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Alle Kommentare von der cineast
Beyoncé ist kalt wie eine Winternacht. Ihre Stimme ist hart und schneidend. Ohne Herzlichkeit. Leicht kaputt. Eine hochkontrollierte Frostgöttin. Jede Bewegung wirkt hart erarbeitet, umkämpft, militärisch-streng komponiert, nichts an ihr lässt los und darf sich fallen lassen. Sie wirkt abwesend auf der Bühne. Wie hinter einer hauchdünnen Schicht Perfektion versteckt. Eine mähnige und stampfende Klobigkeit von Frau. Wenn Megan Thee Stallion für einen kurzen Part in den drei Stunden des Films vorbeischaut, dann hat das jene fotzfreche Energie, die zuvor nur behauptet wurde. Die präsentierte Persönlichkeit von Beyoncé Giselle Knowles ist absolut nichtssagend, nahezu sterbenslangweilig; keine Widersprüche, keine Verruchtheit, kein Todestrieb. Wir erfahren, dass sie vor jedem Auftritt ein Sandwich isst und Ingwertee trinkt. Hauptsache kein Kontrollverlust. Ihre Renaissance-Tour ist eine gewaltige Empowerment-Messe, serviert als pompöse state-of-the-art Spektakelshow, die Beyoncé als begnadete Designerin ausweist; in den elektrisierendsten Passagen des Konzerts verschmilzt sie vollends mit dem Bühnenbild, wird eins mit wirbelndem Glitter, schnaubendem Bühnennebel und tanzenden Lichtkegeln. Aber was fehlt ist Witz, Sex, Charme und Wärme. Auf der Bühne ist alles aus Silber. Nichts ist Gold.
Die Szenen mit den Töchtern sind irre; diese Anfangssequenz mit dem nicht funktionierenden Blinker ist hardcore. Wer dachte Wolfgang Spier koste eine Pointe lange aus, der wird hier eines Besseren belehrt. Aber wie seine Tochter das auch acted; es findet schon in einer völlig eigenen Welt des Spielens statt; dieses authentische und laienhafte Sprechen in durchweg irrealen (Ikea-)Welten, komplett ohne Rücksicht auf Verluste. Super frech und mega selbstbewusst. Man kann sich daran kaum sattsehen. Schweiger inszeniert hier tatsächlich einen unprätentiösen Kitsch den Hollywood sich gar nicht mehr trauen würde und dazu noch das ehrliche Geständnis von Til Alkoholiker zu sein und dann kommt ein Jumpscare und Schweiger ist tot. Die Lebensweisheiten lauten hier: vögeln, saufen und einfach machen, worauf man Bock hat. Keine Läuterungen. Und was sind das bitte für endgeile Locations in Österreich? Beim Finale am verschneiten Friedhof an einem Berghang denkt man ja kurz man wäre in einem entrückten Italowestern.
Ein Lehrstück sensationellen Fernsehens, das in seiner formalästhetischen Sorgfalt das "Dschungelcamp" als soziologisch und psychologisch mustergültig ausgefeiltes TV-Experiment längst abgelöst hat und wahrlich reichhaltige Epen von menschlicher Tragik entfaltet und in eine schroffe Sinnlichkeit überführt und im besten Fall sogar auflöst. Berechnende Arglist, manipulative Machtspiele und menschenunwürdige Dynamiken werden von RTL nicht nur erwartungsgemäß klug kommentiert, sondern durch eine - für die Teilnehmer - undurchschaubare Dramaturgie des Senders schlichtweg unterwandert, sodass jede Orientierungsgrundlage durch eine vermeintliche Willkür des Spiels unterlaufen wird und den Weg freimacht für die Poesie der Solidarität im Antlitz der Niedertracht: In großen Augenblicken der noch größeren Show ist es also möglich zutiefst menschenfreundlichen und rührenden Situationen beizuwohnen, die sich aus der narzisstischen und demnach menschlich üblen Fäulnis geradezu herzerweichend herausdestillieren konnten. Denn meisterhaftes Fernsehen orientiert sich auch stets am Mitgefühl entlang.
Das Tolle: einfach nur Mechanik, kein Meta-Geschwurbel, eine einfache Auflösung, Affekte.
