Dergestalt - Kommentare

Alle Kommentare von Dergestalt

  • Dergestalt 31.08.2018, 01:53 Geändert 31.08.2018, 01:56

    Ich muss mich Daggiolone anschließen und Robert Morgan unbedingt publiker machen. Der Mann dreht hochdetaillierten Stop-Motion-Horror im Stile von "Eraserhead" und einigen Kurzfilmen Lynchs, bringt aber noch viel mehr Bodyhorror und surrealistische Transformationen rein, also eigentlich schon "Tetsuo"-Style, Cronenberg kommt einem natürlich auch in den Sinn. Oft geht es um räumlich isolierte, skurril-deformierte Fleischwesen, die sich selbst und ihre Sehnsüchte entdecken. Was dann nicht schon albtraumhaft ist, wird es noch werden, trotzdem bleibt in den Filmen viel Reflexion.
    Zum Einstieg empfehle ich "The Cat With Hands", dann den Torture-Traum "D is for Deloused" - "Bobby Yeah" bringt schließlich die vollkommene Dröhnung.

    Alles auf Vimeo zu finden: https://vimeo.com/robertmorgan

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      Dergestalt 28.08.2018, 00:43 Geändert 28.08.2018, 00:49

      Rosa von Praunheims "Die Bettwurst" ist ein Prä-Helge-Trip in die Tiefen bürgerlicher Selbstbefangenheit, der Exzess inmitten abgetragener Klischees und deren Feier. Wohin diese amateurhaft hingerotzte, aber doch konzentrierte Alltagsmontage führt, ist nur selten absehbar, aber man bleibt dabei. Denn wenn Luzi und Dietmar kreischend und nuschelnd, desinteressiert und überengagiert zur Partnerinspektion schreiten, ist das eine spaßige Lo-fi-Groteske, oft pointierter in ihrer Darstellung alltäglicher Begegnungen als man glauben mag. Wirklich spannend wird der Film aber vor allem dann, wenn das Geile immer mehr in die eigentlich geordnete Bürgeridylle will, durch aufgehängte Erotikbilder, die mehr an Dietmars skurrile Gangstervergangenheit erinnern als an seine aktuelle, liebe Luzi - aber genau die liebt er ja so sehr und ja, auch ihre Brüste! Dieser ganze Überschuss an körperlicher Vitalität und Geilheit, die entweder abrupt oder abrupt und dann im Off stattfindet, bekommt am Ende ihre Erfüllung im abstrusen Fight gegen böse, das Bürgeridyll bedrohende Gangster. Als sich Praunheim endgültig den Tropes typischer Liebestragödien hingibt, lässt er auch die vollkommene Irrealität möglich werden. Knietiefes Wasser wird gefährlich, Plastikpistolen feuern und ob ein Flugzeug im Off nun startet oder explodiert, bleibt offen. Hier wird ein Helge Schneider mit seinen ganz autonom-surrealen Welten ansetzen, vorher bleibt es aber Praunheims Verdienst, die heimatlichen Unwägbarkeiten frischer Pärchen in hässlichsten Tapetenfarben zu schildern.

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        Dergestalt 26.08.2018, 01:15 Geändert 26.08.2018, 02:52

        Familienkomödie goes transgressive. Was Gakuryû Ishii als gewöhnlich-überdreht japanische Leistungsgesellschaftssatire beginnt, artet schon bald aus. Die sprunghaften Figuren, die plötzlichen Stimmungswechsel und der bittere, existentielle Ton, der bald jeden Gag begleitet, schaffen eine unabdingbare Situation, die weniger an die flott-eskalativen Abenteuer der Familie Griswold erinnert, als an cyberpunktypische Zerstörungskreationen oder schlicht Miikes "Visitor Q". Hohes Erzähltempo, schnelle Montage und überzogene bis vollends wirre Figuren schaffen ohne Probleme ein paranoides Klima, in dem die ausufernden Verdachts- und schließlich Aggressionsmomente doch plausibel wirken. Dass der Film gegen Ende etwas thesenhaft wird, stört dann aber, hier wäre der bloße Akt der Vernichtung als Schlusspunkt eindrücklicher gewesen oder auch die friedliche Stille danach. Denn wenn der tatsächlich wundervoll elegische Synth-Soundteppich zu Ende erklingt und eine neue Radikalutopie entstanden ist, hat Gakuryû Ishiis roher Film die nötige Kraft, Zuschauer aufs Glücklichste zu verstören. Dark, fast candy wie man es nur aus Japan kennt.

