Patrick Reinbott - Kommentare
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Alle Kommentare von Patrick Reinbott
An gängigen Sehgewohnheiten, die man als Zuschauer mit einer großen Allgemeinheit des deutschen Kinos verbindet, prallt Jakob Lass‘ Langfilmdebüt „Frontalwatte“ mit gleichermaßen irritierender wie vergnüglicher Andersartigkeit ab. Gedreht nach dem FOGMA-Regelwerk, das der Regisseur noch während seines Studiums an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf mitbegründete, wird der Streifen von einer eigentümlichen Energie angetrieben, die sich sowohl aus dickköpfigem Trotz gegen angestaubte Standards als auch aus purer Freude am Brechen von Erwartungen und Vorschriften heraus entwickelt.
Die Idee, konkrete Drehbücher zu verwerfen und lieber mit einem sogenannten dramaturgischen Skelett zu arbeiten, das meist nur ein paar Seiten umfasst sowie keine festen Dialoge enthält, ist nicht neu und hat im amerikanischen Independent-Sektor durch die Mumblecore-Bewegung in den letzten Jahren einen erheblichen Aufschwung erhalten. Deutsche, hungrige Regisseure wie Lass, sein Bruder Tom oder Axel Ranisch nehmen sich dieses Prinzip der künstlerischen Freiheit und spontanen Improvisation zum Vorbild und versetzen dem Deutschen Kino so ebenfalls einen Stoß, der wichtige Wellen in Bewegung setzt.
Auch „Frontalwatte“ ist ein solcher Film, in dessen recht kurzen 77 Minuten kaum etwas von erwähnenswerter Bedeutung geschieht, obwohl sich die darin gezeigten Figuren ständig vorwärts bewegen, ohne zu wissen, wo sie ankommen sollen. Franz schreibt Gedichte, obwohl er kein wirkliches Talent dafür besitzt, begibt sich auf eine Wohnungsbesichtigung nach der anderen, obwohl er kein Geld hat, um sich eine von ihnen zu leisten und unterzieht sich aufgrund seines Sprachfehlers einer Kieferoperation, obwohl ihm vorsichtig davon abgeraten wird.
Im Verhalten von Franz beobachtet Lass genauso wie bei Anastasia, die scheinbar obdachlos von Wohnung zu Wohnung läuft, um auf einer Couch schlafen zu können, oder Adrian, der mit seinem eingeschlagenen Lebensweg unzufrieden ist und Probleme gleichzeitig bei der eigenen Mutter ablädt, schlichte Banalitäten, denen er aneinandergereiht fremdartige Qualitäten verleiht.
In „Frontalwatte“ gerät das Gewöhnliche zum Aufsehenerregenden, auch weil der Regisseur die Ästhetik seines Werks streng an der Realität anlehnt. Mit möglichst schmucklosen Einstellungen, ohne auffällige Musik und mit Schauspielern, die ihre Sätze manchmal derart hanebüchen, überraschend oder unpassend äußern, schiebt Lass den Film in eine unebene Nische zwischen dokumentarischer Sprödheit und experimentellem Knistern.
Manche Handlungsstränge, sofern man sie überhaupt als solche bezeichnen kann, lässt der Regisseur dabei bewusst ins Leere laufen oder abrupt abbrechen. In „Frontalwatte“ regiert viel mehr die Unbeschwertheit des flüchtigen Moments und die Gewissheit über das Lebendige, welches Normen, Grenzen und Logik beharrlich überflügelt. An den Ecken und Kanten, die Lass durch sein freigeistiges Konzept dabei zwangsläufig hinterlässt, kann man sich sicherlich schneiden, doch es ist ein lohnenswertes Risiko, voll mit unperfekter Menschlichkeit und widersprüchlichen Reizen.
Sein bestelltes Essen in Windeseile serviert zu bekommen ist ein bequemer Komfort, der heutzutage rund um den gesamten Globus längst zum Standard geworden ist. Der Begriff „Fast Food“ dürfte den meisten Menschen bereits von Kindesalter an geläufig sein, da die meisten dieser Restaurantketten auf das familiäre Erlebnis aus sind, für das selbst den Kleinsten Verlockungen wie Spielzeug als Beigabe zum Menü geboten werden.
In den USA der 50er Jahre staunt der recht erfolglose Handelsvertreter Ray Kroc dagegen nicht schlecht, als ihm seine Bestellung von einem Hamburger, Pommes und Cola nach nur wenigen Sekunden in einer Papiertüte und einem Pappbecher vor die Nase gestellt wird. Im Geschäft von Dick und Mac McDonald wittert er eine geniale Erfolgsidee, die Amerika so noch nie erlebt hat. Gemeinsam mit den Brüdern will Kroc alles daran setzen, um aus dem einzelnen Laden ein nationales Franchise zu machen.
Dass sein Vorhaben glorreiche Realität geworden ist und McDonald‘s neben Burger King zum vermutlich bekanntesten Fast-Food-Giganten überhaupt gemacht hat, ist hinreichend bekannt. Der Weg dahin ist allerdings einer, der viele überraschen dürfte und von Regisseur John Lee Hancock in „The Founder“ auf hinreißend schizophrene Art geschildert wird. Wenn Dick und Mac dem überaus interessierten Kroc bei einem ersten gemeinsamen Abendessen von der Idee bis zur Entstehung ihres gemeinsamen Burgerladens erzählen, kommt man als Zuschauer genauso wie die Hauptfigur nicht daran vorbei, eine gewisse Faszination für die ideenreiche Leidenschaft der Brüder zu entwickeln.
Hancock inszeniert das raffinierte und gleichwohl geradezu schlichte Konzept hinter McDonald’s anfangs mit einer ansteckenden Prise Kinomagie. Sicherlich dürften all diejenigen, die auch nur ansatzweise Wert auf bewusste Ernährung legen, Zeit ihres Lebens einen großen Bogen um den Fast-Food-Riesen machen. Wenn der Regisseur das brutzelnde Geräusch der gebratenen Fleischscheiben sowie das Belegen der Brötchen mit sorgfältig festgelegten Zutaten als ebenso effizient wie liebevoll getaktete Symphonie der Bewegungen zeigt, welche von den Brüdern zuvor auf einem Tennisplatz mit Kreide entworfen und explizit durchgeprobt wurde, ist der erste verführerische Grundstein gelegt, durch den „The Founder“ sein trügerisches Netz auswirft.
Durch das zügige Tempo, die vergleichsweise hohe Anzahl an Schnitten und einen glänzend aufgelegten Michael Keaton, der Kroc mit ruhelosem Ehrgeiz und getriebener Versessenheit nach den Idealen des amerikanischen Traums jagen lässt, gelingt dem Regisseur schließlich ein Wandel innerhalb der vermeintlichen Erfolgsgeschichte, welcher in seiner fast schon bösartigen Ernüchterung umso überraschender angeschlichen kommt.
Plötzlich rücken sprunghafte Verhandlungen, langfristige Prozesse und komplexe Verwicklungen in den Mittelpunkt der Handlung, während Dick und Mac, die sich von Kroc vorab vertraglich zusichern ließen, dass sie alleinig über sämtliche Entscheidungen abstimmen können, die das Geschäft betreffen, nur noch in wenigen Szenen zu sehen sind. Hancocks Film rückt sie ebenso abrupt zur Seite wie sie von der Realität aus ihrem eigenen Lebenstraum gerückt wurden. Spätestens im letzten Drittel entwickelt sich „The Founder“ so zur bitteren Studie über die skrupellosen, eiskalten Mechanismen eines auf Kapitalismus ausgerichteten Wirtschaftssystems.
Kroc, der aufgrund seines vorangegangen Misserfolgs gewissermaßen als Sympathieträger dienen sollte, entwickelt sich zur erbarmungslosen Bestie, die ihren Konkurrenten einen Wasserschlauch in den Mund stopfen würde, sobald sie einen von ihnen beim Ertrinken beobachten würde. In einer finalen Texteinblendung klingt die Tatsache, dass McDonald’s heutzutage 1% der gesamten Weltbevölkerung ernährt, wie ein Triumph, den es zu feiern gilt.
Nach „The Founder“, den man zu Beginn fälschlicherweise und trotzdem nachvollziehbar als strahlenden Werbefilm verwechseln könnte, bleibt von McDonald’s allerdings kaum mehr in Erinnerung als ein Konstrukt, dessen Erfolg sich vor allem aufgrund der typisch amerikanischen Eingängigkeit des Namens erklären lässt, zwei Brüder, die das Fundament ihrer Existenz und damit irgendwo auch sich selbst für ein Stück Papier verraten mussten und ein Mann, dessen Wunsch, echte Milch in Milkshakes durch ein künstliches Pulver zu ersetzen, mehr als genug über ihn aussagt.
