Patrick Reinbott - Kommentare

Alle Kommentare von Patrick Reinbott

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    "I just feel so alone, even when I'm surrounded by other people."

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    • 6

      [...] Äußerst schlicht orientiert sich der Regisseur in seinem Drehbuch an den Motiven des Backwood-Horrors sowie am australischen Terrorkino, das unter anderem mit Wolf Creek einen der bekanntesten Vertreter hervorbrachte. Auch wenn sich Power zunächst die nötige Zeit nimmt, um alle wichtigen Figuren vorzustellen und diesbezüglich durchaus löbliche Charaktere entwirft, die mehr sind als nur überflüssige Opfer, unterscheidet sich Killing Ground rein inhaltlich kaum vom gängigen Genre-Einheitsbrei. Feine, aber markante Unterschiede erzielt der Regisseur über die effektive Inszenierung, bei der er nach ungefähr einer halben Stunde nicht nur einen perfiden Twist bezüglich der zeitlichen Struktur der Geschehnisse enthüllt, sondern auch ein beklemmendes Höllenszenario entfacht, das psychischen und physischen Terror geschickt ausbalanciert. Power spitzt die Lage nicht nur zu, indem es sich bei zwei der Figuren aus der vierköpfigen Familie um eine 16-jährige Teenagerin und ein kleines Baby handelt, sondern in erster Linie durch seinen überaus kompromisslosen Umgang mit sämtlichen Figuren und die in diesem Zusammenhang gewählte Art der Gewaltdarstellung. Wenn die beiden Menschenjäger ihr psychopathisches Spiel mit den Zivilisten eröffnen, bleibt dem Zuschauer von Folter über Vergewaltigung bis hin zu sadistisch in die Länge gezogenen Morden kaum ein grausiges Verbrechen erspart. Trotzdem ist Killing Ground kein simpler Torture-Porn-Streifen, in dem das Leid der Opfer möglichst explizit ausgeschlachtet wird, sondern eher ein geradliniger Reißer, der wiederholt nah am Exploitation-Genre vorbei schlittert, indem der Regisseur die brutalsten Momente außerhalb der Kamera geschehen lässt, um erst anschließend die verheerenden Konsequenzen zu offenbaren. Neben der effektiven Inszenierung, durch die sich Killing Ground von einem ansonsten vorhersehbaren Handlungsmuster abheben kann, hat sich Power eine gelungene Pointe aber noch für den Schlussakt des Films aufgespart, mit der er die üblichen Geschlechterklischees des Genres geschickt verdreht und nichtsdestotrotz mit einer finalen Einstellung aufwartet, die kaum eine bitterere Bilanz ziehen könnte. [...]

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      • 7
        über Agonie

        [...] Durch die mitunter harten Schnitte, mit denen der Regisseur beide Figuren in abwechselnden Szenen zeigt, suggeriert Diaz seinem Publikum zunächst zwei getrennte Welten, die alleine von den unterschiedlichen Milieus her, aus denen die Figuren stammen und in denen sie sich bewegen, kaum gegensätzlicher sein könnten. Die langen, oftmals statisch gefilmten Einstellungen rufen dabei immer wieder die Werke von Michael Haneke (Funny Games) oder Ulrich Seidl (Im Keller) in Erinnerung. Ganz ähnlich wie die beiden österreichischen Regisseure bevorzugt auch Diaz einen eher distanzierten, kühlen Inszenierungsstil, der im ersten Drittel des Films bei vielen Zuschauern für Irritierung sorgen könnte. Die zunächst unbedeutend wirkenden, flüchtigen sowie unscheinbaren Momente verknüpft der Regisseur mit fortschreitendem Verlauf seines Films zu einem zunehmend unangenehmen Charakterporträt zweier verlorener, hilfloser Seelen, die in einigen Szenen in klirrender Eiseskälte erstarren. Von nachhaltiger Intensität sind in Agonie vor allem jene Momente, in denen Diaz die erschütternden Parallelen zwischen Christian und Alex mithilfe von eindringlichen Momentaufnahmen an die Oberfläche befördert, welche die streng isolierende Montage durchdringen. Dabei sind es oftmals nur kurze Szenen, wie die, in der Alex mit einem Freund rangelt und unentwegt dessen körperliche Nähe erzwingt, oder die sexuellen Momente zwischen Christian und seiner Freundin, bei denen dieser förmlich aus sich selbst auszubrechen scheint, die tiefe Erkenntnisse über das Innenleben der Figuren zulassen, ohne in zu ausführlicher Psychologisierung zu enden. So ausgiebig sich Diaz über weite Strecken als präziser Beobachter gibt, der zwei markante Einzelschicksale behutsam in ein Gesamtbild der schockierenden Leere und Ausweglosigkeit rückt, so schockierend sind die letzten Szenen des Films, in denen der Regisseur schließlich zur anfänglichen Texteinblendung zurückkehrt. Von qualvoll ausgedehnter Langsamkeit begleitet ist der letzte Akt von Agonie derart konsequent in seiner unvermeidbaren Grausamkeit, dass die Bilder den Zuschauer noch Stunden nach der Sichtung des Films heimsuchen dürften. [...]

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        • 6

          [...] Was anfangs wie eine Satire auf die exzentrischen Spleens von Feuilleton-Mitarbeitern beginnt und anschließend eine finstere Abwärtsspirale andeutet, entwickelt sich unter Haders Regie viel mehr zu einer hämischen Betrachtung des wienerischen Gutbürgertums. Auch wenn die wiederholt eingefügten Nachrichtenausschnitte, die von Krieg und Terrorismus berichten, etwas zu platt erscheinen, um einen allzu offensichtlichen Kontrast zu den eigentlichen Geschehnissen herzustellen, ist Wilde Maus immer dann am effizientesten, wenn sich der Regisseur auf die dramatische Dynamik zwischen Georg und Johanna fokussiert, die von Hader selbst und seiner realen Lebensgefährtin Pia Hierzegger (Was hat uns bloß so ruiniert) hervorragend gespielt werden. Wie auch schon im Auftakt des Films kehrt Hader immer wieder zur auffälligen Kommunikationsunfähigkeit seiner Figuren zurück, um zu verdeutlichen, wie sie sich auf einen Abgrund zubewegen, nur weil sie nicht ausreichend miteinander sprechen. Neu ist diese Thematik im Kino keineswegs und Hader wirkt im Verlauf der Handlung sichtlich bemüht, dieser altbewährten Geschichte rund um belastende Lebenskrisen, unausgesprochene Beziehungsprobleme und unangenehme Verstrickungen erfrischende Facetten abzuringen. Sobald Georgs Ex-Chef beispielsweise wenig überraschend begreift, dass der von ihm entlassene Kritiker hinter den Sachbeschädigungen stecken muss, und in einer Szene plötzlich bei dessen Frau, die als Paartherapeutin arbeitet, im Behandlungszimmer sitzt, deutet der Regisseur ein interessantes, womöglich hinterlistiges Kräftemessen zwischen den beiden an, das jedoch weitestgehend ungenutzt bleibt. Als ebenso unausgearbeitet entpuppt sich auch der Nebenhandlungsstrang um die titelgebende Wilde Maus, eine Achterbahn in einem Vergnügungspark, die Georg zusammen mit einem ehemaligen Bekannten aus seiner Schulzeit pachtet und in Betrieb nehmen will. Während hierbei immerhin der großartige Georg Friedrich (Wild) auftreten darf, verläuft auch dieser Handlungsstrang irgendwann ins Leere, um Platz für ein vielversprechendes Finale zu machen, das wiederum von einer mutlosen Schlusssequenz beendet wird. [...]

