Dergestalt - Kommentare

Alle Kommentare von Dergestalt

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    Dergestalt 22.02.2019, 11:26 Geändert 11.03.2019, 10:52

    "Picnic at Hanging Rock" kommt mit einer gewagten Anlage. Zunächst der Einbruch des Irrealen in ein Mädcheninternat, dann die real-sozialen Folgen dessen. Beide Bestandteile sind säuberlich voneinander getrennt und damit bricht der Film auch qualitativ voll in der Mitte durch. Was "Picnic at Hanging Rock" gelingt, ist die subtile Verflechtung romantischer Träumereien mit den Untiefen, die diese herausfordern. Der namensgebende Hanging Rock ist zunächst nur ein urförmiger Gesteinshaufen, erhält durch die Fantasie der Mädchen aber irreale Kraft. Die Suche nach dieser imaginierten Kraft kann schließlich nur von der Wirklichkeit isolieren. Mit sphärischen Flötentönen, fein arrangierten, pastellhaften Bildern, einer flirrenden Sonntagsatmosphäre öffnet sich der Film einem wunderbaren Möglichkeitsraum. Zum Filmkonsum empfiehlt sich hier eine Haschischpfeife. Die Irritation ist dann wie ein Bad Trip urplötzlich manifest. Dröhnende Klänge erinnern an die Psychoakustik David Lynchs und ehe man überhaupt versteht, was da auf der Leinwand passiert, ist es auch schon vorbei.
    Dann folgt die wahre Sonntagsatmosphäre. Querelen im Internat. Die lose hinskizzierten Charaktermotivationen treffen aufeinander. Ärgerliche Konflikte wie damals in "Heidi" - die Mädchen wollen nur frei sein, aber die Direktorin ist streng. Eine Lehrerin hat Gnade, sie ist die Gute, Empfindsame. Plötzlich ist die pastellhafte Mädchenfantasie - zuvor noch in ihrer gefährlichen Realitätsferne filmisch problematisiert - ausbuchstabierte Realität - mit ihren gutmütigen und bösen Figuren und einer Dramaturgie, die der von Heimatromanen nur allzu sehr ähnelt. Der Mut des Films, keine konsequente Handlung und Inszenierung zu wagen scheint am Ende als Inkonsequenz, den filmisch aufregenderen Pfad auch nur einigermaßen gegangen zu sein.

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      Dergestalt 04.02.2019, 10:36 Geändert 13.03.2019, 12:37
      über Shining

      "The Shining" ist vor allem unmittelbar. Keine Psychologisierungen, keine Charakterhintergründe. Nur ein Setting, dessen Rahmung und die klaustrophobische Atmosphäre, die dazwischen immer dichter geschichtet wird. Eine Art Horror-Installation, nicht zuletzt durch die fein ausgestalteten Bild- und Tonkompositionen, die in ihrem teils genauen, teils chaotischen Zusammenspiel eine tatsächlich unheimliche Dynamik schaffen. Das Overlook Hotel als Handlungsort ist amorph und damit voll Schrecken, der sich unkontrolliert entfaltet. Als quasi-menschliches Gegenüber ist Jack Nicholson dabei die ideale Wahl für die Rolle des Jack. Wer will, kann das gerne Overacting nennen, für mich schafft seine infantile bis besessene Mimik den gelungenen Mittelweg zwischen schwarzem Humor und der vollkommenen Leere dahinter. Einen Menschen findet man dort bald nicht mehr vor. Der Dull Boy ist gefährlicher als jeder berechnende Psychopath, denn er ist ein Gefäß für seine Umgebung - das mit Leid und Hass gefüllte Overlook Hotel. Und selbst die oft gescholtene Shelley Duvall passt hinein, als ein anderes, leeres Gefäß, das nur nicht gefüllt werden kann. Sie muss als blasse Kontrastfläche fliehen oder sterben. Eine grausige Situation und die schafft "The Shining" als absolut moderner, weil vollkommen illusionsloser und ungreifbarer Horrorfilm mit irritierender Präzision.

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        Dergestalt 30.01.2019, 15:22 Geändert 13.03.2019, 12:38

        Shion Sono wird gern als radikaler Avantgardist gefeiert. Alles gut, denn cineastische Lobhudeleien machen ja auch Spaß. Was Shion Sono hingegen Spaß macht, ist Pop-Surrealismus. Und das ist eben nicht das durchweg Neue, Avantgardistische, sondern das Zusammensetzen von Bekanntem aus der Massenkultur zu neuen, teils skurrilen, teils verstörenden Mischungen. Das kennt man von den Spanner-Jungs mit ausfahrbaren Höschen-Cams aus "Love Exposure", von der Fischhändlermafia aus "Cold Fish" oder dem Teenie-Suizid-Club aus "Suicide Circle" (die Filmtitel sprechen alle für sich). Deshalb ist es zunächst kein wirklicher Kulturschock, wenn sich Sono in "The Virgin Psychics" einer Manga-Vorlage widmet, die typischer nicht sein könnte: Sexgeiler, jungfräulicher Loserjunge sucht auf der Highschool seine große Liebe, muss sich bei seinen Streifzügen aber japanisch-korrekt züchtigen. Reibungen in jeder Hinsicht. Damit es trotzdem ein sonogerechter Stoff bleibt, bringt ein vollkommen willkürlicher Superheldensubtext surreale Züge. Denn der Loserboy kann Gedanken lesen, für seine Operation zur Rettung der Welt soll er aber enthaltsam sein. Schwierig, wenn die bösen Kräfte immer mehr Wichsvorlagen bereitstellen.
        Um mit "The Virgin Psychics" Spaß zu haben, sollte man Spaß an willkürlichen Handlungssequenzen, Grimassenschneiden und Sex auf verklemmt-überspanntem Niveau haben, ansonsten ist der Film bloß albern. Statt einer konsequenten Handlungsentwicklung geht es um möglichst frivole Begegnungen, die mit all den engen Outfits nach einem Sex schreien, der nicht gelebt wird. Die comichafte Machart mit schnellen Schritten, hellen Farben und Popsounds ergänzt Sono durch leckere Surrealismen wie Gummipuppen, die mit Liebesluft aufgeblasen und zu Zombiedienern werden oder Uterusgefängnissen auf der Theaterbühne. Im Vordergrund stehen aber die schlüpfrigen Gags, die oft nur in ihrer Plötzlichkeit und anmaßenden Inhaltslosigkeit witzig sind. Und eine Anmaßung ist diese schwungvolle, redundante Pop-Komödie definitiv. Sono provoziert also weiter.

