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Alle Kommentare von Framolf
Oscar Madness Film 346 (2 Auszeichnungen, 1 weitere Nominierung)
♪♫ Ich habe keine Lust, etwas zu kau'n
Denn ich hab keine Lust, es zu verdau'n
Hab keine Lust, mich zu wiegen
Hab keine Lust, im Fett zu liegen
Ich bleibe einfach liegen
Und wieder zähle ich die Fliegen
Lustlos fasse ich mich an
Und merke bald, ich bin schon lange kalt ♪♫
Darren Aronofsky verstört das Publikum mit einer Spielfilmadaption von Rammsteins Musikvideo zu 'Keine Lust'...
Na gut, ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn Aronofsky wäre nicht er selbst, wenn er bei aller Provokation nicht auch kulturelle und spirituelle Elemente in seine Erzählung mit einhegen würde. Konkret bedeutet das im Fall von 'The Whale' eine leitmotivische Beschäftigung mit Herman Melvilles Roman 'Moby-Dick', einige theoretische Überlegungen über kreatives Schreiben sowie eine Auseinandersetzung mit diversen Versatzstücken aus verschiedenen christlichen Konfessionen. Und als würde das nicht bereits ausreichen, ist der schwergewichtige Protagonist auch noch mit einer Backstorywound belastet, über deren Bedeutung das Publikum nur häppchenweise informiert wird. Auf diese Weise gelingt es ihm, die Spannung in diesem Kammerspiel auf einem mehr als passablen Level aufrecht zu erhalten, obwohl die konkrete Handlung eigentlich derart dünn ist, dass sie als das komplette Gegenstück zum Hauptcharakter erscheint. Im Grunde verhält es sich mit der Story von 'The Whale' wie mit einem gebratenen Hähnchen: Das Fleisch gilt als vergleichsweise leicht, aber dennoch verschlucken sich immer wieder Menschen bei zu hastigem Konsum an Knochen. Auch wenn hier also relativ wenig passiert, ist man gut beraten, auch darauf zu achten, was sich unter der Oberfläche abspielt.
Getragen wird die Inszenierung zu großen Teilen von einem enorm spielfreudigen Brendan Fraser, der sich hier als wahres schauspielerisches Schwergewicht präsentiert. Obwohl sein Körper im verblüffend realistisch wirkenden Fat-Suit (Oscar für Annemarie Bradley, Judy Chon und Adrien Morot, die für die Maske verantwortlich zeichnen) fast statisch wirkt und er den meisten Teil der Spieldauer sitzend verbringt oder sich im Schneckentempo durch seine Wohnung bewegt, gelingt ihm eine beachtlich intensive und expressive Vorstellung. Als Gegenpol in dieser Hinsicht fungiert die 2023 ebenso wie Oscargewinner Brendan Fraser für einen Goldstatue nominierte Nebendarstellerin Hong Chau ('The Menu'), die hier auf einen betont lebensnahen und nuancierten Stil setzt.
Zwar könnte man sich am Ende die Frage stellen, was für das Publikum mit der Sichtung eines derartigen Filmes gewonnen ist, doch auch wenn sich aus der Geschichte nur bedingt Ratschläge für den eigenen Alltag ableiten lassen, geht Aronofskys Inszenierung aufgrund ihres doppelten Bodens dann doch deutlich über eine reine Freakshow hinaus.
7 von 10 wundgelegenen Druckstellen.
KURZFAZIT
Deftiger Brocken nach Aronofsky Art.
Oscar Madness Film 345 (1 Nominierung)
++ Mäßige SPOILER ++
Zwei schwer traumatisierte Menschen, eine Veteranin (Jennifer Lawrence) und ein Mechaniker mit einer Beinprothese (Brian Tyree Henry) lernen sich während einer für beide schwierigen Phasen kennen. Selten durfte man die Umschreibung „sich kennenlernen“ derart wörtlich nehmen wie in diesem Fall. Beide tauchen Schritt für Schritt in die Vergangenheit und die Psyche des jeweils anderen ein und fördern damit auch neue Erkenntnisse über sich selbst zutage. Gewissermaßen finden sie also auch über das Gespräch mit dem jeweils anderen zu sich selbst; oder zumindest ein wenig näher zu sich. Brian Tyree Henry orientiert sich bei der Interpretation seiner Rolle am Stile des Rappers Paper Boi ('Atlanta') und wandelt dessen Auftreten nur um einige (der Charakterzeichnung geschuldete) Nuancen ab. Seine Oscarnominierung als bester Nebendarsteller darf durchaus auch stellvertretend für die Vorstellung von Jennifer Lawrence gewertet werden, denn richtig rund werden die Vorstellungen der beiden erst durch das Wirken des jeweils anderen. Das Drehbuch bietet ihnen zahlreiche Gelegenheiten zur Entfaltung und speziell die Informationsvermittlung durch die Dialoge erscheint wohlüberlegt. Gerade Unterhaltungen über die Vergangenheit entpuppen sich in vielen Inszenierungen als eine Art Fallstrick in Sachen Eleganz, doch hier finden sich nahezu keine plumpen Elemente in den Unterhaltungen.
Überhaupt wirkt der gesamte Aufbau der Erzählung sehr reflektiert. Das Publikum wird hier ernst genommen und explizite Erklärungen werden nur dort geliefert, wo es zwingend notwendig erscheint. Aufmerksames Zuhören und Zusehen wird mit der einen oder anderen Information zwischen den Zeilen belohnt, die Interpretation der davon abzuleitenden Erkenntnisse wird den Zuschauern überlassen. Ein Beispiel wäre in diesem Sinne das Spiel mit den Elementen Feuer und Wasser. Lynseys Trauma rührt von einer Explosion her. Zurück in Louisiana sucht sie beharrlich die Nähe zum Wasser. Sie verzichtet sogar ganz bewusst auf die (offenbar aussichtsreiche) Bewerbung um einen wahrscheinlich besser bezahlten Bürojob, um weiterhin Pools reinigen (und gelegentlich auch heimlich darin schwimmen) zu können. James sucht sein Heil in einer gegenteiligen Strategie und bekämpft Feuer(wasser) mit Feuer(wasser); sowohl in Bezug auf den Alkohol, als auch im Umgang mit Autos. Drehbuch und Regie nehmen sich viel Zeit für die beiden Hauptcharaktere und deren Situation und lassen das Publikum deren Gesprächen beiwohnen. Fast könnte man meinen, die Idee zu diesem Film wäre bei einer Sichtung der Serie 'In Treatment' geboren; nur eben mit dem Kniff, dass sich hier zwei Patienten unterhalten. Das Resultat sind rund anderthalb Stunden ruhig in Szene gesetzter, aber gut durchdachter Unterhaltung. Lila Neugebauer (Regie) verleugnet ihre Herkunft aus dem Theater zu keiner Zeit und ist sich ihrer Stärken ganz offenkundig sehr bewusst. Womöglich bildet 'Causeway' den Auftakt zu einer spannenden Filmkarriere.
KURZFAZIT
Zwei blendend aufgelegte Darsteller tragen sorgsam durchdachte und elegant arrangierte Dialoge vor.
Oscar Madness Film 344 (1 Auszeichnung, 5 weitere Nominierungen)
In vielen Ländern setzen die Militärs vorzugsweise auf Kampfpiloten innerhalb einer gewissen Altersspanne. Junge Piloten müssen eine langwierige Ausbildung durchlaufen, bevor sie Maschinen navigieren dürfen, die schnell mal 100 Millionen US-Doller kosten können, und im höheren Alter stellt sich durchaus auch die Frage nach der körperlichen Belastbarkeit. Nicht so bei 'Top Gun'. Hier wird ausgerechnet das beste Pilotenalter ausgespart und in der Fortsetzung ein Mann ins Cockpit gesetzt, der selbst in „herkömmlichen“ Berufen nicht mehr allzu weit vom Ruhestand entfernt wäre. Ärgerlich ist für seine Vorgesetzten zwar, dass er kürzlich schon wieder ein sündhaft teures Flugzeug geschrottet hat, aber andererseits hält sein alternder Körper den hohen g-Kräften sehr viel besser stand, als es bei seinen jungen Kollegen der Fall ist und obendrein ist er ein echter Draufgänger, der weder sich noch sein Arbeitsgerät schont. Solche Typen wünscht man sich schließlich im Cockpit eines jeden Kampfjets. Die Handlung hat aber noch sehr viel mehr zu bieten. So ziemlich jede erinnernswerte Szene aus dem Erstling von 1986 wird noch einmal aufgewärmt und teilweise sogar auf kreative Weise gespiegelt. Beispielsweise wird Mavericks Fahrt auf dem Motorrad parallel zur Startbahn nun spiegelverkehrt inszeniert. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences verneigt sich vor so viel Kreativität mit sechs Oscarnominierungen, unter anderem in den Sparten Bestes adaptiertes Drehbuch und Bester Film.
Neben diesen beiden offenbar eher humoristisch gemeinten Berücksichtigungen wurde jedoch auch Lady Gagas 'Hold My Hand' als bester Sing nominiert. In den technischen Kategorien Bester Schnitt, Bester Ton und Beste visuelle Effekte kann das Team um Regisseur Joseph Kosinski zudem weitere Nominierungen für sich verbuchen; wobei in der Sparte Bester Ton die Auszeichnung sogar gewonnen werden konnte. Ganz ohne Ironie: Nur selten gelingt es Regisseuren, von Publikum und Kritikern derart viel Anerkennung für die Inszenierung von Actionszenen zu erhalten, wie es hier der Fall ist. Ein Großteil der Flugszenen wurde so fulminant inszeniert, dass auch die mit einem Vetorecht gegen das Drehbuch und die finale Schnittfassung ausgestattete US Navy nichts gegen das Ergebnis einzuwenden hatte.
KURZFAZIT
(Inhaltlicher) Gegenentwurf zu Edward Bergers Adaption von 'Im Westen nichts Neues', die 2023 ebenfalls für mehrere Oscars nominiert wurde.
Oscar Madness Film 343 (1 Auszeichnung, 3 weitere Nominierungen)
(In meiner Kindheit habe ich mir diesen Film auf Teleclub (wer erinnert sich noch an diesen Sender?) gut und gerne drei oder vier mal binnen weniger Tage gesehen. Grundsätzlich bin ich also sicher kein „Hater“, der schon aus Prinzip gegen 'Top Gun' nörgelt. Mittlerweile ist (zumindest für mich) der Lack dann aber doch ab.)