[...] Fatih Akin (Im Juli) enthüllt seine Figuren zunächst eher widerwillig und hält vor allem Cahit lange im dunklen Käfig seiner eigenen Existenz gefangen, aus dem sich dieser nur noch durch regelmäßige Wutausbrüche und körperliche Extremsituationen kurzzeitig befreien kann. Generell wird die behutsam aufkeimende Liebe zwischen den Hauptfiguren in Akins Film von einer geradezu zwanghaften Körperlichkeit getragen, die sich über andere Eigenschaften wie das zwischen Deutsch und Türkisch wechselnde Sprachverhältnis in exzessiver Manier hinwegsetzt. Die Besetzung von Sibel Kekilli (Game of Thrones) wirkt in diesem Zusammenhang wie ein glücklicher Schachzug. Der ungünstige Umstand, dass der große Erfolg ihrer schauspielerischen Leistung nach der Veröffentlichung des Streifens gleichzeitig ihr Mitwirken in Pornofilmen in eine breite Diskussion rückte, unterstreicht Kekillis besondere Präsenz nur noch umso stärker. Die Schauspielerin erschließt sich ihre Rolle, die vermutlich nicht rein zufällig den gleichen Namen wie sie selbst trägt, durch einen Taumel an Gefühlen, die ganz eng mit ihren Bewegungen verknüpft sind. Sibel will leben, tanzen, ficken und Kekilli ist es, die dieser Mischung aus unverblümten Äußerungen, energiegeladener Offenheit und unterdrücktem Tatendrang ein empfindsames Wesen verleiht, unter dem tiefe Sehnsüchte und Unsicherheiten verborgen liegen. Im Zusammenspiel mit Birol Ünel (Soul Kitchen), der wie ein Rockstar ohne jeglichen musikalischen Bezug von Alkohol und Kokain betäubt durch seinen sinnentleerten Alltag wankt, um auf Kommando wie ein Vulkan zu explodieren, führt der Regisseur das ungleich wirkende Duo auf einen Pfad zueinander, der die Gefühlswelten von beiden gehörig durchschüttelt. Cahits frisch erlangte Euphorie erschöpft sich jedoch nicht im aufgekratzten Zerschlagens eines Glases, in dessen Scherben er seine Hand reibt. Auf konsequent unvermeidliche Weise führt Akin die frisch erblühende Liebe zwischen der Schönen und dem Harten schließlich zu einem schmerzhaft-tragischen Höhepunkt. Nach einem radikalen Wechsel der Figurenbeziehungen und des Schauplatzes treibt die Handlung unaufhörlich weiter in Richtung Abgrund. Dabei ist es fast schon zu viel des Guten, mit was für einer Gnadenlosigkeit der Regisseur den Zwischenraum in Cahits und Sibels Verhältnis beleuchtet. Der bringt für beide schließlich die niederschmetternde Gewissheit, dass sie wohl füreinander bestimmt sind und trotzdem niemals zusammen sein können, ohne dass sie dort enden, wo sie sich am Anfang des Films befanden. Doch zuvor findet sie Gegen die Wand immer wieder, die kurzen Momente des Glücks, den Hoffnungsschimmer, der die Dunkelheit erhellt und die Bestätigung, dass die wenigen Augenblicke kurzer Zweisamkeit Kraft für ein ganzes Leben hervorbringen können. [...]
Die Bezeichnung des Films, der die Zeit überdauert und auch Jahrzehnte nach seiner Entstehung nichts an aktueller Relevanz verloren hat, trifft wohl auf wenige Filme so sehr zu wie auf Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“. Sein Blick auf die deutsche Bundesrepublik, der ausgestorbene Straßen und triste Häuserfassaden freilegt, wird nur noch von den Abgründen überschattet, die der Regisseur dahinter zum Vorschein bringt.
Nichts davon geht allerdings zunächst von der herzensguten, älteren Witwe Emmi aus, die bei strömendem Regen in einer ausländische Bar Zuflucht sucht. Den fremdsprachigen Klängen begegnet sie mit aufgeschlossener Neugierde und doch sitzt sie alleine an ihrem großen Tisch, nachdem sie unentschlossen eine Cola bestellt. Als sie der Marokkaner Ali nach Aufforderung der jüngeren Frauen auf der anderen Seite der Bar mit gebrochenem Deutsch zu einem Tanz bittet, kündigt sich nach und nach eine, dem Altersunterschied sowie der verschiedenen Herkunft geschuldet, ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen der um die 60 Jahre alten Putzfrau und dem gut 20 Jahre jüngeren Gastarbeiter an.
Es ist eine Liebesgeschichte, die Fassbinder den äußeren Einflüssen einer Gesellschaft aussetzt, in der stumpfer Rassismus, massive Vorurteile und harsche Reaktionen über Rationalität, Toleranz und Empathie regieren. Anstatt den subtilen Weg zu gehen, bedient sich der Regisseur extremer Klischees und Stereotypen, mit denen er ein Porträt des blanken Irrsinns zeichnet. Aus Emmis Arbeitskolleginnen und anderen Bewohnern des Hauses, dem Kiosk-Besitzer um die Ecke und ihren eigenen Kindern bricht die unreflektierte, schlecht informierte sowie grundlegend verankerte Ablehnung gegenüber allem Fremden in einer ungestümen, direkten Art heraus, dass sich „Angst essen Seele auf“ in der ersten Hälfte fast wie eine Anhäufung parodistischer Überhöhungen anfühlt.
Fassbinders besonderes Geschick für alltägliche Beobachtungen und nachvollziehbare Verhaltensweisen sorgt in Verbindung mit den stark überspitzten Figuren hingegen für einen seltsam anmutenden Effekt, durch den der Regisseur unbequeme Wahrheiten sowie haarsträubende Absurditäten in direkten Einklang zueinander bringt. In dieser satirisch verzerrten und doch vertraut wirkenden Realität scheint das aufrichtige Verhältnis zwischen Emmi und Ali die alleinige Konstante zu sein, die diesem Strudel aus Abneigung und Ablehnung trotzen kann.
Endgültig vor den Kopf stößt der Regisseur allerdings mit einer zweiten Hälfte, die sich nach einem markerschütternden, emotionalen Zusammenbruch von Emmi tonal deutlich vom vorherigen Geschehen unterscheidet. Der offen ausgesprochene Rassismus weicht gespielten Gesten sowie aufgesetzten Vortäuschungen und hat sich doch längst in das Eheleben von Emmi und Ali eingeschlichen. Fassbinder stellt vorher aufgeworfene Sympathien in Frage und unterzieht seine beiden Hauptfiguren einer schweren Probe, bei der Ali mehr und mehr zum selbstlosen Spielball verkommt, der sich nach Zärtlichkeit und Verständnis sehnt, notfalls auch bei einer anderen Frau, während Emmi ihn herumreicht wie eine Trophäe und den Menschen dahinter völlig aus den Augen verliert.
Die mangelnde Fähigkeit zur einfühlsamen Kommunikation und die Notwendigkeit eines gegenseitigen Verständnisses sucht der Regisseur in einem Finale, in dem er das von Erschütterungen gezeichnete Liebespaar wie schon zu Beginn des Films erneut zum Tanz bittet, nach dem auf tragische Weise offen bleibt, inwiefern Fassbinder optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft von Emmi und Ali blickt. Ob es für die Bundesrepublik des Regisseurs noch Hoffnung gibt, hat sich unterdessen durch den Lauf der Zeit bereits von selbst beantwortet.
Schöner Artikel zu einer Serie, die ich schon seit der ersten Season genauso vergöttere wie du. Mir geht es da wie dir und ich bemerke immer wieder, dass mich jährlich nur eine Handvoll Filme ähnlich bewegen können wie "The Leftovers". Versuche auch ständig im Freundes- und Bekanntenkreis, die Serie zu umschwärmen und bekannter zu machen.
Der Auftakt von Season 3 war wieder großartig ("He thinks the New Testament's getting old" ♥), nur noch 7 Folgen, dann dürfte "The Leftovers" nach "Twin Peaks" für mich persönlich endgültig die beste Serie aller Zeiten sein.
Ein komplett leerer Frühstücksraum und eine menschenleere Hotellobby, ausgestorben wirkende Straßenzüge und verlassene Häuser lassen den Island-Urlaub von Jenai und Riley eines Morgens nach dem Erwachen zum Ort der weitreichenden Stille und Einsamkeit werden. Nachdem der Blick auf eine Nachrichtenseite im Netz verrät, dass seit dem Vortag keinerlei neue Nachrichten mehr aktualisiert wurden und auch der Versuch einer Kontaktaufnahme zur eigenen Familie in der Heimat ohne Erfolg bleibt, wird dem amerikanischen Pärchen umgehend bewusst, dass sie vermutlich die einzigen verbliebenen Menschen auf dem Planeten Erde sind.
Für ihr gemeinsames Regiedebüt widmen sich Geoffrey Orthwein und Andrew Sullivan dem gerne verwendeten Thema einer möglichen Apokalypse und verpassen ihrem Szenario den Anstrich eines ruhigen Independent-Dramas. In „Bokeh“ werden die Hauptfiguren im Angesicht einer Welt ohne weitere Mitmenschen zu einer Art modernen Adam und Eva, die als Liebespaar durch ein verlorenes Paradies wandeln. Wenn Jenai und Riley in Supermärkten ganze Einkaufswägen mit Lebensmitteln beladen und sich inmitten der wundervollen Naturlandschaft Islands einander hingeben, entblättert die ungewöhnliche Situation für beide eine neu gewonnene Form von Freiheit und Möglichkeiten.
Riley ist es, der mit Neugier und Optimismus nach vorne blickt und vorschlägt, ein eigenes, kleines Reich zu errichten, in dem das Paar völlig für sich ist, während Jenai zunehmend an dem Gedanken zerbricht, den Rest ihres Lebens fernab ihrer gewohnten Heimat und in Ungewissheit darüber zu verbringen, ob es nicht vielleicht doch noch irgendwo andere Menschen gibt.