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          • 7 .5

            Dass es sich bei „The Beguiled“ um einen Film von Sofia Coppola handelt, wird schon anhand der allerersten Einstellung sichtbar. Nach dem Roman „A Painted Devil“ von Thomas P. Cullinan ist die Handlung des Streifens zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs im Jahr 1864 angesiedelt, doch am eigentlichen Kriegsgeschehen zeigt sich die Regisseurin neben einer notdürftig platzierten Texteinblendung zu Beginn nur wenig interessiert. Die unaufhörlichen Kanonenschläge verbannt Coppola als dumpfe Bedrohung in den Hintergrund, um sie in der Eröffnungsszene vom Pfeifen eines kleinen Mädchens übertönen zu lassen, das zum Pilzesammeln durch die Wälder streift.
            Die vordergründig fast schon idyllische Südstaaten-Atmosphäre, die nach dem um aktuellen Zeitgeist und exzessive Montagen bemühten „The Bling Ring“ wieder viel stärker an die verträumt-überhöhten Bilderwelten aus Coppolas Werken wie „The Virgin Suicides“ und „Marie Antoinette“ erinnert, wird jedoch zunächst getrübt, als das Mädchen auf einen verwundeten Soldaten stößt. Aus Mitleid nimmt sie den Mann mit in das Mädchenpensionat unter der Leitung von Miss Martha Farnsworth, in dem sie ebenfalls eine Schülerin ist.
            Die Ankunft des verletzten, pflegebedürftigen Soldaten, der sich als Corporal John McBurney vorstellt, bringt schließlich eine ungeahnte Dynamik voller ambivalenter Spannungen in das von Mädchen und Frauen bewohnte Pensionat. Während sich die Leiterin umgehend dazu entschließt, die Wunde an McBurneys Bein kurieren zu wollen und dem Soldaten somit das Leben zu retten, gibt sich der Rest unentschlossen zwischen ängstlicher Schüchternheit, klarer Abneigung und vorsichtiger Neugier über den männlichen Neuzugang im Haus.
            Auch wenn sich Coppola in ihrer Romanadaption um eine möglichst feminine Sichtweise bemüht, mit der sie die unterschiedlich sichtbaren Reaktionen und aufkeimenden Gefühle der weiblichen Figuren beleuchtet, ist Colin Farrells Soldat ebenfalls von maßgeblicher Bedeutung für das fortan entstehende Verwirrspiel. Abgesehen von seiner optischen Präsenz, mit der er die Blicke der Pensionatsbewohnerinnen automatisch auf sich zu ziehen scheint, sind es vor allem seine Worte, bei denen nie klar ist, inwieweit diese ernst gemeint sind oder genau so klingen sollen, wie das, was die Mädchen und Frauen von ihm hören wollen.
            Mit betont ruhiger Erzählweise lotet die Regisseurin das Verhältnis zwischen ihren Figuren nicht nur aus, indem Coppola jeder weiblichen Figur eine andere Facette wie kindliche Unbekümmertheit, jugendliches Begehren, frustriertes Verlangen oder zwiespältige Sinnlichkeit verleiht, sondern diese Charaktereigenschaften gelegentlich neu ausrichtet oder durcheinanderwürfelt, bis das emotionale Chaos schließlich perfekt ist und nicht mehr klar ist, wer hier wen verführt. Einen ersten Höhepunkt stellt diesbezüglich mit Sicherheit eine famose, überaus amüsante Sequenz dar, in der McBurney zum ersten Mal mit allen gemeinsam am Tisch zu Abend isst, wobei die Mädchen nacheinander damit prahlen, auf welche Weise sie jeweils dazu beigetragen haben, den Apfelkuchen zu backen, den der Soldat so begeistert verschlingt.
            Möchte man „The Beguiled“ einem festen Genre zuordnen, dann ist der Film sicherlich so etwas wie Coppolas erster Versuch eines Thrillers. Spannung erzeugt die Regisseurin hingegen kaum durch konventionelle Elemente, sondern viel mehr auf ihre ganz eigene, auf Stil bedachte Weise. Blicke in Gesichtern, die innerhalb von Sekunden ins Gegenteil umschlagen oder Körper, die oftmals unbemerkt durch leicht geöffnete Türen huschen, sind Coppolas bevorzugte Stilmittel, um ihre Form eines reduzierten Thrillers zu inszenieren, in dem über die äußerst kompakte Laufzeit von nur 94 Minuten hinweg zudem keine einzige Szene überflüssig oder unnötig erscheint.
            Als ungewöhnlich entpuppt sich lediglich der Schlussakt, in dem die Regisseurin plötzlich schwarzen Humor in die eskalierenden Geschehnisse einbringt, der sich so unterschwellig unter die Bilder mischt, dass bis zur letzten Einstellung auf gekonnt ambivalente Weise unklar bleibt, ob Coppola das Finale als feministische Offensive, bösartige Groteske oder tragisches Drama angelegt hat.
            Wenngleich „The Beguiled“ am Ende nicht den besten Film im bisherigen Schaffen der Regisseurin darstellt, so ist er mit Sicherheit Coppolas kurzweiligster, in dem sie ihren begnadeten Stil sowie bevorzugte Motive innerhalb eines entschleunigten Thrillers aufgrund der kürzeren Laufzeit reduziert bündelt und in einem Finale entlädt, das sie so entfesselt wie nie zeigt.

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            • 8

              Mit „Baby Driver“ beweist sich Edgar Wright nicht nur als Regisseur, der es offensichtlich liebt, Filme zu machen, sondern auch wieder einmal als extremer Filmliebhaber, der seine Passion in jeder Szene seiner Werke mit dem Zuschauer teilen will. Seinen neuesten Film über einen jüngeren Fluchtwagenfahrer namens Baby, der das starke Pfeifen in seinen Ohren aufgrund eines schweren Tinnitus übertönt, indem er praktisch rund um die Uhr Musik hört, eröffnet Wright mit einer Passage, die das Kino in seiner verspieltesten, aufregendsten Art zelebriert.
              Der Regisseur legt die Musik, die Baby über seine Kopfhörer hört, nicht einfach über die Szenen, sondern gleicht jedes einzelne Bild genau dem Rhythmus und Takt des Songs an. Der Auftakt, in dem Baby drei Gangster nach einem bewaffneten Banküberfall vor anrückenden Polizeifahrzeugen durch den Straßenverkehr in Sicherheit manövriert, gerät zu den rockigen Klängen von The Jon Spencer Blues Explosions „Bellbottoms“ zur rasiermesserscharf inszenierten Verfolgungsjagd, mit der „Baby Driver“ den Zuschauer innerhalb weniger Minuten bereits in begeisterte Euphorie versetzt.
              Diese Euphorie will den gesamten Rest des Films nicht abflachen, denn schon nach diesem wild geschnittenen Auftakt zeigt der Regisseur eine so banale Tätigkeit wie die Besorgung von Kaffee als virtuos choreographierte Plansequenz, in der Baby wie in einem Musical durch die Straßen Atlantas tänzelt. Der besondere Reiz des Films besteht dabei vor allem darin, dass Wright seinem Publikum unmissverständlich verdeutlicht, dass es sich von der ersten bis zur letzten Szene in einem Film befindet.
              Die Gangster, für die Baby arbeitet oder mit denen er zusammenarbeiten muss, sind eindeutige Gangster-Figuren, die Wright in ihren Charaktereigenschaften ebenso überspitzt als knallharte Klischee-Abziehbilder präsentiert wie er sie in grandios komischen Dialogen aufeinanderprallen lässt. „Baby Driver“ spielt mit Genre-Referenzen, indem diese nicht nur freudig zitiert, sondern so leidenschaftlich miteinander vermengt werden, dass der Film jede andere, vordergründig auf pure Unterhaltung abzielende, Mainstream-Produktion aus dem Jahr 2017 mühelos hinter sich lässt.
              Wie sehr Wright den unterschiedlichen Genres und der atmosphärischen Tonalität seines eigenen Films verfallen ist, zeigt sich so zum Beispiel auch in der Romanze zwischen Baby und der schönen Kellnerin Debora, die dessen Leidenschaft für Musik teilt. Wenn sich die beiden kurz nach dem Kennenlernen in einem Waschsalon befinden, erzeugt der Regisseur eine derartig auffällige Nähe zwischen ihnen, verbindet sie über die Kopfhörer von Baby zu einem gemeinsamen Song und rückt ihre Gesichter bei Gesprächen fast schon unglaubwürdig nahe aneinander, um auch hier zu unterstreichen, dass der Zuschauer gerade einer klassischen Kino-Romanze beiwohnt, die in ihrer überbordend knisternden Chemie bewusst nichts mit der Realität zu tun hat.
              Bisweilen fühlt sich „Baby Driver“ so im positivsten Sinne wie die Sichtung eines Frühwerks aus Quentin Tarantinos Schaffen an, ohne jemals wie ein bemühter Klon dessen einflussreiches Stils zu wirken. Mit Tarantino teilt Wright seine ansteckende Liebe zu Musik, popkulturellen Verweisen und Versatzstücken verschiedenster Genres, doch trotzdem versprüht dieser Film zwischen adrenalingeladenen Verfolgungsjagden, markanten Figuren, wundervollen Kamerafahrten, unterhaltsamen Dialogen, brutalen Einlagen und Momenten echter Spannung eine ganz eigene Energie, die „Baby Driver“ als Mischung aus Heist-Film, Musical, Action und Romanze mit einem Protagonisten, der sein Leben vorwiegend über Songs aus dem iPod, Plattenspieler oder Autoradio lebt, zugleich vertraut und doch originell wirken lässt.
              Neben dem ungemein spielfreudigen Cast, unter dem nicht nur Jamie Foxx, Jon Hamm und Kevin Spacey sichtlich in ihren Rollen als Gangster aufgehen, sondern vor allem Ansel Elgort als grandios aufgelegter Nachwuchsstar zwischen ernster Verschlossenheit, autistischen Tendenzen und gefühlvoller Coolness heraussticht, ist Wright selbst der große Star. Mit allen Werkzeugen, die ihm das Medium, das er selbst so liebt, an die Hand gibt, hat sich der Regisseur hier sichtlich ein großes Wunschprojekt erfüllt, das dem Zuschauer in jeder Szene das seltene Gefühl gibt, ebenfalls ein Teil davon zu sein.

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              • 8 .5

                [...] Titta Di Girolamo ist ein Mensch, der sich in der uns bekannten Welt bewegt, die wir Tag für Tag erleben. Trotzdem scheint er sich zugleich in einer Art Zwischenwelt zu befinden, zu der sein Umfeld keinen Zugang erhält. In Die Folgen der Liebe zeigt Paolo Sorrentino (Ewige Jugend) den Mann als Phantom, das apathisch durch einen routinierten Alltag geistert. [...] Auf brilliante Weise umhüllt Sorrentino die Hauptfigur in einen kunstvoll inszenierten Nebel aus entrückter Elegie, wobei bereits minimale Veränderungen innerhalb der präzise durchstrukturierten Abläufe dafür sorgen, dass das rein verhaltensgeprägte Charakterporträt von Titta winzige Risse erhält. Irgendwann ist es die Schönheit einer Frau, die als Bedienung in dem Hotel arbeitet und regelmäßig grüßt, ohne eine Reaktion zu erhalten, die ihn aus dem Gefängnis lockt, das sein eigenes Leben darstellt. Neben wundervoll komponierten Szenen, in denen der Regisseur den gegenwärtigen Zustand von Titta mit eleganten Kamerafahrten und einer musikalischen Untermalung zwischen melancholischen Klängen und beunruhigenden Rhythmen als surreal-narkotisierten Schwebezustand vermittelt, sind es vor allem kurze Blicke in den Gesichtern der Figuren, die Sorrentino zu gewaltigen Gefühlslandschaften erhebt. Nachdem Titta beginnt, auf Sofia zuzugehen, zeichnet sich kurz darauf zum ersten Mal seit Beginn des Films ein leichtes Lächeln auf seinem Gesicht ab, das zugleich seinen schleichenden Untergang markieren wird. In Die Folgen der Liebe, der direkt aus dem Original übersetzt eher Die Konsequenzen der Liebe heißt, erzählt der Regisseur von diesen Konsequenzen mit eindringlicher Tragik, aus der er wiederum eine Art Optimismus schöpft, wenn der Protagonist sichtlich gelockert auf sein unausweichliches Schicksal zusteuert, dem Titta schlussendlich fast schon gelassen begegnet. Neben seinem grandiosen Stilbewusstsein, mit dem Sorrentino jedem einzelnen Moment die Erhabenheit eines Kunstwerks verleiht, liegt sein größtes Talent in genau diesem Trick, bei dem er die einzigartigen, strahlenden Momente und die deprimierenden, kalten ineinanderfließen lässt, um am Ende den Zuschauer entscheiden zu lassen, welche davon er für sich behalten will. [...]