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Join the Navy! Bei uns kannst du den ganzen Tag mit deinen Kameraden duschen oder in einer Bar abhängen. Das Alter unserer Kampfpiloten ist völlig irrelevant. Gerne darfst du hier auch mehrere unserer technisch mangelhaften - aber sündhaft teuren - Flugzeuge schrotten, ohne deine Karrierechancen zu gefährden. Ganz im Gegenteil: Wir machen dich trotzdem zum Ausbilder!
Die Ernüchterung dürfte bei so manchen Rekruten groß gewesen sein, die sich auf die Sichtung dieses Rekrutierungsfilmes hin verpflichtet und später im Golfkrieg wiedergefunden haben (speziell in Bezug auf den dritten Golfkrieg empfiehlt sich für einen Abgleich David Simons (et. al.) Miniserie 'Generation Kill').
Doch auch wenn sie hier fast schon exzessiv mit Euphemismen und sonstigen Verklärungen arbeiten, muss man Tony Scott und seinen Autoren eines lassen: Die Eintönigkeit aus unzähligen Wiederholungen derselben Elemente im Militäralltag bilden sie durchaus anschaulich ab. Ob derart massive Eingriffe zur Emotionalisierung und Verklärung nötig sind, sei dahingestellt. Dem Vernehmen nach plante Tony Scott zunächst eine völlig andere Art von Film, die offenbar sehr viel distanzierter ausfallen sollte. Doch durch die enge Zusammenarbeit mit dem Pentagon kam dann das vorliegende Ergebnis zustande. Eine stichhaltige Erklärung für das schludrige Drehbuch und so manche Dialogzeilen ist allerdings auch das nicht. Gerade letztere wirken an mehreren Stellen, als hätten sie ein 14-jähriger Schüler und ein 70-jähriger Stelzbock gemeinsam zu Papier gebracht.
Deutlich größer fallen die Ambitionen in technischer Hinsicht aus, denn in den Kategorien Ton, Tonschnitt und Schnitt wurde 'Top Gun' 1987 für einen Oscar nominiert. Der Song 'Take My Breath Away' wurde überdies mit einer der begehrten Trophäen prämiert. Im Verbund mit Kenny Loggins 'Highway to the Danger Zone' machen die Produzenten auch ausgiebig Gebrauch davon. Auffallend ist in Bezug auf den Score der häufige Rückgriff auf eine Technik, die sich – analog zum Voice Over – vielleicht als „Music Over“ bezeichnen ließe. Mehrfach überlappen Musikstück zwei oder gar mehrere Szenen mit teils doch recht unterschiedlichen Aussagen. Dadurch entsteht – gerade in Bezug auf Mavericks Love Interest – eine Ambivalenz, die offenbar ganz bewusst erzeugt und im Subtext verankert wird.
2,5 von 10 schweißgetränkten Gesichtern.
KURZFAZIT
Überlanger Werbespot. In stilsicher komponierten Bild- und Klangwelten wird eine lausige Geschichte erzählt.
Oscar Madness Film 342 (1 Nominierung)
Der (oscarnominierte) animierte Kurzfilm 'An Ostrich Told Me the World Is Fake and I Think I Believe It' ist inhaltlich und stilistisch tatsächlich so kurios wie der etwas sperrige Titel es vermuten lässt. Erzählt wird die Geschichte eines Büroangestellten, der sein Arbeitsumfeld nicht nur als Fassade entlarvt (und seine Tätigkeit als komplett sinnentleert betrachtet), sondern auch als Set eines Stop Motion Filmes. Doch nicht nur das. Darüber hinaus schaffen die Produzenten das Kunststück, die Handlung so zu inszenieren, dass sie gewissermaßen ihr eigenes Making Off darstellt. Während die Haupthandlung abläuft, sieht man im Hintergrund Hände, die Änderungen an den Figuren vornehmen und dem Zuschauer wird ein kompletter Satz an Figuren und austauschbaren Gesichtern gezeigt, um nur mal zwei Beispiele zu nennen.
Doch wie wird mit einer Figur umgegangen, die sich emanzipiert und zum Hinterfragen von Prozessen neigt? Gibt es Unterschiede zwischen dem Büroalltag und der Filmbranche? Lachlan Pendragon (Regie) stellt Überlegungen zu dieser Frage an und lässt das Publikum an seinem Schluss zwar teilhaben, jedoch nur in verklausulierter Form, da gerade der im Filmtitel genannte Strauß eine ambivalente Rolle einnimmt.
Um die Verwirrung komplett zu machen, weist die Handlung darüber hinaus eine Traumkomponente auf, in deren Licht man wahrscheinlich auch die gesamte Geschichte sehen muss. Im Sinne einer Traumlogik lässt sich die Handlung vermutlich noch am ehesten erfassen – und vielleicht sogar auch dieser wirre Kommentar. Unter dem Strich ist 'An Ostrich Told Me the World Is Fake and I Think I Believe It' jedenfalls einer jener Filme, deren Eindrücke man nur extrem schwer in Worte fassen kann (zumindest ich). Im Idealfall sollte man diese elf Minuten selbst mal gesehen oder geträumt haben.
In diesem Sinne: Wir sehen uns an der Kante! Oder: Gebt euch die Kante! Aber Vorsicht vor dem Strauß!
KURZFAZIT
Kauziger Kurzfilm über einen Büroangestellten und einen schrägen Vogel.
Oscar Madness Film 341 (4 Auszeichnungen, 5 weitere Nominierungen)
Edward Bergers Adaption von Erich Maria Remarques Roman 'Im Westen nichts Neues' dürfte zweifellos zu den ambitioniertesten deutschsprachigen Produktionen der letzten Dekaden zählen. Aufgrund der spektakulären Anzahl von neun Oscarnominierungen bietet es sich an, sich der Inszenierung über einen Teil der nominierten Kategorien zu nähern:
(Adaptiertes) Drehbuch: Die Sinnlosigkeit des Krieges wird hier auf andere Weise sichtbar gemacht als in der Verfilmung von 1930. Während bei Lewis Milestone der Kaiser sowie bürgerliche Kriegstreiber (vor allem aus der älteren Generation) als Triebfeder der Kampfhandlungen benannt werden, nimmt bei Edward Berger das Verhalten eines militärischen Entscheidungsträgers regelrecht absurde Züge an. Beide Versionen laufen jedenfalls darauf hinaus, den Sinn der Kampfhandlungen infrage zu stellen; besonders wenn es sich um einen jahrelangen Abnutzungskampf handelt, der zu einer reinen Materialschlacht ausartet (wobei direkt mitgedacht werden muss, dass für viele Entscheidungsträger ganz offenkundig auch Menschen nur eine Ressource zur Kriegsführung sind).
Produktionsdesign: Gedreht wurde überwiegend in Tschechien (aber auch in Belgien und Deutschland), wo beispielsweise in der Nähe eines Flugplatzes rund 250 Meter Schützengräben ausgehoben wurden. Aus produktionstechnischen Gründen (ausreichend Platz für die Crew) wurden diese zwar etwas breiter gestaltet, im Großen und Ganzen wirken sie jedoch ebenso stimmig wie das Lager der deutschen Soldaten, dessen Set ebenfalls im östlichen Nachbarland aufgebaut wurde.
Kamera, visuelle Effekte sowie Make-up und Frisuren: James Friend (Kamera) wirft das Publikum durch den Einsatz zahlreicher Plansequenzen u.ä. während der Kampfszenen auf spektakuläre Weise mitten ins Geschehen, sowohl innerhalb der Schützengräben als auch inmitten des Schlachtfeldes. Aufwendig choreographierte Kampfszenen mit zahlreichen Statisten und detailreich gestalteten Puppen (die in den meisten Fällen zur Darstellung zerfetzter Leichen eingesetzt werden) stehen auf der anderen Seite Kameraeinstellungen gegenüber, die die poetische Komponente der literarischen Vorlage betonen (beispielsweise einige kunstvolle Naturaufnahmen). Im Bereich des Make-ups wiederum wird derart akkurat gearbeitet, dass zum Beispiel Maskenbildner im Vorfeld der Produktion die Beschaffenheit der Böden an den Drehorten inspizierten, um das Make-up der Darsteller genau darauf abstimmen zu können.
Filmmusik und Ton: Gerade in Kriegs- und Antikriegsfilmen kommt der akustischen Schiene oft eine ganz besondere Bedeutung zu. Die Klänge erzeugen Unbehagen, verstärken Bedrohungsszenarien oder untermalen Stimmungen. All das trifft in ganz besonderem Maße auch hier zu. In Hinblick auf die Musik fällt ganz besonders das Thema auf, das die jungen Rekruten bei ihrem Aufbruch zur Front begleitet und in späteren Szenen erneut zum Einsatz kommt. Hauschkas (Volker Bertelmanns) Musik weist im Rahmen der Inszenierung jedoch auch einen stark funktionalen Charakter auf. Ein Teil der Klänge trägt militärische Züge oder zerschneidet regelrecht die Stille. Mitunter erinnert die Untermalung auch an Maschinen oder militärisches Gerät, das stets als Elefant im Raum steht und doch nur selten sichtbar ist. Im Grunde bildet der Hauschkas Score auf lautlicher Ebene ab, was auch auf der Leinwand (nicht) sichtbar ist, wodurch Bild und Ton bzw. Musik hier in ganz besonderer Weise Hand in Hand gehen.
Weitere Berücksichtigungen fand 'Im Westen nichts Neues' in den Sparten Bester Film und Bester fremdsprachiger Film.
KURZFAZIT
Kompletter Gegenentwurf zum 2023 ebenfalls für mehrere Oscars nominierten Rekrutierungsfilm 'Top Gun: Maverick'.
Nachtrag: In den Sparten Beste Kamera, Beste Filmmusik, Bestes Szenenbild und Bester internationaler Film konnte Edward Bergers Crew den Gewinn von Oscars für sich verbuchen, wodurch seine Adaption von 'Im Westen nichts Neues' als bis dato erfolgreichster deutscher Film bei den Academy Awards in die Geschichte eingeht.
