Miss_Jupiter - Kommentare

Alle Kommentare von Miss_Jupiter

  • 6 .5
    Miss_Jupiter 14.05.2024, 11:29 Geändert 14.05.2024, 11:35

    Was zum "Geier" war das denn bloß...? (Kleines Wortspiel für diejenigen, die ihn schon mal gesehen haben.)

    Becky's (Grace Caroline Currey) Mann Dan (Mason Gooding) stirbt bei einem Kletterunfall. Um seinen Tod und das Trauma zu verarbeiten, überredet ihre Freundin Hunter (Virginia Gardner) sie dazu, sich zusammen mit ihr auf einen 600 m hohen Funkturm hinaufzubegeben, um dort Dan's Asche zu verstreuen.
    Gesagt, getan. Die beiden im Klettern geübten Mädels erklimmen diesen Turm bis fast zu seiner Spitze auf eine wenige qm große bzw. winzige Plattform. Auf dem Weg dorthin löst sich ein Teil der Leiter aus der Verankerung, weil der Turm lange außer Betrieb ist und schon recht altersschwach scheint. Sie fällt in die Tiefe. Hunter und Becky verstreuen dennoch die Asche von dort oben und wollen danach den Rückweg nach unten antreten, aber den Rest der Leiter können sie nicht mehr erreichen und sitzen in luftiger Höhe fest. Nun gilt es, zu überleben und jemanden auf sich aufmerksam zu machen, was nahezu unmöglich erscheint, denn Handyempfang gibt es dort oben nicht. Aber eine Drohne hat man natürlich dabei...

    Scott Mann's Survivalthriller "Fear - Fall Reaches New Heights" von 2022 ist ein "Fest" für Menschen mit Höhenangst, wie ich einer bin. Ich konnte sehr oft nicht auf das Geschehen blicken, und wenn, nur hinter vorgehaltener Hand, die -wie auch meine andere- schweißnass war. Mein Herz raste, wenn die Kamera von der schwindelerregenden Höhe der Plattform steil nach unten schwenkte. Es ging gerade noch so, wenn sie geradeaus und in die Ferne zu blicken schien und eine schier atemberaubende Aussicht bot. Trotzdem bekam ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend und die Sichtung des Streifens war ziemlich unangenehm für mich.

    Die Darstellerinnen machten ihre Sache recht ordentlich, obwohl es im Plot reichlich Logikfehler gab und auch die Handlungsweisen der beiden nicht immer nachzuvollziehen war.
    Ich traute mich auch gar nicht, mir vorzustellen, selbst dort oben zu sein. Diese Vorstellung verbannte ich aus meinen Gedanken, sonst hätte ich den Film wirklich nicht bis zum Ende durchgestanden.

    *Kleine Spoiler*: Der Twist, der sich am Schluss offenbarte, holte mich irgendwie nicht wirklich ab, denn ich hatte schon vorher diese Schlussfolgerung gezogen. Woran das lag, weiß ich nicht genau. Am Ende geht dann auch seltsamerweise alles ganz schnell vorbei und die Dinge, die vorher geschahen, verpufften sozusagen. Das hat mich etwas gestört.

    Ansonsten kann man den sich ganz gut geben, wie oben angemerkt, für nicht schwindelfreie Personen ist der Streifen schon fast eine Zumutung. Spannend ist er auf jeden Fall und besitzt eine aussichtslose, verzweifelte Atmosphäre ohne Hoffnung und die CGI-Effekte sind mMn super gut und realistisch gelungen. Es sah für mich total echt aus, was selbstverständlich zu noch mehr Unbehagen führte.

    In einer Nebenrolle als Becky's Vater: Jeffrey Dean Morgan.

    Bewertung: ganz gut (6.5). Vielleicht habe ich den Mumm, mir dieses Beinahe-Kammerspiel in schwindelerregender Höhe irgendwann noch mal anzuschauen. So ganz gut bekommen ist "Fear" mir nicht, aber das liegt halt an meiner Höhenangst.

    30
    • 9

      "The Handmaid's Tale" ("Der Report der Magd", Buch von Margaret Atwood) spielt in einer dystopischen Version der USA, in der nach einer Nuklearkatastrophe die meisten Menschen unfruchtbar geworden sind. Eine fundamentalistische, superreligiöse und fanatische Gruppe kommt nach einem Putsch an die Macht. Infolgedessen werden allen Mädchen und Frauen, die nicht der Elite angehören, ihre Menschenrechte abgesprochen, ihre Kinder werden ihnen weggenommen. Weiterhin dürfen sie ihren Job nicht mehr ausüben, werden ihres Geldes beraubt, sämtliche Konten, Kreditkarten, etc. werden eingefroren, das Vermögen der Frauen wird deren Partnern bzw. Ehemännern übergeben. Danach dürfen sie nichts mehr, werden unterdrückt, müssen rote Gewänder anziehen und werden in den Villen der Reichen, die es sich leisten können, anstelle der unfruchtbaren Ehefrauen als Sklavinnen und Gebärmaschinen ge- bzw. missbraucht. Diejenigen, die es wagen, sich dagegen aufzulehnen, werden furchtbar bestraft.

      Offred/Desfred (fantastisch: Elisabeth Moss) "dient" als "Magd" im Hause des reichen Commanders Fred Waterford (Joseph Fiennes) und seiner Frau. Einst verheiratet und selbst Mutter einer kleinen Tochter (die ihr weggenommen wurde), versucht Offred verzweifelt, zu überleben und vor allem ihre Kraft, ihren starken Willen und ihren Verstand nicht zu verlieren. Die ständige Überwachung und Bedrohung macht es Offred und ihren Leidensgenossinnen beinahe unmöglich, einen Ausweg aus diesem grausamen unmenschlichen System zu finden und hieraus zu fliehen.
      Offred aber gibt nicht auf, denn sie will ihre Tochter wiederfinden, koste es, was es wolle...

      Fazit: starke, pessimistische, absolut beklemmende und deprimierende Serie mit einer niederschmetternden und bedrückenden Atmosphäre und einer großartigen Hauptdarstellerin, die diese Serie auch mitproduzierte. Auch die anderen Darsteller sind klasse. Mich lässt die Serie frösteln bis hin zur Gänsehaut und die Wut, Traurigkeit und Ohnmacht wuchs in mir mit jeder weiteren Folge. Einfach nur grauenvoll, wie hier mit Menschen, und ganz speziell mit Frauen, umgegangen wird. Sollte eine solche Dystopie eines Tages Realität werden, möchte ich nicht mehr hier sein.

      In weiteren Rollen, u.a.: Alexis Bledel, Ann Dowd als Tante Lydia, Madeline Brewer, Yvonne Strahovski, Bradley Whitford, Clea DuVall, Christopher Meloni, Marisa Tomei und Mckenna Grace.

      Absolute Empfehlung! Auch das Buch von Atwood, welches ich besitze, ist sehr zu empfehlen!

      26
      • 8
        Miss_Jupiter 12.05.2024, 11:36 Geändert 12.05.2024, 11:50
        über Super 8

        Im Jahr 1979 geschehen in der fiktiven Kleinstadt Lillian im US-Bundesstaat Ohio unheimliche und seltsame Dinge. Parallel hierzu dreht eine Gruppe von Jugendlichen am außerhalb gelegenen Bahnhof eine Zombie- und Kriminalgeschichte auf Super 8.
        Der Dreh gerät außer Kontrolle, als ein herannahender Zug entgleist und fast zur Katastrophe für die Kids wird. Joe Lamb (klasse: Joel Courtney), der Sohn eines Polizisten, will der Sache auf den Grund gehen und gemeinsam mit seinen Freunden, unter ihnen die von ihm angebetete Alice (wunderbar: Elle Fanning), entdeckt er ein merkwürdiges Geheimnis in seiner Heimatstadt...

        J.J. Abrams' Sci-Fi-Streifen "Super 8" (2011) ist eine spannende Entdeckungstour sowie Coming-of-Age-Film, der sich voll und ganz auf seine jungen Darsteller konzentriert und das mit einer solch liebevollen Hingabe, dass die Sympathiewerte für sie durch die Decke gehen.

        Der mysteriöse Plot ist dann noch die interessante Dreingabe und zusammen mit der unheimlichen Inszenierung und einem wunderschönen Score wird dieser Streifen zu einem Hochgenuss. Joe und seine Freunde lassen sich durch nichts und niemanden von der Suche nach dem Geheimnis abbringen, obwohl Joe durch den Verlust seiner geliebten Mutter traumatisiert ist und ein etwas gestörtes Verhältnis zu seinem Vater Jackson (Kyle Chandler) hat. Die Zuneigung, die er Alice entgegenbringt, wird von Jackson nicht gebilligt, da er deren Vater Louis Dainard (Ron Eldard) für ihren Tod verantwortlich macht.

        Die gefühl- und rücksichtsvollen Szenen, die nie übertrieben wirken, lassen den jungen Darstellern genügend Raum, um sowohl den Plot als auch die manchmal traurigen Hintergründe und Biographien vorzustellen und behutsam darauf einzugehen. Abrams gelingt das vollständig und mit Bravour. Die Kids stehen hier im Vordergrund und ihre Darsteller machen ihre Sache großartig, aber auch Chandler und Eldard sind in ihren Rollen ausgezeichnet. Zwischen den beiden Vätern besteht seit langem eine unausgesprochene Bitterkeit, die sich leider auf deren Kinder überträgt.

        (Mal wieder nicht bewertet, obwohl schon oft gesehen.)

        Prädikat: Ausgezeichneter Film mit genialen Effekten und einer schönen Atmosphäre, der eine rührende Hommage des Genrekinos der späten 70er und 80er Jahre darstellt, viel sensibles Gespür sowie Verständnis für seine Protagonisten entwickelt und äußerst emotional ist, dabei aber zu keiner Sekunde seine Spannung aus den Augen verliert.

        P.S. Wenn man nicht wüsste, dass "Super 8" von Abrams ist, könnte man auch Steven Spielberg dahinter vermuten.

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        • 8
          Miss_Jupiter 10.05.2024, 18:55 Geändert 10.05.2024, 19:28

          Was gibt es zu "The Mummy" (1999) von Stephen Sommers Negatives zu schreiben? Nichts.
          Der Film ist genau nach meinem Geschmack. Er besitzt einen außergewöhnlichen Charme, tolle Darsteller, eine fantastische Story, eine spannende Atmosphäre, vollgespickt mit ägyptischer Kultur und Mythen, ist gruselig und auch total lustig. Der Humor kommt hier vor allem von John Hannah, der den Bruder der liebreizenden Evelyn (Rachel Weisz) spielt, die als Ägyptologin im Kairoer Museum arbeitet und in den Besitz merkwürdiger Reliquien kommt, die mittels eines Fluchs imstande sind, Hohepriester Imhotep (Arnold Vosloo) wieder zum Leben zu erwecken. Dieser ist -wie sollte es anders sein- sehr, sehr böse, ganz besonders an Evelyn interessiert und bringt sie in seine Gewalt. Jonathan (Hannah) und Fremdenlegionär Rick (Brendan Fraser) wollen sie retten.

          Der Leichtigkeit, die sich durch diesen Streifen zieht, kann man sich kaum entziehen, diese Leichtigkeit wird durch viel Tempo, Abenteuerlust, Frotzeleien der drei sympathischen Hauptprotagonisten untereinander und grandiose Verfolgungsjagden aufgewertet. Sommers gelang somit ein kultiges Gesamt(kunst)werk, dessen großartige Effekte und das geniale Setting auch heute noch begeistern.

          Auch die Fortsetzungen sind gelungen, aber das Reboot mit Tom Cruise und Sofia Boutella ist im Gegensatz zu diesem hervorragenden "Mummy"-Film eher mau.