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          Dergestalt 29.01.2019, 00:04 Geändert 29.01.2019, 00:18

          Yorgos Lanthimos stellt gerne dysfunktionale Systeme aus, mit aller Skurrilität wie auch Unverständlichkeit und Härte. "The Favourite" ist nun der erste Film, der sich dabei voll auf die Skurrilität konzentriert, die restlichen Elemente ohne Zögern fallen lässt. In diesem historischen Kammerspiel der Intrigen am englischen Hofe verbleiben höchstens einige derbe Sprüche und dreiste Gesten, nichts aber, was man von frechen Screwballkomödien nicht schon gewohnt wäre. Das sterile Weiß und die klinischen Umgebungen als typisch gesichtslose Settings der Filme Lanthimos' sind vollkommen verschwunden. Sie weichen prachtvollen, wenn auch bisweilen kühl und dunkel ausgeleuchteten Herrschaftsgemächern. Verzerrungen im Kameraobjektiv geben dem Film eine latent skurrile Note, die an Terry Gilliams kirmeshaft-historische Fantasyspektakel erinnert. Der Sound ist Barock, bisweilen sanft ins Atonale und Serielle verschoben, als kleiner Wink gen Moderne und Entfremdung. Fremdheit, ja: Gerade in den gekonnt überspitzten Figurendarstellungen zeigt sich Lanthimos' Verständnis für Konfrontationen im Moment, die keine großen Psychologisierungen brauchen, um das irrationale, gebrochene und fremdartige menschliche Wesen einzufangen.
          Der Film hingegen ist nicht fremd. Die Dramaturgie ist greifbar, die Figurenhandlungen sind oft vorhersehbar, die Konflikte auf wenige feine Momente zusammengestaucht. Dass dem komödienhaften Treiben dabei ein bitterer Unterton beiwohnt, lassen vor allem die lebhaften Schauspielleistungen erahnen. Die Handlung bemüht sich gegen Ende leider zu sehr, noch ein griffiges Drama draus zu machen und kommt damit etwas überhastet. Und ja, wenn man bei Lanthimos schon dabei ist, über Dramaturgie- und Glaubwürdigkeitsfragen zu sprechen, weiß man, dass man eigentlich gar nicht mehr bei Lanthimos ist. Für einen solchen ist der Film viel zu transparent und verständlich, zu brav. Herausgefordert wird hier niemand. Herausfordernd darf Kino aber gerne sein.

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            Dergestalt 24.01.2019, 00:51 Geändert 24.01.2019, 10:53
            über Exte

            Man darf vom Pop-Ästheten Shion Sono keinen generischen Horrortrash erwarten, auch wenn der Plot das zunächst suggeriert. Hair Extensions, die zu morden beginnen sind natürlich maßlos übersteuerte Elemente, nur machen sie hier keinen maßlos übersteuerten Film. Natürlich gibt es einige schrullige Momente, gerade wenn da ein Mad Scientist in Zirkusoutfit durch die Gegend wackelt oder die Protagonistin radfahrend ihr Leben kommentiert, inklusive der Verkehrsregeln. Ansonsten hat der Film mit übersteuerten Genreexzessen wie denen von Takashi Miike aber nur wenig gemein. Zum einen sind gerade die aggressiven Extensions, die zwischen kreativem Bodyhorror und kompletter Raumverfremdung alles totanimieren, in ihrem Effekt eher beeindruckend als trashig und zum anderen erzählt Sono ja auch noch, und das äußerst ausführlich, von einer zarten Tante-Kind-Beziehung. Natürlich ist die Handlung rund um irre Figuren und wirklichkeitsdeformierende Extensions spannender als eine bereits vielfach erzählte, wenn auch glaubhaft dargestellte Beziehungsnummer und da Sono beide Handlungen lange Zeit säuberlich nebeneinander her laufen lässt, bremst das Lahme das Spannende immer wieder aus. Gegen Ende lässt die Symbiose beider Welten zwar auch ein paar Metaphern springen, wirklich nötig war diese Ausführlichkeit bis dahin aber nicht. Wirkt eher wie die Angst Sonos (oder der Produzent*innen), die eigenen Horrorvisionen grenzenlos werden zu lassen. Weder Trash noch "Tetsuo".

