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Alle Kommentare von Jenny von T
"The Meyerowitz Stories" beginnt mit einem gestressten Adam Sandler, der in seinem PKW denkbar glücklos durch die New Yorker Rush Hour navigiert. Ein Parkplatz nach dem nächsten wird dem von ihm verkörperten Danny vor der Nase weggeschnappt, es ist eine Mischung aus Pech und eigenem Unvermögen hinterm Steuer. Nach vielen Minuten sowie einigen kleinen Wutausbrüchen später geht es schließlich doch kostenpflichtig ins Parkhaus. Damit haben wir direkt zu Beginn eine schöne Allegorie aufs Leben gesehen und danach wird es eigentlich nur besser. Also noch besser.
Zwei große Themen haben sich bei Noah Baumbach mittlerweile herauskristallisiert, die vielleicht aber auch einfach dasselbe sind: Familiäre Dissonanzen und die Sache mit dem Selbstwertgefühl. Tatsächlich brauchte es offenbar erst Adam Sandler und Ben Stiller, um es in einer Geschichte zu verpacken, die rundum funktioniert.
Was muss man tun, um geliebt zu werden und was, um sich wohl in seiner Haut zu fühlen? Meistens ist es nicht dasselbe. Schon jetzt im Oktober denke ich mit Grauen an Weihnachten, wenn wir alle unterm Weihnachtsbaum zusammenkommen und ich mir die üblichen Fragen anhören darf: Danach, warum ich noch immer keinen Mann habe, wo denn die Kinder bleiben und überhaupt. Dass es mir allein sehr gut geht und mir andere Dinge einfach wichtiger sind (also die Wahrheit), behalte ich lieber für mich, denn das versteht _niemand_.
Adam Sandler macht in "The Meyerowitz Stories" gewissermaßen ähnliche Erfahrungen. Er hat praktisch nie "richtig" gearbeitet, sondern ist seit der Geburt seiner Tochter, die nun aufs College geht, Hausmann. Das wiederum gefällt seinem Vater Harold, einem aufgeblasenen Bildhauer und emeritierten Kunstprofessor, gar nicht – dessen Lieblingssohn ist vielmehr Matthew, der irgendwas mit Immobilien macht und wenigstens gutes Geld verdient. Am Liebsten wäre es dem Patriarch, alle seine Kinder hätten denselben Berufsweg wie er eingeschlagen, aber man kann eben nicht alles haben.
Behutsam steckt Baumbach so die Eckpunkte eines klassischen Familiendramas ab, um sie dann aber sanft zu verwischen. Denn hier kommt es gerade nicht so, dass der Eltern-geschädigte Nachwuchs zwangsläufig dieselben Fehler wie die Generation darüber begeht. Im Gegenteil zeigt Danny aufrichtiges Interesse an seiner Umgebung – und obwohl es jeder Logik zu widersprechen scheint, liebt, respektiert und unterstützt er in Jackett und Shorts sogar seinen Vater noch immer, trotz Millionen kleiner Alltags-Demütigungen, die sich in seiner Seele stapeln müssen. Gescheitert (zumindest als empathisches Individuum) ist da eher schon – ausgerechnet – Matthew. Also der, dem alle Zuneigung galt. Irrwitzigerweise hasst Harold Matthew übrigens auch ein bisschen, weil sein relativ vermögender Sohn ihn insoweit "überholt" hat. Generell ist Erfolg und Misserfolg in "The Meyerowitz Stories" aber mehr denn je bei Baumbach eine Frage der Perspektive, die der Zuschauer mit sich selbst klären darf.
Ob die titelgebende Familie am Ende näher zusammen oder weiter auseinander gerückt ist, darüber jedenfalls kann man lange nachdenken. Ich persönlich denke gerade nur an den Moment im Film, als Sandler und Stiller gemeinsam unbeholfen ein Auto demolieren und wie ich dabei so belustigt und im Kontext der Szene zugleich auch so ergriffen war wie selten in diesem Kinojahr. Ein großes Vorbild von Baumbach ist bekanntlich Woody Allen – ich kann mir vorstellen, der würde applaudieren.
Es ist auf jeden Fall hilfreich, sich vor dem Kinobesuch von "Blade Runner 2049" noch einmal mit dem Original zu beschäftigen. Denn viel besser werden Filme einfach nicht mehr. Bei Ridley Scott präsentiert sich das Los Angeles des Jahres 2019 einerseits als verregneter Moloch, andererseits aber auch als faszinierender Ort, an dem verschiedenste Kulturen zu einem gewaltigen Mysterium verschmolzen sind. Die Grundstimmung ist trüb und melancholisch, doch am Nachthimmel funkelt auch ein kleiner Stern der Hoffnung – nämlich dann, wenn die Frage nach dem, was uns eigentlich ausmacht, alles überstrahlt und sogar die aufgewühlten Figuren für einen Augenblick (oder für immer) zur Ruhe kommen lässt.
Umso größere Probleme habe ich nun mit dieser Fortsetzung von Denis Villeneuve, denn obwohl "Blade Runner 2049" die Ideen des Originals aufgreift bzw. recht konsequent in eine noch fernere Zukunft transportiert – tatsächlich verschwimmen die Grenzen zwischen Echtem und Künstlichem auf Handlungsebene jetzt nicht mehr bloß sinnbildlich –, geht von diesem Film kaum etwas Menschliches aus... und darum versagt er für mich. Wenn Rick Deckard und Rachael sich 2019 begegnen und er sie dem Voight-Kampff-Test unterzieht, brennt die Leinwand lichterloh, bei Villeneuve dagegen zucke ich nicht einmal mit der Wimper, wenn jemandem unvermittelt eine einsame Träne über die Wange läuft.
Woran das liegt: Zwar passt die Geschichte des Films eigentlich auf einen Bierdeckel, wird aber künstlich gedehnt, sodass auch die Charaktere mit ihren Motivationen zusehends zerfasern – und das alles für ein paar nur bedingt homogene Drehbuch-Wendungen, die stets zu spät kommen. Lebendiger wird "Blade Runner 2049" auch nicht durch seine Darsteller, denn dies ist wieder einer dieser Filme, in denen Ryan Gosling – ihm gehören gefühlt 90 Prozent der Screentime – einen einzigen Gesichtsausdruck abruft und sich beinahe selbst in den Schlaf spielt. Manche Figuren erschienen mir außerdem wie reine Plot-Vehikel. Robin Wright z.B. hat verständlicherweise vielleicht gar nicht genau verstanden, was sie hier überhaupt soll und so präsentiert sie einfach eine weniger subtile Variante von Claire Underwood (mega sexy ist sie dabei trotzdem). Jared Leto entwickelt sich derweil fröhlich zu einem großen Method-Acting-Missverständnis, aber immerhin darf man davon träumen, was David Bowie aus seiner Rolle gemacht hätte. Gut gefiel mir Dave Bautista, der hielt, was er schon im Kurzfilm "2048: Nowhere to Run" versprach. Schade, dass ihm bloß ein kleiner Auftritt vergönnt ist.
Wenn also Ridley Scotts Meilenstein von 1982 ein Stern war, würde ich "Blade Runner 2049" mit einer beleuchteten Werbetafel vergleichen. In beiden Filmen sind es Erinnerungen, die den Weg weisen, doch der eine hat die Seele und der andere nur die stylischen Klamotten. Meine persönlichen Erinnerungen an das Original tausche ich daher gegen nichts auf der Welt ein, hier aber lasse ich mit mir verhandeln.
Ist es unmöglich, Stephen Kings Mammutwerk "Es" standesgemäß zu verfilmen? Ich will es nicht recht glauben. Ein sehr kluger Mann sagte schließlich einmal sinngemäß: "Alles, was gedacht und aufgeschrieben werden kann, kann auch bebildert werden." Doch dieser Versuch von Andy Muschietti ist leider sehr weit entfernt vom großen Wurf – wo sich die Leinwand-Adaption von 1990 den Vorwurf gefallen lassen musste, in mehr als 3 Stunden Laufzeit zu viel zu wollen, ist es hier vor allem der Mangel an Mut und Ambition, der enttäuscht.
Marktstrategisch war es sicher klug, die Protagonisten der Vorlage erst einmal nur als Kinder zu zeigen, denn so steht die Tür für ein mögliches Sequel – und das wird garantiert kommen – von Anfang an weit offen. Die Umsetzung allerdings ist äußerst unbefriedigend geraten, denn als Coming-of-Age-Film überzeugt die 2017er-Version nur sehr vereinzelt und als allgemeingültiges Schauermärchen über innere Dämonen auf Lebenszeit versagt die Neuauflage sogar komplett. Echter Grusel nämlich will überhaupt nicht aufkommen – ziemlich doof bei einem Horrorfilm (und ich gehöre tendenziell zu denen, die sogar vor ihrem eigenen Schatten davonlaufen würden). Zwar kann sich "Es" eine solide Inszenierung mit ein paar ansprechenden visuellen Ideen auf die Fahnen schreiben, ein überpräsenter Pennywise erweist sich aber als ziemlich kontraproduktiv und nimmt dem Schrecken seinen Schrecken.
Über die einzelnen Kids erfährt man insgesamt nur sehr wenig. Meistens müssen Außenseiterklischees herhalten, weshalb es zumindest mir recht schwer fiel, die Ängste der Schüler überhaupt emotional nachzuvollziehen – und letztlich mit ihnen Angst zu haben. Das Zusammenwachsen der Clique ist mitunter feinfühlig dargestellt, der Einzelne hingegen bleibt dabei auf der Strecke. Die Fortsetzung wird daher in Sachen Figurenarbeit einiges auszubaden und insbesondere den Widerspruch aufzulösen haben, dass "Es" sich mit seinem – in Anbetracht der Ausgangslage – maximal versöhnlichen Ende irgendwie schon abgeschlossen anfühlt (Irritationen umschifft der Film so sicher wie Klein Georgies Papierkonstruktion im Kanal landet), obwohl man jetzt schon weiß, dass der böse Clown nach Derry zurück kehrt.
Ist das Setting einfach nur zufällig in den 80ern angesiedelt, obwohl Kings Roman 30 Jahre früher spielt? Ich denke nicht und vermute, man setzt ganz bewusst auf die Nostalgie-Erfolgstaktik à la "Stranger Things". Das mag an den Kinokassen super aufgehen, ein Jahrhundertwerk ist der Knöpfedrücker damit allerdings noch lange nicht – das Buch z.B. hat ein bisschen mehr zu bieten als eine kuschelige Gemeinsam-sind-wir-stark-Botschaft. Deshalb: Stattdessen lieber mal wieder „Stand By Me“ schauen!
Dass Burger King den Film offenbar verbieten lassen will, finde ich übrigens traurig und ironisch zugleich... denn "Es" hatte ich fast noch schneller verdaut als ein Menü von McDonald's.