Oscar Madness Film 340 (2 Auszeichnungen, 2 weitere Nominierungen)
++ Leichte SPOILER ++
Im Rahmen von 'Im Westen nichts Neues' wird eine Geschichte erzählt, die (in Bezug auf Erfahrungsberichte aus dem Ersten Weltkrieg) beispielhafter kaum sein könnte, und bei vielen Autoren aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in ähnlicher Form zu finden ist: Voller Enthusiasmus zieht eine Gruppe junger Männer in den Krieg gegen Frankreich. Viele von ihnen verpflichten sich freiwillig, denn die Kriegsbegeisterung ist groß und die allgemeine Lage von schier grenzenlosem Optimismus geprägt. An der Front angekommen dreht sich die Stimmung jedoch binnen kürzester Zeit. Die Verluste auf beiden Seiten sind immens, die Verpflegung ist lausig und selbst nachts findet man angesichts des stetigen Kriegslärms keine Ruhe. Die jungen Männer werden psychisch und physisch an die äußersten Grenzen ihrer Belastbarkeit geführt und wer überlebt, macht nach und nach einen Prozess der Desillusionierung durch. Besonders die Erkenntnis, dass sich die französischen Kontrahenten nicht nennenswert von den eigenen Kameraden unterscheiden und sich junge Leute gegenseitig umbringen, während fernab der Front Entscheidungsträger sitzen, die die Soldaten beider Länder aufeinanderhetzen, führt bei vielen Erzählern (und so auch hier) zum Umdenken. Unterdessen diskutieren zu Hause an den Biertischen wichtigtuerische Stammtisch-Strategen über Kriegstaktiken und schimpfen auf die verweichlichte Jugend, die den Stagnationszustand im Stellungskrieg nicht in einen triumphalen Sieg ummünzen kann. Der Lehrer, den es selbstverständlich ebenfalls nicht an die Front zieht, setzt unterdessen seine Propagandakampagne an der Schule fort und versucht so viele Schulabgänger wie möglich dem Militär zuzuführen. Ein Land vernichtet seine eigene Jugend, während die älteren und ganz besonders die wohlhabenden Bürger in ihren sicheren Heimatorten sitzen und über die Entbehrungen philosophieren, die sie zum Wohle des Landes erbringen.
Zwölf Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges wurde Lewis Milestones Adaption von Erich Maria Remarques 'Im Westen nichts Neues' im Rahmen der zweiten Verleihung im Jahr 1930 mit Oscars in den Sparten Bester Film und Beste Regie ausgezeichnet, während es in den Kategorien Beste Kamera und Bestes Drehbuch bei Nominierungen blieb.
Milestones Inszenierung nimmt das Publikum mit in die Schützengräben und in das Lager der Soldaten, wo diesen ebenfalls keine richtige Ruhe gegönnt ist. Schnell wird klar, dass es enorm großen Glücks bedarf, hier lebend wieder herauszukommen; von körperlichen oder seelischen Schäden ganz zu schweigen. In mehreren Szenen, die aufgrund von Zensur dem deutschsprachigen Publikum zunächst vorenthalten wurden, wird die Sinnlosigkeit des Krieges thematisiert und mitunter auch ausdrücklich angeprangert. Dass man sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lediglich in einer verhältnismäßig kurzen Phase zwischen zwei Weltkriegen befand, lässt die Ereignisse umso tragischer erscheinen.
KURZFAZIT
Versiert verfilmtes Zeitdokument von extrem hoher Relevanz.
Oscar Madness Film 339 (9 Nominierungen)
Inisherin – Eine irische Insel, die derart verschlafen ist, dass selbst der Bürgerkrieg einen Bogen um sie herum macht. Die Einwohner haben nur sich selbst, sich gegenseitig, ein paar Stück Vieh und ihren Pub. Alles könnte so schön und idyllisch sein – wenn da nur nicht zwei Sturschädel wären, die sich das Leben gegenseitig zur Hölle machen. Ihre Freundschaft ist zerbrochen, was einer von ihnen nicht hinnehmen möchte. Der andere wiederum kann und will die ständigen Versöhnungsversuche oder Aufdringlichkeiten (je nach Sichtweise) seines ehemaligen Kumpels nicht mehr ertragen. Und so wird eine Spirale in Gang gesetzt, die als derb-komische Satire irischer Eigenarten betrachtet werden kann. Als pars pro toto werden am Beispiel der beiden Protagonisten regionale und kulturelle Eigenarten sowie das kauzige Wesen vieler Bewohner der grünen Insel veranschaulicht. Was Franz Eberhofer und Rudi Birkenberger für Niederkaltenkirchen bzw. Niederbayern sind, sind eben Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell) und Colm Doherty (Brendan Gleeson) für Inisherin bzw. Irland. Die Spleens und Liebenswürdigkeiten, die anhand dieser beiden Charaktere aus Konsistenzsgründen nicht mehr abgebildet werden konnten, werden anhand der Nebenfiguren illustriert, aus deren Gruppierung ganz besonders Pádraics Schwester Siobhan (Kerry Condon) und sein Freund Dominic Kearny (Barry Keoghan), dessen Charakterzeichnung als eine Art Kehrseite zu Pádraics Wesen angelegt ist, herausragen. Alle vier der genannten Darsteller verkörpern ihren jeweiligen Rollen knorrig sowie mit Ecken und Kanten, was diese sehr geerdet erscheinen lässt und in der Folge jedem von ihnen eine Oscarnominierung einbrachte. Allerdings neigt Barry Keoghan an mehreren Stellen zu Overacting, wohingegen Kerry Condon ihren Part umso lebensechter spielt.
Die Grundlage für die Darstellerleistungen bieten Drehbuch und Regie aus der Hand von Autorenfilmer Martin McDonagh ('Three Billboards Outside Ebbing, Missouri'), der diese Tragikomödie trotz aller Skurrilitäten und Übertreibungen – nicht zuletzt mittels einer in weiten Teilen bodenständigen Dialogregie - erstaunlich fest in der Realität verankert. Es erscheint fast müßig zu erwähnen, dass ihm die Inszenierung von 'The Banshees of Inisherin' McDonagh gleich drei persönliche Oscarnominierungen (in den Sparten Bestes Drehbuch, Beste Regie und Bester Film) einbrachte. Abgerundet wird der Reigen an Nominierungen durch Berücksichtigungen in denKategorien Bester Schnitt (Mikkel E. G. Nielsen) und Beste Filmmusik (Carter Burwell). Die Verantwortlichen für beide Bereiche setzen hier über weite Strecken auf Subtilität und Understatement und schlagen somit auf ihre ganz eigene Art eine Brücke zur urigen Lebensweise auf der Insel, aber auch zum kernigen Stil der Inszenierung.
Selten dürfte es einem Regisseur bisher gelungen sein, trotz (oder gerade wegen) einer derart überschaubaren Handlung sein Anliegen dem Publikum so nahezubringen. Komplett durchdringen lässt sich das Wesen irischer Traditionen, Mythologien und Lebenseinstellungen vermutlich nur für die in Irland lebenden Iren selbst, doch McDonagh öffnet dem Publikum seines Filmes ein Fenster, durch das sich skurril-komische, aber auch durchaus informative Einblicke erhaschen lassen.
KURZFAZIT
Knorrige Charaktere und schrulliger Humor, aber auch handfeste Probleme aus der Lebenswirklichkeit der Menschen in einer rauen und dennoch sehenswerten Umgebung.
Oscar Madness Film 338 (1 Nominierung)
Anthony Fabian (Regie) legt mit 'Mrs. Harris Goes to Paris' einen jener Filme vor, in denen es zu einem guten Teil darum geht, einen Markennamen zu beweihräuchern und einen passenden Mythos rund um die betreffende Firma aufzubauen. Als ob der Ansatz, das Kinopublikum für die Sichtung eines überlangen Werbespots auch noch bezahlen zu lassen, nicht schon dreist genug wäre, setzt der hiesige Verleih noch zusätzlich einen drauf und nennt die betreffende Marke direkt schon im Filmtitel. Aber zumindest lässt sich zugestehen, dass die letztere Strategie immerhin ehrlich ist und alle potenziellen Zuschauer so bereits vorher wissen, worauf sie sich im Falle einer Sichtung einlassen.
Aber halb so wild. Wenn eine gute Geschichte erzählt wird, kann man sicherlich auch leicht ausblenden, dass keine fiktiven Markennamen verwendet werden. Nur leider ist es auch damit Essig. Zugegeben, der plakativ zur Schau gestellten Naivität und der Geradlinigkeit, mit der die Protagonistin einige ihrer Gesprächspartner betört, wohnt ein gewisser Charme inne; zumal sie damit auch so manche Figur mit allenfalls überschaubarer Bodenhaftung wieder ein wenig zu erden vermag. Doch die Art und Weise, in der die Geschichte erzählt wird, lässt vermuten, dass das Skript mal eben zwischen der siebten und der achten Bowle beim Seniorenbingo verfasst wurde. Sämtliche Schwierigkeiten lösen sich binnen kürzester Zeit in Wohlgefallen auf und zahlreiche Dialoge sind von einer Einfachheit, die man ansonsten höchstens in Groschenromanen findet. Der blauäugige Umgang mit Klischees setzt dem Ganzen schließlich die Krone auf. Gleich der erste Mann, mit dem Mrs. Harris in Paris in Kontakt kommt, ist gerade dabei, ein Baguette zu essen und Wein zu trinken, um nur mal ein Beispiel zu nennen. Und auch ansonsten wird hier Vorhersehbarkeit ganz groß geschrieben. Für einen äußerst entspannten Filmnachmittag eignen sich derlei Inszenierungen natürlich hervorragend. Entschleunigtes Wohlfühlkino der ruhigen Sorte eben. Aber allzu viel Applaus sollten die Produzenten dafür besser nicht erwarten. Zu viele Chancen werden hier einfach fahrlässig liegengelassen. Manche Handlungsentwicklungen werden derart verkürzt und unmotiviert abgehandelt, dass es fast schon an Publikumsverachtung grenzt.
Aber natürlich ist keineswegs alles schlecht. Denn neben soliden Darstellerleistungen, dem besagten Wohlfühlfaktor und dem etwas schroffen Charme der Protagonistin weiß Fabians Inszenierung vor allem im Bereich der Kostüme zu überzeugen, deren Design durch Kreativität und Eleganz besticht. Aber wäre dies anders, würde vielleicht auch der entsprechende Markenname gar nicht erst genannt werden...
KURZFAZIT
Diese Adaption eines bereits mehrfach verfilmten Romanes stellt eher Konfektionsware statt Haute Couture dar. Mit etwas weniger Werbung sowie ausgefeilteren Szenen und Dialogen dürften die Chancen auf deutlich mehr inhaltliche Qualität in den möglicherweise noch anstehenden Fortsetzungen relativ gut stehen.