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              Dergestalt 21.01.2019, 22:26 Geändert 16.10.2019, 22:08

              "After Last Season" ist das filmische Äquivalent eines Toasts, den man ungebacken vor einem Jahr in einem staubigen Schrank vergessen hat und den man eines Tages vollkommen schimmelzersetzt wieder hervorzieht. Dieser Hyper-Low-Budget-Trash, dem scheinbar 5 Millionen Dollar Produktionskosten zugrundeliegen, über- bzw. untersteigt noch einmal vieles, was man gemeinhin als Trash bezeichnet.
              Also... Die Handlung rund um zwei Neurologen, die mit Traumlesegeräten einen Mord aufdecken wollen, dann aber die Realität durcheinanderbringen, bleibt nur in Ansätzen greifbar und geht gegen Ende zwischen unerklärlichen Sequenzen absolut verloren. Die leblosen Figuren bewegen sich vor abrissfertigen, mit Papier zugeklebten Kulissen, die für verschiedendste Handlungsorte herhalten müssen, die animierten Traumsequenzen erinnern an klobige Windows-95-Bildschirmschoner oder Grafikfehler, die steifen Dialoge stehen ohne wirkliche Entwicklung nebeneinander und ein maximal billig abgemischtes Midi-Keyboard lässt unvermittelt irgendwelche Töne heraus. Kurzum: Das hätte prinzipiell wirklich jeder drehen können, und zwar ohne Budget.
              Besonders ist "After Last Season" dennoch. Oder anders gesagt: Sicher nicht jeder wird mental dafür bereit sein, einen solchen Film zu drehen. Das ständige Spiel mit der Realität (als ob es vorher eine halbwegs verifizierbare Realität gegeben hätte) über sonderbar abstrakte Animationen, geisterhafte Stop-Motion-Effekte oder aussageheischende Einstellungen, die nichts zeigen, gibt dem Film eine hochgradig verschrobende, fast tranceartige Qualität. Die macht all das sicher noch ermüdender als es in seiner steifen Nichtigkeit sowieso schon ist, aber auch fremdartig und in Teilen sogar faszinierend. Undenkbar bleibt schließlich, was sich Regisseur Mark Region (?) dabei wohl gedacht hat. Art challenges.

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                Dergestalt 16.01.2019, 10:37 Geändert 16.01.2019, 22:54

                Eine Unholy Alliance aus japanischer Industrial-Ästhetik (vgl. "Tetsuo") und Industrial-Sound (Einstürzende Neubauten). Gakuryû Ishii profiliert sich auf diesem Gebiet ordentlich, mit schweifender Kamera, vielen Cuts, irrealen Interludes und überhaupt dem Fokus auf Wahrnehmungsfragmenten statt Storyline. Ich bezeichne "1/2 Mensch" auch nur ungerne als Konzertfilm der Neubauten, denn es ist schon einiges mehr dabei, zudem sind neben Live-Aufnahmen auch Studioeinspielungen über die Bilder gelegt. Aber was sehen wir so? Abrissfertige Fabrikhallen, dunkle Clubs und ein mutiertes Kabuki-Theater mit Stahlrohren und sanft obszönem Umgang. Und immer wieder sieht man die Neubauten, die mit Schlaghämmern, Stahlmaterial, schräger Gitarre und dem pathetischen Rufsang oder Gekreische des noch jungen Blixa Bargeld rhythmisch simple, rohe Krachmusik machen. Teils kommt das wie ein dokumentarischer Konzertmitschnitt bekannter Neubautenästhetik, teils lässt Ishii seine Protagonisten aber auch in abgeschiedenen Setpieces herumwandeln oder stellt sie als Industrieware aus. An so einem Punkt kommt auch besagtes Kabuki-Theater ins Bild. Dokumentarische Industrial-Konzertrealität und assoziatives Erleben der Industrial-Ästhetik fallen spielerisch zusammen. Auf letztere versteht sich Ishii, deshalb ist "1/2 Mensch" mindestens so kongenial wie er anstrengend ist. Aber Leben ist nun einmal Leiden. Industrial-Liebhaber jeder Schule werden ihren Spaß haben.

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                • "The Favourite" und dann eigentlich nichts mehr.

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                    Dergestalt 28.12.2018, 16:04 Geändert 09.01.2019, 11:17

                    "Easy Rider" war meiner Erwartung nach zunächst echte Biker-Romantik mit cooler Rockmusik, bei der Erstsichtung war ich vielleicht 19 Jahre alt. Tatsächlich wurde es ein sehr unsteter Film mit experimenteller Kamera, ausgedehnten Passagen voller stiller Beobachtungen und einem eruptiven, plötzlichen Schluss. Aus der aktualisierten Erwartungshaltung heraus überrascht einen Dennis Hoppers verschmähter zweiter Film also schon einmal weniger. Alles, was man in "Easy Rider" findet, gibt es auch hier, nur sonderbar angeordnet und nun vollends ohne leitendes Narrativ: Wilde amerikanische Landschaften, Kämpferposen und Antagonisten, assoziative Schnitte, fragende bis verzweifelte Blicke, eruptive Reaktionen. Verzweifelt vor allem Dennis Hoppers Gesicht, das durch dunkle Räume schreitet, schweißnass, verdreckt, lustvoll an anderem Ort beim Sex. Als kinoerprobter Mensch vermutet man, dass sich Undergroundikone David Lynch für "Inland Empire" bei Hopper etwas bedient hat. Auch hier geht es um die Brutalität des Filmemachens, die zitternde Grenze zwischen belebtem Bild und Abbild. Wird hier einer erschossen, kann es nur simuliert sein, das Fleisch bleibt trotzdem beschädigt. "The Last Movie" ist ein sonderbar montierter Film, der sich seine Brüche genüsslich erlaubt und nur über das verzweifelte Gesicht Hoppers eine fragliche Kontinuität behauptet. Letztlich fallen alle Deutungsansätze auch auf Hoppers Perspektive zurück, denn augenscheinlich sucht der hier die Selbstreflexion als Schauspieler und Regisseur zugleich. Dass sein "Last Movie" vorerst einen Karrierestop markierte, spricht für die Schwere seiner Gedanken und dürfte auch Kunstfilmfreuden eine sanfte Warnung sein. Dieser Film findet sich möglicherweise erst im Kopf der Zuschauer*innen. Am besten man sympathisiert mit Hoppers Verzweiflung.