Orthwein und Sullivan setzen ihre Figuren authentischen Problemen und Sorgen aus, indem sich das Paar fortwährend um Wasser, Nahrung und Strom Gedanken machen muss. Eine Diskussion darüber, in welcher Reihenfolge die Joghurts im Kühlschrank nach ihrem Haltbarkeitsdatum gegessen werden sollen, dient den Regisseuren beispielsweise als Aufhänger, um eine Streitsituation zu entfachen, die der ansonsten zärtlichen, einfühlsamen Beziehung langsame Risse verleiht.
Der unerklärliche Umstand einer menschenleeren Welt sorgt schließlich dafür, dass Riley und Jenai vor allem auf sich selbst zurückgeworfen werden. Mit berührenden Momentaufnahmen verweigert „Bokeh“ den Blick auf das große Ganze, vermeidet Hysterie und Chaos und lenkt die Aufmerksamkeit stattdessen auf das verletzliche, belastete Innere seiner Figuren. Orthwein und Sullivan lassen ihren Film von Szene zu Szene in einzelne Stimmungsbilder kippen. Dabei kreieren sie wuchtige Kontraste zwischen der majestätischen Schönheit des Schauplatzes Island, dessen natürliche Idylle im Zusammenhang mit der seelenruhigen Atmosphäre eine noch stärkere hypnotische Faszination erlangt, und der deprimierenden Isolation eines Daseins ohne zwischenmenschliche Kontakte fernab des eigenen Partners.
Durch die Abwesenheit eines logischen Spannungsbogens schöpft der Streifen seine intensive Kraft viel mehr aus einzelnen Blicken, die sehnsüchtig in die Ferne schweifen, erwartungsvoll auf das Gegenüber fallen oder schmerzerfüllt ins Leere verlaufen, kurzen Brüchen in der Stimme, welche die gewahrte Fassung zum Einsturz bringen sowie aufrührenden Verzweiflungstaten, denen implodierende Gefühlswelten vorausgehen.
So wie der titelgebende Bokeh-Effekt, der für die Qualität von Unschärfe in Fotos verwendet wird, begibt sich auch dieser Film auf die Suche nach Schönheit im Zentrum verschwommener Verwirrung, an äußeren Orten des Zerfalls sowie inneren Orten der Zerstreuung. Was er dabei findet, bleibt je nach Betrachtungsweise und Blickwinkel im betörenden Schwebezustand der Unklarheit.
[...] Beginnt der Streifen noch recht vielversprechend und vor allem mit visuell auffällig schön gefilmten Einzelszenen, entpuppt sich das nonlineare Erzählprinzip von Smith mit Beginn des alternativen Handlungsstrangs als inkonsequentes, schlecht durchdachtes Gimmick. Die Vorahnung des einigermaßen genreaffinen Zuschauers, dass beide Geschichten einen düsteren Verlauf nehmen werden, bei dem ungeplante Zwischenfälle sowie brutale Überraschungen jeweils nicht lange auf sich warten lassen, bestätigt der Regisseur auf denkbar unoriginelle Weise. Für Detour, dessen Titel an einen gleichnamigen Film aus dem Jahr 1945 angelehnt ist und diesen auch konkret referenziert, hat sich Smith deutlich vom Film Noir inspirieren lassen. Seine Version eines ausgelassenen Neo-Noir, welcher in gefühlt jeder zweiten Einstellung um ein formschönes Bild bemüht ist, leidet hingegen unter den schwachen Figuren, die in ihrer schlichten Erfüllung angestaubter Archetypen eher unbeholfenen Karikaturen entsprechen. Tye Sheridan (Mud) muss sich als Harper dabei ebenso eingeschränkt in der Rolle des überforderten Sympathieträgers einfinden wie Bel Powley (Carrie Pilby), die als hilflose Stripperin fast schon schmerzhaft verheizt wird. Abgerundet wird das Trio der müden Abziehbilder von Emory Cohen (The Place Beyond the Pines), dessen harte Sprüche und zwanghafte Macho-Allüren schon nach wenigen Szenen ermüden. Fatal wird es hingegen im letzten Drittel des Films, in dem der Regisseur sein clever angedachtes Gimmick zugunsten von mindestens drei Wendungen fallen lässt und förmlich verrät. Detour verkommt so gegen Ende zu einem Film, der seinem Publikum immer möglichst zwei Schritte voraus sein will, obwohl er dem eigenen Potential mehr als zwei Schritte hinterherhinkt. [...]
[...] Mit seiner Thematik bohrt Bonello den Finger in eine der schmerzhaftesten Wunden des aktuellen Zeitgeschehens und begibt sich außerdem an einen Schauplatz, der aufgrund seiner Nähe zu realen Anschlägen wie von selbst zu alarmierenden Schutzmechanismen führt. Indem er unentwegt lauernde Paranoia, bedrohliche Warnzeichen und auffälliges Verhalten jedoch auf ein minimalistisches Mindestmaß zurückschraubt, setzt der Regisseur eine provokativ entschleunigte Symphonie aus glänzend gefilmten Einzelszenen in Gang, die unaufhaltsam und doch mit quälender Gewissheit auf einen unvermeidlichen Höhepunkt zusteuert. An konkreten Motiven sowie umfassender Charakterisierung mangelt es dem Film dabei ganz bewusst. Bonello verleiht seinen Figuren klare Gesichter verhältnismäßiger junger Menschen, doch was sich hinter diesen befindet, lässt sich trotz vereinzelter Ausdrücke nur deuten und nie mit Gewissheit festlegen. Mit distanzierter Eiseskälte formt er die unscheinbaren Frauen und Männer, die auf der Schwelle zwischen naivem, unsicheren Leichtsinn eines jugendlichen Heranreifens und einer festen Entschlossenheit der Erwachsenenwelt stehen, zu gefährlichen Attentätern. Die wenigen Worte, die von den Protagonisten mit einer scheuen Zurückhaltung ausgesprochen werden, als geschähe dies unter Zwang, führen in diesem Zusammenhang zu einer bisweilen verstörenden Stille, die selbst nach der Explosion der Bomben erschreckend schnell zurückkehrt. In der zweiten Hälfte treibt der Regisseur sein dramaturgisch ohnehin unkonventionelles Werk noch weiter in eine nach innen gekehrte Richtung, wenn sich die Gruppe nach dem erfolgten Anschlag in einem verlassenen Kaufhaus einquartiert. Wo sich George A. Romero (Die Nacht der lebenden Toten) in seinem stilbildenden Horror-Klassiker Zombie - Dawn of the Dead aus dem Jahr 1978 noch dazu hinreißen ließ, die isolierte Menschheit auf ihr zombifiziertes, konsumgieriges Ebenbild prallen zu lassen, werden die jungen Erwachsenen in Nocturama mit dem konfrontiert, was ihr glattes, oberflächliches Erscheinungsbild am treffendsten widerspiegelt. Zwischen leblosen Schaufensterpuppen, luxuriösen Gegenständen, leeren Betten, gemütlichen Sofas und delikaten Lebensmitteln versinken die Gruppenmitglieder in ihrer eigenen Leere. Die aufkeimende Ungewissheit über die Folgen ihrer Tat vermischt sich zunehmend mit dem dumpfen Gefühl der Verwirrung über die eigentliche Motivation, wobei Bonello surreale Halluzinationen, moderne Hits, irrationales Handeln und betretenes Schweigen nutzt, um inmitten des weitestgehend ruhigen Szenarios eine ganz eigene Form des apokalyptischen Wahns zu entfachen. Wenn das Echo von Songs wie Willow Smiths (Madagascar 2) Whip My Hair oder Chief Keefs I Don’t Like durch die Gänge hallt, scheint der Film unlängst einen direkten Abstecher in die sinnentleerte, von äußeren Stimulanzen zerfressene Psyche der Figuren unternommen zu haben, die im grandiosen Finale zur gnadenlosen Erschütterung gebracht wird. Wie in einer Endlosschleife spult der Regisseur drastische Momente wieder und wieder aus einer neuen Perspektive ab, bis nichts übrig bleibt als verzweifelte Hilferufe sowie alles verschlingende Flammen in den Tiefen des Seeleninfernos. [...]
Genres, Stilmittel, Verweise, Bezüge und Verknüpfungen sind für Olivier Assayas Begriffe, die der französische Regisseur ebenso ernst nimmt wie er sie aufbricht, miteinander kombiniert oder bewusst ins Leere laufen lässt, um sich etwas völlig Eigenes zu erschaffen.
In „Personal Shopper“ erzählt Assayas die Geschichte von Maureen, die als eine Art Assistentin in Paris für ihre prominente Chefin Kleidung oder Schmuck besorgt, wofür sie schon mal eine Zugreise nach London antritt, nur um ein paar maßgeschneiderte Kleider abzuholen. Daneben ist Maureen laut eigener Aussage aber auch ein Medium, das die Präsenz von Geistern wahrnehmen kann. Ihre Fähigkeit will sie in Paris nutzen, um mit ihrem verstorbenen Zwillingsbruder Lewis in Kontakt zu treten, der an der gleichen, seltenen Herzerkrankung litt, die auch Maureen in einen ungewissen Zustand zwischen Leben und Tod versetzt.