Gerade mal gut anderthalb Jahre nach der zweifachen Oscarnominierung von Matteo Garrones 'Pinocchio'-Adaption legen Netflix und Disney mit zwei weiteren Adaptionen nach, deren Konzeption unterschiedlicher kaum sein könnte. Während Guillermo del Toro die Inszenierung seiner bei Netflix veröffentlichten Stop Motion Verfilmung zu einer thematischen und stilistischen Neuinterpretation nutzt, geht Robert Zemeckis ('Zurück in die Zukunft') im Auftrag von Disney den umgekehrten Weg. Speziell der erste Akt erweist sich als eine Realverfilmung des Zeichentrickklassikers von 1940 wie aus dem Bilderbuch. Sowohl das Szenenbild als auch ein Teil der Handlung befinden sich extrem dicht an der Vorlage und warten allenfalls mit Variationen auf. Das markanteste Beispiel dürfte wohl die Gestaltung der Kuckucksuhren bilden, die nur so vor Anachronismen strotzt. Zahlreiche Figuren aus dem Portfolio des Mauskonzerns springen aus den Uhren und zelebrieren für das Studio Crosspromotion in Reinform.
Im Anschluss an diese tiefe Verneigung vor der Originalversion und vor dem Auftraggeber des Filmes gönnt Zemeckis sich und dem Publikum zwar mehr Freiheiten, aber auch einige Anschlussfehler. In der Folgezeit kommt es zu teils größeren Abweichungen, mitunter stecken die Neuerungen aber auch im Detail. Während in der Szene im Jugendcamp die Jungen zwar wie in der Zeichentrickversion von 1940 durch eine Mischung aus Rausch, Ausgelassenheit, Anarchie und Zerstörung angelockt werden, ist die Szenerie bei Zemeckis allerdings noch sehr viel deutlicher am Konzept eines Freizeitparks angelehnt. Die Frage, ob es sich dabei um eine kleine (ggf. auch selbstironische) Spitze gegen das Konzept des Studios mit dem Märchenschloss im Logo oder eine verquere Form von Marketing für gewisse Fahrattraktionen handelt, bleibt offen.
Das Produktionsdesign und die visuellen Referenzen an das Original retten Zemeckis Inszenierung immerhin noch ins Mittelmaß. Zu mehr als gut gemeinten 5 Punkten reicht es allerdings nicht.
KURZFAZIT
Unnötig wie ein Kropf und für Zemeckis-Verhältnisse auch seltsam fahrig, aber immerhin kurzweilig inszeniert.
Oscar Madness Film 337 (2 Auszeichnungen)
'Pinocchio', Disneys zweiter abendfüllernder Zeichentrickfilm dürfte einer der wesentlichen Bausteine zur Begründung des Markenimages sein, das der Konzern bis heute innehat. In visueller Hinsicht überzeugt die Inszenierung Hamilton Luskes und Ben Sharpsteens durch eine bahnbrechende Umsetzung der Multiplan-Technik. Nicht nur unter ästhetischen Gesichtspunkten, sondern auch durch einen außerordentlichen Detailreichtum sowie eine hohe Detailgenauigkeit überzeugen die hier präsentierten Bilderwelten. Zudem finden sich bereits in dieser Verfilmung aus dem Jahr 1940 zahlreiche Stilelemente und Motive, die sich über Jahrzehnte hinweg erhalten haben und den Stil dieses Studios unverwechselbar machen. Ein Blick auf die Figuren in den Kuckucksuhren zeigt beispielsweise eine prototypische Version der Idee, Kinder oder Babys in der Funktion eines Sidekicks vorzugsweise im Dreierpack zu präsentieren.
Leigh Harline, Ned Washington und Paul J. Smith, die Komponisten der Filmmusik, stehen den hohen Qualitätsansprüchen an den visuellen Bereich in nichts nach, indem sie in der noch relativen jungen Tonfilmära einen Score vorlegen, der das Erbe der Stummfilmära nicht leugnet und doch einen Aufbruch zu neuen Horizonten vollzieht. In orchestralem Stil werden Emotionen auf eine Weise illustriert, die viele Zuschauer sicher auch heute noch mit klassischer Kinomagie in Verbindung bringen werden. Neben der Filmmusik als Gesamtwerk wurde 1941 auch der Titel 'When You Wish Upon A Star' mit einem Oscar ausgezeichnet.
Nicht selten fühlen sich Sichtungen von Produktionen aus der Frühzeit des Tonfilms (im positiven Sinn) wie Museumbesuche an. 'Pinocchio' (1940) hingegen wirkt auch viele Jahrzehnte später noch bemerkenswert zeitgemäß. Erreicht wurde dies jedoch auch zu dem Preis, dass die Dramaturgie – noch mehr als in den allermeisten anderen 'Pinocchio'-Verfilmungen – dem Unterhaltungszweck untergeordnet wird. Grundsätzlich wäre jede andere Herangehensweise natürlich überraschend, dennoch lässt sich konstatieren, dass manche Regisseure eben etwas mehr Wert auf eine bestimmte Akzentuierung ihrer Interpretation legen und andere eben etwas weniger. Bei Luske und Sharpsteen scheint letzteres der Fall zu sein.
KURZFAZIT
Ein hohes Maß an handwerklicher Perfektion, das angesichts des frühen Produktionsdatums umso verblüffender wirkt.
Oscar Madness Film 336 (1 Auszeichnung)
Die Verfilmung von Stoffen, die bereits derart oft medial bearbeitet wurden wie die Pinocchio-Geschichte machen aus künstlerischer Sicht eigentlich nur noch Sinn, wenn die Filmemacher dem bisherigen Kanon inhaltlich oder stilistisch etwas hinzufügen können. Wenn es Autoren gelingt, einen bisher wenig beachteten Kern aus der Vorlage herauszuschälen oder wenn (auch dank neuer technischer Möglichkeiten) innovative handwerkliche Mittel zur Verfügung stehen, ist dabei schon sehr viel gewonnen. Guillermo del Toro kann bei seiner Adaption der Pinocchio-Thematik gleich beide genannten Ansprüche für sich proklamieren.
In Hinblick auf die konkrete Umsetzung seiner Stop Motion Version der Geschichte drückt der mexikanische Regisseur der Produktion seinen bewährten ästhetischen Stempel auf und erschafft damit ein Produktionsdesign, das sich durch mitunter düstere und durchweg detailverliebt (oder besser: detailversessen) konzipierte Bilderwelten auszeichnet. Während die Bewegungen der Nebencharaktere mechanisch animiert werden, indem beispielsweise die Mimik der Figuren von Bild zu Bild manuell in fein nuancierten Abstufungen verändert wird, setzt man bei der Hauptfigur auf austauschbare Masken mit verschiedenen Gesichtsausdrücken, um der Mimik Pinocchios trotz aller Lebendigkeit und Beweglichkeit auch einen gewissen statischen Charakter zu verleihen.
Für die Kulissen werden Stilelemente aus verschiedenen Epochen zusammengetragen und in del Toros Bildsprache übersetzt, was die Szenerie deutlich näher an den Alltag der Zuschauer bringt, als dies in vielen anderen animierten Filmen der Fall ist. Schließlich stehen auch in der „realen“ Welt regelmäßig verschiedene Stilelemente nebeneinander – sofern die jeweiligen Städte oder Dörfer nicht durch Kriege oder andere Katastrophen zerstört wurden.
Genau diese Betonung der Kriegsthematik ist auf inhaltlicher Ebene – neben der prominenten Einbindung von Gepettos leiblichem Sohn – hebt del Toros Entwurf dann auch stark von den allermeisten vorherigen Adaptionen ab. Während in Disneys Zeichentrickversion von 1940 derlei Motive keine nennenswerte Rolle spielen, erscheinen sie hier als mehr oder minder leitendes Prinzip. Besonders offenkundig wird dies in Hinblick auf die Episode im Jugendcamp, das sich bei del Toro als militärische Einrichtung zur Kriegsvorbereitung herausstellt, während es in den Disney-Versionen von 1940 und 2022 eher um eine Mischung aus rauschhaftem Vergnügen und Destruktion geht. In der Adaption von Matteo Garrone (2019) wiederum handelt es sich um einen schlichten Köder zur „Materialbeschaffung“ für einen dubiosen Händler. Bei del Toro jedenfalls gehen Kirche und Faschismus einen besonders perfiden Bund ein. Erstere steht Mussolini dabei mit einem entsprechendem ideologischen Überbau, einer moralischen Rechtfertigung und der Ausnutzung ihrer Machtstellung zur Seite. Naiv tritt hier nicht nur der Protagonist auf, sondern auch ein großer Anteil der Bevölkerung.
In politischer Hinsicht wird in dieser Adaption also deutlich klarer Stellung bezogen als in den allermeisten bisherigen Verfilmungen. Guillermo del Toro verleiht seiner Fassung damit eine gewisse Gravitas, die vielen anderen Interpretationen abgeht. Auch wenn die Geschichte altbekannt erscheint, bietet diese Version somit ausreichend eigenständige (inhaltliche, aber auch stilistische) Elemente, die eine Sichtung trotz profunder Kenntnis des Pinocchio-Kanons sinnvoll erscheinen lassen.
6,5 – 7 Punkte.
KURZFAZIT
Holzkopf-Verfilmung mit Stil.
Oscar Madness Film 335 (1 Nominierung)
Abseits des Glanzes der cineastischen Traumfabrik von Los Angeles wüten in so manchen Villen innerliche Ausgebranntheit und von außen in Kauf genommene - wenn nicht gar bewusst betriebene – (Selbst-)Zerstörung. Zwischen diversen Premierenveranstaltungen in den immer selben Kinos wird ein regelrechter Raubbau an einigen Darstellerinnen und Darstellern betrieben, der in dieser Produktion in einen größeren Zusammenhang eingebettet wird.
Andrew Dominik (Regie) zeichnet in 'Blond' Norma Jean Bakers Karrierekonzept als eine Art prototypischen Grobentwurf des Karriereaufbaus, den einige Jahre später Robert De Niro perfektionieren und schließlich maßgeblich prägen sollte. Mit einer Mischung aus Method Acting, Intuition und Transponierung von Gesten aus dem Alltag in das Filmhandwerk erfüllt Norma Jean Baker die Kunstfigur Marilyn Monroe in ihren jeweiligen Filmrollen mit Leben und verrichtet abseits der Filmsets ihre Arbeit nach ähnlichen Leitlinien - allerdings etwas stärker kontrolliert bzw. weniger extrovertiert.
