Jenny von T - Kommentare
Die 5 meist diskutierten Serien
der letzten 30 Tage
-
AdolescenceAdolescence ist eine Kriminalserie aus dem Jahr 2025 von Stephen Graham und Jack Thorne mit Stephen Graham und Owen Cooper.+23 Kommentare
-
The BondsmanThe Bondsman ist eine Actionserie aus dem Jahr 2025 von Grainger David mit Kevin Bacon und Jennifer Nettles.+23 Kommentare
-
The White LotusThe White Lotus ist eine Drama aus dem Jahr 2021 von Mike White mit Jennifer Coolidge und Natasha Rothwell.+14 Kommentare
Die 5 meist vorgemerkten Filme
-
Ghost in the Shell II - Innocence320 Vormerkungen
-
Mission: Impossible 8 - The Final Reckoning177 Vormerkungen
-
From the World of John Wick: Ballerina151 Vormerkungen
Alle Kommentare von Jenny von T
"There's a difference, but big business doesn't think there's a difference. Big business wants you to think that this is a great film because they wanna make money off of it."
https://www.theguardian.com/film/2018/aug/27/ethan-hawke-superhero-movies-are-overrated-logan
Am vergangenen Wochenende ist Ethan Hawke noch ein bisschen sympathischer geworden.
Wer Paul Schrader noch nicht bei Facebook abonniert hat, dem kann ich nur empfehlen, das dringend nachzuholen. Für einen Prominenten gibt er sich dort sympathisch lässig und bei mir entstand der Eindruck, dass er ziemlich albern, zugleich aber auch sehr "deep" ist. Am Besten sind meistens jene Posts von ihm, die er mutmaßlich nach ein paar Gläsern Wein zu viel raushaut. Dann kann es auch mal vorkommen, dass er vernichtende Worte für den späten Terrence Malick (+1) findet. Vor kurzem war er auf einem Taylor Swift-Konzert (+2), mehrmals schrieb er aber auch darüber, wie sehr ihn das Album You Want It Darker von Leonard Cohen berührte (+3). Dieser verarbeitete auf seiner letzten Platte intensiv seinen Glauben wie auch seine eigene Sterblichkeit und verschied traurigerweise wenige Tage nach deren Veröffentlichung. In dem titelgebenden Song heißt es: You want it darker, we kill the flame. First Reformed ist der passende Film dazu.
Ethan Hawke spielt einen Pastor, der eines Tages von einer schwangeren jungen Frau angesprochen wird. Deren Partner ist ein radikaler Umweltschützer und vertritt die Ansicht, man solle keine Kinder mehr in diese Welt setzen, da unser Planet dem Untergang geweiht ist. So offensichtlich nämlich der Klimawandel immer stärker seinen Tribut fordert, haben wir es versäumt, aktiv zu handeln. Ernst Toller (der Pastor) versucht, im Gespräch die Verzweiflung des Mannes ins Verhältnis zu setzen, scheitert aber schon deshalb, weil er auch seinerseits seit Jahren von Schuldgefühlen zerfressen ist. Wie einer anderen Person neuen Lebensmut spenden, den man selbst nicht (mehr) aufbringen kann? Das klingt ziemlich genau nach dem Plot von Ingmar Bergmans nachdenklicher Sinnsuche Licht im Winter, welche hier unverkennbar Pate stand. Ein Hauch von Carl Theodor Dreyer und Robert Bresson durchweht ebenfalls die brüchig empfundene Existenz. Aber sogar diese unbestrittenen Meister ihres Fachs hätten dieser Tage wohl nur mit Mühe etwas vergleichbar Ergreifendes und Wahrhaftiges zu erschaffen vermocht.
Obwohl ich persönlich überhaupt nicht religiös bin, zog mich First Reformed wie auch seine künstlerischen Vorbilder mühelos in seinen Bann. Das wiederum liegt vielleicht daran, dass es hier gar nicht einmal so sehr um Religion im engeren Sinne geht. Im Zentrum steht vielmehr die allgemeingültige Schwierigkeit, sich im Angesicht des Unabänderlichen die nötige Hoffnung im Herzen zu bewahren - wie eine Kerze, die auch im gröbsten Schneesturm irgendwie weiter brennen muss. Zu diesem Zweck fährt Schrader einige sehr intime, eigenständige Bilder auf wie zum Beispiel mit einer Szene, in der Hawke und Amanda Seyfried vollständig bekleidet aufeinander liegen und uns schließlich Seyfrieds Haare den Blick darauf versperren, wie nah sich die Gesichter der beiden nun genau kommen.
Ob Gott uns allen für die Zerstörung seiner Schöpfung verzeien kann lautet eine Schlüsselfrage in First Reformed, die über das zerrissene Befinden eines Einzelnen ausgetragen und letztlich streng subjektiv beantwortet wird. Der Film - Requiem und Gebet in einem - ist niederschmetternd und wie selbstverständlich tief romantisch, wahrscheinlich gibt es das eine gar nicht ohne das andere. Leonard Cohen wusste das natürlich auch schon. You want it darker, we kill the flame.
Falls du vorhast, Adam Sandler demnächst weiter zu verfolgen, wirst du dich garantiert noch öfter wundern. Irgendwann gehen dir schließlich die Erklärungen (Sommerhitze usw.) aus und spätestens dann erkennst du, dass der Typ einfach magisch sympathisch ist. ;-)
Ich will ja nichts sagen, aber ... über 7K Aufrufe für eine Stanley Kubrick-News im Sommerloch! Leute, ihr macht mich stolz. ♥
Nach American Sniper und Sully komplettiert Clint Eastwood seine inoffizielle Trilogie des Schreckens. Wieder einmal verfilmt (und verzerrt) er eine wahre Geschichte, wieder einmal kommt es zur Heldenbeschwörung. Und um uns für eben diese noch mehr einzunehmen, hat er sich nunmehr sogar die realen historischen Persönlichkeiten vor die Kamera geholt. Gut getan hat das The 15:17 to Paris nicht wirklich.