Nach vier geschlagenen Stunden, dynamisch einzuordnen zwischen dokumentarischem ARD-Reenactment und feuchtfröhlicher Uni-Vorlesung, kommt als Kirsche auf der Torte auch noch der rüstige Altmeister Marvel Scorsese höchstselbst mit einem gepfefferten Statement auf die Bühne, für alle, die es bis dahin noch nicht begriffen haben; das, was mit den Osage passiert ist, war einfach nicht richtig! Ich war wirklich froh darüber, dass ich mehrmals aufs Klo musste, so interessant war der Film, als ich wieder zurück im Saal war, habe ich mich dann gefragt, warum der Film nicht einfach auch sechs oder acht Stunden hätte gehen können?! Ein Apple Original. Möge das Kino untergehen.
Mondo Brutale in Bella Italia. Antoine Motherfuqua bringt dem Kino die Härte des italienischen Genrefilms vergangener Tage zurück. Aber zuvor lässt er Denzel Washington zu der Musik von Sacha Distel in einem tiefschwarzen Gewand wie einen von Gott verlassenen Engel durch die elfenbeinweißen Gässchen eines Fischerdorfs flanieren. Das ist in der ersten Hälfte ein Unterstatement-Stylefest sondergleichen; ruhig, stilsicher, eine beobachtender und sich selbst erschließender Film; also eigentlich kein Film unserer Zeit. Und wenn Washington dann nur mit seinem stoischen Blick den Mafiosi das Fürchten lehrt, dann bebt der Kinosaal, noch bevor er sie danach wie Zigaretten ausdrückt. Eine redundante zweite Hälfte trifft dann leider noch auf ein lasches Finale, was zwar dem introspektiven Charakter des Films treu bleibt, aber dafür sorgt, dass dieser eigentlich formschöne Film viele seiner Qualitäten aufgibt; Washington jedoch bleibt einer der letzten Gralshüter des Kinos.
Das Material trägt sich größtenteils selbst; das launische Treiben des weißblondierten und sturen Riesen, jenem aufgedunsenen und rundbackigen Gaukler aus Ostfriesland, der sich als H.P. Baxxter zum König (des Raves) erklärt, braucht kaum einen raffinierten filmischen Zugang. Sein musikalischer Dadaismus ist völlig ernst gemeint und seine ungebremste Spielwut auf Festivals scheint nur eine Ausrede für das alkoholische Gelage der Aftershowparty danach zu sein; wenn seine Band ihm nicht folgt und gehorcht, dann wird sie auch mal mit Schweigen bestraft und in einen anderen Backstageraum verfrachtet. Und dann gibt es kurz das ganz wahre und pure Leben zu sehen; nämlich, wenn Baxxter alleine vor einer bulligen Wodkapulle steht, den Verschluss nicht aufbekommt, mürrisch die Eiswürfel in sein Glas klackert und seine Assistentin - mit Redbulldose auf halber Höhe im Anschlag - darauf wartet, seine Mische mit Energydrink komplettieren zu dürfen, dann hat der Film sein flüchtiges Momentum. Die Band tritt auf. Die Zuschauer haben Gesichter voll Wonne, sie stehen ganz unironisch vor der Bühne und feiern und tanzen, ja, strahlen förmlich. Bei Baxxter selbst aber, da glühen nur die unberührten und gänzlich von Puder bedeckten Wangen. God save the rave.
Das ist der erste James-Bond-Film mit Roger Moore. Moore ist das erste Mal im Smoking, trinkt den ersten Wodka Martini. Er ist das erste Mal wirklich in der Rolle angekommen und sorgt sich zum ersten Mal um einen Menschen. Der Film hat die Superstunts, die brillanten Bauten, eine phänomenale Fotografie, eine vielschichtige Musik, facettenreiche Action, er ist ein wirklicher Agentenfilm, das erste ganz große Bondevent und der Titelsong darf das erste Mal wirklich sehnsüchtig sein und schmelzen; hier greift alles nach den Sternen und ist in der klassischen Formel nahezu perfekt aufeinander abgestimmt. Wie sehr habe ich diesen Film unterschätzt.