Dominiks Entwurf als Dekonstruktion einer Legende zu bezeichnen, würde letzten Endes wahrscheinlich noch viel zu kurz greifen, zumal hier eigentlich schon eine regelrechte Destruktion des Mythos um eine der sagenumwobendsten Größen Hollywoods stattfindet. Die Anklage des Regisseurs richtet sich jedoch weniger gegen seine Protagonistin als vielmehr gegen das gesamte System und dessen maßgebliche Akteure. Finanzielle, körperliche und psychische Ausbeutung scheinen bei einigen Studios an der Tagesordnung zu stehen, um das öffentlich Interesse und vor allem das eigene Profitstreben zu befriedigen. Hinzu kommt die Tatsache, dass bevorzugt offenbar jene DarstellerInnen nach oben gespült werden, die bereit sind, ganz besonders viel von sich zu geben. Mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus könnte man formulieren, dass Stanislawski und Strasberg zumindest unbeabsichtigt und mittelbar mehr Schauspielerinnen auf dem Gewissen haben dürften, als sie Schülerinnen hatten. Ihre Methoden bringen ein extrem hohes Maß an psychischer (und letztlich auch körperlicher) Belastung mit sich und erfordern in letzter Konsequenz auch noch eine Umsetzung im öffentlichen Teil des Privatlebens (bewusstes Oxymoron!) wodurch es außerordentlich schwer wird, sich Freiräume für die Seele zu schaffen, die zumindest ein Mindestmaß an Regeneration ermöglichen.
Regelrecht zynisch mutet in diesem Licht an, dass sich die oscarnominierte Hauptdarstellerin Ana de Armas ähnlicher Methoden zu bedienen scheint (bzw. dazu instruiert wurde). Das kokett inszenierte Wechselspiel von Femme Fatale und Femme Fragile, bei dem der Zerbrechlichkeitsaspekt eine unfassbare Zerstörungskraft entfaltet, verlangt nicht nur Norma alias Marilyn, sondern augenscheinlich auch der Hauptdarstellerin von 'Blond' enorm viel ab, indem sie durch Drehbuch und Regie dazu genötigt wird, extrem viel von sich preiszugeben und permanent Grenzen zu überschreiten. Auf nur schwer in Worte zu fassende Weise gelingt ihr jedoch - ganz im Sinne des Starwesens - trotz unzähliger intimer Einblicke in körperliche und seelische Abgründe die Wahrung einer gewissen Distanz zur Kamera und somit auch zum Publikum. Daraus resultiert eine Leistung, die ebenso beeindruckend wie verstörend erscheint. Auf hintersinnige Weise untergräbt Dominik so seine eigene vorgebliche Agenda und setzt dem ganzen Treiben gemeinsam mit seiner Hauptdarstellerin die Krone auf.
Fast schon beiläufig zerschlägt der Regisseur gegen Ende hin dann auch noch das in und von einigen Medien sorgsam aufgebaute öffentliche Image John F. Kennedys, indem er diesen als skrupelloses und übergriffiges Machtmonster (der Begriff „Machtmensch“ wäre hier ein Euphemismus sondergleichen) skizziert, das auch und besonders vor sexuellen Übergriffen und noch weiterreichenden Eingriffen nicht Halt macht. In Szene gesetzt sind diese Andeutungen dergestalt, dass sich deren „realer“ Charakter nicht zweifelsfrei belegen lässt. Nicht zuletzt dank zahlreicher Kunstgriffe nach diesem Muster erinnert Dominiks Inszenierung dann im Großen und Ganzen auch eher an ein Bühnenstück, das es auf die Leinwand bzw. den Bildschirm geschafft hat, als an eine originäre cineastische Konzeption.
KURZFAZIT
Drastisch, ungehobelt, provokant, hintergründig, unbequem. Der schlichte Titel 'Blond' ist letztlich nur noch das ironische Tüpfelchen auf dem I.
Oscar Madness Film 334 (1 Auszeichnung)
In einigen (aber ganz sicher nicht in allen) deutschsprachigen Medien wird anno 2023 ein stark vereinfachtes Bild gezeichnet von Putin und seinen Unterstützern auf der einen Seite und der Ukraine, einem Verbund westlicher Nationen und einer auf den Namen Nawalny reduzierten russischen Opposition auf der anderen Seite. Aber zumindest etwas vielschichtiger ist die tatsächliche Lage dann doch (beispielsweise wurde laut eines Berichts des Spiegels aus dem Januar 2023 massive Kritik aus der Ukraine an Nawalnys Öffentlichkeitsarbeit geäußert); und genau das versucht Daniel Roher in seiner oscarprämierten Dokumentation 'Nawalny' auch abzubilden. Im Grunde erzählt er in diesem Film drei Geschichten: Eine handelt von Nawalnys politischen Ambitionen, eine weitere von der Vergiftung im Jahr 2020 und die dritte vom Stil der Öffentlichkeitsarbeit des berühmten Oppositionspolitikers.
Laut einer Aussage von Alexei Nawalny selbst wurde er während der Dreharbeiten zu diesem Film ziemlich ausgiebig zu seiner politischen Vergangenheit befragt. Weshalb es aber offenbar nur ein kleiner Teil seiner Aussagen in die finale Schnittfassung geschafft hat, werden wohl nur die Produzenten beantworten können. Angesprochen auf seine Zusammenarbeit mit rechtsextremen Gruppierungen bekennt sich Nawalny erneut zu diesem Bündnis, da er alle Bevölkerungsgruppen mit einbinden müsse, um seine politischen Ambitionen verwirklichen zu können. An anderer Stelle spricht er jedoch davon, im Falle einer möglichen Präsidentschaft sein Hauptaugenmerk auf die Einhaltung von Menschenrechten zu legen. Wie beide Aussagen zusammengehen sollen, bleibt jedoch offen.
Die mit Abstand größte Aufmerksamkeit konnte Roher für seine Berichterstattung über die Recherche bezüglich Nawalnys Vergiftung im Jahr 2020, die in einem irrwitzigen Finale gipfelt, erlangen. Regimetreue Kommentatoren aus Russland bezeichnen dieses als gestellt, westliche Medien ordnen es als beispiellosen Coup ein. Was in der Debatte aber oftmals zu kurz kommt, ist der Aspekt, dass diese Dokumentation unter dem Strich beiden Seiten in die Karten spielen dürfte. Nawalny kann sie als Triumph verkaufen und das russische Regime als Drohung gegen ihre Kritiker aus dem Inland. Putin selbst spielt während einer Pressekonferenz mit genau diesem Ansatz, als er davon spricht, dass Nawalny längst tot wäre, wenn er dies angeordnet hätte.
Der vielleicht aufschlussreichste Blick auf diese Dokumentation dürfte der aus medienwissenschaftlicher Sicht sein. Während in politischer Hinsicht kaum neue Fakten präsentiert werden, wird dem Publikum ein Einblick in die Medienarbeit des Teams um Nawalny gewährt. Seine Pressedirektorin koordiniert und begleitet die Termine, einzelne Formulierungen werden einstudiert und die Kulissen für bestimmte Aufnahmen werden sorgsam gewählt. Der Protagonist bekommt Anweisungen, wie er in die Kamera blicken soll und verschiedene Medienplattformen werden auf die jeweils passende Weise bedient. Roher steuert in Bezug auf seine eigene Dokumentation dagegen, indem er auch einige Szenen in die endgültige Fassung mit aufnimmt, die eher an Outtakes oder an Hintergrundgespräche erinnern. Für kurze Momente öffnen sich immer wieder Fenster für einen Blick hinter die Kulissen. Inwieweit diese zur Inszenierung gehören, lässt sich schwer abschätzen; so oder so liefern sie jedoch die womöglich sehenswertesten Einblicke, die diese Dokumentation zu bieten hat.
Auch wenn das Marketing für diesen Film enorm auf das spektakuläre Telefonat mit Konstantin Kudrjawzew zugeschnitten ist, so liegen die spannendsten Stilblüten und Einblicke mitunter zwischen den Zeilen. Denn gerade als Dokumentation über die Öffentlichkeitsarbeit eines Oppositionspolitikers im temporären Exil erweist sich 'Nawalny' als besonders erkenntnisbringend. Die politischen Fakten waren bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hinlänglich bekannt und bieten - abgesehen von dem besagten Telefonat - allenfalls eine Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse.
KURZFAZIT
Dokumentation, deren medientheoretische Dimension im Grunde erkenntnisbringender wirkt als die politische.
Oscar Madness Film 333 (3 Nominierungen)
Klassenkampf auf Schwedisch. Ein junges Paar, das eine ohnehin schon dysfuktionale Beziehung zu führen scheint, begibt sich mit zahlreichen anderen gut situierten Gästen auf eine Kreuzfahrt auf einer Yacht. Wenn dieser Luxus mal nicht die besten Voraussetzungen für einen wunderschönen Urlaub und eine herzerwärmende Versöhnung bietet...
Ruben Östlund inszeniert sein 'Triangle of Sadness' über weite Strecken als eine Art erweitertes Kammerspiel, das sich ein Stück weit auch nach außen öffnet. Auf einen kurzen Prolog, in dem der vermeintliche Protagonist eingeführt wird, folgt ein Kapitel über einen Beziehungsstreit, in dem sich die beiden Beteiligten eigentlich immer nur sagen, worum es ihnen gerade eigentlich nicht geht (nämlich um das liebe Geld), während sie zwar wiederholt andeuten, das eigentliche Problem wäre etwas anderes, aber nie so richtig auf den Punkt kommen, was den Verdacht nährt, dass sich letztlich doch nur alles um den schnöden Mammon dreht. Mehr Klarheit bringt jedoch das anschließende Kapitel, das den mit Abstand größten Raum einnimmt und in verschiedene Akte unterteilt ist. Mit den Mitteln einer Farce und anhand teils extrem grobschlächtiger Scherze wird dabei eine auf Schlagworte reduzierte Systemdebatte bebildert und mit zynischen Einschüben auf die Spitze getrieben, ehe nach einem erneuten Wechsel der Szenerie in einem doch recht vorhersehbaren, aber zumindest folgerichtigen, Finale dieselbe Gesellschaftskritik wie im vorherigen Abschnitt noch einmal etwas prosaischer vorgetragen wird.
Nicht zuletzt aufgrund der doch recht unkonventionellen Drehbuchstruktur werden jedoch auch Akzente gesetzt, die 'Triangle of Sadness' deutlich von den allermeisten ähnlich gelagerten Produktionen abheben. Einwerfen könnte mal allerdings, dass man die Geschichte (und ihre Botschaft) auch deutlich straffer hätte erzählen können. Während das oscarnominierte Drehbuch in formaler Hinsicht ein vergleichsweise hohes Maß an Originalität aufweist, erscheint in Bezug auf den Inhalt das Verhältnis zwischen Arabeske und Substanz etwas unwuchtig, um nicht zu sagen unausgegoren.