          Mumienfilme gab es auch früher schon, besonders die mit Boris Karloff, aber Arnold Vosloo als Imhotep ist ein ebenso furchteinflößender wie auch gut aussehender Wiedergänger und Antagonist, der einen frischen unverbrauchten Wind in diese Reihe brachte.

          "The Mummy" kann man immer mal wieder in Abständen genießen, er ist spannend, actiongeladen, romantisch, unheimlich und sehr witzig.

          In einer Nebenrolle: Kevin J. O'Connor ("Amistad", "Lord of Illusions", "Steel Magnolias", "Peggy Sue Got Married", "Van Helsing", "There will Be Blood", "The Master").

          Hatte den hier noch gar nicht bewertet, was mich sehr wundert.

          Prädikat: Ausgezeichnet.

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          • 8

            Zum Thema Kapitalismus muss man wohl nicht mehr viel schreiben. In Ben Wheatley's "High Rise" bekommt es der Arzt Dr. Laing (klasse: Tom Hiddleston) mit den sehr negativen Auswüchsen des selbigen zu tun.

            In einem bizarren riesigen und luxuriösen Hochhaus leben in den oberen Stockwerken die Reichen und Privilegierten dieses Systems mit dem höchsten sozialen Status, während in den mittleren und unteren Etagen die Mittelschicht bzw. die Armen ihr Dasein fristen. Laing ist natürlich einer der Bewohner der "höheren Kaste".
            Nach diversen Stromausfällen und dem Vergammeln sämtlicher Lebensmittel in den hochhauseigenen Supermärkten kommt es zum Verfall der noch übrig gebliebenen menschlichen Werte wie Empathie, Rücksichtnahme, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft. Die Bewohner werden schließlich auf ihre niedersten Instinkte zurückgeworfen und irgendwann ist sich jeder selbst der Nächste, egal ob arm oder reich. Mittendrin Laing, der bald nicht mehr weiß, wer er ist und welchen Werten er einst angehörte...

            Fazit: "High-Rise" nach dem Sci-Fi-Roman von J.G. Ballard ist eine in den siebziger Jahren spielende, derbe und bitterböse visionäre und dystopische Mischung zwischen "Snowpiercer" und "Der Schacht" und beinhaltet den gleichen Themenkomplex wie die erwähnten beiden anderen Streifen. "Das große Fressen" und "mother!" lassen irgendwo dazwischen auch noch grüßen.
            Herrlich widerlich inszeniert ist, wie der Mensch zu einer wilden Kreatur mutiert und die am Reißbrett entworfenen "Gesellschaften" sowie die Vision des "Architekten" (Jeremy Irons) zerbrechen. Am Ende herrschen nur noch Gewalt, Chaos, Perversitäten, der über allem stehende Überlebenswillen und absolute Dekadenz, die in optisch brillianten Bildern und mit sehr viel Zynismus dargestellt und zelebriert wird. Ein toller Soundtrack, eine durchgehend seltsame und düstere (oft sogar psychedelische) Atmosphäre sowie geniale Darsteller -wie z.B. Luke Evans, Sienna Miller, Elisabeth Moss und James Purefoy- vervollkommnen dieses obszöne und surreale Sittengemälde.

            "High-Rise" fasziniert und polarisiert, ist aber furchtbar abstoßend und die Schlussworte von Margaret Thatcher lassen einem die Haare zu Berge stehen und verursachen eine Gänsehaut.

            Der Streifen schrammt haarscharf daran vorbei, eine Satire zu sein, denn dafür fehlt ihm jeglicher Sinn für Humor. Absolut empfehlenswert, obwohl er sehr unangenehm ist! Deswegen kann ich verstehen, dass er hier auf mp eher niedrige Bewertungen erhält. Mir hat er auf jeden Fall sehr gut gefallen.

            "Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen." Dieses Zitat ist von Jean-Jacques Rousseau und nicht, wie oft behauptet und geschrieben wird, von Marie Antoinette.

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            • 7 .5
              Miss_Jupiter 06.05.2024, 12:15 Geändert 06.05.2024, 12:20

              John (Richard Gere), Journalist der Washington Post, und seine Frau Mary (Debra Messing) sind nach einer Hausbesichtigung mit dem Auto unterwegs, als Mary, am Steuer sitzend, plötzlich einen Unfall baut. Im Krankenhaus erfahren beide, dass sie an einem Glioblastom, einem tödlichen Hirntumor, leidet. Am Krankenbett fragt Mary ihren Mann, ob er "es" auch gesehen hätte. John weiß aber nicht, was sie damit meint. Leider stirbt sie dann und John stürzt sich fortan jahrelang in seine Arbeit.
              Auf dem Weg zu einem Auftrag nach Richmond, Virginia, bleibt nachts sein Auto liegen. John weiß aber nicht, wo er sich befindet. Vermutlich hat er in 2 Stunden Fahrtzeit 600 km zurückgelegt, woran er sich nicht mehr erinnern kann. Er bittet den Anwohner Gordon (genial: Will Patton) um Hilfe, der geistig nicht ganz auf der Höhe zu sein scheint und der ihn bedroht.
              John weiß aber nun, dass er sich in Point Pleasant aufhält, das sich an der Grenze zwischen West Virginia und Ohio befindet. Mit Hilfe der örtlichen Polizistin Connie (Laura Linney) recherchiert er zu merkwürdigen Vorkommnissen, die sich in der kleinen Stadt und ihrer unmittelbaren Umgebung ereignet haben. Viele Menschen haben seltsame, riesige mottenähnliche Wesen gesehen und leiden an schlimmen Visionen. Je mehr John darüber herausfindet, desto tiefer begibt er sich in ein nicht zu begreifendes und beklemmendes Mysterium, das etwas mit seiner verstorbenen Frau zu tun hat...

              "The Mothman Prophecies" (2002) von Mark Pellington basiert angeblich auf wahren Ereignissen, die sich vor Jahren dort, aber aber auch in anderen Ländern zugetragen haben (sollen). Auch hier spielten diese seltsamen Mottenwesen eine Rolle.
              Mir gefällt vor allem die dichte Atmosphäre des Streifens, seine Machart, seine schöne Bildsprache und Farbgebung, seine fantastischen Darsteller und die mysteriösen Dinge, die dort passieren. Die Einwohner der kleinen Stadt Point Pleasant sind durch diese Wesen traumatisiert und ihr Leben steht auf dem Kopf. Die quälenden Erlebnisse lassen sie nicht los. Sind diese Wesen Propheten, die schlimme Katastrophen und Unglücksfälle voraussagen und somit das Schicksal der Betroffenen ebenfalls vorherbestimmen oder sind sie von Grund auf böse?

              Der ruhige Erzählstil (bis auf *kleiner Spoiler*: das erschütternde Ende) und vor allem Gere's nuanciertes, zurückgenommenes Schauspiel machen den Streifen zu etwas Besonderem. Es geht hier auch um Verlust, Trauer, das Zurückbleiben und die Einsamkeit von Menschen, die nahe Angehörigen verloren haben. Die mysteriösen Wesen sind hier praktisch das Einfallstor zu einer Welt, die weder den Lebenden noch den Toten "gehört" und die sie betreten und verlassen können, wann immer es ihnen beliebt. Die Spannung ergibt sich aus dem Nichtwissen um deren Herkunft, deren Absichten und warum sie dort überhaupt auftauchten. Sind sie gar außerirdischen Ursprungs?
              Diese Wesen werden hier nie richtig gezeigt, ihre Anwesenheit wird in rötlichem, gleißenden Licht angekündigt bzw. inszeniert, das bedrohlich wirkt, aber gleichzeitig auch eine beruhigende und außerordentlich schöne Wirkung hat, was aber dem unheimlichen Gefühl beim Schauen keinen Abbruch tut. Man erhält einen fast schon sehnsuchts- und wehmutsvollen Blick auf eine Welt, die fasziniert und gleichzeitig eine große Angst vor dem Unbekannten hervorruft. Trotzdem will man irgendwie ein Teil davon sein.

              "The Mothman Prophecies" ist hypnotisch, düster und doch anziehend, besitzt einen schönen Soundtrack und arbeitet oft mit Licht, Schatten, Perspektiven aus großer Höhe und bedrohlichen, fremd anmutenden Geräuschen, die durch Mark und Bein gehen. Er ist visuell hervorragend und stellenweise ziemlich traurig. Man bekommt hier einen Mysterythriller der etwas anderen Art serviert, der ohne heftige Effekte eine sehr große Wirkung erzielt.

              Bis auf die letzten, schockierenden Minuten, die einen regelrecht aus der Bahn werfen, überzeugt er durch seine eher leisen und zurückhaltenden Momente, die aber dennoch eine unheimliche Sogkraft erzeugen, der man sich nicht entziehen kann.

              Hatte den noch nicht hier bewertet. Er bekommt von mir eine 7.5, da er wirklich äußerst sehenswert ist.

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              • 7 .5
                Miss_Jupiter 05.05.2024, 12:49 Geändert 05.05.2024, 12:59

                Neun Skiwanderer (alles Studierende des Polytechnischen Instituts des Urals, bis auf einen) kommen im Februar 1959 bei ihrer Tour zum heiligen Berg Cholat Sjachl (mansisch für 'Toter Berg') auf bis heute ungeklärte Weise ums Leben.

                Der KGB-Major Oleg Kostin (Pjotr Petrowitsch Fjodorow) soll den Fall mit Hilfe der Gerichtsmedizinerin Katja Schumanowa (klasse: Marija Alexandrowna Lugowaja) untersuchen und begibt sich an den Ort des Geschehens. Die Leichen der jungen Leute werden an verschiedenen Plätzen in der Nähe des Zeltes gefunden, in dem sie zum Schluss übernachtet hatten. Das Zelt ist von innen aufgeschlitzt worden. Die Leichen weisen furchtbare und recht merkwürdige Verletzungen auf, deren Herkunft und Ursache nicht genau bestimmt werden kann.

                In Rückblenden erfährt man nun, was genau geschehen sein könnte. Die Episoden spielen abwechselnd in der Gegenwart (1959) und gehen zurück ins Jahr 1945 kurz vor Kriegsende. Kostin trägt aus dieser Zeit ein schweres Trauma mit sich herum, das ihn während der Ermittlungen beschäftigt und nicht loslässt. In unheimlichen Träumen und Visionen verschwimmen die Ereignisse von damals mit denen des mysteriösen Todes der Wandergruppe.

                Die russische Serie "Dead Mountain - Djatlow-Pass – Tod im Schnee" von 2020 thematisiert den wahren, tragischen Fall dieser Wandergruppe. Viele Mythen, Legenden und (Verschwörungs-)Theorien ranken sich bis heute darum, was damals dort passiert ist. Jede Theorie wurde nach ihrer Begutachtung wieder verworfen und man stand am Anfang.
                Die Folgen, die mit den Skiwanderern zu tun hat, sind allesamt in s/w und sie wechseln zwischen den Bildformaten 2,40:1 sowie 1,78:1 hin und her. Die in s/w gedrehten Episoden vermitteln ein Gefühl der Verlorenheit, der eisigen Kälte und der Verzweiflung, die die Wanderer durchlebt haben müssen, bevor sie starben. Obwohl die Natur dort oben erbarmunglos und menschenfeindlich erschien, strahlte sie dennoch eine einzigartige Schönheit aus, die gerade durch die Schwarz/Weiß-Aufnahmen eine bedrückende Atmosphäre erhielten. Der indigenen Bevölkerung an diesem Berg, den Mansen, kommt in der Serie eine besondere Bedeutung zuteil.