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                • 2

                  [...] Sich mit Berichten, Reportagen und Videomaterial rund um die Phoenix Lights zu beschäftigen stellt jedenfalls eine weitaus interessantere, packendere Alternative dar als sich Justin Barbers Regiedebüt Phoenix Forgotten anzusehen. In dem Film, der eine Mischung aus Mockumentary und Found-Footage darstellt, verwendet der Regisseur die brisanten Hintergründe des Vorfalls von 1997, um sich auf die Suche nach Antworten zu begeben. [...] Über die Hälfte der Laufzeit hinweg erweist sich Phoenix Forgotten als völlig spannungsarmes, uninteressantes Expositionsvehikel, in dem verschiedene Schilderungen von Angehörigen der Verschwundenen oder Augenzeugen der damaligen Vorfälle als Vorwand genutzt werden, um erneut in die damaligen Ereignisse vorzustoßen, ohne jemals auch nur ansatzweise erhellende Erkenntnisse zum Vorschein zu bringen. Wie desinteressiert sich Barber seiner eigenen Geschichte gegenüber zeigt, beweist zudem die Tatsache, dass Sophies dokumentarische Aufnahmen nach ziemlich genau 50 Minuten abbrechen und den Rest des Films nicht mehr aufgegriffen werden. Die letzte halbe Stunde stellen stattdessen neu entdeckte Aufnahmen eines Videotapes von Sophies Bruder und dessen zwei Freunden dar, die zeigen, wie sich das Trio in die Wüste von Phoenix begibt, um auf eigene Faust nach Spuren zu suchen. Aufgrund dieser Passagen entpuppt sich Barbers Film schließlich endgültig als desaströser Beitrag zu einem Sub-Genre, das seit vielen Jahren nur noch altbekannte Bilder von verwackelten, schlecht beleuchteten Aufnahmen, panischen Protagonisten und zaghaft angedeutetem Schrecken aufwärmt, ohne der eigenen Formelhaftigkeit auch nur ansatzweise frische Impulse hinzufügen zu wollen. Das Erstaunlichste an Phoenix Forgotten ist daher lediglich, dass der Film nicht nur unter anderem von keinem geringeren als Ridley Scott (Gladiator) produziert wurde, sondern darüber hinaus einen limitierten Kinostart in den USA erhielt. Neben unzähligen Video-on-Demand-Veröffentlichungen, von denen sich Barbers uninspirierter, furchtbar abgestandener Beitrag zu keiner Sekunde abhebt, und übersehenen, hervorragenden Filmen, die einen Kinostart unbedingt verdient hätten, ist es nur ein kleiner Trost, dass der Film nicht einmal die eigenen Produktionskosten einspielen konnte und viele Besucher darüber berichteten, die einzige Person im Kinosaal gewesen zu sein. [...]

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                    Fünf Jahre vor „Scream“ nahm Mark Herriers eher unbekannterer „Popcorn“ bereits in Teilen vorweg, was Wes Craven mit seinem Meta-Horror-Meilenstein perfektionierten und zu einer brillanten Innovation innerhalb des Genres etablieren sollte, die fortan unzählig oft kopiert wurde. Auch Herrier greift das Konzept der schamlos überspitzten Selbstreferentialität auf, indem sein Werk kein Horrorfilm im klassischen Sinne ist, sondern vor allem ein Film über die Faszination von Horrorfilmen und den besonderen Wert des Spektakels, den diese oftmals mit sich bringen.
                    Angesiedelt ist „Popcorn“ überwiegend nur in einem Kino. Hier veranstaltet ein kleiner Kurs von Filmstudenten aus finanzieller Not eine Horrorfilmnacht, bei der drei Klassiker gezeigt werden sollen. Um einen besonderen Anreiz zu stiften und möglichst viele Besucher in den Kinosaal zu locken, haben sich die Studenten zusätzliche Gimmicks und Attraktionen einfallen lassen, um beispielsweise mit 3D-Brillen, eingestreuten Gerüchen oder in die Menge fliegende Attrappen für ein ganz besonderes Filmerlebnis zu sorgen.
                    Mit einer sichtlichen Leidenschaft für das amerikanische und japanische Monsterkino der 50er und 60er lassen Herrier und Drehbuchautor Alan Ormsby in wunderbar überzogenen Film-im-Film-Sequenzen Köpfe von mutierten Riesenmoskitos aussaugen oder Häftlinge aus dem Todestrakt nach der Hinrichtung durch den elektrischen Stuhl weiterleben. Anders als der vergleichbare „Anguista“, der dem Zuschauer innerhalb der verschiedenen filmischen Ebenen des Horrors regelmäßig bewusst den Überblick über Realität und Fiktion raubte, nutzt „Popcorn“ das Konzept, um den eigenen Unterhaltungswert als Metafiktion permanent zu unterstreichen.
                    Wenn die Menge im Kinosaal während der Vorstellung johlt und tobt, bei übertriebenen Momenten bewusst in kollektives Gelächter ausbricht, sich in gruseligen Szenen gegenseitig in den Armen liegt oder wütend mit Popcorn wirft, nachdem die Projektion kurzzeitig abbricht, ist „Popcorn“ (der mit dem unsäglichen deutschen Titel „Skinner …lebend gehäutet“ bestraft wurde) ein filmischer Ausdruck für die Bandbreite der Emotionen, die nicht nur das Horror-Genre, sondern allgemein das Kino an sich vermitteln kann. Als wäre das nicht schon genug, werden die Todesarten aus den Spielfilmen auch noch auf perfide Weise in die Realität übertragen und terrorisieren das Team aus Studenten.
                    Obwohl der Film im Jahr 1991 veröffentlicht wurde, ist Herriers Werk nichtsdestotrotz unverkennbar in den 80ern verwurzelt, was sich nicht nur an den Figuren zeigt, die in Form typischer Stereotypen auftreten, sondern auch an einem Finale, das unnötig aus dem Ruder läuft und alle Regler auf Anschlag dreht. Ein wiederkehrender Albtraum, von dem die Hauptfigur Maggie zu Beginn des Films geplagt wird und den sie in ein Drehbuch umwandeln will, vermischt sich im letzten Drittel mit einer zuvor erwähnten urbanen Legende zu einem Racheszenario, das durch die Enthüllung und das sich daran anschließende, extrem hysterische Verhalten des Killers eher lachhaft gerät.
                    Da „Popcorn“ zuvor ohnehin unentwegt auf Unterhaltung anstelle von wirklichem Horror setzt, könnte man diese letzte halbe Stunde auch als konsequente Zuspitzung sowie Eskalation des Erzähltons auffassen. Wesentlich stimmiger gestalteten sich aber trotzdem viel mehr die zwei Drittel davor, in denen der Name des Kinos, das passenderweise „Dreamland“ heißt, eine ideale Beschreibung des Zustands darstellt, in dem sich alle Beteiligten auf einer Spielwiese voller Horror-Schabernack austoben, bis irgendwann nur noch alle Spielzeuge aufeinander geknallt werden.

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                    • 7

                      [...] Mit dem Auftakt ihres Films unterstreicht Coppola allerdings sofort, dass sie sich der historischen Persönlichkeit auf ganz eigene Weise annähern will, indem sie das Wesen des noch recht jungen Mädchens beleuchtet. [...] Spätestens hier wird klar, dass Marie Antoinette von der Regisseurin als Coming-of-Age-Film konzipiert wurde. Ein Motiv, das Coppola auf ähnliche Weise bereits in ihrem Langfilmdebüt The Virgin Suicides - Verlorene Jugend verwendete, um unter der Oberfläche lauernde Abgründe in jugendliche Unschuld und verträumte Schleier zu kleiden. Trotz des geschichtlichen Kontexts ist Marie Antoinette in diesem Film ebenfalls in erster Linie ein Mädchen auf der Schwelle vom Kindesalter hin zur verwirrten Jugendlichen voller Tatendrang, die sich allem voran von ihren spontanen Gefühlsausbrüchen leiten lässt. [...] In ausschweifenden Bildkompositionen führt Coppola die ebenso frustrierte wie gelangweilte Protagonistin in einen Konsumexzess aus Pastell- und Bonbonfarben. Zuckersüße Desserts im Übermaß, Gläser voller Champagner, im Sekundentakt wechselnde Schuhpaare, lüstern ausgetauschte Blicke auf einem Maskenball oder ausgiebige Spaziergänge im malerischen Hofgarten unterlegt die Regisseurin hierbei wahlweise mit klassischer Musik oder schwungvollen Songs der Neuzeit. So erstrahlt Marie Antoinette als inszenatorisch ausgelassenes Pop-Porträt zwischen Barock und Moderne, in dem die politische Brisanz absichtlich aus der Perspektive der Protagonistin in den verschwimmenden Hintergrund verbannt wird. Auch das Ende, in dem der wütende Mob mit brennenden Fackeln und Mistgabeln zur Revolte anrückt, wirkt Coppola-typisch wie das Erwachen aus einem wohligen Traum, bei dem die nahende Realität abrupt weggeschnitten wird, bevor sich der wirkliche Schrecken zeigt. [...]

