Martin Canine - Kommentare

Alle Kommentare von Martin Canine

  • Martin Canine 20.03.2018, 01:56 Geändert 20.03.2018, 01:59

    Was für ein Scheiß. Von den Produzenten, die für den Unterschied verantwortlich sind, hätte man durchaus in Form einer Petition eine Entschädigung verlangen können. Das wäre durchaus vertretbar. Nun aber vom dafür überhaupt nicht verantwortlichen Schauspieler zu verlangen, seine vertraglich festgelegte, rechtmäßig erworbene Gage aufzugeben schießt doch vollkommen am Ziel vorbei. Ich hoffe nicht, dass er das spendet - und dass es ihm auch niemand übel nimmt.
    Denn wo einst sinnvolle Kritik und hintergründiges Aufdecken der ökonomischen und psychologischen Verhältnisse der Geschlechter herrschten, wird nun krampfhaft und ohne lange zu überlegen versucht, irgendetwas zu finden, dass nach Außen hin "total feministisch und fortschrittlich" aussieht. Jedem, der 2 Sekunden nachdenkt, sollte sehen, warum diese Petition rein gar nichts mit der Bekämpfung des Kritikpunktes zu tun hat und den Verursacher überhaupt nicht trifft.
    Mark Wahlbergs Spende war gut - es war ein freiwilliges Statement. Das hier ist allerdings quasi, als würde man eine völlig unangebrachte Bestrafung fordern.

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    • Martin Canine 13.03.2018, 10:29 Geändert 13.03.2018, 19:49
      über Lucifer

      https://www.trendsmap.com/twitter/tweet/97294685258365337

      Okay, US-Amerikanisches Fernsehen. Das ist eure letzte, aber auch wirklich eure aller aller aller allerletzte Chance, alles zwischen uns wieder auszubügeln. Macht gefälligst was vernünftiges drauf. Und hört auch auf Ratschläge, die ihr von den Bewerbern eventuell bekommt. Wenn ihr den Job gut macht, werde ich mir vielleicht noch ein paar andere Folgen anschauen und blind die erste Staffel kaufen, denn das gehört belohnt. Wenn nicht... schaufelt schonmal das Grab.

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        Als “Uncanny Valley” wird ein psychologisches Phänomen bezeichnet, laut dem wir zwar Figure umso sympathischer empfinden, je menschlicher sie wirken, jedoch sobald sie eine zu starke Ähnlichkeit mit dem Menschen besitzen, ohne vollends menschlich zu sein, als enorm unangenehm und gruselig empfinden. So lässt sich die Angst, welche viele Leute vor gewissen Dingen aufweisen, erklären: Puppen, Masken… oder auch Clowns. Zwar wird der Clown von einem Menschen verkörpert, durch seine Schminke und seine Kleidung ist er jedoch verzerrt und grotesk. Hinzu kommen meistens auch noch eine äußerst übertriebene Gestik und Mimik, sowie eine fast schon ironisch übermäßige Zurschaustellung von Spaß und Schabernak. Das sei nur mal am Rande erwähnt, da ich nach dem Film mal ein wenig recherchiert habe, warum Clowns eigentlich als lustig gelten - kein einziger Artikel, den ich fand, widmete sich der spaßigen Seite des Clowns, ein Großteil allerdings mit dem Aspekt der Angst. Wo also die absurde Idee herkommt, Clowns würden Kindern Freude machen, wird wohl noch ein ungelöstes Rätsel bleiben - einig sind sich lediglich alle, dass das ein großer Irrtum ist.

        Das alles hat mit meiner Meinung zu “Es” aber eigentlich relativ wenig zu tun, denn verglichen mit anderen Ungetümen, die sich so in der Film- und TV-Landschaft herumtreiben, fand ich Pennywise zwar in seiner Aura und seinem Auftreten absolut erinnerungswürdig, jedoch weniger unheimlich. Eigentlich würde ich sogar so weit gehen, es wäre - natürlich ausgenommen in den Szenen mit den rasiermesserscharfen Zähnen - sogar einer der weniger monströs aussehenden Clowns der Weltgeschichte. Das liegt wohl daran, dass er genau genommen gar nicht wirklich bizarr geschminkt ist. Er ist weiß bepinselt, hat die Nase rot bemalt, trägt Eyeliner und Lippenstift - und freilich Clownskleidung. Das wahrhaft Unheimliche an seiner Präsenz ist eher den Umständen geschuldet, die auch vollends ausgenutzt werden. “Es” kann überall auftauchen. Physische Realität spielt dabei keine Rolle - wie in einem Cartoon quetscht Es sich durch die unmöglichsten Orte. Und Es kann die Wirklichkeit ausschließlich für den verändern, den Es sich als Opfer aussucht. So ist niemand wirklich sicher - an gut besuchten öffentlichen Orten wie der Bibliothek kann Es in seiner Clownsmontur umher spazieren und mit Blut herumspritzen, ohne, dass es irgendjemand bemerkt, außer dem, der soll. Das erzeugt ein starkes Gefühl von Hilflosigkeit, da man Pennywise überall ausgeliefert ist. An großen wie auch in intimen Plätzen, ob abgeschlossen oder nicht, ob in Abwesenheit anderer oder nicht. Es kann seine Gestalt verändern, sodass man unter ständiger Paranoia leben muss.

        Aber “Es” ist in erster Linie deshalb bemerkenswert, weil er mehr erzählen will als die meisten Horrorwerke, weil er nicht nur auf bloßen Grusel setzt, sondern auf Charaktere und Erzählstruktur. Und hier punktet der Film genauso oft wie er zusammenzufallen droht. Und die größte Schwäche ist zeitgleich die größte Stärke: die Inszenierung als Zweiteiler. Das Werk ist eine der größten Meilensteine der Fernsehgeschichte. Wohl zum ersten Mal gelang es, einen TV-Film auf dem Niveau zu bringen, dass man auch vom Kino kennt. Zu einer Zeit, als es noch kein ‘Game of Thrones’ gab - in anderen Worten als Fernsehen für deutlich weniger Qualität und als sein großer Bruder und schnellere Unterhaltung bekannt war - war es herausragend ambitioniert, eine derart epische Verfilmung mit guter Besetzung und mit dem Equipment, welches großen Produktionen ebenbürtig war, auszustrahlen. “Es” war nicht das erste Werk dieser Klasse, aber eines von wenigen. Folglich entwickelte es sich zu einem Zuschauererfolg, und schaffte es als gleichwertiger Film auch zum Status eines Kultklassikers des Horrorgenres, der heute großteils gar nicht mehr als TV-Film und schon gar nicht als Zweiteiler wahrgenommen wird.

        Mit diesem Hintergrundwissen ist jedoch deutlich zu sehen, wo die Schnittstelle der beiden einzelnen “Episoden” liegt, selbst wenn man sich die 180-minütige Filmfassung zu Gemüte führt. Und hier wird es überaus uneben und in seiner Wirkung stark schwankend. Die erste Hälfte läuft nach einer wahrlich gut funktionierenden Prämisse ab: jeder der damaligen Clique der “glücklichen 7”, alias “der Club der Verlierer”, die sich schon längst auseinandergelebt hat, wird angerufen und erfährt, dass “Es” wieder da ist, woraufhin ein Flashback erfolgt, welches die Geschichte der Vorfälle von 1960 weiter erzählt. Jeder der einzelnen Figuren hat andere Probleme in seinem Umfeld, die letzten Endes seinen Charakter festigen. Gerade der Wechsel zwischen Erwachsenem und Kind sorgt für einen Kontrast, da sich einige der Figuren nun an ganz anderer Stelle wiederfinden als man sie vermuten würde. Manche konnten ihre Erfahrungen aus der Kindheit nutzen, um sich so weit zu entwickeln, dass sie das (zumindest sozial gesehene) “Verlierer”-Dasein vollkommen ablegen konnten. So hat der übergewichtige Ben radikal abgenommen und wurde zur begehrten Sportskanone, und Beverly, die als Kind von ihrem Vater immer heftig und krankhaft dominiert wurde findet die Courage, ihren ebenfalls patriarchalischen Mann die Stirne zu bieten. Eddie hingegen, der von seiner Mutter unter dem Münchhausensyndrom komplett kurz gehalten wird, hat es immer noch nicht geschafft, sich zu lösen.
        Wie man es schon von anderen Stephen King-Adaptionen kennt, nimmt “Es” eine oberflächlich genrekonforme Prämisse (Kinder gegen Horrorgestalt) und stopft sie mit sozialen Missständen voll, die sich oft subtil im Hintergrund erschließen, wo der durchschnittliche Zuschauer schon längst aufgehört hat, zu graben, um sich lieber unterhalten zu lassen. All das transportiert der Film in seiner ersten Hälfte auch mit viel Liebe und Auge für gelungene, hintergründige Inszenierung, die immer wieder schwarzhumorige Scares zu bieten hat. Die erste Hälfte kulminiert in dem Ende des 60er Jahre Handlungsstrang, während zeitgleich im gegenwärtigen Strang alle 7 Charaktere Bescheid wissen und in ihre alte Heimat aufbrechen wollen.

        Und hier stoßen wir auf das Problem: die erwachsenen Figuren sind ohne den Kontrast zu ihren jugendlichen Versionen allesamt völlig uninteressant und nicht in der Lage, die Geschichte zu tragen. Hinzu kommt, dass in derselben Dauer (ca. 90 Minuten), in der zuvor diverse Charakterportraits gezeichnet und parallele Handlungsstränge inszeniert wurden nun außerordentlich wenig Inhalt erzählt wird. Denn im Grunde passiert nichts weiter als dass einer nach dem anderen eintrifft, woraufhin lang und breit diskutiert wird, wie man nun weiter vorzugehen hat, wer gegen “Es” kämpfen und wer zurückfahren will. Besonders, wenn man den Film wie ich als 180 Minuten langes Gesamtwerk betrachtet, beginnt sich das Stück wirklich arg zu ziehen. Womit diese Hälfte allerdings besser punkten kann als die erste ist ihr Horror: gab es zuvor immer wieder kurze, oft überzeichnete Gruselmomente, beginnt hier die Paranoia überhand zu nehmen. Pennywise reizt hier die von mir relativ zu Beginn beschriebene Prämisse vollends aus, um den Club der Verlierer in den Wahnsinn zu treiben. Das alles wäre grandios, würde es nicht auf Spielfilmlänge stattfinden. Nur allzu oft denkt man, die Geschehnisse würden künstlich in die Länge gezogen werden, um den Showdown nicht konsequenterweise nach 110, sondern erst nach 170 Minuten beginnen zu lassen, damit auch der zweite Teil auf dieselbe Länge kommt wie der erste. Freunde des Buches würden sicherlich auf eine noch umfangreichere Adaption plädieren - und sofern man mehr Input in die Ausarbeitung der erwachsenen Figuren steckt, gerne - allerdings wirkt er in der jetzigen Form unangenehm um eine Dreiviertelstunde gestreckt.