                "Djatlow-Pass" -benannt nach dem Anführer der Gruppe, Igor Djatlow (Iwan Konstantinowitsch Mulin)- ist eine gruselig-spannende, besonders tragische, düstere und beklemmende Serie, eine Mischung aus Krimi-, Thriller-, Mystery-, Horror- und ganz viel Drama-Elementen, deren geniale Inszenierung, Bildsprache und Kameraführung hier besonders hervorzuheben ist. Das ist wirklich allererste Sahne und braucht sich hinter anderen internationalen Produktionen überhaupt nicht zu verstecken. Ein paar Längen gibt es wohl, aber die sind hier zweitrangig. Man fiebert bis zum Ende mit, was den jungen Leuten denn wohl zugestoßen sein könnte. Aber mehr als Theorien, Vermutungen und Indizien gibt es bis in die Gegenwart nicht über diesen Fall. Er ist bis heute ungeklärt. Ich habe vorher jedenfalls noch nie etwas darüber gehört oder gelesen.

                Zu sehen gibt es "Dead Mountain-Djatlow-Pass" zur Zeit auf Magenta TV und Apple TV.

                Prädikat: sehenswert, ziemlich rätselhaft, mit oft recht heftig derben, blutigen Szenen und mit hervorragenden und sympathisch wirkenden Darstellern, die hier natürlich nicht so sehr bekannt sein dürften.

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                • 7
                  über Cuckoo

                  https://www.youtube.com/watch?v=owrlBlHpY0U
                  Bin bei Horrorfilmen immer sehr kritisch, aber der Trailer zu "Cuckoo" hat mich ziemlich angesprochen.
                  Außerdem spielt Dan Stevens mit, den mag ich.

                  Vorgemerkt.

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                  • 8 .5
                    Miss_Jupiter 04.05.2024, 11:58 Geändert 04.05.2024, 14:02

                    Die junge Cheryl Strayed (großartig: Reese Witherspoon) verliert nach dem frühen Krebstod ihrer Mutter (Laura Dern) jeglichen Halt. Sie schläft wahllos mit Männern, obwohl sie mit Paul (Thomas Sadoski) einen liebe- und verständnisvollen Ehemann gefunden hat und von dem sie sich schließlich scheiden lässt. Außerdem nimmt sie harte Drogen (Heroin), handelt rein intuitiv und egoistisch und hat zum Leben keinen positiven Bezug mehr.
                    Um das alles zu verarbeiten und hinter sich zu lassen, beschließt Cheryl, den Pacific Crest Trail mit seinen 1.600 km zu erkunden. Mit einem riesigen, schweren Rucksack ausgestattet, macht sie sich zu Fuß auf die beschwerliche Reise, die mit brütender Hitze, aber auch Kälte und Schnee eine große Herausforderung für sie darstellt. Auf ihrem Trip begegnet sie oft hilfsbereiten Menschen, die bereit sind, sie mit dem Auto eine Strecke mitzunehmen oder ihr mit anderen, lebenswichtigen Dingen aushelfen.
                    Je länger die Reise dauert und je mehr sie auf sich allein gestellt ist, desto mehr wird ihr ihre Motivation und ihre große Trauer bewußt und sie erkennt die Fehler, die sie begangen und die Verletzungen, die sie geliebten Menschen zugefügt hat, aber gleichzeitig realisiert sie auch die Verletzungen, die ihr selbst widerfahren sind...

                    Fazit: "Wild" (2014) von Jean-Marc Vallée basiert auf dem autobiographischen Buch der Cheryl Strayed, das Drehbuch stammt von Nick Hornby. Witherspoon spielt sehr authentisch, die harte und stellenweise dreckige Atmosphäre des Streifens tun der Inszenierung sehr gut und man nimmt der Protagonistin die mühevolle, lange und anstrengende Reise zu jeder Sekunde ab. Die innerliche Zerrissenheit wird durch Strayed's Stimme aus dem Off begleitet und der wunderschöne Soundtrack und die tollen Natur- und Landschaftsaufnahmen nehmen gefangen. Witherspoon spielt die Cheryl mit Ecken und Kanten, menschlichen Schwächen und Unsicherheiten und vollkommen natürlich und unverbraucht. Sie ist nicht unbedingt der Sympathieträger schlechthin, aber je länger man ihrem Marsch beiwohnt, desto mehr schließt man sie ins Herz.

                    Leider kommt "Wild" qualitativ nicht ganz an Sean Penn's "Into the Wild" heran, aber dennoch gewährt dieser atmosphärisch dichte und sehenswerte Film einen erschütternden, sehr bewegenden und sehnsuchtsvollen Blick auf Menschlichkeit, Opferbereitschaft, Hingabe und Vergebung und darauf, wie immens wichtig es ist, einmal seinen Sorgen, Ängsten und Nöten für eine gewisse Zeit zu entfliehen.

                    Er ist vor allem ein Blick ins Innere, eine schmerzliche Selbstreflektion und eine lange, entbehrungsvolle Reise in die eigene verletzliche Seele, deren selbstgewählte Einsamkeit und die unglaubliche Weite der Landschaften eine begleitende und große Hilfe bedeuten.

                    In weiteren Rollen: Michiel Huisman und Gaby Hoffmann.

                    Prädikat: Ausgezeichnet.

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                    • 9
                      Miss_Jupiter 02.05.2024, 13:40 Geändert 02.05.2024, 16:51

                      Der angehende Comedian Donny (Richard Gadd) jobbt nebenbei in einer Bar, weil die lukrativen Aufträge vorerst ausbleiben. Eines Tages schneit die übergewichtige Martha (Jessica Gunning) herein und kommt mit ihm ins Gespräch. Sie erzählt ihm, dass sie Anwältin sei, hat aber kein Geld dabei. Der gutmütige Donny gibt ihr daraufhin ein Getränk aus. Was am Anfang äußerst humorvoll und witzig herüberkommt, entwickelt sich im Laufe der Zeit zum Verhängnis für ihn, da Martha ihn von diesem Zeitpunkt an stalkt. Sie schickt ihm tausende von Emails mit einer merkwürdigen Rechtschreibung, deren Inhalt immer bedrohlicher und verstörender wird. Er versucht, ihr aus dem Wege zu gehen, aber Martha findet ihn, wo immer er sich auch aufhält und lauert ihm regelrecht auf. Sie crasht so ganz nebenbei auch seine Auftritte, die von schallendem Gelächter ihrerseits bis hin zu unflätigen Bemerkungen reichen. Da sie eines Tages auch seine Freundin Teri (Nava Mau) und seine Eltern bedroht, sieht er sich gezwungen, die Polizei einzuschalten...

                      Richard Gadd verfilmte sein Theaterstück "Baby Reindeer" (so nannte ihn Martha) und führte auch Regie bei der 7-teiligen, sehr anspruchsvollen britischen Miniserie. Er verfilmte damit seine höchsteigene Geschichte, denn ihm widerfuhr genau das gleiche in den Jahren 2015 bis 2017.

                      Zwei fast schon verlorene Seelen, die sich allmählich selbst zerfleischen, an vergangenen Traumata leiden und deren Gefühlslage von Euphorie bis Depression alle Paletten zu bieten hat, gehen eine unheilvolle Symbiose bzw. seltsame Beziehung ein, bei der man nicht immer weiß, wer denn nun hier genau das Opfer ist. Eigentlich sind beide Opfer einer deprimierenden und erschütternden Vergangenheit, tragen einen Haufen Konflikte mit sich herum und ihre Probleme wachsen ihnen über den Kopf. Dies alles bricht nun in der Gegenwart hervor und verfestigt sich. In den weiteren Folgen wird eine Gewalt gezeigt, die nicht nur in körperlicher, sondern vor allem in psychischer Hinsicht vonstatten geht. Die körperliche Gewalt kommt aus heiterem Himmel und ist ein erschreckendes Ergebnis gegenseitiger falscher Annahmen, Hoffnungen, Lügen und Missverständnissen, die sich allesamt verselbständigen.
                      Bei den immer seltener werdenden lustigen Momenten bleibt das Lachen buchstäblich im Halse stecken und der Selbstbetrug -bei beiden- wird auf brutalste Weise offensichtlich. Die unterdrückten Traumata von Donny verhindern ein normales Leben und ein ebensolches normales Sozialverhalten, wobei die manische Martha das Tüpfelchen auf dem i ist. Einen unerschütterlichen Optimismus vermisst man in der Serie, die irgendwann nur noch bitter, traurig und erschütternd erscheint.
                      Für Folge 4 gibt es vorher eine Warnung, die auch berechtigt ist. Die Protagonisten können nicht mit- und -was am schockierendsten ist- auch nicht ohne den anderen, wobei der Zuschauer/die Zuschauerin die eigene Verständnisskala hinterfragen und herunterschrauben muss. Die Ambivalenz hinter den präzise herausgearbeiteten Figuren ist hier sehr prägnant und macht fassungslos. Ob die beiden überhaupt lieben können, wird in der Serie mehrmals nur angeschnitten und bleibt deswegen somit offen.

                      Gadd arbeitete in "Baby Reindeer" mit intelligenten Stilmitteln, wie z.B. Perspektiv- und Farbwechseln, die die jeweilige Stimmungslage untermauern und einigen schnellen Cuts. Bei manchen Szenen fühlt man sich an "Trainspotting" erinnert und es gibt Fremdschämmomente vom Feinsten. Ein wunderbarer Soundtrack begleitet die beiden fantastischen und schmerzhaft intensiv spielenden Hauptdarsteller durch ihre "Tour de Force", und vor allem Donny's Leiden wird durch seine Stimme aus dem Off mehr transparent, als einem lieb ist.
                      Man fragt sich, ob beide so dermaßen einsam und innerlich verkrüppelt sind, dass sie sich genau aus diesen Gründen "gefunden haben", jedoch keinen gesunden Abstand voneinander halten können. Eine eindeutig sexuelle Motivation von Martha ist nicht klar belegbar. Eine gewisse Art der ultimativen, bizarren Abhängigkeit von Donny lässt eher auf ein krankhaftes, abnormales Verhalten schließen. Sie schießt natürlich irgendwann über das Ziel hinaus, für sie gibt es keinen Weg mehr zurück und die Konfrontation mit ihr führt Donny ins Verderben.

                      Prädikat: Herausragende, außergewöhnliche, sehr böse und wirklich einzigartig tragikomische Dramaserie, die oft absurd anmutet und sehr nachdenklich macht. In "Baby Reindeer" werden sogar die (a)sozialen Medien fast unbewusst und beiläufig angeprangert und kritisiert.

                      Habe "Baby Reindeer" am Stück geschaut und sie ließ mich gleichzeitig traurig und hoffnungsvoll, aber auch restlos begeistert zurück.

                      Unbedingt empfehlenswert und wegen der morbiden Atmosphäre, der verqueren, irren Absurdität, sexueller Gewalt und des verstörenden Inhalts mit FSK 18 versehen!

