BobbyStankovic - Kommentare
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Sechs Worte könnte ich anbieten:
https://www.facebook.com/cinephilecinememes/photos/a.1791843924396010.1073741829.1791763457737390/1810810012499401
Ein Genre, dessen Top 10 des Jahres bei mir wahrscheinlich einen Wertungsschnitt von unter 5 hätten — wenn ich auch nur einen davon gesehen hätte.
#hater
Hoffentlich bekommt Farhadi seine zweite Oscar-Nominierung, auch wenn er keine Chancen gegen Toni hat.
Das ist aber ein oft anzutreffendes Phänomen und bei Scorsese — zugegeben ein sehr cinephiler Regisseur — treffen mehrere Faktoren zusammen:
1. Regisseure schauen generell wenig Filme. Gilt nicht unbedingt für Scorsese per se, aber ist eine absolute Berufskrankheit, die meines Erachtens auch dazu führt, dass viele sehr sehr schlechte Filme gemacht werden.
2. Alte Personen haben ihre Lieblinge von früher, die als Maßstäbe gelten und quasi ihre Weltsicht bereits abgeschlossen haben. Es werden gar keine neuen Eindrücke benötigt. Deswegen lesen sich sehr viele Lieblingsfilmlisten von Regisseuren wie ein Best-Of der Filme bis 1979. Auf Hanekes Liste findet man z.B. nur Filme bis in die 70er hinein und so ziemlich den einzigen Regisseur, den er gut findet und der bis vor kurzem noch lebte und wirkte, war Abbas Kiarostami.
3. Alte Personen meckern gerne über die "Übersättigung", weil sie in einer anderen Zeit aufgewachsen sind, die dann auch retrospektiv romantisiert wird. Ich persönlich sehe ganz im Gegenteil die potenziell unbegrenzten Zugangsmöglichkeiten zu Filmen durchs Internet usw. als DIE Chance unserer Filmemacher-Generation, die (und da kommen wir zu Punkt 1 zurück) viel zu selten genutzt wird.
“I, Daniel Blake” wird vermutlich Ken Loachs letzter Film sein. Was für ein Auteur sich damit von der Bildfläche verabschiedet, zeigt dieser Cannes-Gewinner nochmal ganz exemplarisch. “I, Daniel Blake” ist kein besonders hervorragender Film, aber thematisch besonders typisch für das Loachsche Schaffen. Und wo jeder Film von ihm immer auch sehr persönlich ist, ist es dieser ganz besonders. Ein Film, der eigentlich “I, Ken Loach” heißen müsste.
Alter Ego Loachs
Es ist unschwer, in Daniel Blake einen Alter Ego Ken Loachs zu sehen. Ein alternder Mann, das eigene Lebensende bewusst vor Augen, ein Kämpfer gegen das verkommene System im Kleinen … Und trotzdem ist Daniel Blake ein Mann, aus dem doch eine beinahe religiöse Zufriedenheit strahlt, der ein grundlegend freundlicher, optimistischer und humorvoller Weggefährte ist. Durch die Charakterisierung Daniel Blakes (aber auch anderer Figuren im Film) bekommen wir in der Tat eine relativ einseitig bejahende Perspektivierung des Arbeitermilieus mitgeliefert. Das ist an sich erstmal nicht verwerflich, aber man muss dies als einen sehr persönlichen Blickwinkel Ken Loachs lesen, der selbst aus der Arbeiterklasse entstammt und dessen womöglich letzter Film “I, Daniel Blake” nun eine zufriedene Zuneigungsbekundung zum eigenen Lebensmilieu, zur eigenen Heimat ist (wenn auch Newcastle Upon Tyne nicht die tatsächliche Herkunft Loachs ist). Alle Arbeiter in diesem Film sind überaus solidarisch und werden nur so richtig ungemütlich, wenn sie in Konflikt mit den kühlen Vertretern der Informations- und Verwaltungsgesellschaft gelangen. Obwohl der Film sich mit der Gegenwart auseinandersetzen möchte, liegt der Verdacht nahe, dass Loachs Blick auf die Welt doch autobiografisch und damit stark retrospektiv verstellt ist. Und hier stellt sich meiner Meinung nach dann doch ein Problem auf.
Eine Sache der Aktualität
Kein “Genre” benötigt so sehr eine Aktualität, ein waches Auge auf die Gegenwart, wie das Sozialdrama. Wenn Loach also ein Film in Zeiten des Brexits und aufkommenden Rechtspopulismus (vor allem im Arbeitermilieu!) macht, wirkt seine filmische Narration doch äußerst selektiv. Und ein paar gutgemeinte Situationswitze darüber, wie schwer es alten Männern fällt, Online-Formulare im Arbeitsamt auszufüllen oder die Thematisierung von über Skype organisierte China-Schuh-Importe reichen da eben nicht aus als Zeitbezug. Stattdessen geht es in diesem Film um das Aufbegehren gegen ein System, das sich einer Menschlichkeit entsagt hat und alles und jeden unter das Diktat des Rationalen bzw. der Rationalisierung stellt. Dagegen agitiert Loach mit seiner unnachahmlichen Dreistigkeit, mit Chuzpe und einem erhobenen Zeigefinger (bzw. einer Spraydose). Die Systemkritik dahinter ist zwar charmant, aber auch alles andere als scharfsinnig ausformuliert. Mir persönlich fehlt eine ausdrückliche Positionierung in den zentralen Topoi des sozialpolitischen Diskurs, aber Ken Loach schaut, so scheint mir, unfreiwillig in eine Zeit zurück, in der Linkssein noch ganz Sache des Arbeitertums war und relevant dimensionierter Rassismus nur ein Ausnahmephänomen einiger weniger Idioten war.