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                      • 6

                        Der unaufhörliche Drang nach Gewalt und Schmerzen treibt Taira von einer Prügelei in die nächste. Willkürlich geht der 18-Jährige auf unbeteiligte Passanten auf den Straßen Japans zu, rempelt diese an, um sie offen in einen Streit zu verwickeln oder schlägt direkt zu. Dass Taira mit dieser Methode nicht nur an wehrlose Opfer gerät, die unter seinen unerbittlichen Fausthieben direkt zu Boden gehen und um Gnade flehen, sondern auch selbst oft genug halb zu Tode geschlagen wird, bringt ihn trotzdem kein Stück von seinem eingeschlagenen Weg ab.
                        Mit „Disutorakushon beibîzu“ hat Tetsuya Mariko eine bewusst monotone Studie der Gewalt geschaffen, bei der die Hintergründe der Prügeleinlagen, die sich über fast die gesamte erste Hälfte des Films erstrecken und ständig wiederholt werden, vollkommen ungeklärt bleiben. Protagonist Taira, der zu Beginn von zu Hause abhaut und seinen jüngeren Bruder Shota zurücklässt, der sich fortan auf die Suche nach ihm begibt, dient dem Regisseur dabei als Symbol für eine sinnentleerte, abgestumpfte Jugendgeneration seines eigenen Landes. Mariko inszeniert die Schlägereien zunächst in langen Einstellungen, mit Darstellern, die wirken, als hätte man sie tatsächlich bei realen Auseinandersetzungen gefilmt. Der dabei entstehenden Brutalität, bei der Körper wie bloßes Fleisch geschunden werden, entzieht der Regisseur jegliche Anzeichen einer womöglich glorifizierenden Ästhetik. Der Schlagabtausch wird stets von Neuem zum Akt der überflüssigen Knochenbrüche und des unnötigen Blutvergießens, hinter dem sich ab einem gewissen Punkt keinerlei Sinn mehr erkennen lässt.
                        Dieses Porträt einer Gesellschaft, in der bereits der Nachwuchs auf eine nihilistische, hoffnungslose Zukunft aus sich ständig wiederholender Gewalt zusteuert, wird dem Zuschauer vom Regisseur dabei ebenso unnachgiebig wie betäubend eingehämmert. Nachdem Taira irgendwann von Yuya bei einer seiner Prügeleien beobachtet wird, ist der Schüler sofort begeistert und schließt sich dem zerstörerischen Trip ins Nirgendwo an. Von sadistischer Freude am Zufügen von Schmerzen angetrieben entsteht zwischen dem nahezu hyperaktiven Yuya und dem wortkargen, in sich gekehrten Taira ein wechselseitiges Verhältnis, das die Gewalt fortlaufend in noch drastischere Dimensionen befördert, während Außenstehende voyeuristisch zur Handykamera greifen, tatenlos zusehen oder selbst zu Tätern und Opfern werden.
                        Da Mariko auf Gewalt dauerhaft nichts als Gewalt folgen lässt, um die kalte, deprimierende Aussichtslosigkeit der vorwiegend jüngeren Figuren zu unterstreichen, ist „Disutorakushon beibîzu“ gleichermaßen redundant wie konsequent. Ein wütendes Konzept, das Zuschauer irritieren dürfte, denn selbst in das Ende des Films, wenn die Gewalttäter vorübergehend oder dauerhaft ruhiggestellt worden sind, fügt der Regisseur eine Schleife ein, welche den schmerzhaften Kreislauf sofort wieder in Gang setzt. Ein Ausweg ist nicht in Sicht.

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                          über Kuso

                          [...] Die Figuren in Kuso weisen sonderbare Deformationen auf, Gesichter sind von wuchernden Ausschlägen übersät und aus sämtlichen Körperöffnungen spritzen oder fließen Flüssigkeiten in den unterschiedlichsten Farben. Als radikaler Gegenentwurf zum gleichförmigen, konventionellen Kino, das Ellison scheinbar im Mainstream- und Independent-Format anprangert, erweist sich der Film alleine durch das entstellte, verzerrte Figurenensemble als Liebeserklärung an das Abseitige, Ungewollte und Ausgegrenzte. Mit den jeweiligen Geschichten und der dazugehörigen Verwirklichung um die Figuren herum tobt sich der Regisseur allerdings erst so richtig aus und präsentiert seinem Publikum einen kaum in Worte zu fassenden Albtraum aus Abgründen, Perversionen, Halluzinationen, Symbolen und popkulturellen Verweisen. Die surrealen, düsteren Bilderwelten eines David Lynch (Eraserhead), der pulsierende, wuchernde Körperhorror aus dem Frühschaffen von David Cronenberg (Naked Lunch) und ein Sinn für abstrakte Impressionen, die auf eine kompromisslose, rein audiovisuelle Schockwirkung setzen und sich bis zu Luis Buñuels Ein andalusischer Hund zurückverfolgen lassen, sind allesamt in Ellisons Debüt zu erkennen. Am stärksten erinnert Kuso mit seinem schamlosen Humor, der schwärzer kaum sein könnte und immer wieder in wahnsinnigen Nonsense kippt, jedoch an die Ren & Stimpy Show. Mit einer deutlich ausgelebten Vorliebe für Close-ups auf mutierte Insekten, eitrige Verformungen sowie ausgesonderte Körpersäfte und gelegentlichen Verweisen auf die eigene Herkunft zwischen Trash und Kunst wirkt der Streifen zeitweise wie eine reale Adaption der anarchischen Cartoon-Serie aus den 90ern, bei der die Verantwortlichen damals irgendwann selbst dazu gezwungen waren, der außer Kontrolle geratenen Anarchie einen Riegel vorzuschieben. Ellisons Vorstellungen waren hingegen über die gesamte Laufzeit keinerlei Grenzen gesetzt. Zwischen bizarr gestalteten Werbespots, in denen sich beispielsweise freizügige Damen einer Sex-Hotline von Aliens penetrieren lassen, Kleiderbügel-Abtreibungskliniken, Föten, die aus Körpern gerissen und als Joint geraucht werden oder schräg animierten Sequenzen, die das Gefühl eines LSD-Trips körperlich spürbar werden lassen, erweist sich Kuso als polarisierendes Meisterwerk voller widersprüchlicher Gefühle, transgressiver Bilder, tonaler Extreme und lustvoller Abgründe, das viele als selbstzweckhafte, aufdringliche Provokation hassen werden, während diejenigen, an die der Film gerichtet ist, mit nervösem Zittern, aufgerissenen Augen oder runterklappender Kinnlade regelrecht in eine andere Welt transportiert werden. [...]

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                          • 8 .5

                            [...] Als überraschend stilsichere Erzählung, die in kurzen 30 Minuten abgeschlossen wie ein eigener Kurzfilm wirkt, gibt dieser Auftakt die kreative Richtung vor, in die sich die restliche Staffel bewegt. Auch wenn Ansari einen gewissen roten Faden nie aus den Augen verliert, besitzt jede Episode der zweiten Staffel Master of None einen individuellen Charakter und kann eigenständig für sich stehen. In einem unüberschaubaren, übersättigenden Meer an Qualitätsserien, die vor allem auf den süchtig machenden Binge-Faktor setzen, hebt sich Ansari mit seiner Serie vor allem von der Konkurrenz ab, indem er auf kunstvolle Reduzierung, erzählerische Finesse und stilistische Vielfalt setzt. [...] Während Episode 4 beispielsweise durch Devs Dating-Leben führt und alle Frauen, die er zuvor über eine Dating-App kennengelernt hat, mithilfe des ausgeklügelten Schnitts in den gleichen Schauplätzen durcheinanderwirbelt, bewegt sich Episode 6 komplett von den bisher bekannten Figuren weg. Stattdessen verknüpft Ansari die Geschichten eines überforderten Hotelportiers, einem sexuell frustrierten, taubstummen Pärchen und drei feierwütigen Immigranten zu einem vielfältigen Porträt von New York, das am Ende bezeichnenderweise alle im Kino zusammenführt. So sehr Ansari sich selbst und seine eigene Hauptfigur zugunsten weitläufigerer Geschichten und Schicksale hierbei in den Hintergrund rückt, ist es schließlich aber trotzdem Dev, dem der emotionale Höhepunkt dieser Staffel geschenkt wird. Francesca, mit der er sich in Italien angefreundet hat, ist mit ihrem langjährigen Freund Pino zu Besuch in New York und stellt Devs Gefühlsleben vollkommen auf den Kopf. Die Annäherung zwischen ihm und Francesca, die sich wenig später auch noch verlobt, dürfte zu den besten Liebesgeschichten gehören, die in letzter Zeit im Kino oder Fernsehen zu sehen waren. Denkwürdig ist nicht nur eine Szene, in der Dev in einem Taxi sitzt, während sich in der mehrminütigen, ohne Schnitte gedrehten Sequenz nur in seinem Gesicht abzeichnet, dass er sich in Francesca verliebt hat, sondern vor allem die neunte Episode. In dieser inszeniert Ansari ein zutiefst bewegendes Liebeslabyrinth voller zaghafter Blicke, knisternder Stille, charmanter Momente und explodierender Gefühlsausbrüche, das man sich nach den knapp 60 Minuten direkt noch einmal ansehen und die bedeutendsten Szenen greifen und festhalten möchte. [...]