        Somit stehe ich der Umsetzung als Zweiteiler für das letzten Endes herausgekommene Gesamtwerk zwiegespalten gegenüber: sie verschafft der ersten Hälfte den Umfang, den es absolut braucht. In den 90 Minuten wird ein komplexes Bild der Figuren und den Problemen der Stadt gezeichnet, und man schenkt Details und kleineren Minigeschichten die Aufmerksamkeit, die sie ansonsten zugunsten eines zackigen Gruselspaßes nicht bekommen hätten. Allerdings braucht die zweite Hälfte diesen Umfang nicht. Sie lebt nahezu ausschließlich von Suspense, und kommt dabei so gut wie nicht in ihrer Erzählung voran. Zu oft wird zwischen “Los, töten wir das Biest” und “Lasst uns doch wieder zurück fahren” hin und her geschwenkt anstatt die Charaktere auszuarbeiten - Nebenhandlungen wie die des Insassen der Irrenanstalt oder Bills Frau mögen im Buch eine unheimliche Symbolkraft aufweisen (mag sein, ich hab’ es nicht gelesen), sind aus filmischer Sicht allerdings für den Verlauf nicht relevant und werden auch relativ bedeutungslos und oberflächlich angeschnitten. Sie halten eher auf, als dass sie bereichern. Tatsächlich benötigt Teil 2 in dieser Form wohl nur ein Drittel der Dauer von Teil 1, bekommt aber exakt dieselbe Laufzeit spendiert.

        Das klingt alles natürlich harsher, als es eigentlich ist. Die Stärken von “Es” bleiben sicherlich mehr im Gedächtnis als seine Schwächen. Er zeichnet ein für sein Genre ungewöhnlich reichhaltiges Bild von Jugend und Sozialstruktur, und all das mit einem gelungenen Verständnis von Urängsten, die unser instinktives Fluchtverhalten fingern. Wir merken schon, dass etwas nicht stimmt, und dass sich jederzeit ohne Vorwarnung groteske Schauspiele ereignen können, und fühlen und unbehaglich.
        Aber so brillant das auch inszeniert ist, so oft zerrt dann auch langsam während der Sichtung das Sitzfleisch

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          Es gab mal eine Zeit, da war es das Atemberaubendste, sich von Filmen in Traumwelten versetzen zu lassen. Man erinnere sich an den klangvollen Beinamen, den Hollywood einst innehatte: Dream Factory. Man denke nur an ‘Der Zauberer von Oz’, einen Film, der in den späten 1930er Jahren völlig ungeahnte Bilder eröffnete, die die Visionen einer fantastischen Welt auf der Leinwand sichtbar machten. Selbst die härteren, düsteren und kritischeren Werke, die unter den weißen Buchstaben der Hills entstanden, haben doch etwas wunderbar Magisches, Märchenhaftes - gehen aber bereits auf die frühesten Stummfilme zurück, in denen man unglaublicherweise bis zum Mond fliegen konnte. Auch, wenn die Zeit, in der die Filmschmiede ihre klassischsten, goldenen Träumereien veröffentlichte, 1967 endete und New Hollywood dem Pessimismus und dem Bruch mit eben jener Tradition frönte, so stieg gerade mit den technischen Neuerungen, mit denen ein jedes Jahrzehnt seitdem aufwarten konnte, auch die Treffsicherheit, mit der Träume eingefangen werden konnten und somit auch das Interesse, diese zu sehen. Ein historisch prägender ‘Krieg der Sterne’ und ein fliegender ‘Superman’ brachten uns Ende der 70er in weit entfernte Galaxien und zeigten uns, was Heldentum ist, und in den 80ern erlebte das märchenhafte Kino dann seine erste Blütezeit: ‘Die unendliche Geschichte’ ist das wohl bekannteste Werk einer Welle von Fantasyfilmen, in denen die Animatronic-Technologie die schier grenzenlose Vorstellungskraft der Filmemacher greifbar machen konnte. Filme wie dieser oder ‘Labyrinth’ waren außerdem eine Erweiterung des metaphorischen Erzählens, welches sich schon beim ‘Zauberer von Oz’ ankündigte - so toll die Abenteuer für Kinder auch waren, Erwachsene sahen darin noch ganz andere, tiefere Bedeutungen. ‘Der dunkle Kristall’ ist, meiner nicht allzu bescheidenen Meinung nach, dennoch der großartigste Film dieser Bewegung, und zwar schlicht und ergreifend weil er ein Märchen und nur ein Märchen ist, ohne besagte Meta-Ebene. Ja ja, jetzt wird’s interessant. In den 90er Jahren machte sich erstmals ein Hang zum Realismus bemerkbar. Science Fiction-Filme spielen auf der Erde und werden mit reichlich Action und Sozialkritik gekoppelt, und lediglich ein Ausflug in den ‘Jurassic Park’ befriedigt das Verlangen, sich in andere Welten zu träumen. Aber dann geht es mit einem Knall los: der gemeinsame Erfolg der ‘Harry Potter’- und ‘Herr der Ringe’-Reihe sorgte für eine Flut an Romanverfilmungen an Fantasyfilmen, welche sich allesamt ordentlicher Zuwendung erfreuen durften, während sich ideenreiche Animeserien zunehmend auch in unseren Breitengraden großer Beliebtheit erfreuten. In eben diese Zeit bin ich auch aufgewachsen, weshalb ich wohl auch heute noch über neue Genrevertreter über alle Maßen freue.

          Aber nun, in den 2010er Jahren, ist wohl irgendetwas kaputt gegangen, oder aber das Publikum war schon übersättigt, denn wirklich fantasievolles, märchenhaftes Kino sorgt kaum mehr für ausufernde Begeisterung bei Jung und Alt.
          Die Leute interessieren sich nicht mehr allein für große Bilder und große Gefühle. Man will nicht mehr einfach Abenteuer erleben, man will eine gewisse Widersprüchlichkeit in der Psyche der Figuren, eine gewisse Kritik an unserer realen Welt, einen gewissen Twist im Altbewährten, eine gewisse Pointe, die den Besuch der Fantasiewelten rechtfertigt. Nicht selten darf sogar spekuliert werden, ob die Fantasy-Elemente nur im Kopf der Figuren entstehen. Ein Superheldenfilm, die heute wohl beliebteste Form des fantasievollen Kinos, darf nicht mehr einfach durch eine Achterbahn der Gefühle, hochtrabende Spannung, entlastenden Spaß, gesunden Grusel und pathetisch dargebrachte Werte wie Freundschaft überzeugen, während er uns Welten kredenzt, die unsere eigene bei Weitem übertreffen - stattdessen wird er an den Realismus oder ironische Brechung gekettet, um heute überleben können. So gut wie mir diese Werke in den meisten Fällen auch gefallen haben, ich habe es satt, dass es zur Regel wird und den reinen Unterhaltungsblockbuster verdrängt. Letzten Endes sieht man solches Kino doch, um träumen zu können.

          Burton sei Dank war “Die Insel der besonderen Kinder” noch relativ gut dabei. Solide schlug er sich an den Kinokassen und die Kritiker zeigten sich tendenziell wohlwollend. Zu behaupten, der Film wäre ein heiß ersehnter Publikumserfolg gewesen, liegt allerdings bar jedweder Realität. Zehn Jahre zuvor wäre er wohl in aller Munde gewesen wie Augäpfel in diesem Film. Die Geschichte dreht sich um einen Jungen namens Jacob, der seit jeher die engste Bindung zu seinem Großvater hatte, einem Abenteurer, der ihm immer wieder von seinem Heim auf einer englischen Insel erzählte, in dem “besondere Kinder” wohnten, welche übernatürliche Kräfte besitzen. Seit er ein kleines Kind ist, ist Jacob fest überzeugt, dass die Erzählungen wahr sind, allerdings wird sein Glaube über die Jahre auf eine Probe gestellt, da jeder sonst seinen Großvater für einen Fantasten hält. Eines Tages wird eben dieser jedoch in Anwesenheit seines Enkels tödlich angegriffen - von einem übergroßen, düsteren Monstrum. Durch seine Schilderungen und der festen Überzeugung, die Geschichten seines Opas wären real, wird Jacob für psychisch krank gehalten. Von seiner Psychiaterin wird ihm verordnet, das ehemalige Heim seines Großvaters zu besuchen, um zu erkennen, dass die Realität weit weniger mystisch ist, als sie sein Großvater dargestellt hat. Und es sieht erstmal tatsächlich nicht gut aus. Zunächst landet Jacob nämlich in einer vom zweiten Weltkrieg völlig zerbombten Ruine, wo einst das Waisenhaus stand. Aber, naja, es wäre kein Fantasyfilm, wenn sie recht behalten hätte, oder?

          Ab hier wird es eigentlich erst wirklich interessant, wenngleich ich sagen muss, dass man bereits in der Einleitung eine ernstzunehmende Inhalte perfekt eingeflochten hat: die Eltern, die sich nicht viel Mühe machen, dem Kind zuzuhören, die Welt, die Träumer nicht mit offenen Armen empfängt, und der Krieg, dessen Auswirkungen, so lange er nun auch schon zurückliegt, immer noch zu fühlen sind. Fuck, selbst die Beziehung vom Großvater zum Vater des Teenagerjungen werden angeschnitten - so geht letzterer davon aus, dass die vielen Abenteuerreisen seines alten Herren eigentlich dazu da waren, andere Frauen kennenzulernen und seine eigene Gattin zu betrügen. In solchen kleinen Szenen wird erst richtig deutlich, wie unterschiedlich die Weltverständnisse pro Generation sind. Der Großvater ist ein Träumer, und jemand, der mutig die Gefahr sucht - der Vater kann das aber nicht verstehen, für ihn MUSS der Grund zwangsläufig ein “realistischer” und negativer sein. Jacob schlägt hier ganz nach seinem Großvater, da auch er an die Fantasiewelt glaubt, allerdings hat ihn der Realismus seines Umfelds teilweise entmutigt. Wir alle kennen das Kind, das sich in seiner Welt fehl am Platz fühlt, und hofft, einmal etwas Besonderes zu sein. Manche Personen vergessen es mit wachsender Lebensdauer zusehends, und wenige fühlen denselben Gedankengang bis ins hohe Alter. Somit ist Jacob, zu “anders” für die reale Welt und zu “normal” für die der Besonderen, die ideale Identifikationsfigur.

          Aber wie bereits erwähnt: erst jetzt geht es richtig los. Natürlich finden die besonderen Kinder Jacob, und bringen ihn mit in ihre Welt. Tatsächlich leben sie nämlich immer noch im Jahr 1943 am Tag, als die Bombe ihr Heim zerstörte, welcher sich durch eine von der Heimleiterin Miss Peregrine (Eva Green als eine brillante Mischung aus Mary Poppins und Morticia Addams) magisch angelegten Zeitschleife stets wiederholt. In dieser können die Besonderen quasi als Parallelgesellschaft sicher und ohne Konsequenzen leben, und altern niemals. Jacobs Großvater war einer von ihnen, verließ sie jedoch aus Gründen, die wir erst später erfahren werden. Überall auf der Welt existieren solche Schleifen, welche es Besonderen ermöglichen, unentdeckt zu bleiben - erschaffen werden sie von den sogenannten Ymbrymes, die die Zeit kontrollieren können und auf die anderen aufpassen. Aber es gibt auch Gefahren. Eine Gruppe Besonderer unter der Führung eines sadistischen Mannes namens Mr. Barron (ein wunderbar grotesker, schwarzhumoriger Samuel L. Jackson) hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch außerhalb von Zeitschleifen unsterblich leben zu können. Dazu entführten sie eine Ymbryme, um sich in einem Experiment ihre Kräfte anzueignen - was allerdings darin resultierte, dass sie sich in Monster, die Hollowcasts, verwandelten. Um ihre wahre Gestalt zurückzuerlangen, sind sie darauf angewiesen, die Augen anderer zu verspeisen - während sie zeitgleich ihren Plan weiterverfolgen.