Wir sind früher einige Male umgezogen, aber nur an ein Haus, in dem ich lebte, habe ich besondere Erinnerungen. Es war ein ziemlich großes Gründstück mit Terrasse, einem Abhang und einem Blumenbeet dazwischen. Einmal bekamen wir zur Sommerzeit abends für eine Weile Besuch von einem Igel, dem ich ein kleines Schälchen mit Milch hinstellte – und tatsächlich sah ich am nächsten Tag, wie er aus dem kleinen Busch hervor kroch und sich gemütlich daran zu schaffen machte. Ich saß da und traute mich kaum, zu atmen, weil ich ihn um keinen Preis verschrecken wollte. Ich war so stolz, etwas für ein anderes Lebewesen getan zu haben. Seitlich verbanden Steinplatten den vorderen mit dem hinteren Bereich des Hauses und nochmal seitlich von diesen reklamierten ein paar mächtige Bäume ihren Platz, in deren Schatten ich in den warmen Jahreszeiten viele Stunden mit Murmelspielen zubrachte. Ich gehörte zu den Kindern, die sich ganze Nachmittage damit beschäftigen konnten, noch heute spüre ich das dichte weiße Netz, in dem ich sie transportierte, zwischen meinen Fingern. Nach dem Abendessen dann handelte ich einen Deal mit meinen Eltern aus: Wenn ich nicht auf der Couch wegdöse, darf ich noch mit Fernsehen schauen. Das hat natürlich in null von zehn Fällen funktioniert und so endete es immer damit, dass meine Mutter mich irgendwann ins Bett trug, was mir im Halbschlaf aber nie entging. Der Weg ins Freibad führte über einen Feldweg, der sich prima mit dem Fahrrad bewältigen ließ – als ich an einem wirklich glühend heißen Tag wieder zu Hause eintraf, war meine Haut so rot wie eine Tomate und ich konnte mich vor Sonnenbrand-Schmerz kaum noch bewegen. Meine Lehrerin in der Grundschule hieß Frau Stein. In der allerersten Stunde brachte sie einen Stein mit, damit wir uns ihren Namen schnell merken. Kurzum: Es war eine Zeit voller Alltagswunder, an die ich gerne zurückdenke. Seit wir weggezogen sind, phantasiere ich oft, irgendwann wieder nach Franken zu ziehen – vielleicht gibt es noch schönere Orte auf der Welt, aber eben keinen, den ich sonst besten Gewissens Heimat nenne. Funktioniert jedenfalls hat mein geheimer Plan bis jetzt überhaupt nicht, denn erst landete ich ganz im Westen Deutschlands und aktuell wohne ich nun in Berlin. Wo ich nach meinem Tod hinkomme, weiß ich nicht, aber dieses Fleckchen von damals wäre nicht das Schlechteste.
In "A Ghost Story" ist Casey Affleck so stark einen Ort gebunden, dass er als Mensch und Geist insgesamt zig, vielleicht sogar hunderte Jahre dort verbringt. Allerdings ist das für ihn nicht unbedingt angenehm, denn er muss mit einem Bettlaken über dem Kopf als passiver Beobachter miterleben, wie auf "seinen" Quadratmetern Häuser gebaut und wieder abgerissen werden, Familien und Singles ein- und wieder ausziehen, laute Großstadt-Imperien entstehen, Worte verklingen. Die Zeit ist grausam, die Gesetze des Universums sind unbarmherzig. Am Ende ist es, als habe man mit dem Geist einmal den Planet umrundet, dabei hat er sich kaum fortbewegt. Noch recht zu Anfang wohnt im Haus nebenan ein anderer Geist, also ein Leidensgenosse, der angeblich auf etwas bzw. jemanden wartet... nur hat er schon vergessen, auf wen eigentlich.
Doch "A Ghost Story" ist konsequenterweise sehr wohl auch eine Liebesgeschichte, weil es einen ohne Liebe nirgendwo halten würde und sie das einzige ist, das uns – wenn auch bloß für einen Atemzug des Schicksals – über das Unausweichliche hinweg trösten kann. In Beethovens Symphonien, dem Geruch von Sommerregen, dem sanften Blick eines geliebten Menschen oder einer vermeintlich simplen Notiz, die nur für zwei Personen von Bedeutung ist.
In einer Szene liegt Rooney Mara, tief in Musik versunken, auf dem Boden und streckt ihre Hand aus, wobei sie – ohne es zu merken – _fast_ das Gewand ihres jetzt unsichtbaren und halb-jenseitigen, früheren Partners berührt. Ähnlich geht es mir vielen Erinnerungen, die sehr präsent in mir weiterleben, aber eben nur da. Immerhin bin ich mir nun sicherer als vorher: Das passt schon so.
Vor einigen Monaten spoilerte mir jemand "House of Cards" – nein, ich wusste wirklich nicht, dass Francis Underwood Präsident der Vereinigten Staaten werden würde, so sehr es sich im Hinblick auf die Ausrichtung der Serie vielleicht doch aufdrängt. Denn Underwood – sein Ruf eilt ihm voraus – ist zynisch, berechnend und verdammt intelligent. Schon in den ersten Episoden weiht er den Zuschauer in seine Philosophie ein: Macht bedeutet viel mehr als Geld. Aber gerade deshalb verstand ich sein erklärtes Ziel überhaupt nicht... schließlich hat man im Oval Office faktisch wohl weniger Einfluss als z.B. so mancher Lobbyist (wer etwas über westliche Demokratie lernen möchte, ist hier übrigens genau an der richtigen Adresse), den Kopf hinhalten muss man gegenüber der Weltöffentlichkeit hingegen für alles. Kein besonders dankbarer Posten also, wenn man es einmal so sieht. Ich dachte immer, US-Präsident werden entweder Wahnsinnige oder Idealisten, zumindest die letzten 100 Jahre scheinen darauf hinzudeuten. Frank Underwood jedoch fällt eigentlich in keine dieser Kategorien. Das heißt, ein kleines Bisschen wahnsinnig ist er natürlich schon, aber die Risiken, die er eingeht, sind zumeist kalkuliert. Und tatsächlich: Irgendwann in Staffel drei wundert er sich dann darüber, dass plötzlich alles so schwierig ist – gerade jemand wie er hätte es besser wissen müssen.
Abseits dessen aber begeistert mich "House of Cards" auf allen Ebenen. Kevin Spacey hielt ich bis vor kurzem für einen überschätzten Star, der bloß dieselbe Rolle in verschiedenen Variationen abspult – zugegeben ohnehin kein besonders fairer Vorwurf, vielen der Größten könnte man das vorhalten. Jedenfalls weiß ich es nun definitiv besser, denn hier ist er nicht weniger als eine Naturgewalt. Mit seiner Autorität und Willenskraft bindet Frank Underwood einen im Handumdrehen an sich, obwohl man das vielleicht gar nicht will. Das leicht prätentiöse Durchbrechen der Vierten Wand nervte mich anfangs noch ein wenig, doch Spacey erweist sich hier sogar als Herr der Stilmittel und nicht selten gefror mir das Blut in den Adern, als er mit eiskaltem Blick in die Kamera schaute, ich erwartete, dass er etwas sagt... und dann nichts kam.
Doch wie heißt es schön: Jeder Hauptdarsteller ist auch nur so gut, wie diejenigen um ihn herum – und deshalb kann (bzw. sollte) man eigentlich nicht über "House of Cards" reden, ohne Robin Wright zu erwähnen. Claire Underwood ist sanftmütig, steht ihrem Mann in Sachen Verschlagenheit manchmal jedoch in kaum etwas nach. Ihr Geheimnis habe ich nach drei Staffeln (ich freue mich schon auf den Rest) noch nicht entschlüsselt und ich habe keine Ahnung, ob es überhaupt eine Schauspielerin gibt, bei der Gegensätze so elegant nebeneinander existieren wie bei Robin Wright.
Wo "House of Cards" Thema ist, fragen sich die Leute oft zuerst, zu welchem Anteil die Serie noch Satire ist oder ob sie nicht vielleicht haargenau das politische Vakuum zeigt, in dem wir leben – doch so faszinierend und fesselnd die Ränkespiele zwischen den Underwoods und ihren Kontrahenten auch mit anzusehen sind, finde ich die Darstellung ihrer Ehe sogar fast noch gelungener. Hier nämlich haben wir es mit zwei Menschen zu tun, die es geschafft haben, auch nach beinahe 30 Jahren miteinander selbstständige Individuen zu bleiben. Darum sind Claire und Frank ein so unschlagbares Team, das man irgendwie auch entgegen jeglicher Moral gerne anfeuert. Sicher müssen daneben Momente stehen, in denen alles ins Wanken gerät, aber vor allem dann wird einem die Besonderheit dieser enigmatischen Bindung vor Augen geführt. In einer schwierigen Phase beispielsweise äußert Claire ihre Befürchtung, sie seien nun wie alle anderen und was sie damit meint, ist sonnenklar: Als kinderloses Paar haben sie es im Weißen Haus schwer und würde jemand erfahren, dass die beiden im Grunde eine offene Beziehung führen, wäre das wahrscheinlich der größte "Skandal" aller Zeiten. Die Underwoods selbst haben kein Problem mit ihrer unkonventionellen Liebe, weite Teile der Gesellschaft hingegen schon – wohl bei kaum einer anderen Serie bilden formale Strenge und freigeistige Sinnlichkeit einen so reizvollen Kontrast wie hier.
Sowohl Robin Wright als auch Kevin Spacey warten übrigens noch auf ihren ersten Emmy, auch 2017 wurde es wieder nichts. Fast wünscht man sich, Frank Underwood persönlich würde ein wenig nachhelfen.
Nachdem ich "mother!" nun ein paar Tage habe sacken lassen, erhöhe ich meine Wertung noch einmal um einen halben Punkt, denn obwohl ich mit Aronofsky meistens nicht viel anfangen kann, verfügt sein Neuester doch über einige Qualitäten, die nur schwer zu leugnen sind – selbst, wenn man sich (wie bekanntlich auch viele Kritiker bei der Premiere in Venedig) durch das tatsächlich äußerst streitbare und wohl etwas überambitionierte Ende des Films vor den Kopf gestoßen fühlt oder gar wutschnaubend das Kino verlässt.
Ohne zu viel zu verraten, ist "mother!" über weite Strecken eine beklemmende Lektion in Sachen home invasion. Hier beweist Aronofsky, dass auch einem betont visuellen Regisseur wie ihm ein paar überragende Schauspieler eigentlich genügen, um die Augen des Zuschauers an der Leinwand kleben zu lassen. Die Rede ist natürlich von Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Michelle Pfeiffer und Ed Harris – vor allem Erstgenannte hat wohl noch keinem Film so ihren Stempel aufgedrückt. Als junge Ehefrau hat J-Law in "mother!" das zerstörte Haus ihres Schriftsteller-Gatten mit eigenen Händen wieder aufgebaut und restauriert, was sie – beide Protagonisten sind namenlos – mindestens zur Co-Hausherrin macht. Eines Tages wird ihre Autorität allerdings auf eine harte Probe gestellt, denn mysteriöser Weise zieht das idyllisch gelegene Anwesen fremde Besucher an, immer wieder stehen ungebetene Gäste mit unklaren Absichten vor der Tür. Einerseits lodert in der Frau, die einfach nur ihre Ruhe will, das dringende Bedürfnis, die Leute möglichst stressfrei wieder wegzuschicken – dennoch bleibt sie freundlich, bewahrt entgegen ihren Instinkten Contenance und schlägt den mitunter ganz schön forschen Unbekannten keinen Wunsch ab. Lawrence spielt innere Erschütterungen überragend mit einem fürsorglichen Lächeln auf den Lippen weg, bis zur Panik sind es bloß Nuancen. Verwirrend in diesem Zusammenhang ist speziell auch das Verhalten von "ihm", der die Gefühle seiner Frau manchmal aus Boshaftigkeit (mindestens aber Ignoranz) zu ignorieren scheint, sich "ihr" in Momenten der Ruhe dann aber doch wieder verständnisvoll zuwendet.