                            7
                            • 6 .5

                              Seit seiner frühen Kindheit ist Luc Besson ein glühender Verehrer der „Valerian“-Comics von Jean-Claude Mézières und Pierre Christin. Laureline, die weibliche Hauptfigur aus den Comics, bezeichnet der französische Regisseur gar als die erste große Liebe seines Lebens. Diese tiefe Verbundenheit, die Besson dem Ausgangsmaterial entgegenbringt, strahlt in seiner Adaption folglich durch jeden Frame des Films und füllt einen Großteil der Szenen mit der aufgeregten, hingebungsvollen und zugleich hyperaktiven Begeisterung eines kleinen Kindes im Körper eines erwachsenen Mannes, der sich einen lange ersehnten Traum endlich erfüllen konnte.
                              Mit einer Zukunftsvision, in der Millionen Kreaturen aus hunderten verschiedenen Rassen auf einer gigantischen Raumstation zusammenleben und sich ihre ganz individuellen Lebensräume erschaffen haben, errichtet sich Besson zunächst seinen persönlichen Abenteuerspielplatz, auf dem er sich nach der Einführung mit Vollgas austobt. Bereits mit der anfänglichen Mission, bei der die Spezialagenten Valerian und Laureline einen sogenannten „Converter“ vom Schwarzmarkt beschaffen müssen, welcher der letzte seiner ausgestorbenen Art sein soll, stürzt sich der Regisseur in erstaunliche Bilderwelten, an denen man sich als Zuschauer, auch aufgrund der Fülle an unzähligen Details sowie visuellen Einfällen, kaum satt sehen kann.
                              Von rastloser Geschwindigkeit angetrieben gestaltet Besson den belebten Schwarzmarkt als virtuelle Attraktion, die nur mithilfe einer speziellen Brille inmitten einer ansonsten kargen Wüste sichtbar wird, während Valerian und Laureline für ihr Missionsziel zusätzlich in eine Paralleldimension innerhalb der virtuellen Dimension eintauchen müssen und fortan wild zwischen drei verschiedenen Realitätsebenen hin und her gewirbelt werden. Besson, der seine Filme schon immer als Kino der audiovisuellen Reize und Impulse gestaltet hat, in denen einem einzelnen Bild mehr Bedeutung zugestanden wird als der Geschichte dahinter, setzt auch für dieses Werk auf sein Konzept der überbordenden Reizüberflutung.
                              War „Lucy“ zuletzt eine selbstreferentielle Rückschau auf die eigenen Action-Meisterwerken vergangener Jahrzehnte, für die der Regisseur genreinhärente Mechanismen wahlweise zitierte oder zerlegte, ist „Valerian and the City of a Thousand Planets“ eine effekttechnisch aufpolierte, zeitgemäße Variation von „The Fifth Element“. Verblüffend ist der Film immer dann, wenn Besson die eigentliche Rahmenhandlung zugunsten von episodenhaften Abweichungen außer Acht lässt und skurrile Faszination, liebevolle außerirdische Schöpfungen und erinnerungswürdigen Irrsinn auffährt.
                              Wann gab es schon zuletzt einen knapp 200 Millionen Dollar teuren Blockbuster zu sehen, in dem die Auslöschung einer ganzen Alien-Rasse unangenehme Parallelen zum Holocaust hervorruft, Cara Delevigne ihren Kopf in die hintere Öffnung einer speziellen Qualle steckt, um wertvolle Erinnerungen abzurufen, Rihanna eine gefühlt minutenlange Einlage als formwandelnde Erotiktänzerin hinlegt oder Ethan Hawke einen überdrehten, intergalaktischen Zuhälter spielt?
                              In diesen wüsten Ausfransungen eines glattgebügelten Plots scheint Bessons Fantasie keine Grenzen gesetzt, bis er sich genau diese im letzten Drittel bedauerlicherweise durch das Drehbuch doch noch selbst auferlegt. Die zentrale Auflösung gegen Ende, die sich die meisten Zuschauer schon lange vorher zusammenreimen konnten, wird in unnötig ausschweifenden Erklärungen noch einmal durchexerziert, wobei die erzählerische und visuelle Vitalität gehörig ins Stocken gerät und mit einem Showdown enttäuscht, der dem vorherigen Exzess nur schwer gerecht wird und in konventionellen Bahnen versickert.
                              So hinterlässt „Valerian and the City of a Thousand Planets“ am Ende als Gesamtwerk einen ganz ähnlichen Eindruck wie das besetzte Hauptdarsteller-Duo. Genauso wie Dane DeHaan und Cara Delevigne, die neben den mitunter fantastisch eigenwilligen Aliens jede Szene an sich reißt, in gemeinsamen Szenen ständig aneinandergeraten und dabei trotz ihrer tendenziell unsympathischen Charakterzüge auf paradoxe Weise zu harmonieren scheinen, ist der Film selbst ein Werk der vordergründigen Widersprüche, in dem sich eine wundervoll belebte, mit unzähligen staunenswerten Details versehene Welt erzählerisch manchmal einfach unnötig selbst im Weg steht. Für seinen gestalterischen Wagemut muss man Besson aber trotzdem weiterhin bewundern.

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                              • 5

                                Ähnlich wie der extrem grobkörnige 16-mm-Film, auf dem John Cassavetes seinen Film „Faces“ gedreht hat, ständig zu zerfallen droht, befindet sich auch die 14 Jahre andauernde Ehe des zentralen Paars auf dem Zenit ihres Zerfalls. In einer frühen Szene des Films sitzen der Geschäftsmann und seine Frau zusammen am Tisch und unterhalten sich, scherzen über alberne Witze und brechen minutenlang in helles Gelächter aus. Nachdem Richard und Maria anschließend noch wie frisch Verliebte in den Bettlaken toben, erscheint Richards nüchterne Aussage, eine Scheidung zu wollen, wenig später umso ernüchternder.
                                Mit diesen Szenen legt Cassavetes gewissermaßen alle seiner Karten offen auf den Tisch. Sein Film ist eine Dekonstruktion des gutbürgerlichen, dem Mittelstand angehörenden Ehelebens, das sich seit langer Zeit aufgrund von verdrängender Maskerade, schriller Übertönung ehrlicher Gefühle durch groteske Lachkaskaden und peinlich betretenes Schweigen aufgelöst hat. Nachdem das Ehepaar schließlich in die Nacht auseinanderdriftet, schildert der Regisseur zwei unterschiedliche Szenarien, bei denen sich Richard mit der Prostituierten Jeannie vergnügen will, während Maria mit ihren Freundinnen in einer Bar einen anziehenden Junggesellen mit zu sich nach Hause nimmt.
                                Von nun an hat Cassavetes seinem anfänglichen Konzept jedoch kaum noch etwas hinzuzufügen. „Faces“ ergeht sich ausgiebig in einem regelrechten Schwall aus Dialogen, bei dem sich wie schon zuvor grotesk überzogene Lachanfälle, unbeholfene Gesangseinlagen, wüste Konfrontationen und überforderte Ruhepausen miteinander abwechseln. In seinem Debütfilm „Shadows“ behauptete sich Cassavetes bereits als Schauspielregisseur, der die Profession, der er damals selbst nachging, vor allem anderen in den Vordergrund rücken wollte.
                                In „Faces“ schießt der Regisseur mit diesem Prinzip der unkontrollierten, losgelösten Schauspielführung, bei der die Darsteller das Verhalten ihrer Figuren unentwegt auf die Spitze treiben oder in schrilles Overacting verfallen, jedoch weit über das Ziel hinaus. Mit seinem zweifellos kreativen Ansatz der Inszenierung, zahlreiche Aufnahmen als Close-up zu drehen und den Gesichtern der Schauspieler so nahe wie nur möglich zu kommen, erzeugt Cassavetes oftmals ein Gefühl von ungeschützter Intimität, die schon im nächsten Moment durch unglaubwürdige, aufgesetzte Hysterie wieder zerstört wird.
                                Lediglich im Finale, wenn der Regisseur über das Verhältnis von Richard und Maria ein eindringliches Fazit zieht, für das die anstrengende Flut an Dialogen immerhin kurzzeitig verebbt, findet „Faces“ noch einmal zu jener großartigen Form, die der Auftakt versprach, aber der Teil zwischen Anfang und Ende in redundanter, stagnierender Wiederholung nie erreichen konnte.

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                                • 8