Rassismus im Allegorischen
Die multiethnisch durchdrungene Gesellschaft spart “I, Daniel Blake” an sich nicht aus. Daniel Blake lebt Tür an Tür mit einem schwarzen Jugendlichen, der Schuhe aus China illegal auf der Straße verkauft. Loach erzählt hier eine Solidarität, die gesetzliche Grundierungen in Frage stellt. Das illegale Verkaufen von Schuhen wird von Daniel Blake goutiert, obwohl es gesetzeswidrig ist, das institutionalisierte Abarbeiten von Menschen im Arbeitsamt erzürnt ihn jedoch, obwohl es einer gesetzeskonformen Logik unterliegt. Und damit liegt er natürlich auch richtig. Loach stellt das Emotionale über das Rationale und das Menschliche über das apparativ Bürokratische. Und insoweit kommentiert Loach auch sehr sehr implizit das Thema Rechtspopulismus, indem er zeigt, dass Solidarität und die Relativierung staatlich-institutionalisierter Rechtmäßigkeit zu Gunsten des Individuums keine ethnischen Grenzen kennt. Gerade das ist ja einer der großen Widersprüche des Rechtspopulismus, einserseits das bestehende Wertesystem in Frage zu stellen und sich im selben Atemzug dann darüber aufzuregen, dass Ausländer das bestehende Wertesystem nicht einhalten. Daniel Blake, als ein dysfunktionales Element in der gegenwärtigen Gesellschaft (durch seine Krankheit), das sich aber durch seine Zivilcourage als dennoch wertvoller Teil der Gesellschaft betrachten lässt, ließe sich darüberhinaus auch als Vergleich zum Migranten im Integrationsprozess lesen. Insofern Loach uns einen Spiegel vorhält und fragt, warum wir die Alten und ihre Dysfunktionalität tragen wollen aber an der Dysfunktionalität der Migranten kapitulieren, anstatt sich mit ihr zu beschäftigen.
Just: Fuck you, system
Man muss aber resümieren, dass der politische Kern dieses Films nicht sehr präzise gebaut ist und nur mit sehr viel Wohlwollen als etwas lesbar ist, das über ein rebellisches Fuck you, system! hinausgeht. Man muss schon sehr mit der Allegorie-Lupe suchen, um sich eine tatsächliche Aktualität herzuleiten, denn die tatsächliche Gegenwart mit diffusen Feindbildern, alternativen medialen Wirklichkeiten und einem aufstrebenden Patriotismus, samt salonfähigem Chauvinismus; das alles finden wir in “I, Daniel Blake” genau gar nicht. Dazu hätte es gar keiner großen Subplots, sondern lediglich kleiner dramatischer Gesten gebraucht.
Dabei ist der Film selbst nicht wenig manipulativ. Am Anfang des Films finden wir den Setup von Blakes lebensbedrohlicher Krankheit, dann bekommen wir eine Empathisierung vermittels des Humors der Figur und am Ende stirbt Blake als Held und hinterlässt uns sogar einen Brief als Schlussstatement, der in den Abspann hinein gelesen wird. Nicht sehr originell. Als unmutig empfinde ich auch, Blake als ein geradezu moralisch schwächenlosen Menschen zu zeichnen. Blake und sein Reden über die verstorbene Ehefrau haben z.B. den einzigen Effekt, den Protagonisten als wunderbaren, perfekt integren Mann darzustellen. Ein paar Leichen im Keller hätten Daniel Blake hingegen Tiefe verliehen, ein paar Gegenstimmen hätten den Film diskursiv reicher, ein paar dramatische Umwege den Film unberechenbarer gemacht.
http://meinungsimperialismus.de/i-daniel-blake/
[...] Man muss aber resümieren, dass der politische Kern dieses Films nicht sehr präzise gebaut ist und nur mit sehr viel Wohlwollen als etwas lesbar ist, das über ein rebellisches Fuck you, system! hinausgeht. Man muss schon sehr mit der Allegorie-Lupe suchen, um sich eine tatsächliche Aktualität herzuleiten, denn die tatsächliche Gegenwart mit diffusen Feindbildern, alternativen medialen Wirklichkeiten und einem aufstrebenden Patriotismus, samt salonfähigem Chauvinismus; das alles finden wir in “I, Daniel Blake” genau gar nicht. Dazu hätte es gar keiner großen Subplots, sondern lediglich kleiner dramatischer Gesten gebraucht. [...]
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Puiu hat mit “Sieranevada” einen beispiellos unvorhersehbaren Film geschaffen. Das realistische Nicht-Erzählen, das Aufzählen scheinbarer Nichtigkeiten, ist keineswegs eine Ziellosigkeit und Banalität, sondern eine scharfe Waffe. Das Publikum ist dem Geschehen völlig ausgeliefert, er hat keine dramatischen Anhaltspunkte, die ihn bestimmte Wendungen antizpieren ließe. Eine Waffe ist diese Strategie deswegen, weil sie den Zuschauer zu neuen Zugängen zum Erzählten zwingt. Statt einer emotionalen Lenkung wie in der “klassischen Dramaturgie” spielt Puiu dem Zuschauer eine Autonomie zu, sich so oder anders zu den verschiedenen Ereignissen und Meinungen der Erzählung zu positionieren und sie auch emotional zu selektieren und gegeneinander zu gewichten. Es gibt keinen klassischen Klimax, keine Peripetie usw.. Jeder Zuschauer hat Entscheidungsgewalt darüber, welche Momente der Zwischenmenschlichkeit und Zwischenweltlichkeit er am emotional ergreifendsten findet, welche Konflikte er am interessantesten findet. Nun ist “Sieranevada” aber nicht eine bloße platte Zertrümmerung herkömmlicher Erzählkonventionen. Das wäre zu leicht. Warum Puiu über drei Stunden trotz dem Widersetzen von narrativer Sicherheit funktioniert, ist der Beherrschung seiner radikal-rumänischen Form zu verdanken. Von der hyperrealistischen Schauspielführung bis zur beobachtenden Kamera, samt leicht ausgewaschener Farbkorrektur ist “Sieranevada” ein erkennbarer und auch bekennender Teil der Romanian New Wave. In der reinen Beherrschung seines Stils ist Puius Film wohl aber der brillanteste Film seit “4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage” von Regie-Kollege Cristian Mungiu, den er im hiesigen Cannes-Jahrgang auch deutlich qualitativ in die Schranken verweisen konnte. Das in Wahrheit hochtechnische Genie, das hinter Kamera, Schauspiel, Schnitt und dramatischen Timing steckt, verfolgt den Zweck einen Alltagsrhythmus zu simulieren und damit “unsichtbar” zu werden, die Aufmerksamkeit von dem Filmemachen auf die Handlung abzulenken. “Sieranevada” ist kein Film auch nur kleinster Zäsuren, sondern der absoluten stilistischen Reinheit.
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Cristi Puiu erklärt, der zentrale Gedanke hinter “Sieranevada” war der, dass wir genauso wenig tatsächlich über das politische Weltgeschehen wissen (können), wie wir eigentlich über unsere Familie, also über unser direktes Umfeld wissen. Natürlich ein wahrer, aber auch etwas banaler Grundgedanke. Kann dieser einen knapp drei-stündigen Film tragen? Er kann. Einmal mehr ist die Form hierfür der Grund. Der durch und durch rumänische Radikalrealismus von Puiu erreicht in diesem heimlichen Cannes-Meisterwerk eine wahrhaftig brillante Ausprägung. Obwohl der Film beinahe nie eine alltägliche Bukarester Wohnung verlässt, erzeugt Puiu ein unterhaltsames, multiperspektivisches Meinungsforum mit trockenem Humor. Eine Bestandsaufnahme einer Bukarester, rumänischen, vielleicht auch einer europäischen Gesellschaft. Und ein Meisterwerk.