          Eine Sache macht “Die Insel der besonderen Kinder” bei seiner Gestaltung, die mir äußerst positiv auffällt: wenngleich er vor Allem in den ersten zwanzig Minuten durchaus reale Probleme anspricht, entsteht nie der Eindruck einer Allegorie; die Märchengeschichte ist zweifelsfrei filmische Realität und wird parallel zu diesen Ereignissen erzählt. Dabei ist der Kreativität trotzdem absolut keine Grenze gesetzt; der gute Herr Burton tobt sich hier richtig aus. Wenngleich es Geschichten um ein verborgenes Ensemble an Personen mit übermenschlichen Fähigkeiten bereits zuvor gab (bekannterweise die ‘X-Men’, aber auch ‘Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen’ oder sogar in gewisser Weise das ‘Harry Potter’-Universum), weicht man hier doch deutlich vom Schema F ab, und führt ein deutlich komplexeres Universum ein als es im durchschnittlichen Genrebeitrag der Fall ist. Gemeinerweise befindet sich die versteckte Fantasiewelt nicht an einem geheimen Ort, hinter einer verschlossenen Portal oder in einer Nebendimension - tatsächlich ist sie exakt hier, nur an einem anderen Zeitpunkt. Natürlich eröffnet einem der Einsatz von Magie vielerlei Möglichkeiten, die der metallische Bruder, der Science Fiction, nicht bietet, da nun einmal deutlich weniger Erklärungsbedarf herrscht. Nichtsdestotrotz bemüht sich “Die Insel der besonderen Kinder” sehr, eine eigene Mythologie und Funktionsweise zu erschaffen, die sich souverän bis zum Ende des Filmes erschließt (einzige für mich offene Frage: da sich die Besonderen lediglich in Zeitschleifen bewegen können, ohne rapide zu altern oder zu sterben, wie konnten sie Jacob erst zu sich holen? Vielleicht weiß es jemand aus den Buch?). Dabei macht der Film das, was alle grandiosen Werke machen, die uns eine neue Welt präsentieren: zunächst werden mit einer unsagbar großen Faszination alle Eigenheiten liebevoll vorgestellt, und dann mit fortlaufender Handlung etabliert, sodass am Ende die Story in den Vordergrund rücken kann. Und mann, verzaubert uns Burton mit seiner Vision von Luftblasen in Schiffswracks, Riesenkarotten und aus dem Körper schwirrenden Bienen - nicht aber, ohne ordentlich den Kinderschreck zu spielen.

          Trotz seines Grundtons ist “Die Insel der besonderen Kinder” für eine ganz junge Klientel an einigen Stellen fast schon zu unheimlich und brutal. Versteht mich nicht falsch: die meisten und besten Fantasie-Filme haben geisterbahnartige Momente, die den Kindern einen kalten Schauer über den Rücken laufen und sie sich unter die Decke verkriechen lassen - ‘Harry Potter’ hat den verbotenen Wald, ‘Jurassic Park’ die Küchenszene und ‘Fluch der Karibik’ seine Skelette - und dennoch finden sie sie klasse und können sie den Inhalt umrandet von der märchenhaften Geschichte bestens verarbeiten. Man darf aber nicht vergessen, wer hinter der ‘Insel’ steckt. Tim Burton ist einerseits bekannt für seine bunten, einfallsreichen und skurrilen Bilder und Figuren, die er hier auch zu genüge zu zeigen weiß, aber andererseits auch für seine düstere, morbide und schaurige Art, die er in den Szenen mit den Bösewichten auch deutlich ausschlachtet: groteske Verwandlung Szenen in bedrohliche Monster, hässliche Stop-Motion-Puppen, Berge von Augen, die verspeist werden, und auch die ein oder andere Gewaltspitze, die über die gewohnten und antrainierten Fantasy-Grenzen hinausgehen (also an ungewöhnlichen und nicht vorhersehbaren Stellen auftreten und weder off-screen noch rasch geschnitten sind) machen das hier nicht zu einem Alibi-12er-Kandidat, wie die meisten anderen der hier genannten mit Ausnahme des “dunklen Kristalls’ (mir ist zu Ohren gekommen, die Skekse werden wohl nicht überall als badass, sondern eher als gruselig angesehen), sondern sollten wirklich von niemand jüngeren als Personen dieses Alters gesehen werden.
          Für alle Teenager und Erwachsenen ist “Die Insel der besonderen Kinder” jedoch ein absolut großartiger Spaß, der von Märchenerzählung über humorvolle Einlagen bis hin zu echten Horrorszenarien alles bietet, was großartige Fantasy-Unterhaltung ausmachen kann.

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            Martin Canine 07.03.2018, 12:18 Geändert 07.03.2018, 12:26

            Der Laughing Track einer Sitcom ist ähnlich dem Bass bei einem flotten Popsong. Während im Techno oder Hip Hop gerade dieser oft in den Vordergrund gerät, ist er beim regulären Radiopop so weit in den Background gedrängt, dass er in der Gesamtkomposition so gut wie nicht auffällt - es sei denn, er hört an einer Stelle (etwa der Bridge) auf, zu spielen. Dass in Sitcoms nach jedem Gag eingespielte Lacher zu tragen kommen, ist mittlerweile fest in der Fernsehlandschaft etabliert, um nicht zu sagen so sehr, dass wir es gar nicht mehr richtig wahrhehmen, wenn uns das Studiopublikum in unserem eigenen Gelächter bestärkt. Kommt nun aber dieselbe, oder eine ähnliche Serie ohne besagtes Lachen aus, so musste ich mich selbst schon beim Einbremsen ertappen. Zwar lache ich nicht, weil mir das Publikum sagt, ich solle mich amüsieren, allerdings wird das Tempo äußerst stark gedrosselt, und man fragt sich im ersten Moment, ob die Stelle nicht vielleicht unfreiwilligerweise komisch wirkt.

            Das Fehlen eines Laughing Tracks ist jedoch nicht das Hauptproblem des ‘The Big Bang Theory’-Spinoffs “Young Sheldon”, welches sich um die jungen Jahre des hochintelligenten aber socially awkward Serienhelden Sheldon Cooper dreht - allerdings verstärkt es noch das recht langsame Tempo und die geringere Gagdichte im Vergleich zur Mutterserie. Allzu viel gemeinsam haben diese beiden Werke nun eigentlich nicht.

            Wo zunächst bei der Urknalltheorie die Prämisse daraus bestand, den Intellekt und den geekigen Geschmack der männlichen Protagonisten (wohlgemerkt BEVOR Nerdiness äußerst cool wurde) mit der Durchschnittlichkeit der neuen Nachbarin Penny zu kontrastieren, beobachten wir mittlerweile sieben gleichwertige ProtagonistInnen, die allesamt eine Entwicklung aufeinander zu machten und den Humor hauptsächlich aus deftigen und schlagfertigen Dialogen ziehen. Außer Sheldon Cooper, welcher sich trotz seiner mittlerweile fest etablierten Freundin Amy (wer hätte das zu Beginn der Serie gedacht) kein Bisschen verändert hat. Von Kleinauf gilt Sheldon als Supergenie und ist sich nicht zu schade, diesen Umstand auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Schau zu stellen. Genauso wie Science Fiction-Serien, Cosplay, Kino, Comics oder Conventions macht ihm seine eigene Überlegenheit größtmöglichen Spaß. Dazu kommt allerdings noch, dass er selbst oftmals nicht bemerkt, wie wunderlich er durch seine Wortklauberei und seine vollkommen ernstgemeinten Antworten etwa auf sarkastische Bemerkungen er doch wirkt. Das wiederum macht ihn dann ironischerweise wieder irgendwo sympathischer, da er in dieser Hinsicht nun derjenige ist, der unwissend und unbeholfen agiert, ohne es selbst zu verstehen. Dieser Charakter hat sich über 200 Episoden etabliert und ist uns auch ans Herz gewachsen.

            Womit wir auch schon bei einem Hauptproblem von “Young Sheldon” wären: die Hauptfigur wirkt nicht wie Sheldon Cooper. Und das liegt vor Allem daran, dass sie die Welt um sich herum zu ernst nimmt. Auf dem Promoposter ist der junge Sheldon in einem Hemd zu sehen, wie er sich gerade mit nach oben gerichtetem Blick die Fliege zurechtrückt - ein Bild, welches sich auch in der zugehörigen Serie widerspiegelt. Es entsteht der Eindruck, dass Herr Cooper zu einem Mann heranwachsen wird, welcher Interesse an Weinverkostungen, Literatur des 17. Jahrhunderts und klassischer Musik hat. Tatsächlich wird er zu einem quirligen Star Wars-Fan, der Videospiele spielt, Flash-T-Shirts trägt und sich gerne verkleidet. Zwar sieht sich der junge Sheldon genauso wie der erwachsene auch ‘Star Trek’ an, allerdings beginnt er, die Serie in monotoner Stimmlage ohne jegliche sichtbare Unterhaltung trocken zu zerpflücken. Keine Spur von begeistertem Fandom ist zu erkennen - der junge Sheldon scheint wenig Spaß zu empfinden, beim erwachsenen hingegen ist der Spaß sogar die vorwiegende Emotion. Analysiert dieser seine Lieblingsserien, so erhebt er seine Stimme, spricht schneller und lächelt. Fast gegensätzlich dazu besitzt der junge Sheldon teilweise positive Züge, welche seine adulte Version widerum nicht aufweist, etwa ein gewisser Sinn für Gerechtigkeit - wenngleich sich diese ab und an im Laufe der Folge reduzieren. So ist der junge Sheldon zwar im Grunde wesentlich ernster als sein erwachsener Counterpart, wirkt dabei allerdings noch fast zu wenig egozentrisch.

            Das alles nur mal am Rande bemerkt. Das Hauptmanko der Serie besteht nämlich darin, dass es einfach zu wenig zu lachen gibt. Wird bei seiner Ursprungsserie im 30-Sekunden-Takt ein lustiger Spruch abgelassen, meist auf Kosten einer diversen Figuren, ist “Young Sheldon” oft zu bemüht, eine Geschichte zu erzählen. Zwar kann es irgendwo interessant sein, zu sehen, wie Sheldon Cooper zu dem wurde, der er nun ist, dies sollte allerdings zusätzlich zum Humor geschehen und nicht auf Kosten der Gags gehen. Ich finde es hier auch auffällig, dass Kameraarbeit, Schnitt und das gesamte Setting deutlich filmischer aussehen als gewohnt. Auch hier wird klar, dass man sich weniger an einer lustigen Odyssee als an einer leider mehr schlecht als recht gelungenen Charakterentwicklung versucht hat. Der aktuelle Sendeplatz als Sandwichbelag inmitten einer Unzahl ‘The Big Bang Theory’-Episoden macht noch einmal den Abfall der Qualität spürbar. Wo dort pro Minute mehrere Male ein Brüller zu hören ist, entlockt einem “Young Sheldon” alle paar Minuten mal einen Schmunzler. Und, mit Verlaub, da bleib ich bei der Originalserie.

            PS: Sorry, dass das so trocken klingt wie Sheldon in dieser Serie. Ich war nie grandios darin, Comedy zu reviewen. Am Akkuratesten ist als Review wahrscheinlich: "Bei 'The Big Bang Theory' muss ich durchgängig lachen, bei "Young Sheldon" so gut wie nicht." Aber das wäre mir dann etwas zu kurz geraten, gelle? ;3

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            • Fun fact: ich habe keinen einzigen Film der Nominierten gesehen. In keiner Kategorie.