Ich habe dieses leuchtende Damoklesschwert, das lange Zeit über dem Film hängt, sehr "genossen", was bestimmt auch damit zusammenhängt, dass ich mich in die weibliche Hauptfigur extrem gut hineinversetzen konnte. In früheren Kommentaren erzählte ich ja schon von meinem Autismus und wie ich allergisch auf kleinste Veränderungen jeder Art reagiere – das beginnt bereits damit, wenn zum Beispiel Gäste (auch ohne böse Absicht) Dinge in die Hand nehmen und sie dann an einer Stelle absetzen, wo sie nicht hingehören. Denn in meiner Wohnung hat alles System und wenn etwas durcheinander kommt, geht in meinem Kopf ein kleines Bisschen die Welt unter. Dass ich grundsätzlich nicht gerne Besuch unterhalte (Verwandtschaft eingeschlossen), sollte sich damit von selbst verstehen. Heißt also: "mother!" trifft einen empfindlichen Nerv bei mir, potentiell könnte es mein perfekter Schlafräuber sein...
... wäre da nicht ein großer Wermutstropfen. Denn leider gibt Aronofsky sich nicht damit zufrieden, einen stimmungsvollen, überdurchschnittlichen Genrefilm zu inszenieren. Nein, im finalen Drittel muss ein intellektueller Überbau her, und der ist es schließlich auch, der das Publikum gewaltig spaltet (bzw. noch spalten wird). Im Ergebnis steht "mother!" irgendwo zwischen – das Hommage-Poster lügt nicht – "Rosemary’s Baby" und "Noah", zwischen Gott, Ruhm und Teufel. Und das sind ziemlich große Distanzen, die nicht einmal Jennifer Lawrence überwinden kann. Das Herz rausreißen würde ich mir für sie spätestens nach dieser Performance aber trotzdem auch.
Es ist zwar ein bisschen prätentiös, einen Text mit einem Zitat einzuleiten, aber ich versuche es einmal:
»Ich finde, dass sich Beziehungen zwischen Menschen weitgehend durch Konflikte definieren. Wenn ich mich hinsetze und einfach etwas hinschreibe, ohne groß nachzudenken, dann wird da wahrscheinlich mehr von Konflikten die Rede sein als von Zuwendungen zwischen Menschen. «
Diese Worte stammen von Rainer Werner Fassbinder – ich habe es schon vor Jahren irgendwo gelesen, aber seitdem nicht mehr vergessen, weil er damit so präzise auf den Punkt bringt, wie auch ich die Realität sehe und obendrein, was für mich im Kern einen guten Film ausmacht. Denn wenn im Leben immer nur alles harmonisch verlaufen würde, hätte man wohl nichts, an dem man persönlich wachsen könnte und vermutlich wäre sogar die Kunst an sich einigermaßen überflüssig... was gäbe es über uns Menschen dann schon Spannendes zu sagen?
Doch natürlich liegen die Dinge nun einmal anders, weshalb wir uns an Regisseuren wie Trey Edward Shults erfreuen dürfen, der mit nicht einmal 30 Jahren bereits seinen zweiten hervorragenden Film vorlegt. Bohrte er mit seinem beeindruckenden Debüt "Krisha" noch tief in der verwundeten Seele einer trockenen Alkoholikerin, führt ihn seine Reise nun in die Mitte einer Mini-Gesellschaft, die gegen eine todbringende Seuche bestehen muss, sich nach und nach durch gegenseitiges Misstrauen aber auch mutwillig untereinander zerfleischt.
Wie es nur die besten ihrer Zunft tun würden, führt der Jungregisseur dabei nicht detailliert aus, wo diese Epidemie herkommt, die den 17-jährigen Travis bis in seine Träume hinein verfolgt – vielmehr verlaufen sich mögliche Erklärungen in den Tiefen des dunklen Waldes, der jene "Festung" dicht umschlingt, in der die Protagonisten Sicherheit und Zuflucht vor der schwarzäugigen Bedrohung suchen. Interessanterweise ist besagte Hütte immerhin groß genug, dass zwei Kleinfamilien darin Platz finden und schließlich auf mehreren Ebenen Isolation eintritt, zugleich aber drängt Shults den Zuschauer durch inszenatorisches Geschick in geradezu klaustrophobische Sphären – wenn also zum Beispiel jemand/etwas tot/schlafend auf dem Boden des Flurs liegt, ist die Aktionsfläche damit auch wirklich ausgefüllt.
"It Comes at Night" mag mit seinem Erforschen von Guppendynamiken im Angesicht einer äußeren Bedrohung grob in den Dunstkreis von Romero, Carpenter und anderen Genrefilmern aufsteigen, dennoch ist Shults' Lagebericht von einer ganz und gar genuinen Handschrift getragen. Sein Blick auf die Figuren ist ein zersetzender, aber auch ultimativ mitfühlender. Man könnte geneigt sein, zu glauben, einer Familie falle es nicht schwer, in höchster Not zusammenzustehen, hier aber greift jede Geste der Skepsis zwischen Hausherren und Gästen letztlich um sich wie ein unerbittliches Virus, und darum erschüttert das minimalistische Ende des Films auch bis ins Mark.
Zwar glaubt Patriarch Paul (hingebungsvoll verkörpert von Joel Edgerton), mit seinem strengen Zeit- und Aufgabenplan die gefährliche Situation bestmöglich unter Kontrolle zu haben, aber wie so oft im Leben rutscht irgendwann gerade auch der aus, der vermeintlich alles bedacht hat. Nur wenige Bilder jedenfalls haben mich in diesem Kinojahr so bewegt wie der Anblick eines Ehepaares, das einander gegenübersitzt und mit leeren Augen am jeweils anderen vorbei schaut.
Gar nicht so übel wie gedacht!
Der Film hat so manches Glaubwürdigkeitsproblem, was teilweise auf die Wahl der Darsteller sowie zum anderen auf das stellenweise sehr schludrige Skript zurückzuführen ist. Ich meine das nicht persönlich abwertend, aber ich nehme Anne Hathaway in der Rolle der Andy Sachs hier einfach nicht ab, dass sie noch nie den Namen "Gabbana" gehört hat. Auch schon vor der Wandlung der Hauptfigur zur karrierefixierten Fashion-Expertin kann sie sich eigentlich mehr als nur sehen lassen, trotzdem ist die junge Dame das Gespött des Büros ab der Sekunde, als sie zum ersten Mal die heiligen Hallen der etablierten Schickimicki-Zeitschrift "Runway" betritt (und ich muss es wissen, denn ich bin ein absoluter ein Mode-Noob und habe nach Karl Lagerfeld wirklich schon lange die Kontrolle über mein Leben verloren). Hier hätte man noch viel mehr Mut zeigen können und vielleicht sogar müssen. Kaum ernst zu nehmen ist daneben Sachs' Kollegin Emily (gespielt von Emily Blunt), die im Grunde bloß eine einzige Charaktereigenschaft besitzt, während Meryl Streep den Film immerhin praktisch im Alleingang zu einem vergnüglichen Ereignis macht, gleichwohl (oder gerade weil) die von ihr verkörperte Oberzicke Miranda Priestly natürlich auch nicht ohne Überspitzungen auskommt.
Was mir an "The Devil Wears Prada" aber gefällt, ist seine gar nicht mal so dumme Moral: Jeder ist für die Reize des Erfolgs und Geldes irgendwo empfänglich, am Ende allerdings erkennt die Protagonistin, wie sehr sie sich im neuen Job innerhalb weniger Monate von ihrem früheren inneren Ich entfernt hat – und damit vor allem, dass die wichtigen Dinge im Leben nicht mit Geld bezahlbar sind. Dabei hatte ich schon das Schlimmste befürchtet, schließlich scheint die einst so besonnene Andy zwischenzeitlich an einem Punkt angelangt, an dem sie für ihre hochnäsige Chefin Himmel und Hölle in Bewegung setzt (einmal organisiert sie für deren Töchter mithilfe einer "zufälligen" Männerbekanntschaft sogar das Manuskript des neuen Harry Potter-Bands, was einer dieser halsbrecherischen Drehbuch-Stunts ist, von denen ich oben sprach). Warum genau sie überhaupt so tief in die Hölle der Modewelt hinein gerät, formuliert der Film auch nur äußerst ungeschickt beziehungsweise gar nicht – ich vermute, es ist das eisige Charisma ihrer Vorgesetzten, das sie fasziniert... oder der Wille, es nach offensichtlichen Startschwierigkeiten allen zu beweisen.
Aber wie auch immer: Die Macher des Films stolpern zielsicher ins richtige Tor und am Ende stehen zwei Frauen, die sowohl einander als auch sich selbst respektieren, obwohl sie kaum unterschiedlicher sein könnten. Und das ist doch mal eine schöne Pointe, mit der ich bestens leben kann.
„Erschrecken“ im engeren Sinne verbinde ich eher mit dem, was zum Beispiel Jumpscares bezwecken, und die machen für mich keinen guten Film aus. Aber falls darunter auch „nachhaltig verängstigt“ oder „verstört“ fällt, würde ich „Burnt Offerings“ von Dan Curtis nennen. Dort gibt es eine Szene, in der der Protagonist so ein Zwischending zwischen Traum und Vision erlebt. Er erinnert (?) er sich an die Beerdigung seiner Mutter, bei der auch ein grinsender Chauffeur mit Sonnenbrille anwesend war. Eigentlich könnte es sich bei diesem um einen ganz normalen, freundlichen Mann handeln, doch der Zuschauer wird gezwungen, den Moment aus der Perspektive eines Kindes zu betrachten – und Kinder haben bekanntlich vor vielen Dingen Angst, weil sie einfach noch viel sensibler ihre Umwelt wahrnehmen. Also ist es für den Betrachter eben das Lächeln des Teufels und eben gerade nicht der vermeintlich irrationale Horror eines kleinen Jungen. Überhaupt weckt die Stimmung des gesamten Films bei mir Erinnerungen an einen häufig wiederkehrenden, Traum, den ich früher hatte und der davon handelte, dass unser damaliger Nachbar (ein sehr unscheinbarer und eben auch „netter“ Typ) mich mit einer Axt bewaffnet durch ein dunkles Kellergewölbe jagte. Damals war ich wohlgemerkt erst ca. 4 Jahre alt, in späten Teenager-Jahren kam der Traum sogar noch ein paar mal wieder. „The Shining“ traf schließlich ebenfalls einen Nerv bei mir, allerdings nicht unbedingt wegen der Axt. Hier war es vor allem die Szene, in der der Hotelflur mit Blut überschwemmt wird.
Für diese Show wurde die Einheit Pferdestärke erfunden, doch das offenbart sich erst nach und nach. Informiert man sich nämlich zunächst einmal nur oberflächlich über die Prämisse und die verschiedenen Charaktere, könnte man schnell zu einem Gähnen verleitet sein. Ein alkoholabhängiger, zynischer, einsamer, chronisch deprimierter Ex-Promi, der gelegentlich seine Agentin vögelt und irgendwie jeden um sich herum (meistens unabsichtlich) mit in den Abgrund reißt – ja, ja, gefühlt schon tausendmal gesehen. Aber bereits an diesem Punkt wird es interessant, denn genau das würde vermutlich auch BoJack Horseman über die Serie sagen. Er, der in den 90’ern das Aushängeschild einer erfolgreichen Sitcom war und dem Ruhm alter Tage auch mehr als 20 Jahre später noch nachhängt, weil er trotz Luxusbehausung inklusive eigenem Pool einfach nicht mehr auf die Beine kommt.