                                  Selten war ein Film, der sich mit der Thematik des Krieges und den sich darin befindenden Soldaten auseinandersetzt, so leise wie „The Messenger“. In Oren Movermans Film sind es nicht die Maschinengewehrschüsse, der Knall explodierender Bomben oder die permanente Darstellung toter Soldaten, die den Schrecken und die Sinnlosigkeit des Krieges vermitteln wollen, sondern die unterschiedlichen Reaktionen der Hinterbliebenen, denen von einem Moment auf den nächsten ein geliebter Mensch aus ihrem Leben gerissen wird.
                                  Sergeant Will Montgomery, der eben erst aus dem Irak zurückgekehrt ist, wird in den letzten drei Monaten seines Militärdienstes damit beauftragt, Captain Tony Stone bei seiner täglichen Routine zu unterstützen. Gemeinsam müssen die beiden den Angehörigen von im Krieg ums Leben gekommenen Soldaten die schwere Botschaft des Todes überbringen. Tony führt Will in diese Tätigkeit ein, als wäre es ein normaler Job, den es nach strikten Vorschriften zu erledigen gilt. Am wichtigsten sei es, keine emotionale Bindung zu den Angehörigen aufzubauen, indem neben einer genau einstudierten und aufgesagten Mitteilung vor allem darauf zu achten ist, keinerlei körperlichen Kontakt zuzulassen.
                                  Schon in der ersten Szene, in der Will und Tony gemeinsam zum ersten Mal eine dieser Benachrichtigungen überbringen müssen, scheint der strengstens auferlegte, kalte Kodex beinahe zu versagen. Trotz der gewahrten Fassung, die beide Männer durch ihre angestrengte Körperspannung aufrecht erhalten, scheint in ihnen etwas zu zersplittern, nachdem die hochschwangere Frau vor ihnen realisiert, dass ihr Ehemann sowie der Vater ihres noch ungeborenen Kindes gestorben ist. Moverman wiederholt diese Routine mehrfach über den Verlauf des Films und inszeniert die Botengänge mit unruhig wackeliger Kamera sowie völlig ohne musikalische Untermalung in meist langen Einstellungen.
                                  Es wirkt fast so, als wolle er den Zuschauer in diesen Szenen mit Will und Tony in den jeweiligen Moment einzwängen, um ihn unmittelbar daran teilhaben zu lassen, wie beide Männer regelmäßig vom Strudel der Reaktionen überwältigt werden. Von lauten Vorwürfen, panischen Trauerschreien, wütendem Bespucken bis hin zu stiller Verzweiflung und überfordertem Verständnis konfrontiert der Regisseur die Soldaten mit unterschiedlichen menschlichen Gefühlsausbrüchen und zeigt doch jeden einzelnen davon als niederschmetternde Erfahrung, die Will und Tony sichtlich an die Grenzen ihrer eigenen Kräfte bringt.
                                  Mit der Rückbesinnung auf das komplexe Wesen des Menschen im Angesicht des Unerträglichen beleuchtet „The Messenger“ gleichermaßen beide Seiten der Trauer, wobei sich Moverman neben den kaum erträglichen Einzelschicksalen der betroffenen Angehörigen ausgiebig mit dem Innenleben der beiden Hauptfiguren beschäftigt. Ben Foster und Woody Harrelson tragen das schwere Gewicht dieses Films mit gleichwertiger Schauspielbrillanz auf ihren Schultern, doch neben Foster, der die sichtbare Belastung von Will frühzeitig zum Ausbruch bringt, ist es vor allem Harrelson, der in seiner Rolle der strikt nach Vorschriften funktionierenden Maschine erst langsam sämtliche Schichten seines tragischen Charakters enthüllt und somit nachhaltig mit einer Leistung beeindruckt, die nur wenige Schauspieler mit einer so kantigen Verletzlichkeit verkörpern können wie der gebürtige Texaner.
                                  Komplett fernab des Schlachtfelds bringt Moverman einem abstrakten Grauen die Menschlichkeit zurück, indem gerade diese aufs Äußerste belastest wird. „The Messenger“ schildert den Krieg, der in jedem einzelnen stattfindet, und lässt die schmerzhaftesten Wunden zunächst unsichtbar entstehen, bis sie sich über die Seele einen Weg nach außen bahnen.

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                                  • 7

                                    [...] Als Resultat dieses aus der Spontanität geborenen Impulses strahlt Schatten eine ungezwungene, experimentierfreudige Form des Filmemachens aus, bei der die Inszenierung einige unbestreitbare Mängel offenbart, während der Blick des Zuschauers nichtsdestotrotz stets auf die szenenübergreifenden Stimmungen und detaillierten Gefühlsausbrüche gelenkt wird. Auf eine simpel zu durchschauende sowie nach klassischer Dramaturgie gestaltete Handlung verzichtet der Regisseur dabei ganz bewusst. Cassavetes gibt sich in seinem Debüt stattdessen als neugieriger Beobachter, der genauso nach aussagekräftigen Emotionen in den Gesichtern seiner Schauspieler forscht wie er geradezu nebensächliche, augenscheinlich unbedeutende Momente festhält, um beide Strömungen des inneren Umfelds der Charaktere und des äußeren Umfelds der Drehorte ineinander zu verweben. [...] Ein wesentliches Motiv der Handlung stellt dabei die afroamerikanische Herkunft der drei Geschwister dar, die nur anhand von Hughs Hautfarbe klar zu erkennen ist, während Ben und Lelia problemlos als Weiße durchgehen könnten. Cassavetes nutzt diesen Umstand nicht nur für die womöglich intensivste, beste Szene des Films, sondern lässt den eher im Hintergrund mitschwingenden Konflikt zwischen unterschiedlichen Rassen im Zelluloid der Schwarz-Weiß-Aufnahmen verblassen. Die verschiedenen Grauabstufungen des Materials werden hierdurch selbst zum geschickten Kommentar, als wolle der Regisseur alleine durch die Bilder ausdrücken, dass die eigentliche Hautfarbe der Menschen ohnehin keine besondere Rolle spielen sollte. [...] Trotz der mitunter unsauberen Schnitte, übereilt abgedrehten Aufnahmen und schlechtem, stellenweise nachsynchronisiertem Ton ist Schatten ein Manifest für die gelebte Momentaufnahme, die Cassavetes mit unerfahrenen Schauspielern heraufbeschwört und in memorablen Szenen untermauert. Der Moment, in dem Lelia einem Liebhaber, an den sie zuvor ihre Jungfräulichkeit verloren hat, noch im Bett am nächsten Morgen mitteilt, dass sie sich ihm gegenüber doch nur wie eine Fremde fühlt, brennt sich dem Zuschauer ebenso ins Gedächtnis wie die Schlüsselszene des Films, in der sie jenem Liebhaber ihre Brüder vorstellt und dieser überstürzt die Wohnung verlassen will. Der darauffolgende Konflikt steht stellvertretend für die Isolation der zentralen Charaktere, die Cassavetes noch in einigen anderen Szenen ergründet, in denen der jazzige Score erklingt und sich wie ein melancholischer Schleier über die Gemüter der Figuren legt. Erst ganz zum Schluss enthüllt der Regisseur dann noch, dass der Zuschauer eine Improvisation gesehen hat. Es darf darüber spekuliert werden, wie viel von den gedrehten Szenen und den gesprochenen Dialogen wirklich improvisiert wurde, doch selten hat der nachträgliche Eindruck eines ungeplanten, spontan entwickelten Werks rückblickend so authentische, fast schon erschreckend nah am Leben komponierte Erinnerungen entstehen lassen. [...]

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                                      [...] Die Regisseurin setzt mit ihrer Darstellung der Magersüchtigen von Beginn an auf eindringliche Bilder, für die sie Hintergründe der Erkrankung vielfältig andeutet, aber nie konkret bestimmt. Ellen kann die Kalorienzahl jeder einzelnen Mahlzeit genau aufsagen, doch eine panische Angst in ihr hindert sie daran, auch nur eines der Gerichte in sich aufzunehmen. [...] Unter der Leitung von Dr. William Beckham, dessen Behandlungsmethoden als eher unkonventionell gelten, begibt sich Ellen zunächst widerwillig in ein Wohnheim mitsamt Selbsthilfegruppe, das als eine Art letzter Rettungsanker fungieren soll. Ellens Ankunft in dem Wohnheim führt allerdings dazu, dass To the Bone als Film plötzlich zu kippen beginnt. Was zuvor recht ernsthaft begonnen und nur durch einige schwarzhumorige Kommentare seitens der Hauptfigur minimal aufgelockert wurde, wandelt sich zu einem ebenso manipulativen wie klischeehaft gestrickten Rührstück. Da sich Regisseurin und Hauptdarstellerin eigentlich so nahe an der Thematik befinden wie nur möglich, verwundert es umso mehr, dass Noxon beispielsweise nebenbei eine vorhersehbare, simpel gestrickte Liebesgeschichte inszeniert, die für den Verlauf von Ellens Schicksal emotional ebenso effektiv ist wie sie grob an der glaubwürdigen Realität vorbeischrammt. Neben gelungenen Momenten wie die Familientherapiesitzung, bei der die Regisseurin womöglich eigene Erfahrungen verarbeitet und sich auf gleichermaßen bewegende wie urkomische Weise den Spannungen innerhalb Ellens ohnehin zerrütteter Familie annähert, wirkt To the Bone als Gesamtwerk viel zu sehr auf naive Publikumsverträglichkeit getrimmt. Zwischen gefühlvollen Songs, die möglichst effektiv platziert werden, unpassend eingefügten Einschüben von Optimismus, der das schwere Leiden der Figuren ausgleichen soll und einem übereilten Ende, das auf unglaubwürdige Weise geradezu bahnbrechende Entwicklungen erzwingt, lässt sich der Film letztlich kaum noch als ernstzunehmende sowie authentische Auseinandersetzung mit einer oftmals tabuisierten Krankheit auffassen. To the Bone kommt am Ende viel mehr einer gut gemeinten, stellenweise eindringlichen, aber unnötig manipulativen sowie unglaubwürdig beschönigten Fiktion gleich, bei der eine Regisseurin, die selbst mit Magersucht zu kämpfen hatte, ihren eigenen Erfahrungen nicht gerecht werden kann. [...]