              Fun fact#2: die gezeigten Szenen sahen so brillant aus, dass ich wieder ins Filmliebertum einsteigen will. Darf ich oder ist die Mitgliedschaft abgelaufen?

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              • *sieht Bild*
                Und das, meine Freunde, passiert, wenn man Furries ärgert.

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                • Martin Canine 18.02.2018, 14:09 Geändert 18.02.2018, 14:30

                  Leider finde ich es gerade nicht, da ich bei jeder Suchanfrage auf lauter Blog- und Magazinartikel zu diesem Thema stoße, aber ich habe in einem Forum mal einen Eintrag einer Kandidatin (sagt man das bei solchen Sendungen so?) gelesen, die relativ detailliert und glaubhaft beschrieben hat, wie die Sendung abläuft: zuerst werden Bilder der Exponate per Mail eingeschickt, zusammen mit ein paar Infos, wo der Besitzer das Stück herhat. So haben die Experten Zeit für die Recherche und eine erste Einschätzung, die sie dann vor der Kamera nochmals überprüfen. Die im Hintergrund agierenden Leute an den Tischen bei der Show sind in der Tat Statisten (das erkennt man übrigens auch, wenn man sie in der Show einmal länger beobachtet). Außerdem sind die Räumlichkeiten anders angeordnet als suggeriert (der Gang, der vermeintlich in den Händlerraum führt, in dem die Besitzer vor jedem Aufeinandertreffen mit den Händlern kurz Stellung nehmen, ist eigentlich ganz wo anders). Der Rest soll laut der Userin wohl in der Tat echt und nicht geskriptet sein, die Verhandlungen enden, sofern verkauft wird, in einem Vertrag. Außerdem sei bei ihrer Expertise am Set unvorhersehbarerweise herausgekommen, dass der durch die Mailbilder aufgekommene erste Verdacht, sie habe ein Replikat, falsch gewesen sei und ihr Stück doch authentisch ist. Grundsätzlich kann man zusammenfassen: vieles drumherum mag wie bei eigentlich jeder Sendung ein wenig verzerrt dargestellt werden (die Experten sind zwar tatsächlich Fachkundige, erstellen die Expertise in der Regel jedoch nicht spontan - außer in diesem speziellen Fall, und die Räume und Statisten sind ein Filmset), aber der Kern der Sendung, also die Händlergespräche und die Reaktionen der Besitzer, sollen ihr zufolge echt sein.

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                  • Hallo, Moviepilot!

                    Auch wenn ich mir im Moment einfach kaum Filme ansehe, möchte ich suf dieser tollen Website und vor Allem in dieser tollen Community nicht gänzlich inaktiv bleiben. Deshalb habe ich - das kennt ihr bei mir ja schon von früher - die Seite mal einfach zu Musicpilot umfunktioniert und stelle euch, da ich zur Zeit einfach irrsinnig viel Emomusik höre, meine 20 liebsten Songs aus dieser Sparte vor. Hurra!

                    Lg
                    Dingo

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                    • Martin Canine 09.11.2017, 14:48 Geändert 09.11.2017, 21:22

                      Das Hauptproblem dieses Textes ist, dass er sehr stark auf dem Halo-Effekt basiert. Ein Belästiger kann bis auf seinen Sexualtrieb auch die bestmöglichen Eigenschaften aufweisen. Er steht nicht Tag für Tag auf und überlegt sich, wie er am Besten weiterbelästigen kann, sowas passiert einfach aus der Situation, weil ein übergroßer Sexualtrieb, die Möglichkeit und durch den sozialen Status keine zu erwartenen Konsequenzen bestehen. Viele Personen gehen sehr sexuell aufgeladen durchs Leben und würden, wären alle Leute der Welt plötzlich immer und überall zum Sex bereit, sofort die Hose runterlassen und einen Befreiungsschlag spüren. Tatsache ist aber, dass sich die meisten soweit im Griff haben, das nicht zu tun und respektieren, dass eben nicht jeder will. Aber die Instinkte sind freilich trotzdem da, und in einer hohen Position ist es nunmal schwerer, sie zu unterdrücken, weil man mit weniger Konsequenzen zu rechnen hat. Tatsache ist aber, dass sich, egal ob das mit der Belästigung nun stimmen mag oder nicht, Kevin Spacey kein Konstrukt aus Macht und Intrigen zum besseren Belästigen aufgebaut hat, er hat vermutlich eine Woche später vergessen, dass überhaupt etwas vorgefallen ist, da sich ihm keine Konsequenzen offenbarten. Sowas ist für den Belästigten nämlich wesentlich bedeutender als für den Belästiger, sofern es sich nicht um eine vollendete Vergewaltigung handelt. Bei sexuellen Gesten ist es oft auch schwer, die Grenzen zwingen anzüglichem Flirten und Belästigung zu definieren (ich fände es zum Beispiel eher anziehend, wenn mam gleich sexuell mit mir redet anstatt sich erst mit Palaber bei mir anzunähern, bei anderen Personen wäre das wiederum ein No-Go).

                      Um Missverständnisse zu vermeiden: ich will hier nichts billigen, was eventuell passiert ist. Man kann nicht einfach jemanden in den Schritt greifen, besonders bei klarem Widerstand. Aber der Fehler, der bei Berichten darüber oft gemacht wird, ist, das ganze Leben einer Person darauf zu reduzieren. Das ist hier keine Sucht, bei der sich die ganze Existenz darauf ausrichtet, sie zu stimulieren. Deshalb hier Spacey als finsteren Machtjongleur zu stilisieren, ist einfach falsch. Genauso auch, seine Rollenwahl mit seinen Verbrechen gleichzusetzen. Die Rollenauswahl basiert eher auf seiner ganzen Persönlichkeit, darunter auch sein Filmgeschmack, sein Humor, seine Weltanschauungen, seine Lebenserfahrungen, und ja, auch sein Sexualleben, aber eben nicht nur.

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                      • Da ich The Dark Knight aufgrund seines Realismus schon kaum mehr als Superheldenfilm sehe... Spider-Man 2.

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                          Halli-hallo-harlequin, meine lieben MOVIEPILOTEN!
                          Tretet ein zur irdischen Walpurgisnacht, denn es ist wieder Zeit für die eine, die einzig wahre und blutdürstige SUPER DUPER DOUBLE TROUBLE BINGO DINGO POWER HOUR!
                          Also packt eure schwarzen Umhänge, Eyeliner, Abwaschtattoos und Twiztid-CDs aus, und zelebriert mit uns das wahrhaftige schwarze Fest, Hallo-Fuckin’-Ween!
                          Wuhahahahaaaa!!!!!

                          Viel zu lange musstet ihr Sterblichen warten, euer gewöhnliches Erdendasein fristen und mühsam jede kleine Scherbe der Dunkelheit qualvoll zusammenkratzen, aber nun sind die beiden Fürsten der Finsternis wieder zurück, um euch mit ihrer schwarzen Kunst zu beglücken. Nun begrüßt mit mir den ultimativen Meister des Horrors, den leibhaftigen Schlächter aller Camper, den Erfinder der MP-Horrorstory, den Edgar Allen Poe des 21. Jahrhunderts: Trouble! *tosender Applaus der durch das Nekronomikon erweckten Dämonen*
                          Ach ja, und verzeiht mir, meine Konformisten, ich habe mich ja noch nicht vorgestellt.
                          Manche nennen mich den wahrhaftigen God of Hyperdeath, aber die meisten beginnen in meiner Gegenwart ein unbändiges Gefühl der Verzweiflung, des Weltschmerzes und der Paranoia zu verspüren und verfallen in eine Schockstarre der Depression. In Wahrheit nennt man mich jedoch Martin Szandor Kelevra - oder kurz: Martin Canine! *Crown the Empire spielen mir zur Ehre eine wilde Emo-Metalcore-Screamo-Orgie*
                          Und wir sind hier, um euch einen Film vorzustellen, der den heutigen Tag in all seinem Schrecken entspricht: Michael Haneke’s “Funny Games”!

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                          Eine dreiköpfige Familie - Vater, Mutter, Kind - fährt in ihrem Auto mitsamt kleinem, sicher am Dach befestigtem Bötchen durch eine idyllische Landschaft. Die Mutter legt eine CD ein, es ertönt eine sanfte Bassstimme, welche eine Opernarie vorträgt. “Einfach zuhören” bittet sie. Die Streicher und der Gesang untermalen die unnatürlich positive und glückliche Szenerie wie in einem Naturjoghurt-Werbespot. Dann knallen Naked City’s wilde, avantgardische, amelodische Gitarren-, Percussion- und Screamo-Orgien ins Bild - BÄM! Und dann steht da “Funny Games” in blutroten Lettern, quer über den Bildschirm.

                          Auf dem Papier liest sich die Geschichte wie die Basisschablone eines x-beliebigen Home Invasion-Horrorthrillers. Eine Familie wird von 2 fremden Jugendlichen überfallen, als Geisel genommen und zu deren Vergnügen den titelgebenden sadistischen Funny Games unterzogen. Und diese Geschichte klingt voll und ganz bewusst derartig oft da gewesen. Bis zu einem gewissen Punkt hält sich der Film sehr strikt an das, was einen exzellenten Thriller ausmacht. Wie ein Alfred Hitchcock setzt Haneke Unmengen von Voranzeichen ein, die bereits auf kommende Gräueltaten hinweisen. Ruhig und vorankündigend baut der erste “Akt” des Filmes auf eine bald hereinbrechende Welle des Horrors auf, macht bemerkbar, dass etwas mit der Situation nicht ganz stimmt und staut do Unbehagen auf. Auch wird viel Wert auf Detail gelegt, so wird aufgrund der Sprache, des Intellekts und natürlich des Besitzes sofort klar, dass sowohl die Opfer als auch die Täter aus reichem Hause stammen und sehr gebildet sind. Auch werden die Rollen der beiden Teenager psychologisch nachvollziehbar als sadistischer Strippenzieher und von Peer Pressure geplagter Mitzieher charakterisiert. Somit sollte sich sowohl der Mainstream-Kinogänger als auch der anspruchsvolle Cineast sehr zufriedengestellt sehen. Und dann packt uns Haneke am halbsteifen Filmeguckerglied und reißt es schmerzvoll ab.

                          Haneke baut gewisse Erwartungshaltungen auf, um uns dann direkt anzusprechen und unsere voyeuristischen Bedürfnisse zu entblößen. Dies geschieht dadurch, dass einer der Täter wiederholt die 4. Wand durchbricht und vor Allem an besonders spannenden oder nervenzerreißenden Stellen mit Blick in die Kamera fragt, was wir denn gerne sehen würden. Zwar werden diese Erzählbrüche immer heftiger - angefangen mit einem Zwinkern wird später die Notwendigkeit einer Hintergrundgeschichte in Frage gestellt - aber dennoch arbeitet der Film so “spannend”, dass wir dennoch der oberflächlichen Handlung zu folgen versuchen, bis es zum nächsten Bruch kommt. Haneke macht einem den Genuss des Filmes dadurch fast unmöglich und sehr frustrierend, verfolgt aber die Absicht, uns das Reflektieren sowohl über unsere voyeuristisch-sadistische Ader und über unseren Einfluss auf die Medienlandschaft unvermeidbar zu machen.