Die Gründe für sein "Scheitern" sind vielfältig menschlich und hängen natürlich unter anderem mit einer Filmindustrie zusammen, die mit dem Siegeszug sozialer Medien sogar noch oberflächlicher geworden zu sein scheint, während die Sensationsgier des Publikums stabil bleibt. In diesem System gibt es nur Verlierer – wer gerne berühmt ist, weil er am Ende des Tages einfach bloß aufrichtig geliebt werden will (also wahrscheinlich jeder), fällt auf die Schnauze, denn richtig kennen tut einen ja niemand dieser Leute, die einem auf dem roten Teppich zujubeln oder dich auf der Straße ansprechen. Andererseits trägt diese Last (in weniger epischer Form) aber auch jeder mit sich, der kein Star ist und es auch nie war. "BoJack Horseman" hätte eine Anklage gegen das verlogene Showbusiness werden können und ist doch so viel mehr.
Stundenlang erzählen möchte ich von dem Humor der Serie und ihrem Dialogwitz, der die Unterschiede zwischen albern und klug, Pferd und Katze aufhebt und der Depression so ein hübsches Kleid überstreift. Oder auch den vielen intelligenten Anspielungen auf filmgeschichtliche sowie zeitgeistige Phänomene. Das alles ist noch gar nichts gegen den Verdacht, dass die Macher unsere Welt mit ihren komplexen Eigenheiten einfach komplett verstanden haben (vielleicht erzählen sie deshalb nicht nur Menschen, sondern gleich auch mit Tieren). Zwar ist keiner der Protagonisten der Serie wirklich alt – BoJack mit Anfang 50 ist der älteste – und dennoch kriechen einige von ihnen (bildlich gesprochen) auf allen Vieren durchs Leben, das theoretisch noch immer viele Möglichkeiten für sie offen hält.
Ich selbst habe als mittlerweile 31-Jährige die Weisheit sicher auch nicht mit Löffeln gefressen, mich allerdings schon oft gefragt, ob es das nun schon gewesen sein soll. Wenn man Glück hat, hält man sich bis Mitte 20 ein paar Ideale warm, aber im Wesentlichen fühlt es sich ab etwa dieser Grenze so an, als würde man an den Ohren langsam über den Boden geschleift. Der Schmerz an sich könnte zwar schlimmer sein, aber er ist eben konstant, und darum tut es verdammt weh, je mehr Jahre ins Land ziehen. Dieses Gefühl verschlissener Träume habe ich noch nirgends so ausgedrückt vorgefunden wie in "BoJack Horseman". Eines Tages sagt man sich: "Ab heute wird alles anders!", um kurz darauf festzustellen, dass man wieder am Anfang steht und niemand anders sein kann als eben man selbst. Gerade die vermeintlich größten Narzissten (wie BoJack) trifft diese Tatsache am Härtesten. Überhaupt darum dreht man (wie BoJack) ja auch Sitcoms, in denen die Welt wenigstens einmal heil sein darf. Aber sogar die schaut heute bekanntlich keiner mehr.
– Eine Liebeserklärung –
Was heißt es, von etwas Fan zu sein? Bei mir bedeutet es nicht unbedingt, Schwächen und Unebenheiten blind zu ignorieren, sondern vielmehr, einen Film/eine Serie gerade auch trotz gewisser „Fehler“ zu lieben – weil er/sie eine Emotionen aus einem herauskitzelt, wie es auf dieselbe Weise keine andere Produktion schafft. „Game of Thrones“ ist für mich genau so ein Fall. Manchmal zum Beispiel ärgere ich mich darüber, dass wichtige Figuren über mehrere Folgen oder sogar Staffeln hinweg auf der Stelle treten, Handlungsstränge im Nirwana verschwinden und es sich anfühlt, als wüssten die Autoren einfach nicht mehr, wohin mit ihren vielen Charakteren, die alle Potenzial besitzen. Nach sechs Jahren ist die Serie außerdem in ihrer Dramaturgie, die konsequent nach fatalistischem Pay-Off strebt, mitunter sicher auch etwas durchschaubar geworden. Und dennoch: „Game of Thrones“ erinnert mich daran, wie ich als Kind große Abenteuergeschichten noch mit leuchtenden Augen verfolgen konnte, weil ich nicht alles hinterfragt habe und mir der (teils durchaus hinderliche) abgeklärt-kritische Blick eines „Cineasten“ noch denkbar fern war.
– Spoiler zu S07E04 –
Auch in der aktuellen siebten Staffel gibt es nun wieder Entwicklungen, die mich nicht zu 100% überzeugen, dann aber haut mich eine Folge wie „The Spoils of War“ umso mehr aus den Socken und ich merke, dass sich mit ein wenig Geduld häufig manches zufrieden stellend auflöst. Daenerys, die ich noch nie besonders mochte, ist mir gerade unsympathischer denn je, ungeachtet dessen aber finde ich es genial, wie in Bezug auf sie plötzlich sämtliche Türen gleichermaßen offen stehen: Ist die Dragon Queen die Mad Queen oder rettet sie mit ihren Feuer speienden Gefährten Westeros vor den White Walkers? Vielleicht sogar beides! Ihre Kontrahentin Cersei bewundere ich seit eh und je, denn im Mainstream-Bereich gibt es zur Zeit keine weibliche Hauptfigur, die auch nur ansatzweise so erfrischend destruktiv und voller Selbsthass ist wie sie (ja, Frauen sollten auch das sein dürfen und „Game of Thrones“ kennt in dieser Hinsicht zum Glück keine Tabus).
Allerdings würde ich hier nicht von einer Lieblingsserie sprechen, wenn es den Machern nicht auch hin und wieder gelänge, mich zu überraschen. Nach der neuen Episode merke ich wieder einmal, dass selbst die spektakulären Schlachtszenen nicht einfach bloß auf Krawall hinauslaufen, sondern die Figuren in solchen Situationen auf verschiedene Weise oft zu sich selbst finden. Bestimmt noch länger in Erinnerung bleiben wird mir das Bild von Söldner Bronn (wo steckte der die ganze Zeit?), wie er sich durch einen Regen aus Asche und Flammen kämpft, um schließlich für denjenigen sein Leben zu riskieren, mit dem er zuvor noch um eine blöde Burg feilschte, die nun so klein erscheint. Und ebenso Tyrion, der seinen Bruder Jaime im Getümmel entdeckt, was einem unvermittelt das Herz zerreißt, weil den Zuschauer mit einem Schlag (beziehungsweise: einem Blick von Peter Dinklage) eine Welle aus vergrabenen Erinnerungen an frühere Staffeln überrollt. Ja, er ist immer noch ein Lannister, woran Daenerys ihn sogar kurz zuvor erinnerte – es macht den Moment nicht unbedingt weniger überwältigend.
– Spoiler Ende –
Bei allem Hype um „Game of Thrones“ bemerke ich allerdings auch zunehmend, wie die Serie bei Westeros-Jungfräulichen Abwehrreaktionen und ostentatives Desinteresse hervorruft – ein Phänomen, das ich gelegentlich sehr wohl auch an mir selbst beobachte. Ein Format, das von (gefühlt) jedem vergöttert wird, kann eben nur schwer etwas taugen. Doch wenn ich für mich persönlich sprechen darf: Mit „Game of Thrones“ begonnen zu haben, zählt zweifellos zu meinen besseren Entscheidungen der letzten Jahre und ohne diese Serie, die ich für ihre Verbitterung genauso schätze wie für ihren Humanismus, wäre ich vermutlich noch viel mehr Kulturpessimist als ohnehin schon. Wann immer ich für ca. eine Stunde in ihre Welt eintauche, möchte ich nirgendwo anders sein. Was bleibt mir also zu sagen außer: Danke, dass ich staunen darf.
Ich ziehe meinen Hut vor Christopher Nolan. Beinahe scheint es, als habe er sich auf den Hosenboden gesetzt und knallhart Selbstanalyse betrieben. Dabei herumgekommen ist ein Film, der all das nicht mehr hat, was bei Nolan meistens in die Hose geht – also besonders klägliche Versuche einer Figurenpsychologie oder (mit Ausnahme einer Szene in INTERSTELLAR) generell alles, was mit Emotionen in Verbindung steht. Was Nolan aber liebt, sind "große" Bilder. Seine Hingabe fürs visuelle Erzählen ist seinen Filmen eigentlich stets irgendwo eingraviert, nur klammerte er sich in der Vergangenheit oft an übers Knie gebrochene Gedankenkonstrukte und eine In-your-face-Metaphorik, die leider einfach cheesy war (das Unterbewusstsein als Fahrstuhl usw., wir erinnern uns). Wie jemand, der so gerne will, aber vielleicht einfach nicht kann.
Nun, in DUNKIRK gibt es keine Symbole, keine Twists und keine Taschenspielertricks. Die drei Erzählebenen (The Mole/The Sea/The Air) "überraschen" nicht mit doppeltem Boden, sondern allenfalls damit, wie virtuos und schnörkellos sie miteinander verzahnt sind. Im Zusammenspiel dienen sie allein einer Sache: das Grauen des Krieges von allen Seiten und aus allen Himmelsrichtungen einzufangen. Schon der erste Trailer mit der Massenszene erinnerte mich an PRIVATE RYAN, beziehungsweise eher nur an dessen unerreicht bedrückende Eingangssequenz. Wenn DUNKIRK so gut werden würde, wie es bereits vor einigen Wochen aussah, wäre es eine verzögerte Wiedergutmachung für all das, was Spielberg in den restlichen zweieinhalb Stunden seines Kriegsfilms aus den 90'ern vergeigt hat. Nun ist es wirklich so passiert. Ich muss nicht wissen, wer genau diese vielen Soldaten in DUNKIRK sind, ich bin auch so bereit, 106 Minuten mit ihnen durch die Hölle zu gehen, oder eher: zu fliegen, zu laufen und zu schwimmen.
Nolan vertraut auf viele unverbrauchte Gesichter und die ungemein natürlich auftretenden Jungdarsteller um Fionn Whitehead schultern die Verantwortung, als wäre es das normalste der Welt, unter einem Regiestar seines Kalibers zu spielen. Auch sie tragen ihren Teil dazu bei, dass DUNKIRK etwas ganz Bemerkenswertes gelingt: Ein Gefühl von Zeit zu beschwören – nicht nur deshalb, weil auch das quälende Ticken einer Uhr auf der Tonspur nicht abbrechen will. Pilot Tom Hardy bleibt eine Stunde, den Truppen am Strand eine Woche. Aber im Krieg ist beides beschissen, weil Zeit auch nur bedeutet, dass man länger ausharren und zu jeder _Sekunde_ (*tick-tack*) den Tod fürchten muss, die Bedrohung allerdings dieselbe bleibt. Dabei ist DUNKIRK in seinen beunruhigenden Beobachtungen oft beiläufig, und wenn nicht, dann trotzdem präzise und kraftvoll wie eine Dampfwalze. Zum Beispiel dann, wenn ein Soldat bei hohem Fahrttempo mit einer Hand festgehalten wird, weil der gesichtslos bleibende Gegner (weniger ist mehr!) gerade abfeuert. Oder ein anderer sich unter Wasser die Ohren zuhält, während das Meer über ihm buchstäblich brennt. Ein Franzose, der den Pass eines toten Briten gestohlen hat und dafür später in Bedrängnis gerät, obwohl er auch nur gerettet werden will. Oder einer der drei britischen Flieger, der es nach einer Notlandung nicht schafft, aus eigener Kraft aus seinem Cockpit zu entkommen und beinahe ertrinkt.