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          Dergestalt 21.08.2018, 23:53 Geändert 23.08.2018, 11:41

          Yo, irgendwann ist auch für mich mal Schluss. Jakob Lass' "Tiger Girl" nahm sich typischer Asi- und Hipsterschablonen noch mit Vielbödigkeit an und hatte mich sofort. Nicht zuletzt war das Ding audiovisuell sowas von gut, brachte dem deutschen Film endlich einmal Dynamik und Schnitt ohne die Übertreibung, das Derbe zu scheuen. Technisch und atmosphärisch ist davon in "So was von da" noch einiges übrig, sonst aber vor allem das, was man am deutschen Kino so hasst: Melancholisch-pubertäre Voice-Over, forcierte Gangsterplots und jedes YOLO doppelt geschrien, damit man auch ja alles schön mitfühlt. Kurz: Mal richtig auf Nummer sicher gehen in der ewigen Love Parade der Generation Y². Eine Partynacht in Hamburg als Film, aber eben alles schon gesehen. Da können Schnitt, Farben und Sound noch so brettern, alles ordnet sich unter dem Klischee. Das Spiel damit endet übrigens spätestens beim bleichen Protagonisten Oskar, der ordnungssüchtig immer wieder alles per Voice-Over in Szene rückt. Dabei ist der Rahmen durchaus gesprungen, einige Handlungsbrüche und das derb exzessive Drogengelage machen schon begreiflich, was die Psyche des braven Oskar in dieser Nacht so durchmachen muss, da steht der Film auch zu seiner Inkonsequenz, die das Leben eben bedeutet. Party machen mit all seinem Verschleiß kann der Lass also, aber sonst will er wohl doch lieber freche Jugendbücher verfilmen, mit Philipp Poisel im Ohr und der bunten Pille bereits auf der Zunge. Schluck sie eben und scheiß auf den Rest, würde ich da empfehlen. Warten auf den Tiger Boy.

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            Dergestalt 20.08.2018, 15:48 Geändert 21.08.2018, 15:36

            Heiligengeschichte in queer und surreal, wird also sicher schon was, vor allem im Arthousesektor. Mit ruhiger Kamera, vielen Naturaufnahmen und symbolschweren Begegnungen begleiten wir einen Vogelforscher durch seinen Wildnistrip. Da gibt es viel zu entdecken, kastrationsfreudige Chinesinnen, dionysische Masken und Jesus everywhere. Dass sich der Film weniger wie ein Trip anfühlt als eine Museumsführung liegt aber nicht an der vorsichtigen, fast steril-kühlen Inszenierung eigentlich irritierender Elemente oder an den wenigen Dialogen und typisierten Figuren. Vor allem wollen sich die diversen Elemente nicht fügen, auf das fast dokumentarische Gerüst wirkt jede Absurdität wie aufgepfropft und ausgestellt. Requisiten einer Theaterbühne. Spannung und Dynamik fehlen beinahe vollständig, sowohl in der Kamera als auch im Sound. Das fällt gerade dann ins Gewicht, wenn man den großartig dröhnenden Soundtrack auch mal hören darf, leider eben viel zu selten. Die sonderbaren Begegnungen wirken überhaupt nur lose motiviert, sind ohne Timing oder Gespür für Atmosphäre umgesetzt und werden in ihrer Spannung auch immer wieder prompt aufgelöst. Folge: Der Zuschauer wird erfolgreich sediert und gleichgültiger. Da hilft es ganz und gar nicht, dass die Symbolschwere überall lastet, die dämliche Jesustaube, das Evangelium wirklich in jedes müde Zuschauergehirn möchte. Zum Schluss wird das zögerliche Arthousetheater dann auch noch besonders wirr, will mit harschen Identitäswechseln auf Druck hin große Gesten bringen, wirkt aber wieder nur aufgesetzt und jetzt auch noch pathetisch. Schöne Bilder und Körper reichen eben nicht, eine interessante Anlage erst recht nicht. Fremde Welten ohne Immersivität bleiben schließlich nur befremdlich, eben wie jene steife Avant-Theateraufführung im kleinen Hause, der man alles Gute wünscht, die man in ihrer Gestaltlosigkeit aber bitte nicht noch einmal sehen möchte.

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              Dergestalt 16.08.2018, 23:32 Geändert 16.08.2018, 23:35

              "The Tracey Fragments" stößt tief in die Teenie-Marottenkiste und das mit irritierender Konsequenz. Was die geschundene 15 jährige Tracey Berkowitz auf ihrem Trip zwischen typischem Unverstandensein und psychotischem Orientierungsverlust alles erlebt, muss auch vom Zuschauer erlebt werden. Drum zerfällt das Bild in einzelne Fragmente, drum sind wir chronologisch mal hier mal da, drum weiß man gar nicht so recht, was Vorstellung, was Wunsch, was Angst, was Realität ist. Die lose Handlung um den verlorenen Bruder oder die ersehnte Liebe zum coolen Slacker-Guy an der Schule überdehnt sich immer wieder, verheddert sich auch gerne einmal mit ordentlich Schwung. Die Bewegung nach vorne bleibt erhalten. Ganz schön keck und damit locker die "Juno"-Moves vorwegnehmend setzt sich Ellen Page zum einen als selbstbewusstes Sprachrohr der typischen Emo-Mädels in Szene, verliert den Fokus des Films aber gleichermaßen immer wieder aus den Fingern. Die Besonderheit ihres übersteuerten Bewusstseinsstroms in Filmform ist eben dessen Unstetigkeit, die konsequent ist, eben weil ihr Charakter messed-up ist. Eine simple Aufklärung dunkler Bereiche gibt es weder für Tracey noch für die Zuschauer, so verzeiht man dem Film auch seine stoische Orientierung an einigen anskizzierten Runaway-Klischees. Die Grundform bleibt roh, radikal und gesprungen wie es ein verzweifeltes Pubertätskind eben ist. Pretentious? Who is not?