Wie man zunächst vermuten könnte, steht im Mittelpunkt des Films der 2015 vereitelte Terroranschlag in dem titelgebenden Hochgeschwindigkeitszug, tatsächlich aber nimmt das Ereignis geschätzt bloß etwa 20% der Screentime in Anspruch. Vielmehr liegt der Fokus auf der langen Freundschaft der Protagonisten, die einander seit der Mittelstufe kennen. Gleichwohl sich ihre Wege zumindest räumlich schon früh trennen, haben die Jungs bzw. jungen Männern den Kontakt aufrechterhalten und traten vor wenigen Jahren schließlich einen gemeinsamen Trip durch Europa an. Eastwood arbeitet erneut mit seinen üblichen Tricks, wenn er z.B. inszenatorisch eine Lehrerin diskreditiert, die die allein erziehenden Mütter von Spencer und Alek in bester Absicht darauf hinweist, dass ihre Söhne womöglich unter ADS leiden. Ein weiteres Beispiel ist die Versagung Spencers einer Ausbildung zum Rettungsspringer aufgrund seiner unterentwickelten Tiefenwahrnehmung. Hier soll der Zuschauer Wut auf die vermeintlich absurden/viel zu peniblen Regeln der Administration entwickeln, dabei machen diese insbesondere zum Schutz der Bewerber durchaus Sinn. Wie bereits in Sully also wird das böse System als Feind konstatiert, wozu falsche Angriffspunkte herhalten müssen.
Nur zur Klarstellung: Ich habe nicht zwingend ein Problem mit (überhöhten) Heldengeschichten und bewundere Zivilcourage immer. The 15:17 to Paris hinterlässt aber einen faden Nachgeschmack, weil Eastwood das mutige Einschreiten der Männer in fragwürdige Zusammenhänge setzt. Es wäre mehr als ausreichend gewesen, Stone, Sadler und Skarlatos einfach Respekt für das zu erweisen, was sie im Zug getan haben. Aber nein. Aus der Sicht Eastwoods funktioniert der Film erst durch die vorige Etablierung der Figuren als gläubige Waffennarren und Kriegsenthusiasten. Besonders bizarr: Spencer will zur Armee, um anderen zu helfen - was der Dienst beim Militär _auch_ beziehungsweise ziemlich sicher sogar in erster Linie bedeutet, spart der Regisseur komplett aus. Sich nach jener subtilen Propaganda vorzustellen, wie Jugendliche The 15:17 to Paris sehen und dieselbe Karriere wie Spencer einschlagen wollen, fällt somit denkbar leicht und die US Army kann sich demnächst bei Eastwood für neue Rekruten bedanken. Im Zimmer des jungen Spencer hängt übrigens ein Poster von Full Metal Jacket. Entweder er oder Eastwood also haben Kubrick nicht verstanden und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, auf den ich da tippen soll.
Die Tatsache, dass die zentralen Charaktere den Terroristen letztlich ohne die Anwendung von Waffengewalt überwältigen, ist zwar ein kleiner Lichtblick, doch noch immer bleibt die Frage, was dann die geballte Masse an suggestiven Rückblenden soll. Während der ersten Dreiviertelstunde von 15:17 sehen wir lediglich vereinzelte Schnipsel des Geschehens im Zug – wahrscheinlich, um uns wenigstens hin und wieder daran zu erinnern, woher dieser Film eigentlich seinen Titel hat. Vermutlich wäre es daher immerhin ehrlicher gewesen, hätte sich Eastwood eine fiktive Story zusammengeschustert. Mel Gibson stünde sicher gern mit Rat und Tat zur Seite.
Hehe, da hat Bradley Cooper sich aber einiges bei Jeff Bridges (Crazy Heart!) abgeschaut. Wer kann es ihm verübeln? Der Trailer ist echt ziemlich packend, gleichwohl die Geschichte selbst natürlich auf ausgetrampelten Pfaden wandelt. Mal sehen, was die Inszenierung und die Darsteller am Ende wirklich reißen können.
Noch einmal die Erinnerung: Tut euch selbst einen Gefallen und merkt euch diese Serie mit einem dicken Rotstift vor. Auch dann, wenn ihr eher Serienmuffel seid.
The Americans hat zwar nicht das allergrößte Publikum, doch dasselbe gilt bekanntlich für viele der besten aktuellen TV-Formate. Ein wesentlicher Nachteil der Peak TV-Ära ist schließlich, dass Klasse unter zu viel Masse ungesehen untergeht. In 10 Jahren aber wird man über The Americans reden wie man heute über The Wire und andere Hochkaräter spricht, die ihrerseits ebenfalls ihrer Zeit voraus waren. Dessen bin ich mir sicher.
Momentan läuft die Serie in ihrer 6. (und leider auch letzten) Staffel und schließt beinahe mühelos jene Lücke, die The Leftovers in mir hinterlassen haben. So gut wie jetzt (Stand: S06E07) war The Americans zuletzt in Staffel 4 auf ihrem bis hierhin absoluten Höhepunkt, was wirklich etwas heißen mag.
Die sinnlichen Gesichter der überragenden Darsteller werdet ihr nicht wieder vergessen und ganz nebenbei euer eigenes Leben hinterfragen. So geht es zumindest mir, wenn ich mit sehe, wie die Protagonisten (sowohl die russischen Spione als auch die Agenten auf FBI-Seite) praktisch jeden Tag alles riskieren, weil sie glauben, die Welt durch ihr Handeln ein Stückchen besser zu machen. Ich bin alles andere als ein Patriot, bewundere aber den Idealismus dieser Charaktere und komme ins Grübeln, wenn ich an mein vergleichweise bequemes Dasein denke.
Manche Episoden sind spannender als jeder Thriller und dabei kleben die Autoren auch noch wie eine Klette an den existentialistischen Figuren, die uns trotz ihres außergewöhnlichen, gefährlichen Alltags doch so nahe stehen. Darum die Aufforderung: Gebt The Americans eine Chance, wenn ihr euch für Menschen interessiert. Denn es ist die beste Serie, die ihr (noch) nicht kennt.
Ich durfte mich zwar schon oben im Artikel austoben, möchte aber gern noch ein paar Namen hinzufügen. :-)
Audrey Hepburn: The Nun’s Story
Jack Nicholson: Five Easy Pieces
Bette Davis: What Ever Happened to Baby Jane?