Paul Newman ist ein Lebensverweigerer geworden. Starres Eis in seinen Augen. Eine blaue Lagune ohne Sommer. Ein lahmendes Bein als Ausdruck seines Herzens. Das Einzige, was sich noch an ihm bewegt, sind die zirkulierenden Eiswürfel in seinem Whiskeyglas. Nach einem furiosen Schlagabtausch zwischen Vater und Sohn, einer menschlichen Entrümpelung, einer erschütternden Bestandsaufnahme, zerspringt das Glas in seinen Augen. Dann läuft in seinen Tränen der den Schmerz verkorkende Alkohol an ihm hinab. Er wird niemals wieder einen Tropfen anrühren. Im Keller des schweren Patriarchen-Palastes wird es zwischen Vater und Sohn für einen Augenblick so etwas wie Nähe geben, zwischen angehäuften toten Schätzen und Einzelstücken, wird einmal kurz das volle Leben sein. Dann die letzte Einstellung: Ein durch die Luft sausendes Polster; für eine Sekunde ist die Welt so federleicht wie ein Kissen, gelegt in ein seidenzartes Bett.
Was Guy Hamilton kann: Die Arbeit am Mythos, die Kreation von unvergesslichen Motiven; eine goldene Kugel, ein goldener Colt, ein Mann mit einer dritten Brustwarze, zwei Männer am Strand, die sich vor einem schwebenden Felsen duellieren, dem Tode geweiht, unberührte Natur. Hamilton arbeitet wieder mit Verdopplungen. Und mit Wiederholungen. Roger Moore trifft auf sein Spiegelbild, der Anfang eines tödlichen Pistolen-Duells bildet auch das Finale. Auf der anderen Seite: Die völlige Verweigerung des Regisseurs einen satten Agentenfilm mit Action zu inszenieren, wobei ein druckvoller Kampf in der Garderobe einer Tänzerin in der Hinsicht noch ein Highlight darstellt; der schlechteste Moore-Bond ist betreutes Reisen, ein eigentlich seichter Urlaubsfilm, der einen diesmal komplett eiskalten und enthemmten Moore auf einen wieder einmal somnambulen Christopher Lee loslässt, der mit der öligen und blutleeren Ausstrahlung eines Versicherungsvertreters nun der treffsichere Meisterschütze sein soll. Eine ganz und gar lächerliche Gefahr, die mit einer dünnen und im Finale nachgereichten Motivation ausgestattet noch mehr an Bedrohung verliert; das Duell der beiden Giganten ist dann biederes Fernsehen, obwohl das nicht ganz fair ist - jede Folge THE AVENGERS hätte sich für diesen einfallslosen Studio-Irrgarten geschämt. Ein trüber Film, der kein Gold zu heben weiß.
Für die Ikonographie von Roger Moore bietet der Film so einiges; sein Fashiongame ist absolut on point, der Film ist sogar so selbstbewusst im Umgang mit ihm als neue Hauptfigur, dass er Moore in seiner ersten Szene sogar im Bademantel und an die Tür schlurfend präsentiert, der dann erstmal seinem Geheimdienstchef einen Kaffee aufbrüht. Der Film versprüht gerade im ersten Drittel eine nahezu unangreifbare Layback-Attitüde und lässt diese auf gespenstische Gestalten, entrückte Tötungsrituale und schiefen, angefunkten und alles durcheinanderbringen Blacksploitation treffen; so richtig bondig ist dieser zwar besondere, für schlanken und schnittigen Pulp aber manchmal zu träge und ausufernde Film aber selten, wenn Moore aber durch einen Schlammteich bestückt mit hungrigen Krokodilen tänzelt, ohne ins Wasser zu fallen, dann hat der Film Bond vollumfänglich verstanden; natürlich hat Moore keine Angst davor gefressen zu werden, er will lediglich verhindern, dass sein Anzug nass wird.