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                Dergestalt 31.07.2018, 00:28 Geändert 31.07.2018, 00:45

                Hisayasu Sato richtet den Blick auf Körper, die einsam und isoliert doch immer wieder gegeneinander gedrängt werden. Dazwischen werden Kameras montiert und bald blickt überall da ein technisches Auge, wo sonst keiner sieht. "The Bedroom" ist nur vordergründig eine Erzählung über Isolation und Einsamkeit in der Großstadt und die verdrängten Triebe, die fetischhaft wieder nach oben drängen. Tatsächlich geht es mehr um die moderne bis automatisierte Wahrnehmung des eigenen Körpers und die damit verbundenen Möglichkeiten von Nähe. Mit einer unsteten, verschlungenen Erzählweise, die assoziativ ruhig essayistische bis skurrile Passagen aus dem Leben einer sexuell unzufriedenen Frau neben fetischhafte Softsexszenen schneidet und mehr als nur einmal die Realitätsebenen verwirrt, schafft Sato vor allem einen bohrenden Blick darauf, wie sich Identität, Selbstfindung, Wirklichkeitsbildung in einem gestörten, isolierten Individuum verhalten. Für 60 Minuten darf man sich im psychotropen Sexlimbo auch so fühlen und wird dann angegeilt, durchgenudelt, vergewaltigt aus dem düsteren Bedroom entlassen. Man darf mit unsicherem Blick auf die eigene Psyche spekulieren, ob einem ein solches Schlafzimmer bekannt vorkommt.

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                  Dergestalt 18.07.2018, 10:07 Geändert 18.07.2018, 23:52

                  Wenn ein afroamerikanischer Geschäftsmann zu den Rednecks kommt und Minen kaufen will, so kommt auch ein durch Gase mutiertes Riesenschaf in den Weg. Wer versucht, das groteske Genrebending von "Godmonster of Indian Flats" zu rechtfertigen, kann auch versuchen, sich die abtrus üble formale und inhaltliche Montage des Films oder miese Schauspielführung zu erklären. Umso erstaunlicher, dass die himmelsschreiende Ungerechtigkeit, die der Geschäftsmann im versifften Redneck-Place erfährt, durchaus seine emotionalen Höhepunkte findet und sogar brauchbar Verknüpfungen zum Rassenhass im Süden schafft. Dann gibt es aber immer noch das humpelnde Monsterschaf im klumpigen Kostüm unter greller Sonne und eine Beerdigung für einen Hund. Viel Willkürlichkeit, die die bemüht routinierte Dramaturgie nicht ganz puffern kann. Man weiß nicht so ganz, wie das noch zusammengehen soll und kann auch nicht mit dem guten Gefühl ins Bettchen schlüpfen, einen konsequenten Trashfilm gesehen zu haben. Man darf sich aber von allem nehmen, ein bisschen Gerechtigkeitsthriller, Monsteraction und Weirdo-Parade. Unterhaltsam irgendwie schon.

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                    Dergestalt 08.07.2018, 18:39 Geändert 16.10.2019, 22:22

                    Am liebsten würde Christopher Nolan alle seine Filme "Mind Game" nennen: Eine Realität fällt auseinander und mit großem Pathos gehen wir auf Puzzleteilsuche. Nolanartiges finden wir auch im Anime, etwa bei "Paprika" oder eben "Mind Game", die beide einiges vom Verzweiflungs- und dann Selbstermutigungspathos Nolan'scher Prägung haben und viel über Liebe, Vertrauen und das Leben erzählen wollen, dann aber auch viel näher an dem dran sind, was wirklich Mind Game, Mindfuck ist. Und da auch "Paprika" der Versuchung erliegt, seine explosiven Wirklichkeitsmontagen gegen Ende nolangerecht zu erklären, bleibt eigentlich nur noch "Mind Game" als totales Triperlebnis. Hier dürfen Götter noch zu überdreht sekündlichen Gestaltwandlern werden, Nahtoderlebnisse zu cybervisuellen Deathloops, Zeit- und Erlebensebenen kühn durch die Jahrzehnte zusammengeschmissen werden und mit Schnitt und mit Schnitt und immer schneller. Ein Zeichenstil reicht da längst nicht mehr, die "Belladonna of Sadness" hat tiefe Spuren im Anime hinterlassen. So irrsinnig und oft schlicht willkürlich die Machart des Films, der ja eine echte Bastelstube der Ideen ist, so naiv die Handlung um den typischen Loser, der um die letzte Chance kämpft, sein heißes Girl endlich zu kriegen. Das ist süß, albern, sexistisch und in seiner Dynamik manchmal auch schnarchig, immerhin bringt es eine klare Haupthandlung ins Spiel. Man darf also gerne noch puzzeln, aber einige Puzzleteile sind längst nass, matschig, unbrauchbar geworden. Man kann das Puzzle naiverweise aber auch einfach essen. "Mind Game" frisst am Verstand, aber den braucht hier ja auch keiner. Als Spielfilm dann direkt "Slipstream Dream" nachschieben.