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                                        über Life

                                        Ohne sichtbare Schnitte gleitet Seamus McGarveys Kamera ebenso schwerelos wie die Figuren durch die verwinkelten Gänge der Raumstation ISS, die damit beauftragt wurde, Marsproben zu sammeln, die unter Umständen Beweise für außerirdisches Leben enthalten könnten. Was im Titel von Daniel Espinosas Science-Fiction-Horror „Life“ noch wie eine hoffnungsvolle Perspektive klingt, die sich durch den Fund eines Zellorganismus vom Mars zu bestätigen scheint, wandelt sich in rasanter Drastik zu einem Albtraum, der eben jenes titelgebende Leben vollständig auszumerzen droht.
                                        Während die Plansequenz zu Beginn noch ein Gefühl von eleganter Leichtigkeit vermittelt, dominieren im weiteren Verlauf des Films unruhige Schnitte und panische Hektik das Geschehen. Der Organismus, der von einer amerikanischen Schulklasse von der Erde aus liebevoll Calvin getauft wird, bahnt sich auf brutale Weise einen Weg aus seinem Glaskasten, indem er jeden Knochen in der Hand des Forschers zermalmt, der ihn untersuchen möchte. Nachdem sich herausstellt, dass Calvin nicht nur über erschreckende Intelligenz verfügt, sondern massiv wächst, sobald er Sauerstoff ausgesetzt ist, verkommen die Korridore und Räume der Raumstation zum klaustrophobischen Gefängnis.
                                        Espinosa und seine Drehbuchautoren Rhett Reese und Paul Wernick sind offensichtlich kaum daran interessiert, das unverkennbar an Ridley Scotts Meilenstein „Alien“ angelehnte Szenario mit erzählerisch eigenständigen Impulsen zu versehen. Jede Handlungsentwicklung, Charakterentscheidung oder verzwickte Wendung geschieht in „Life“ deshalb auf vorhersehbare Weise, während die einzelnen Charaktere beiläufiges Mittel zum Zweck bleiben und daher austauschbares Kanonenfutter abgeben müssen. Markantes Unbehagen erzeugt der Regisseur dafür auf der Ebene des grafisch expliziten Terrors, der sich über qualvoll in die Länge gezogene Sterbeszenen und elektrisierende Spannungsspitzen definiert.
                                        Trotz eines vergleichsweise moderaten Budgets von knapp 60 Millionen Dollar ist der Film optisch nicht nur ein Genuss, sondern wartet darüber hinaus noch einem Cast auf, in dem sich einige A-List-Darsteller wie Jake Gyllenhaal, Ryan Reynolds oder Rebecca Ferguson tummeln. Der interessante Zwist von „Life“ besteht aber schließlich darin, dass sich der Film einerseits audiovisuell und besetzungstechnisch wie eine edle Hochglanz-Hollywood-Produktion präsentiert, während er die Figuren wie einem dreckigen, fiesen B-Movie Höllenqualen aussetzt, auf besonders perfide Weise zum Sterben freigibt und selbst im Finale, wo sich alles beinahe zum Guten wenden sollte, noch einem zynischen Twist aussetzt.
                                        Rein inhaltlich betrachtet handelt es sich bei „Life“ oberflächlich somit nur um eine unkreative Zitateschlacht, die sich altbackenen Zutaten des Science-Fiction-Horrors bedient, welche schon vor über 30 Jahren verwendet wurden. Einen gewissen Reiz erhält Espinosas hochwertig gefertigter Film erst durch seine kantige Unvereinbarkeit von glanzvollem Hollywood-Kino und garstiger B-Movie-Schleuderware, durch die der Regisseur stellenweise effektive Momente des Terrors erzeugt, die an unvorbereiteten Zuschauern durchaus noch eine Weile nagen dürften.

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                                        • 6

                                          [...] Im Hamburger Kiez der auslaufenden 60er Jahre werden die Dinge noch selbst geregelt. Zumindest in dem St. Pauli, das Jürgen Roland (Der Grüne Bogenschütze) in seinem Film Die Engel von St. Pauli gleichermaßen schillernd wie schmutzig in Szene setzt. Der ebenfalls aus Hamburg stammende Regisseur verdeutlicht schon im Auftakt mit einer Texteinblendung, dass es bei den folgenden Ereignissen nicht darum geht, ein möglichst realitätsnahes Porträt vom Kiez und den Menschen dahinter zu zeichnen. Der Regisseur erzählt stattdessen eine Geschichte direkt von den Straßen St. Paulis, auf denen die Banden regieren und sich notfalls bis auf den Tod bekämpfen, sobald eines ihrer Reviere von der Konkurrenz bedroht wird. [...] Nach dem Drehbuch von Werner Jörg Lüddecke (Herrenpartie) und Karl Heinz Zeitler (Zwei Teufelskerle auf dem Weg ins Kloster) orientiert sich Roland deutlich am amerikanischen Gangsterfilm der damaligen Ära, wobei er genretypische Elemente mit dem schnoddrigen Lokalkolorit der Hansestadt verbindet. Die Engel von St. Pauli entwickelt sich hierdurch schnell zu einem Spektakel, bei dem die sündigen Attraktionen des Lebens auf dem Kiez deutlich in den Vordergrund gerückt werden. Private Hintergründe der Figuren werden vollkommen ausgeblendet, sobald der Regisseur den Konflikt zwischen Jules Bande und einem verfeindeten Clan aus Österreich in Stellung bringt. Hier wird Gleiches mit Gleichem vergolten, wenn Prostituierte aus ihren Zimmern geworfen, Läden in Brand gesteckt, Prügel ausgeteilt oder Menschen vor U-Bahnen geworfen werden. Dabei folgt die Handlung streng dem Prinzip von Aktion und Reaktion, indem Roland den nach und nach entstehenden Bandenkrieg als immer stärker eskalierenden Schlagabtausch inszeniert, bei dem auf beiden Seiten Opfer gelassen werden. [...] Mit der platten Darstellung von naiven, hilflosen Prostituierten oder einem homosexuellen Bandenmitglied, das den Spitznamen Schwuli erhält, lässt sich der Film, auch aufgrund von albernen Dialogen inmitten des ernsten Szenarios, ebenfalls als ironische Abrechnung mit dem eigenen Milieu deuten, in dem die krampfhaft auf Männlichkeit getrimmte Pose mitunter bis zur Lächerlichkeit ausgestellt wird. [...]

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                                            [...] Mifti will oder kann nicht erwachsen werden. Mit ihren 16 Jahren befindet sich das Mädchen so langsam auf der Schwelle zwischen einer Jugendlichen und einer Erwachsenen, doch auf dem Weg dahin stößt sie immer wieder gegen eine Wand. Nicht umsonst ist ein Teil des Titels dieses Films dem Axolotl gewidmet. Ähnlich wie der mexikanische Schwanzlurch, der sein gesamtes Leben als Larve verbringt, scheint sich auch Mifti in einem Kokon aus Frust, Trauer, Verwirrung und Aggression zu verpuppen, um sich vor den Verantwortungen eines herangereiften Daseins abzuschirmen. [...] Miftis Alltag, aus dem Elemente wie der Verlust eines Elternteils sowie die Ergründung lesbischer Gefühle sicherlich autobiographisch gefärbt sind, gleicht einem ungeordneten Exzess, den die Regisseurin bewusst mit pubertären Impulsen versieht, um die unreife Persönlichkeit der Jugendlichen an den atmosphärischen Charakter des Films anzupassen. [...] Mit ihrem Mix aus Schimpfwörtern, Anglizismen, hippen Slang-Begriffen und rotzig hingenuschelten Sprachfetzen, der die jugendliche Sprache möglichst authentisch nachstellen soll, erreicht Hegemann viel mehr den gegenteiligen Effekt. Viele Dialoge, vor allem zu Beginn des Films, wirken dadurch furchtbar aufgesetzt, gekünstelt und zu gezwungen auf modern und scharfzüngig getrimmt. Ähnlich verhält es sich mit den Figuren, bei denen die Regisseurin fast nur Extreme kennt. Neben Mifti selbst, der Hauptdarstellerin Jasna Fritzi Bauer (Barbara) die nötige Ausstrahlung zwischen unreifer Rebellin, charmanter Lolita, energischem Energiebündel und naivem Mädchen verleiht, wirken viele Nebenfiguren wie Klischees, die Hegemann zu einem möglichst kaputten, überdrehten sowie exzentrischen Porträt eines dunklen Berlins bündeln will. Dass die Regisseurin es eigentlich gar nicht nötig hat, bei den Figuren und Dialogen so dick aufzutragen, beweist sie stattdessen mit stimmigen Akzentuierungen und feinen Details, die innerhalb des chaotischen Geschehens hervorstechen. Wenn Mifti ihrer Halbschwester in einer Szene davon erzählt, dass draußen alle Menschen regungslos auf dem Boden liegen und eine Apokalypse bevorsteht, um offensichtlich nicht zur Schule gehen zu müssen, lässt Hegemann dieses Szenario zur surrealen Realität werden, wenn die Jugendliche kurz darauf an eben diesen leblosen Menschen vorbeiläuft. Genauso wie ein Pinguin, der einmal kurz durch die WG des Mädchens watschelt und in der nächsten Szene schon wieder verschwunden ist, ein junges Mädchen, das losgelöst von der eigentlichen Handlung einen Hip-Hop-Tanz vollführt oder eine Party-Montage, bei der die Regisseurin pumpende Electro-Beats gegen einen wesentlich langsameren Song eintauscht, um die Katerstimmung des darauffolgenden Morgens bereits vorwegzunehmen, sind es solche Kunstgriffe, die Axolotl Overkill kurzzeitig wunderbar unbestimmt treiben lassen, bevor die ernüchternde Realität in die etwas zu konstruierten Geschehnisse zurückkehrt. [...]