Was mich an DUNKIRK aber am meisten beeindruckt: Er ist ein unmissverständliches "Nein!" zum Krieg, aber dabei ein ebenso klares "Ja!" zu Solidarität und Menschlichkeit. Hier haben wir einen traumatisierten Schiffbrüchigen, dem man verzeiht, obwohl er mindestens fahrlässig den Tod eines Teenagers verursacht. Letzterer wird schließlich in der Zeitung für seine Großtaten gepriesen, die es in Wahrheit gar nicht gibt – der Zuschauer, der die ganze Geschichte verfolgt hat, weiß das natürlich, versteht so aber auch das Aufbäumen des Films gegen sinnloses Sterben, gleichwohl er es nicht ändern kann. Nolan zollt jenen taktvoll Respekt, die versuchten, noch größeres Unheil abzuwenden, in welcher Form auch immer. Darin erkenne ich beim besten Willen keine "Kriegspropaganda". Privatsegler Mark Rylance, der viele gerettet hat, aber davon nichts wissen will, verschwindet glanzlos in der Menge, um ihn herum werden Leichen und Verletzte geborgen. Die Soldaten, die es am Ende nach Hause schaffen, verstehen auch überhaupt gar nicht, warum man sie als Helden feiert und betonen, dass sie doch bloß überlebt haben. In DUNKIRK ist dieses Überleben das höchste der Gefühle.
Hmm, ziemlich durchwachsene Angelegenheit, soweit ich das beurteilen kann. Einerseits stehen z.B. "Better Call Saul" und "The Handmaid's Tale" völlig zurecht da, andererseits frage ich mich, in welchem Universum "Stranger Things" oder "Westworld", die beim Publikum sehr gezielt einfach nur gewisse Knöpfe drücken, wertvoller sein sollen als eine sinnlich-tiefgründige Charakter- und Zeitgeiststudie wie "The Americans". (Staffel 5 habe ich zwar noch vor mir, aber wenn die nur ein Drittel so gut ist wie die vorigen 4, wäre sie 95% der Konkurrenz immer noch um Meilen voraus.) Ganz zu schweigen einmal von der Tatsache, dass mit "The Leftovers" die erwiesenermaßen beste Serie der Welt komplett außen vor bleibt. Bei der Gelegenheit fällt mir umso deutlicher ins Auge, dass "Game of Thrones" wohl tatsächlich die einzige Serie ist, der es so wirklich gelingt, inhaltlichen Anspruch mit Spektakel (im Sinne eines fast schon klassischen Blockbusterverständnisses) zu verbinden und damit eben beinahe jeden glücklich macht. Kein Wunder, dass die Wähler in diesem GoT-losen Frühsommer wohl einfach etwas ratlos sind.
Ein zweischneidiges Schwert, das leider sein eigenes Potenzial verkennt. Obwohl mein Hauptaugenmerk bei Filmen immer sorgfältig ausgearbeiteten, doppelbödigen Figuren gilt, bin ich daneben auch bekennender Ästhet und ja, an dieser Haltestelle konnte mich der Baby Driver teilweise schon abholen. Keine einzige Bewegung geschieht aus stilistischem Zufall, sei es das Öffnen eines Kofferraums, das Abstellen eines Kaffeebechers oder auch bloß eine simple Handgeste – Bild und Ton verschmelzen synchron zu einer romantisch-naiven Banditen-Symphonie, wobei der Film sich über seine Eitelkeiten natürlich vollkommen im Klaren ist. Gegen Mitte nämlich gibt es eine Szene, in der der tendenziell autistische Protagonist den ausgewählten Song auf seinem iPod noch mal zurücksetzt und die Verbrecherbande, die er wenig später mit seinem rasanten Fahrstil ordentlich durchschütteln wird, anweist, noch eine Sekunde mit dem Aussteigen zu warten, weil und reales Geschehen sonst nicht im selben Takt verlaufen. Hier erlebt man die Welt nicht nur konsequent durch die Augen, sondern vor allem auch die Ohren eines anderen. Prinzipiell ein super Ansatz, wie gemacht fürs Kino.
Doch so souverän BABY DRIVER mich als formales Kabinettstück mitunter auch zu unterhalten wusste, so sehr wünsche ich mir, Regisseur Edgar Wright hätte dieselbe Akribie in die Ausgestaltung seiner Charaktere investiert. Denn inhaltlich ist der Film so unbeholfen wie Titelheld Baby, wenn er zur Abwechslung dann doch mal so etwas wie eine Konversation führen muss. Das wiederum kann man sicher irgendwo charmant finden, mich hingegen hat nach einer feschen Anfangsphase so manches mit den Augen rollen lassen. Jon Hamm, Jamie Foxx und Kevin Spacey zum Beispiel tragen angestrengt aus, wer aus diesen knapp zwei Stunden als größte Nervensäge hervorgehen darf und bis zum Schluss war es zu meinem Leidwesen ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen - überhaupt verdienen sich die Verantwortlichen mit der Entscheidung, Letztgenannten als arrogantes Arschloch zu besetzen, nur bedingt eine Medaille in Sachen Innovation. Wright kann sich nicht entscheiden, ob er dem Zuschauer nun eine (Coming-of-age-?)Lovestory oder eine schrille Gangsterballade mit kaputten Typen servieren möchte und vielleicht wollte er das auch gar nicht – allerdings steht dieser krude, eher selten erfrischende Mix aus Genre-Versatzstücken auf einem Gerüst, welches einfach so wackelig ist, dass schon ein Mückenschiss es zum Einstürzen bringt.
Selbstbewusst auf sein Konzept zu vertrauen, ist eine gute Sache, aber nicht alles sollte daran hängen. Wenn man knallhart die Lupe anlegt, muss man BABY DRIVER eigentlich vorwerfen, dass (ja, leider auch inszenatorisch) bereits nach spätestens einer halben Stunde nichts (Neues) mehr passiert, was einen aus der Kurve schleudert. Aber wenn man Autos, hippe Verfolgungsjagden und Spielereien mag und Musik hören will, die man schon kennt, geht der Film als Fingerübung einigermaßen in Ordnung. Im Fußball wäre BABY DRIVER wohl ein eleganter Hackentrick... direkt ins Abseits.
"Dirty Dancing" ist einer *dieser* Filme, in denen und für die man zu schwelgen beginnt. Ich hatte mal einen ziemlich unkonventionellen Musiklehrer – im Unterricht haben wir (wenn er mal nicht "krank" war oder viel zu spät kam) zwar hin und wieder auch was gemacht, aber darunter waren eher selten Dinge, die im engeren Sinne wirklich mit Musik in Verbindung standen. Fast jede Woche erkor sich unser spiritueller Exzentriker vom Dienst ein neues Hobby aus, die wir dann immer direkt mit ausleben mussten, und so kam es schon mal vor, dass der Stundenplan statt Noten lesen kurzfristig Yoga oder Astrologie verhieß. Etwas länger hielt seine Leidenschaft für das Tanzen an. Eines Tages begann Professor Chaos, einen abendlichen Salsa-Kurs zu besuchen, und ab da gab es kein Halten mehr: Jeder von uns Schülern musste sich einen Partner suchen (zwischendurch wurde munter gewechselt) und schon rotierte die CD im Player, während wir wahlweise verzweifelt versuchten, den Takt zu treffen oder nicht hinzufallen. Sogar bei Kursfahrten ging die Post ab. Da die meisten von uns zwei linke Füße hatten, war das natürlich alles von vorneherein mehr oder weniger für die Katz, aber weil dieser schräge Vogel eine seltsame Anziehung auf mich ausübte, wollte ich – um bei der jeweils nächsten Gelegenheit eine gute Figur abzugeben (er selbst tanzte natürlich auch mit!) - die Schritte nachmittags zu Hause vor dem Spiegel trainieren... nur doof, dass ich die genaue Abfolge dann schon nicht mehr aus dem Gedächtnis rekonstruieren konnte.
Ja, vielleicht war ich ein bisschen verliebt in ihn und besonders auch in sein ultimativ benebelndes Aftershave, das man bis zum anderen Ende des Raums inhalierte und das mir auch 13 Jahre später noch wie gestern in der Nase liegt – seine subtile Arroganz, mit der er dir vermittelt, dass er kein allzu großes Potenzial in dir sieht, änderte daran nichts. Aber wie das eben so ist: Die meisten Schwärmereien im Leben verlaufen nicht ohne Grund irgendwann im Sande und Dekaden später denkt man dennoch mit einem leisen Seufzen an sie zurück. Ergänzen möchte ich, dass es in dieser Phase abseits dessen tatsächlich Momente gab, in denen ich mir ehrlich und aufrichtig wünschte, richtig tanzen zu können. Das geht vermutlich den meisten so, die es mal versucht haben.
Und "Dirty Dancing" findet Bilder für dieses Verlangen. Doch der perfekte Auftritt scheint (wenn es das denn gibt) hier andererseits gar nicht das Entscheidende, wichtiger ist der mühsame, arbeitsintensive Weg dahin. In den fertigen Film haben es ein paar charmante Outtakes geschafft, die zeigen, wie frustriert mitunter auch die Hauptdarsteller beim Dreh waren, aber sobald eine Drehung gelingt, ist das Funkeln in ihren Augen die gesamte Mühe wert gewesen (für die Figuren gilt dasselbe). Was ich damit sagen will: "Dirty Dancing" ist ECHT. Sein Ruf als Parkettschmonzette wird seiner Klasse keineswegs gerecht, geht es doch weniger darum, einander anzuschmachten als vielmehr darum, ein Team zu bilden, um so sicheren Schrittes (aber zugleich schwebend) gesellschaftliche Konventionen in der Ecke abzustellen (wo sie auch hingehören). Das Tanzen begleitet also – zumindest im Kleinen - einen revolutionären Akt, was dem inneren Ursprung der Kunstform sehr nahe kommen dürfte und nebenbei darf man darüber staunen, dass es möglich ist, auch angezogen Sex zu haben. Oder treffender formuliert: miteinander zu verschmelzen. Vollkommen frei machen sich die Beteiligten von der pseudo-romantischen Vorstellung, der eine müsse vom anderen erlöst werden ebenso wie von diesem ganzen ausgelutschten Seelenverwandtschaftsgeplänkel – die bescheidene Vermutung, dass es bereits "genügt", das Beste aus dem jeweils anderen herauszuholen, finde ich ehrlich gesagt umso romantischer.
Zu Patrick Swayze wollte ich nun auch noch etwas schreiben, aber mir fällt seit Tagen nichts ein. Eigentlich verdient er nur Gedichte.