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                    • Dergestalt 27.06.2018, 19:39 Geändert 27.06.2018, 19:40

                      Jetzt gibt es kein Halten mehr. Unglaublich. Psychedelische Bilder nahe am Abstrakten, over-the-top-Bösewichte, Videogamereien und natürlich over-the-fucking-top-Cage. Dieser Film scheint purer, dickflüssiger Irrsinn zu sein, schön und anmaßend. Die glorreichen 70er winken. Muss ich sehen.

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                        Dergestalt 16.06.2018, 10:14 Geändert 04.10.2019, 11:30

                        Nein, jetzt aber wirklich. Vor kurzem noch auf Twitter gelesen, dass der aktuelle Horrorfilm voll da sei und erwidert, dass die wirklichen Kracher allerdings noch fehlen, "It Follows" mal ausgenommen. Bisher nämlich hängt sich auch das innovativere zeitgenössische Horrorkino noch zu sehr an alte Genremuster, bleibt im ganzen noch gemütlich und vorhersehbar. Mit "Hereditary" scheint es zunächst nicht besser zu sein: Verlustgeschichte, Séance, Trauer und Imagination. Seltsam nur, wie lange sich der Film Zeit nimmt, sein Trauma in Bild und Dialog zu setzen, wie sehr einzelne Motive und Figuren immer wieder aus dem Fokus treten, große Unsicherheiten im Narrativ. Das bringt auf seine horroruntypischen zwei Stunden Ungeduld, Toni Collettes ständige Beunruhigung zugleich die nötige Grundspannung. Als schließlich der typische Okkultismus seinen Platz findet, eskaliert die Lage auf besondere Weise. Realität und Traum drängen sich an ungeklärten Punkten zusammen, das Psychodrama rückt mit seinen verspielt-morbiden Bildern in regelrechte Horrortableaus, der Film bricht zwischen Irrsinn und halluzinativer Paranoia. In diesem Zwischenraum findet "Hereditary" zu ganz eigenen Bildern, die in ihrer surrealen Collage teils eher an Acid-Art à la Jodorowsky erinnern denn an den klassischen Horrorfilm (kurz scheint sogar ein "Begotten"-Verweis sichtbar). Der Film dreht völlig frei und missachtet alle Sehgewohnheiten, eine klare Dramaturgie bis dahin sowieso. Darunter ein sperriger, manchmal fast autonom gesetzter Soundtrack, der mit seinen grollenden Beats akute, schwelende Unruhe schafft. Ari Aster hat vollends verinnerlicht, dass Okkultismus und Wahn unvorhersehbare Strukturen benötigen, um wirklich miterlebt werden zu können, oder: Wer kann Wahnsinn, Halluzination, das Unbewusste darstellen, wenn er nur gewohnte, bewusste Horrormuster bemüht? Ich sage es immer wieder und danke Ari Aster: Der Horrorfilm muss irreal werden, vollständig und gegen jede Sicherheit. Hier setzt "Hereditary" an.

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                          Dergestalt 08.06.2018, 01:39 Geändert 27.06.2018, 01:21

                          Film als Affektballung und Fetischprobe. Ein zunächst sterotyp angelegtes Männlichkeitsmärchen rund um eine Frau, die nur den stärksten Mann will, verliert sich beim Iron Man Shin'ya Tsukamoto schnell in abrupten Stimmungscollagen und kinetischen Schnittgemengen. Durch irritierende, teils auch klar metaphorische Montagen, eine unruhige Kamera und latenten Gewaltgehalt entwickeln sich Figuren, die erst wie Abziehbilder erscheinen, dann zu undurchdringlichen Maskenwesen transformieren. Anders als in Tsukamotos Industrialodem "Tetsuo" bedeutet das weniger Bodyhorror als Besinnung auf die rohe, blanke Oberfläche. Angesichts kalter Gebäudefassaden einer Industriemetropole entstehen Annäherungen, die durch Entfremdungsgefühle zu Fetischen mutieren - Beziehungen werden zu Muskel- und Fleischproben, jede Selbstoffenbarung zur grotesken Pose. Bei Tsukamoto geht es längst nicht mehr um Authentizität, Verletzlichkeit und vor allem nicht um Psychologie - seine Figuren sind sprunghaft, schwer fassbar und nahe am Ausbruch. Dass dieser kaum stattfindet, dass Gewalt meist auf oberflächliche Schlagabtäusche reduziert bleibt, irritiert. Durch Entfremdung und Missverhältnisse bleibt die Auseinandersetzung latent, entlädt sich lange nicht. So wird "Tokyo Fist", besonders durch seine assoziative Gestaltung, langatmig, in seiner Brüchigkeit aber auch faszinierend und wird zunehmend deutungsoffener. Eine Gewalt, die nicht bloß Konfrontation ist, sondern beständige innere Verformung. Und am Ende bricht das Innere maximal grotesk, vor allem unverständlich hervor. Gewalt bleibt irrational.