Gene Hackman: The Conversation
Emily Watson: Breaking the Waves
Isabelle Huppert: La pianiste
Gena Rowlands: A Woman Under the Influence
Ingrid Bergman: Höstsonaten
Kevin Spacey: American Beauty
Patrick Swayze: Dirty Dancing
Billy Bob Thornton: The Man Who Wasn’t There
Daniel Auteil: Un coeur en hiver
Gillian Anderson: The House of Mirth
Jeff Bridges: Crazy Heart
Toshirô Mifune: Nora Inu (Ein streunender Hund)
Michael Fassbender: Hunger
Nicole Kidman: Birth
Daniel Day-Lewis: Praktisch jeder Film, in dem er mitgespielt hat
(Ginge es um Schauspieler in Serien, sähe die Sache bei mir etwas eindeutiger aus.^^)
Hallo, neuer Sitznachbar! :-) Ich finde es so cool, dass nun schon wieder ein erfahrener Schreiberling aus der Community in der MP-Redaktion gelandet ist, und das sogar buchstäblich direkt neben mir. Da fühle ich mich gleich *noch* heimischer. Wenn ich ab nächster Woche aus dem Urlaub zurück bin, rocken wir den Laden zusammen.
Als ich heute Morgen aufwachte, war ich wieder einigermaßen guter Dinge. Es war gegen halb 8, was bedeutete, dass ich etwa 11 Stunden geschlafen hatte. Unter einer durchschnittlichen Arbeitswoche komme ich auf etwa 4 Stunden pro Nacht. Schon das Einschlafen ist oft ein einziger Kampf und wenn ich gegen 2 oder 3 Uhr nachts aufwache, rechne ich mir aus, dass es in so oder so vielen Stunden bereits hell wird. Dieser Gedanke schwebt dann wie ein Damoklesschwert über mir und meiner verzweifelten Suche nach Nachtruhe. Doch nicht heute. Dafür, dass ich das erste Mal überhaupt in einem Wasserbett schlief, lief es wirklich ganz passabel. Wie ich oft las, helfen Wasserbetten gegen Rückenschmerzen und ironischerweise verspürte ich nun eben solche. Aber das ging schon in Ordnung. Es sind diese kleinen Dinge des Lebens, die mir andauernd passieren, mich aber immerhin in meiner Überzeugung bestärken, nirgendwo hin oder reinzupassen (nein, es geht nicht weniger dramatisch). Als ich so da lag und durch die Jalousien hindurch rätselte, ob es womöglich doch noch sehr früh - ZU früh - oder draußen bloß schlechtes Wetter war, rollte ich meinen Körper hin und her, um das Wasser Gluckern zu hören. Wozu soll so ein Wasserbett auch sonst gut sein? Dann drehte ich die Anzeige des Radioweckers zu mir hin und verschaffte mir Gewissheit. Dazu war ich nun bereit. Juhu, ein neuer Tag.
Die Hauptfigur in "Beginners" – ein Grafikdesigner – illustriert die Geschichte der Traurigkeit und es ist eine Geschichte, die mir bekannt vorkommt. Ich glaube, viele Menschen haben Angst vor der Liebe, weil sie schon früh bei anderen sehen, dass es damit nicht so leicht ist. Dafür braucht man kein Scheidungskind sein. Unser Protagonist aus dem Film erkennt zwar, dass sein über 70-jähriger Vater vier tolle letzte Lebensjahre genießen durfte, ist seinerseits aber trotzdem sehr nachdenklich unterwegs. Sehen wir unsere Vorbilder scheitern, fürchten wir, dass es uns auch so ergeht. Sehen wir sie froh, fürchten wir, es nie so weit zu bringen wie sie. Wie gesagt: Die Geschichte der Traurigkeit. "Die Jugend ist verschwendet an die jungen Leute", sagte einmal Oscar Wilde. Wie recht er doch hatte.
Warum ich Beginners so mag: Konträr zu vielen anderen Indie-Produktionen will er seinem Publikum nicht weismachen, die Rezeptur fürs große Glück zu kennen. Im Gegenteil verhandelt er mehr als 100 Minuten lang die Gültigkeit jedes einzelnen denkbaren Lebensentwurfs auf dieser Welt und entlässt uns so mit einem sanften Lächeln in jene Zukunft, die sowieso von ganz alleine kommt. Beginners ist einer dieser Filme, von denen ich mir wünschte, sie wären ein Mensch. Er ist zugleich wie der erste Frühlings- und der erste Herbsttag eines Jahres in der Art, wie er von Veränderung kündet. Man riecht ihn zwar nicht in der Luft, aber dafür pustet er einem kräftig das Herz durch.
Morgen steht bei mir das obligatorische Familientreffen zu Ostern auf dem Programm. Neben Weihnachten ist es die Begebenheit im Jahr, die ich pflichtbewusst, aber zähneknirschend einfach über mich ergehen lasse, denn bekanntlich nirgends fühlt man sich einsamer als in entfremdeter Gesellschaft. Ich werde also dieses Rückenschmerzen-Bett verlassen und mich in ätzendem Small Talk üben müssen, den ich wahrscheinlich nie beherrschen werde. Oft frage ich mich, ob wir vielleicht alle von denselben Dingen träumen und, wenn ja, warum wir einander dennoch nicht verstehen. Beginners konnte mich beschwichtigen... für den Moment. Juhu, ein neuer Tag!
"Du zeigst, ich fahre."
"Aah, das berüchtigte Links."
"Und? Wieder links. Wir fahren im Kreis, das find' ich gut."
Death Wish von 1974 ist ein missverstandener Film, den bis heute wird ihm vorgeworfen, Rache und Waffengewalt zu verherrlichen. Dabei ist er im engeren Sinne nicht einmal ein Rachefilm. Nachdem nämlich Charles Bronsons Filmfrau getötet und seine Filmtochter vergewaltigt wird, zieht er nicht etwa aus, um die Täter zur Strecke zu bringen. Vielmehr knöpft er sich willkürlich verschiedene Kriminelle vor, die ihm auf der Straße in die Quere kommen. Dafür wird er schon bald von weiten Teilen der Bevölkerung gefeiert als wäre er Batman, während die Polizeibehörden – und das ist der vielleicht wichtigste Knackpunkt der Geschichte - der ganzen Situation hilflos gegenüberstehen. Der Film positioniert sich letztlich weder für noch gegen irgendetwas, er illustriert lediglich radikal die Brüchigkeit unseres zivilisatorischen Miteinanders. Der Protagonist nämlich wird nicht etwa als Waffennarr oder erzkonservativer, verbitterter Republikaner eingeführt. Im Gegenteil lernen wir ihn als liebevollen Familienvater kennen, dessen Leben nach eingangs erwähntem Überfall komplett aus den Fugen gerät und der das öffentliche Gefüge sodann praktisch im Alleingang zum Einsturz bringt.