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                      • 9

                        Thelma und Louise sind beste Freundinnen. Die beiden sehr unterschiedlichen Frauen haben jeweils mit ihren eigenen "Dämonen" und Problemen zu kämpfen. Die gescheite und rationale Kellnerin Louise (Susan Sarandon) hat Geldprobleme und die etwas schwerfällige und naive Thelma (Geena Davis) einen despotischen Ehemann (Christopher McDonald), der sie zum Hausfrauendasein am heimischen Herd verdonnert und auch sonst wenig empathiefähig ist.
                        Um ihren Sorgen und Nöten zu entfliehen, begeben sie sich auf einen Roadtrip, um wenigstens für einige Zeit diejenige Freiheit genießen zu können, auf die sie sehr lange verzichten mussten. Jedoch entpuppt sich der Roadtrip nicht als das, was sie sich eigentlich erhofft und erträumt hatten. Nach einem Stop in einer Bar wird Thelma von einem Mann belästigt, der sie schließlich versucht zu vergewaltigen. Ihre Freundin Louise kommt ihr zu Hilfe und erschießt ihn.
                        Von nun an sind die beiden Frauen auf der Flucht, nicht nur vor ihrem Alltag, sondern jetzt auch noch vor der Polizei, der sie jedoch immer einen Schritt voraus zu sein scheinen. Diese Flucht verändert Thelma und Louise für immer, sie sind jetzt nicht mehr die verletzlichen und schwachen Frauen, die sich alles gefallen lassen. Ab diesem Zeitpunkt wehren sie sich und besonders Thelma verwandelt sich vom naiven "Dummchen" in eine toughe und smarte Frau, die einmal mehr beweist, dass nun sie diejenige ist, die die Zügel in die Hand nimmt und die der besten Freundin hilft und zur Seite steht...

                        Fazit: Ridley Scott's "Thelma & Louise" ist emanzipatorisches Drama, Krimi und Thriller in einem und ist mit seinen zwei herausragenden Hauptdarstellerinnen ein überaus eindringlicher, oft humorvoller aber gleichzeitig auch sehr bitterer Streifen über das Ausbrechen zweier sehr sympathischer Frauen aus ihrem äußeren, aber auch inneren Gefängnis, das nicht nur durch sie selbst erschaffen wurde, sondern aufgrund fundamentalistischer patriarchaler Strukturen entstand, das den beiden keinerlei Chance auf Genesung, persönlicher Entfaltung und Befreiung zugesteht. Die großartige Inszenierung, die spannende Atmosphäre, der schöne Soundtrack (u.a. 'The Ballad of Lucy Jordan' von Marianne Faithfull) und die wunderbaren Landschaftsaufnahmen, die an sich schon einen eindringlichen Ausdruck von Freiheit symbolisieren, machen "Thelma & Louise" zu einem der besten und anspruchsvollsten Filme bzw. Roadmovies, der auch heute nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat.

                        In sehr guten Nebenrollen agieren Harvey Keitel, Michael Madsen und der blutjunge Brad Pitt.
                        Absolut sehenswert und in meinen Augen zu keiner Zeit gewaltverherrlichend, wie es ihm damals so oft vorgeworfen wurde.

                        Prädikat: Herausragend!

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                          Miss_Jupiter 29.04.2024, 17:30 Geändert 29.04.2024, 17:35

                          Der sogenannte Yorkshire Ripper (mit Verweis auf "Jack, the Ripper") ermordete zwischen 1975 und 1980 nachweislich 13 Frauen in England, einige andere überlebten ihn schwer verletzt und für ihr weiteres Leben traumatisiert. Viele rutschten danach ins Elend und in die Arbeitslosigkeit ab, weil man ihnen keinerlei Hilfe anbot. Es gab noch nicht einmal eine Opferentschädigung.
                          Die Taten des Rippers fanden in Leeds, Manchester, West und South Yorkshire, Durham und Lancashire statt.

                          Die Serie "The Long Shadow" befasst sich mit diesen unfassbaren und brutalen Verbrechen und legt den Fokus vermehrt auf die Opfer, was ich äußerst positiv fand.

                          Da der Serien-Killer vornehmlich Prostituierte ermordete, aber auch "normale" Frauen unter seinen Opfern waren, mussten ganz besonders die Überlebenden um ihren Ruf fürchten. Die Wut packte mich bei der Sichtung, da diese Frauen, manchmal auch ganz junge Mädchen im Alter von 16 Jahren, von der Polizei ohne Empathie befragt wurden. Die Beamten nahmen keinerlei Rücksicht auf deren Gefühle und Befindlichkeiten, ganz im Gegenteil, sie schoben den Opfern die Schuld zu, indem sie ihnen ihren "lockeren" Lebensstil (wie z.B. "ganz schrecklich": abends alleine ausgehen, Alkohol trinken und sich mit Männern unterhalten) vor. Diese Frauen warfen sie mit den Prostituierten, die halt ihrer Arbeit nachgingen, in einen Topf und machten keinerlei Unterschied. Sie machten auch keinen Hehl aus ihrer Verachtung diesen Frauen gegenüber. Sogar im Krankenhaus am Krankenbett der Opfer benahmen sie sich unter aller Sau.
                          Überhaupt war diese Zeit (die 70er) nicht unbedingt immer eine Aufbruchtstimmung und ein Erblühen der Emanzipation in England, sondern in den ländlicheren Gebieten wurden Frauen weiterhin unterdrückt und ihre Rechte mussten sie sich hart erkämpfen. Ebenso die Polizeiarbeit war eine Männerdomäne, die weiblichen Polizisten wurde dazu degradiert, Berichte zu tippen, zu telefonieren, den Herren Kaffee und Tee zu bringen und zu gehorchen.

                          Eine Szene blieb mir unangenehm in Erinnerung: eine junge Polizistin wurde dazu auserkoren, den Lockvogel für den Killer zu spielen. Sie musste sich dafür aufreizend anziehen, sich schminken, was sie ansonsten nie tat und sich im Dunkeln positionieren, um Prostituierte "zu spielen". Als sie aus dem Auto der Kollegen stieg (nur mit einem Funkgerät "bewaffnet"), meinte der eine Polizist zu seinem Kollegen auf dem Beifahrersitz: "Sie sieht richtig gut aus." Dabei grinste er süffisant. Mehr muss ich zu dem Frauenbild von damals und wie die weibliche Bevölkerung bei den Männern ankam, wohl nicht mehr hinzufügen.

                          Was noch ganz besonders heraussticht, ist das genaue Abbild der 70er mit Klamotten, Autos, Frisuren und der Musik. Das gesamte Setting ist hier grandios und man fühlt sich mit Leichtigkeit in diese Zeit zurückversetzt. Die Prostituierten werden hier einfühlsam vorgestellt und eingeführt, eine von ihnen hat einen kleinen Sohn. Was auch immer sie zu diesem "Job" getrieben hat, es ist für sie nicht leicht oder nahezu unmöglich, wieder daraus zu entkommen. Damals gab es in den britischen Vorstädten recht viel Armut und Arbeitslosigkeit, die Inflation und die Preise waren exorbitant hoch. Naja, ist heute oft genauso und die sehr schwierige Situation vieler Familien ist nachvollziehbar. Deswegen ging Emily Jackson (Katherine Kelly), ein weiteres Opfer und ganz normale Ehefrau und Mutter von drei Kindern, aus Geldnot anschaffen. Dies ist so deprimierend und düster dargestellt, dass man unglaubliches Mitleid mit ihr empfindet.

                          Die Serie ist sehr sozialkritisch und bitter, oft kalt und erbarmungslos, beschönigt überhaupt nichts und zeigt die Prostitution in realen Bildern. Der Täter indes bleibt lange unentdeckt. Jahre vergehen, die Opferzahl steigt und die Polizei kommt -bis auf Ausnahmen, die aber letzten Endes wieder nicht zum Täter führen- nicht weiter. Die Frustration bei ihnen und auch in der Bevölkerung, hier vor allem bei den Angehörigen der Opfer, steigert sich ins Unermessliche und zermürbt diese nach und nach.
                          Die sehr guten Darsteller in "The Long Shadow" sind nicht immer Sympathieträger, vor allem einige Polizeibeamte geben keine besonders gute Figur ab, aber ihr Spiel ist dennoch erstklassig.

                          Der großartige Charakterdarsteller Toby Jones ("Frost/Nixon", "The Mist", "Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1" als Dobby, "Captain America: The First Avenger, "The Hunger Games", "Infinite", "Tinker Tailor Soldier Spy", "My Week with Marilyn", "Orlando") als DCS Dennis Hoban hat mir besonders gut gefallen. Er bleibt besonnen und hartnäckig gegenüber seinen zweifelnden Kollegen und versucht mit allen Mitteln, den Mörder zu fassen. Auch als er "aufs Abstellgleis" geschoben wird und andere das Sagen haben, mischt er noch bis zu seinem Tod weiter im Hintergrund mit. Die Ergreifung des Rippers erlebt er somit leider nicht mehr.

                          Man hat für die True-Crime-Serie die echten Namen der Opfer verwendet, was man in solchen realen Fällen nicht immer tut.

                          In einer weiteren guten Rolle ist David Morrissey ("The Walking Dead", "The Missing", "Captain Corelli’s Mandolin", "Drowning by Numbers", "Waterland", "Nowhere Boy", "Doctor Who") als ambivalenter ACC George Oldfield zu sehen.

                          Prädikat: Ausgezeichnete, sehr anspruchsvolle und bis ins kleinste Detail wahrheitsgetreue britische Serie mit einer genialen, aber nicht immer angenehmen Atmosphäre!

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                            Miss_Jupiter 28.04.2024, 11:53 Geändert 28.04.2024, 12:49

                            Ein namenloses Ehepaar (Willem Dafoe, Charlotte Gainsbourg) liebt sich leidenschaftlich im Bad in der Dusche. Während sie abgelenkt sind, steigt ihr kleiner Sohn aufs Fensterbrett und stürzt in den Tod.
                            Mit der Trauer gehen beide auf verschiedene Weise um. Sie ist am Boden zerstört. Ihr Mann, ein Therapeut, versucht ihr zu helfen. In einer abgelegenen Hütte im Wald soll sie die Trauer bestmöglich verarbeiten. Dieses Unterfangen gerät zusehends außer Kontrolle. In einer Spirale aus Sex und gegenseitiger Gewalt manövriert sich die "Therapie" hinein in einen schrecklichen Akt aus Morbidität und furchtbaren Visionen, in denen die Tiere des Waldes eine große Rolle spielen...

                            Lars von Trier's kontroverser, außergewöhnlicher und schockierender Psychothriller "Antichrist" von 2009 ist ziemlich verstörend und besteht zu großen Teilen aus Metaphern, die für Schuld, Sühne, Religion und einer derb dargebotenen Version einer persönlichen Hölle stehen. Die nicht ausgesprochenen Vorwürfe, die sich das Paar gegenseitig still vorhält, aber nicht in der Lage ist, dies zu kommunizieren, wird zu einer Belastungsprobe, die in dem düsteren Plot in einer Katastrophe endet.
                            Die oft derben blutigen Szenen stehen im Gegensatz zur früheren Beziehung des Paares, das anscheinend einmal eine vertrauensvolle und gute war. Die nicht schön anzuschauenden Sexszenen entbehren jeder erotischen Grundlage und sind ebenso verstörend wie der ganze Film. Der Wald sieht dabei zu, wie sich Sie und Er in unaussprechlich schmerz- und qualvoller Art und Weise gegenseitig zerstören. Er ist ein erbarmungsloser Zeuge dieser Ereignisse. Viele Dialoge gibt es in diesem Streifen nicht. Die unausgesprochenen Wörter mag sich der geneigte Zuschauer/die Zuschauerin selbst zurechtlegen.

                            "Antichrist" ist ein immens unangenehmer Film voller Symbolik, der sämtliche positiven Gefühle im Keime zu ersticken vermag. Die trostlose Atmosphäre wirkt deprimierend und eine Gesundung der Frau liegt in nicht erreichbarer Ferne.