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                            Dergestalt 06.06.2018, 00:25 Geändert 08.08.2018, 12:14

                            Nischengrinder Werner Herzog macht auf Genre und holt sich dafür Genrecrasher Nicolas Cage. Daraus entsteht ein sprunghafter Mix aus Sozialdrama, sanfter Mörderhatz und Herzog'schem Ideenexzess. Die Kamera immer ums Schauspiel eines wirklich irren Cops geworfen - der mit Cage'scher Zerrsichtwachsmimik und Überübersteigerung; dazu viele Figuren als Stichwortgeber für weitere abstruse Selbstoffenbarungen. Da öffnet sich eine Tür und Cage steht mit dem Rasierapparat dahinter, da gibt es einen Joke und die Grinsefresse Cages geht in den Lachloop. Herzog will inszenatorisch mithalten und zaubert etwas Tiermystik - da geht die Kamera gerne mal auf bluesigen Kuschelkurs mit Eidechsen oder versucht die Beobachtungen eines Krokodils empathisch zu begleiten. So sehr "Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans" nach TV-Produktion klingt, so sehr zerstört er genau jenes Konzept vorhersehbarer Serialität. Oder vielleicht erscheint hier Serialität auch einfach anders: Handlungsepisode folgt prompt auf Handlungsepisode und schließlich wird nicht ganz klar, wohin der Film eigentlich wollte. Ein Trip geht nur langsam zu Ende und irgendwie fügt sich schon alles, wenn der Irrsinn nur seinen Ort finden darf.

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                            • Insofern interessant, weil ich mich in letzter Zeit immer drüber wundern musste, dass es einfach keine selbstzweckhaften Torture-Erfahrungen mehr gibt. Eine neue Extremity-Wave wird der gute Six aber wohl kaum auslösen. Eigentlich schade, der ganze Skandalzirkus war immer sehr vergnüglich.

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                                Dergestalt 23.05.2018, 01:10 Geändert 04.06.2018, 00:28

                                Im Grunde erzählt "The Shout" das übliche Voodoo-Märchen über einen Unbekannten, der zunehmend Einfluss auf gewohnte Verhältnisse nimmt und diese genüsslich manipuliert. Nur bringt "The Shout" dieses Märchen weniger direkt als über ein offensichtlich unglaubwürdiges Narrativ mit einigen erzählerischen Haken. Seine Diffusität und Unwägbarkeit treibt der Film sogar so weit, dass lange keine richtige Dramaturgie greifbar scheint. Stärke und Schwäche, denn so sehr "The Shout" dadurch träge wird, so sehr erhalten die faszinierend obskuren Einzelmomente ihre Bedeutung und umso erschreckender das plötzliche Finale. Überhaupt darf man sich auf viele sonderbare Verflechtungen einstellen, Motiviken, die an unklaren Punkten aufeinander wirken und ordentliche Paranoiaideen. Zum sanften Irrewerden und ein spannender Beitrag zum Genre Horrorthriller. Für Freunde der trauernden Gondeln oder "The Reflecting Skin", schlicht allen, denen Horror nicht sorgfältig verworren genug sein kann.

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                                  Dergestalt 22.05.2018, 02:09 Geändert 22.05.2018, 02:15
                                  über Paradox

                                  In seinen nöligsten Momenten habe ich in Neil Young immer Helge Schneider erkannt. So einer, der bucklig-bluesig seine Sentimentalitätchen schleudert, zwischen Countryschlager und tränender Katzenklovisage. Natürlich kann der gute Young mehr als das, gerade wenn er seine elegischen Gitarrenjams mit schwerem Feedback auflädt, konstrastiert und in die Leere weiter Landschaften setzt. Da denkt man an "Dead Man" oder gleich an einen imaginierten, vergessenen Post-Western. Als ein solcher versteht sich auch "Paradox", das Filmsomething. Konzertdokument, fingierte Banddokumentation, anskizziertes Endzeitszenario - erinnert alles an Bob Dylans langatmiges Leindwandchaos "Masked and Anonymous" und wirkt sogar noch unmotivierter: Phrasenschwere Gammlerdialoge rund um Liebe & Universum, wacklige TV-Aufnahmen irgendwelcher Baumabschnitte und üble Quasiwitze, die gemütlich zwischen Westernpose und Altherrenhumor schaukeln. Einen Plot findet man nicht, dafür darf man nach Motiviken suchen, schließlich gibt es da die Liebe, das Universum, Engel und so Sachen, die man sehr fühlt, wenn man sehr, sehr uninspiriert sehr, sehr mittelmäßige Drogen probiert. Und so nölt auch Neil Schneider durch den Film, ganz der Westernheld und Freibeuter guter Moral, nur ganz selten elegisch. Das hätte besser ins Mülheim an der Ruhr gepasst. Paradox, dass so etwas finanziert wird, faszinieren soll, warum schaue ich mir solchen Mist eigentlich bis zum Ende an?