Offensichtlich sind Waffen ein Thema in Death Wish, aber als Kommentar auf die zurzeit wieder sehr aktuelle Frage, wie sich Amokläufe verhindern lassen, taugt er von vorneherein nur sehr bedingt. Selbiges gilt auch für das Remake von Eli Roth, das leider denkbar fad anmutet. Hier berichtet nun nicht mehr nur das Fernsehen über den mysteriösen Rächer, nein, es landen direkt Handyvideos auf YouTube, die sein gewaltsames Einschreiten für alle dokumentieren. Jene mediale Ausschlachtung, die im 21. Jahrhundert natürlich noch einmal ganz andere Dimensionen annehmen kann als in den 70ern, ist zwar durchaus Teil der ganzen Perversion, aber Roth reitet so stark darauf herum, dass man sich als Zuschauer in seiner Intelligenz schon mal unterschätzt vorkommen kann. Das Original - das wird im direkten Vergleich sehr deutlich - war in vielerlei Hinsicht angenehm zurückhaltend, wogegen wir von der Neuauflage zahlreiche der wichtigsten Aspekte dick unter die Nase geschmiert bekommen. So ging bei Michael Winner eher am Rande hervor, wie kinderleicht es in den USA überhaupt ist, an Knarren zu gelangen. Roth hingegen drückt auch an dieser Stelle laut auf die Hupe und besetzt die Verkäuferin des Waffenladens mit einer vollbusigen Blondine, die auch gleich sexy Werbespots einsprechen darf. Kann man als gelungene Satire werten, muss man aber nicht. Was man davon hält, hängt wahrscheinlich nicht zuletzt davon ab, wie man zum Regisseur im Allgemeinen steht.
Weniger reizvoll als die 1974er Version ist Death Wish für mich auch deshalb, weil die Mission der Hauptfigur hier eine persönliche wird, was der Story einiges an Ambivalenz raubt. Im Gegensatz zu Bronson hat es Bruce Willis als neuer Paul Kersey in erster Linie auf genau die Typen abgesehen, die seine Familie angriffen und dieser Ausgangspunkt wiederum ebnet den Weg für klassisches Genre-Kino, mit dem ich persönlich weniger anzufangen weiß. Hinzu kommen diverse eingestreute "spaßige" Zynismen, die weniger auf interessante Weise irritieren, sondern Death Wish 2018 einfach bloß dümmer machen als nötig. Der rohe Sog, der das Original besonders auszeichnete, ist dem glatten Remake ohnehin vollständig abhanden gekommen, sodass am Ende kaum mehr bleibt als ein hinfälliger Film, der zwar manches anders, aber nichts wirklich besser macht als seine Vorlage.
Diese Liste ist (zumindest nach dem ersten Kommentar hierunter zu urteilen) am heutigen Tag genau 5 Jahre alt und entstammt einer Zeit, zu der hier auf MP noch richtig die Hölle los war. Ich weiß nicht, ob es jetzt noch irgend jemanden interessiert, aber immerhin 31 User haben das hier (bei 61 Likes) abonniert und ich hatte Lust, die Aufzählung mal gründlich zu updaten. Das Ergebnis: Etwa die Hälfte ist rausgefolgen und wurde durch neue Favoriten ersetzt. Ich schätze, so ist das nun mal, wenn man viele Filme schaut und dadurch natürlich auch seinen Horizont erweitert. Selbst eine vermeintlich ewige Top 50 ist offenbar stetem Wandel unterzogen.
Viel Spaß beim Stöbern an alle Mitlesenden. :-)
#TeamPhantomThread
http://bit.ly/2H3ulYB
♥
Wenn Gary Oldman das Ding gewinnt, ist der Darsteller-Oscar 2018 zu 50% ein Make-Up- und zu 50% ein Lebenswerk-Preis. Und das tut ziemlich weh, zumal Chalamet, Day-Lewis und Kaluuya allesamt bessere Leistungen erbracht haben ohne hinter einer Maske zu verschwinden (Roman J. Israel, Esq. noch nicht gesehen!). In diesem Jahr daher wohl die vergessenswerteste Kategorie, obwohl wirklich extrem talentierte Leute nominiert sind. Zu gerne würde ich mich in eine Maus verwandeln, mich in die Veranstaltung schmuggeln und Umschläge vertauschen.
Puh. Diesen Artikel zu schreiben fiel mir gar nicht leicht, denn hier soll ja eine objektive Einschätzung der Oscar-Chancen für die einzelnen Nominierten das Ziel sein. Und danach sieht es für meinen Lieblingsfilm leider einfach nicht gut aus. Ginge es aber nach mir, bekäme Phantom Thread alle Preise dieser Welt. Ich habe wirklich schon lange keinen Film mehr gesehen, der so furchtlos das süße Gift der Liebe herausfordert und zugleich mit beiden Händen nach ihm greift. In manchen Momenten glaubte ich sogar, Antonioni und Kubrick aus dem Jenseits Beifall klatschen zu hören, denn selbst die hatten keinen Daniel Day-Lewis. Wie gesagt: Mein Lieblingsfilm.
Waaaaaaas? Aber Mommy ist doch der zärtlichste Film des Jahrtausends bisher!
Allein diese Szene hier: https://www.youtube.com/watch?v=jimhjwgc6mo ♥
Oder war das jetzt nur die Retourkutsche für meinen Fricke-Diss? ;-)
Wie das halt so ist, wenn man älter wird, glaube ich mittlerweile eher an die zerstörerische als an die heilende Kraft der Liebe. Zumindest wenn es um romantische Liebe geht. Eigentlich ist diese Begriffszusammensetzung schon ein Widerspruch in sich, denn in der Romantik mag es vieles geben, aber Liebe? Ich weiß nicht. Ein paar Male im Leben trifft einen dieser Blitz und dann steht man mitten im Gewitter, ohne, dass man darum gebeten hat. Nun mag man vielleicht zunächst überrascht und überwältigt sein von der Zuneigung, die man für eine andere Person zu empfinden imstande ist, aber was in diesem Moment unendlich scheint, entpuppt sich regelmäßig als relativ kurzlebig und kann schon bald durch Ernüchterung ersetzt werden, die von ganz alleine eintritt. Oder noch schlimmer: Die anfängliche "Liebe" verkehrt sich in etwas sehr, sehr Destruktives. Denn irgendwie erwartet man in romantischen Beziehungen immer sehr viel von dieser Sache - im Gegensatz zu beispielsweise "normalen Freundschaften", bei denen es absolut OK ist, wenn sie auch mal eine Weile vor sich hinplätschern. Oder auch im Rahmen der Familie, die man sich ohnehin nicht ausgesucht hat.