Ein Mord im Louvre wie aus einem italienischen Giallo, vor den Augen der Mona Lisa, setzt den Startpunkt für eine wilde Jagd durch die Nacht, die einer großangelegten Plünderung durch das Kino gleichkommt; korrupte und asoziale Bullen, wie aus einem rotzigen und schroffen französischen Unterhaltungsfilm der 70er Jahre, sind hinter einem Geschichtsprofessor her, der Widerwillen zum Gralsjäger wird und dessen Geschichte dem Film das Flair eines Abenteuerfilms der 80er Jahre schenkt. Auf der anderen Seite beschwört die Präsenz von Tom Hanks als eben jener Professor und Held, durch sein seltenes und kostbares Understatement, auch ein von ihm mitgeprägtes modernes Hollywoodkino; er trägt einen Film, ohne, dass er darin vorzukommen scheint, aber auch keine Sekunde darin fehlen könnte. Paul Bettany spielt einen vom Wahnsinn geküssten Killermönch, der ihm auf den Fersen ist, der auch gut einer pulpigen Räuberpistole der 90er entkommen sein könnte und Hanks an die Seite gestellt ist Audrey Tautou, die das damals junge europäische Kino verkörpert und die mit Hanks als Beifahrer - in einem rückwärtsfahrenden Smart - wie in einem Jason-Bourne Film kurzzeitig durch die Straßen brettert. Eine Episode, die Hanks und Tautou mit Jürgen Prochnow erleben, weckt Erinnerungen an deutsche Schundkunst; seine schmierige Ganovenperformance könnte glatt aus einem Edgar-Wallace-Film stammen und als Bonbon tritt noch Ian McKellen dem Ensemble bei und der Film wird zu einem waschechten Agatha-Christie-Krimi der Zaubertricks und Finten, wenn nicht gerade die Rückblenden vage an den Grusel von Roman Polanski erinnern würden. Wenn dann am Ende, völlig außer Atem, alle Rätsel gelöst sind, dann trennen sich alle Figuren wieder, sind in alle Winde zerstreut. Und Hanks und Tautou haben im Rosengarten das erste Mal Zeit sich in die Augen zu schauen, denn die Nacht ist zum Tag geworden und es wird einem schlagartig bewusst, dass das große Geheimnis des Films nicht die Entschlüsselung des Da Vinci Codes war, sondern dass sich in diesem Augenblick ein Film zu erkennen gibt, dessen Genre wir hier einfach nicht vermutet hatten: THE DA VINCI CODE ist ein Film der Liebe; ein schüchterner und verstohlener Liebesfilm der kleinen Gesten und noch kleineren Berührungen.
Ein vollständig witzloses, belangloses und verquatschtes Blödelszenen-Sammelsurium, das nicht mal den bescheidensten Ansprüchen an Unterhaltung gerecht wird.
Faszinierend, wie häufig Figuren sich hier selbst, aber auch gegenseitig vorstellen und wie viele Auf- und Abgänge sie haben; in seiner Struktur und dem Stellen von Figuren erinnert das stark an Freilufttheater, für das Bilder inszeniert werden, kein Wunder also, dass es so viele Winnetou-Stücke unter freiem Himmel in Deutschland gibt. Freddy Vohrer interessiert sich kaum für die Plüschhaftigkeit von Winnetou und lässt ihn oft am Bildrand verweilen, während Götz George eine frühe Schimanski-Performance gibt und sich den Raum durch Hechtsprünge und spitzbübische Akrobatik erschließt. Die eigentliche Hauptrolle hat ein - so schwierig er auch gewesen sein muss - sensationeller Stewart Granger, der jeden Karl-May-Standard auf links dreht und dem zum hundertsten Male durchexerzierten Plott eine ungemeine Frische und Lebendigkeit schenkt - jede Szene wird zum Happening; wahrscheinlich liegt es auch an seiner Anwesenheit, dass manchmal, ganz unvermittelt, amerikanische Panoramen auf die Zuschauer warten und das die Bilder am Ende sogar etwas von Sergio Leone haben, wenn die Kamera aufzieht, das Bild breit wird und sich ein Siedlertreck an einem großen Totenkreuz entlang wieder in Bewegung setzt: Ein Märchenreich wird erwachsen.