Nicht alle Tage passiert es, dass Filme von einer Regisseurin und mit einer weiblichen Hauptdarstellerin am Box Office so reinknallen wie "Wonder Woman". Allein, dass Frauen überhaupt mit so viel Budget hantieren dürfen wie Patty Jenkins, ist keine Selbstverständlichkeit, und schon deshalb sollte man über diesen DC-Erfolg froh sein. Darüber, ob auch auf inhaltlicher Ebene ein feministischer Paukenschlag dabei herum gekommen ist, sagt das Geschlecht der Beteiligten allerdings nur wenig aus, was mich wiederum zu der Annahme verleitet, dass hier sowohl viele Fans als auch Kritiker in ihrem Enthusiasmus ein paar Dinge durcheinander werfen.
Ich sehe in "Wonder Woman" zunächst einmal die alt hergebrachte Helden-Geschichte, zu Anfang derer dem Protagonist (zu Recht) von den Eltern vermittelt wird, was für eine scheiß Angelegenheit Krieg doch sei, er (bzw. dieses Mal SIE) später dann aber in selbigen zieht. Bis dahin grundsätzlich kein Einspruch. Meistens jedoch geben sich die Macher ihrer Faszination fürs Kampf- und Waffenspektakel früher oder später relativ unverhohlen hin – z.B. mit dem großzügigen Einsatz von Slow Motion, einer klaren Gut-Böse-Einteilung (weil ein – geschlechterübergreifend - zu differenziertes Figurenbild ja die Action stört), der erforderlichen Prise Kitsch, am Besten noch einer pathetischen Liebesgeschichte obendrauf usw. Das ist bei Jenkins nicht anders. Im Gegenteil feuert "Wonder Woman" gerade auch diesbezüglich aus vollen Rohren, und das finde ich persönlich ziemlich doof – vollkommen unabhängig davon, wer vor und hinter der Kamera das Zepter (oder Goldlasso) schwingt. Der Film tut es somit vielen seiner schizophrenen Vorgänger gleich, in denen der Held am Ende zwar die richtigen moralischen Schlüsse ziehen darf, welche andererseits ohne das ganze zweistündige Baller-Spektakel vorne dran in den Augen der meisten wohl nicht allzu viel hermachen würden. Kurzum: Für einen wirklich konsequent pazifistischen Film interessiert sich wahrscheinlich niemand. Ebenfalls Schwierigkeiten bereitet mir WWs krude Vermischung von Fiktion und Realität, welche dazu führt, dass wir das Ende des Ersten Weltkriegs plötzlich der Super-Power einer Amazone verdanken. Wer solche Drehbuch-Brocken ohne weiteres schlucken kann, hat meinen Neid jedenfalls sicher.
Komplett ist die Verwirrung schließlich, wenn ich berücksichtige, wie unumwunden dem Zuschauer Gal Gadots Luxuskörper bei minimaler Charaktermotivation (Diana handelt aus Liebe, aber wer tut das nicht?) entgegen prangt. Man hätte sich ruhig etwas mehr Mühe dabei geben können, aus der notorisch knapp bekleideten Superheldin mehr Mensch herauszuholen. Bekanntlich wollte eine große Kinokette den Film im Rahmen eines so genannten "Männerabends" (und nicht etwa einer "Ladies Night") zeigen, eine Playboy-Ausgabe sollte es obendrauf geben – nun scheint mir diese leicht sexistische (und nach zahlreichen Protesten wieder abgeblasene) Aktion gar nicht mehr so ironisch, wie sie angesichts der tatsächlich leider eben nur sehr oberflächlichen feministischen Bestrebungen des neuen Mega-Blockbusters auf den ersten Blick wirken mag.
Nach einem kleinen Binge-watching-Anfall am Montagabend, als ich alle vier der bisher veröffentlichten Folgen wie in Trance (es gab keine Wahl!) durchgesuchtet habe, sind meine Gedanken drei Tage später kaum aufgeklart. Dass diese neue Miniserie (das Wort "Fortsetzung" hören die Macher angeblich ja nicht so gerne) wahrscheinlich noch viel mehr Lynch ist als "Twin Peaks" es je war, kann ich persönlich mehr als gut verschmerzen – und neben den ganzen verrückten Sachen, die nun endlich wieder bzw. in erhöhter Frequenz abgehen, gibt es unter dem dichtem Nebel des Unterbewussten ja immer noch lineare Fixpunkte, denen man folgen kann. Ich erinnere mich zwar nicht, dass die Serie zuvor jemals so klamaukig war wie in dem Moment, als ein leicht weggetretener Dale Cooper in der Absicht, zu telefonieren, ein Casino betritt und unverhofft eine ganze Welle an Jackpots auslöst, aber das sind willkommene Regie-Ausraster – ich zumindest habe trotzdem in keiner Sekunde vergessen, dass das Seelenheil unseres liebsten FBI-Agenten noch immer am seidenen Faden hängt. Und ich habe jetzt schon Angst davor, um ihn zu bangen.
Die neuen Folgen knüpfen zugleich an die Ur-Serie und das verrückte, zwischenzeitlich hoffentlich nicht in Vergessenheit geratene Kino-Prequel "Fire Walk With Me" an, was sich nicht zuletzt in der tonalen Freizügigkeit spiegelt. Die Szenen mit Lucy, Andy und Sheriff Truman versprühen zum Beispiel durchaus das altbekannte, (un)wohlige "Twin Peaks"-Feeling, daneben verschlägt es uns aber auch in die Großstadt, womit eines klargestellt wäre: Die Dämonen lauern jetzt nicht mehr bloß auf den nächtlichen Landstraßen eines verschlafenen Städtchens, sondern auch in Hochhauskomplexen. Lynch hat immer gerne mit Genres kokettiert – hier zeigt es sich dann, wenn ein junges Pärchen für sexuelle Zügellosigkeit auf dem Fuße "bestraft" wird. Auch das Motiv der Festnahme ohne zunächst ersichtlichen Grund hat Lynch bereits ein paar Male behandelt, folgerichtig hängt in Gordon Coles Büro ein Bild von Franz Kafka. Wie sein auf Maximum justiertes Hörgerät mit den Geräuschen überfordert ist, die Alberts Füße verursachen, bereitet mir außerdem Sorgen. Das Im-Stich-Gelassen-Werden von der eigenen Wahrnehmung ist also nach wie vor das schlimmste aller Horrorszenarien. Und das... Ding mit Gehirn hinter dem Vorhang sieht aus wie ein Christbaum, unter dem zu Weihnachten das Baby aus "Eraserhead" liegt.
Diese Woche las ich einen Artikel, der "The Leftovers" zur besten Show der Welt ausrief, weil sie das erste Gesetz des Storytellings breche. Aber so sehr ich besagte Serie bekanntlich ebenfalls liebe und verehre: Was ist – gemessen an Regelbrüchen – dann bitte erst dieses schaurig schöne Monstrum namens "Twin Peaks"? Böse Zungen werden - sofern sie es nicht bereits tun - Lynch am Rande der Selbstparodie verorten, aber ich denke, diesen Preis bezahlt er gern.
Manches deutet darauf hin, dass sich das Finale aus Staffel 2 (evil Cooper vs. good guy Cooper) in gewisser Weise wiederholen könnte, nur dieses Mal vielleicht auf diesseitigem Boden statt in der ikonischen Black Lodge – was keineswegs bedeuten muss, dass es im Vergleich weniger schaurig wird. Die Umwege bis dahin kann ich kaum erwarten, sofern sie weiterhin so ausfallen wie in den ersten vier Episoden. Und dabei ist momentan noch nicht einmal klar, wie genau die Karten verteilt sind. Mit seinen langen Haaren und der Lederjacke jedenfalls wirkt Dales Doppelgänger wie in den späten 80'ern stecken geblieben, und genau um diese Zeit wurde auch "Twin Peaks" geboren – ich ahne nichts Gutes. Denn wenn es den Himmel auf Erden gibt, dann die Hölle erst recht.
Was für ein Jammer, dass eine Klasse-Serie wie "The Americans" (zumindest gefühlt) ein bisschen unter dem Radar läuft, denn in einer besseren Welt wäre sie eine genauso große Nummer wie "Game of Thrones". Vielleicht sind manche abgeschreckt, wenn sie lesen, hier gehe es um den Kalten Krieg (zu kompliziert und düster!), andere wiederum erwarten womöglich einen lupenreinen Politthriller und sehen ihre Hoffnungen nur in Ansätzen erfüllt. Ich selbst war mir vorab auch nicht ganz sicher, in welche Richtung das Pendel ausschlagen würde – bestenfalls nicht allzu viel trockene Theorie, dafür nah dran an den Charakteren. Und, meine Güte, ist diese Serie tiefgründig und sexy. In klassischen Suspense-Momenten rolle ich nervös auf meinem Sofa hin und her, dann wieder (oder auch gleichzeitig!) begeistert mich "The Americans" als feinfühliges Ehe-Melodram um im Kern eben doch ganz normale Menschen mit Sehnsüchten und Bedürfnissen.
Elizabeth und Philip Jennings sind russische Spione, die jede Sekunde ihres Lebens ihrem Heimatland verschrieben haben. Ihre Ehe ist arrangiert und auf amerikanischem Boden sprechen sie kein einziges Wort in ihrer Muttersprache. Für mich ist das ein dicker Hund, denn erstens könnte ich mich wohl nie für etwas in diesem Maße aufopfern, und erst recht nicht für das Land, in dem ich bloß zufällig geboren wurde. Doch das Paar hat sich eine perfekte Fassade aufgebaut, inklusive zwei Kindern im Teenager-Alter (die von den geheimen Aktivitäten der Eltern nichts wissen); und irgendwie lieben die beiden Power-Spies einander sogar, wobei wir hier wohlgemerkt schwerlich von einer handelsüblichen Beziehung sprechen können. Wenn – was oft genug passiert - der Haussegen schief hängt, müssen Philip und Elizabeth nämlich trotzdem weiter als Team zusammenarbeiten... und vor allem einander vertrauen.
Den beiden Hauptakteuren bei ihren Unternehmungen zuzuschauen, ist dabei gleichermaßen eine Freude wie es mitunter verstört. Permanent schlüpfen sie unter Perücken und in Kostüme, platzieren Abhörgeräte, halten Geiseln, manipulieren andere mit vollem Körpereinsatz – jedoch ohne komplett hinter Masken zu verschwinden. Im Gegenteil müssen sie sich immer wieder damit auseinandersetzen, was an/in ihnen nun eigentlich überhaupt echt ist. Gewissermaßen also werden Elizabeths und Philips Identität vom Kalten Krieg verschlungen. Hier liegt es teils am Zuschauer, eigene Nachforschungen anzustellen und sei es, indem er Gesichter liest. Sehr subtil weist die Serie außerdem darauf hin, dass Spione eine gewaltige moralische Verantwortung tragen – je nachdem, welche Zeugen sie sicherheitshalber ausmerzen, was sie an Informationen "nach oben" weitervermitteln und was nicht.
Zusätzliche Komplexität erlangt "The Americans" durch die Verweigerung der Autoren, politisch Partei zu ergreifen. Sowohl die Amerikaner als auch die Sowjets haben genug Dreck am Stecken und auf jeder Seite warten zärtlich gezeichnete Figuren, die zumindest mich definitiv nicht kalt lassen. Zwei erbarmungslosen Regierungsapparaten stehen zerbrechliche Individuen gegenüber, wie auch immer das zusammengeht. So wohnt zum Beispiel FBI-Agent Stan Beeman, der gleichsam genügend innere Kämpfe auszutragen hat, direkt neben dem Jennings-Clan - auch an ihm verdeutlicht sich mit Nachdruck, wie privat das Politische ist, und umgekehrt. So beginnt er, von seinem 24-Stunden-Job in die Isolation getrieben, eine Affäre mit der KGB-Angestellten Nina, was – zugegeben – zwar zunächst einmal wie ein abgegriffenes Motiv klingt, tatsächlich jedoch einige herzbrecherische Wendungen glaubwürdig-tränenreich übersteht.