Weitere Nominierungen können Östlund und seine Crew in den Sparten Beste Regie und Bester Film für sich verbuchen, die zwar beide durchaus etwas Stirnrunzeln hervorrufen können, was allerdings auch für einige andere nominierte Beiträge 2023 gilt. Man könnte auch durchaus die These vertreten, Ruben Östlunds 'Triangle of Sadness' folge inhaltlich einer ähnlichen Agenda wie Joon-ho Bongs 'The Parasite', nur mit anderen Mitteln. Aufgrund der inhaltlichen Ambivalenz beider Werke und bewusst offengelassener Leerstellen empfiehlt sich allerdings trotzdem Zurückhaltung bei derartigen Vergleichen.
KURZFAZIT
Derbe Gesellschaftssatire, deren Autor keine Gefangenen nimmt und sich damit in gewisser Hinsicht einer gewandelten Debattenkultur in den 2020er Jahren anpasst.
Oscar Madness Film 332 (1 Nominierung)
Ein Lichtstrahl wird quer durch einen großen Raum geschickt, wo er an dessen anderem Ende auf eine weiße Leinwand trifft und dort faszinierende Bilderwelten für das Publikum erzeugt. Sam Mendes ('Zeiten des Aufruhrs') nutzt diesen einfachen physikalischen Sachverhalt als Basis für eine mehrschichtige Liebeserklärung an die Magie des Kinos.
Hilary (Olivia Colman) arbeitet in einem Kino, wo sie ihren neuen Kollegen Stephen (Michael Ward) kennen-, schätzen und lieben lernt. Über Stephens Alltag schwebt permanent die Gefahr rassistisch motivierter Übergriffe, Hilary wird von ihrem Vorgesetzten regelmäßig zu sexuellen „Gefälligkeiten“ genötigt. Während sich die klassischen Säle des Lichtspielhauses als Ort des Eskapismus und der Ruhe bewähren, scheint es in der Welt um diese herum immer turbulenter und bedrohlicher zuzugehen. Doch auch das altehrwürdige Kino ist in Gefahr. Die oberen Etagen stehen mittlerweile leer und das dortige Inventar wird dem Verfall überlassen, was darauf schließen lässt, dass das Gebäude seine allerbesten Tage offenkundig bereits hinter sich haben dürfte. Im Vorführraum, an den Verkaufsstellen und sonstigen Orten mit Publikumskontakt wird jedoch nach wie vor mit viel Liebe und Hingabe gearbeitet; nur im Büro des Chefs nicht, das einen regelrechten Störfaktor in diesem ansonsten weitgehend harmonischen, aber auch höchst fragilen Mikrokosmos darstellt.
Sam Mendes erzählt seine Geschichte über das 'Empire of Light' nicht nur als Metapher über die Filmbranche, sondern bietet auch in stilistischer Hinsicht eine Umsetzung dar, die sich nahezu nahtlos in eine lange Traditionslinie einreiht. Speziell für die Bebilderung steht ihm mit Kameramann Roger Deakins einer der fraglos versiertesten Meister seiner Zeit zur Verfügung. Drei Jahre nach ihrer äußerst erfolgreichen Zusammenarbeit am Set von '1917' erschaffen die beiden erneut ein Werk von beachtlicher ästhetischer Raffinesse. Unzählige der Einstellungen zeigen sorgsam arrangierte Bildkompositionen mit einem beeindruckenden Gespür für Kadrage und Beleuchtung – besonders in Bezug auf die Präsentation unbelebter Motive. Hinsichtlich der Einbindung belebter Objekte gibt Deakins im Zweifelsfall Long Shots konsequent den Vorzug gegenüber Close Ups, was als klares Bekenntnis zu einer klassischen Ästhetik des Kinos und als Abgrenzung zu anderweitigen Veröffentlichungsformen zu werten sein dürfte. Die Verneigung, die hier vor dem Kino als Institution und als Kunstform stattfindet, sollte also keineswegs verengt auf die inhaltliche Ebene, sondern durchaus auch im Rahmen eines gesamtheitlichen Konzepts betrachtet werden. 'Empire of Light' funktioniert allerdings auch losgelöst von derlei Stilfragen und abseits der Metaebene als reines Beziehungs- und Lebenskrisedrama.
KURZFAZIT
Sam Mendes verwebt Phänomene der Filmkultur und des alltäglichen Lebens zu einem cineastischen Liebesbrief an das Medium seiner Wahl.
Nachdem bereits eine erkleckliche Anzahl an Filmproduktionen über die Geschichte des Gangsterpärchens Bonnie & Clyde auf dem Markt kursiert, dürfte es mit jeder weiteren Veröffentlichung schwerer fallen, Facetten abzudecken, die doch nicht ganz so bekannt sind wie der „Hauptstrang“ der Biographien der beiden Räuber. Dementsprechend stellt Regisseur John Lee Hancock die beiden betagten Ermittler Frank Hamer und Maney Gault in das Zentrum seiner Erzählung, während die beiden Verbrecher und Stilikonen eher Randerscheinungen darstellen. Eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung in Zeiten, in denen nicht wenigen Serienmördern auch regelrechte cineastische Denkmäler gesetzt werden. Hier hingegen beginnt die Geschichte (nach einem kurzen Prolog) mit Frank Hamer (Kevin Costner), der seine Ehefrau und sein Haustier (ein Schwein) zu Hause zurücklässt, um gemeinsam mit seinem ehemaligen Kollegen, Freund und Kontrahenten Maney Gault (Woody Harrelson) den berühmt-berüchtigten Delinquenten quer durch mehrere US-Bundesstaaten zu folgen.
Mit ruhiger Hand und klarer Fokussierung auf den Aufbau einer angemessenen Atmosphäre passt sich der Stil der Regie dem Alter der beiden Protagonisten an und nimmt sich ausreichend Zeit, sowohl die Hauptcharaktere als auch einige relevante Aspekte des Kriminalfalls dem Publikum näherzubringen. Da die beiden naturgemäß den Gewalttaten hinterherlaufen (müssen), fällt die Bebilderung der Gewaltspitzen eher moderat aus. Leichen pflastern eben buchstäblich den Weg der flüchtigen Verbrecher - und wenn das Publikum an die jeweiligen Gewalttaten herangeführt wird, haben diese in der Regel bereits stattgefunden.
Aus dieser Mischung resultiert ein Kriminalthriller, der auch deutliche Züge eines Dramas trägt. Schließlich geht es nicht nur um den hinlänglich bekannten Kriminalfall an sich, sondern zu guten Teilen auch um das Zusammenspiel der beiden erfahrenen und (vielleicht auch deshalb) schrulligen Ermittler und ihre Methoden. Offen bleibt am Ende jedoch die Frage, was eigentlich aus Frank Hamers Schwein wurde. Aber vielleicht wird dessen Verbleib ja eines Tages in einer anderen Verfilmung geklärt.
KURZFAZIT
Bedächtig inszenierte Mischung aus Kriminalthriller und -drama.
Oscar Madness Film 331 (1 Auszeichnung, 4 weitere Nominierungen)
++ Einhält leichte SPOILER ++
'Black Panther: Wakanda Forever', eine weitere Episode aus Disneys erfolgreicher Reihe „Aristokraten retten die Welt“. Während in der Animationsfilmsparte des Mauskonzerns bislang Prinzessinnen und Prinzen (und gelegentlich auch Könige) für den Kampf gegen das Böse zuständig sind, und im Marvel Cinematic Universe Superhelden derlei Aufgaben übernehmen, wächst in der 'Black Panther'-Reihe konsequenterweise zusammen, was zusammengehört und ProtagonistInnen, die Thronfolger/in und Superheld/in zugleich sind, stellen sich dem Kampf gegen ihre Widersacher. Eine klare Rollenverteilung gibt es nur bedingt. Vielmehr streiten ein von Nationalismus geprägter Phantasiestaat und eine im wahrsten Sinn des Wortes untergegangene Zivilisation, deren Mitglieder nahezu jeglichen Gesetzen der Physik und Biologie trotzen, über die Kontrolle eines Rohstoffes, der als unabdingbar für die Produktion bestimmter Waffen gilt. Die Vereinigten Staaten von Amerika sollen dabei außen vor bleiben – und der Rest der Welt sowieso.
So unkonventionell – und in manchen Aspekten auch fragwürdig – dieses Konstrukt auch sein mag, immerhin bietet es die Gelegenheit zu einer Geschichte, die man in der Form im MCU noch nicht gesehen hat. Wirklich genutzt werden die Möglichkeiten, die diese Prämisse mit sich bringt, jedoch nicht. Stattdessen beginnt die Erzählung mit einer halbherzigen Verabschiedung von Black Panther (respektive Chadwick Boseman), ehe sich das Drehbuch einer Bedrohungssituation widmet, deren Klärung die amtierende Königin und die Prinzessin selbst in Hand nehmen. Das Delegieren von Aufgaben scheint in Wakanda verpönt zu sein, also begeben sich die beiden Damen höchstpersönlich auf diverse Verhandlungs-, Aufklärungs- und Rettungsmissionen. Von allen Konzeptionen, die das Action- und Superheldengenre aus den letzten Jahrzehnten hergeben, halten die Autoren also offenbar die Grundidee von Filmen wie 'Big Game' oder 'Pixels', in denen Staatsoberhäupter höchstselbst gegen ihre Feinde in den Kampf ziehen, für ganz besonders nachahmenswert. Um dem ganzen Treiben noch die Krone aufzusetzen, weist die schludrige Inszenierung eine Reihe von Goofs auf, während einige Charaktere eine fragwürdige Entscheidung nach der anderen treffen. Kurz bevor erneut an Bosemans Version des Black Panther erinnert wird, findet selbstverständlich noch ein Endkampf statt, der sich – in Bezug auf die Kampferfahrung - mit einem Kräftemessen zwischen einem langjährigen Boxweltmeister und einem schmächtigen Trainingsanfänger vergleichen lässt. „Überraschenderweise“ gestaltet sich dieser weitaus offener als man gemeinhin erwarten würde...
Zwei deutschen Filmfördereinrichtungen sind derlei Fragen egal; schließlich haben diese – wie bereits bei vielen anderen Produktionen von Marvel – auch hier bereitwillig ihre Schatulle geöffnet. Auf die Schulter klopfen können sie sich immerhin für die Realisierung einer recht aufwändigen Ausstattung des Filmes. Zwar wirken die Masken, Frisuren und Kostüme so, als hätten die jeweiligen Gestalter darum gewettet, wer in seinen Entwürfen die meisten Klischees mit Bezug zu Afrika einarbeiten kann; auf der anderen Seite muss man ihnen jedoch auch einen großes Maß an Kreativität und Detailverliebtheit zugute halten, was wohl auch den Ausschlag für die Oscarnominierungen in den beiden Kategorien (bzw. die Auszeichnung in der Kategorie Bestes Kostümdesign) gegeben haben mag. Weitere Nominierungen kann die Crew von 'Black Panther: Wakanda Forever' den Sparten Beste visuelle Effekte und Bester Filmsong ('Lift me Up' von Rihanna) verbuchen. Angela Bassetts Nominierung scheint, wie es schon mehrfach in der Nebendarstellerkategorie zu beobachten war, ganz besonders auf einer flammenden Rede zu basieren, die sie im Rahmen einer der Szenen hält, in der die von ihr verkörperte Filmfigur mit viel Herzblut ihren Standpunkt klarmacht.