Die Action von Jan De Bont ist hervorragend inszeniert; sinnlich, berauschend, frei schwebend, nie um einen Stunt verlegen, sie gleicht in einer Abfolge von Set-Pieces den Leveln eines Spiels und erzählt immer eigene Geschichten; manche davon erinnern an James Bond, andere an Indiana Jones und wieder andere an die Spielreihe Hitman. Dass TOMB RAIDER 2 dann in ein liebloses, langweiliges und sagenhaft unspektakuläres Finale mündet, hätte der Film nicht verdient; ein Abenteuer bezwingt sich selbst - in den farblosen Tiefen digitaler Tristesse.
Für einen Konzern wie Mattel ist alles Barbieworld. Es macht also keinen Unterschied, ob Margot Robbie ihr Puppenzuhause verlässt und in die weite Welt aufbricht, denn auch die Realität ist ein schrilldoofer, sexloser, keimfreier und produktiver Marketplace, der durch das artige Aufsagen von kapitalismuskritischen Bemerkungen der Figuren auch direkt seine eigene Immunisierung mitliefert. So dürfen Barbie und Ken dann als selbstironische Werbetafeln ohne Geschlechtsteile (als wäre das mal was anderes und nicht auch bei jedem Superhelden so) durch flache Welten stapfen und sich unentwegt angrinsen und manchmal auch compliance- und konzerntreu belehren: Irgendwann halten die Figuren dann wirklich minutenlang Feminismus-Referate von 1972 und der Film will graduelle Veränderungen im Look einer Barbiepuppe als eine feministische Revolution verkaufen. Popkultur am Ende. Ein Film aus Plastik. Großartig. Danke, Greta Gerwig.
Wer hier "the best and most important movie of this century" sieht, wie Paul Schrader, hat die Kontrolle über sein Leben verloren oder erwartet vom Kino einfach gar nichts mehr. Dabei ist alles wie immer: Drei Zeitebenen, eine Inszenierungsart, ein Beat; Establishing Shots, die die Weite suchen, die Explosion, geschnitten auf die ernsten Mienen von wichtigen Männern in Büroräumen, die pausenlos miteinander reden und den Grad an Implosion von Oppenheimer betonen sollen. Drei Stunden lang. Erst nach zwei Stunden kommt die erste Akzentuierung: Wenn Oppi seine Explosion zündet, die Nolans Figuren stundenlang herlabern mussten, die dann kurz puff macht und dabei aussieht wie aus einem lausigen Actionheuler aus der Videothek, dann dreht Nolan kurz den Ton ab, was das läppische Bömbchen, das Nolan gerne zur IMAX-Immersion hochpudern würde, noch jämmerlicher macht. Jede Arschbombe im Schwimmbad hat mehr Wucht. Dann aber lässt Nolan seine betonierten Gesichter noch eine weitere Stunde in unzähligen Gerichtsverfahren miteinander plaudern, um dann auf Cilian Murphys Gesicht zu enden, das versteinert in einen Teich glotzt und ein Voiceover davon erzählt, dass die Bombe die Welt verändert hat. Ein Geniestreich. Danke, Christopher Nolan.
Das Phantom der Oper? Nein, das Phantom der Shopping-Mall! Solider Spätphasen-Slasher, der das altbewährte Kill-Konzept des Genres durch - für dieses Mini-Budget - veritable Stunts anreichert und sein Finale als eine Art Katastrophenfilm erzählen will; der überraschende Hang zum Actionfilm lässt diesen kleinen und sicherlich übersehenen Film sogar fast aus dem Überschwang an Teen-Slashern herausstechen.