                          “Funny Games” gehört in eine Zeit, in welcher Serien wie ‘Beavis & Butt-Head’, Musik wie die von Marilyn Manson und Filme wie ‘Matrix’ vor Allem die amerikanische Gesellschaft vor ein Problem stellten, das es zu lösen galt: die Jugendlichen werden scheinbar gewalttätiger, so wie auch die Medien, besteht da also ein Zusammenhang? Es wurde heftigst diskutiert und sorgte sowohl für eine Welle der Prüderie als auch für eine geniale und provokante Kontrakultur in der Kunst, die versuchte, diese Bewegung zu reizen. ”Funny Games” ist ein Film für die amerikanische Gesellschaft, der seinerzeit leider nur in Österreich realisiert werden konnte, später aber 1:1 übertragen wurde.

                          Ich teile Hanekes Standpunkt nicht. Er positioniert sich hierbei auf eine Seite, die eine bedeutungsvolle Wechselwirkung zwischen Medien und Zuschauer sieht. Ich hingegen bin der Ansicht, wem die Trennung von Realität und Fiktion so schwer fällt, hat ohnehin Probleme und wird etwas anderes finden, dass seine Gewalt rechtfertigt. Nichtsdestotrotz macht das “Funny Games” nicht weniger wirkungsvoll und macht einem eine Gegenargumentation schwer, wenn er den Zuseher am laufenden Band “ertappt”. Stattdessen hinterlässt er einen unangenehmen Eindruck, der Gedankenprozesse und Diskussionen unweigerlich hervorbringt - und somit exakt das erreicht, das er soll.

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                          • Also ich hab mich ja sehr bemüht, den Emo im deutschsprachigen Raum zu verbreiten, aber dass es solche Ausmaße annimmt, hätte ich dann auch nicht erwartet^^

                            Eine brillante Horrorstory mit einem epischen Finale, dass den Leser in bester Furchterregung zurücklässt

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                              Ich glaube, kein Genre unterscheidet sich im internationalen Vergleich so stark wie der Western. Genießt der italienische Vertreter einen hohen Status in cineastisch anspruchsvollen Kreisen und besticht durch Trostlosigkeit, (emotionale wie physische) Härte, epischer Inszenierung, Charakterisierung einer Epoche und einer pessimistischen Grundeinstellung, zielt der amerikanische Western auf pures leicht zu verarbeitendes und nach klaren Strukturen aufbauendes Entertainment ab. Will man eine nicht allzu anspruchsvolle filmische Unterhaltung, so geht wenig über einen guten, alten US-Western. Immer mit einem gewissen eher ulkig überzogenen Heldenmythos versehen, bieten diese Filme Humor, Action, Melodramatik und ab und an sogar Thrill - mehr als diese Schauwerte sollte man jedoch nicht erwarten. Vertreter mit höheren Ambitionen, wie etwa ‘12 Uhr Mittags’, ‘Johnny Guitar’ oder ‘Auf der Kugel stand kein Name’, sind die absolute Ausnahme. Dennoch haben auch diese Werke insbesondere bei US-amerikanischen Filmliebhabern einen gewissen Stellenwert. Das alles soll den Western nicht degradieren - sonst würde ich mir nicht derartig viele Genrefilme reinziehen wie die High Society Kokain - sondern nur zeigen, dass ein und dasselbe Genre radikal konträre Emotionen und Visionen besitzen.

                              Nun gibt es aber auch im US-Westerk zwei Lager: den Cowboy und den Indianer. Filme, in denen Cowboys oder auf Sheriffs die Hauptrolle einnehmen, können zwar durchaus Indianer beinhalten, diese werden jedoch nahezu immer als wild und “böse” dargestellt, nehmen nur wenig Bildschirmzeit in Anspruch und werden niemals genug charakterisiert, um überhaupt zum Antagonisten zu reichen. Denn dann müssten auch die Hintergründe des gewalttätigen Handelns herausgearbeitet werden, und die unbequeme Wahrheit ist nunmal, dass die europäischen Siedler den amerikanischen Siedlern das Land abgekämpft haben.

                              Deswegen sind Filme aus der Sicht der Indianer sehr interessant. Denn zumeist werden hier die Indianer unterschiedlicher Stämme zu positiven und negativen Figuren, und auch ihre Motive werden zumeist immer erklärt. Wie authentisch das Ganze ist, kann niemand sagen, denn kollektives Denken einer Gruppe ist für den modernen Zuseher nicht nachprüfbar. Das Schema ist dabei nahezu immer gleich: der “gute” Häuptling ist mit den Weißen befreundet und lebt in Frieden und Harmonie (oftmals ist dies Cochise), doch dann betritt ein charismatischer Anführer eines anderen Stammes die Szenerie und ruft zur Revolte gegen die Weißen auf, dass man sich das rechtmäßige Land der Vorväter zurückholt (häufig handelt es sich dabei um Geronimo). Je nach Interpretation mit unterschiedlichem Erfolg, das Vertrauen zwischen Rot und Weiß wird dabei jedoch immer zerstört, und man kann sich sicher sein, dass es in einer Schlacht endet, wobei der indianische Held nur den Frieden und einen fairen Kompromiss will. Letzten Endes ist die Botschaft, dass beide Völker durch gegenseitiges Vertrauen friedlich miteinander leben können (wobei die Statisten meist tatsächlich aus Natives, die wichtigen Figuren jedoch auch geschminkten Weißen bestehen).

                              An “Der Speer der Rache”, wenngleich er auch viele Motive 1 zu 1 übernimmt und vorwiegend dem Amusement dient, ist nun interessant, dass er einen wesentlich unversöhnlicheren Ton aufweist. Unsere Hauptfigur Schwarzer Hengst möchte ebenfalls das Land für sein Volk zurück, allein die Mittel sind andere als sein Widersacher. Als es aber hart auf hart kommt, positioniert er sich klar zu den Indianern und bekämpft die Weißen, pflegt jedoch trotzdem seinen verwundeten weißen Freund. Er fordert mit Nachdruck Rechte ein, und ist nicht dafür, nach europäischen Regeln zu spuren. Auch zeigt der Film ein hohes Maß an Verlust, das untypisch für diese Art von Film ist, da es sehr deutlich zeigt, dass wir hier von Krieg und nicht von simplen Handgemengen reden - in einer ungewöhnlich bedrückenden Szene kommt Schwarzer Hengst von der Schlacht zurück und erfährt, dass seine sich noch im Säuglingsalter befindliche Tochter an einer Krankheit verstorben war (stellt euch diese Situation einmal vor). Darüberhinaus bekommen wir gleich zu Beginn einen Eindruck davon, dass egal, wie der Film ausgehen mag, die Indianer auf lange Sicht verloren haben.

                              Somit sticht “Der Speer der Rache” in seinem Ton deutlich aus der Masse der US-Western hervor. Eventuell liegt dies daran, dass er in Zusammenarbeit mit Sioux entstanden ist und diese eine deutlich düstere Einstellung in die Geschichte mitbrachten. Das macht den Film zwar keineswegs zu einem Geniestreich, der mit den durchdachten Drehbüchern und Regiekniffen eines ‘Abrechnung in Gun Hill’ mithalten kann, aber er besitzt eine eigene Persönlichkeit, durch die er sich überdurchschnittlich vom Rest abhebt.

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                              • Selten eine so lebensbejahende Geschichte gelesen. Da kommt ja direkt Freude und Vergnügen auf ;3

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                                  1931 erschien die erste Universal-Verfilmung von Mary Shelleys Roman “Frankenstein, oder: Der moderne Prometheus” aus dem Jahre 1818. Der Rest ist Geschichte. Nicht Filmgeschichte, Geschichte. Die Vorstellung von Frankenstein und seinem Monster ist soweit in die Popkultur eingedrungen und so stark in unseren Köpfen verankert, dass sich - frei nach dem Butterfly Effect - wohl einiges in der Weltentwicklung geändert hätte, hätte man den Film nie gedreht. Bei Werken von solch schier immensem Einfluss ist es immer ausgesprochen schwer, sie halbwegs gerecht zu beurteilen, tragen sie doch nahezu alles Vergleichbare, was nach ihnen kam, allein auf den Schultern. Daher werde ich nun vorweg schicken, dass ich dieses Werk gar nicht hoch genug schätzen kann, und es sich um einen der grundessentiellen Filme der Geschichte handelt - es aber trotzdem retrospektiv bewerte.

                                  Die Geschichte von “Frankenstein” ist heutzutage jedem kleinen Kind bekannt, oft Jahre bevor man jemals mit dem Stoff in Berührung gekommen ist. Der Wissenschaftler Henry Frankenstein ist von der Idee besessen, totes Gewebe zum Leben zu erwecken. Unverstanden sowohl von Kollegen als auch Familie lässt er sich mit seinem Gehilfen Fritz in einer Burg nieder, um dort an seinen Experimenten zu arbeiten. Er baut aus Teilen bereits verstorbener Personen ein Wesen zusammen, sowie einen Apparat, welcher dieses durch elektrische Impulse zum Leben erwecken soll. Es gelingt, doch die Öffentlichkeit gerät in Panik.

                                  Ich habe kürzlich einen Spruch gelesen, welcher sinngemäß lautet: “es ist klug, zu wissen, dass Frankenstein nicht das Master ist, aber weise, zu wissen, dass Frankenstein ein Monster ist.”. Dem stimme ich jedoch nicht zu. Ich halte Dr. Frankenstein nicht für ein Monster, seine Motive sind dafür in keinster Weise verächtlich und seine Methoden eigentlich auch wenig bestialisch. In dieser Uradaption (vom Stumm-Kurzfilm aus 1910 und den verschollenen 1915 Spielfilm abgesehen) bringt er keine Leute um, um das Wesen zu erschaffen. Er möchte Leben kreieren, was ihn aus religiöser Sicht vielleicht zum Götzen machen könnte, allerdings liegt auch darin ein allgegenwärtiger Wunsch nach Unsterblichkeit und das Bezwingen des Todes, den wohl eine Vielzahl aller Leute in sich tragen. War es unverantwortlich von ihm, das Wesen zu erschaffen? Was letzten Endes die Eigenschaften und potenzielle Gefahr des zum Leben erweckten sein würden, war nicht vorherzusehen. Ist es aber unverantwortlicher als natürliches Leben in die Welt zu setzen?

                                  Eine der größten Entwicklungen der Rezeption in den letzten Jahrzehnten liegt bei der Betrachtung des Wesens vor. Immer noch wird es als Monster bezeichnet, dennoch sieht es die breite Öffentlichkeit mittlerweile eher als ausgestoßen und missverstanden, als jemanden, durch seine Kraft und sein Äußeres von allen Seiten verachtet wird. Das Publikum seinerzeit empfand es als schreckliches Horrorwesen, als Stoff für Alpträume, frei von Empathie. Blickt man jedoch auf die Nuancen, bleibt nur die erste Möglichkeit übrig: das Wesen ist wie ein kleines Kind, dessen Hirn noch nicht weiß, wie das Leben funktioniert und noch keine Erfahrung oder Wissen besitzt - auch nicht über die Folgen des eigenen Handeln. Er ist allerdings auch fähig, dies dazuzulernen und Gefühle zu empfinden - so wird ihm unmittelbar bewusst, dass das von ihm verursachte Ertrinken des kleinen Mädchens ein tragischer Fehler war. Gerade letzte Szene wurde in der ursprünglichen Fassung aus Zensurgründen entfernt, ist jedoch eine derartige Schlüsselszene, dass sich die Charakterisierung der Figur durch ihr Fehlen deutlich erschwert. Stattdessen wird später einfach die Leiche des Mädchens präsentiert - was eher einen motivlosen, gewaltsamen Mord impliziert.