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                      Dergestalt 23.12.2018, 22:40 Geändert 09.01.2019, 11:19

                      Anthony Quinn ist für viele ein ganz Großer und das ist seine letzte Rolle. Aufs Schmerzlichste autobiografisch inspiriert, spielt der Film die letzten zehn Tage seiner Filmfigur Archie durch. Archie will kurz vor seinem Ableben noch einmal echte Verbundenheit spüren, deshalb legt er sich vier Diener verschiedener Nationalität zu, die je einen Finger in seine Ohren- und Nasenlöcher stecken sollen. Die solcherart entstandene Verbundenheit beschwört fliegendes Gemüse und frohe Gefühle. Dazu düdelt ein softer Jazzsoundtrack, während die sorgfältig komponierten, sonnenhellen Bilder Nebelschwaden, Prachtgärten, Tiere und natürlich Gemüse zeigen. Ein Voice-Over aus dem Jenseits vervollständigt den meditativen Charakter der skurrilen Sterbeschau. Ja, und so einfallsreich die angelegt ist, so zäh geht es voran. Eigentlich sind ja alle ganz glücklich, die Diener, der alte Herr, dessen weitere Bedienstete und über den Voice-Over gibt es manch klugen Kommentar zu hören. In seiner durchästhetisierten, stationenhaften Auseinandersetzung mit Leben und Tod erinnert das nicht selten an Peter Greenaways theaterhafte Filme, ist aber weitaus freundlicher und deutlich konfliktärmer. Der Beweis, dass Weirdness nicht unbedingt irritieren muss.

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                      • Dergestalt 23.12.2018, 13:35 Geändert 23.12.2018, 14:52

                        Der Sohn von Jodorowsky macht nicht nur Musik, sondern hat da auch einen Kurzfilm: "The Voice Thief". Asia Argento verliert ihre Stimme und ihr latent schwuler Ehemann macht sich auf die Suche, ihr eine neue zu besorgen. Gewohnte Neonarrangements der Art Refn und typische Bühnenkirmes der Art Jodorowsky. Märchenhaft absehbar und surreal verspielt.
                        Reißt nicht, macht aber Vergnügen.

                        https://vimeo.com/74711060

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                          Dergestalt 12.12.2018, 11:22 Geändert 17.12.2018, 09:39
                          über Climax

                          Gaspar Noé dreht endlich frei. Die vielen eingeschobenen Zwischentitel und thematischen Mottos brauchen gar nicht ablenken, vor allem erschöpft sich "Climax" in einem planlosen Exzess, dem ein kaum verhandelter Whodunit zugrundeliegt. Wer also die Bowle halluzinogen "vergiftet" hat, interessiert kaum, ist eher die Folie für diverse Paranoia-Gesten, die Noé näher an den Horrorfilm rücken als je zuvor. Und um Gesten geht es vor allem, seien es die tänzerischen Choreografien, sei es die panische Distanzierung des eigenen Körpers vom anderen, plötzlich zu begehrenden, plötzlich aggressiven Körper. Das dröhnend verfremdete Sounddesign und Benoît Debies subjektiv-schwebende Kamera mitsamt Neon-Farbdesign arbeiten Noé-typisch kongenial zu den wilden, exzessiven Körpern. Und wieder ist Noé dann am stärksten, wenn er seine forciert pubertären Mackerdialoge beiseite lässt und Angst und Begehren visuell behandelt. Aber auch das zieht nur bedingt, denn zu unkonturiert und hinskizziert wirkt das Szenario, das weder in seiner billig motivierten Anlage (Drogenvergiftung!) noch in seiner Entwicklung (kreischende, zappelnde Twens) wirklich ernst zu nehmen ist. Und so muss man diesen Noé einfach als modernes Horror-Exploitationkino sehen, das in seiner launenhaften Machart tatsächlich Radikalität besitzt. Zur übersteuerten Launenhaftigkeit gehören dann aber auch altbekannte sexistische bis homophobe Stereotypen, ausgedehnt inhaltsleere Dialoge und bedeutungshaschende Zwischentitel, die ohne tiefergehenden Bezug zum Inhalt wieder nur Exploitationgehabe vor flackernder Leinwand sind. Noés schwächster, weil freiester und darin unambitioniertester Film.