Alltag als konsequenter Modus
Wir verfolgen eine Bukarester Familie der Gegenwart, die sich zum Leichenschmaus trifft, um sich feierlich an den verstorbenen Familienvater zu erinnern. Auf den ersten Blick eine denkbar unspektakuläre Geschichte. Diese Unspektakulärität nimmt der Film aber ernst. Er macht den Schritt den unspektakulären Modus des Familienfests konsequent als Form zu Ende zu denken. Ein wichtiges Moment im Film ist zum Beispiel das Warten. Wir warten auf den orthodoxen Priester, wir warten auf die Frau des Protagonisten und wir warten vor allen Dingen auf das Essen, auf den Leichenschmaus. Auch wird z.B die Ehefrau von Lary für ganze Stunden aus der Erzählung herausgenommen, aus dem einfachen Grund, dass sie einkaufen (!) gefahren ist. Puiu beweist, dass man Dynamiken des Alltags wie Abwesenheit und Leerlauf, die man normalerweise fern von narrativer Interessantheit wähnt, durchaus als erzählerische Modi anwenden kann, solang man sie nur ernst nimmt und in nötiger Konsequenz ausführt.
Rumänischer Realismus als scharfe Waffe
Puiu hat mit “Sieranevada” einen beispiellos unvorhersehbaren Film geschaffen. Das realistische Nicht-Erzählen, das Aufzählen scheinbarer Nichtigkeiten, ist keineswegs eine Ziellosigkeit und Banalität, sondern eine scharfe Waffe. Das Publikum ist dem Geschehen völlig ausgeliefert, er hat keine dramatischen Anhaltspunkte, die ihn bestimmte Wendungen antizpieren ließe. Eine Waffe ist diese Strategie deswegen, weil sie den Zuschauer zu neuen Zugängen zum Erzählten zwingt. Statt einer emotionalen Lenkung wie in der “klassischen Dramaturgie” spielt Puiu dem Zuschauer eine Autonomie zu, sich so oder anders zu den verschiedenen Ereignissen und Meinungen der Erzählung zu positionieren und sie auch emotional zu selektieren und gegeneinander zu gewichten. Es gibt keinen klassischen Klimax, keine Peripetie usw.. Jeder Zuschauer hat Entscheidungsgewalt darüber, welche Momente der Zwischenmenschlichkeit und Zwischenweltlichkeit er am emotional ergreifendsten findet, welche Konflikte er am interessantesten findet. Nun ist “Sieranevada” aber nicht eine bloße platte Zertrümmerung herkömmlicher Erzählkonventionen. Das wäre zu leicht. Warum Puiu über drei Stunden trotz dem Widersetzen von narrativer Sicherheit funktioniert, ist der Beherrschung seiner radikal-rumänischen Form zu verdanken. Von der hyperrealistischen Schauspielführung bis zur beobachtenden Kamera, samt leicht ausgewaschener Farbkorrektur ist “Sieranevada” ein erkennbarer und auch bekennender Teil der Romanian New Wave. In der reinen Beherrschung seines Stils ist Puius Film wohl aber der brillanteste Film seit “4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage” von Regie-Kollege Cristian Mungiu, den er im hiesigen Cannes-Jahrgang auch deutlich qualitativ in die Schranken verweisen konnte. Das in Wahrheit hochtechnische Genie, das hinter Kamera, Schauspiel, Schnitt und dramatischen Timing steckt, verfolgt den Zweck einen Alltagsrhythmus zu simulieren und damit “unsichtbar” zu werden, die Aufmerksamkeit von dem Filmemachen auf die Handlung abzulenken. “Sieranevada” ist kein Film auch nur kleinster Zäsuren, sondern der absoluten stilistischen Reinheit.
Wahrheiten und alternative Wahrheiten
Einerseits hat die Familie eine recht universelle und kontextlose Heterogenität. Andererseits sind die familiären Konflikte auch stark politisch-gesesellschaftsdiskursiv aufgeladen. Puiu zählt in seinem Film fleißig Streitpunkte der rumänischen Politik und Weltpolitik auf. Lässt Konflikte auflodern und wieder verebben. Auch wenn “Sieranevada” in meinen Augen durchaus ein stimmiges Bild einer europäischen Gesellschaft zeichnet, ist das Politische als Spezifisches doch nur ein Verweis auf die Relativität und Perspektivität von Wahrheit, von der dieser Film wirklich handelt. Die uns so nahe Familie als eigene Vergangenheit/Gegenwart/Zukunft ist bereits eine niemals vollständig auflösbare Verstrickung von Ereignissen, von denen nur ein Bruchteil selbst erlebt und selbst dann subjektiv verfärbt wahrgenommen werden kann. Wahrheit in dieser Form gibt es nicht. Vieles deutet “Sieranevada” an, nichts macht er konkret. Am deutlichsten sehen wir das an den Anekdoten über die Untreue von Familienangehörigen. Der Film zeigt nie Taten (und damit Wahrheiten), sondern lediglich Dialoge über vermeintliche Taten und damit bruchhafte, verfälschte und verfremdete Splitter von Wahrheiten. Und damit wird der Film auf einem Umweg doch wieder politisch konkret: Man kann aus Puius Film ein Plädoyer herauslesen, vorsichtiger damit umzugehen, “Wahrheit” und “Fakten” als politische Kampfbegriffe zu verwenden. Eine in Zeiten von Informationskriegen, vermeintlichen Lügenpressen und Facebook-Gegenpropaganda wichtige Botschaft.