Wobei: "Aussuchen" tut man sich wahrscheinlich niemanden, denn wenn Phantom Thread eines zeigt, dann die Schicksalhaftigkeit jener komplizierten Sache, die man Liebe nennt. Der Schneider/Modedesigner Reynolds Woodcock nämlich ist im Grunde ein Einzelgänger, vollkommen erfüllt von seinem Ego. Ich könnte stundenlang dabei zusehen, wie selbst kleinste Irritationen des Alltags ihn wie ein Panzer überrollen, denn als Autist geht es mir ähnlich und Paul Thomas Anderson hat sich einfach unglaublich gut in diese Art von Mensch hinein gedacht. Ein Highlight des Films ist beispielsweise Almas Plan, ihren Partner mit einem tollen Abendessen zu überraschen, in dessen Verlauf er ihr allerdings mal eben an den Kopf wirft, sie würde sein Leben zerstören. Denn Überraschungen sind einfach nicht gut. Ich betone immer gern die Menschlichkeit von PTAs oft sperrigen Figuren (manche sagen: Monstern) und so auch hier, ist doch die vermeintliche Gewissheit von Kontrolle zugleich die Gewissheit, jedes Anzeichen von Unzulänglichkeit eliminiert zu haben. Wer aber partout keine Schwäche (/Gefühle?) zeigen will, hat in Wahrheit wohl umso mehr davon gehortet.
Jedenfalls ist Alma so ziemlich das Gegenteil von Reynolds, sodass die Geschichte wie auch schon in There Will Be Blood oder The Master auf eine unausweichliche, urgewaltige Kollision zusteuert. Niemand kann sagen, was diese beiden überhaupt aneinander finden, außer eben all das, was sie von sich selbst nicht kennen. Faszinierend ist Almas Entwicklung: Noch anfangs tritt sie als tollpatschiges, neugieriges und – wenn sie nicht gerade in Bohrmaschinen-Lautstärke Toast schmiert – im Wesentlichen liebenswertes Mädel auf... bis Woodcock sie in seinen Abgrund hinein zieht und man sich endgültig fragt, warum man gerade so sehr diesen Film mit diesen seltsamen Menschen darin genießt. Alma warnt Woodcock anfangs sogar noch, er solle vorsichtig sein mit dem, was er tut, aber wer verdammt noch mal war das jemals in der Liebe?
Doch muss ich das mit der Romantik noch einmal überdenken, denn die Radikalität, mit der beide die Beziehung sehenden Auges immer toxischer werden lassen, hat wahrscheinlich doch etwas sehr Idealistisches. Immer heißt es, in der Liebe müsse man Kompromisse eingehen, doch Reynolds und Alma finden tatsächlich einen Weg, das Glück zu erzwingen, ohne an sich – Achtung, nächste Floskel - "arbeiten" zu müssen. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber an dieser Stelle wird das Drama so sehr zur bitter-komischen Farce, dass ich das eine ab jetzt nicht mehr von dem anderen trennen kann. Aber romantische Liebe ist genau DAS. Ein Film wie maßgeschneidert.
Boah, ihr seid echt krass. So liebe Kommentare unter diesem Artikel und so viel Zuspruch... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ich bin ernsthaft gerührt. Wie präsent die MP-Community noch immer ist, sollte jedenfalls deutlich geworden sein und ich werde in den nächsten Monaten mein Bestes tun, um dazu beizutragen, dass wir hier eine tolle Zeit haben. :-)
DANKE!
Ein Sportler-Biopic mit Püppchen Margot Robbie in der Hauptrolle – noch vor gar nicht langer Zeit hätte ich mir kaum eine filmische Kombination ausdenken können, die mich noch weniger interessiert. Nun aber habe ich "I, Tonya" gesehen und meine Vorurteile fliegen mir nur so um die Ohren, was natürlich verdammt gut so ist. Vielleicht mag ich es in einer von Stangenware und Vorhersehbarkeit dominierten Filmwelt sogar am meisten, einfach auch mal falsch zu liegen.
Tatsächlich ist die Geschichte der ehemaligen Eiskunstläuferin Tonya Harding einerseits an sich schon verrückt genug, um verfilmt zu werden, schreit daneben aber auch nach einer tiefergehenden Betrachtung der unkonventionellen Sportlerin in einer Welt, in der zumeist nur die Schönen und Angepassten die Lorbeeren einstreichen. Zu meiner großen Überraschung wird dieser überaus unterhaltsame Film mit satirischem Einschlag von Craig Gillespie auf spielerische Weise beidem gerecht, ohne dabei – was hier gar nicht weiter schlimm ist – die erzählerischen Regeln des Biopics auf den Kopf zu stellen.
Das Besondere an Tonya Harding: Sie ist ein Kind der Arbeiterklasse, das mit Talent und viel Übung bereits in jungen Jahren über der Konkurrenz schwebte und nie seine Wurzeln leugnete. Doch das sich anbahnende Märchen vom American Dream wurde bald zu dessen Pervertierung, denn nach einem stümperhaft ausgeführten Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan, das nicht etwa Tonya selbst, sondern ihr damaliger Ehemann Jeff Gillooly in Auftrag gegeben hatte, kam die Olympia-Teilnehmerin – später für sämtliche künftigen Wettbewerbe gesperrt und als "Eishexe" verschrien – nicht mehr auf die Beine.
Jenen tragischen Karriereverlauf kreuzt der Film mit dem kaum minder turbulenten Privatleben der einstigen Schlittschuh-Hoffnung, sodass man am Ende praktisch keine Wahl hat als stolz zu sein auf diese Frau, die buchstäblich immer wieder aufgestanden ist und symbolträchtig schließlich ihr Glück im Boxring versucht hat. Glaubt man nämlich "I, Tonya", war Hardings Kindheit geprägt von Verlust, Erniedrigungen durch die eigene Mutter (die von ihrem Niedriglohn kurioserweise allerdings auch die Trainingsstunden ihrer Tochter bezahlte und sogar deren Kostüme anfertige) sowie womöglich sogar noch Schlimmerem, abgelöst von einem nicht wirklich erfüllteren Dasein an der Seite des gewalttätigen, unberechenbaren Gillooly. Das vielleicht traurig-schön-groteskeste Bild des Films: Mit verschmiertem Make-Up sieht Margot Robbie als Tonya aus wie der Joker, dessen abgedrehte Freundin Harley Quinn sie ja erst neulich in "Suicide Squad" spielte.