„Personal Shopper“ ist Charakterdrama, Identitätskrise, Studie einer durch Trauer gelähmten Persönlichkeit, ein Thriller, der sich moderner Technologien bedient und ein schauriger Horrorfilm, der in dunklen Räumlichkeiten weitläufiger Gebäude das Grauen der Ungewissheit zu Tage befördert und doch zugleich auch nichts davon so richtig. Selten wurde man im Kino in letzter Zeit Zeuge davon, dass ein Regisseur derart souverän und spektakulär mit Versatzstücken jongliert wie Assayas. In seiner wundervollen Vereinigung von genrebewusster Paranormalität und zerbrechlicher Arthouse-Sensibilität dürfen Ektoplasma kotzende Geistererscheinungen, Kleideranprobe sowie anschließende Masturbation zu den Klängen von Marlene Dietrichs Stimme und ein Stalking-Katz-und-Maus-Spiel per Kurznachrichten auf dem iPhone zu einem verblüffenden Ganzen verschmelzen.
Das letztgenannte Handlungselement erweist sich hierbei als absolutes Schlüsselerlebnis für die schauspielerische Meisterleistung von Hauptdarstellerin Kristen Stewart. Wie ihr über die Tastatur des Smartphones zuckender, zitternder Daumen alleine von den gesamten Spannungen und Sorgen ihrer Figur erzählt, ist nur ein kleines Detail einer überwältigenden, elektrisierenden Performance, die Stewart endgültig zu einer der besten Schauspielerinnen ihrer Generation macht. Sie spielt Maureen als verloren durch die Gegend treibende Trauernde und ihr unbedingtes Bestreben, eine Verbindung zu ihrem verstorbenen Bruder aufzubauen und sich somit konstant an die Welt der Geister und Toten anbinden zu wollen, macht aus ihr eine zerrissene Erscheinung.
Die unterschiedlichen Anflüge rasch wieder verworfener Genre-Markenzeichen wie Gläser, die von unsichtbarer Hand durch die Luft gehoben werden oder ein blutiger Mord, der gänzlich unspektakulär und überraschend schnell wieder aus der Handlung geschummelt wird, wirken dabei letztendlich nur wie kurze Wachrüttler. Durch sie soll Maureen daran erinnert werden, was für unmöglich erscheinende, aufregende Dinge das Leben für sie bereithalten kann, dem sie die meiste Zeit über versucht aus dem Weg zu gehen.
Aus einer Obsession mit dem Jenseits und der schweren Lebenskrise seiner Protagonistin formt Assayas schlussendlich eine erstaunliche Liebeserklärung an die kuriosen Wunderlichkeiten und Absonderlichkeiten des Lebens, denen Maureen irgendwann Stück für Stück mit Überwindung und Selbstakzeptanz begegnet.
„Personal Shopper“ ist ein Meisterwerk, in dem die Technologie zum Spiegel un(ter)bewusster Ängste und Erfahrungen wird, das den Weg von Trauer zum inneren Frieden über wohligen Grusel, irritierende Thrills und abrupte Stimmungswechsel nimmt und Kristen Stewart endgültig zu einer der faszinierendsten Schauspielerinnen des Gegenwartskinos macht.
„The Birth of a Nation“ gehört zu jener Sorte von Filmen, die es einem ungemein schwer machen, sich ihnen auch nur irgendwie angemessen nähern zu können. Vor einer Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Werk wird Nate Parkers erste Arbeit als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller von einer finsteren Vorgeschichte überschattet, die kurz vor der Veröffentlichung groß durch die Medien ging. Wie man als Zuschauer dieses Films nun damit umgeht, dass Parker und Jean McGianni Celestin, welcher Parker bei der Geschichte behilflich war, 1999 in Vergewaltigungsvorwürfe verwickelt waren, die fallen gelassen wurden, während das Opfer des Vorfalls im Jahr 2012 Selbstmord beging, woraufhin Parker öffentlich keinerlei Reue und Mitleid zeigte, ist bereits ein schwieriges Thema für sich.
Ebenso schwierig ist auch „The Birth of a Nation“ selbst, der sich aufgrund unübersehbarer Parallelen am ehesten mit dem ebenfalls dieses Jahr in den Kinos gestarteten „Hacksaw Ridge“ von Mel Gibson vergleichen lässt. Wie auch Gibson versucht Parker, ein reales Geschichtskapitel in eine bestimmte Perspektive zu rücken und diesem aufgrund stark subjektiver Betonung einzelner Facetten nachhaltige Bedeutung zu verleihen. Zusätzlich bedrückende Relevanz schöpft der Regisseur dabei aus gegenwärtigen Gesellschaftsströmungen, bei denen sich unter afroamerikanischen Mitbürgern der USA zuletzt wieder vermehrt Angst, Wut, Irritation, Frust und Panik breitmacht.
Zuletzt erhielt man durch Ava DuVernays kraftvolle Dokumentation „The 13th“ eine Lehrstunde darin, wie sich der damalige Rassismus im Zusammenhang mit der Versklavung afroamerikanischer Menschen über die Jahrzehnte hinweg einen erschreckenden Weg bis in unsere aktuelle Zeit bahnen konnte. Parker hingegen reist zu den Anfängen zurück und setzt dort an, wo das Übel erstmals seine größten Wurzeln geschlagen hat. Nach einem Prolog, in dem Hauptfigur Nat Turner bereits im Kindesalter außergewöhnliche Begabungen attestiert werden, springt die Handlung ins Jahr 1831. Hier wurde Turner als Erwachsener längst in ein System eingegliedert, in dem er für seinen weißen Herrn als Baumwollpflücker auf den Plantagen arbeitet, während er aufgrund seiner Lesefähigkeiten zusätzlich als Wanderprediger eingesetzt wird, um mögliche Unruhen und Proteste anderer Sklaven in Schach zu halten.
Parkers Porträtierung dieser nach wie vor beängstigenden Epoche unserer Menschheitsgeschichte findet immer wieder zu eindringlichen Impressionen, die sich nach der Betrachtung kaum mehr abschütteln lassen. Auf zunächst interessante Weise erschafft der Regisseur einen starken Kontrast zwischen grausamstem Alltagsgeschehen, bei dem hungerstreikenden Sklaven beispielsweise die Zähne mit Hammer und Meißel ausgeschlagen werden, um ihnen das Essen mit einem Trichter in den Mund zu stopfen, und einer rosigen Liebesgeschichte zwischen Turner und dessen Frau Cherry, die wirkt, als würde Parker inmitten des unfassbaren Leids ein Licht scheinen lassen wollen.
So dient „The Birth of a Nation“ lange Zeit als unangenehmes Zeitdokument, in dem aufgrund einiger auffälliger Stereotypen wie die Darstellung der weißen Sklavenhalter als degenerierte, vergewaltigende Hinterwäldler und der schwarzen Frauen als schweigsame, gefügige Beute früh wenig Platz für subtile Zwischentöne bleibt. Trotzdem schafft es Parker, bei seinem Publikum aufgrund des vergangenen Schreckens unweigerlich wieder Assoziationen zur derzeitigen Lage aufzuwerfen, wo unter anderem immer noch regelmäßig mitgefilmte Aufnahmen ihren Weg an die Öffentlichkeit finden, in denen unbewaffnete, schutzlose Afroamerikaner bei Polizeikontrollen rücksichtslos erschossen werden.
Zu gänzlichem Unverständnis führt der Regisseur erst mit seiner Inszenierung des real stattgefundenen Sklavenaufstands, den Parker aufgrund sadistischer Vehemenz und einem heroischen Tonfall zur glühenden Rachefantasie überstilisiert. Mit der finalen Darstellung von Turner als symbolische Erlöserfigur, die sich zwischen aufgeknüpften Schwarzen und abgeschlachteten Weißen nach der Logik des Films verdienterweise in den Himmel aufschwingen darf, hinterlässt „The Birth of Nation“ zuletzt ein mehr als fragwürdiges Erbe, das sich aufgrund der mitunter erbarmungslosen Visualität womöglich tiefer einbrennen wird, als vielen lieb sein dürfte.