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                                  • Dergestalt 17.05.2018, 21:42 Geändert 22.05.2018, 01:53

                                    Dieses Cannes scheint ziemlich viel Rohes und Irreales auszuscheiden: "Psyché", "The House That Jack Built", "Under the Silver Lake", "Mandy". Und David Robert Mitchell folge ich sowieso. Alleine, weil er diese schwebend ästhetische Spätsommeratmosphäre annähernd konkurrenzlos auf die Leinwand bekommt. Wobei ich vor zähen Summerside-Noir-Trips wie "Inherent Vice" schon etwas Angst habe.

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                                      Dergestalt 17.05.2018, 21:17 Geändert 16.10.2019, 22:26

                                      Das belgische Weirdhouse-Kabinett "Nuit Noire" tut in erster Linie lynchnah und vor allem kafkaesk (in "Eraserhead" trafen sich beide Großmeister ja schon ganz fabelhaft), will letztlich aber vor allem eine Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Erinnerung und vor allem dem Kolonialismus in Afrika. Und wer sich ein klein wenig mit belgischer Geschichte beschäftigt, riecht früh die Scheiße, die dieses Land am Stecken hat. Diese Scheiße darf der isoliert lebende Protagonist selbst bald spüren, da er auf seine nicht so rassenreine europäische Biografie gestoßen wird. "Nuit Noire" spielt mit seinem Titel daher nicht bloß auf die Dunkelheit, die ewige Nacht im Film an, sondern ebenso auf das Dunkle, Unbewusste und eben auch den "Schwarzen Kontinent", der spätestens seit Joseph Conrad immer wieder die Folie für verdrängte europäische Befindlichkeiten bot. Vor dieser Folie stolpert auch der Protagonist herum, entwickelt psychotische Ablenkungsmanöver, bis er genau auf seinem Gebiet der sterilen Präparation von Insekten eine lebendige Verwandlung erspürt. Die Raupe verpuppt sich, der Kokon bricht auf, Flüssigkeit befeuchtet Trockenes. Und da wird ihm klar, was er, was viele Europäer verdrängen, was aber herausbricht und sich Bahn schlägt. In fiebernder Erotik, die sublimiert sowieso sein Leben bestimmt und ihn letztlich sicher nicht unwissend aus seiner Identitätsaffäre herauskommen lässt. Wer den Finger irgendwo reinsteckt, holt ihn schleimig wieder heraus, und Leben, Wucherung, Vermengung kennt keine Rassenbegriffe, nur den menschlichen Körper. Hier setzt der leise, aber irritierende Bodyhorror von "Nuit Noire" an und trifft unverstellt und ohne Ideologismen eine schwierige Debatte mit der nötigen Surrealität.

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                                        Dergestalt 16.05.2018, 09:06 Geändert 17.05.2018, 21:04
                                        über Lunacy

                                        Jan Svankmajer erkenne ich eher an irgendwelchen Stop-Motion-Animositäten, weniger anhand entwickelter Storys. So etwas bekommt man in "Sílení" natürlich auch nicht geboten, über eine überraschend eindeutige erzählerische Stoßrichtung darf man aber trotzdem stolpern. Grundsätzlich schmeißt Svankmajer recht launisch Marquis de Sades biografisch gesicherten Aufenthalt in einem Irrenhaus zu Ende seines Lebens mit einigen allegorischen Fleischanimationsszenen zusammen. Während Fleischscheiben, Augen, sogar Hirne lustig durch die Gegend animieren, wirft ein mutmaßlicher Marquis de Sade einen verwirrten, aber gutgläubigen jungen Mann in eine Welt der Erotik, Gottesverachtung und natürlich der Willkürlichkeit. Ab Mitte des Films vor allem vor der Folie eines Irrenhauses, in dem de Sade irgendwie interniert, irgendwie Leiter ist. Was biografisch gesichert ist: Tatsächlich hat de Sade dort mit den Insassen Theaterstücke aufgeführt (Peter Weiss hat sogar darüber geschrieben). Vor diesem Hintergrund wird die asozial freie Aufklärungsphilosophie de Sades mit einem sozialen, dafür aber auch unfreien Irrenhausbetrieb unverhüllt in Anlehnung an Foucaults "Überwachen und Strafen" erstaunlich dialogisch durchdacht. Gedeckelt durch die allegorischen Fleischfantasien bekommt das eine angenehme Mehrdeutigkeit, filmisch fordernder sind trotzdem vor allem die unkontextualisierten, wahnsinnig-gotteslästerlichen Lustwelten de Sades in der ersten Hälfte des Films. Später ist davon meist das Irrenhausklischee übrig, wenn auch mit Pfeffer und wohlüberlegt. Man darf dran riechen, fressen will man aber lieber pures Fleisch. Immerhin davon hat Svankmajer etwas zu bieten.