Puiu als Humanist
In feinen Symbolen arbeitet Puiu dezente politische Botschaften heraus, die sich aber nicht schwer als humanistische Positionierungen interpretieren lassen. Brillant hierfür ist die Gegenüberstellung des serbischen (bzw. kroatischen) betrunkenen Mädchens, das bei der Familie aufgenommen wird mit Toni, dem ehebrechenden Bruder des Protagonisten. Die Familie beschwert sich natürlich über das serbische Mädchen und die jüngste Tochter, die das Mädchen angeschleppt hat. Aber dass man ihr ein Dach über dem Kopf und Hilfe beim Ausnüchtern anbietet, ist doch ein gewisses Selbstverständnis. Die Serbin ist nicht nur eine Ausländerin, sie steht auch metaphorisch für das fremde Element der Migration. Puiu weist hier daraufhin, dass Migration immer Reibereien und Probleme erzeugt und auf den ersten Blick einen Nachteil für die aufnehmende Gesellschaft ist, aber ein sozial gleichwertiger Umgang mit dem Fremden ist doch schlichtweg eine Sache des Anstandes. Demgegenüber der Bruder Toni. Ein genuiner Teil der Familie vergleichbar mit einer ethnisch-historischen Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat. Toni ist aber in seinem Handeln wesentlich verwerflicher als das serbische Mädchen. Er ist gewalttätig und hat seine Frau mehrfach betrogen. Diese Zuwiderhandlung der sozialen Norm (in der Gesellschaftsallegorie vergleichbar mit einer kriminellen Handlung) wird von der Familie nun bestraft, ohne ihn aber endgültig aus der Gesellschaft auszuschließen. Toni bittet angesichts dem seiner Frau angerichteten Leid um Vergebung. Und die Familie gewehrt sie ihm. Auf einer allegorischen Ebene geht es hier um ein Justiz-Ideal. Das stetige Recht auf eine zweite Chance, wie es eine Todesstrafe bereits negiert; ein stetiges Recht auf eine würdevolle Bestrafung.
Eine Lieblingsszene
Meine Lieblingsszene in diesem Film ist jene, in denen Lary mit seiner Frau im Auto sitzt. Der Motor läuft. Die Kamera ist auf dem Rücksitz und sieht von Lary und seiner Frau nur zur Windschutzscheibe zugewandte Körper. Auch hier zählt wieder nur der Dialog und nicht eine optimale Sichtbarkeit der Figuren. Es geht um den eigenen Vater, der ebenso untreu war wie Larys Bruder, aber dessen zahlreiche Ehebrüche nicht so prominent im Fokus stehen wie die des Sohnes Toni, dem schwarzen Schaf der Familie. Hier zeigt sich wieder, das manche Wahrheiten auch nie zu einer Wahrheit der Massen werden, weil sie schlichtweg nicht von der Masse als solche akzeptiert werden. Dass das tote Familienüberhaupt genauso ein schlechter Fremdgänger wie Toni war, wissen laut dieser Szene sehr viele Menschen in der Familie, selbst Larys Mutter, also die eigene Ehefrau des Verstorbenen. Trotzdem wird darüber geschwiegen. Aber nicht in diesem Auto.
Eigentlich möchte ich an dieser Stelle gar nicht so sehr darüber schreiben, was diese Szene vielleicht bedeuten könnte, sondern schlichtweg, dass ich gelacht, geweint und eine Gänsehaut hatte. Mein persönlicher Höhepunkt in einem Film, der uns die Wahl des eigenen Höhepunkts (und die Suche nach der eigenen Wahrheit!) überlässt, anstatt auf der Suche nach dem perfekt getimten Klimax zu sein.
http://meinungsimperialismus.de/sieranevada/
“Nocturama”, ein Film wie Licht und Schatten. Einerseits ist Bertrand Bonellos Film ein Kunstfilm, ein gewagter Versuch, sich formell dem Phänomen des modernen Terrorismus anzunähern, dessen Idee seiner Form schlichtweg großartig ist. Andererseits beherrscht der Film seine eigene Form nicht vollständig und positioniert sich politisch derartig ungeschickt uneindeutig, dass man nicht darum kommt, Bonellos Film als Scheitern auf hohem Niveau zu bezeichnen. Es war für mich ein aufregendes Erlebnis, diesen Film beim Scheitern zuzusehen, denn er hat mich mit dem Beschreiten spannender Pfade inspiriert, meinen Kopf zum Rasen gebracht. Mich zum Nachdenken gebracht, wie man hätte diesen Film anders machen können oder sollen, damit er ein Meisterwerk wird.
Spiel mit der Zeit (SPOILER)
Der Film beginnt und wir sehen eine bunte Gruppe von Jugendlichen aus allen sozialen Klassen und ethnischen Herkünften in einer professionell exerzierten Choreographie im und um das Pariser U-Bahn-Netz herum. Wir verstehen die ersten Bilder bereits als terroristischen Akt. Aber nicht, weil Bonellos Film das so eindeutig macht, sondern, weil dem Zuschauer das Zusammenspiel des Gezeigtem bereits unweigerlich in Assoziation mit den Anschlägen in Paris und anderen Ereignissen des modernen Terrorismus stehen. Schon diese erste Sequenz nimmt sich eine Länge raus, die nach dem Verständnis konventioneller Filmkunst in keinem Verhältnis zum Erzählten steht. Eine Strategie, die der Film am Ende dann aufs Äußerste treiben wird. Nach dem vollendeten Terror-Akt sehen wir die Jugendlichen ungefähr zwei Drittel des Films in einem Kaufhaus dabei zu, wie sie sich vom Anschlag erholen, sinnlosen Zeitvertreiben nachgehen und dann am Ende des Films schließlich von Spezialeinheiten der Polizei vollständig niedergeschossen werden. Das auffälligste Stilmittel des Films ist der Umgang mit Zeit. Das titelgebende Einquartieren im Kaufhaus um Mitternacht herum, macht einen so riesigen zeitlichen Anteil des Films aus und will damit ein Gefühl von Echtzeit provozieren. Währenddessen sind die Momente von angewandter Gewalt ziemlich kurz, Rückblenden, wie die Anschläge geplant wurden, sogar derart kurz, dass man sich fragt, ob es diese überhaupt gebraucht hätte.
Ein fehlendes “Warum”
Eine derartig radikale Priosierung der Nicht-Dramatik, der puren destillierten Epik (also beschreibenden Handlung) ist in diesem Film für sich stehend ein genialer Schachzug. Diese Um-Proportionierung der Konvention (wir würden eher eine Priosierung des Terror-Spektakels erwarten) eröffnet dem Film einen Haufen an Möglichkeiten. Vor allem eine psychologische und/oder motivische Ausformulierung, warum so unterschiedliche Jugendliche wie hier porträtiert, eine terroristische Aktion in die Tat umsetzen. Der Film hält sich hier aber vollkommen bedeckt, was anhand ellenlanger Szenen mit Gesprächen der Jugendlichen untereinander geradezu irritiert. Bertrand Benollo wollte offensichtlich die Frage nach der politischen Motivation vollständig ausklammern, was in meinen Augen schon schwierig ist. Aber dass er es nicht einmal wagt, den Jugendlichen irgendein Motiv zu geben, ist ein No-Go. Hierzu funktioniert die Form nicht. Wenn er einen Film hätte machen wollen, der sich mit dem Terrorismus als eine Reinform auseinandersetzen würde, der sich mit seinem Rhythmus und seiner bloßen Funktionsweise beschäftigt, dann hätte Bonello Vorbereitung und Umsetzung der Anschläge in diesem Detailgrad erzählen müssen. Eine Art “Pickpocket” des Terrorismus.