[...] Aftermath wird fortlaufend zur finsteren Studie über Trauer, Verlust, Schuld und Vergeltung, wobei sich die titelgebenden Nachwirkungen wie tonnenschweres Blei auf die Seelen von Roman und Jake legen. In zwei Handlungsstränge aufgeteilt beleuchtet der Regisseur abwechselnd die Trauerarbeit von Schwarzeneggers Figur, der mit dem urplötzlichen Verlust seiner Familie gleichzeitig in einen Zustand verständnisloser Lähmung verfällt, und das ebenso schwere Schicksal des von Scoot McNairy (Killing Them Softly) gespielten Fluglotsen. Dieser muss sich aufgrund technischer Komplikationen und des spontanen Verlusts seiner rationalen Entscheidungsfähigkeit damit auseinandersetzen, inwiefern er direkt oder indirekt den Tod von insgesamt 271 Menschen zu verantworten hat. Durch starkes Schauspiel, bei dem sich der in extremen Situation immer noch etwas strauchelnde Schwarzenegger zunehmend neben einem gewohnt souveränen McNairy behaupten kann, und eine Inszenierung, die beinahe jede Szene dieses Films in atmosphärische Töne von tiefer Verzweiflung, depressiver Resignation und quälender Ungewissheit taucht, findet Aftermath immer wieder zu markanter Intensität. Unterstützt wird dieser Eindruck durch den bewusst langsam gehaltenen Erzählfluss, in dem jede empfundene Emotion schmerzhaft ausgepresst wird. Dabei vertraut Lester auf einen passenden Rhythmus aus subtileren Momenten, in denen er die Mimik seiner Darsteller ganz für sich sprechen lässt, und Momenten, in denen diese Subtilität einer erschütternden Wucht weichen muss. In einer Szene begibt sich Roman beispielsweise nach der Katastrophe als freiwilliger Helfer zur Absturzstelle und findet seine tote Tochter mitsamt Flugzeugsitz in einer Baumkrone hängend auf. Im Gegensatz zu Romans Verlust leidet Jake auf die genau entgegengesetzte Weise, denn er hat nach dem Unglück noch eine Frau und einen Sohn, zu denen er mehr und mehr die Bindung verliert. Erst sehr spät kommt es zur Konfrontation zwischen diesen beiden Männern, auf die der Spannungsbogen den gesamten Film über hinarbeitet. Was dann passiert, dürfte je nach Wissensstand über die realen Geschehnisse wahlweise überraschen oder enttäuschen, auch wenn es seine Wirkung aufgrund einer ganz bestimmten, verstörenden Einstellung keineswegs verfehlt. Als Enttäuschung erweist sich erst das offensichtlich hinzugedichtete Ende, bei dem Lester auf eine emotionale Katharsis aus ist, die zu übereilt und sprunghaft erzwungen wirkt, als dass Aftermath auf denselben überzeugenden Noten endet, die zuvor auf unbequeme, eindringliche Weise durch den Film geklungen sind. [...]
Auch wenn man über Baran bo Odars „Who Am I - Kein System ist sicher“ geteilter Meinung sein kann, war dem Hacker-Thriller doch zumindest durchwegs anzumerken, dass der Schweizer Regisseur eine kaum zu übersehende Vorliebe für Genre-Stoffe hegt. Trotz fragwürdigem Handlungsverlauf gegen Ende war der Film mit einer druckvollen Handschrift inszeniert, die einen angenehmen Gegenentwurf zum üblichen deutschen Film darstellt, der in der Gegenwart häufig unter seiner uninspirierten Machart zu leiden hat.
Sein letzter Film diente bo Odar zugleich als Sprungbrett nach Hollywood, wo er als nächstes das Remake des französischen Films „Nuit Blanche“ von 2011 inszenieren sollte. Sein US-amerikanisches Debüt erweist sich allerdings als blanke Enttäuschung, in dem sich der Regisseur nicht nur mit einem halbgaren Drehbuch von der Stange abgeben muss, sondern darüber hinaus auch seinen Sinn für mitreißende Dynamik vermissen lässt.
In Las Vegas, bekanntlich die Stadt der 1000 Lichter, scheint bo Odar der Blick für dieses besondere Setting, dem bereits von vornherein eine ganz eigene Faszination innewohnt, frühzeitig abhandengekommen zu sein. Lustlos treibt der Regisseur seine Figuren, unter denen sich der von Jamie Foxx gespielte Cop Vincent als Hauptfigur herauskristallisiert, tagsüber durch den Schauplatz und gleichzeitig eine Handlung voller Action-Thriller-Déjà-vus, bis schließlich die Nacht hereinbricht.
Gerade dann, wenn die Stadt bei Dunkelheit von einem rauschenden, blinkenden Meer aus Lichtern durchflutet wird, sperrt bo Odar die schablonenhaften Schlüsselfiguren in ein Casino ein und mit ihnen simpelste Genre-Versatzstücke. Darunter befinden sich der scheinbar korrupte Cop, ein geplatzter Drogendeal, der zwei kriminelle Parteien gegeneinander aufhetzt, die persönliche Motivation in Form eines entführten Familienmitglieds sowie charakterliche Trugschlüsse, die im späteren Verlauf als möglichst pfiffige Twists entlarvt werden sollen.
In diesem limitierten Setting verläuft sich das unnötig verstrickte Handlungskonstrukt geradezu in den eingeengten und doch zahlreich verstreuten Räumlichkeiten des Casinos. Anstelle einer geschickten, desorientierenden Verdichtung holpert der ungelenke Erzählrhythmus durch ein verkommenes Labyrinth aus rar gesäter Action, von der höchstens ein oder zwei gelungene Sequenzen in Erinnerung bleiben, dramaturgischem Stillstand und auffälligen Logikfehlern.
Noch ernüchternder ist allerdings, dass die vorhandenen, einzelnen Elemente in den Händen eines geschickten Regisseurs und mit Fokus auf eine eventuell spielerische Neuanordnung oder drastische Überhöhung durchaus Stoff für prägnante, kurzweilige 90 Minuten abgegeben hätten. Von bo Odars Vision sorgen am Ende aber bezeichnenderweise nur die brachialen Rap-Parts des Hip-Hop-Duos „Run The Jewels“ für wohlig erhöhten Pulsschlag, sobald der Abspann einsetzt.
[...] Jeder Generation spendiert das Kino meist den passenden Film, der die Gefühle von Menschen widerspiegelt, die sich meist in einem Abschnitt ihres Lebens befinden, der einen entscheidenden Übergang zu etwas Neuem markiert und zugleich von Ängsten, Ungewissheit, Überforderung und Stillstand geprägt ist. Verortet man Nirgendwo in einer Liga mit zeitlosen Meilensteinen wie Garden State, Voll das Leben, Absolute Giganten oder Die Reifeprüfung, wird Matthias Startes Spielfilmdebüt unweigerlich eine große Ehre zuteil, mit der sich der noch recht junge Regisseur in Teilen durchaus rühmen darf. [...] Starte entwirft in seinem Film ein ebenso treffsicheres wie zeitgemäßes Porträt einer Generation Y. Die einzelnen Figuren, die sich in ihren Charaktereigenschaften auf den ersten Blick schnell und einfach einschätzen lassen, versieht der Regisseur zunehmend mit feinfühligen Wesenszügen, zwiegespaltenen Gewissenskonflikten und nachvollziehbaren Problemen. So dienen sie gleichzeitig als universelle Projektionsflächen für ein spezielles Publikum, dem dieser Film mit spürbarem Herzblut und sichtlicher Hingabe förmlich auf den Leib geschneidert wurde. [...] Auch wenn sich der Regisseur im gesamten Verlauf seines Films manchmal etwas zu oft Montagen hingibt, die den typischen Eindruck eines emotionalen Musikvideos erwecken, bei denen mit hübschen Farbfiltern nachgebessert wurde, vermittelt er in anderen Szenen große Eindrücke mithilfe kleiner Details, wenn beispielsweise die eigene Mutter durch einen Knick im Familienfoto unliebsam aus dem Alltag verbannt wurde. Auf der Zielgeraden, wenn Nirgendwo Gefahr läuft, in banaler Gefälligkeit zu enden, bringt Starte aus den einzelnen Momenten plötzlich noch etwas unerwartet Großartiges hervor. Indem er mit einer überraschenden Drastik sowie bewegenden Konsequenz aufwartet, die man ihm so spät gar nicht mehr zugetraut hätte, endet der Film entgegen seines Titels nicht im Nirgendwo, sondern als würdevoll beschlossenes Werk voller melancholischer Hochgefühle, getrockneten Tränen und Entschlüssen, die in ihrer zweifelhaften Endgültigkeit genau dem entsprechen, was Starte die ganze Zeit schon verfolgt und eingefangen hat. [...]
An ausgefeilten Geschichten zeigten sich die jeweiligen Regisseure der „Undisputed“-Reihe noch nie sonderlich interessiert. Viel mehr ging es in den Filmen stets darum, die physische Beschaffenheit der Hauptdarsteller zu betonen und deren brachiale Fertigkeiten zu demonstrieren, indem es zwischen den alibimäßig zusammengeschusterten Handlungsfetzen möglichst viele Kämpfe zu bestaunen gab, die durch wuchtige Choreographien von Teil zu Teil das Hauptaugenmerk auf sich zogen.
Nachdem Isaac Florentine ab „Undisputed II: Last Man Standing“ auf dem Regiestuhl Platz nahm, rückte der Regisseur neben Michael Jai White das Martial-Arts-Talent Scott Adkins zunehmend in den Mittelpunkt und verhalf dem britischen Schauspieler zu einem Status als Fan-Liebling, durch den dieser in „Undisputed III: Redemption“ vollends zum Hauptdarsteller aufgestiegen ist. Sechs Jahre nach dem dritten Teil kehrt Adkins erneut mit eindrucksvoll gestähltem Körper und einem falschen russischen Akzent in seiner Paraderolle des Yuri Boyka in den Ring zurück, nur um direkt zu Beginn einen herben Tiefschlag zu erleiden.
In „Boyka: Undisputed IV“ setzt der martialische Kämpfer einem seiner Gegner etwas zu stark zu, so dass dieser an den Folgen einer Gehirnerschütterung stirbt. Um sein Gewissen von diesem versehentlich verursachten Tod reinigen zu können, reist Boyka nach Russland und sucht die Witwe des verstorbenen Kämpfers auf. Da dieser in Geschäfte mit einem Kriminellen verstrickt war und seine Frau nun für die offenen Schulden aufkommen soll, plant Boyka, sie durch einen Deal mit dem Gangster-Boss und drei bestrittene Kämpfe gegen dessen ausgewählte Kämpfer freizukaufen.