                            Dafoe und Gainsbourg spielen brilliant und kehren hier ihr Innen- und Seelenleben auf sehr bittere Weise nach außen. Trauer verwandelt sich in Chaos, das keinen Anfang und kein Ende zu haben scheint. Die Düsternis wird manchmal wohltuend durch die Schönheit dieses unwirklichen Waldes unterbrochen. Ansonsten gibt es in diesem Streifen absolut nichts Schönes. Auch der Plot ist unwirklich, absurd, höchst surreal, mysteriös und bedrohlich und verabschiedet sich irgendwann von der Realität. Manchmal hat man das Gefühl, die beiden seien die einzigen Menschen in dieser seltsamen Welt, die in einem fremden, fernen Universum zu Hause zu sein scheint. Losgelöst von der Wirklichkeit und einem normalen Leben driftet die Handlung davon und verwandelt sich in Wahnsinn.

                            Viele können mit von Trier's Streifen überhaupt nichts anfangen und empfinden viel Abscheu, ich hingegen finde ihn genial. Er ist einzigartig, zwar schwierig, anzusehen, aber dennoch sehr aussagekräftig, wenn man sich auf ihn einlässt. Man entdeckt in ihm so viel.

                            Die Dreharbeiten in dem Wald fanden damals im Rhein-Sieg-Kreis, in den Wäldern um Eitorf im Siegtal statt. Dort in der Nähe habe ich mal gewohnt. Andere Drehorte waren Köln und Wuppertal.

                            Die Sexszenen zwischen Dafoe und Gainsbourg wurden übrigens von professionellen Pornodarstellern übernommen.

                            Prädikat: Kein einfacher, sondern ein unbequemer, trauriger, gewalttätiger und dennoch ausgezeichneter Film ohne Aussicht auf Hoffnung mit einigen Horroranleihen!

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                              Miss_Jupiter 27.04.2024, 11:45 Geändert 27.04.2024, 12:09

                              Die 2. Staffel "The Terror" wirft uns zurück in die Jahre 1940-1945 während des 2. Weltkriegs in den USA. Der Angriff der Japaner auf Pearl Harbor lässt das einigermaßen gute Verhältnis der US-Bürger zu den immigrierten Japanern Risse bekommen.

                              Viele Nachkommen der Eingewanderten wurden in den USA geboren, so wie Chester Nakayama (brilliant: Derek Mio), ein Fotograf. Sein Leben wird wegen eines Geistes bzw. Dämons aus der Vergangenheit der Familie durcheinandergeworfen. Er, seine schwangere mexikanische Freundin Luz (Cristina Rodlo), seine Angehörigen und viele andere Japan-Amerikaner werden nach dem Angriff in Internierungslager verfrachtet, man will sie vorerst nicht mehr in der amerikanischen Gesellschaft haben. Luz gilt als japanische "Hure" und wird ausgegrenzt. Das Leben in den Lagern ist alles andere als einfach und auch die mysteriöse Präsenz, die ihnen auf Schritt und Tritt folgt, macht alles nur noch schlimmer...

                              Fazit: "The Terror" (Season 2) ist so ganz anders als die 1. Staffel und besticht durch ein außergewöhnlich präzises Zeitbild und Setting der frühen 40er Jahre, das durch den Krieg geprägt ist. Die japanische Kultur, ihr Geisterglauben und die Mythologie spielen in dieser Staffel eine wesentliche Rolle. Man bekommt sehr viel mit über die Lebensweise der Menschen, die zwischen zwei Kulturen hin- und hergerissen sind. Einerseits fühlen sie sich als US-Amerikaner mit einem gesunden Patriotismus für "ihr" Land, übernehmen sämtliche Eigenschaften wie z.B. die große Liebe zum Baseball, aber auf der anderen Seite halten sie an ihren Überlieferungen, ihrer Religion und den alten Bräuchen ihres Heimatlandes fest, was viele Einheimische irritiert. Die schwierige Situation -auch in den Lagern- ist hier hervorragend herausgearbeitet, die innere Zerrissenheit umso mehr. Die großartigen Darsteller übermitteln eine ambivalente Gefühlslage, auch der Bombenabwurf auf Hiroshima am 6. August 1945 wird hier thematisiert. Das Trauma der Japaner wird in Visionen und Träumen auf den Bildschirm geworfen, die sich parallel mit den schrecklichen Ereignissen vermischen, die der böse Geist bei ihnen hinterlässt. Der ganze Plot ist teils aufregend und teils sehr ruhig inszeniert und konzentriert sich vor allen Dingen auf die komplizierten Beziehungen der Protagonisten unter- und zueinander, die in der für sie sehr gefährlichen Lage gefangen sind und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Es wird hier ebenfalls sehr deutlich, dass beide Seiten, sowohl die USA als auch Japan, schuldig sind, ohne mit erhobenem Finger auf den jeweils anderen zu zeigen.

                              "The Terror", Season 2 ist ein genaues Zeitdokument, das halbwegs realistische und authentische Züge aufweist und bei genauerer Betrachtung sehr wahr ist. In einer Nebenrolle ist George Takei, Sulu aus "Star Trek" zu sehen, der ebenfalls im wahren Leben in ein Internierungslager gesteckt wurde. Insofern ist die Serie eine Mischung aus Wahrheit und Fiktion mit einer beängstigenden und düsteren Atmosphäre, die sehr nachdenklich und traurig stimmt. Das unheimliche Wesen hat hier schon fast eine zweitrangige Bedeutung, denn die Serie übermittelt eine ausgeprägte und auch ausgefeilte genaue Darstellung und Analyse japanischer Lebensart. Es wird sehr viel japanisch in der Staffel gesprochen mit Untertiteln versehen, aber ich finde es nicht störend, ganz im Gegenteil werden durch die japanische Sprache sehr viel mehr Ausdrucksfähigkeit und Gefühle herübergebracht.

                              Ein ausgesucht guter Score und eine feine, manchmal wunderschöne Bildsprache runden das positive Gesamtbild dieser Staffel vollkommen ab. Ganz nebenbei "durchlebt" man sogar ein paar "It Follows"-Momente. Produziert wurde die 2. Staffel wieder von Ridley Scott.
                              In einer weiteren Nebenrolle: C. Thomas Howell ("Soul Man", "The Outsiders", "Gettysburg", "Hidalgo", "The Amazing Spider-Man", "E.T.").

                              Prädikat: Ausgezeichnet, anspruchsvoll und sehr empfehlenswert!

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                                Der New Yorker Edelsteinhändler Howard Ratner (genial: Adam Sandler) hat hohe Wettschulden, die ihn und seine Familie entzweit haben. Er pendelt zwischen Geliebter (Julia Fox), Ehefrau und Kindern, Inkassoeintreibern und den Leuten, denen er eine Menge Geld schuldet, hin und her. Sein Leben ist ein einziges Desaster, seine Naivität steht ihm im Wege und die Schwierigkeiten, in denen er steckt, sind immens. Er betreibt nicht gerade einen Verdrängungsmechanismus, ist sich seiner Situation also sehr wohl bewußt, versucht aber immer wieder, das "Beste" für sich herauszuziehen, was aber meistens nicht mit Erfolg gekrönt ist. Als er eines Tages in den Besitz eines wertvollen, ungeschnittenen Opals aus Äthiopien gelangt, beginnen seine Probleme -langsam, aber stetig- sich zu vermehren und ihm über den Kopf zu wachsen...

                                Fazit: Adam Sandler in einer eher ungewohnten Rolle zu sehen, ist ein Erlebnis für sich. Er spielt den verzweifelten Ratner genial und versteht es, jede noch so kleine Gefühlsnuance in Sprache, Mimik und Gestik zu legen. Er sollte öfters in solchen anspruchsvollen Rollen zu sehen sein und ist meiner Meinung nach ein über die Maßen unterschätzter Schauspieler.
                                Joshua und Benny Safdie's "Uncut Gems" ist weniger eine Komödie, sondern ein bittersüßes, trauriges und hoffnungsloses Drama über einen Menschen, der im Grunde genommen nur positives in seinem Leben erreichen und schaffen will, nicht nur für sich, sondern auch für andere, der dabei aber kolossal scheitert und sich selbst noch nahezu hilflos dabei zusieht.

                                Der Streifen ist oft stressig und hektisch inszeniert, jedoch passen die atemlosen, beinahe nervösen Szenen hervorragend zu der Handlung. In (sehr guten) Nebenrollen sind Eric Bogosian und der ehemalige NBA-Star Kevin Garnett (as himfself) zu sehen.
                                Wirklich sehenswerter Film mit einer eigenwilligen Atmosphäre und einem überragenden Sandler, der den Film zu 100 Prozent trägt und dem man seine authentische Darstellung ebenfalls hundertprozentig abnimmt.

                                *Kleiner Spoiler*: Das Ende des Films ist in seiner Konsequenz schonungslos und ein Schlag ins Gesicht.

                                In weiteren Nebenrollen: u.a. Judd Hirsch ("Independence Day"), Julia Fox, John Amos, Natasha Lyonne ("Matrjoschka", "Honey Boy"), Lakeith Stanfield ("Knives Out", "Get Out", "Straight Outta Compton", "Selma", "The Purge: Anarchy") und The Weeknd.

                                Prädikat: Herausragend!

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                                  Miss_Jupiter 23.04.2024, 11:07 Geändert 23.04.2024, 11:10
                                  über Sieben

                                  In David Fincher's genialem Psycho-Thriller "Se7en" ermordet ein Serienkiller seine Opfer nach dem Prinzip der 7 Todsünden: Hochmut, Neid, Zorn, Trägheit, Habgier, Völlerei und Wollust. Er lässt dabei am Tatort stets einen mehr oder weniger sichtbaren Hinweis zurück, den die beiden Detectives Somerset (Morgan Freeman), der kurz vor seiner Pensionierung steht und Mills (Brad Pitt) versuchen, zu entschlüsseln und den Mörder zu finden, der den beiden immer eine Spur voraus zu sein scheint und überdies mit einer hohen Intelligenz ausgestattet ist.

                                  Der Film hat von Beginn an eine sehr verstörende, bedrohliche und düstere Atmosphäre, es regnet die meiste Zeit, die Tatorte sind oft sehr dunkel und tragen zum allgemeinen Unwohlsein bei. In dieser Stadt, in der sich das ganze abspielt, möchte man nicht gerne leben. Auch die Frau von Mills (Gwyneth Paltrow) fühlt sich nicht besonders wohl dort und die gemeinsame Wohnung des Paares vibriert, sobald ein Zug in der Nähe vorbeidonnert.
                                  Alles in "Se7en" wirkt farblos, trist, humor- und auch hoffnungslos, es gibt nichts schönes und erhellendes in diesem Streifen und das Verhältnis zwischen den beiden Cops ist ziemlich angespannt, weil Mills ein ziemlicher Heißsporn und Somerset das genaue Gegenteil ist, nämlich ruhig, besonnen und überlegt. Trotzdem wirken alle Protagonisten desillusioniert und orientierungslos. Nicht nur der perfide Killer bereitet ihnen Sorgen, sondern auch ihre ganz eigenen privaten Lebensumstände. Während Mills sich bei der Jagd auf den Serienmörder aufreibt, freundet sich seine Frau mit seinem Kollegen Somerset an, denn die Einsamkeit in der Großstadt ist auf Dauer sehr lebensfeindlich.

                                  Minispoiler: Ganz am Ende überrascht John Doe (Kevin Spacey) die beiden Polizisten mit einem ganz besonderen "Geschenk"...

                                  "Se7en" ist von vorne bis hinten unglaublich spannend und clever inszeniert. Der morbide Grundton zieht sich durch die gesamte Länge des Streifens und lässt den Zuschauer leicht frösteln. Pitt und Freeman sind außerordentlich gut in ihren Rollen und Spacey ist brillant. Außerdem überzeugt "Se7en" nicht nur als intensiver, eindringlicher und genialer Thriller, sondern erweist sich nebenbei noch als gelungene, sehr kluge und anspruchsvolle Charakter- und Sozialstudie über vier Menschen, die nicht nur auf positive Weise miteinander verbunden sind.
                                  In diesem Film wird noch eines überdeutlich: die Einsamkeit, Anonymität und Verletzlichkeit des Einzelnen in einer von Menschen nur so wimmelnden Umgebung.