Viele (nicht nur Experten) befürchten bekanntlich, dass wir uns bald mitten in einem neuen Kalten Krieg wiederfinden könnten, dafür sprichen immerhin die Egos sowie die Unberechenbarkeit der momentan mächtigsten Männer der Welt – und wer weiß schon, was wirklich hinter den Kulissen passiert? Jedenfalls sollte man sich gerade in diesen Tagen bewusst machen, dass Krieg keineswegs mit militärischen Angriffen gleichzusetzen ist. Manchmal drohen die Opfer (und Täter) vielmehr, unsichtbar zu bleiben. Ganz ehrlich, bei "The Americans" wird mir Angst und Bange.
Die Glasgower Müllabfuhr streikt, Kinder lassen ihre Haustiere mit einem Luftballon davonfliegen und die Wohnungen sind so dreckig, dass man sie kaum mehr voneinander unterscheiden kann. Wenn in dieser heruntergekommenen Gegend nun obendrein ein Junge (beinahe sind es sogar zwei) beim Spielen im Kanal ertrinkt, legt sich ein schauerlicher Sog über den Film, der besagt, dass manche Orte wie Treibsand alles mit sich hinab ziehen. Doch solche Vorstadt-Sümpfe sind seit jeher ein beliebtes Erkundungsgebiet für britische Regisseure, man denke an Ken Loach, Mike Leigh und andere. Wenn es hier noch ein Fünkchen Zuversicht geben kann, dann womöglich überall.
Aber Lynne Ramsay legt den Finger voll in die Wunde und konfrontiert uns mit dem 12-jährigen James, der seinen Freund Ryan wahrscheinlich hätte retten können, hätte er bloß rechtzeitig um Hilfe gerufen. Stattdessen rennt er weg, offenbar überfordert mit der Situation. Und als Ryans Mutter James dann auch noch ein Paar Sandalen schenkt, welches eigentlich für ihren toten Sohn bestimmt war, tut dies sein Übriges. Die meisten Regisseure würden uns jetzt sicher brav etwas über Reifeprozesse und Schuldbewältigung erzählen, tatsächlich aber ist es im Ergebnis eher James, der bewältigt wird. Einmal steigt er in den Bus und fährt bis zur Endstation, einfach um zu sehen, was da ist... oder ob dort überhaupt noch etwas ist. Und siehe da: Es entsteht eine neue Wohnsiedlung, die vielleicht irgendwann genauso aussehen wird wie die, in der James lebt. Er steigt durchs Fertigfenster und verschwindet in einem Weizenfeld, was ihm einen kurzen Moment Unbekümmertheit verschafft, wie es einem Kind seines Alters eben zusteht. Ob Fata Morgana oder nicht, jedes Mittel ist nun recht. Die Maus an dem Ballon landet übrigens auf einem fernen Planeten, wo es ganz viele andere Mäuse gibt. Dieser etwas abgedrehte Einschub bricht allerdings nur auf den ersten Blick mit dem Erzählton des Films, vielmehr setzt Ramsay ihrem Bekenntnis zum Träumen von einer besseren Welt somit lediglich die Matschkrone auf. Wie weit man sich von RATCATCHER tragen lassen möchte, obliegt hingegen der eigenen Entscheidung, denn wie das Ende jedes schönen Traums liegt auch dieses schwer im Magen.
Ich finde es immer sehr bitter, wenn ein Film mich mit dem Gefühl zurücklässt, dass all das innere Auflehnen gegen die ganze Scheiße, die man halt so durchmacht, eines Tages gebündelt mit einem stirbt und das Universum keinen Kehricht drum gibt. Oder, noch schlimmer, niemand davon weiß. Weil es aber jedem so geht, ist das andererseits auch wieder tröstlich. Die erste Einstellung von RATCATCHER zeigt zum Beispiel Ryan, der sich in einer Gardine eingewickelt hat - bestimmt die meisten von uns trieben damit als Kinder gerne ihre Eltern zur Weißglut. Zunächst jedoch sieht es aufgrund des Zeitlupeneinsatzes so aus, als habe sich jemand etwas über den Kopf gestülpt und erhängt. Das Schlimmste zu erwarten, ist OK – das Beste zu hoffen aber auch.
Bin ziemlich heiß auf Dunkirk. Für mich sieht es bislang nämlich so aus, als würde Nolan sich tatsächlich mal konsequent auf seine Stärken konzentrieren: reduzierte Dialoge, dafür fieberhafte, verstörende, große Bilder, die zur Abwechslung nicht mehr bis zur Erschöpfung kaputt erklärt werden. Ein Positivfaktor ist dabei aber sicher auch Mark Rylance, der den Film mit seiner Bodenständigkeit bestenfalls zusätzlich erdet und vermutlich nicht einmal unter schlechtester Schauspielführung peinlich sein könnte. Der Zimmer-Teppich auf der Tonspur bleibt hoffentlich im Rahmen, dann könnte das hier echt toll werden.
Als jemand, der schon sein ganzes Leben lang gegen Depressionen kämpft, muss ich wohl einsehen, dass ich das Krankheitsbild bis hierhin dennoch völlig falsch verstanden hatte. Ich dachte immer, es ginge um Isolation, Gleichgültigkeit, destruktive Gedanken und die Teufelsspirale, die jeden Tag aufs Neue beginnt, wenn man morgens nicht einmal mehr aus dem Bett kommt (nein, mit handelsüblicher Faulheit hat das in dem Fall nichts zu tun). Vor allem aber war ich mir sicher, dass Selbstmord kein Spiel ist.
Durch 13 REASONS WHY jedoch habe ich, gottlob, endlich Sinn und Zweck von all dem erfasst: jenen kräftig eins auszuwischen, die man für den eigenen misslichen Zustand verantwortlich macht. Hier zum Beispiel schickt die Protagonistin Hannah ihre einstigen Peiniger auf eine regelrechte Schnitzeljagd, denn zuvor hatte sie noch 7 (!!!) Kassetten besprochen, um ihre Mitschüler aus dem Jenseits heraus zur Verantwortung zu ziehen. Und eben jene Aufnahmen machen nun die Runde – genau wie die vielen bösen Gerüchten und Intrigen, denen Hannah zu Lebzeiten ausgesetzt war. Klingt pubertär? Ist es auch! Einem so ernsten Thema mit der Reife einer durchschnittlichen Young-Adult-Verfilmung beizukommen, musste eigentlich zwangsläufig nach hinten losgehen.
Ich weiß nicht, ob sich jemals ein Mensch umgebracht hat, um Rache an den Verbliebenen zu üben. Die Quote dürfte zumindest eher niedrig angesiedelt sein. Ich verbinde den Wunsch, nicht mehr leben zu wollen, mit einem Versprechen der Erlösung – einer Erlösung von der persönlichen inneren Leere. Hass hingegen ist ein ziemlich starkes Gefühl, gleichwohl kein besonders schönes. Das Zurücklassen verzweifelter Freunde und Verwandte nimmt man als Suizidgefährdeter zwar in Kauf, beabsichtigt es aber nicht (wie eben Hannah) aus kalter Berechnung. Aufgrund besagter emotionaler Taubheit wäre man dazu höchstwahrscheinlich gar nicht fähig.
Im Grunde sind Hannahs Probleme teils die einer normalen Teenagerin, bloß werden sie künstlich aufgestapelt, sodass es sich summiert. Aber ist die Geschichte bereits dadurch überzeugend? Natürlich möchte ich niemandem vorschreiben, ab wann er/sie das "Recht" hat, depressiv zu sein – entscheidend ist aber, dass die Autoren von 13 REASONS WHY einerseits zahlreiche Brandherde auffahren und ihre neunmalkluge Hauptfigur dabei nicht einmal im Ansatz glaubhaft gestalten. Jede Kassetten-Seite (insgesamt 13) nämlich wird in einer separaten Folge abgehandelt, und der Tenor lautet in etwa: "Du willst wissen, wer mich sonst noch in den Selbstmord getrieben hat? Dann drehe das Tape einfach um und du erfährst es! Aber hör’ gut zu!" (Und ja, Hannah redet wirklich so.) Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Das klingt nach jugendlichem Narzissmus, nicht aber nach Depression.
Doch wie (und warum) auch immer: Die Serie erntet scheinbar überwiegend Lob. Vereinzelt halten Kritiker 13 REASONS WHY für „gefährlich“, wobei ich so weit nicht gehen würde. Dafür kann ich das Format mit seiner aufgesetzten Soundtrack-Melancholie (The Cure auf der Tonspur, weil Gothic und so!) einfach nicht ernst genug nehmen. Im Wesentlichen komme ich mir mächtig verarscht vor. Ja, ich glaube, das trifft es ganz gut.
Im Nachklang zu Bertrand Bonellos verstörendem Requiem "Nocturama" führte ich Mitte dieser Woche eine überaus interessante Unterhaltung, die davon handelte, dass – und hier waren mein Gesprächsparnter und ich uns einig – der Mensch das einzige Erdenwesen ist, das aktiv seine eigene Zerstörung beinahe systematisch voran treibt. Wo bei anderen Säugern instinktiv Arterhaltung ganz oben auf der Gebotsliste steht, scheint dies für uns nur bedingt zu gelten. Denn nehmen wir nur einmal theoretisch an, die Hunde, Elefanten und Eisbären könnten unsere Sprache verstehen: Wie sollte man denen die Existenz von Homophobie, Rassismus oder Terroranschlägen (leider ist alles davon erschreckend aktuell) plausibel erklären? Wir mögen die intelligenteste Spezies auf diesem Planeten sein und sind zugleich irgendwie doch auch die dümmste. Zwar hat der Homo sapiens (außer eben sich selbst) keine natürlichen Feinde, aber die "braucht" es im Grunde auch überhaupt nicht.
Also noch mal zurück zum Ausgangspunkt: Warum schließt sich eine Gruppe von Personen zusammen, um beispielsweise Sprengstoff unter mehreren Autos oder in einem belebten Hochhaus zu platzieren? Hier inszeniert der Regisseur kühn an dieser Frage vorbei (im Sinne von: auf eindeutige Antworten hofft man vergebens), trifft aber gerade damit einen wahrhaftigen Kern. Über den gesamten ersten Teil des Films hinweg folgen wir diversen Jugendlichen durchs Pariser U-Bahn-Netz ohne zu wissen, was genau hier eigentlich passiert. Die unbestechlich nüchterne, bewusst lückenhafte Aufbereitung der Vorbereitung hilft dabei keineswegs, schürt andererseits hingegen jene kalte Neugier, die am Ende bestimmt nicht jeder Zuschauer gestillt sehen wird. Die Kids schießen Fotos mit ihren Handys, checken in Hotels sein, fahren umher und entsorgen die Telefone später wieder.