Der Versuch, die persönlichere Seite von Boyka zumindest ansatzweise zu beleuchten, erweist sich in diesem vierten Teil der „Undisputed“-Reihe genauso als katastrophaler Fehlschlag wie der Rest des Drehbuchs, das hier nur noch einem grottigen C-Movie-Knochengerüst gleichkommt, durch das sich heutzutage bevorzugt lustlose Ex-Action-Stars wie Steven Seagal mit Blick auf den Gehaltscheck quälen.
Adkins verleiht seiner Figur, die ihre körperlichen Fähigkeiten mittlerweile als gottgegeben bezeichnet und sich selbst in religiöser Manier von Sünden reinwaschen will, mimisch standesgemäß nur einen einzigen Gesichtsausdruck, weshalb es geradezu absurd erscheint, Boyka in die Richtung eines seriöseren Charakterdramas drängen zu wollen. Glücklicherweise nimmt dieser Teil der Handlung nur einen kleinen Raum in der Gesamthandlung ein, wobei die verzichtbaren Dialoge und miserablen Nebendarsteller den Eindruck keineswegs verbessern.
Sicherlich muss man auch Todor Chapkanov, dem Regisseur von „Boyka: Undisputed IV“, Vorwürfe machen, der hier durch grässliche Szenenübergänge, billige Einblendungen und einer matten Farbpalette dafür sorgt, dass der Streifen handwerklich auf dem Niveau der „Asylum“-Schmiede daherkommt.
Am Ende müssen es wieder einmal die Sequenzen im Ring retten und auch wenn die Kamera hier plötzlich an dynamischem Schwung gewinnt und sich Adkins wieder einmal als absolute Urgewalt in Höchstform präsentiert, kommen die Kämpfe bis auf die letzten zwei Konfrontationen kaum in Schwung, da dem Hauptdarsteller Gegner auf Augenhöhe fehlen.
So wirkt „Boyka: Undisputed IV“ im Gegensatz zu den sehenswerten beiden Vorgängern wie MMA-Pornographie, die darauf ausgelegt wurde, nur noch die niedersten Triebe seiner Zuschauer zu befriedigen, ähnlich wie die gröhlende und johlende Masse, die sich im Film regelmäßig um den Ring versammelt. Doch selbst die eigentlichen Höhepunkte gestalten sich diesmal als recht saft- und kraftlos inmitten des unterirdischen Flickenteppichs einer Handlung.
Das kanadische Regie-Duo Steven Kostanski und Jeremy Gillespie sind durch und durch Liebhaber des Horrorgenres. Ihrem Film „The Void“ merkt man in jeder Sekunde an, dass die spezifischen Vorlieben der beiden vor allem in den ikonischen Genre-Perlen der 70er und 80er verwurzelt sind.
Ein mittlerweile recht verlassenes Krankenhaus in einer amerikanischen Kleinstadt wird zum Schauplatz des blanken Grauens, nachdem sich nach und nach mehrere Parteien dort eingefunden haben. Mit einem bewusstlosen, verletzten Mann, den er in seiner Nachtschicht am Straßenrand aufgefunden hat, kommt der aufrichtige Polizist Carter in das Krankenhaus, wo unter anderem dessen Ehefrau Allison als Krankenschwester arbeitet. Neben einer weiteren hochschwangeren Frau, die kurz vor der Geburt ihres Kindes steht, befinden sich zusätzlich nur eine Handvoll anderer Menschen in dem Gebäude, das schon nach kurzer Zeit von sektenähnlichen Personen in weißen Roben umstellt wird, die mit spitzen Messern bewaffnet verhindern wollen, dass auch nur irgendjemand aus der kleinen Gruppe das Krankenhaus verlässt.
Nachdem sich schließlich noch zwei Männer im Krankenhaus einfinden, die es auf das Leben des Verletzten abgesehen haben, den Carter dort abgeliefert hat, dauert es nicht lange, bis die Situation eskaliert. Eine mit dem Skalpell durchstochene Halsschlagader, eine Schere, die durch das Auge in den Schädel eines Patienten gerammt wird, eine Ärztin, die sich selbst die Haut vom Gesicht schneidet, da sie ihren Körper nicht mehr für ihren eigenen hält und monströse Verformungen mit tentakelartigen Auswüchsen sind nur der Auftakt eines beklemmenden Szenarios, bei dem der Schauplatz des durch ein früheres Feuer heruntergekommenen Krankenhauses für die gesamte Dauer des Films über den Radius des Parkplatzes hinaus nicht mehr verlassen wird.
Für ihre wirkungsvollen Schockeffekte, brutalen Ekeleinlagen sowie messerscharfen Spannungsmomente wühlen sich Kostanski und Gillespie durch ein halbes Jahrhundert der Horrorfilmgeschichte und würfeln einzelne Motive des Schreckens bunt durcheinander, wobei die beiden nach dem Prinzip der graduellen Steigerung vorgehen. Die Horrorkurve führt in „The Void“ von der atmosphärisch konzentrierten Verdichtung eines einzelnen Schauplatzes wie in John Carpenters „Assault on Precinct 13“ über schleimigen Body-Horror à la David Cronenberg und harte Splatter-Spitzen im Sinne eines Lucio Fulci bis hin zu überdimensional-okkultem Größenwahn, wie er sich in der ikonischen Literatur von H.P. Lovecraft vorfinden lässt.
Mit der Unterstützung fähiger Darsteller, wunderbar handgemachter Spezialeffekte und absonderlicher Kreationen sowie einem auffällig präsenten Score, an dem gleich mehrere Personen beteiligt waren und der sich in den besten Momenten zu einer schwindelerregenden Klangkulisse aus reinem, auditiven Terror überschlägt, kaschieren die Regisseure recht gekonnt, dass viele ihrer dargebotenen Horror-Zutaten ein wenig zu vertraut wirken und „The Void“ manchmal wie ein kompetent inszeniertes Best-of markanter Zitate wirkt, dem trotz der launigen Intensität eine eigene Stimme fehlt.
Einige mutige sowie eindringliche Entscheidungen, die persönliche Schicksale der Figuren betreffen, stehen schließlich einem Finale gegenüber, das beinahe etwas zu sehr über die Stränge schlägt, was die Kulmination vorangegangener Ereignisse angeht, doch man darf gespannt sein, was von diesem Regie-Duo in Zukunft noch kommen könnte, sofern sie ihr handwerkliches Geschick mit einer größeren Eigenständigkeit kombinieren.
Carrie Pilby ist mit ihren gerade mal 19 Jahren dort angelangt, wofür andere ihrer Generation noch einige Jahre draufpacken müssen. Die aus London stammende und seit ihrem 12. Lebensjahr in New York lebende junge Frau verfügt über einen IQ, der sie schon im Kindesalter drei Schulklassen überspringen ließ und dazu führte, dass sie ihren College-Abschluss von Harvard bereits mit 18 in der Tasche hatte.
Dass Carrie zu Beginn von Susan Johnsons Romanverfilmung, die den Namen der Hauptfigur direkt als Titel trägt, einen Therapeuten besucht, ist dagegen ein klarer Indikator für die seelische Verfassung der Protagonistin, die sich in solch einem vergleichsweise jungen Alter bereits in einer Art Lebenskrise zu befinden scheint. Mit einem sozialen Feingefühl, das sich ungefähr mit dem von Sheldon Cooper aus „The Big Bang Theory“ vergleichen lässt, und einem losen Mundwerk, mit dem das unscheinbar wirkende Mädchen einen prall gefüllten Raum voller Leute während einer Party innerhalb weniger Minuten zum Verstummen bringen könnte, ist Carrie zwangsweise zu einem Dasein als einsame Außenseiterin verdammt.
Der Umgang mit dieser gewöhnungsbedürftigen, durchaus unbequemen Figur ist zunächst die große Stärke von „Carry Pilby“. Die Regisseurin stellt die weniger positiven Charaktereigenschaften von Carrie offen zur Schau, indem sie ihrer widerspenstigen Sturheit und dem entwaffnenden Intellekt im Zusammenspiel mit den Nebenfiguren eine angenehm quirlige und zugleich herausfordernde Dynamik verleiht. Nach nicht einmal einem Drittel des Films ist klar, dass diese Carry Pilby in ihren Mitmenschen grundsätzlich nur das Schlechteste sieht und geradezu darum kämpft, sich in dieser Einstellung stets selbst bestätigen zu können.
Nachdem Johnson ein recht stimmiges und eindeutiges Bild der Protagonistin entworfen hat, treten die eklatanten Mängel des Films plötzlich ebenso eindeutig zum Vorschein. Das Drehbuch von Kara Holden und Dean Craig verstrickt die interessante Figur in ein denkbar banales Handlungsgerüst aus zwischenmenschlichen Patzern, frustrierenden Romanzen, unerfüllten Sehnsüchten und den typischen Problemen der Adoleszenz, denen ein Mädchen im Alter von Carrie zwangsläufig häufiger ausgesetzt wird. Der wohl ewig verlockende Schauplatz New York dient hier lediglich als simpel gestrickte Odyssee aus unglücklichen Blind Dates, einsamen Filmabenden vor dem Fernseher, enttäuschenden Zufallsbegegnungen und unglücklichen Erinnerungen, die am Ende abermals zu nichts anderem führt als in die Arme eines wahrscheinlichen Traumprinzen.