                                  "Se7en" ist trotz seiner Härte auch ein sehr deprimierender und trauriger Film und das furchtbare Ende zieht mich jedesmal wieder runter.

                                  Fact am Rande: Pitt brach sich während des Drehs den Arm und spielte danach einfach unbeirrt mit Gips weiter!

                                  Fazit: "Se7en" Kann man immer wieder ohne Gewissensbisse anschauen!

                                  Prädikat: ein zu recht herausragendes, zeitloses Meisterwerk!

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                                    Miss_Jupiter 22.04.2024, 11:04 Geändert 22.04.2024, 11:21

                                    Wir schreiben das Jahr 1945. Grace (Nicole Kidman) lebt mit ihren beiden Kindern Anne (Alakina Mann) und Nicholas (James Bentley) in einem riesigen abgelegenen Landhaus auf Jersey. Im Haus wohnen noch die drei Angestellten Mrs Mills (Fionnula Flanagan), Mr. Tuttle (Eric Sykes) und die stumme Lydia (Elaine Cassidy). Grace's Ehemann Charles (Christopher Eccleston, "Elizabeth", "eXistenZ", "28 Days Later", "Thor: The Dark World", "True Detective", "Legend") befindet sich im Krieg.
                                    Das düstere Anwesen wird tagsüber noch düsterer, da die beiden Kinder an einer Lichtallergie leiden und deswegen die Vorhänge an allen Fenstern geschlossen bleiben müssen. Das trost- und ereignislose Leben wird durch unheimliche Vorkommnisse im Haus unterbrochen. Grace und ihre beiden Kinder hören merkwürdige Geräusche, Türen bewegen sich wie von selbst und auf dem Klavier im Wohnzimmer spielt jemand. Öffnet man plötzlich die Tür, ist niemand da. Die verängstigte Grace versucht, den Vorkommnissen auf den Grund zu gehen. Ihre Kinder behaupten, Menschen zu sehen, die Grace jedoch nicht sieht. Die drei seltsamen Hausangestellten sind ihr ebenfalls keine große Hilfe. Je länger die Dinge andauern, desto schlimmer werden sie. Als Grace's Mann heimkehrt, glaubt diese, dass sich alles bessern wird. Aber dem ist leider nicht so...

                                    Das Psycho- und Mysterydrama "The Others" (2001) von Alejandro Amenábar, der auch das Drehbuch dazu schrieb, ist genau wie sein Plot ein recht düsterer und humorloser Streifen. Die Welt draußen ist meistens nebelverhangen und die mysteriösen Vorgänge im Haus lassen dessen Bewohner nicht zur Ruhe kommen.
                                    Ruhig inszeniert und mit einer exakten Figurenzeichnung versehen, sorgt "The Others" für eine unangenehme und auch traurige Atmosphäre mit Gänsehautpotenzial. Da die streng religiöse, unnahbare und kühle Grace nicht weiß, warum diese Dinge geschehen, zermürbt sie die Situation und sie lässt ihre Verzweiflung und Hiflosigkeit in aggressiver Weise ganz besonders ihre kleine Tochter spüren. Diese lässt sich von ihrer Mutter aber nichts sagen und geht auf ihre ganz eigene Art und Weise mit den Gegebenheiten um.
                                    Das Setting des riesigen Hauses, das ganze Drumherum sowie die Kostüme der damaligen Zeit sind hier hervorragend gelungen und kreiert worden und man ist als Zuschauer fast in dieser Epoche eingewoben. Geborgenheit und Sicherheit empfindet man jedenfalls nicht in diesem Haus. Dafür regiert dort eine Eiseskälte in menschlicher Hinsicht, die zu einer immensen inneren Leere führt.

                                    Kidman sowie die übrigen Darsteller spielen allesamt großartig und ihr Anwesen scheint ein böses Eigenleben zu führen, auf das alle keinen Einfluss mehr haben. Der geniale Twist am Ende ist -wenn man alles genau beobachtet und verinnerlicht- schon vorauszusehen, hat aber dennoch eine ganz gewaltige Wirkung bei der Sichtung. Vor allen Dingen dann, wenn man ihn sich das erste Mal anschaut.

                                    Parallelen zum Klassiker "The Innocents" ("Schloss des Schreckens") von 1961 sind hier durchaus vorhanden. Gedreht wurde das Ganze in Spanien (Außenaufnahmen), der Rest (Innen) in Madrid und auf Jersey.

                                    Prädikat: "The Others" ist ein einzigartig klaustrophobisch anmutender und gruseliger Streifen mit einer deprimierenden Grundstimmung, der auch ohne große Effekte und Jumpscares ein ungutes und unangenehmes Gefühl vermittelt sowie langsam ein gefährliches Schreckensszenario heraufbeschwört.

                                    Sehenswert!

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                                      Miss_Jupiter 21.04.2024, 13:58 Geändert 21.04.2024, 14:12

                                      Ich mag ja prinzipiell Experimentalfilme und Arthousefilme jeglicher Couleur, aber "Begotten" (USA, 1989/1990) von E. Elias Merhige ist mir dann doch zu viel des "Guten". Er entzieht sich auch geschickt jeglichem Genre.
                                      Hätte ich nicht vorab ein klein wenig über den "Plot" gelesen, wüsste ich nicht, um was es in diesem Streifen geht. In s/w und Stummfilmstil gedreht, mit einem ohrenbetäubenden und unangenehmen Score (oft Ambient plus Vogelzwitschern) versehen, könnte man sich in einem abartigen, äußerst bizarren Albtraum gefangen fühlen.

                                      Vermutlich beruht die kontroverse Handlung auf einer Nahtoderfahrung des Regisseurs, ist aber auch eine Evolutionsgeschichte der sehr speziellen Art frei nach dem Buch Genesis in der Bibel. Es geht um Gott, (der sich am Anfang des Films als horrorartiges Wesen umbringt), Mutter Erde und ihr merkwürdiges Kind, das sie sich vom gestorbenen Allmächtigen noch *pardon* abgewichst und einverleibt hat.
                                      In zermürbend langen und auch langatmigen Einstellungen sieht man Mutter Erde und ihrem schon ausgewachsenen Baby dabei zu, wie das Duo durch andersartige und merkwürdige Landstriche zieht und von einem seltsamen Nomadenvolk gefangengenommen und gefoltert wird...

                                      Angeblich soll dies alles den avantgardistischen Kreislauf des Lebens darstellen, eingefangen in einem surrealen und sehr bizarren und obskuren Bilderrausch mit einer einzigartigen Atmosphäre, in dem kein einziges Wort gesprochen wird. Man ist sogar dankbar für die grobkörnige Inszenierung, in der man nicht sehr viel erkennen kann, vieles nur erahnen, was aber schon total ausreichend ist, denn Gewalt ist in einer sehr rohen Form vorhanden und der Film ist ziemlich verstörend. Deshalb gibt es hier eine FSK über! 18.
                                      Ich war froh, als der Streifen zu Ende war und wusste erst mal nicht, wie ich den denn nun bewerten soll, denn eigentlich entzieht er sich jeder Einstufung.

                                      Empfehlen kann ich den wirklich nur Menschen, die sich einer solch experimentellen und von der Realität losgelösten, recht ungewöhnlichen Filmerfahrung ausliefern und sich darauf einlassen möchten und die Werke wie Luis Buñuel's "Ein andalusischer Hund" und David Lynch's "Eraserhead" gut finden (was ich ebenfalls tue). Nur ist "Begotten" sehr viel extremer und ohne Dialoge versehen, wie sie in "Eraserhead", den man im Vergleich hierzu schon fast als Unterhaltungsfilm ansehen kann, vorkommen.

                                      "Begotten" ist ein Streifen, den man sich mMn nur einmal ansehen kann. Gibt es auf YouTube zu "bestaunen". Da ich keine Lust auf Albträume habe, werde ich den auf schnellstmöglichem Wege wieder vergessen.

                                      Eine 5.0 bekommt er aber noch von mir, da Merhige sich doch sehr viel Mühe für diesen Streifen gegeben und sich anscheinend etwas dabei gedacht hat. Wenn man den zum Beispiel als Werk eines Filmstudenten betrachten und bewerten sollte, bekäme er wohl von den meisten eine 10.0.

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                                        Miss_Jupiter 21.04.2024, 11:55 Geändert 21.04.2024, 12:24

                                        Pauline (Melanie Lynskey) und Juliet (Kate Winslet) sind vollkommen anders als ihre gleichaltrigen Geschlechtsgenossinnen. Beide lernen sich in der Schule kennen. Juliet ist arrogant und besserwisserisch, aber auch mit einem messerscharfen Verstand und einer hohen Intelligenz ausgestattet. Pauline dagegen ist aufmüpfig, mürrisch, lacht kaum und sieht sich in ihrer prüden, an konservative Konventionen gebundene Familie als Gefangene, der sie baldmöglichst entkommen möchte. Die beiden Mädchen fliehen in ihre grenzenlose Fantasiewelt, bevölkert mit merkwürdigen Fabelwesen, ihre schriftstellerischen Ambitionen und ihre Musik, in der der von ihnen abgöttisch verehrte Opernsänger Mario Lanza eine große Rolle spielt.
                                        Alles könnte perfekt sein, wenn nicht die Eltern der beiden ihre Beziehung, die sehr bald homoerotische Züge annimmt, ablehnen würden. Der Versuch, Juliet und Pauline für immer voneinander zu trennen, treibt die Mädchen zu einer unbegreiflichen und grausamen Tat...

                                        Man entdeckt schon sehr früh bei "Heavenly Creatures" Peter Jackson's Handschrift und sein Talent, fantastische Welten visuell hervorragend in Szene zu setzen, was sich später in seiner "Herr der Ringe-Trilogie" manifestiert.

                                        Der Film hat einige amüsante Momente, aber die Dramatik, die Traurigkeit, die niederschmetternde Atmosphäre und auch der Horror, der in den Köpfen der beiden Mädchen durch permanente Ablehnung und die damalige Prüderie ihrer Umwelt entsteht und sich schließlich in einem Verbrechen entlädt, ist genial inszeniert.
                                        Man leidet mit beiden mit und der Streifen schafft es schließlich, dass man als Zuschauer einen gewissen Hass auf die Eltern, auf jeden Fall aber eine Antipathie gegen diese entwickelt, und man sich deswegen auch nicht unbedingt unwohl fühlt, was schon schockierend genug ist.

                                        "Heavenly Creatures" ist ein psychologisch sehr raffinierter, oft deprimierender und auch sehr ambivalenter Film mit einer wunderschön dargebotenen Erotik und einer brillianten Bildsprache, der seine Protagonistinnen aufgrund äußerer und innerer sehr negativer Umstände zu Mörderinnen werden lässt.

                                        Kate Winslet und Melanie Lynskey spielen großartig, eine gewisse Portion "Overacting" an manchen Stellen ist auf seltsame und rührende Weise faszinierend und passt dazu. Die eiskalte Brutalität, die sich später in beiden entwickelt, hinterlässt Fassungslosigkeit und eine grenzenlose Leere.

                                        "Heavenly Creatures" von 1994 basiert auf wahren Begebenheiten und ist ein richtig guter, anspruchsvoller Coming-of-Age-Film mit vielen Mystery-Komponenten. Er hebt sich auf jeden Fall wohltuend von vielen anderen Streifen dieses Genres ab, obwohl man ihn realistischerweise eigentlich in kein spezielles einordnen kann.