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                                          über Mandy

                                          Panos Cosmatos hat eine der besten Psych-Lightform-Shows der Filmgeschichte gestaltet, "Beyond the Black Rainbow", und jetzt bringt er einen Rachefilm mit wahnsinnigem Cage? Es geht mir besser, so viel besser, ich freue mich.

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                                            Dergestalt 08.05.2018, 23:47 Geändert 09.05.2018, 09:01

                                            Zu seinem großgefeierten "The Red Shoes" legt Michael Powell gerne auch Gelb nach, mit "The Boy Who Turned Yellow" wird daraus sogar ein richtiger Kinderfilm. Oder so etwas in der Richtung. Da wird ein Junge eben gelb, bekommt Kontakt zu einem per Elektronik (dann bspw. per Fernseher) reisenden gelben Typen mit Leuchtsirene auf dem Kopf und Skiern unter den Füßen und zusammen geht es auf die Suche nach einer verlorenen Maus (Mr. Christmas) im London Tower. Dort laufen komische Beefheads herum, wollen den Jungen gefangennehmen und hinrichten. Dazwischen flotte Sprüche, Lichteffekte, die Farbe Gelb und ein irritierendes Dauerbrummen durch die Leuchtsirene. Keine Ahnung, ob da mal ein richtiges Drehbuch war und warum ich diesen Film eigentlich gesehen habe. Etwas Abschüssiges aus den 70ern muss manchmal auch sein, erfrischt und zeigt, dass Kinder ja sowieso keine Logik brauchen.

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                                              Dergestalt 03.05.2018, 23:09 Geändert 03.05.2018, 23:12

                                              Spannend: Immer dann, wenn ein Horrorfilm seine Funktionsprinzipien ganz schamlos offenlegt, bekommt er seinen sicheren Hype: "It Follows", "Don't Breathe", "Happy Deathday". Liegt aber auch nahe bei einem Genre, das auf Effektmechanismen aus ist, durch generische Handlungsmuster nur mühsam verdeckt. Warum also nicht etwas Ehrlichkeit? Bei "It Follows" hat die Offenlegung des Fick-wen-und-du-stirbst-Prinzips ja auch zu interessanten Fragen zu Zwischenmenschlichkeit und Beziehungen geführt. "A Quiet Place" ist trotz seinem philosophisch-kargem Titel aber eher ein üblicher Horroractioner, der wirklich niemanden überrascht, der schon einmal mit einem Alien im Raumschiff gevög- gekämpft oder Zeichen auf Kornfeldern gesucht hat. Insofern macht der Film substanziell erstaunlich wenig aus seinem radikalen Konzept äußerster Stille, auch wenn er für einen Mainstreamhorror erstaunlich ruhig & suspenselastig bleibt. Die dicken Streicherteppiche lassen die Stille als Handlungselement aber nie zu radikal werden - passt ja auch zu den pathetischen Dialogen und uraltbekannten Figurenkonstellationen aus den Urgründen patriarchal geprägter Survivalkämpfe. Zudem ist dem Film nicht allzu sehr am Show-Don't-Tell gelegen und wiegt seine abstrakte Stille noch dazu mit zeigefreundlichen Konfrontationen mit den halb-generischen, halb-kreativ-designten Monstergegnern auf. Aber was soll ich sagen - der Film funktioniert, bedient die üblichen Suspense-Schablonen gekonnt und lässt es routiniert, gut getimt an den richtigen Stellen eskalieren. Was ich bloß anders gemacht hätte: Mehr Arbeit am Sounddesign und weniger Soundtrack, Pathoselemente in die Tonne und natürlich die Bedrohung abstrakter. Sonst ja alles okay: nicht allzu viel riskiert & Publikum gewonnen.

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                                                Dergestalt 26.04.2018, 23:15 Geändert 26.04.2018, 23:20