Einen schweren Stand hatte die Sportlerin bei den Punktrichtern, die eigentlich niemanden zu den Olympischen Spielen schickten wollte, der zu Metal-Klängen über die Eisfläche fegt und so gar nicht das Bild der heilen amerikanischen Familie hochhält – dies gibt ein Verantwortlicher in einer Szene gegenüber Tonya sogar durchs Autofenster offen zu und ich glaube, das war der Moment, ab dem ich endgültig auf der Seite der titelgebenden, nur vermeintlich einfach gestrickten (Anti-)Heldin stand, die ihre Situation immer wieder treffend "analysiert". So resümiert sie am Ende, dass die Öffentlichkeit ihre Mittelpunkte braucht, die sie lieben und hassen kann – Harding war zu ihrem Pech beides und damit maximaler Publikums-Willkür ausgesetzt. Und doch hat sie sich ihre eigene Wahrheit bewahrt, ob sie nun übers Eis tanzt oder kämpferisch die Zähne ausspuckt.
Ich fühle mich fast ein bisschen schlecht dabei, diesem zweifellos liebgemeinten, unschuldigen Film eine so niedrige Wertung zu verpassen, aber es hilft ja alles nichts: "Call Me By Your Name" hat mich ganz schön hängen lassen.
Hier ist ein ungleiches Darstellergespann mal kein potentieller Spannungsfaktor, sondern ein großer Nachteil, denn wo ich Newcomer Timothée Chalamet die jugendliche Neugier und Geilheit seiner Figur von der ersten bis zur letzten Sekunde abkaufe, da ist der viel zu glatte Sonnyboy Armie Hammer leider einfach bloß existent, weshalb ich zwischen den beiden Protagonisten auch kaum amouröse eine Chemie wahrnehmen konnte, die über das Offensichtliche hinausgeht: Man beschnüffelt sich, vögelt dann irgendwann miteinander (über weite Strecken ist der Film – was ich nur bis zu einem gewissen Punkt glaubwürdig fand – wirklich ein einziger Teaser), dann gehen die Wege wieder auseinander. Natürlich alles im Laufe eines Sommers, wahrscheinlich, weil Winterromanzen einfach nicht so romantisch sind. Für die sinnlichen Momente sorgt ebenfalls größtenteils Chalamet als 17-jähriger Elio, zum Beispiel dann, wenn er sich unbeobachtet an der Shorts seines Schwarms zu schaffen macht.
Für Stirnrunzeln sorgte bei mir das harmoniesüchtige Drehbuch, denn seltsamerweise hat die in "Call Me By Your Name" dargestellte schwule Liebe mit keinerlei äußeren Hindernissen zu kämpfen, womit sich ein Film aus der Trump-Ära – gleichwohl er im Europa der 80er angesiedelt sein mag – automatisch schon ein wenig in utopisch-träumerischen, jedenfalls aber von der heutigen Realität losgelösten Sphären bewegt... was man jedoch ebenso als positiv bewerten kann, denn Liebe muss ja nicht immer eine politisch aufgeladene Angelegenheit sein. In einer perfekten Welt wäre sie das ohnehin nicht. So existieren zwischen den zentralen Charakteren keine Standesunterschiede oder Ähnliches, das eine offene Annäherung eventuell zusätzlich erschweren und "Call My By Your Name" so womöglich in sirk'sche Höhen befördern würde.
Doch wie besteht ein Film – gerade ein Liebesdrama – ohne richtige Konflikte? Eine Teenagerin, die ihrem Partner, der sie soeben für jemand anderen verlassen hat, einfach anbietet, "für immer Freunde" zu bleiben, verhält sich damit für meine Begriffe dann doch etwas ZU erwachsen als dass ich das Gezeigte hier wirklich glauben könnte. Am Ende verstand ich kaum, woran die Beziehung der Hauptfiguren in den Augen der Autoren denn nun eigentlich gescheitert ist. Vielleicht hätte "Call Me By Your Name" damit gewonnen, die Handlung über mehrere Jahre (und nicht bloß zwei Jahreszeiten) zu spannen, wie es auch "Brokeback Moutain" tut, in dem sogar beide Männer eine Frau heiraten, aber einander nicht vergessen können – doch womit Ang Lee immer wieder neu zu Tränen rührt, das ist hier nur Behauptung, wenn im Winter schließlich die ersten Schneeflocken fallen.
Escape to Paradise. Mit musizierenden Menschen unter Palmen möchte eine Werbetafel in der New Yorker Grand Central Pendler und Reisende verführen. Welchen besseren Ort gäbe es auch als diesen hier, einen großstädtischen Mikrokosmos, oft genug so anonym und trostlos, dass Träumen zur Pflicht wird? Auch der ehemalige Mafioso Carlito hatte große Ziele – nachdem aus einer 30-jährigen Haftstrafe überraschend eine 5-jährige geworden ist, will er seine von Gewalt geprägte Vergangenheit hinter sich lassen, auswandern und einfach nur mit einem alten Kumpel Autos vermieten. Das klingt zwar bescheiden, sehr sogar (tatsächlich wird er für seine Pläne von früheren Weggefährten belächelt), bleibt für den Puerto Ricaner aber dennoch Utopie. Und das macht "Carlito's Way" zu einem der traurigeren, aber natürlich auch besten Filme seiner Gattung – hiermit hat Brian De Palma das melancholische, weitaus gedankenvollere Gegenstück zu "Scarface" gedreht, das meinen Geschmack ehrlich gesagt deutlich besser trifft als die streitbare Kultfarce von 1983.
Die ganze Größe der Geschichte kommt durch den fühlbaren Zwiespalt der Hauptfigur zur Geltung, deren – ausgerechnet – missliche Loyalität zu zwielichtigen Gestalten sie erst zurück in die Kriminalität und schließlich um 3 Uhr nachts in die Notaufnahme führt. Nur, weil Carlito sich ernstlich bessern will, gilt selbiges nicht automatisch auch für die anderen, wie er leidvoll erfahren muss. Der Schmerz darüber sitzt tief, glücklicherweise aber bewegt sich der Film konsequent auf Augenhöhe zu seiner tragischen Hauptfigur, was in diesem Fall bedeutet, dass opulentem Machogehabe (vgl. den oben erwähnten "Scarface") nach innen wie außen eine Absage erteilt wird. Pacino spielt seine Rolle zum Niederknien, schafft er es doch, sich selbst und den Zuschauer auf ein positives Ende hinfiebern zu lassen, obwohl man es bereits nach der Eröffnungssequenz besser weiß.