Unverständliche Ironisierung
Stattdessen erleben wir mehr als den halben Film an der Seite der Figuren, wie sie ihre letzten Stunden in einem schier riesigen Kaufhaus erleben. Ein Kaufhaus mit einem unerschöpflichen Sortiment. Natürlich gibt der Film hier zu verstehen, dass die Figuren sich in ihren letzten Stunden in Errungenschaften des Kapitalismus suhlen. Vor allen Dingen in sinnlosen Luxusgütern. Teuren Klamotten, Go-Karts, Badewannen, waffenförmigen goldenen Lampen und mal mehr mal weniger schriller Populärmusik. Das hat etwas Groteskes, aber was hier fehlt ist das Gegengewicht, um aus dieser Beobachtung eine Ironie oder Aussage zu gewinnen. Dass die Figuren im Film politisch eher links zu verorten sind, liegt relativ nahe, wenn man sich ihre ethnische Zusammengehörigkeit ansieht und merkt, dass anderweitig keine rassistische oder religiöse ideologische Färbung vorliegt. Aber aus den Aussagen der Figuren selbst kann man es zu keinem Zeitpunkt schließen. Und das ist dann auch ab einem bestimmten Zeitpunkt unglaubwürdig. Denn bei einer dermaßen großen kollektiven Aktion muss doch der Sinn der Sache jeder Person gewahr sein und damit muss auch ausgesprochen werden, explizit oder implizit. Ein einziges Mal wird in dem Film davon gesprochen, dass diese Sache “groß” sei, “größer als alles jemals zuvor”. Diese Aussage legt ein hedonistisches und dekadentes Motiv nahe, eines das einzig am Spektakel interessiert ist. Und es wäre auch legitim darüber einen Film zu machen. Es wäre ein Film, der an “Spring Breakers” anschließt und diesen logisch weiterdenkt. Benollos Film aber führt diese Möglichkeit nicht konsequent aus. Wenn es kein politisches Motiv gibt, müsste dieses hedonistische Motiv für die gesamte Gruppe die Motivationsursache gewesen sein und das hätte man auch so kontextualisieren müssen. Durch das Ausklammern des Politischen macht Bonello seinen Film nicht reicher und mehrdeutiger, sondern unglaubwürdiger und unmutiger.
Politische Unpositionierung
Diese Mutlosigkeit der politischen Positionierung zieht sich noch weiter durch den Film. Was ist überhaupt von Terrorismus zu halten? An sich ja eine schwierige Frage. Der asymmetrische Krieg des Terrorismus ist ohne Frage nicht gerade ritterlich und (wenn auf Zivilisten gerichtet) barbarisch, aber für unterdrückte Minderheiten oft der einzige Weg, das Machtsystem zu verändern. In “Nocturama” finden wir nicht den Hauch eines Ansatzes, eine wertende Aussage über den Terrorismus per se zu treffen. Es ist generell eine merkwürdige Unentschlossenheit, die sich durch den Film zieht. Die Terroristen werden ironisch konterkariert, ihr Unterfangen gnadenlos von der Polizei gestoppt. Auf der anderen Seite wird die Polizei aber auch sehr brutal dargestellt, wie sie teilweise unbewaffnete, sich ergebende Jugendliche ohne mit der Wimper zu zucken niederschießt. Wo steht da nun “Nocturama”? Man weiß es nicht.
Potenziell ein Meisterwerk
Nach all der Kritik an diesem Film möchte ich nochmal ausdrücklich sagen: Was hätte das für ein großartiger Film werden können! Es ist ungemein interessant, einer Gruppe zusammengewürfelter Jugendliche dabei zuzusehen, wie sie gerade ein Herzschlagerlebnis, das ein ganzes Land auf den Kopf gestellt hat, in den Knochen haben, wach bleiben müssen, ab irgendeinem Punkt wissen, dass sie wahrscheinlich sterben werden und auf sich selbst zurückgeworfen werden. Diese dramatische Ausgangslage ist sowohl potenziell atmosphärisch einzigartig als auch in der psychologischen Komplexität prädestiniert, großartige Konflikte in sich zu herbergen. Aber ein weiteres Problem, das der Film nicht lösen kann, ist die reine schauspielerische Umsetzung. Wie die jugendlichen Akteure agieren ist an sich nicht schlecht, aber dieser brutal schwierig herzustellenden Meta-Realität einfach nicht vollständig angemessen. Bonello drehte mit einer Mischung aus Profi-Schauspielern und Laien, die in extremeren politischen Organisationen aktiv sind. Diese Mischung ist sicher ein Grund, warum die Schauspieler hier nicht auf ein (leider benötigtes) Weltklasse-Level kommen, aber sicher nicht der einzige Grund. Vieles hängt hier auch von Längen der Einstellungen ab, von den Unfreiheiten der Schauspieler, hier Dinge im Schuss-Gegenschuss-Pingpong sprechen zu müssen. Davon, dass ich den Schauspielern nicht glaube, dass sie das Unglaubliche so unglaublich finden wie ich, obwohl sie es gerade erleben (sollten) und ich ihnen nur dabei zuschauen durfte.
http://meinungsimperialismus.de/nocturama/
“Nocturama”, ein Film wie Licht und Schatten. Einerseits ist Bertrand Bonellos Film ein Kunstfilm, ein gewagter Versuch, sich formell dem Phänomen des modernen Terrorismus anzunähern, dessen Idee seiner Form schlichtweg großartig ist. Andererseits beherrscht der Film seine eigene Form nicht vollständig und positioniert sich politisch derartig ungeschickt uneindeutig, dass man nicht darum kommt, Bonellos Film als Scheitern auf hohem Niveau zu bezeichnen. Es war für mich ein aufregendes Erlebnis, diesen Film beim Scheitern zuzusehen, denn er hat mich mit dem Beschreiten spannender Pfade inspiriert, meinen Kopf zum Rasen gebracht. Mich zum Nachdenken gebracht, wie man hätte diesen Film anders machen können oder sollen, damit er ein Meisterwerk wird.