                                  In diesen beiden Figuren liegt, neben einigen ikonischen Szenen und Zitaten, die Essenz von Universals “Frankenstein”. Eingesetzt wurden diese bis heute klassischen und psychologisch-philosophischen interessanten Inhalte in einen rein von der Prämisse getragenen und zu knapp geratenen Handlungsverlauf, der in 70 Minuten relativ eingeschränkt wirkt. Die Idee eines aus Leichenteilen gebastelten Wesens war seinerzeit nervenaufreibend genug, um den Zuschauer durchgehend bei Laune zu halten. Tausende von Monsterfilmen später stechen aber vor Allem die fragilen und sensiblen Momente besonders hervor, welche “Frankenstein” zum Diskussionsmaterial über Moral, Gesellschaft und kindliche Unschuld erheben - wobei der eigentliche Film jedoch vor Allem auf Spannung und Effekt setzt und in dieser Hinsicht in seiner Wirkung doch eine dünne Schicht Hausstaub angesetzt hat - was dem Film freilich nicht vorzuwerfen ist. Somit würde man das Werk an den Übertrumpfungen der eigens geschaffenen Klischees messen. Tatsache ist jedoch, dass man sich 4 Jahre später aus heutiger Sicht wesentlich reichhaltiger mit der emotionalen und sozialen Komponente beschäftigte - aber das ist eine andere Geschichte.

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                                  • Wir oft sind wir in den letzten Jahren eigentlich schon gestorben? Ist das so wie bei den Addams-Kindern, dass wir in gleich nachher wieder heile sind^^

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                                    • Ich weiß, reichlich spät, aber die Stelle mit Trumps Haaren ist das beste Stück Literatur dieses Jahres.

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                                        Martin Canine 17.10.2017, 15:33 Geändert 17.10.2017, 18:53

                                        Freunde der skurrilen Komödie sollten bei dem Namen Jim Abrahams aufhorchen, immerhin war dieser Mann an einigen der prägendsten Persiflagen, Satiren oder einfach sonstigen Komödien beteiligt, zumindest von Ende der 70er bis Anfang der 90er Jahre. Bekannt ist er vor Allem als Teil des Trios Zucker-Abrahams-Zucker, den in meinen Augen aber witzigsten Film dieser Strömung hat er im Alleingang auf die Beine gestellt: ‘Hot Shots - Der zweite Versuch’. Demnach ist nahezu alles, was mit seinem Namen versehen ist, ein komödiantisches Highlight, dass aus allen Richtungen mit Gelächter belohnt wird. Doch unter den zahlreichen Klassikern bleibt “Mafia!” geradezu unbeachtet. Schauen wir jetzt mal, warum das so ist.

                                        Sieht man sich amerikanische, zeitgenössische Kritiken an, wurde der Film fast durchwegs lauwarm rezipiert, nie hart verrissen, nie viel gelobt, und fast immer im mittleren Spektrum angesiedelt. Jedoch wurde mehrfach angemerkt, dass die Konkurrenz mit dem kurz zuvor erschienenen ‘Verrückt nach Mary’ einfach zu groß war, sodass der Film im direkten Vergleich einfach um ein Vielfaches weniger überzeugte. Deutsche Kritiken sind da deutlich wohlwollender (was eigentlich ungewöhnlich ist) und bezeichnen den Film als einen der letzten Vertreter der klassischen Ära der Parodien und absurden Komödien.
                                        Ich muss sagen, dass ich da ein wenig härter urteilen muss, denn auch einige Jahre und eine Vielzahl an Parodien später muss ich sagen, dass “Mafia!” nur bedingt funktioniert und seinen nicht vorhandenen Kultstatus auch verdient.

                                        Die Handlung basiert auf den ersten 2 Filmen der ‘Pate’-Trilogie und dreht sich um die Michael Corleone-Parodie Anthony Cortino und wie sich diese vom Normalo der Familie selbst zum grausamen Oberhaupt mausert. Parallel dazu wird in Rückblenden die Geschichte seines Vaters Vincenzo “Armani Bomberjacke” Cortino in Sizilien erzählt. Verknüpft werden diese Stories der ‘Pate’-Reihe mit Martin Scorseses ‘Casino’, indem Anthony nach dem Doppelmord nicht nach Italien, sondern nach Las Vegas flüchtet und dort mithilfe des Casinos zu Reichtum und Macht kommt.

                                        Grundsätzlich eignen sich solch hochkarätige und sich selbst bierernst nehmende Film vortrefflich für Parodien, vor Allem, wenn sie so kultig sind, dass die einzelnen verhornballerten Szenen den meisten Leuten bekannt sein dürften. Und hier kommen wir zu des Pudels Kern: stellten die anderen Filme aus dem ZAZ-Haus zwar Verulkungen eines Genres dar, erzählten sie auf Klischees basierend ihre eigenen Geschichten mit eigenen Figuren. Die beiden ‘Hot Shots’-Filme hatten zwar klare Vorbilder in ‘Top Gun’ und den ‘Rambo’-Filmen und haben auch Szenen aus diesen Werken durch den Kakao gezogen, waren aber keine eins zu eins Wiedererzählungen. Grundsätzlich macht das bei einer Gagparade sehr wenig, aber bereits hier könnte man den Braten schon riechen, dass es eben kein letzter Vertreter der klassischen Parodie ist, sondern einer der ersten, vielleicht sogar der erste des Spoof Movies.

                                        Seht euch mal ein paar der verwendeten Gags an und sagt mir, ob sie euch bekannt vorkommen:
                                        Personen knallen irgendwo dagegen oder werden von Gegenständen getroffen, Kotzfontänen ergießen sich über den Bildschirm, ein Tritt gegen den Kopf lässt selbigen davonfliegen, nachgespielte bzw. übertriebene Szenen aus nicht zum Thema der Parodie passenden und damals halbwegs aktuellen Filmen (hier u.A. ‘Jurassic Park’, ‘Der englische Patient’, ‘Forrest Gump’), auf einem Grammophon wird gescratcht, Tanzeinlagen, Furzgeräusche,...
                                        Eigentlich kann man in “Mafia!” die Urschablone der meisten obligatorischen 2000er Spoof Movie-Gags sehen, die neben eigenen Witzen in jedem Vertreter vorkommen, wobei bessere Vertreter des so verhassten Genres, wie etwa der erste ‘Scary Movie’ oder ‘Nicht noch ein Teeniefilm’ (oder in meinen Augen auch ‘Superhero Movie’ und ‘Superfast!’, deren Humor weit mehr auf Albernheiten als auf Fäkalhumor abzielt, welche aber dennoch grauenvolle Kritiken bekamen) meilenweit vor diesem Werk Abrahams liegen. Ich bin ja anders als die meisten Leute der Welt KEIN Hasser der meisten modernen Spoof Movies, und obwohl man mir schon vor Jahren prophezeit hat, dass sich meine Sicht auf diese Filme ändern wird, finde ich immer noch, dass man sie sich auf eine unreife, kindische und dämliche Art durchaus geben kann, manche mehr als andere, und dass einige davon wirken, als würde man sich mit ein paar Kumpels über einen Film, den man gerade sieht, mit ein paar humorvollen Einlagen lustig machen, auch hier funktioniert das bei manchen besser als bei anderen; einige wirken regelrecht forciert (‘Breaking Wind’, ‘Scary Movie 5’), aber bei Jim Abrahams erwarte ich mir schon ein anderes Kaliber. Das Blöde an “Mafia!” ist nur, dass er, obwohl er vielleicht der erste Film ist, der so viele der späteren Stereotype der Spoof-Jokes vereint, wenig frisch und vergleichsweise lustlos daherkommt.

                                        Es gibt in dieser Art von Film grundsätzlich drei verschiedene Sorten von Gags: die albernen, die brachialen und die Wortspiele. Erstere sind vor Allem in Dialogen zu finden, etwa, wenn völlig absurde Monologe/Dialoge oder Situationen pathetisch und emotional vorgetragen werden oder sich “ernstzunehmende” Figuren kindlich oder verweichlicht benehmen und von allen Charakteren dennoch weiterhin als hart, bedrohlich oder cool wahrgenommen werden. Zweitere finden in zahlreichen Slapstickszenen Verwendung, aber auch in anzüglichen Witzen oder immer häufiger in Fäkalhumor. Der dritte Stil tritt am Prominentesten in Form von Wortklauberei auf, wenn irgendwelche Figuren Floskeln und Phrasen komplett wörtlich verstehen, oder aber wenn Sätze oder Namen ähnlich wie im Original klingen, aber etwas anderes bedeuten.
                                        Für ersten und dritten Faktor ist die meiste Kreativität erforderlich, Slapstick kann aber durchaus genauso stark zünden, wenn er perfekt getimt ist und in angenehmem Ausmaß bleibt. “Mafia!” driftet aber oft zu einer Art von Parodie ab, in der auf Teufel komm raus Brachialhumor zelebriert wird. Dabei zündet dieser mit am Wenigsten und wird zu stark ausgespielt. Hinfall-, Umrempel- und Hineinkrachwitze nutzen sich rasch ab, werden aber oft in einer aufeinanderfolgenden Kombi aus drei, vier Unfällen gezeigt, quasi als Kettenreaktion. Wer sehen will, wie man einen kompletten Film ausschließlich mit Slapstick aufzieht, dem sei zur Lehrstunde zu ‘Geschenkt ist noch zu teuer’ geraten, wo man nie das Gefühl hat, dass sich die Missgeschicke widerholen und selbst bei längeren Slapsticksequenzen nicht dreimal hintereinander derselbe Gag, sondern sechs, sieben unterschiedliche gezeigt werden.
                                        Der Tiefpunkt von "Mafia!" wird mit der ‘Der englische Patient’-Parodie erreicht, in dem der bloße Anblick des Entstellten eine ‘Stand by Me’-artige Erbrechorgie bei allen Anwesenden auslöst. Mein Gott, was habe ich gelacht. Nicht.

                                        Aber, und das ist wohl der Grund, warum dieser Film keinen so schlechten Ruf genießt wie die nachfolgenden Spoofs, es gibt auch reichlich funktionierende Lacher. Alleine die Szene, in der Anthony seiner ehemaligen Liebe Diane ihren Sohn vorstellt, ist göttlich.
                                        “Wie heißt du denn?” “Diane.” “Er heißt wie seine Mutter.” “Ich bin Mutter?”
                                        Auch andere Dialoge und Zitate strahlen im selben Licht wie der gute alte ZAZ-Klamauk:
                                        “Ich bin nicht mein Vater. Genauso wie du nicht dein Vater bist. Wären wir unsere Väter, wäre das, was wir gestern gemacht haben nur in einem Bundesstaat legal.”
                                        Oder
                                        “Steckt ein wenig Sizilianer in dir?” “Nicht seit gestern Nacht.”
                                        Oder
                                        “Meine Lieblingsaugen!”
                                        Oder
                                        (Bezogen auf die vielen Einnahmen des Casinos): “Manche Leute schickten uns ihr Geld direkt mit der Post, um sich die Anreise zu ersparen.”
                                        Es gibt noch dutzende weitere.
                                        Es gibt auch durchaus gelungene Sight Gags: Spaghetti am Spieß, ein Kokainziehrohr, welches durch die Nase mitgezogen wird, ein Hund, der wie eine Vase an der Wand zerbricht, und sogar einer der zu vielen Furzgags zündet - im wahsten Sinne des Wortes.
                                        Dazu muss man sagen, dass die Originalfilme wirklich gut studiert wurden, sodass sie optisch und in ihrer Atmosphäre teilweise perfekt kopiert wurden, und sich außerdem Hommagen darin befinden, die sicherlich nicht auf ein breites Publikum, welches nur auf Lacher aus ist, sondern auf Liebhaber des Genres ausgerichtet sind - zum Beispiel ist an zwei Stellen, inklusive des Filmanfangs, die Musik stark an ‘Es war einmal in Amerika’ angelehnt, welcher sicherlich in erster Linie Cineasten bekannt sein dürfte, während die Anspielung dem Durchschnittszuschauer wohl gar nicht auffällt.