Das Gute besteht nicht in einem schwarzen Loch, erst recht nicht der Geläuterte. In den letzten Momenten des Films sagt Carlito, er habe sein Schicksal immer gekannt, aber länger durchgehalten als viele es ihm zutrauten. In dieser Situation dankbar für sein Leben zu sein, muss man erst einmal schaffen und es ist ein kleines Wunder, dass sich das alles nicht komplett hoffnungslos anfühlt, sondern der Blick der Zukunft gilt... was auch immer da warten mag. Vielleicht der vertraute Geruch von Bahnhöfen. Vielleicht das süße Versprechen von Stränden, Palmen und Sonnenuntergängen. Vielleicht sogar, irgendwann, eine bessere Welt. Escape to Paradise.
Statt "Aus dem Nichts" könnte dieser Film eigentlich auch "Ins Nichts" heißen, denn genau dorthin führt der schon beim Hinsehen unerträgliche Weg von Diane Kruger. Akins Neuer handelt von einer Frau Ende 30, die mitten im Leben steht, aber unvermittelt aus selbigem gerissen wird, als eines Tages eine Bombe vor dem Büro ihres Mannes explodiert – mit der Folge, dass sie nicht nur ihn, sondern auch den gemeinsamen kleinen Sohn verliert. Was folgt, ist eine Tour de Force, die man im Kino nur selten durchstehen darf... beziehungsweise muss.
Der Verdacht der Protagonistin fällt bald auf das rechtsextreme Milieu und tatsächlich sitzt eines Tages ein Neonazi-Pärchen auf der Anklagebank, die Indizien sind belastend. Ein ganzes Kapitel hat Akin diesem Gerichtsprozess gewidmet, der für mich der beeindruckendste Part des Films ist – Gesichter brennen sich ins Gedächtnis wie bei Bergman oder einem Italowestern, jede Casting-Entscheidung erweist bis in die Nebenrollen hinein als Volltreffer. Dazu passt auch, dass der Film hier beginnt, wirklich konsequent zu werden, denn Akin denkt gar nicht daran, an der Schuld der Täter zu rütteln, und das – wie man meinen könnte –entgegen der Unschuldsvermutung, die ich übrigens für die wohl wichtigste Errungenschaft unseres Rechtssystems halte. Selbst die elementarsten Grundsätze jedoch können an ihre Grenzen stoßen, was "Aus dem Nichts" schmerzlich aufzeigt. Denn wenn ein Angeklagter schon beim kleinsten Zweifel freigesprochen werden muss, bedeutet das früher oder später wohl automatisch auch, dass kapitale Verbrechen ungesühnt bleiben – es ist der hohe Preis, den unser Rechtsstaat bezahlt, um zu vermeiden, dass niemand im Knast landet, der wirklich nichts getan hat.
Ist "Aus dem Nichts" – wie einige Kritiker offenbar meinen – eine plumpe Rachephantasie? Ich finde, mit dem Vorwurf macht man es sich zu leicht. Rache begeht man immer auch in der (trügerischen) Hoffnung, sich danach besser zu fühlen, Hauptfigur Katja allerdings ist darüber schon lange hinaus. Was am Ende des Films passiert, kommt vielmehr einer Kapitulation vor der eigenen Ohnmacht gleich, und nicht zuletzt das verleiht "Aus dem Nichts" eine so tragische, nachhallende Wirkung. In der Vorstellung, in der ich den Film sah, stand kein einziger Zuschauer auf, als der Abspann einsetzte, und sogar ich blieb wie festgeklebt sitzen, um das Gesehene wirken zu lassen, obwohl ich mich meistens recht schnell verdrücke. Das ist natürlich zum einen der Verdienst von Akin, der so wuchtig inszeniert wie wahrscheinlich kein anderer lebender deutscher Regisseur und so selbst durchschnittliche Drehbücher beinahe regelmäßig vergoldet. Hier spielt er in drei Akten seine ganze Klasse aus, was genauso für die in Cannes prämierte Diane Kruger gilt, von der ich bislang eher kein Fan war. Durch sie wirkt die ohnehin zu jeder Sekunde spürbare Wut des Regisseurs noch einmal doppelt und dreifach, absolut jede ihrer Regungen saugt man wie ein Schwamm auf – und fühlt sich anschließend ausgewrungen, leer, zerdrückt.
Das heißt nun nicht, dass "Aus dem Nichts" ein makelloses, auf ganzer Linie überzeugendes Meisterwerk wäre, denn bestimmt gibt es Angriffspunkte. Offen gestanden habe ich keine Ahnung, zu welchem Anteil ich ihn womöglich wider besseres Wissen mag. Auf jeden Fall festhalten muss ich aber, dass er mich bewegt und mitgerissen hat – und das konnte ich in diesem Jahr von nicht gerade Filmen behaupten. Ein typischer Akin eben.
Einer dieser Filme, nach denen niemand gefragt hat und dann doch irgendwann irgendwie da sind. Agatha Christies literarische Vorlage ist heute wie damals nicht weltumspannend, wusste aber mit einer angemessenen süffisanten Leichtigkeit zu gefallen. Nicht zuletzt wurde dadurch eine gewisse Distanz zum mörderischen Geschehen im titelgebenden Zug gewahrt – und störende Moralhuberei elegant vermieden.
Nun aber kommt Kenneth Branagh daher und zeigt, dass es möglich ist, diesen doch eigentlich nicht besonders komplex gestrickten Unterhaltungsroman misszuverstehen, indem er den Ausgang der Story neu schreibt – nach eigenen Angaben, weil andere Zeiten andere Enden erforderten und man das Publikum nicht einfach mit den nackten Fakten einer Ermittlung allein lassen könne. Ich bin da gegenteiliger Ansicht und finde, dass es wichtig wie eh und je ist, den Kinozuschauer einer Selbstverantwortung zu überlassen. Darum kann ich die dick aufgetragenen letzten Minuten dieses Films nur schwer schlucken, die mir vorschreiben wollen, was hier gerecht sein soll und was nicht. Christie ging dieser Frage einst aus dem Weg, belud ihr Werk also gerade nicht mit tonnenschwerem Ballast, unter dem es zweifellos zusammengebrochen wäre (ja, auch Belletristik muss man erst einmal können).