                                        Für Winslet und Lynskey bedeutete dieser Film ihr Schauspiel-Debüt und Peter Jackson kann man zu diesem phänomenalen Werk nur gratulieren.

                                        Prädikat: Herausragend.

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                                        • 7 .5

                                          Die junge Jay (Maika Monroe, "The Bling Ring", "Independence Day: Resurgence", "Greta", "Honey Boy", "The 5th Wave", "Labor Day") schwebt im siebten Himmel. Sie trifft sich mit ihrem neuen Freund Hugh (Jake Weary). Dieser verfolgt aber einen perfiden Plan, überwältigt und fesselt sie und bringt sie an einen verlassenen Ort unter einer Autobahnbrücke. Was er ihr dort eröffnet, klingt unglaublich. Er hätte ihr beim Sex einen Fluch übertragen, von nun an müsse sie sehr vorsichtig sein, denn "es" würde sie so lange verfolgen, bis sie stirbt. Es sei denn, sie fände jemand anderes, dem sie diesen Fluch übertragen könne.
                                          Jay lebt ab diesem Zeitpunkt in großer Angst. Das "Ding" könnte jede/r sein, der/die ihr auf der Straße oder sonstwo begegnet, ob bekannt oder unbekannt. Andere Menschen können diese Wesen bzw. "It" aber nicht sehen. Verzweifelt bittet sie ihre Schwester und ihre Freunde um Hilfe, damit sie den verschwundenen Hugh ausfindig machen können. Sie machen sich auf die Suche nach ihm...

                                          David Robert Mitchell's "It Follows" von 2014 ist ein gemeiner, raffinierter Psycho-Horror-Thriller, der sogar mit seiner betont beunruhigend 'ruhigen' Inszenierung für großes Unwohlsein sorgt.

                                          Der großartigen Kameraführung kommt eine besondere Rolle zu. Sie ist es auch, die eine permanente Furcht erzeugt. Furcht vor harmlos aussehenden Menschen, die plötzlich und unerwartet, oder aber auch aus großer Ferne langsam näherkommend, der Feind sein könnte. Die Kamera schwenkt sehr oft im 360-Grad-Stil ohne Cuts um Jay herum, dann hält sie an einem bestimmten Punkt an und fährt wieder zurück. In diesen Szenen vermutet man als Zuschauer, dass dort jemand auftaucht. Gestalten, die man aus einem Fenster heraus oder im Augenwinkel sieht, kommen immer näher, verschwinden dann aber wieder aus dem Blickwinkel und tauchen unvermittelt wieder auf, wenn die Kamera zurückschwenkt, jetzt natürlich gefährlich nahe. Dieses intelligente Stilmittel verschafft eine immense Gänsehaut. Die permanente Bedrohung, die nicht zu greifen ist, hinterlässt bei Jay schwere, seelische Wunden und ihr Urvertrauen in die Menschen schwindet, aber ihre Freunde glauben ihr und halten unbeirrt zu ihr.
                                          Der schwummerige, hypnotische, bizarre und oft unangenehme Score sorgt für eine weitere bedrohliche Atmosphäre, er fängt leise an und endet in einem lauten Crescendo, das an den Nerven zerrt. Harmlose Geräusche wie das Blätterrauschen eines Baumes oder Vogelzwitschern werden zu einem ohrenbetäubend lauten und gefährlichen Sound, der seltsam anmutet und nicht von dieser Welt zu sein scheint.

                                          Wenn man noch genauer hinschaut, bemerkt man eindeutige Reminiszenzen an andere große Streifen, hier besonders an den Kultfilm "Halloween". Natürlich ist "It Follows" auch ein Coming-of-Age-Film und Roadmovie der speziellen Art und er erhebt ein ganz klein wenig den winzigen moralischen Zeigefinger, der auf die Warnung vor ungeschütztem Geschlechtsverkehr hinweist. Dies aber mit einem Augenzwinkern, das überhaupt nichts mit Humor zu tun hat.
                                          Wer hier Splatter etc. vermutet, liegt vollkommen falsch. Der Horror wächst aus der Angst der Protagonistin und ihrer furchtbaren Last, die sie mit sich trägt. Die unheimliche Handlung und die Furcht vor dem Unbekannten sind hier sehr geschickt miteinander verwoben und übertragen sich vollkommen auf die Zuschauer.
                                          Auch die Darsteller sind klasse, allen voran Monroe, deren Verstand sich langsam, aber sicher von der Realität verabschiedet.

                                          Prädikat: Äußerst "sehens"-wert!

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                                          • 9
                                            Miss_Jupiter 18.04.2024, 11:32 Geändert 19.04.2024, 01:44
                                            über Liebe

                                            Georges und Anne (brilliant: Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva), ein kultiviertes, pensioniertes, an klassischer Musik interessiertes Musikprofessoren-Ehepaar in seinen 80igern, lebt in einer geräumigen Pariser Altbauwohnung ein ruhiges, beschauliches und zufriedenes Leben. Ihre Tochter Eva (Isabelle Huppert) lebt mit ihrer Familie in London und kann sie deshalb nur selten besuchen.
                                            Eines Tages erleidet Anne einen Schlaganfall. Als sie aus dem Krankenhaus zurückkehrt, ist nichts mehr so wie zuvor. Sie kann kaum noch gehen, ist halbseitig gelähmt, benötigt einen Rollstuhl und schläft in einem Pflegebett. Ihr Mann tut alles für sie, was in seiner Macht steht. Da zu der Erkrankung auch noch eine Demenz hinzukommt, verändert sich Anne's Persönlichkeit immer mehr und ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich von Tag zu Tag, so dass sie kaum noch sprechen und sich bewegen kann. Georges pflegt seine geliebte Frau mit Hilfe von Pflegekräften weiterhin zu Hause, ist aber selbst am Rande seiner Belastungsfähigkeit und seiner Kräfte angekommen...

                                            Michael Haneke's Film "Amour" ("Liebe") aus dem Jahr 2012 ist ein kammerspielartiges, trauriges und sehr erschütterndes Drama, das sich ausschließlich in den eigenen vier Wänden des Ehepaares abspielt. Von einer nüchternen Kamera aus betrachtet sieht man Georges dabei zu, wie er sich für seine geliebte Frau aufopfert, wohlwissend, dass sie nicht mehr gesund werden wird. Oft gibt es nur Einstellungen aus der Ferne mit einer feststehenden bewegungslosen Kamera, leise und still beobachtend und dann wieder Gesichter in Close-Ups, deren Verzweiflung und Ohnmacht zu den Zuschauern sprechen. Eine deprimierende und bedrückende Atmosphäre mit wenigen humorvollen Augenblicken begleitet den quälenden Abschied voneinander und die fast schon dokumentarisch anmutende und ruhige Inszenierung wohnt erbarmungslos der Handlung bei.

                                            Was bedeutet eigentlich "Liebe"? Ist sie bedingungslos, zerbrechlich, hält sie für den Übriggebliebenen nur eine trügerische Hoffnung bereit und muss der/diejenige sich selbst aufgeben bzw. (auf)opfern? Diese Frage muss man sich selbst beantworten. Die Liebe der Protagonisten Georges und Anne ist so groß, dass sie den Tod überwindet. In Traumsequenzen erfährt Georges die Krankheit seiner Frau in metaphorischen Visionen. Tagsüber beobachtet er, wie die hilflose Anne von einer Pflegekraft gebadet wird. Diese Szene geht ziemlich unter die Haut und ist schwer, mitanzusehen.

                                            Für Menschen, die selbst nahe Angehörige zu Hause pflegen, ist der Film bestimmt zu hart. Er ist so dermaßen erschreckend, verstörend und nah am realen Leben, dass es schmerzt: Ungeschönt, ehrlich und trotzdem von einer seltsamen Anmut, grenzenloser Menschlichkeit, Zärtlichkeit und Schönheit durchdrungen, die das Herz berührt. Riva und Trintignant spielen außerdem dermaßen überzeugend, dass man sich nicht mehr sicher ist, hier einem Schauspiel beizuwohnen.

                                            Haneke hat sich sehr mit dieser Thematik auseinandergesetzt und ist von persönlichen Ereignissen inspiriert worden. Er schrieb Jean-Louis Trintignant dessen Rolle auf den Leib.

                                            "Amour" erhielt zu recht zahlreiche Auszeichnungen: Oscar, Goldene Palme, Golden Globe etc.

                                            Meinen Vater (der ihn ebenfalls gesehen hat) und mich hat der Film bis zu seinem tragischen Schluss sehr angefasst, erinnerte er mich doch an meine eigene Mutter, die am Ende ebenfalls zu Hause demenzkrank im Pflegebett von meinem Vater bis zu ihrem Tod versorgt wurde. Ich habe den Streifen vor Jahren gesehen, als sie noch lebte, aber nach ihrem Tod fiel es mir nicht leicht, ihn mir nochmals anzuschauen, auch wegen meines Berufs als Pflegekraft. Trotzdem ist es ein überaus wichtiger Film, da er sich mit Dingen beschäftigt, die auch heutzutage leider noch Tabuthemen bedeuten, mit denen sich die meisten nicht auseinandersetzen wollen und können und diese weit von sich schieben. Für diesen Film muss man Haneke überaus dankbar sein.

                                            Prädikat: Herausragendes, hochemotionales Meisterwerk!

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                                            • 8 .5

                                              Die Geschwister Sophie (großartig: Julia Jentsch) und Hans Scholl (Fabian Hinrichs), Studenten an der Münchener Universität und Mitglieder der Widerstandsorganisation "Weiße Rose", verteilen dort im Februar 1943 Flugblätter gegen das Naziregime. Sie werden erwischt und kurz danach verhaftet. Die Gestapo verhört die beiden sowie weitere Widerstandskämpfer, unter ihnen auch ihr gemeinsamer Freund Christoph Probst (Florian Stetter). Sophie nimmt schließlich alle Schuld auf sich, um die anderen zu schützen. Damit unterschreibt sie ihr Todesurteil...

                                              Marc Rothemund's Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage" von 2005 beschreibt Sophies letzte Tage in Gefangenschaft und er beleuchtet vor allem die Verhöre durch den Gestapo-Beamten Robert Mohr (Alexander Held). Basierend auf der wahren Geschichte von Hans und Sophie Scholl orientiert sich das Drehbuch sehr stark an den Verhörprotokollen der Gestapo und ist somit ein sehr eindringliches, überaus wichtiges und starkes Zeitdokument.

                                              Sophie Scholl war eine sehr starke Frau, die für ihre Überzeugungen auch dann einstand, als ihr Leben in Gefahr war und sie mit ihrer baldigen Hinrichtung rechnen musste. Trotz ihrer Angst hielt sie weiterhin an ihren Idealen fest und ließ sich nicht einschüchtern. Das brutale Regime konnte ihr und ihren Freunden zwar das Leben nehmen, sie aber niemals von ihrem unbeirrbaren und unerschütterlichen Weg abbringen, für Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden zu kämpfen.
                                              Die Geschwister Scholl und andere Mitglieder der "Weißen Rose" wurden durch ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus zum Inbegriff für Zivilcourage.

                                              Julia Jentsch als Sophie Scholl liefert ein beeindruckendes aufwühlendes Schauspiel, sie spielt Sophie Scholl nicht, nein, sie lebt sie in dieser Rolle mit einer unwahrscheinlich emotionalen Ausdruckskraft. Auch die anderen Darsteller, wie z.B. André Hennicke, Florian Stetter, Maximilian Brückner, Johanna Gastdorf und Petra Kelling als Sophie's und Hans' Mutter, sind hervorragend und gehen in ihren Rollen auf.