                                        All das spricht deutlich für den Film und würde ihn auch auf ein höheres Level als die heutige Spoof Movie-Szene heben… wären diese Momente nicht von den plattesten der platten Gags umzingelt. Es ist kein gutes Zeichen, wenn man abwechselnd lacht und stöhnt. Es zerstört die gute Stimmung, zu viele nervige Gags einzubauen. Einige Gags, die nur halbwegs zünden, würden das Gemüt nicht senken, lediglich nicht weiter anheben. Woran man sich erinnert, sind die guten Gags, den Rest vergisst man. Ein wirklich tief schlechter Gag bleibt aber leider genauso im Gedächtnis wie ein gelungener. Und an was ich mich bei “Mafia!” erinnere sind zwar die witzigen Stiel-Spaghetti… aber auch in Nahaufnahme vorgekaute Aprikosen.

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                                          über Woyzeck

                                          Georg Büchners “Woyzeck” ist ein grauenhaftes Dramenfragment, in dem sich sinnfreie Dialoge im Kreise zu drehen scheinen, ohne jemals auch nur auch irgendetwas auszusagen. In den Situationen an sich liegt überdeutlich ein Psychogramm, welches das Werk bis heute zum Analysieren in Schulen und Studien obligatorisch macht - allein diese Handlung macht es so wichtig, die zahlreich geführten Diskussionen sind an künstlich aufgeblasener Bedeutungsschwangerschaft nicht zu überbieten und fallen nur allzu leicht in eine von mir so verhasste pseudointellektuelle Haltung. Man kann die titelgebende Figur durchaus charakterisieren, auseinanderpflücken, mit Archetypen der Gesellschaft oder modernen psychischen Krankheitsbildern vergleichen, und man kann auch diverse Motive und Missstände der damaligen Gesellschaft in die Handlung hineinlesen. Allein die Worte entziehen sich auch nur dem kleinsten Genuss. Einem Goethe gelingt es, in jedes kleine Gespräch eine reichhaltige Vielfalt an Themen und Problemen einzuflechten, und sei es nur, um die Dynamik zweier Figuren aufzuzeigen, sodass selbst aus heutiger Sicht ein immer noch verständlicher und greifbarer Gefühlskosmos vorzufinden ist. Einem Büchner gelingt es, seitenweise Dialog dazubringen, welcher sich in seiner üppig vorgetragenen Philosophie kaum erschließt. Gleich das sehr frühe Gespräch um die verlorene Zeit ist so selbstzweckhaft und unnatürlich, dass einem das Grausen kommt. Letzten Endes sind die Kurzzusammenfassungen der einzelnen Szenen alles, was von Nöten ist, um ein Bild von der Welt von Woyzeck zu bekommen - die Gespräche hingegen verlieren sich in abstrusen und sinnfreien Gedankengängen, die sich als kluge Erkenntnisse ausgeben und zu kaum einem Ergebnis kommen. Und nun ist Schluss mit der Literaturkritik.

                                          Es muss nicht erst gesagt werden, dass Werner Herzog ein großartiger Filmemacher ist. Gesehen habe ich aktuell noch nicht viele seiner Filme, aber die Natürlichkeit, mit der die Meisterwerke ‘Fitzcarraldo’, ‘Nosferatu’, ‘Aguirre, der Zorn Gottes’ und ‘Kaspar Hauser’ halbdokumentarisch inszeniert sind, sucht seinesgleichen. Herzog hat ein unheimliches Auge dafür, Schönheit, Schreck und Emotionalität einzufangen. Nicht zu kopieren, einzufangen. Seine Handlungen und Figuren werden geschrieben, aber die Schauplätze und Akteure bestimmen, was letztlich passiert. Für “Woyzeck” war ursprünglich Bruno S. vorgesehen, welcher bereits Kaspar Hauser verkörperte, letztlich wurde es dann doch Klaus Kinski, mit dem Herzog eine fast zerstörerische gemeinsame Geschichte verbindet. Aber er wusste, nur einer dieser beiden würde für die Rolle infrage kommen, da beide in Natura alle Schrullen und die nötige Exzentrik und Spontanität mitbringen, die der Woyzeck braucht. Und er setzt diesen Schauspieler mitten in die Welt der Titelfigur, gibt ihr Worte vorzutragen, und beobachtet, was passiert.

                                          Und was soll man sagen? Unheimlich intensiv und verdammt echt wird die konstante Erniedrigung des Woyzeck bis zur ultimativen Eskalation in Szene gesetzt - wortwörtlich. Ich glaube, ich habe noch keine so ästhetisch unästhetische Rasierszene gesehen. In ‘The Untouchables’ oder ‘Bram Stoker’s Dracula’ werden die Szenen nahezu rhythmisch, geschmeidig, hypnotisch gezeigt. In “Woyzeck” wird rasch und komplett frei von irgendeinem Kontext während des Gespräches rasiert. Natürlich: Woyzeck hält sich nicht auf, er rasiert gekonnt und flott, will seine Arbeit schnell beenden, und warum sollte er es auch hinauszögern? Nur, weil es nicht in den Film passen würde, wäre er fertig? Erst bei solchen komplett banalen Details wird klar, wie künstlich selbst die angeblich realistischsten Filme sind.

                                          (SPOILER)
                                          Die Mordszene ist mit am Beeindruckendsten gefilmt. Obwohl in Zeitlupe und mit Musik unterlegt, und somit deutlich mehr inszeniert als sämtliche anderen Szenen, wird doch in ausführlicher Form Woyzecks bzw. Klaus Kinskis Mimik fokussiert, und wir sehen in jeder kleinen Sekunde, was in ihm vor sich geht. Zuerst entschlossen, einen Schlussstrich zu ziehen (ruhig und neben sich stehend), dann exzessiv, wutentbrannt, mit bebendem Gesichtsausdruck, die Eifersucht entlädt. Dann folgt ein kurzer Schnitt auf Marie, der die lange Einstellung kurz unterbricht, aber nötig ist, um zu zeigen, dass Woyzeck nun realisiert, dass er sie tatsächlich umgebracht hat. Darauffolgend verfällt seine Miene deutlich, er wird ruhiger, ehe er komplett verzweifelt und am Liebsten alles wieder zurücknehmen will. Er bricht in Panik aus. Ab diesem Zeitpunkt, in den letzten Minute des Filmes, wirkt er komplett unter Schock und ist nicht fähig, irgendetwas, was mit ihm geschieht, zu verarbeiten und zu realisieren. Kinski spielt hier, wirkt aber, als hätte er wirklich jemanden, an dem sein Herz hängt, der ihn aber schwerst verriet, ermordet.
                                          (/ENDE SPOILER)

                                          Herzogs Faszination an dem “Woyzeck”-Stoff ist leicht verständlich, handelt er doch von einer Figur, welche die meisten Vorgänge einfach durch seine bloße Anwesenheit in Gang setzt, und das ist eine Prämisse, welche ihm liegt. Aber das alles bleibt letztlich hinter den Dialogen des Originalwerkes zurück. Der Film ist eine exakte Umsetzung des Stückes, Wort für Wort, und folglich schleift er alle Totalschäden von Büchner mit in seinen grandiosen Film. “Woyzeck” ist ein großer Film und ein furchtbares Stück - man sieht ihn gerne an und denkt noch lieber über ihn nach, aber man hört ihm nicht gerne zu und es frustriert, zu erkennen, dass seine Gespräche prall gefüllte und wunderschön verzierte Tüten sind, deren Inhalt nichts weiter als Luft ist. Er ist alles nur kein schlechter Film. Er ist ein brillanter Film, der sich leider treu an seine Vorlage hält.

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                                            Der englische Originaltitel von “Fünf Perlen” lautet “O. Henry’s Full House”, benannt nach dem Kurzgeschichtenautor, aus dessen Feder die Vorlagen dieses Episodenfilmes stammen.
                                            Weshalb “Full House”? Ich habe darüber nachgedacht - womöglich ein offensichtliches Wortspiel übersehen - und zu dem Schluss gekommen, dass womöglich die Art der Karten mit den Genres der Geschichten gleichgesetzt wird. Es handelt sich hierbei um 2 klare Komödien und 3 Episoden ernsthafterer Natur, wobei selbst die Komödien einen bittersüßen Hintergrund und selbst die ernsten Stücke eine deutliche Ironie aufweisen. Somit gefällt mir der deutsche Titel ausnahmsweise besser - und zwar nicht nur, da der Name O. Henry in der europäischen Kultur nur bedingt ein Begriff ist, sondern weil es sich bei diesem Werk wahrhaftig um fünf Perlen handelt; etwas Kleines, das den meisten vielleicht verborgen bleibt, jedoch in seiner Schönheit vollendet ist.

                                            Die erste Geschichte dreht sich um einen Vagabunden, der mit allen Mitteln versucht, ins Gefängnis geworfen zu werden. Er besitzt keinen Schlafplatz und kein Geld, und seiner Ansicht nach bietet ihm das Gefängnis wesentlich mehr, so hätte er dort Essen und ein Dach über dem Kopf. “Leider” scheitert sein Vorhaben immer an unvorhergesehenen Reaktionen der Leute, so hat ein Mann, dessen Schirm vom Vagabunden gestohlen wird, selbst Angst, zur Polizei zu gehen. Bereits bei dieser Geschichte werden zwei Dinge deutlich, die sich auch durch die nächsten Episoden ziehen: die Short Stories werden sehr warmherzig und mit viel Empathie für die Figuren erzählt, und verfügen über ausreichend kluge Erzählkniffe, um auch auf einer oberflächlichen Ebene vortrefflich zu überzeugen.
                                            Inszeniert wird dieser Abschnitt vorwiegend im Stile einer Situationskomödie, und er arbeitet damit, bekannte Situationen verkehrt herum darzustellen als gewohnt - etwa, wenn sich der “Dieb” mit aller Kraft und pathetischer Wortgewalt dafür einsetzt, doch bitte ins Gefängnis geworfen zu werden. Dennoch ist es auch eine kluge Geschichte über einen eigentlich traurigen Zustand: der Mittellose hat es im Gefängnis womöglich besser.
                                            Hier hat Marilyn Monroe einen kurzen Auftritt als Straßenmädchen. Dieser ist nicht ansatzweise groß genug, um ihr alleiniges Bild auf dem deutschen DVD-Cover zu rechtfertigen, dennoch ist es ein Moment, eine Begegnung, die im Gedächtnis verankert bleibt.