Dieser Film war nicht gerade der Kritikerliebling der Berlinale 2016. Man kann das verstehen, denn Rafi Pitts’ Film ist ein lauter, unsubtiler und unreifer Film. Das fängt schon beim Titel an: “Soy Nero”, ich bin schwarz. Und gleichzeitig heißt der Protagonist ebenso Nero. Es ist eine laute, ungehobelte Anklage an die USA und den ganzen Westen und ihren Umgang mit Migranten aus dem südlicheren Teil der Erde. Deswegen lässt sich vielleicht auch einigermaßen verstehen, warum ein Exil-Iraner einen Film über einen mexikanischen Einwanderer macht. Denn der Nord-Süd-Konflikt ist ein globaler Konflikt. Vor allem ein Wohlstandskonflikt, aber auch ein potenzieller Kulturkonflikt. Davon erzählt uns “Soy Nero” mit seinen Mitteln auf eine ziemlich spannende und trotzdem nicht konventionelle Art und Weise.
Eine moderne Spielweise der Sklaverei
Der Film ist den sogenannten Green-Card-Soldiers gewidmet. Menschen mit Migrationshintergrund (meistens Latinos), die sich in die Army einziehen lassen, um eine amerikanische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Vordergründig handelt “Soy Nero” von diesem skandalösen Umgang Amerikas mit seinen Zuwanderern, die man durchaus als eine moderne Spielweise der Sklaverei betrachten muss: Zwar gibt es eine Möglichkeit zum sozialen Aufstieg, allerdings wird einem zur Bedingung gemacht, bis dahin in einem sinnlosen Krieg im Nahen Osten sein Leben zu riskieren. Die Möglichkeit des Aufstiegs zur sozialen Dazugehörigkeit unterscheidet sich von der klassischen, historischen Sklaverei. Die Spielweise dieser sozialen Unfreiheit ist jedoch eine genuin kapitalistische Ausprägung. Es gibt im Kapitalismus generell eine Aufstiegschance bis hin zur obersten Klasse für jeden Menschen, unabhängig von tatsächlicher sozialer Herkunft und dem Aussehen als vermeintlicher und rassistischer Indikator für Herkunft.
Irakkrieg als Bruch
Dieser kapitalistische Aufstieg wird in “Soy Nero” auch im ersten der beiden Kapitel lustvoll umspielt. Da kommt Nero, unser Held, in Amerika an, um seinen Bruder zu finden und bemerkt, dass dieser mittlerweile eine eigene Luxus-Villa bezieht. Aber nach einer durchzechten Nacht stellt sich alles nur als Trug heraus und ein Mann erscheint, der sich als tatsächlicher Hauseigentümer herausstellt. Dieser Mann ist aber kein old white man, sondern selbst schwarz. Es geht also doch im Kapitalismus! Der Tellerwäscher zum Millionär! Aber zu welchen Konditionen? Davon referiert uns “Soy Nero”. Im zweiten Kapitel des Films schlägt sich Nero mit dem Namen seines Bruders Jesús im Irakkrieg herum. Auch diese Namenswahl ist einer der eindeutigen Symbole im Film, auf das man gar nicht weiter eingehen muss. Der Irakkrieg in “Soy Nero” ist dann zwar im selben realistischen und geduldigen Vortragsstil inszeniert wie das erste Kapitel des Films, gleichzeitig gibt es aber auch tendenziöse Design-Entscheidungen. Nach und nach kommen immer mehr Migranten-Soldaten ins Camp der US-Army und anstatt sich wirklich mit dokumentarischen Bildern mit dem Camp der Army auseinanderzusetzen, wirkt die Stellung der Soldaten die ganze Zeit über wie ein Abiturienten-Abschluss-Zelten von ethnisch durchmischten Soldaten. Natürlich ist das eine beabsichtigte Darstellung der Green-Card-Soldiers als zusammengepferchtes Kanonenfutter in einem sinnlosen Krieg. Das hätte man aber noch realistischer inszenieren können und zeitgleich dennoch auf dasselbe Symbol verweisen zu können. Aber alles wohl auch eine Frage des Budgets.
Coolness als zeitgenössisches filmisches Mittel
Wie auch der erste Teil des Films nimmt sich der Film viel Zeit für Randdetails, er retardiert die Handlung immer wieder, will Autorenfilm sein und gleichzeitig geht es “Soy Nero” auch um eine Coolness. Was sich nach einer Schwäche anhört, einer ästhetischen Unentschlossenheit, ist eigentlich der große Trumpf des Films. Tatsächlich hält die erzählerische Form, die in zwei kaum verbundene und streng linear herunter erzählte Teile separiert ist, den Zuschauer am Ball. “Soy Nero” ist kein plotpointorientierter Hollywood-Film, er hat auch immer wieder ein reges Interesse an einer (Pseudo)-Dokumentation. Und wenn zwei schwarze Soldaten über den East-Coast-West-Coast-Konflikt debattieren, den größten Gewaltausbruch in der Geschichte des HipHops, dann kann Rafi Pitts auch mit lockeren und humorvollen Momenten seine politische Intentionalität mit Substanz füllen. Tupac vs. Notorious B.I.G. als ein Mythos der schwarzafrikanischen Bevölkerung, den wiederum keine Latinos und Muslime genauso nachvollziehen können wie es Afroamerikaner tun. Oder doch? Ist das nicht auch ein schönes Symbol eines ethnisch heterogenen Prekariats, das sich selbst erst kennenlernen muss, damit es den Krieg den Palästen erklären kann? Der Autorenfilm sollte sich vor Humor und jugendlichem Impetus nicht verschließen. Denn genau diese Sprache ist eine vorherrschende in den gesellschaftlichen Schichten, die unterprivilegiert sind und ausgebeutet werden. “Soy Nero” ist der Gegenentwurf zum von der Kritik hochgeliebten “Things To Come” von Mia Hansen-Løve. Er ist auf eine ganz ähnliche Weise gelungen wie auch Spike Lees Rap-Musical “Chiraq”. Gerade wegen fehlender Verblümung der schönen Subtilität macht “Soy Nero” den Mund auf für die Schwachen, mit ihrer eigenen Sprache.
http://meinungsimperialismus.de/soy-nero/
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Wie auch der erste Teil des Films nimmt sich der Film viel Zeit für Randdetails, er retardiert die Handlung immer wieder, will Autorenfilm sein und gleichzeitig geht es “Soy Nero” auch um eine Coolness. Was sich nach einer Schwäche anhört, einer ästhetischen Unentschlossenheit, ist eigentlich der große Trumpf des Films. Tatsächlich hält die erzählerische Form, die in zwei kaum verbundene und streng linear herunter erzählte Teile separiert ist, den Zuschauer am Ball. [...] Der Autorenfilm sollte sich vor Humor und jugendlichem Impetus nicht verschließen. Denn genau diese Sprache ist eine vorherrschende in den gesellschaftlichen Schichten, die unterprivilegiert sind und ausgebeutet werden. “Soy Nero” ist der Gegenentwurf zum von der Kritik hochgeliebten “Things To Come” von Mia Hansen-Løve. Er ist auf eine ganz ähnliche Weise gelungen wie auch Spike Lees Rap-Musical “Chiraq”. Gerade wegen fehlender Verblümung der schönen Subtilität macht “Soy Nero” den Mund auf für die Schwachen, mit ihrer eigenen Sprache.