Ein Großteil dieser Enttäuschung hängt dabei auch stark mit Hauptdarstellerin Bel Powley zusammen. In dem tollen „The Diary of a Teenage Girl“ hat die Schauspielerin zuvor bereits bewiesen, dass sie schwierige, problematische Rollen mehr als überzeugend bewältigen kann. In „Carrie Pilby“ gelingt es Powley ebenfalls, sich eine potentiell hassenswerte Figur zu eigen zu machen. Johnson ist es, die dem natürlichen Charme ihrer Hauptdarstellerin ein ums andere Mal zu sehr verfällt. Immer wieder lässt sich beobachten, wie die Regisseurin begeistert in den strahlend blauen Augen der Schauspielerin verharrt und vor Powleys spezieller Ausstrahlung förmlich kapituliert.
Die vor allem anfangs unter der Oberfläche durchschimmernde Boshaftigkeit hätte aus „Carrie Pilby“ etwas Besonderes abseits altbackener RomCom-Klischees werden lassen können, doch das siegende Charisma der Hauptdarstellerin, dem die Regisseurin freien Lauf gewährt, sowie ein unglücklich verwässerndes Drehbuch machen aus der spannenden Hauptfigur am Ende doch nur ein kleines Mädchen, das endlich verstanden werden will und in der allerletzten Szene erleichtert auflächeln darf.
[...] Die grundlegende Idee, auf der das Drehbuch von McDowell und Justin Lader beruht, ist dabei ebenso schlicht wie brillant. Geschickt greifen die beiden eines der größten Mysterien des menschlichen Daseins auf und beantworten eine Frage, die sich zunächst nur bejahen oder verneinen lässt, ohne zu schildern, wie dieses Leben nach dem Tod konkret aussehen würde. Neben dem ethischen Diskussionspotential und den existenziellen Dilemmata, die der Regisseur in knappen, aber pointierten Dialogen eher beiläufig anschneidet, bewegt sich der Film schon nach kurzer Zeit weg von der globalen Relevanz hin zum deutlich intimeren Charakterdrama. [...] Im weiteren Verlauf des Films vernachlässigt McDowell seine anfangs aufgeworfenen, erzählerischen Möglichkeiten zunehmend, um vor allem das Verhältnis zwischen Will, Toby und Vater Thomas auszuloten, welches durch den länger zurückliegenden Selbstmord der Mutter vorbelastet ist. Daneben schlägt der Regisseur zudem Töne einer Romanze zwischen Will und der suizidgefährdeten Isla an, die sich zu Beginn des Films kennenlernen. Inmitten dieser Handlungsstränge verfällt The Discovery immer stärker dramaturgischen Konventionen, durch die das außergewöhnliche Konzept zu sehr in den Hintergrund rückt, um Raum für Figuren einzuräumen, deren Motivationen und Gefühle auf Dauer zu unterentwickelt bleiben. Auch wenn Jason Segel (Männertrip), Rooney Mara (Carol) und Jesse Plemons (The Master) für sich genommen überzeugende Schauspielleistungen abgeben, bleibt die Chemie zwischen den jeweiligen Figuren angesichts des verkopften, theoretischen Grundkonzepts zu unterkühlt und sprunghaft, um in den entscheidenden Szenen glaubwürdige Emotionen auszuschöpfen. Wirklich enttäuschend wird es allerdings erst im Finale, in dem McDowell endgültig der Mut zum angenehm Uneindeutigen verlässt, auf den er sich bei seinem vorherigen Regiedebüt noch bis zum Ende verlassen hat. Im Gegensatz zu The One I Love versucht er sich in The Discovery an Antworten auf Fragen und entzaubert das zentrale Mysterium mit einem öden Twist, der den gesamten Film schlussendlich in ein neues Licht rückt, das ihn keineswegs besser erscheinen lässt. [...]
Während sich seine Dokumentationen qualitativ weiterhin auf einem Niveau bewegen, das in einer ganz eigenen Liga spielt, war der Verlauf von Werner Herzogs Karriere als Spielfilmregisseur zuletzt ein überaus kurioser. Filme wie „Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans“ und „My Son, My Son, What Have Ye Done“ kamen stärker denn je Auswüchsen eines eigensinnig verschrobenen Autorenfilmers gleich, mit denen Herzog anstelle von berechenbaren Alterswerken viel mehr undefinierbare Fieberträume schuf, die sich jedweder Kategorisierung konsequent entzogen. 2015 veröffentlichte er allerdings den überraschend schwachen „Queen of the Desert“. An der lustlosen Produktion, die eher einem schwerfälligen Fernsehfilm aus dem öffentlich-rechtlichen Programm glich, erinnerte kaum etwas an die gewohnte Handschrift des Regisseurs, so dass Herzog bis zur Veröffentlichung seines nächsten Spielfilms durchaus für Fragezeichen sorgte, wohin die Reise als nächstes gehen wird.
„Salt and Fire“, der neben zwei äußerst gelungenen Dokumentationen die dritte Veröffentlichung von Herzog im Jahr 2016 markiert und somit eine beachtliche Produktivität herausstellt, ist erfreulicherweise wieder eine dieser Erfahrungen, welche unbedarfte Zuschauer heftig vor den Kopf stoßen dürfte, während Fans des Regisseurs all das geboten bekommen, was einen puren Herzog-Film auszeichnet. Schon der Einstieg, bei dem der Regisseur den Zuschauer unvermittelt in ein Geiselnahme-Szenario wirft, nur um wenige Minuten später in der Zeit zurückzuspringen, damit die Ereignisse bis zu diesem Moment aufgeklärt werden können, erweist sich als dramaturgische Finte.
Natürlich hat Herzog mit diesem Film keinen gewöhnlichen Thriller gedreht, in dem drei Forscher, die eine verheerende Umweltkatastrophe am bolivianischen Salzsee „Diablo Blanco“ untersuchen sollen, von einem maskierten Trupp am Flughafen bei ihrer Ankunft abgefangen und verschleppt werden. Von Anfang an erzählen die hervorragend schwebende Kamera von Peter Zeitlinger und die mystisch überhöhten Klänge von Ernst Reijseger etwas ganz anderes, als es einem das von Herzog selbst geschriebene Drehbuch weismachen will.
In „Salt and Fire“ bricht der Regisseur genauso mit Sehgewohnheiten, wenn er beispielsweise zwei der drei entführten Figuren vorzeitig aus dem Film verschwinden lässt, weil sich diese eine besonders aggressive Form von Durchfall durch den Verzehr einer örtlichen Speise einfangen haben, wie er verschrobene Einzelmomente auf magische Weise ausdehnt, um sie in Verbindung mit Elementen, die für sich genommen irritierend und unstimmig wirken, zu inszenatorischen Glanzlichtern umzuformen, die zwischen Genie und Wahnsinn pendeln.
Veronica Ferres, die man nach der Sichtung des Films verständlicherweise immer noch als miserable Schauspielerin bezeichnen darf, und Michael Shannon, der wirkt, als wäre seine Figur aus „My Son, My Son, What Have Ye Done“ zur Tarnung in die Rolle des CEO eines Firmenkonsortiums geschlüpft, dürfen unglaubliche Sätze aufsagen, bei denen man meint, Herzog selbst spreche persönlich zu einem. Neben stocksteif-hölzernen Worthülsen finden sich darunter auch Dialogzeilen, die in Form von Sätzen wie „Truth is the only daughter of time“ oder „The noblest place for a man to die is the place he dies the deadest“ kaum weniger als pures Herzog-Gold darstellen.
Im Kern geht es in „Salt and Fire“ aber um eine Thematik, die sich wie ein roter Faden durch Herzogs gesamtes Schaffen zieht. Es wird apokalyptisch, wenn sowohl von einem sich stetig ausbreitenden Salzsee die Rede ist, der die gesamte Erdoberfläche irgendwann zu überziehen droht, als auch von einem gefährlichen Vulkan, dessen Ausbruch die komplette Menschheit auslöschen würde. Nachdem Ferres‘ Forscherin mit Vorräten für eine Woche und zwei blinden Indiojungen in der Salzwüste ausgesetzt wird, erreicht der Film als Kammerspiel von schier endloser Weise endgültig seinen surreal-verzaubernden Siedepunkt, an dem Herzog die schiere Ohnmacht sowie überwältigte Faszination des Menschen gegenüber der Natur auf reduzierte Weise in spektakuläre Bilder hüllt.
Die Szene, in der die Hauptdarstellerin mit den zwei blinden Jungs, die noch dazu kaum ihre Sprache sprechen, mitten in der Wüste „Mensch ärgere Dich nicht" spielt legt dabei genauso wie die in ihrer abstrusen Komik kaum zu beschreibende Schlussszene eindrucksvoll Zeugnis darüber ab, dass mit Werner Herzog, dem Spielfilmregisseur, immer noch zu rechnen ist. Und wie.
Das Motiv des neuen Hauses, das eigentlich viel zu schön ist, um wahr zu sein, steht gerne am Anfang des Horrorfilms. Mit diesem beginnt auch Sean Byrnes „The Devil’s Candy“, in dem die kleine Familie Hellman ein Angebot für ein tolles Haus in ländlicher Idylle annimmt, das sie noch dazu für einen überaus erschwinglichen Preis beziehen dürfen. Der wenig überraschende Haken an der ganzen Sache: Zuvor ist in dem Haus ein älteres Ehepaar unter nicht genauer geklärten Umständen ums Leben gekommen.