Das Alter der jungen Täter beträgt überwiegend schätzungsweise zwischen 15 und 25 Jahre. Ein Arbeitsloser ist ebenso mit von der Partie wie ein offenbar gut situierter Jura-Student, Frauen ebenso wie Männer, Dunkelhäutige ebenso wie Weiße: Terrorismus ist weder begrenzt noch lokalisierbar. Über besagte Protagonisten erfahren wir gerade einmal so viel, dass es für eine äußerst grobe Skizze ausreicht, aber keineswegs genug, um ihren inneren Antrieb nachzuvollziehen oder gar Sympathien für die Figuren zu entwickeln.
("Es war notwendig.")
("Notfalls jagen wir das hier auch noch hoch.")
Leere "Rechtfertigungen" statt überzeugte Parolen. Eine schreckliche Vermutung, die "Nocturama" somit in den Raum stellt, lautet, dass es für derlei erschütternde Gewaltakte nicht unbedingt einmal bodenlosen Hass auf Menschen oder Systeme braucht, sondern pure Gleichgültigkeit bereits genügt. An einer Stelle heißt es dementsprechend recht halbherzig: "Glaubst du, dass wir jemanden getötet haben?" Nun denkt man vielleicht, der Film zeichne schlicht das Porträt einer verlorenen Generation, die außerdem nicht weiß, was sie tut. Dann aber hinterlässt einer der Beteiligten einen Zettel, auf dem er für den Fall seines Todes eine Autopsie anregt, da er selbst vermutet, er könne geisteskrank sein.
Im zweiten Akt verliert "Nocturama" schließlich jegliche Bodenhaftung und ein schauerliches, nicht greifbares Kuriosum von Kunstwerk bricht endgültig Bahn. Nach erfolgreicher Durchführung der Anschläge suchen die Charaktere über Nacht Zuflucht in einem Kaufhaus, was aber keineswegs bedeutet, dass Stille über der Nacht liegt und der Horror nun vorbei wäre. Ob Bonello so jetzt auch noch gezielt Kapitalismuskritik in den Ring wirft, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Viel spannender ist sowieso, wie sich erst so richtig in dieser Heilstätte des Konsums eine gespenstische, (alb)traumähnliche Verzerrung einstellt, gleichwohl die Macher den Weg des vermeintlich übersichtlichen Kammers einschlagen. Szenen werden nach dem Ansatz eines Schreis einfach abgebrochen oder Ton und Bild auseinander gerissen. Was einst bei Bresson sehr zart und elegant vonstatten ging, schmerzt hier bis ins Mark. Obendrein enthüllt der Film bis zum Schluss keine Statistiken, die Opfer der Anschläge bleiben also noch mehr als die Täter ohne Gesicht. Dafür allerdings steht eine Statue von Jeanne d'Arc in Flammen. Es mag wie eine blöde Floskel klingen, aber: Der richtige Film zur richtigen Zeit.
Also vorweg: Ich halte "Ghost in the Shell" ebenfalls nicht für sonderlich gelungen, bin aber der Meinung, dass diese Kritik hier extrem übers Ziel hinaus schießt. Denn erstens geht aus dem Film doch eindeutig hervor, dass die Protagonistin zu Anfang buchstäblich in einem Fremdkörper erwacht - so makellos dieser auch aussehen mag, fühlt Mira sich ohne ihre geraubten Erinnerungen nicht lebendig. Darum kreist die ganze Geschichte. Und dementsprechend verbringt die Hauptfigur einen Großteil der Laufzeit damit, herauszufinden, wer sie eigentlich ist. Natürlich werden ScarJos perfekte Rundungen durch die Inszenierung zusätzlich ausgestellt, auf inhaltlicher Ebene werden sie allerdings - wenn man das so sagen kann - auch "hinterfragt". Am Ende zählt für Mira ihre "Shell" einfach nicht mehr, weil sie das Geheimnis um ihre Identität gelüftet hat. Dahinter steht für mich folgende Aussage: Wenn du weißt, woher du kommst, wohin du gehörst und wen du liebst, ist es egal, in welcher äußeren Hülle du steckst. Und dieses "Egal" ist eben gerade keine Werbung für einen weißen "Default-Körper". Daher finde ich "Ghost in the Shell" unterm Strich um einiges freigeistiger als diesen Artikel, der Menschen beispielsweise fest "ihrer" jeweiligen Kultur zuordnet - und somit kaum besser ist als das, was er eigentlich kritisieren möchte.
Was habe ich dieses uralte Märchen geliebt. Disneys Zeichentrick-Adaption von 1991 sollte standesgemäß der erste Film sein, den ich auf VHS-Kassette besaß. Bis zu meinem 10. Lebensjahr war ich schätzungsweise deutlich seltener im Kino gewesen als die meisten meiner Altersgenossen (erst sehr viel später wurde es zu "meinem" Medium), aber dieses kraftvolle Gleichnis hatte es mir wirklich angetan...
... und natürlich ist die Geschichte immer noch toll. Eigentlich stand für mich nie die Romanze zwischen Belle und dem Biest im Vordergrund, sondern vielmehr der Appell, hinter die Fassade des äußerlich Ungewöhnlichen, ja vielleicht sogar Abstoßenden zu schauen. Nicht (wie durch Gaston verkörpert) Eitelkeit und Eigennutz, sondern Mitgefühl und Opferbereitschaft machen die Welt zu einem besseren Ort - in Zeiten von "Germany's Next Topmodel" und Co. eine Einlassung, die praktisch nicht aktueller sein könnte, zumal bestimmt gerade auch jene als besonders attraktiv erachteten Berühmtheiten irgendwann darunter leiden, dass kaum jemand sich wirklich für ihren Charakter interessiert. Und so sitzen die Schönen und "Hässlichen" in einer oberflächlichen Gesellschaft wie der unseren eben doch gewissermaßen im selben Boot. Wie auch jeder, der nicht der Norm entspricht.
Meiner Meinung nach ist es bis jetzt Jean Cocteau am Besten gelungen, die Poesie und Anmut der Erzählung einzufangen, aber nun ja, mit Disney bin ich eben aufgewachsen – also war ich durchaus bereit, dieser neuen Realverfilmung zumindest eine Chance zu geben. Doch eine Sache wundert mich jetzt: Wie ist es möglich, die Fassung von 1991 quasi 1:1 nachzuspielen und dabei trotzdem nichts, rein gar nichts der übrig gebliebenen Qualitäten mitzuziehen? Zwar sehe ich hier echte Menschen, die vor der Kamera singen, tanzen, leiden, schmachten... aber keine Seele. Ich möchte nicht so weit gehen, den Mäusekonzern zu beschuldigen, mir nachträglich meine Kindheit versaut zu haben (denn die ist schon zu lange passé), aber die Frage, welche Interessen – außer denen finanzieller Natur – hinter dem Projekt standen, muss erlaubt sein.
Ich habe nicht grundsätzlich ein Problem mit kitschigen Enden (manchmal genieße ich's sogar, mich ein paar Momente lang verführen zu lassen), aber damit so etwas funktioniert, muss man als Autor/Regisseur doch eine gewisse Vorarbeit leisten, mithin den Zuschauer an die Figuren binden. Hier hingegen wurden mir die Beteiligten von Minute zu Minute egaler, was niemals ein gutes Zeichen sein kann - vor allem nicht bei meiner Lieblingsgeschichte aus Kindertagen.
Meine These: Hier hatte man wieder einmal Angst, den Leuten zu viel Gefühl zuzumuten, denn Aufrichtigkeit verkauft sich bekanntlich weniger gut als Künstlichkeit. Ist die Rose als blühendes Symbol des Lebens und der Liebe mittlerweile abgenutzt? Ich will es fast nicht glauben.
"Frantz" ist etwas ganz Besonderes. Einerseits steht er zumindest entfernt in der Tradition des klassischen Melodrams, daneben allerdings besitzt er einen X-Faktor, zu dem ich offen gestanden keinen filmischen Vergleich zu ziehen weiß. An einer Stelle aber fällt der Name Rainer Maria Rilke und ich vermute, dass der Film eine ähnliche Zartheitsschwere in sich trägt wie die Gedichte dieses großen Poeten… was so ziemlich das schmeichelhafteste Kompliment ist, das ich überhaupt aussprechen kann.
Parallel zu einer sowohl durch innere als auch äußere Umstände verhinderten Romanze ersinnt François Ozon auf Subebene ein Gleichnis über Völkerverständigung. In Verbindung mit der unerhört empfindsamen Erzählweise und den sinnlichen, perfekt harmonierenden Hauptdarstellern nahm das Gesamtprodukt entsprechend schnell mein Herz ein. Ganz zu schweigen einmal davon, wie beiläufig der Film (eventuell gerade auch deshalb, weil er formal wie inhaltlich so angenehm altmodisch daherkommt) den aktuellen Zeitgeist trifft. Unter anderem plädiert er nämlich fürs Verzeihen – und vollzieht im selben Atemzug nach, welche Opfer dafür manchmal zu bringen sind. Hier zum Beispiel: Einen wichtigen Menschen mitsamt diversen an ihn gekoppelten Begehrlichkeiten für immer vergessen zu "müssen"... und eine Lüge fort zu tragen.
Obwohl "Frantz" als Schwarz/Weiß-Elegie ein paar Male zwischendurch sowie am Ende buchstäblich an Farbe gewinnt, erinnerte mich seine Melancholie an einige der besten Antonionis, denn auch bei Ozon geht es um die schmerzliche Brüchigkeit von Gefühlen - eben noch trauerte Anna um ihren im Krieg gefallen Verlobten, im nächsten Moment tritt ein anderer in ihr Leben. Nicht nur verhandelt das Werk aufziehende Gefühlsstürme ohne erhobenen Zeigefinger, er schenkt auch beiden Protagonisten dieselbe Aufmerksamkeit, womit Ozon sich einmal mehr als Männer- und Frauenversteher gleichermaßen erweist. (Beziehungsweise: Mit spätestens "Une nouvelle amie" baute der Regisseur ja eh schon eindrucksvoll die Geschlechtergrenzen ab.)
Manchmal wünscht man sich etwas (Unerreichbares) so sehr, dass einen die Verzweiflung bis in die Nacht hinein verfolgt und man fast noch im Traum zu weinen beginnt. Wer das auch kennt, findet es im Film womöglich wieder – denn [Spoiler] Adriens Schwindel über die (angebliche) Freundschaft zu Frantz sind in urromantisch-assoziativen Rückblenden so inszeniert, als wären sie wahr. Tatsächlich wünscht Adrien sich nichts sehnlicher als einen bestimmten Moment aus seiner Vergangenheit zu streichen. Eben daher der Titel des Films: Ein Toter zieht in den Köpfen allgegenwärtig seine Kreise und bestimmt sogar die Entwicklung des Szenarios... ironischerweise zum Leidwesen seiner Partnerin aus dem Diesseits.
Ach ja: Und wenn (der mutmaßlich schwule) Adrien schließlich mit einem Halbsatz offenbart, dass er seine Bekannte aus Kindertagen heiraten werde, weil die Mutter das gerne so sähe, ist damit – Stichwort: verwehrte Selbstverwirklichung - noch ein weiterer gesellschaftskritischer Haken aufs Sanfteste geschlagen.
Ich bleibe restlos begeistert zurück und würde mir am Liebsten selbst dafür in den Hintern treten, dieses kleine, übersehene Meisterstück vergangenes Jahr im Kino verpasst zu haben. Als Ausgleich möchte ich es jetzt umso dringender weiterempfehlen. Bitte alle anschauen und genauso verliebt sein wie ich. Oder um es mit Annas Worten zu sagen: "Il me donne envie de vivre."