                                              Wenn Sophie ihre Widersacher sogar zum Zweifeln bringt, zeigt dieser Streifen zum einen die Kraft, einfach und intuitiv die Schrecken und tiefste Ungerechtigkeit des NS-Systems zum Vorschein zu bringen, zum anderen lässt er den "Optimismus" keimen, mit dem man als Zuschauer nach der Sichtung entlassen wird. Denn "Sophie Scholl - Die letzten Tage" ist nicht nur ein trauriger Film. Man hat am Ende trotz der niederschmetternden und deprimierenden Atmosphäre ein Gefühl von Stärke, Trotz und großer Hoffnung.

                                              Hans Scholl bemerkte kurz vor der Hinrichtung: "Es war nicht umsonst". Dieser Satz ist so simpel wie er auch wichtig ist, heute umso mehr!

                                              Prädikat: Ausgezeichnet!

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                                              • 7
                                                Miss_Jupiter 16.04.2024, 12:01 Geändert 16.04.2024, 12:58

                                                Angust Flint (Peter Capaldi, "Smilla’s Sense of Snow", "World War Z", "Paddington", "The Suicide Squad", "Inside Wikileaks", "Doctor Who"), ein schottischer Archäologiestudent, enteckt auf dem Anwesen der beiden Schwestern Mary (Sammi Davis) und Eve (Catherine Oxenberg) Trent, die dort eine Pension betreiben, einen skelettierten riesigen Schlangenkopf. Der versnobte Adelige Lord James D'Ampton (köstlich: Hugh Grant) vermutet eine Verbindung zum sagenumwobenen Lindwurm, dessen Legende man sich in Derbyshire schon seit Jahren erzählt. Da die Eltern der beiden jungen Frauen auf mysteriöse Weise verschwunden sind und man die Uhr des Vaters in den Höhlen des Felsens fand, in dem sich die Kreatur befinden soll, sucht man dort nach den Vermissten.
                                                Parallel zieht sich die exzentrische Lady Sylvia Marsh (großartig: Amanda Donohoe, "Liar, Liar", "Starship Troopers 3: Marauder", "King George", "The Rainbow") -wie jedes Jahr- ins Temple House zurück, das ebenso mysteriös erscheint. Ihre weiblichen Reize verfehlen bei der männlichen Bevölkerung des ländlichen Derbyshire natürlich nicht ihre Wirkung. Die undurchschaubare attraktive Frau hütet ein furchtbares Geheimnis...

                                                Regieexzentriker Ken Russell ("Tommy", "Altered States", "Lisztomania", "The Devils") verfilmte eine Geschichte von Bram Stoker und verortete die Story in die 80er Jahre.

                                                "The Lair of the White Worm" (1988) ist eine Mischung aus Mythen und Legenden, Horror, Erotik, vergnüglichem Lokalkolorit und bizarrer, skurriler Komödie, die durch und durch gespickt ist mit bitterbösen und galligen Seitenhieben auf die katholische Kirche im Besonderen und Religionen im Allgemeinen.
                                                Eve (Oxenberg) leidet währenddessen unter Halluzinationen und abartigen Träumen, die genau diese Thematik in den Vordergrund stellen. In psychedelischen Farben und Bildern bannte Russell diese Visionen auf die Leinwand. Der schwarze Humor in diesem Streifen ist ebenfalls bitterböse und very British. Genau deswegen passt Hugh Grant wie die Faust aufs Auge in die Handlung.

                                                Was auch sofort auffällt und für Kopfschütteln und unfreiwillige Komik sorgt, ist die grenzenlose Naivität und Dummheit mancher Dorfbewohner und hier speziell die der örtlichen Polizei, die keinen besonderen Wert auf die Suche nach den Vermissten und das seltsame Treiben im Temple House legt.

                                                Bei heutiger Betrachtung mag der Film etwas angestaubt erscheinen, besitzt aber aufgrund der genialen Inszenierung, schöner Landschaftsaufnahmen, der abgefahrenen Situationskomik, der beinahe schon drollig anmutenden Effekte, der grellen Farbgebung während der rauschhaft anmutenden Halluzinationen und mancher derben Szenen eine eigentümliche Anziehungskraft und Faszination.
                                                Weswegen der heute noch die FSK 18 hat, ist mir aber ein Rätsel.

                                                Sehenswert mit einem Hang zum Kult.

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                                                  über Cube

                                                  Sieben Menschen wachen eines Tages in einem würfelähnlichen Raum auf, wissen nicht, wie sie dorthin kamen und auch nicht, wer sie verschleppt hat. Zwei von ihnen lassen ihr Leben, nachdem sie in andere würfelähnliche Räume geklettert sind, in denen fiese Fallen vorgesehen waren.
                                                  Die übrigen versuchen, aus diesem abstrusen und mechanisch raffinierten Labyrinth zu entkommen. Eine von ihnen, Leaven (Nicole de Boer) ist ein Mathegenie und kommt bei den im Boden der Türen eingestanzten Zahlenfolgen einer Berechnung auf die Spur, die eventuell ein Weg in die Freiheit bedeuten könnte...

                                                  Vincenzo Natali's kanadischer Sci-Fi-Mysterythriller "Cube" (Würfel) von 1997 spielt sich nur im Inneren dieses kubusähnlichen riesigen Gebäudes ab, dessen Sinn und Zweck sich den Eingeschlossenen nicht erschließt. Wer hinter diesem Konstrukt steckt, bleibt im Dunkeln und das Geheimnis des Cubes ist somit die große Frage, die sich durch diesen Streifen zieht. Das Häuflein Gefangener, das sich noch nie zuvor gesehen hat, muss sich zusammenraufen und die unterschiedlichen Persönlichkeiten sowie deren Egos führen zu Konflikten untereinander, die auch mal in Gewalt ausarten.

                                                  Die klaustrophobische und surreale Atmosphäre ist in "Cube" hervorragend eingefangen, der riesige Würfel besteht in seinem Inneren aus unzähligen anderen würfelartigen mehrfarbigen Räumen, deren Ausstattung mich manches Mal sogar an das Setting in "2001-A Space Odyssey" erinnerte. Da ich den Film schon mehrere Male gesehen habe und das letzte Mal vor einigen Tagen, hinterlasse ich hier mal einen Kommentar.

                                                  Die unangenehmen Geräusche, die im Inneren des seltsamen Gebäudes dann und wann zu hören sind, erwecken ein mulmiges Gefühl, bringen jedoch Leaven auf eine Idee. Sie vermutet, dass sich die Räume innerhalb des Kubus vor und zurück, nach oben und nach unten und zur Seite hin bewegen. Die noch verbliebenen fünf Personen müssen nun zu ihrem Ausgangspunkt zurück, dies erweist sich jedoch als schwierig, da die Räume in Intervallen ständig in Bewegung sind und sie nie wissen, wo sie sich nun genau befinden.

                                                  Mir hat der Streifen gut gefallen. Die Verzweiflung, die sich unter den Personen bemerkbar macht, ist nachvollziehbar und dass sich langsam auch der pure Wahnsinn ausbreitet, noch naheliegender. Habe mir vorgestellt, wie es mir dort ergangen wäre und was ich unternommen hätte. Von Wut, Lethargie und Hoffnung einmal abgesehen ergibt sich eine ganze Gefühlspalette, wenn man nicht weiß, weshalb man in eine solche Lage geraten ist.
                                                  Die Darsteller sind durch die Bank weg großartig und das mysteriöse Gebilde scheint ein Eigenleben zu führen.
                                                  Aber nicht nur die ausweglose, gefährliche Situation an sich, sondern auch die Unberechenbarkeit von Quentin (Maurice Dean Wint, "Brother") wird zu einem großen Problem.

                                                  "Cube" ist ein beklemmender, äußerst bizarrer und spannender Streifen, der die Unergründlichkeit und Erbarmungslosigkeit seiner Story in den Fokus stellt. Man leidet mit den Gefangenen und hat genauso wie sie furchtbare Angst, in den nächsten Raum zu blicken bzw. einzutreten, weil man nie weiß, was einen erwartet.

                                                  David Hewlett ("Stargate Atlantis", "Rise of the Planet of the Apes", "Shape of Water", "Whistleblower") ist in der Rolle von Worth zu sehen und Nicky Guadagni ("Queer as Folk", "Star Trek") spielt die Ärztin Holloway.

                                                  Sehenswert!

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                                                    Miss_Jupiter 14.04.2024, 11:43 Geändert 14.04.2024, 12:46

                                                    Die drei Studenten Quaid (Shaun Evans, "Gone", "Endeavour"/"Der junge Inspektor Morse"), Stephen (Jackson Rathbone, "The Last Airbender", "Twilight", "Eclipse", "Breaking Dawn", "New Moon") und Cheryl (Hanne Steen) starten gemeinsam ein Filmprojekt, indem sie die Ursprünge von Angst ergründen wollen. Dazu laden sie mehrere Kommilitonen in Quaid's Haus ein, um sie vor der Kamera zu interviewen. Dieses Projekt wollen sie dann in der Uni vorstellen, um eventuell einen Preis dafür zu bekommen und ihre Noten in die Höhe zu treiben.
                                                    Einer der drei hat aber aufgrund eines Traumas aus der Vergangenheit schwere mentale Probleme und versucht dies, mit einer Ausweitung der Interviews bzw. Konfrontation mit seinen/ihren Ängsten zu kompensieren. Diese Ausweitung zieht aber schreckliche Folgen nach sich...

                                                    Anthony DiBlasi verfilmte Clive Barker's ("Hellraiser") Kurzgeschichte "Dread" ("Furcht") und verließ sich dabei fast ganz auf die unglaublich beklemmende, oftmals dreckige und düstere Atmosphäre des Streifens. Die seltsame Farbgebung und die angsteinflößende Kameraführung untermauern die diffuse Stimmungslage, in der sich "Dread" fortlaufend befindet. Bis auf die letzte halbe Stunde ist der Film recht ruhig und beinahe behäbig inszeniert und stellt die Charaktere der Protagonisten in den Vordergrund, in dem er sie ein wenig analysiert. Es wird viel geredet und man sieht Quaid, Stephen und Cheryl bei ihrer Arbeit zu, ohne dass dabei Langeweile aufkommt.
                                                    Die drei total unterschiedlichen Menschen sehen in dem Projekt -jeder für sich selbst- etwas vollkommen anderes. Dass zwei von ihnen nur "benutzt" werden, erkennen sie leider zu spät.

                                                    Die letzte halbe Stunde ist -wie vorher schon geschrieben- eine Ausgeburt der Hölle mit einer Reise in die dunkelsten menschlichen Abgründe, gespickt mit schrecklichen und widerlichen Szenen, die schwer zu ertragen sind und in mir ein großes Unwohlsein und Unbehagen auslösten, wie ich es selten erfahren habe.

                                                    Der Streifen ist weniger Horror-, sondern ein bitterböser, raffinierter und verstörender Psychothriller, der mit den Urängsten der Menschen "spielt" und das Schlimmste aus manchen an die Oberfläche bringt. Mobbing spielt hier ebenfalls eine größere Rolle.
                                                    Mir haben auch die Darsteller gut gefallen, die ihre Rollen recht authentisch rüberbringen. In einer großartigen Nebenrolle als Abby ist die Irin Laura Donnelly ("The Fall", "Missing", "Tolkien") zu sehen, die hier absolut überzeugend agiert.

                                                    Das Ende des Streifens ist dann ein grässlicher "Höhepunkt", der absolut niederschmetternd ist.

                                                    Sehenswert!

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