                                                Ganz ärgerlich ja diese traurigschaurigen Plots über irgendwelche grob skizzierten Figuren, die ihre Kindheitstraumata in überzogenen Horrorgesten vor den Zuschauer leimen. Wie böse und wie tragisch. Das Horrorgenre taugt ja überhaupt nur selten dazu, Psychodramen glaubwürdig zu bebildern, die Stärke liegt im Diffusen, wo von erkennbaren Motivationen eh nichts mehr zu sehen ist, wo in unbewussten Bereichen Schreckgestalten (halb-)manifest werden. Wie schön war es, dass Stanley Kubrick seinen Jack Torrance ohne Hintergrundgeschichte ganz unmittelbar-unpsychologisch gefährlich werden ließ, wie idiotisch ein Nicolas Pesce, der sein zusammenkonstruiertes Familiendrama mit konstruierten Schocksequenzen in jeder Einstellung vor dem Zuschauer drapiert, mit Schwarz und Weiß konstrastiert, aber vor allem jeden Subtext ausplaudert und jede halbwegs mehrdeutige Szene schnell wegschneidet, lieber einer äußerst spannungsfreien, hastigen Dramaturgie unterordnet. Viel Raum erhalten neunzehnmal gesehene Horrorklischees rund um "Ich bin ein böses/süßes Mädchen", "Ich bin verführerisch und gefährlich" oder "Ich konserviere Leichen, weil das meine Art der Liebe ist". Schauderhaft. Ein absolut antiatmosphärischer, pubertärgruseliger Film, der in erlesener, aber bedeutungsschwacher Optik ganz schön atmosphärisch tut. Ein Film, der mit oder ohne Augen gleich intensiv wirkt, ein zusammengeramschtes Ding ohne spannende Figuren, Konflikte, Herausforderung, Spaß. Ein Film.

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                                                  Dergestalt 19.04.2018, 01:28 Geändert 19.04.2018, 10:36

                                                  Das beste an "Martyrs" war doch die erste Hälfte. Da hatte ich meine Freude an den gruseligen Erscheinungen, die irgendwo zwischen schreiender Physis und geisterhaftem Flackern hingen. Das kann Pascal Laugier und kann es auch in "Ghostland", wenn er frech zum "Chainsaw Massacre" mit seinen skurrilen Irrealitäten greift und gleichzeitig dessen staubige, blutige Härte bedient. Die Puppengesichter der hübschen Mädchen werden da schnell zu feuchten Farbballen, voll Urin, Schaum oder Tränen. Eine fleischkünstliche Zwischenrealität, die durch harte schnelle Schnitte und suggestive Kamerafahrten aufregend und lebendig konturiert wird. Und manchmal, wenn die lustigen Spielzeuge im Geisterhaus glotzen, kratzen und ganz menschlich tun, ergeben sich sogar echte Motiviken, die aber auch schon auf den schwachen Part des Films verweisen: die Story. Denn da will Laugnier etwas viel, möchte eine verschachtelte Traumageschichte erzählen, ganz wie in seinem "Martyrs", kuschelt sich aber auch in Traum- vs. Realitätsklischees, die er nicht zuletzt mit einem Erklärbärdialog und braver Flashbackballerei auch dem dümmsten Riesentroll bevormundend aufschlüsselt. So als ob das nötig wäre. Unendlicher Schwachpunkt diverser aktueller Horrorfilme. Immerhin bleibt danach wieder mehr Zeit für Physis, Quälereien, die Laugnier als kleiner Kunstsadist doch am besten beherrscht. Alles andere bleibt konstruiert, klischeehaft, überladen präsentiert und aus der ganz tiefen Horrorschmodderkiste. Darf man in seiner eigenen Überspanntheit natürlich auch genießen, sollte man aber auch nicht allzu ernst nehmen. Ich jedenfalls konnte das Gute vom Schlechten ordentlich trennen und hatte doch einen okayen Abend mit den jammernden Farbballen.

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                                                    Dergestalt 06.04.2018, 23:41 Geändert 06.04.2018, 23:42

                                                    Franz Kafkas "Das Schloss" ist so ein mühselig karges, gebrochenes Ding, das ich lange mit mir rumgeschleppt habe. Nur die Offenheit der Sprache Kafkas, diese verhaltene Lebendigkeit, die leise Möglichkeit und stete Spannung hielten mir ein Türchen offen, durch das ich immer wieder konnte. Haneke kommt jetzt mit durch diese Tür und macht aus Kafkas Bildlichkeit einen richtigen Film oder eben etwas nahe daran. Viel literarisierender Voice-Over und der mutige Versuch, Text und Bild miteinander zu verbinden, teilweise zu kontrastieren, um zwischen gesprungenem Realismus und längst traumhafter Realität zu bestehen. So wird Hanekes "Schloss" dann besonders eindringlich, wenn sich das Unvermögen des Protagonisten zeigt, die Wirklichkeit noch irgendwie verarbeiten zu können, der Moment, in dem der unbewusste Zustand jener einzige ist, der die Worte des Schlosses noch tragen kann, aber sicher niemals verständlich macht. Ansonsten karg irgendwo abgestellt, mit feinem Klang- und Bildbewusstsein und der Dynamik, einer Szene den Raum zu geben, den sie verlangt, den Zuschauer dann damit aber auch alleine zu lassen. Die Tür also dann zu und im Kämmerchen mit Michael Haneke. Es gibt Schlimmeres, aber vielleicht doch nur wenig, was sich langwieriger und zielloser anfühlt. Auch eine Leistung, dieses Lesegefühl in Filmgefühl zu übersetzen.

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