"Toni Erdmann" war grandios, aber nicht der beste Film des Jahres ... Trotzdem Glückwunsch!
Der beste Film des Jahres war für mich "Sieranevada", den ich hier auf der Liste vermisse.
"The Neon Demon" hat auf der Liste eigentlich nichts zu suchen, aber da lasse ich eine Geschmacksfrage zu ... Für mich macht Refn aber mittlerweile schlechte Narzissten-Filme. Wenn man sich seine Interviews durchliest, sehe ich da nur jemanden, der recht ziellos auf die Kacke hauen will und sich dabei supercool findet. Ich finde es allgemein nicht schlimm, wenn jemand auf die Kacke hauen will und sich supercool dabei findet, aber man sollte ein intelligentes filmisches Ziel damit verfolgen (siehe: Lars von Trier).
Und "Carol" ist von 2015, keine Ahnung, was der auf der Liste verloren hat.
Glaube, bis heute der beste Filme aus den 80ern, den ich kenne.
Die Szene mit dem neuen Matratzenladen ist eine meiner Lieblinge in der Filmgeschichte.
Frage, an jene Moviepilot-Mitarbeiter, die die Beschreibung geschrieben haben: Wie sicher seid ihr, dass Isabelle Huppert in diesem Film mitspielt? :D
Damit verliert die katholische Kirche ihre letzte Daseinsberechtigung :D
Viel Spaß in Sitges. Schöne Stadt, süßes Festival.
Ich durfte ihn kennenlernen. In der Tat ein wunderbarer Mensch.
Trotzdem will ich mir jetzt nicht nach seinem Tod anmaßen, so zu tun, als ob ich ihn besonders gut gekannt habe.
Ich habe ihn immer noch am besten als Mitglied diverser Film-Communitys gekannt (angefangen hat's damals noch in einer Schüler-VZ-Gruppe) ... Und so wie ich ihn erlebt habe, wollte er wohl auch immer als ein liebender Mensch, nämlich ein liebender Mensch zum Kino (und anderen Leidenschaften) wahrgenommen werden. Daher will ich mich auch auf diese Weise an ihn erinnern.
Er hinterlässt eine einzigartige Art und Weise über Filme zu schreiben. Und vor allem auch seine Auswahl der Filme hat mich immer beeindruckt. Das waren nämlich (für sein umfassendes Filmwissen) sehr oft so Filme, die eigentlich eh jeder gut findet und die auch jeder haargenau auf dieselbe Art und Weise abfeiert. Kill Bill z.B. Aber Dmitrij hat über den den Film nicht das klassische Fanboy-Gequatsche runtergeleiert, sondern er hat in solchen Filmen (die mir oft sehr fremd waren) etwas Spannendes gesehen, das nur er gesehen hat. Und damit war er vermutlich der bislang einzige Fan von Kill Bill, der mich überzeugen konnte, was an diesem Film vielleicht doch gut sein könnte. Er tat das gleichzeitig extrem emotional und mit einer fast poetischen Schwärmerei und gleichzeitig auch so eloquent und intelligent, dass ich als zynischer Zuschauer, der Filme vorwiegend intellektuell anschaut, tatsächlich zum Nachdenken über so Filme wie "300" oder eben "Kill Bill" animiert wurde. Das hat mich immer beeindruckt.
Sein Filmgeschmack war insgesamt wesentlich "geekiger" als meiner. Aber auch "Stalker" kannte ich erst durch ihn (lang ist's her) und unvergessen wird für mich immer sein Kommentar zu Andrzej Zulawskis "Possession" sein, dass Isabelle Adjani in der Berliner U-Bahn-Unterführung mit dem Teufel und dem Zuschauer den "wohl memorabelsten Dreier der Filmgeschichte" habe. Großartig.
Danke dafür und ruhe in Frieden.
Die Hähnchenszene aus "Tore tanzt" war wesentlich widerlicher als das meiste hier in der Liste.
Ich hatte mich einst bereits dazu entschlossen, den Langspielfilm "Heute gehe ich allein nach Hause" zu schauen. Dann las ich, dass es dazu auch einen Kurzfilm gibt, der die Vorgeschichte erzählt und den es frei auf Youtube anzuschauen gibt.
Leider war der Kurzfilm so vorhersehbar und kitschig, dass ich mir den nachfolgenden Langspielfilm dann doch nie angeguckt habe :(
Nicolette Krebitz?
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Husson zitiert, um das unwahrscheinliche soziale Gefüge von pausenlos mit einander schlafender Jugendliche zu erklären, erzählerische Fragmente aus Porno-Filmen (die ja was den westlichen Pornofilm angeht narrativ noch immer tief im Trash-Zeitalter verankert sind). Zum Beispiel ist der initialen Moment, der zu diesem Massen-Sex führt — wie könnte es anders sein? — ein Trinkspiel. Natürlich. Dabei nimmt sich der Film aber vollkommen ernst. Die Entstehungsgeschichte der “Bang Gang” ist zwar nicht wirklich glaubwürdig, aber immerhin wohl nicht unmöglich. Im Laufe des Films verliert sich Husson aber mehr und mehr in absolute Logikaussetzer, die gnandenlos aufdecken, dass sie weder von der Jugend, der Zeit, in der sie lebt, noch von dem dargebotenen Fall des Sex-Exzesses eine wirkliche Ahnung hat.
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Wenn man einen Film über eine Gruppe von Jugendlichen macht, die permanent mit einander kopulieren, kann man genau zwei Dinge daraus machen: Einen Film, der diesen interessanten, da nicht unbedingt alltäglichen Gruppenstatus analysiert und daraus inhaltliche Mehrwerte ableitet. Das hat im Ansatz zum Beispiel schon Lars von Trier in “Nymph()maniac” und seinem heimlichen Meisterwerk “Idioten” gemacht. Oder man macht einen Film, der sich selbst auf seine vermeintliche Coolness und Krassheit reduziert. Und genau das und nicht mehr macht Eva Husson in ihrem furchtbar misslungenem Debüt “Bang Gang” und bietet damit weniger Substanz und Klasse an als ein Pornofilm (denn dieser ist ja wenigstens ästhetisch konsequent, authentisch und stellt sich selbst in den seltensten Fällen als etwas Höheres dar, als er tatsächlich ist). Obwohl Husson ihren Film als einen Arthouse-Film über die moderne Liebe verstanden haben will, ist er nicht weniger peinlich als eine amerikanische Sex-Komödie und zudem nicht halb so gut gemacht.