KURZFAZIT
Offenbar hastig realisierte Fortsetzung, deren Skript selbst für Disney-Verhältnisse erstaunlich grobschlächtig erscheint.
Oscar Madness Film 330 (1 Nominierung)
Der Titel von Santiago Mitres oscarnominiertem Justizdrama 'Argentinien, 1985' weckt nicht zufällig Erinnerungen an Adrián Caetanos Thriller 'Buenos Aires 1977', der sich vorrangig mit den Gewaltexzessen der argentinischen Militärdiktatur befasst. Zwei Jahre nach dem Ende der Junta steht schließlich eine juristische Aufarbeitung der Geschehnisse im Raum, deren Zustandekommen jedoch von mehreren Seiten massiv behindert wird. Erzählt wird hier die Geschichte des leitenden Staatsanwalts, der mehreren Todesdrohungen zum Trotz das Gelingen der Gerichtsverfahren, die sich grob an den Nürnberger Prozessen orientieren sollen, vorantreibt.
So bedeutsam und spannungsgeladen die Thematik auch sein mag, das Drehbuch und dessen Inszenierung fallen umso nüchterner aus. Zwar lässt sich konstatieren, dass einige gängige Elemente zur Verkitschung (wie etwa Personalisierung, Emotionalisierung oder Psychologisierung) sowie diverse formelhafte Bausteine des Drehbuchschreibens (Heldenreiseprinzip, Punkt der Hoffnungslosigkeit im vierten Akt usw.) auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben, doch auf der anderen Seite wird auch höchst sparsam mit Informationen umgegangen, was dazu führt, dass einige Facetten der Handlung eher nebulös erscheinen. Beispielsweise wird zwar das Ausmaß der Gräueltaten anhand von exemplarischen Erzählungen angerissen, doch über die Verteilung der Verantwortlichkeiten schweigt sich das Drehbuch weitgehend aus. Eine Reihe von Generälen und sonstigen ehemaligen Verantwortungsträgern sitzt auf der Anklagebank, doch es wird vorausgesetzt, dass das Publikum bereits über die entsprechenden Vorkenntnisse verfügt, welchem der Beschuldigten welche Rolle zur Zeit der Militärdiktatur zukam, welche Taten in wessen politischem Verantwortungsbereich liegen und wie die jeweils persönliche Rolle der Akteure innerhalb der Führungsstruktur einzuschätzen ist. Für ein einheimisches Publikum oder promovierte (wenn nicht gar habilitierte) Regionalwissenschaftler mag das vielleicht noch zu leisten sein, aber als europäischer Durchschnittszuschauer kann man an derlei Anforderungen eigentlich nur scheitern. Dadurch kann sich am Ende durchaus der Eindruck einer zwar höchst relevanten Thematik einstellen, deren Konzeption der Erzählung aber dazu führen kann, dass nicht bei allen Zuschauern die gewünschte Effekte erzielt werden.
KURZFAZIT
Betont nüchterne Verfilmung eines bedeutsamen Stücks Zeitgeschichte.
Oscar Madness Film 329 (1 Nominierung)
Die Ostukraine in den Jahren 2019 und 2020. Rund fünf Jahre nach der verheerenden Eskalation der Gewalt im Donbass besucht Filmemacher Simon Lereng Wilmont ein Kinderheim in Luhansk, das als temporäre „Auffangstation“ für Kinder in verschiedensten Problemsituationen fungiert. Für die Dauer von maximal neun Monaten können diese dort unterkommen, ehe sie an eine andere Bleibe vermittelt werden. Infrage kommt dabei ebenso eine Rückkehr zu den leiblichen Eltern oder anderen Familienangehörigen wie die Vermittlung zu Pflegeeltern oder die „Versetzung“ in ein staatliches Internat. Das Problem an der Sache ist in vielen Fällen jedoch, dass die leiblichen Eltern oft keinerlei Interesse an einer Rückholung zeigen und oftmals weder ihr Besuchsrecht noch Termine beim Jugendamt wahrnehmen. Teilweise werden noch nicht mal Einschreiben der Behörden vom örtlichen Postamt abgeholt. In vielen Fällen spielt Alkoholismus eine wesentliche Rolle und nicht wenige der Eltern sollen früher selbst in einem derartigen Heim gelebt haben, weil auch deren Eltern sich nicht um ihren Nachwuchs kümmern wollten.
Wilmont macht in seiner 2023 für einen Oscar nominierten Dokumentation 'A House Made of Splinters' ganz bewusst einen weiten Bogen um die politische und militärische Situation im Donbass und fokussiert sich ausschließlich auf den Mikrokosmos des Kinderheims. Politische Diskussionen über diese Produktion erübrigen sich also von selbst. Stattdessen werden exemplarisch anhand von vier Einzelschicksalen verschiedene Verläufe aufgezeigt, die den allermeisten Kindern in Heimen wie diesem bevorstehen. Schnell wird dabei klar, dass der bestmögliche Verlauf in vielen Fällen zwar durchaus eine Rückkehr zur Familie sein kann, aber nicht zwingend zu den Eltern, sondern oftmals eher zu denjenigen Angehörigen, die auch tatsächlich die Motivation und das Verantwortungsbewusstsein mitbringen, sich angemessen um die Kinder zu kümmern. Die Vermittlung zu einer Pflegestelle scheint einer reinen Lotterie zu gleichen. Nach einem kurzen Kennenlerntermin soll das Kind sich entscheiden, ob es bei den Interessenten leben möchte. Welche Zukunft ihm dort bevorsteht, erscheint völlig offen. Erschwerend hinzu kommen die höchst prekäre sicherheitspolitische Lage sowie das enorme Ausmaß an Zerstörung in dieser Region. Waffen verletzen die Einwohner von außen und der Alkohol greift nicht wenige von ihnen von innen an. Eine denkbar schlechte Ausgangslage für SozialarbeiterInnen, ErzieherInnen und Eltern - und für die Kinder sowieso.
Nach der russischen Invasion im Februar 2022 wurde das Kinderheim geschlossen und die Kinder wurden in westlichere Teile der Ukraine evakuiert.
KURZFAZIT
Erschütternde Schicksale in einer ohnehin schon von großem Leid geplagten Region.
Oscar Madness Film 328 (3 Nominierungen)
„Honey, you don't become a star. You either are one or you ain't.“ (9:10)
Die späten 1920er und frühen 1930er Jahre: Eine ganze Branche befindet sich in einem radikalen Umbruch. Die Stummfilmära neigt sich ihrem Ende entgegen, während die Akteure des Tonfilms nach und nach den Markt erobern. Zahlreiche kometenhafte Aufstiegsgeschichten werden geschrieben und der Grundstein für die wohl schillerndste Ära des Studiosystems wird gelegt. Doch Damien Chazelle ('Whiplash', 'La La Land') interessieren derlei Gewinnergeschichten nicht; zumindest nicht im Zuge seiner Inszenierung von 'Babylon – Rausch der Ekstase'. Stattdessen konzentriert er sich dabei vorrangig auf einen Star des Stummfilmkinos (Brad Pitt), dessen erfolgreichste Karrierephase sich dem Ende zuneigt sowie auf zwei weitere Charaktere (dargestellt von Margot Robbie und Diego Calva), die zu einem persönlichen Höhenflug in einem sterbenden Sektor ansetzen. Wohin kann das führen? Zu einer Aufstiegsgeschichte gegen den allgemeinen Trend oder zu einem tragischen Ende? Chazelle lässt sich über drei Stunden Zeit, um die Wege der besagten Protagonisten nachzuzeichnen und sie mit allerlei kleineren Schicksalen links und rechts der Wege des besagten Trios anzureichern.
Die besagte Vielschichtigkeit aus Glanz und Verfall trifft nicht nur auf Hollywoods Mikrokosmos zu, sondern auch auf die gesamtwirtschaftliche Lage Amerikas – und im Grunde auch der ganzen Welt. Während die Great Depression 1929 mit voller Wucht zuschlägt, werden im Umfeld der Filmbranche jedoch weiterhin rauschende Parties gefeiert. Das in einer beispiellosen Transformation befindliche System hat sich offenbar komplett von seiner Umwelt entkoppelt. Hier wiederum nimmt Chazelle die Exzesse in den Fokus, während die wirtschaftlich prekäre Situation vieler Menschen in seiner Inszenierung nur am Rande eine Rolle spielt (beispielsweise in einer kurzen Bebilderung der Wohnsituation der beiden zunächst aufstrebenden Protagonisten). Passend zur Gegenüberstellung von Gegensätzen, einer klassischen Technik vieler expressionistischer Schriftsteller, fokussiert sich also auch Chazelle auf die Extreme an beiden Enden der Skala. Daraus entsteht eine Mischung aus Sittengemälde, Kulturbetrachtung, Biographie und selbstreferenzieller Betrachtung der eigenen Zunft aus der Perspektive Hollywoods, die regelmäßig durch satirische Einschübe, kokett zur Schau gestellte Skurrilitäten oder maßlose Übertreibungen durchbrochen wird.
Ganz besonders stilprägend wirken dabei Kamera und Schnitt, die von einer Vielzahl ausgeklügelter Plansequenzen und einer sorgsam komponierten Montage gekennzeichnet sind. Im Bereich der (oscarnominierten) Filmmusik dominiert eine ähnliche Mixtur aus völlig unterschiedlichen Polen. Auf der einen Seite stehen zwei musikalische Themen, die die gesamte Handlung begleiten, jedoch einem stetigen Wandel unterliegen. Während anfangs Harmonien dominieren, schleichen sich im weiteren Verlauf zunehmend modernere Stilelemente, aber auch Dissonanzen und Brüche mit ein. Auf diese Weise wird der erodierende Status des Stummfilmkinos also auch regelrecht hörbar gemacht. Ähnliches gilt für den Bereich des Tons. Besonders sticht hier die Art und Weise der Akzentuierung einzelner Schallquellen aus einer regelrechten Flut an Tonquellen heraus. Auf Feiern werden beispielsweise bestimmte Instrumente oder Stimmen hervorgehoben, was grundsätzlich natürlich den gängigen Gepflogenheiten der Filmbranche entspricht. Doch die Verantwortlichen folgen hier einer anderen Herangehensweise, indem in Abstimmung mit der Kamera gewissermaßen auch die „Tonschärfe gezogen“ (und nicht einfach durch Schnitte reguliert) wird.