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                            Dergestalt 07.12.2018, 17:50 Geändert 11.09.2020, 10:03

                            Irritierender als alle infantil-freidrehenden Hoppers oder Schnittohren im Gras ist David Lynchs Mut, die großen Phrasen des Pop, jene gen Liebe, Düsterheit und Licht bis ins Unangenehme ernst zu nehmen. Deshalb ist seine effektreiche Geschichte um Liebe und Leidenschaft keinesfalls flach, denn die Öffnung des Eigenen hin zum Fremden wie sie der abenteuerlustige Pop vorbehaltslos fordert, exerziert Lynch ohne Zögern durch. Wenn sich ein süßer, neugieriger Nachbarschaftsjunge in ein süßes, neugieriges Mädchen verliebt, seine Sexualität entdeckt und sein "Coming Out of the Closet" hat, bedeutet das auch eine bedrohliche Infragestellung des eigenen Selbst - und eine des Gegenüber: Ist Sexualität nicht auch ein aggressiver, grenzenbrechender, also zerstörerischer Akt? Ist das Regressive, also Kindliche und Infantile nicht auch ein Teil der Sexualität? Durch übersteuerte Gesten und ikonisch zugespitzte Begegnungen gelingt es Lynch, solche Fragen anzuschneiden, seine Zuschauer*innen aber nur den Effekt dessen spüren zu lassen. So ekeln wir uns vordergründig vor den abschnittenen Ohren, erschrecken vor einem infantil-freidrehenden Dennis Hopper, aber ekeln und erschrecken uns (weit weniger bewusst) auch davor, wenn plötzlich und unverhofft Aggression und Regression bestehen, wo wir doch eigentlich nur zu unserem Schatz ins Bett steigen wollten, mit ein bisschen Popmusik im Ohr. Aber "in dreams" ist leider alles möglich.

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                            • über byNWR

                              Großartig, dass du hier schon einmal eine Auslese vorstellst! Welchen Film kannst du denn als (möglichst weirden) Einstieg empfehlen? Brauche mal wieder wirklich übersteuerten Trash.

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                                Dergestalt 05.12.2018, 21:44 Geändert 14.02.2019, 10:15

                                Stephen Sayadian bedient die (leider) seltene Kategorie des Weirdhouse-Porn. Porn bedeutet dabei schlicht, dass es vor allem ums Aufgeilen geht und das ohne große Prätention. So unverstellt geil der Film mit seinen diversen Lutsch- und Rammelszenerien also ist, so merkwürdig aufgesetzt wirken die diversen irrealen Einlagen. Mal gibt es zu einem Industrial-Cover von "Ring of Fire" eine Fummelrunde dreier Frauen in der Prärie, mal bringt eine Spitznasenmaske eine ordentliche Penetration auf den Weg, mal bekommt ein Typ mit Cornflakekostüm einen Blowjob verpasst, während sein Kollege das Saxophon malträtiert. Maximal sinnfrei also und auf gut 80 Minuten in seinen ständig gleichen Fickbewegungen ordentlich eintönig. Denn es bleibt ein Problem: Wenn man für den Porno dranbleibt, ist man vorher schon längst gekommen und dann reicht etwas Weirdhouse nicht. Wer sich also für skurrile Erotik interessiert, der schaue die eigenwillige "Dr. Caligari"-Interpretation Sayadians. Weniger Porn, dafür mehr bunte Psychedelik. Am Schluss reicht pure Masturbation eben doch nicht.

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                                  Dergestalt 04.12.2018, 10:28 Geändert 14.04.2020, 12:50

                                  Lars von Trier sei am Ende, ganz kaputt und das wohl sein letzter Film: düster und irgendwie unbefriedigend. Schön, wie unpassend das alles wirkt, wenn man sich "The House That Jack Built" tatsächlich ausliefert. Im Grunde setzt der Film den essayhaften Stil von "Nymphomaniac" fort. Wieder gibt es eine Beichtsituation, statt dem Hobbyphilosophen Seligmann ist es nun aber der weitgehend gesichtslose Verge als Zuhörer, statt der Nymphomanin ist es jetzt der Serienkiller Jack als erklärungswütige Außenseiterfigur. Der Killer möchte sein Töten als Kunstwerk in der Tradition großer Ikonografen sehen, mischt faschistoiden Größenwahn mit gotischem Kirchenbau. Im Grunde geht es ihm darum, aus einer destruktiven Tätigkeit wie dem Mord etwas Konstruktives zu machen. Natürlich schreit das in seiner Metaphorik nach autobiografischer Deutung in Richtung Regisseur, nicht zuletzt da auch Ausschnitte aus einigen früheren Filmen zu sehen sind. Lässt man diese Sensationen beiseite, bleibt ein klassischer Trier zwischen expliziter Selbstentäußerung und stiller Selbstreflexion. Wir sehen stationenweise einige Tötungen des Killers, ebenso flott montiertes Bildmaterial seiner künstlerischen Ideengeber. Verge nimmt dabei wie bereits Seligman die Rolle des Humanisten ein, der den antisozialen Ausbrüchen der Sexgeilen oder des Killers ein zuschauernahes Korrektiv entgegenstellt.
                                  Trotzdem hat Jack die volle Bühne für seinen narzisstischen Blick auf die Welt. Wir sehen zerschnittene Küken, erschossene Kinder und eine abgetrennte Brust, Demütigungen und Manipulation. Der klassisch-emotionsgestörte Killer spielt dabei mit allen Klischees, die das Serienkillergenre so hergibt und macht eine richtige Show aus den Morden, die auch den pointierten Slapstick kennt. Schließlich endet der Film in einem surrealen Albtraumtableau. Verge sucht die Angst, die Hölle im Inneren Jacks und macht sie schließlich begehbar. Träg-halluzinatorische Gegenwelten wie man sie aus "Antichrist" und "Melancholia" kennt, geben dem Film, der bereits bis dahin stark zwischen Witz und Grauen schwankt noch eine weitere Stimmungsebene. Das alles geht, wie immer bei Trier, natürlich nicht ohne Überschwang und Übertreibung, aber behält immer einen einnehmenden Grundton, nicht zuletzt durch den steten Bezug auf die Urängste des Killers, die immer plastischer und zuletzt auch für die Zuschauer*innen bedrohlich werden. "The House That Jack Built" zeigt Trier in voller Lebendigkeit und die Kunst damit als das, was sie sein muss: Unmittelbar, unberechenbar, unnachgiebig. Ein ausfransender Kinotraum, der die belohnt, deren Empathie weit bis in die Seele des Killers reicht.