Kein Bezug zur generationellen Realität
Husson zitiert, um das unwahrscheinliche soziale Gefüge von pausenlos mit einander schlafender Jugendliche zu erklären, erzählerische Fragmente aus Porno-Filmen (die ja was den westlichen Pornofilm angeht narrativ noch immer tief im Trash-Zeitalter verankert sind). Zum Beispiel ist der initialen Moment, der zu diesem Massen-Sex führt — wie könnte es anders sein? — ein Trinkspiel. Natürlich. Dabei nimmt sich der Film aber vollkommen ernst. Die Entstehungsgeschichte der “Bang Gang” ist zwar nicht wirklich glaubwürdig, aber immerhin wohl nicht unmöglich. Im Laufe des Films verliert sich Husson aber mehr und mehr in absolute Logikaussetzer, die gnandenlos aufdecken, dass sie weder von der Jugend, der Zeit, in der sie lebt, noch von dem dargebotenen Fall des Sex-Exzesses eine wirkliche Ahnung hat. Die Liste hierzu ist lang. Eine Pornoseite mit Pay-Abonnements stampft einer der sechzehnjährigen Jungs mal eben an einem Nachmittag aus dem Boden, während die Eltern für “ein paar Tage” nicht zuhause sind. Eines dieser Pornovideos wird später aber auf YouTube hochgeladen und nach einer Erpressung vom Uploader wieder heruntergenommen. Husson weiß wohl nicht, dass man Pornos auf YouTube nicht einfach so hochladen kann, ohne dass sie nach wenigen Minuten bis Stunden automatisch von YouTube gesperrt werden. Husson wusste wohl auch nicht, dass stark davon auszugehen ist, dass ein solches Video, gerade aufgrund der drohenden Sperre, sich innerhalb von Minuten tausendfach im Internet und auf Privatrechnern vervielfachen würde. Es ist gleichermaßen peinlich wie anmaßend, einen Film über “moderne Liebe” und “Jugend” zu machen, wenn man anscheinend nicht einmal einen Drehbuch-Lektor/Dramaturgen hat, der einen diese Logiklöcher aufzeigen kann, geschweige denn, dass man selbst über diese Bescheid wüsste.
Ernstgemeinte, aber behauptete Coolness
Es ist auch nicht besonders logisch, dass Sex-Exzesse mit bis zu 30-40 Leuten, die laut über Whatsapp-Gruppen angekündigt werden, weder Eltern, noch Lehrern oder Mitschülern in einer französischen Kleindstadt zu Ohren kommen. Und was ich überhaupt nicht verstehe ist, warum Husson in diesem Film behauptet ein Video, das George auf Ecstasy zeigt, während sie typisch enthusiastischen, aber harmlosen Ecstasy-Stuss erzählt, so ein großes Ding für die Schule ist, dass sie zum Mobbingopfer dadurch wird. In welcher Welt ist es uncool und mobbenswert auf Ecstasy zu sein?
“Bang Gang” kann sich auch nicht in das Alibi einer (Halb)-Satire flüchten. Husson meint, nicht zuletzt aufgrund des fingerzeigenden Verweis auf “wahre Begebenheiten”, wie ernst sie es mit dieser Geschichte meint. Und gerade in dem Willen, einen authentischen Film über Jugendsexualität zu machen, beißt sich die filmische Form extrem in den eigenen Schwanz (pun). Es ist ärgerlich, wie Husson ständig Massensex mit wabbernden Electro-Bässen untermalen muss, um zu zeigen, wie krass und crazy das alles ist. Ein wirkliches Gefühl von Echtheit hätte der Film durch Beiläufigkeit erreicht. Dadurch, dass die Figuren nicht in allem, was sie tun einen tollen Spruch auf der Lippe hätten. Nicht, indem man Kokain-Konsum im Takt der Techno-Musik montiert hätte. Nicht durch diese unerträglich behauptete Coolness. Larry Clark hat das in “Ken Park” wesentlich besser gemacht und wenn Lars Von Trier in “Nymph()maniac” ebenso stilisiert und frech überhöht, dann steckt darin auch immer gleichzeitig Ironie und ein kluger Kommentar mit. Nichts davon ist in “Bang Gang” zusehen.
Mutloser Softcore
Abgesehen davon ist es zumindest sehr fragwürdig, bei so einer Thematik und eines solchen Selbstverständnis der “Krassheit” völlig auf hardcorepornografische Elemente zu verzichten. Man sieht zwar unerigierte Penisse und Venushügel, aber das war’s dann auch. Wir reden hier nicht von einem amerikanischen Mainstream-Film aus den 90ern wie “Boogie Nights” (für den nichtsdestotrotz dieselbe Kritik gilt), sondern von einem französischen Arthouse-Film aus dem 21. Jahrhundert. Husson hat das Glück bei der Darstellung von Sexualität auf den Erfahrungsschatz und auch durchaus bewiesener kommerzieller Lukrativität der Filme von wahren Pionieren wie Gaspar Noé, Patrice Chéreau oder Lars Von Trier zurückzugreifen, die allesamt in der französischen Filmbranche ausgebildet wurden. Aber das nutzt sie nicht und filmt stattdessen Sex lieber entweder pseudocool-musikuntermalt oder ganz emotional überbeleuchtet wie in jeder Teenie-Romanze (siehe Cover). Und wie gesagt eben nie, auch nur halb so hardcore wie sich der Film gerne darstellt.
[Weiterlesen]
http://meinungsimperialismus.de/bang-gang-die-geschichte-einer-jugend-ohne-tabus/
[...] Obwohl Peping und der Zuschauer ohnehin über die Falschheit des Gesehenen Bescheid weiß, bekommt man doch ein (diffuses) Gefühl dafür, wie sich hier ein Gefühl der Rechtmäßigkeit in einer Gewohnheit des Schlechten aufweichen und zu einem neuen Gefühl von Richtigkeit werden kann. Darin liegt die Genialität von "Kinatay". Diese ideale filmische Form verwässert Brillante Mendoza aber leider hier und da mit schlampigem Symbolismus (vor allem das titelgebende Schlachten kommt hier immer mal wieder vor und es ist einfach plump, wie hier menschliches und tieres Schlachten nebeneinander gestellt werden). Auch die Strategie der Beiläufigkeit wird immer wieder effektiv von einem laut aufdringlichen Score und mitfiebendernden Nah-Aufnahmen gebremst. Hier vergisst "Kinatay" leider selbst, dass er nicht James Bond, sondern die Wirklichkeit sein möchte.