Tom Cruise ist sein eigener Endgegner. Eine lebendige Filmstar-KI. Nur die dicken Hamsterbacken zeugen noch von einem Menschen. Ein durchgängig digitalisiertes Gesicht lässt ihn wie einen unwirklichen Geist erscheinen. Die Stunts sind von ihm selbst gemacht, so das aggressive Marketing, aber müssen, warum auch immer, stets von CGI verschlimmbessert werden, was zu einem merkwürdigen Effekt führt; alles ist irgendwie echt, aber wirkt manchmal doppelt synthetisch. Die internationale Filmkritik stilisiert Cruise derzeit wieder zum letzten Heiland des Kinos und sein Franchise alleine soll den Ruf des zuletzt schlimm abschmierenden Blockbusters retten. Und dann kann man die erste halbe Stunde kaum glauben, was man da sieht; als hätte Netflix eine Mission-Impossible-Serie in Auftrag gegeben; ein beliebiger Fernsehlook, umständliche Einführungen, zähe Dialoge, die Seiten zum Rascheln bringen und Menschen, die zusammensitzen und sich erzählen, wer sie so sind und was sie so machen und dabei bitte nicht gestört werden wollen. Dann aber kommt die Titel-Sequenz, die einen aus dem Halbschlaf aufweckt und daran erinnert, dass das hier das Event des Sommers sein soll. Ach, ja. Und tatsächlich ist der Film, der wirklich gar nichts mit der ersten halben Stunde zu tun hat, auf einmal flink und spritzig unterwegs; er lässt eine gelbe Ente aus dem seligen Bondfilm FOR YOUR EYES ONLY zum Star einer kuriosen Autohatz in Rom werden, die den Charme einer alten Agentensause versprüht und den Film endlich mal auf Spur bringt. In Venedig treffen dann sogar die House-Beats einer Club-Gala auf lange Schatten werfende Spione, die sich durch gialloeske und traumähnliche Gassen kämpfen. Alles ist in Nebel getaucht. Und vom sich spiegelnden Mondschein der umliegenden Kanäle angehimmelt. Der Film sprüht Funken. Und erwacht im Antlitz des nächtlichen Kerzenlichts zum Leben. Ein langgezogenes, kaum Tempo machendes und unelegant gelöstes Zug-Finish, das die letzte Stunde des Films bildet, ist überraschend künstlich geraten und verrät das einmalige Versprechen auf echtes Stunt-Handwerk. Das, was hier als furios abgefeiert wird, war früher mal absoluter Unterhaltungskinostandard. Dabei hätte es doch nur der Film des Jahres werden sollen.
Obwohl der vierte Teil des Franchises als eine Art Remake des ersten Films eine Verkleinerung des Figurenpersonals vorgenommen hat, ist er nicht minder lang, schwermütig und behäbig; nur die ersten 15 Minuten versuchen noch ein wenig den Modus der Bewegung von Gore Verbinski nachzustellen, der Rest tuckert bleischwer und quasselnd durch die sieben Weltmeere und obwohl der Film wieder Jack Sparrow ins Zentrum seines Geschehens rückt, wird die Suche nach der Quelle der Jugend zur motivationslosen Geduldsprobe, die in einem fernsehtauglichen und tristen Finale vollends seinen Charakter als überlebensgroßes Abenteuerkino verrät.
Der Film sieht aus wie deutsche Comedy aus dem Hause Constantin: Eine gelb-braune, oft überbelichtete Farbsuppe, keine Akzentuierung, keine Kontraste, nur eine matte Brühe. Dabei hat die Videospielsequenz des Anfangs noch ein gewisses Maß an ästhetischem Entrückungspotential, wenn ein wieder mal bewunderungswürdiger Mads Mikkelsen zu dem Donner von John Williams langsam zum Dämon erwacht und ein gedeageter Ford durch dunkle Zugwaggons tappst und dazu Gewehrsalven gegen die Scheiben prasseln. Danach sehen wir Indy in Boxershorts, der als greiser Muffelkopp erstmal Scotch in den Kaffee kippt; so nah waren sich Indiana Jones und Harrison Ford wohl niemals zuvor auf der Leinwand. Die Senioren-Action des Films ist eng und ohne Totalen gedreht, einfach nur Gesicht an Gesicht getackert; bei der Jagd mit dem Tuk Tuk denkt man dann endgültig, dass der Film im Filmpark Babelsberg gemacht worden sein muss und für den Eigenbedarf vor Rückprojektionen herumruckelt. In der Mitte des Films will man dann nur noch das Kino verlassen, wenn die entsetzliche Phoebe Waller-Bridge weiterhin nicht müde wird Indy Frikadellen ans Ohr zu quatschen. Ein origineller und fast mutiger Schlussakt zieht das Fahrwerk des Films dann nochmal kurzzeitig nach oben, wenn Indy in jene Sphären abtaucht, die nur dem tiefsten Pulp der Abenteuerlektüre vorbehalten sind. Mach's gut, Indy, alter Teufelskerl, auch Träume gehen mal vorbei. Selbst die aus Hollywood.