Abschließend zurück zur visuellen Gestaltung der Verfilmung. Durch das Szenenbild und das Kostümdesign (beide ebenfalls oscarnominiert) wird hier eine vielschichtige Welt geschaffen, die sich als Melange aus Luxus, Dekadenz und Entrücktheit präsentiert, während die privaten Wohnverhältnisse einiger Figuren eher eine Geschichte der Verelendung erzählen. Hollywood lädt eben nicht nur das Publikum zu Eskapismus ein, sondern auch einige seiner maßgeblichen Akteure. Auch wenn einige Stars das Privileg haben, in luxuriösen Verhältnissen leben zu dürfen, sind viele andere dazu verdammt, ein tristes Dasein in ärmlichen Verhältnissen fristen zu müssen. Hollywood mag nach außen schimmern und glänzen, hinter den Kulissen kann es aber auch durchaus nach Fäulnis und Verfall stinken. Dass sich sein Befund nicht ausschließlich auf die Dekadenwende rund um 1930 beziehen soll, macht Chazelle in der finalen Szene deutlich klar, indem er einen cineastischen Bogen vom ausgehenden 19. Jahrhundert in die Gegenwart der Veröffentlichung von 'Babylon' (bzw. eine Klammer von Lumière und Méliès zu Spielberg und Cameron) spannt. Und wenn sie nicht gestorben sind (oder vom Sternenhimmel auf den schnöden Boden gefallen sind, auf dem sie sich eigentlich die ganze Zeit zuvor schon befunden haben), so feiern die Entrückten wohl auch heute noch.
6,5 – 7 Punkte.
KURZFAZIT
Ausschweifend, ekstatisch und exzentrisch. Willkommen in Chazelles Babelwood!
Oscar Madness Film 327 (1 Auszeichnung)
Wer sich nur kursorisch mit filmwissenschaftlichen Betrachtungen über indische Filme befasst, wird schnell merken, dass durch eine oberflächliche Beschäftigung mit der Thematik mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Daher werde ich mich in Bezug auf 'RRR' ganz bewusst nicht auf dieses Glatteis begeben und inhaltliche Aspekte weitgehend ausklammern. Nur so viel: Erzählt wird die Geschichte zweier Weggefährten, die unter kuriosen Umständen zueinander finden und durch mangelnde Kenntnis des bisherigen Lebensweges des jeweils anderen in ihrem Verhältnis zueinander die reinste Achterbahnfahrt erleben. Einer der beiden ist durch das Element Feuer gekennzeichnet, der andere durch Wasser. Beide Kategorien werden den gesamten Film über leitmotivisch eingesetzt auf verschiedene Weisen zueinander ins Verhältnis gesetzt.
In stilistischer Hinsicht erweist sich dabei ganz besonders die Cinematographie als betrachtenswert. K. K. Senthil Kumar greift dabei auf Versatzstücke aus den verschiedensten nationalen und internationalen (Sub-)Genres zurück. Egal ob Martial Arts, Spaghetti Western, Historien-, Kriegs- oder Tanzfilm: Die Vielfalt der visuellen Zitate ist bemerkenswert breit gefächert und hält eine große Zahl an Überraschungen bereit. Eingebettet in ein mitunter spektakulär gestaltetes, aber auch stark stilisiertes Szenenbild ergeben sich daraus Schauwerte, die sich nicht im Sinne einer bestimmten Stilrichtung einordnen lassen, sondern eher als Collage verschiedenster Einflüsse erscheinen.
Untermalt werden diese Bilder durch einen Score, der immer wieder höchst martialisch daherkommt, an mehreren Stellen durch moderne Elemente jedoch auch einen Bogen in die Gegenwart spannt. Die Geschichte der Emanzipation und des wirtschaftlichen Aufstiegs einer Nation ist eben auch viele Jahrzehnte später noch nicht abgeschlossen. Anerkennung findet 'RRR' im Rahmen der Award Season 2022 / 2023 unter anderem auch insofern, dass der Song 'Naatu, Naatu', der die Grundlage zur (einzigen wirklich relevanten) Tanzszene bildet, mit einem Oscar prämiert wurde.
Für bare Münze nehmen sollte man diese Räuberpistole, in die zahlreiche augenzwinkernd und bewusst überzogen dargestellte oder gar komödiantische Elemente eingestreut wurden, tunlichst nicht. Der Unterhaltungsfaktor steht hier eben ganz klar im Vordergrund – und speziell in dieser Hinsicht funktioniert die Inszenierung von 'RRR' durchaus gut.
KURZFAZIT
Episch, skurril, martialisch. Vielseitiger Trip in eine stark stilisierte Vergangenheit.
Filme wie 'I Remember You' (2017) können eigentlich nur aus Island stammen. Klassische Insellage fernab des Festlands, bizarre Naturlandschaften mit einer wundersamen Mischung aus Schönheit und Ödnis sowie ein breitgefächerter Glaube an verschiedene mythologische Phänomene als kulturelles Erbe bilden die Grundlage für Geschichten wie diese. Die Tatsache, dass es im Winterhalbjahr nur wenige Stunden am Tag wirklich hell ist, tut ihr übriges dazu.
Die Erzählung spielt sich in zwei Handlungssträngen ab: Ein Mann und zwei Frauen wollen ein abgelegenes Haus renovieren, während andernorts eine rätselhafte Serie von Todesfällen die Ermittler beschäftigt. Eines haben die maßgebliche Charaktere allesamt gemeinsam: Sie haben (im übertragenen Sinn) mit Dämonen zu kämpfen, die entweder ihrem Innersten oder ihrer Vergangenheit entstammen.
Die Inszenierung passt sich dem weitgehend tristen (um nicht zu sagen trostlosen) Setting an und bringt die Handlung betont ruhig und kühl dem Publikum nahe. Mitunter erscheint die Kälte aus Richtung Bildschirm oder Leinwand fast schon fühlbar. Nur bedingt Schritt halten kann jedoch das Drehbuch, das eigentlich nur eine Vielzahl altbekannter (und größtenteils bewährter) Handlungselemente aneinanderreiht. Zwar gibt es durchaus ein, zwei Überraschungen, spätestens bei der Auflösung werden jedoch wieder ausgetretene Pfade beschritten. Und so bleibt am Ende ein grundsolider Mysterythriller der ruhigen Art, dessen Sichtung zumindest für Genrefans Sinn machen dürfte.
5,5 Punkte mit leichter Tendenz nach oben.
KURZFAZIT
Ein Film wie eine Flasche Industriepils: Herb und kühl, aber inhaltlich gewöhnlich.
++ Leichte SPOLER ++
{Vor der Sichtung des Films: „Rebirth“ klingt unseriös. Danger, Danger!}
Ein Freund aus alten Tagen schenkt seinem Kumpel die Teilnahme an einem ganz speziellen Event. Fans von 'The Game' (1997) wissen, dass eine derartige Prämisse unweigerlich der Auftakt zu wundervollen Ereignissen bilden wird...
{Während der Sichtung des Films: Das ist unseriös. Oh, warte... Wird da vorne gefummelt?}
Angekommen an dem Ort, an dem die besagte Veranstaltung stattfinden soll, prasseln auf den Protagonisten zunächst viele Eindrücke, Worte und Gefühle ein; kurz darauf kommt alles, wie es offenbar kommen muss: Er realisiert, dass das Abenteuer längst begonnen hat und er nun wohl oder übel mitspielen muss. Viele Teilnehmer wären vermutlich schon im ersten Raum (nach der Gruppenversammlung), der an ein Kino erinnert, hängen geblieben und hätten dort erstmal einige Stunden verbracht. Nicht so der Protagonist, der im Zeitraffer durch die Szenerie wandert, die an das eine oder andere Horrormaze in einem Freizeitpark erinnert.
Karl Mueller erzählt in seinem Mysterythriller 'Rebirth' von einem erzwungenen Selbstfindungstrip, dessen Ende zynischer kaum sein könnte. Während zunächst die rätselhafte Konstellation und die fast schon morbide Atmosphäre zu überzeugen vermögen, verkommt die Handlung gegen Ende hin zu einer zynischen Farce. Dadurch entsteht zwar ein deutlicher Bruch mit dem vorherigen Geschehen, doch immerhin werden dadurch auch Möglichkeiten für ein paar satirische Spitzen eröffnet. In diesem speziellen Fall wäre sicherlich auch ein alternatives Ende interessant, in dem gewissermaßen das Gegenteil der präsentierten Geschehnisse erzählt wird. Doch immerhin weist auch der Schluss, der letztlich gewählt wurde, einen gewissen Reiz auf.
{Nach der Sichtung des Filmes... Ach, scheiß drauf! „Rebirth! Rebirth! Rebirth! Re...“}
KURZFAZIT
Mysterythriller mit überschaubarer Kreativität auf der einen, aber dichter Atmosphäre und einem gewissen Biss auf der anderen Seite.
PS: „Rebirth! Rebirth! Rebirth!“
Es wird mal wieder etwas Zeit für Ketzerei – auch auf die Gefahr hin, dass mir diese Wertung um die Ohren fliegen wird. :D
Eines ist klar: Viele von John Carpenters Filmen haben eine derart klare Handschrift, dass man die Urheberschaft auch dann erkennen könnte, wenn man nicht wüsste, wer dafür verantwortlich zeichnet. Ganz besonders die Filmmusik, aber auch der Erzählstil zaubern seinen Fans regelmäßig ein gewisses Carpenter-Feeling auf den Bildschirm. Im Fall von 'The Fog' kommen dazu noch ein paar liebevoll umgesetzte Effekte und eine Atmosphäre, die gerade in den 80er und 90er Jahren eine enorme Wirkung entfalten konnte. Aber darin liegt auch schon der untote Hund begraben. Auch wenn derlei Eindrücke und Wertungen immer subjektiv sind: Gealtert ist 'The Fog' in dieser Hinsicht bestenfalls mittelmäßig. Zwar entfaltet dieser Film nach wie vor einen schrulligen Charme, allerdings lebt dieser eher von seinen nostalgischen Komponenten als von seinem Gruselfaktor. Ganz gewiss gibt es unzählige schlechtere Horrorfilme, aber ob 'The Fog' ins alleroberste Regal der Horroklassiker gehört, ist dann doch eher Ansichtssache.
KURZFAZIT
Nostalgischer Horrortrip, der ein paar Jahrzehnte später überwiegend von seinem Retrofaktor lebt.