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                                    Dergestalt 02.12.2018, 22:02 Geändert 16.10.2019, 22:40

                                    "Eraserhead" ist ein ganz sonderbares Erfolgsexemplar des Midnight-Cinema der Siebziger. Und bis heute freuen sich Menschen über kontaminiert-ruckelnde Brathähnchen, hyperpausbäckige Heizungsmädel und Henry Spencers irre Post-Punk-Frisur. Lynch war von Beginn an einer, der für die ikonischen Bilder taugte und der immer genug Nähe zum Genrefilm, dem Horrorthriller, hielt, um nicht im Arthouse-Exzess zu verschwinden wie andere Vertreter des späten filmischen Surrealismus. Man nennt ihn nicht zufällig einen populären Surrealisten, für den Film wohl das, was Dalí für die Kunstwelt war. Noch dazu kommt Lynchs Geschick, selbst die sprunghaftesten "Plots" in eine atmosphärisch konsequente Albtraumwelt mit Nähe zum leidenden Menschen zu betten. Nie treibt es "Eraserhead" in seiner verspielten surrealen Kombinatorik soweit, aus der anonymen Industriemetropole auszubrechen, immer bleibt die hoffnungslose Lähmung des Protagonisten Henry Spencer verbindendes Thema vor düsterer Kulisse. Und man versteht den armen Nerd ja: In seiner Männlichkeit gekränkt, ein deformiertes Baby statt erfolgreichem Arbeitsalltag, sein Kopf mehr als Arbeitsmaterial denn als visionärer Ideengeber. Henry ist ohnmächtig wie es ein Josef K. ist und fängt die Ängste des sexuell- und selbstbewusstseinsgestörten modernen Menschen ein, der wir geschlechtsunabhängig schließlich alle sind. Die irrealen Bilder in "Eraserhead" fügen sich dann in den Kontext der verzweifelten Suche nach Berührungen in Beziehungen, in der Welt und im Kosmos überhaupt. Henrys Schicksal ist das der absoluten Entfremdung und seine Suche die nach Nähe. Klingt kitschig? Wird es nicht, dafür kennt Lynch die nötigen Chiffren ohne den Bezug zum Leidenspathos des Menschen je zu verlieren. Dafür müssen wir ihn wohl lieben.

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                                      Dergestalt 25.11.2018, 00:35 Geändert 25.11.2018, 00:41

                                      "Carnival of Souls" gilt als kleiner Horrorkult. Selbst ein David Lynch hat sich wohl von dem eigensinnigen Filmchen inspirieren lassen und man kann sich das schon vorstellen. Im Grunde ist der Film über eine traumatisierte Frau und seltsame Erscheinungen ein skurriles, wenig substanzhaltiges B-Movie, das sich einfach nicht die Mühe machen will, mehr als fahle Andeutungen zu liefern. Entsprechend übereilt und unfertig wirkt die Dramaturgie und entsprechend unfreiwillig komisch so manch prompter Schockmoment. Aber gerade die Skizzenhaftigkeit schafft auch die Bedrohung, die von einem Grauen ausgeht, das überall ist und vollkommen uneinsehbaren Regeln gehorcht. Letztlich trägt den Film vor allem eine schwelende Atmosphäre, die sich in sonderbaren Orten, Wahrnehmungsstörungen, einem düsteren Orgeldröhnen und verfremdeten Gesichtern manifestiert. So leicht man den Film als halbgar bezeichnen kann, so leicht kann man ihn als kongeniales Abbild eines Traumzustandes betrachten. Unzureichend und gerade deshalb so beunruhigend. Wo die Realität Leerstellen lässt, beginnt die Unsicherheit, kollabiert das System. Für einen Genrefilm von 1962 irritierend radikal.

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                                        Dergestalt 22.11.2018, 11:22 Geändert 05.01.2019, 12:44

                                        Ging Argentos Klassiker "Suspiria" vor allem unvermittelt über die Atmosphäre rein und hatte gegen Ende auch seine Probleme, den Subtext in Dialogen einzufangen, bringt Luca Guadagninos freie Interpretation von Anfang an alle Kontexte explizit und bedeutungsschwer ins Spiel: Körperpolitik, RAF, Okkultismus, Nazi-Vergangenheit. Im grauen Bauhaus Berlin rieseln nur so die Wahrnehmnungsfragmente, kurzen Shots, Andeutungen und Exkurse. Guadagnino verweigert sich jeder simplen Remake-Pose, sondern will ganz modern von (Körper-)Identitäten in post- (oder gar prä?-)faschistischen Zeiten erzählen, immer nahe der Hybris. Das zumindest hat er mit seiner 70s-Vorlage gemein, die bisweilen in verwirrend plötzliche Overacting-Posen reichte. Auch das gibt es hier, aber vieles ist anders. Kaum dröhnende Psychedelik, aber kühle, zerschnittene Ästhetik, mal melancholisch mit schweifender Kamera und Thom Yorkes Falsett im Hintergrund, mal im expliziten Körpermutationen (Francis Bacon grüßt) oder in rasanter Traum-/Tanzmontage (hier noch am nächsten am hypnotischen Original). Das für mich offensichtliche Problem des Films liegt da, wo all dies eben nicht zusammenfindet, sondern in bemühter Collage nebeneinandersteht. Gerade die diversen Handlungsfäden machen den Film ultimativ diskursoffen, ebenso aber auch ungreifbar, schlechterdings flach, weil man keiner Figur nahekommt. Wenn dann am Ende die großen Vereinigungen und Konflikte zur emotionalen Aushandlung stehen, ist nichts davon nachfühlbar, sondern fühlt sich übersteuert, forciert an. Da passen intellektueller Anspruch eines verkopften und emotionaler Anspruch eines unmittelbar-krassen Films nicht zusammen. Irgendwo dazwischen ist "Suspiria" verloren und stecken geblieben. Also saugt man sich lieber an schönen Einzelelementen fest, der konsequent kalten Ästhetik, den pointiert bis übersteuert präsentierten Figuren oder am natürlich gelungenen Soundtrack. Zusammen kommt das zumindest in meinem Kopf aber nicht mehr. Lieber noch einmal in den kontinuierlichen Farbenfluss eines Argento tauchen.