Die ersten zwei Stunden entwickelt sich keine Eleganz, keine Geschwindigkeit, kein Schwung, völlig befreit von Action und Größe, führt der Film endlose Verhandlungen mit zigtausenden Figuren und begnügt sich mit optischen Gags und kleinem Schabernack, nichts ist mehr wild, alles ist überladen, parodistisch und von uneinheitlicher Tonalität; erst die letzte Stunde fängt sich etwas, zwar überaus digital, aber dennoch mit einem gewissen Verve inszeniert, darf sich das Piratenabenteuer noch einmal aufschwingen und wenigstens ein lebendiges Action-Set-Piece am Malstrom zelebrieren, das dann auch endlich alle Figuren aus dem Halbschlaf aufzuwecken scheint und den Film konsequent zu Ende führt; ein dennoch langsamer, überbordender, übergeschnappter und nur augenblicklich reizvoller Film.
Jede Figur gleicht sich in diesem wankelmütigen Set-Piece, am großen Sandstrand, dem torkelnden Gang von Jack Sparrow an, wenn das riesige Rad einer Mühle alles auf den Kopf stellt und ungebremst Fahrt aufnimmt, dann ist auch der Film nicht mehr zu stoppen, der erstmalig vollständig zur titelgebenden Themenpark-Attraktion des Disneylands verschmilzt.
Dass PIRATES OF THE CARIBBEAN so erfolgreich wurde, liegt vor allem daran, dass der Film auf der einen Seite ein klassisches Abenteuersujet bedient und auf der anderen Seite das Versprechen auf modernes Effektkino einlöst. So webt der Film sein turbulentes und ideenreiches Seemannsgarn aus einem Indiana-Jones-ähnlichen Mythos rund um eine verfluchte Truhe, die prall gefüllt mit Aztekengold ist und verziert ihn mit ruhelosen Geisterpiraten, die auch zwanzig Jahre nach dem Erscheinen des Films noch auf dem neusten Stand der Tricktechnik sind. Regisseur Gore Verbinski inszeniert die Piratensause als ein karibisches Boulevardstück, das seine slaptickhafte - aus der Trunkenheit der Seeleute und dem Schwanken des Schiffes geborene - Action zuallererst durch ein Torkeln und Schwingen der Figuren in Gang setzt und dabei von einer entsetzlich trampelnden, wenngleich im Titelthema unendlich ikonischen Melodie unterstützt wird. Die Menschen und Figuren in diesem Film sehen zumeist noch so aus, als lebten sie in dieser Welt, digitale Effekte kommen nur dann, wenn es die Erzählung erfordert und die Action setzt sich aus allerlei handgemachtem Krawumm zusammen. Bei all dem Trubel und dem dauernden Hin und Her der Verhandlungen, Intrigen und Täuschungen, die mitunter die reizvolle Einfachheit eines solchen Piratenabenteuers unnötig untergraben und aufblähen, könnte man fast vergessen, auf was für eine romantische und über das Piratentum alle Klassen überwindende Weise der Film endet, wenn die adlige Elizabeth Swann den Schmied William Turner küsst und dabei bemerkt, dass er ein Seeräuber ist und Captain Jack Sparrow in den letzten Atemzügen des Films eine Melodie anstimmt, die wieder zurück zum unbekümmerten Getänzel des Films findet: Da schmeckt dann alles ganz und gar nach Sonne, Salz und Gischt; nach dem Schaum von Abenteuern.
Eine moderne Mary-Poppins-Erzählung, die bei aller sommerlichen Sorglosigkeit und genreimmanten Leichtigkeit auch eine übergriffige Klassengesellschaft porträtiert und von migrantischen Problemen berichtet, was Regisseur Brooks in der ersten Hälfte fast schon zu einem radikal-bilingualen Kino formt. Dass dieses hübsche und erfrischend gespielte Märchen auf einen realistischen Endpunkt zuläuft, verdeutlicht einmal mehr das ernsthafte Anliegen des Films; eine wirkliche Emanzipation kann nicht mal die Liebe aufhalten; eine unerwartete Wucht.