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                                              über Driver

                                              Überwiegend wortlos vollzieht der Driver sein Geschäft bei Nacht. Wer zu ihm in den Wagen steigt, ist meistens maskiert und hat Sekunden zuvor ein Verbrechen begangen, dem es jetzt zu entfliehen gilt. Der Auftakt von Walter Hills „The Driver“ zeigt die Hauptfigur, die lediglich den Titel des Films als Namen trägt, auf einer solchen Flucht in ihrem Element. Mit quietschenden Reifen verschmilzt der Driver, von mehreren Polizeifahrzeugen verfolgt, mit den Straßen von Los Angeles, auf denen sein Wagen an roten Ampeln vorbei über Verkehrskreuzungen rast, um sich durch enge Hindernisse hindurch zu schlängeln, während die blau-roten Sirenen seiner Verfolger nach und nach wie kleine Lichter von der Schwärze der Nacht verschlungen werden.
                                              Neben dem stoischen, unnahbaren Driver, der sich stets im Zentrum der Ereignisse befindet, tragen die anderen Figuren in Hills Film ebenfalls keine richtigen Namen, sondern allenfalls Bezeichnungen. Auf selbstverständliche Details wie die Namen der Figuren verzichtet der Regisseur, denn für seine Geschichte ist nicht von Bedeutung, wer sie sind, sondern nur, was sie tun. Als Crime-Thriller, in dem sich zwei Männer auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes befinden, wird „The Driver“ vom stetigen Geschwindigkeitswechsel beherrscht. Im Katz- und Mausspiel zwischen dem Driver und dem Detective werden die Rollen zwischen den beiden ständig neu verteilt, indem selten klar ist, wer der Jäger und wer der Gejagte ist.
                                              Das pulsierende Adrenalin der Verfolgungsjagden, die Hill sparsam über den gesamten Film verteilt, erzeugt eine kinetische Wucht, die im harten Kontrast zur Elegie im Leben der eigentlichen Figuren steht. Wenn sie zur Ruhe kommen, über reduzierte Dialoge miteinander in Kontakt treten oder in spärlichen Schauplätzen aufeinandertreffen, wird „The Driver“ von einem schwermütigen Existenzialismus durchzogen, der einzelne Momente schier endlos ausdehnt, Blicke wie in Stein gemeißelt erstarren lässt und den Augenblick zum eindringlichen Standbild einfriert, in dem die Inszenierung selbst über das Schicksal einzelner Akteure im Laufe von Sekunden, die wie Minuten erscheinen, verhandelt.
                                              Hill gelingt es somit, sich dem formstrengen Kosmos aus Bleifuß-Actionkino, Neo-Noir-Archetypen und mitreißenden Thriller-Höhepunkten auf eigenständige Weise zu entziehen. Mit melancholischer Poesie komponiert der Regisseur viel lieber seine ganz eigene Vorstellung einer Großstadtballade, in der es beinahe nur Verlierer gibt, nachdem kurze Begegnungen zuvor bedächtig ausgekostet und Leben übereilt beendet wurden, während wieder andere Leben ungewiss in Einsamkeit weiterhin vor sich her treiben.

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                                              • 6

                                                Mit großem Schrecken blickt die von Uschi Glas gespielte Eve durch die Scheibe eines Glaskastens auf die Gottesanbeterin, die ein Männchen fest im Klammergriff hat und langsam auffrisst. Die Kamera von Charly Steinberger hält diesen Prozess in genüsslichen Close-ups fest, damit auch jeder Zuschauer versteht, dass dieser Akt symbolisch für die Ereignisse in „Die Weibchen“ steht. Um subtile Hinweise geht es Zbynek Brynych aber ohnehin in keiner einzigen Szene. In seinem Film folgt der tschechische Regisseur lieber dem Konzept des unentwegten Effekts, welchem er mit forscher Ungestümtheit nachjagt.
                                                Der Kurort Bad Marein, an dem die überspannte Sekretärin zu Beginn des Films ankommt, versetzt Eve schnell in kuriose Paranoia, an der ein deutlicher Frauenüberschuss und das plötzliche Verschwinden durchreisender Männer sicherlich den größten Anteil tragen. Während sich die Frauen im Sanatorium von Dr. Barbara und im nahen Umkreis den Männern geradezu an den Hals werfen und mit ihnen wilde Abende verbringen, sind sie am nächsten Morgen wie vom Erdboden verschluckt. Als Eve einen der Männer mit einem Messer im Rücken auffindet, will ihr niemand glauben, dass sich in Bad Marein eine männermordende Brutstätte des Wahnsinns verbirgt. Die Chefärztin bescheinigt der jungen Frau stattdessen, traumatische Erinnerungen einer früheren Vergewaltigung auf ihr Umfeld zu projizieren, wodurch alles nur Eves Vorstellungskraft entspringt.
                                                Mit seiner Mischung aus kannibalistischer Feminismus-Phantasie, alberner Sexklamotte und paranoidem Delirium trifft Brynych nie den richtigen Ton, wobei es fraglich ist, ob der Regisseur das jemals beabsichtigte. Wenn eine Schar von Frauen dabei gezeigt wird, wie sie ihre BHs ins Feuer werfen und dem „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“ die Treue schwören, während das vermeintlich stärkere Geschlecht in Form von alkoholabhängigen Kommissaren und treudoofen Gärtnern auftritt oder als Gruppe lüsterner Machos durch die Kreissäge geschoben wird, ist „Die Weibchen“ als emanzipatorischer Amoklauf ebenso heillos außer Kontrolle geraten wie reich an platten Stereotypen auf beiden Geschlechterseiten.
                                                Mitten im Geschehen befindet sich dabei stets Steinbergers Kamera, die das maßlose Treiben nicht nur in rasenden Bildern einfängt, sondern in unaufhörlicher Bewegung an den Rand des Nervenzusammenbruchs führt, ähnlich wie die Frauen in Dr. Barbaras Sanatorium. Als wilder Pop-Art-Rausch, der in den 70ern kläglich unterging und geradezu danach schreit, in all seiner psychedelischen Farbpracht, extravaganten Ausuferung und grenzdebilen Bekloppthet noch einmal ausgegraben zu werden, ist „Die Weibchen“ eher ein entdeckenswertes Fiasko als ein vollwertiger Film, was auch immer sich darunter verstehen lässt. Selbst im Scheitern findet Brynych aber noch genügend schillernde Einzelmomente, die das ansonsten verirrte Chaos überstrahlen.

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                                                • 6 .5

                                                  [...] Die Kamera, die sich zuvor gemeinsam mit Lisa und Kate unter Wasser begeben hat, wird diese Perspektive beinahe den gesamten Rest des Films nicht mehr verlassen. Neben dem Käfig, in dem sich die Schwestern befinden und der sie nur durch Gitterstäbe von einem potentiellen Haiangriff trennt, wird der von vollständiger Stille durchzogene Meeresboden plötzlich selbst zum todbringenden Gefängnis. Auf kurzweilige 89 Minuten verdichtet, von denen gut 69 Minuten unter Wasser verbracht werden, verbindet Roberts die überwiegend unsichtbare Bedrohung durch die oftmals als Herrscher der Meere bezeichnete Tiere, Sauerstoffknappheit aufgrund begrenzter Kapazität und verzweifelte Versuche, eine Verbindung zu Rettungskräften aufzubauen, zu effektiven Spannungsmomenten. Das teilweise mit CGI aufpolierte Szenario entwickelt sich für den Zuschauer in den besten Szenen zum schweißtreibenden Nägelkauer, bei dem das Schicksal der beiden Frauen oftmals wortwörtlich am seidenen Faden hängt und das Leben nur Sekunden vom Tod getrennt wird. Dass die Logik hierfür gelegentlich überstrapaziert wird und nicht jede Entwicklung einwandfrei nachvollziehbar ist, sind die Mängel, mit denen ein auf pure Zuspitzung ausgelegter Survival-Thriller wie 47 Meters Down oftmals begleitet wird. Mit beachtlicher Boshaftigkeit ist dafür der Schlussakt inszeniert, in dem der Regisseur das Geschehen noch einmal gehörig auf den Kopf stellt und kühn zwischen konsequenter Tragik und fieser Manipulation pendelt. [...]

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                                                  • 5

                                                    [...] Sobald der mit überspitzter Theatralik in Szene gesetzte Magier namens Montag sein Publikum über die Natur von Zauberkünstlern belehrt und anführt, dass diese jegliche Logik auf den Kopf stellen und die Zuschauer daran zweifeln lassen, sich überhaupt in der Realität zu befinden, ist dieser Eröffnungsmonolog gleichzeitig ein Meta-Kommentar des Regisseurs über seine eigene Art des Filmemachens. The Wizard of Gore ist an realistischen Begebenheiten sowie klar nachvollziehbaren Strukturen kaum interessiert. Lewis konzentriert sich viel mehr auf die Bühnenvorführungen des diabolischen Magiers, in denen Sensationsgier, blutiges Spektakel und unerklärliche Illusionen regieren. Auch wenn der Handlungsverlauf des Streifens schon nach kurzer Zeit in höchst repetitive Muster verfällt, indem der Regisseur die einzeln verstreuten Splatter- und Gore-Setpieces regelrecht bemüht mit sinnlosen Ermittlungsabschnitten zusammenkittet, stellen die Zauberkunststücke des Magiers das pechschwarze Herz dar. In ihnen vereint Lewis seine Vorliebe für das Innere von Körpern, in die er sich mithilfe von handgemachter Effektarbeit sticht, bohrt oder sägt, während die zeremoniell anmutenden Aufführungen für Außenstehende wie geschickt getarnte Tricks wirken. Der Regisseur schneidet zwischen expliziter Gewalt und harmloser Täuschung hin und her, während das eigentliche Opfer erst später zu Tode kommt, nachdem es den Raum längst verlassen hat. Bezüglich Spannungsaufbau, Figurenzeichnung und handwerklicher Stringenz erweist sich The Wizard of Gore ebenso als misslungen wie als wirklich mitreißender Horrorfilm, da Lewis die Abläufe und Auswirkungen der brutalen Mordszenen frühzeitig offenbart und anschließend nur noch wiederholt. Reize gewinnt der Film lediglich durch die eigens etablierte Traumlogik, mit der sich der Regisseur zumindest bis zu einem Finale vorarbeitet, das schlussendlich noch einmal mit gehörigem Irrsinn aufwartet und das Werk angenehm versponnen abrundet. Einem Publikum, das Horrorfilme grundsätzlich auf handwerkliche Mindeststandards, extreme Schauwerte sowie mitreißende Mechanismen abklopft, dürfte dieser Film hingegen vollständig verschlossen bleiben. [...]

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