Abseits dessen ist der neue "Mord im Orient-Express" maximal egal und es muss einem beinahe schon leid tun um die schönen 70-mm-Bilder, deren sinnliche Versprechen Branagh weder als Regisseur noch Hauptdarsteller einlösen kann. Zeichnete das Buch seine bärtige Hauptfigur Poirot mit teils feinen Überspitzungen, wird die Grenze zur nervtötenden Karikatur zumindest für mein Empfinden hier schon in den ersten Szenen deutlich überschritten – weite Teile des Films habe ich dann eher ausgehalten statt genossen. Und nur der Vollständigkeit halber: Die zahlreichen hochklassigen Schauspieler dürfen allesamt höchstens 30% ihres Potenzials abrufen und stehen einander misslich auf den Füßen, was die Sache natürlich nicht besser, aber das Desaster komplett macht.
Der 2017er Orient-Express ist ein unrundes Nicht-Vergnügen und genauso überflüssig, wie man schon im Voraus befürchten musste. Eigentlich ist bereits der Titel Etikettenschwindel, denn von dem Tempo eines Expresszugs ist kaum etwas zu spüren. Ich jedenfalls kam mir vor wie auf einer gähnend lahmen (und auch ein bisschen ärgerlichen) Kaffeefahrt. Der Nachfolger ("Tod auf dem Nil") fährt ohne mich ab.
In erster Linie will Ridley Scott wohl einfach kein Blut an den Händen kleben haben, zumal dieses Kinojahr für ihn sowieso katastrophal war – sein "Alien: Covenant" ist am Box Office gefloppt, genauso der von ihm produzierte "Blade Runner 2049". Da möchte er sich nicht obendrein noch vorwerfen lassen, jemandem eine Bühne zu geben, der von über 10 Personen der sexuellen Belästigung (bzw. teilweise sogar noch mehr) beschuldigt wird. Das ist einerseits nachvollziehbar, wobei auch "All the Money in the World" wahrscheinlich ohnehin kein Megahit geworden wäre. In diesem aufwändigen wie teuren Darstellertausch liegt daneben allerdings eine bittere Ironie, denn natürlich ist das Problem selbst damit keineswegs aus der Welt – man kann Spacey vielleicht buchstäblich aus dem Film radieren, aber eben nicht den Skandal und die Vorwürfe um ihn herum sowie alles, was in Hollywood seit Dekaden grundsätzlich extrem falsch zu laufen scheint. Ich als mündiger Zuschauer kann differenzieren und mir selbst Gedanken zum Fall machen und hätte ATMITW gerne in seiner ursprünglichen Fassung gesehen. Aber naja... sollte es Scott gelingen, trotz der kurzfristigen Nachdrehs den anberaumten Kinostart einzuhalten, wäre er damit eventuell plötzlich im Rennen um den Regie-Oscar. Kein schlechter Schachzug, so gesehen.
Was für eine Grenzerfahrung, auch nach mehrmaligem Anschauen und 45 Jahre nach seinem Erscheinen. Ich behaupte mal: Dieser Film ist zu gut, um einfach nur Kult zu sein. Denn Kult heißt ja oft, dass einfach das Hirn ausgeschaltet und gefeiert wird. "A Clockwork Orange" aber beleidigt man eigentlich damit, ihn zum Beispiel auf ästhetisierte Gewalt und eine Milchbar zu beschränken – im Gegenteil muss man sich seiner Dialektik unbedingt stellen. Wenn die Welt im Angesicht des Verbrechens zu Beethoven aus den Fugen gerät, könnte es bedeuten, dass die Kunst uns nicht retten kann und – viel schlimmer noch – sie es vielleicht auch gar nicht will. Oder warum sonst bezirzt und inspiriert etwas so Erhabenes wie die Neunte einen Vergewaltiger und Mörder wie Alex DeLarge zu derart schrecklichen Taten?
Wo sehr viele Filme bereits stehen bleiben – also noch weit vor der moralischen Grauzone –, da hat "A Clockwork Orange" noch nicht einmal zum Anlauf ausgeholt. Der Landepunkt liegt dann irgendwo jenseits der Schmerzgrenze, wenn wir zusammenfassend notieren müssen, dass sich der Protagonist zwischen jungenhafter Leichtigkeit, hundertunseinprozentig gewissenlosem Verhalten und Nervenzusammenbrüchen als Täter und Opfer zu etwa gleichen Anteilen darstellt. Die Frage danach, wie man am Besten mit Straftätern umgeht, ist ja eine, die noch immer große Relevanz hat und wohl auch behalten wird, solange es Menschen gibt. Hier ist es nicht genug, Alex wegzusperren, denn die Gefängnisse sind überfüllt und vielleicht lässt sich der junge Mann sogar resozialisieren. Was zunächst aber nach einer tollen Idee klingt, entpuppt sich als Gehirnwäsche mit Tendenz zur Folter, die dem Probanden seinen Willen raubt – also sein wichtigstes und zugleich (wie wir eindrucksvoll erfahren haben) gefährlichstes Gut. Dahinter steckt wiederum die dringende Überlegung, was eine Gesellschaft eigentlich ertragen muss, um als wirklich frei gelten zu können. Die kontroverse Antwort: Eigentlich alles – sogar Menschen wie Alex DeLarge. So weh es tut. Aber will das wiederum überhaupt jemand?
Und es wird noch verrückter, denn gerade, als unserer aufrechter Erzähler wieder einigermaßen überm Berg scheint, kriegt er weiter die volle Breitseite, dieses Mal von einigen seiner ehemaligen Opfer. Die Bereitschaft zur Gewalt ist also nicht angeboren, sondern sie kann beispielsweise durch das bestimmt werden, was man persönlich erfährt. So greift der Film schließlich auch noch die "Option" Selbstjustiz (ebenfalls ein hoher Preis absoluter Freiheit) auf, was aber natürlich nur tiefer ins Verderben führt und den Teufelskreis mit blutiger Feder vollendet. Wenn Alex dann für jene Regierung in die Kamera lächeln darf, die das diabolische Chaos in Kubricks vertrautem Paralleluniversum bloß verschlimmbessert hat, hat sich auf unseren Gesichtern sowieso schon lange ein hämisches Grinsen breitgemacht und wir klatschen dementsprechend begeistert. Ja, in jeder Pore von "A Clockwork Orange" kauert die pure Aggression, aber ich vermute, wenn ein Psychopath klassische Musik lieben kann, kann auch ein überzeugter Pazifist, der keiner Fliege etwas zu Leide tun würde, einen Film wie diesen genießen. Gut für Alex also, dass er wenigstens seinen Beethoven zurückbekommt.