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                                          Dergestalt 19.11.2018, 15:03 Geändert 19.11.2018, 15:07

                                          Leider ist recht klar, wohin Paolo Sorrentino auch mit seinem Berlusconi will: zum Sentiment alter, mächtiger Männer. In seinem überlangen, fahrigen Zirkus der bunten Drogen und Nackedeis geht es ihm um keine Bestandsaufnahme der Politik, ebensowenig um ein treffendes Portrait der Gesellschaft oder auch nur irgendwelche Abgründe, lediglich um das Versagen und die Melancholie. Von den Taten eines Silvio Berlusconi ist hier also nichts zu erfahren, kaum etwas über seine Motivationen, aber viel über seine Tragödie. Aber welche denn eigentlich noch einmal? "Loro" ist eine filmische Behauptung, ein überlanger Trailer, der Figuren in durchgestylte (teils auch geschickt montierte) Bilder setzt, aber jede Spannung, sei sie visuell oder narrativ, konsequent zugunsten des sanft Ironischen und Sentimentalen vermeidet. Konflikte werden ausgespart und dann fein per Dialog nacherzählt, sollen dann plötzlich emotionalisieren. Nur funktioniert das nicht, wenn es keinen erfahrbaren Grund gibt, an dem sich die Gefühle entzünden können. Da waren die Altmännerfantasien von "La Grande Bellezza" oder "Youth" immerhin noch um Kontraste, überhaupt um Ursache/Effekt bemüht, hier gibt es neben der konsequent glänzenden Gelfresse des Silvio und etlicher Yuppie-Klischees keinen Resonanzraum mehr. Und man darf sich wirklich fragen, ob Sorrentino mehr zu sagen hat als ein ewig bodenloses, selbstmitleidiges Bla Bla Bla.

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                                            Dergestalt 03.11.2018, 10:58 Geändert 14.04.2020, 12:51

                                            Da es heute immer wichtiger scheint, jede Horrorfigur mit immer mehr Franchises auszustatten, freut man sich natürlich, wenn ein neuer Ableger wenigstens etwas Liebe und Respekt gegenüber den Originalen verrät. Das Remake von "It" hat diese Zuneigung und damit auch Detailfreude, der neue "Halloween"-Ableger auch. Und beide haben das Problem, zu detailfreudig zu werden und sich darin letztlich zu verlieren. Als hätte David Gordon Green eine Miniserie über Haddonfield geplant, treten ständig neue Figuren auf, versuchen neue Aspekte des Myer-Mythos zu beleuchten, teils bis zu (gelungenen!) Meta-Spielchen gegenüber dem längst überfetten "Halloween"-Franchise. Green möchte sich mit seinem Film im Nachfeld unübersichtlicher ewiger H2OTeil15-Sequels souverän positionieren. Souverän tut er das auch, wenn er mit Unterstützung des originalen Soundtracks und der ikonischen Bildsprache des Originals atmosphärische Setpieces gestaltet, in denen Myers quasi bereits in der Luft liegt. Anders als im Original ist er hier aber weniger jenes körperlose Schemen, das plötzlich und sauber tötet, als ein bestialisch schweres Monster, das in herrlich physischen, brutalen Mordszenen echtem Sadismus frönt. Dass die Unheimlichkeit seiner Figur durch die direktere Darstellung etwas verloren geht, gehört dazu, sperrige Backgroundstories muss man trotzdem nicht befürchten, da hat Green den nötigen Verstand behalten.
                                            Vollkommen planlos scheint hingegen die Dramaturgie, die das verzweigte Figurenpersonal und deren Beziehungen nicht mit dem straighten Horrorplot versöhnen kann. Auf gewisse Weise gibt es hier echtes, übersteuertes Exploitationkino zu sehen, da Figuren und ihre langatmig vorbereiteten Hintergründe urplötzlich deftigen Tötungsszenen oder vielseitige Charakterdynamiken überdrehten Show-Off-Momenten geopfert werden. Im positiven Sinne ist das unvorhersehbares Kino, im negativen Sinne unausgegoren und in seiner ständigen Inkonsequenz letztlich auch langweilend, weil der sprunghafte Film bis zu seinem tatsächlich erneut ikonischen Schlusskampf keinen wirklichen Drive entwickelt. Insofern bleibt der neue "Halloween" eine zwiespältige Sache, klarer Fanservice, immersiver Horror, eigensinniges Ding und mäßig spannender Film zugleich. Freue mich auf kein Sequel.

