Herzchen, die so blau sind wie der wunderschöne Sommerhimmel, in den ich blicken könnte, wenn ich aufhören würde, hier rum zu tippen. So blau wie Summers Augen. Blau ist in dem Film sowieso eine wichtige Farbe. Blau gilt normalerweise eher für Traurigkeit, für Kälte, aber hier wird meine Lieblingsfarbe komplett anders verwendet. Sie steht für Freude, für Wärme, Verliebtheit, ja vielleicht sogar für eine gewisse Trunkenheit, die auftritt wenn man eben verliebt ist. Das Blau wirkt hier also wie ein blauer Sommerhimmel. Unendlich, warm, euphorisierend und man möchte es nie mehr missen. 
                                                    Zudem gehört '500 Days of Summer' zu den Filmen, die mir auch im mehr oder weniger realen Leben etwas mitgegeben haben. Und ich rede hier nicht nur von einer Moral oder irgendwelchen Zitaten ('Loneliness is underrated'), sondern von einer essentiellen Sache: Musik. Dieser Soundtrack. Würde ich den heutzutage in einem Film hören, würde mein Herz ziemlich hoch schlagen, aber damals war ich noch ziemlich ziemlich unwissend in Sachen Musik (heute nur noch ziemlich unwissend) deshalb war es damals 'nur' ein toller Soundtrack. Und heute? The Smiths bezeichne ich seit etwa einem halben Jahr als meine absolute Lieblingsband, ich hör sie morgens im Bus, in der Schule, nach der Schule, in meiner Freizeit, wenn ich lerne, wenn ich nichts tu, kurz gesagt: Ich kann sie immer hören und tu das auch liebend gerne. 'There is a light that never goes out' ist seit etwa einem dreiviertel Jahr mein absolutes Lieblingslied und es ist für mich kaum vorstellbar, dass jemals ein Lied besser sein könnte. Jetzt könnte man natürlich intellektuell eine Braue hochziehen und sagen: Ja, aber, The Smiths, mein Gott, die MUSS man doch schon vorher gekannt haben! Nein, ich habe sie tatsächlich erst mit diesem Film entdeckt, vielleicht hätte ich sie irgendwann eh entdeckt, spätestens bei 'The Perks of being a Wallflower', aber egal: Sowas ist halt Schicksal. Auch den restlichen Soundtrack höre ich mir zu gerne an. Auf einer Bank sitzen und 'Sweet Disposition' hören. Aus dem Haus rausgehen und 'You Make my Dreams' hören. Im Bett liegen und 'Vagabond' hören. Das sind alles Momente, die mir ein genauso großes Lächeln auf das Gesicht zaubern, wie der Film selber. 
                                                    Es ist erstaunlich, denn selbst nach den vielen Sichtungen, ob in deutscher Synchro oder im O-Ton, alleine oder mit Freunden, mit trauriger Laune oder fröhlicher, es sind immer dieselben Momente, bei denen ich schmunzeln, lächeln, lachen muss oder ein trauriges oder wütendes Gefühl verspüre (und manchmal ein Ich-Will-Auch-Gefühl) Schon damals als am Anfang auf dem schwarzen Hintergrund "Bitch" erschien, wusste ich irgendwie, dass ich diesen Film lieben würde. Denn '500 Days of Summer' ist auf keinen Fall ein gewöhnlicher Liebesfilm. Es ist eher eine außergewöhnlich erzählte Geschichte über Liebe. Der Grundzug "Boy meets Girl" wurde in der gesamten Filmgeschichte unzählige Male verarbeitet und erzählt (und leider auch oftmals filmisch vergewaltigt) Auf diesen Grundzug baut '500 Days of Summer' nicht nur auf, es ist so gesehen sogar die ganze Geschichte. Doch diese Geschichte wird so außergewöhnlich, wunderbar, charmant und voller Liebe aufgezogen, das man '500 Days of Summer' eigentlich nicht auf diesen Grundzug reduzieren darf. Wenn man böse sein will, kann man jedem Film Klischees vorwerfen, also lassen wir das mal. '500 Days of Summer' ist einfach in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich inszeniert. Einige Punkte habe ich ja schon erwähnt. Der offensichtlichste liegt schon im Titel. 500 Days. 500 Tage. Der Film plappert hier aber nicht chronologisch und logisch alles der Reihe nach vor. Nein, es gibt Zeitsprünge *einen Cine-Hipster-Freudenkrampf bekommend* Man springt von Tag zu Tag...vorwärts, rückwärts, quer durch die 500 Tage einer Liebe. Keine Angst, das ist nicht verwirrend. Denn der Film erschafft sich durch diese Sprünge und Schnitte eine eigene poetische Chronologie. Die Empfindungen treten sehr viel stärker auf, da mal zehn Minuten lang Tage purer Freude und Liebe kommen und man einfach nicht aufhören kann zu lächeln, und plötzlich dunkle Wolken am blauen Himmel auftreten. Tom tanzt zu 'You Make my Dreams' (übrigens steht die Szene momentan auf Platz 2 meiner liebsten In-Filmen-rumsing-und-rumtanz-Momenten) und dann steigt er in den Aufzug und steigt durch den Zeitsprung als mies gelaunter Mensch wieder raus. Es wird sehr charmant experimentiert, zum Beispiel in der Erwartungen-Realität-Aufteilung, die auch noch ironischerweise mit Regina Spektors 'Hero' unterlegt wird ("...I'm the hero of the story, don't need to be saved...") Ich könnte jetzt noch weiter über den Film an sich reden, aber ich mach mal einen Sprung und geh zum Ende des Films (Ende? Ende! Sind hier etwa SPOILER?) 
                                                    Schmalziges Happy End, gar kein Ende oder etwa ein Ende, dass in Wirklichkeit ein Neuanfang ist? Als ich den Film zum ersten Mal sah, gefiel mir das Ende nicht so wirklich. Es hatte irgendwie so etwas schales, von der Story abweichendes und dass die Neue Autumn hieß, wirkte doch wirklich etwas aufgesetzt. Der Gedanke liegt nah, dass man einfach den Film beenden wollte und es deshalb so machte, dass Tom eine Neue findet so à la keine Angst, liebe Kinder, der Tom ist total glücklich, und wenn er nicht gestorben ist, dann ist er das auch noch heute... Das Ende bedeutet aber etwas komplett anderes. Es ist nämlich gar kein wirkliches Ende. Vielleicht ist der Film zu Ende, aber das Leben geht weiter. Dein Leben, Toms Leben, Summers Leben, unser Leben. Die Erde dreht sich weiter, selbst wenn du in deinem Bett liegst und über die unerwiderte Liebe heulst. '500 Days of Summer' will also nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern auch eine Botschaft aussenden. Auf den Sommer folgt der Herbst. Das Leben geht weiter. 

                                                    "She's got you high and you don't even know yet
                                                    She's got you high and you don't even know yet
                                                    The sun's in the sky, its warming up your bare legs
                                                    You can't deny you're looking for the sunset"

                                                    500 Days of Summer is got you high...

                                                    http://planetofpictures.blogspot.com/2013/08/500-days-of-summer-us-2009-marc-webb.html

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