                                            In der zweiten Geschichte begeben wir uns in das Szenario eines Film Noirs, und beobachten, wie sich zwei ehemalige Kumpanen nach Jahren gegenüberstehen: einer als Gangster, einer als Polizist. Das Film Noir-Genre, welches seine Blütezeit vor Allem in den 40er Jahren durchlebte, kann im Normalfall selbst bei seinen weniger brillanten Vertretern durch eine unheimlich dichte, dunkle und dreckige Luft überzeugen. Auch in dieser Geschichte kommt dies zu tragen, es ist allerdings kein schwächerer Genrekurzfilm. Aus dem bekannten Szenario wird hier erneut eine gewisse Aussage und Milieustudie gezogen - obwohl beide Dreck am Stecken hatten und einst befreundet waren, hat es nur einer von ihnen zu etwas in der Gesellschaft Akzeptierten gemacht. Die zynische letzte Einstellung sticht stark heraus, genauso wie die für den ansonsten harmlosen Gesamtfilm ab und an hereinbrechende Gewalt an einer weiblichen Nebenfigur aus dem Umfeld des Gangsters. Sollte diese Geschichte eines Tages eine abendfüllende Umsetzung spendiert bekommen, wünschte ich mir mehr über diese Figur zu erfahren.

                                            Bei Episodenfilmen wie diesem (also nicht solche, in welchem viele Handlungsstränge parallel erzählt werden und sich überkreuzen, sondern aufeinander folgende eigenständige Storylines) gibt es, egal, wie grandios sie im Ganzen auch sein mögen, eigentlich immer eine subjektive Lieblingsepisode. Bei mir ist dies hier Nummer 3, eine melodramatische Geschichte über eine Frau, die nach der unliebsamen Trennung ihres Mannes durch eine andere Frau ihren Lebenswillen verliert. Sie irrt im Schneesturm herum und erkrankt, und obwohl es sich nur um eine leichte Krankheit handelt, droht sie durch ihre Einstellung dahinzusterben. Vor ihrem Fenster schlängelt sich ein Geäst mit herbstbraunen Blättern, von denen nach und nach welche vom Wind davongetragen werden. Sie sieht in den herunterfallenden Blättern die Zeit, die ihr noch bleibt, bevor sie stirbt. Ich werde nicht viel mehr erzählen, um nicht zu viel von der Erfahrung vorwegzunehmen, aber es handelt sich um eine Episode welche poetisch, philosophisch, ästhetisch-künstlerisch und emotional wunderschön erzählt wird. Eine Geschichte, bei der wir trotz der kurzen Länge so viel Mitgefühl verspüren, dass uns das Herabfallen der Blättern auch so schmerzt wie den Figuren.

                                            In hartem Kontrast zu dieser emotional aufwühlenden Geschichte folgt nun die lustigste aller in dem Film vorhandenen. Es dreht sich um einen kleinen Jungen, welcher von 2 Gaunern entführt wird, um Lösegeld erpressen zu können. Das Kind entpuppt sich aber als deutlich gewitzter und cleverer als die Ganoven und macht ihnen die Zeit zur Qual. Wie reinige Jahrzehnte später ‘Kevin allein zu Haus’ lebt diese Kurzgeschichte stark von der Situationskomik eines trickreichen, aufgeweckten Burschen und einfältigen, sich aufgrund ihres Alters überlegen fühlenden Kleingangstern. Für seine Zeit wirklich clever und stark den stereotypen Darstellungen von Kindern in anderen Filmen widersprechend, funktioniert er heute auf dem ersten oberflächlichen Blick nur als reine Comedynummer.

                                            Die letzte Geschichte scheint zeitgleich die bekannteste zu sein, denn ich bin überzeugt, sie bereits einmal in einer Zeichentrickumsetzung mit Disneyfiguren gesehen zu haben. Es handelt von einem armen Pärchen zur Weihnachtszeit, die mit ihrem Geld kaum über die Runden kommen, aber dennoch dem Anderen etwas schenken wollen, und so entschließen sich beide, etwas herzugeben, das ihnen viel bedeutet. Es ist eine der schönsten Weihnachtsgeschichten, weil sie glaubhaft etwas aussagt, was oft dahergesagt, aber selten gelebt wird - ich nehme mich da nicht aus: es geht darum, dem Anderen etwas Gutes zu tun, nicht sich selbst. Zu schenken, nicht beschenkt zu werden. Gerade dass es sich bei der Geschichte um mittellose Bürger handelt, die zwar nicht an Armut leiden, aber dennoch kein Geld für Luxus besitzen und mit dem Minimum an Komfort leben, zeigt deutlich, wie einem das Schenken Freude bereitet, selbst, wenn man das sich selbst Wertvollste dafür aufgibt.

                                            Eines der größten Kunststücke von “Fünf Perlen” ist es, trotz einer nicht vorhandenen Rahmenhandlung und keinerlei inhaltlicher Zusammenhänge der einzelnen Episoden als filmisches Gesamtwerk zu wirken. Erst durch die Unterschiede in Ton und Genre gewinnt der Film an Vielschichtigkeit und schafft es, ein durchgängig hohes Niveau an filmischer Erzählkunst zur Schau zu stellen. O. Henry hat sich in seinen Geschichten in komplett unterschiedliche Milieus gewagt, und überall Werte, Warmherzigkeit und stolz ignorierte gesellschaftliche Erwartungshaltungen gefunden. Wenngleich jeder die 5 Geschichten unterschiedlich rezipieren würde (manche finden sie wie ich vielleicht allesamt gut, aber dennoch wird sie jeder nach Geschmack reihen), so überzeugt vor Allem das Bild, welches die Auswahl malt. Alle Handlungen und Figuren existieren in derselben Welt, allerdings in unterschiedlichen Umgebungen. So zeigt der Film das riesige Spektrum, das die Gesellschaft bietet. Und wenn man etwas dabei lernt, dann ist es, dass man überall positive Leute finden kann und findet.

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                                            • Mann, da bekomme ich ja gleich einen echten Nostalgieschub an die letzten Stories.
                                              "Mit leicht pädophil klingender Stimme" --> beste Umschreibung. Jetzt muss ich nur noch den Film sehen.

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                                              • Verdienter Kommi der Woche.
                                                Ich wünschte, die Serie wäre auf DVD draußen. Stumpfer Humor, Tiefe und Furry-Ästhetik - das ist eigentlich die purrfekte Kombi für moi.

                                                (Und wer das jetzt sonst noch so liest: nein, ich bin nicht in Rente gegangen, ich bin nur gerade nicht so in der Mood für Filme.)

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                                                • Snoop Dogg ist einfach mal der überbewertetste Rapper aller Zeiten. Ja, die Attitüde ist nice, er macht wirklich jeden Spaß in jedem Genre mit und man kann mit dem sicher wunderbar mit Stuff chillen, aber der bietet mir musikalisch zu wenig herausragendes.

                                                  Vibe ist mit Punkten gar nicht zu bewerten. Das ist ein Feeling, ein Rausch, den man so schnell nirgendwo mehr bekommt. Der steckt in Sachen Trap gar Young Thug und Drake in den Schatten wie überhitzte Partygäste ihre Körper. Auch als Fan vom Schwamm und vom Boss, Vibe ist große Klasse wie der Abschlussjahrgang.

                                                  • Martin Canine 21.07.2017, 11:54 Geändert 21.07.2017, 17:57

                                                    Ich habe einige Tode von Musikern mitbekommen, welche ich liebend gerne hörte, aber diesmal sitzt das Ganze tiefer. Diesmal spüre ich, dass da etwas für mich Wichtiges verloren gegangen ist.

                                                    Linkin Park war für viele in meiner Generation das, was Nirvana für die Generation X waren. Eine Band, ein Gedanke, eine Bewegung, durch die wir uns ausdrücken konnten, die in ihren Liedern Emotionen ausdrückte und verarbeitete, die uns über unsere eigenen Schmerzen hinweg half, und das mit einer außergewöhnlichen Musikalität und Hang zu einer zuvor als gewagt geltenden Genreüberschreitung, die von den Fans mal mehr, mal weniger willkommen aufgenommen wurde. Linkin Park konnten in den frühen 2000ern den Nu Metal besonders in den USA als beliebtes Genre etablieren und wurden später auch zu Helden der Emo-Bewegung, selbst, wenn sie sich selbst nie so verstanden. Wo auf den ersten Hörer Härte dominierte, offenbarte sich bei genauerem Hinhören eine Verletzbar- und wohl auch eine Verletztheit der Musiker, insbesondere des Sängers Chester Bennington, der gemeinsam mit Rapper Mike Shinoda der kreative Kopf des Projekts war. Die auf den auftrabenderen Songs oft verwendeten Schreie Benningtons waren weder eine Show noch eine Demonstration von Maskulinität, wie es oft in härterer Rockmusik der Fall ist, es waren Schreie an die Welt da draußen, die erfüllt waren von aufgestauten negativen Emotionen, die sich am Mikrofon wie ein gleißender Blitz entluden. Das ist mir nicht erst seit seinem Selbstmord klar. So klingt nur jemand, der viel durchgemacht hat.

                                                    "Hybrid Theory", "Meteora" und "Minutes to Midnight" waren für mich - und viele andere meiner Generation - musikalische Meilensteine. Ich kenne sie mein halbes Leben, 10 Jahre lang, und es waren vielleicht die ersten Rockalben meines Lebens. Damals gefiel mir einfach die Musik - später erst wurde mir bewusst, welche raue Emotionalität in den Werken steckt. Chester Bennington und seine Band Linkin Park haben uns Inspiration und ein musikalisches Sprachrohr gegeben, rund um den Globus Personen allen Alters begeistert und öffneten den Weg für viele andere MusikerInnen und Bands, die sich ebenfalls ihren Weltschmerz durch unorthodox mit anderen Genres kombinierten Rock von der Seele singen oder schreien wollten. Dass Chester Benningtons Tod ein Loch in der internationalen Musiklandschaft hinterlassen hat, sieht man daran, wie viele Kollegen allen Genres, jeglicher Herkunft und sämtlichen Bekanntheitsgrades sich bestürzt um dem Verlust dieser modernen Legende zeigen, darunter unter Anderem die niederländische Symphonic Metal-Band Within Temptation, die kanadische Post Grunge-Gruppe Nickelback, das latino-amerikanische Electro-Emo-Duo Blood on the Dance Floor oder der deutsche Rapper Kool Savas. Selbst My Chemical Romance, eigentlich schon seit Jahren getrennt, aber mit einem ähnlich legendären Status wie Linkin Park, haben sich in Anbetracht des Verlustes von Bennington zu einer Trauerbekundung zusammen gefunden - bekannt ist, dass die beiden Gruppen eine große Bewunderung füreinander hatten.

                                                    Chester Bennington hat sich das Leben genommen, da er unter schweren Depressionen litt. Auch heute noch wird diese Krankheit gerne als bloßer Pessimismus, schlechte Laune oder im schlimmsten Falle sogar als Aufmerksamkeitssuchen abgetan. Aber der Schmerz, den ein Depressiver fühlt, sitzt viel tiefer als das - egal, ob man so viel durchgemacht hat wie Chester Bennington oder nicht. Chester hat die Überladung an negativen Gefühlen nicht mehr ertragen. Aber so wie ihm geht es vielen, weit weniger berühmten Leuten weltweit.

                                                    Was ich abschließend kann, ist, dass wir die mal schreiende, mal apathisch-melancholische Stimme einer Generation verloren haben. Was bleibt ist die Erinnerung, was bleibt sind die geöffneten Türen und was bleibt ist das musikalische Vermächtnis.

                                                    Hier noch mein Lieblingssong von Linkin Park, wenig originell von mir, aber der ist einfach so gripping:
                                                    https://www.youtube.com/watch?v=8sgycukafqQ

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