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                                            • Im Grunde kann man den guten Rape and Revenge-Film auch als sadomasochistische Wichsfantasie begreifen. Zuerst ist die Frau Gegenstand sadistischer Rituale, dann schlägt sie meist in Fetzen oder leichtbekleidet zurück und lässt die Männer wiederum rituell sadistisch leiden. Das erotische Potential beider Abschnitte ist offensichtlich und bietet ausgewogen sexuelle Befriedigung.

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                                                Dergestalt 06.10.2018, 15:54 Geändert 16.10.2019, 22:11

                                                So ein Film, den man sich angucken darf. Ästhetisch in steter Nähe zum Ramsch fährt Regisseur Carlos Atanes ein solides Kuriositätenkabinett auf, das in einer leeren Fabrikhalle vor allem Fetischideen verhandelt. Da gibt es eine Domina-Königin, eine devote Sklavin, eine gefangengehaltene Freudin, ihr abgestochener Freund und einen quirligen Tüftler, der eine pompöse Foltermaschine entwickelt hat. Das alles zusammen vor dem Hintergrund des drohenden Weltuntergangs, wobei alle Handlungsfiguren Schachfiguren entsprechen, irgendwie eben. Ach, und eher statisch umgesetzte Musicaleinlagen gibt es auch noch. Das alles mit Hingabe zum plötzlich-surrealen Einfall, maßlos overacted und an vielen Stellen ein bisschen too much in seiner dialogzerfressenen, ständigen Selbsthematisierung. Neben einer weniger flachen TV-Optik hätte dem offensichtlichen Low-Budget-Streifen auch etwas mehr Visualität, Raum für die Ideen gutgetan. So bleibt es eben ein unterhaltsam sprunghaftes, ideenhaltes Exploitation-Kasperletheater, in dem fetischhaft alles zu Sex wird, aber nichts so wirklich passiert. Darf man angucken.

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                                                  Dergestalt 03.10.2018, 21:39 Geändert 16.10.2019, 22:17

                                                  Die Church of the SubGenius gibt es wirklich*, eine satirische Pseudokirche als nerdiger Acidableger welterlösender Cashmaschinen wie Scientology. Mit "Arise! The SubGenius Video" gab es bereits 1992 und auf Videokasette einen passend irrsinnigen Rekrutierungsfilm. Vorgestellt werden die Grundlagen der Kirche zwischen Erlösungs- und Weltuntergangspathos, in hoher Geschwindigkeit zusammengeschnipselt aus hunderten von Film- und Videoclips. Man merkt schon, dass die Leute hinter dieser Dada-Satire aus einer reichhaltigen Bildkultur schöpfen und dass sie wissen, wie man die manipuliert. Da starrt einem die ominöse Gründer- und Führerfigur J. R. "Bob" Dobbs plötzlich aus religiösen Zeichnungen entgegen, mal wird er zur hypermaskulinen Comicfigur, mal Idiot, Erleuchteter oder Showman. Ein klares Programm kennt die Kirche hingegen nicht, steht vielmehr sympathisch zu ihrer psychotropen Selbstbeweihräucherung. Kurze Interviewclips oder Speeches von und mit einigen offenkundig nerdigen Slackerfiguren (und "Slack" hat hier eine besondere Bedeutung) wollen die Essenz der Kirche einfangen, schaffen aber nur mehr Verwirrung zwischen Alieninvasion, Verschwörung und Sex als grundsätzlich wichtigem Antrieb. Ordentlich Sekten-Merchandise und eine bedrohliche Sichtungswarnung zu Beginn schaffen einen dichten Verweiskosmos, der sogar einen Online-Shop kennt (gibt es bis heute). Hier geht es tatsächlich ums Gesamterlebnis und das ist auch heute noch erstaunlich. Denn was hier zusammenmontiert und geyhped wird, nimmt die Meme- und Gif-Kultur locker vorweg. Insofern geht der Kult schon klar und eine Sehempfehlung muss auf jeden Fall sein.

                                                  *Reichhaltige Informationsgrundlage: https://en.wikipedia.org/wiki/Church_of_the_SubGenius

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                                                    Dergestalt 02.10.2018, 23:25 Geändert 03.10.2018, 13:07

                                                    Nikos Nikolaidis kennt man für seine Fetischorgie "Singapore Sling", bisher der einzig gute Film, den ich von ihm sehen durfte. "See You in Hell, My Darling" ist wie "The Thrushes Are Still Singing" leider wieder so ein nichtiges Gemisch aus Noir-Posen, Phrasen und sanfter sexueller Spannung. Hier zwei Frauen, eine Leiche im Pool, eine schwüle Nacht und viele Andeutungen. Mehr passiert dann auch nicht. Mit schönen Körpern, Sehnsucht, Eifersucht und lautstark entzündeten Zigaretten kommt immerhin richtige Erotic-Crime-Atmosphäre auf. Wie immer bei Nikolaidis sind die Figuren nervlich strapaziert, reden aneinander vorbei und kommen irgendwann maximal in ihrer Verzweiflung an. Dann ein bisschen Showdown, Flashbacks und Nikolaidis' vielleicht konventionellster Film. Sieht man von den wirren Figuren, ein paar fetischhaften Elementen ab, sogar ein recht üblicher Mystery-Schwurbel, nur ästhetisierter, unentschlossener und damit noch öder als das Nachtprogramm auf ProSieben.

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