Nachdem der Regisseur die konkrete Gefahr, welche noch auf die Familie zukommen wird, bereits in einem finsteren Prolog ankündigt, gestaltet sich das anfängliche Drittel des Streifens als überraschend gemächlich. Byrne nimmt sich ausgiebig Zeit für seine Figuren, die er neben der gemeinsamen Leidenschaft für klassischen Heavy Metal wie Metallica oder Slayer als ungemein charismatisches Trio zeichnet. Während Vater und Ehemann Jesse mit seinen zotteligen Haaren, dem wuchernden Bart und einem allgemein eher ungepflegteren Äußeren wirkt, als würde gerade er ideal den typisch psychopathischen Massenmörder aus dem Hinterland abgeben, dreht der Regisseur diese Klischees bewusst um und zeigt Vater, Mutter und Tochter als fast schon gewöhnliche Familie, die gemeinsam durch vertraute Höhen und Tiefen geht.
„The Devil’s Candy“ verschreibt sich dabei fortlaufend der Tradition atmosphärischer Horrorfilme der 70er Jahre, in denen der Horror nicht bloß durch möglichst viele Schockmomente auf den Zuschauer einprasseln soll, sondern in langsamer, zunehmend verdichteter Art unter den Bildern brodelt und sich schließlich aus der Dynamik zwischen den Figuren heraus entwickelt. Byrne verknüpft gekonnt subtile Impulse des psychologischen Horrors, den er aus okkulten Schwingungen und satanischer Symbolik schöpft und unmittelbar in den Kopf von Jesse projiziert, der langsam selbst dem Wahnsinn zu verfallen scheint, mit zeitgemäß greifbarem Terror, der vor allem im letzten Drittel explosionsartig auf die Körper der Figuren Jagd macht.
Durch seinen anfangs gemäßigteren, charakterbezogenen Fokus gelingt dem Regisseur schließlich ein großer Schachzug, dessen Wirkung sich nur noch in den seltensten Vorzeigebeispielen moderner Genre-Produktionen vorfinden lässt. Im großartigen Finale trifft der Schrecken des Szenarios auf nervenzerreißende Spannung, bei der es längst nicht mehr nur darum geht, den Zuschauer möglichst in eine verängstigte Schockstarre zu versetzen, sondern ihn aktiv um das Wohl aller Hauptfiguren fürchten zu lassen, die in einem denkwürdigen Höhepunkt gemeinsam um ihr Leben schreien, kriechen, kämpfen und wüten müssen.
Da wirkt Metallicas „For Whom The Bell Tolls“, diese energiegeladene, zeitlose Metal-Hymne, im Abspann anschließend fast wie eine beruhigende Ballade.
„Ghost in the Shell“ hat auch anno 2017 kaum an Faszination verloren. Mit dem ursprünglichen Manga von Masamune Shirow und der ersten Anime-Umsetzung von Mamoru Oshii teilt sich Rupert Sanders‘ US-Adaption zwar einige unübersehbare Parallelen, für die Szenen 1:1 aus der Vorlage rekonstruiert wurden, ansonsten schlägt das Drehbuch von Ehren Kruger, Jamie Moss und William Wheeler aber auch eigenständige Wege ein.
Geblieben ist in jedem Fall die Vision einer Zukunft, in der Menschen ihre Körper nicht nur durch kybernetische Erweiterungen modifizieren können, sondern darüber hinaus komplette Körper künstlich geschaffen werden, denen ein menschliches Gehirn eingesetzt wird. Für den dafür verantwortlichen Konzern „Hanka Robotics“ dienen diese Schöpfungen in erster Linie als perfekte Soldaten, um Terroristen die Stirn bieten zu können. Neben diesem technologischen Fortschritt ist es aber vor allem der überwältigende Cyberpunk-Entwurf eines futuristischen Settings, der an Sanders‘ Version mit am meisten für bleibenden Eindruck sorgt.
Das Hong Kong in diesem Film erstrahlt nicht nur als Metropole, die mit ihren unzähligen Hologrammen, pulsierenden Lichterattraktionen und dem Eindruck ständiger Bewegung ein Gefühl gleichzeitiger Reizüberflutung und Verlockung erweckt, sondern beim Betrachter geradezu das Verlangen hervorruft, jeden Winkel dieses gigantischen Ortes selbst erkunden zu wollen, auch wenn man sich dabei nicht sicher ist, ob einen bereits an der nächsten Ecke hinter verheißungsvollen Fassaden vielleicht sogar der Tod erwarten könnte.
Inmitten dieses pulsierenden, atmenden sowie betörenden Organismus einer Weltstadt befindet sich Hauptfigur Mira Killian, verloren wirkend zwischen ihren geradlinigen Einsätzen, bei denen sie als Major einer effizienten Anti-Terror-Einheit von Gebäuden stürzt, durch Fensterscheiben gleitet und mit Kugeln um sich feuert, während sich ihr zunehmend verwirrter Geist mit einem vollständig künstlichen Körper arrangieren muss, der jederzeit unvorhersehbaren Gefahren durch außen ausgesetzt sein könnte, sobald das Glück dieses schönen, neuen High-Tech-Paradieses gegen sich selbst gewendet wird.
Der philosophische Kern von Shirows Vorlage rückt in dieser plotgetriebenen Neuinterpretation zwar zwangsläufig etwas in den Hintergrund, doch vereinzelte Dialoge haben immer noch jene Kraft aus reduzierter Poesie und melancholischer Nachdenklichkeit. So wird aus der Jagd nach einem gefährlichen Hacker, der wahrhaftig bis ins Innerste von „Hanka Robotics“ vordringt, auch eine Jagd nach Antworten auf vielschichtige Fragen, die sich mit dem Zwiespalt zwischen künstlicher Unversehrtheit sowie seelischer Verletzlichkeit, brüchigen Fragmenten eventuell gefälschter Erinnerungen sowie einer existenziellen Identitätssuche beschäftigen.
Für eine 110 Millionen teure Blockbuster-Produktion, die automatisch auf hohe Massenkompatibilität abzielt, während auch innigste Fans der Vorlage nicht außen vorgelassen werden sollten, findet Sanders eine erstaunlich homogene Gewichtung zwischen einer Geschichte, die Vertrautes und Neuartiges kombiniert, einem höchst atmosphärischen Weltenentwurf, der kaum weniger als atemberaubend ist und stylish in Szene gegossenen Actionszenen, die geschickt verteilt nie auf dumpfe Art überhandnehmen.
Zu guter Letzt gehört „Ghost in the Shell“ aber zu großen Teil einer fantastischen Scarlett Johansson in der Hauptrolle. Die Schauspielerin scheint sich offensichtlich auf ihr vergangenes Mitwirken in Jonathan Glazers „Under the Skin“ und Luc Bessons „Lucy“ berufen zu haben, um den ungewöhnlichen Charakter ihrer Figur zu formen. Während der sonstige Cast wie beispielsweise Pilou Asbæk, Takeshi Kitano, Juliette Binoche oder Takeshi Kitano kaum mehr als nette bis überzeugende Nebenfiguren abgeben, ist es allen voran Johansson, die sich mit ihrer Mischung aus ängstlicher Unsicherheit, stoischem Willen und trauriger Verzweiflung nachhaltig ins Gedächtnis spielt als ein Wesen, das im eigenen Konflikt aus determinierter Künstlichkeit und femininer Zerbrechlichkeit endlich zu sich selbst finden will.
Gut 15 Jahre nach der Veröffentlichung seines wohl berüchtigsten und zugleich unvergesslichsten Films „Possession“ kehrte der polnische Regisseur Andrzej Zulawski in sein Heimatland zurück, um „Szamanka“ zu drehen. Der Film lässt sich thematisch gewissermaßen als Zwillingsbruder zu „Possession“ auffassen, denn auch hier beleuchtet Zulawski die stürmische, destruktive Liebesbeziehung zwischen einem unkonventionellen Paar, welches nach und nach in einen Strudel aus gefährlicher Abhängigkeit und abscheulichen Konsequenzen gerät.
Wenn die Kamera zu Beginn des Films in schnellem Tempo an einer Fleischtheke entlang saußt, während eine Frau ihre Abneigung gegenüber den dort präsentierten Speisen in Form von verächtlichem Spucken und Würgen äußert, wähnt sich der mit dem Schaffen des Regisseurs vertraute Zuschauer innerhalb weniger Sekunden goldrichtig in einem weiteren, typischen Werk Zulawski-Film. „Szamanka“ zeichnet sich wie jedes Werk des Regisseurs weniger durch eine klassische Handlung aus, die einer konventionellen Dramaturgie folgt, sondern durch ins Exzessive übersteigerte Schauspielleistungen, bei denen sich die Beteiligten in einen befremdlichen Zustand wilder Trance versetzen.
In Warschau finden der Anthropologieprofessor Michal und eine junge Studentin zueinander, die sich gemeinsam in ein ausgelassenes, vordergründig körperliches Verhältnis stürzen, obwohl beide jeweils mit anderen Partnern zusammen sind. Der Fund einer gut 3000 Jahre alten Mumie, die sich als Schamane entpuppt und deren rätselhafte Todesumstände Michals Gedanken unentwegt beschäftigen, stellt sich dabei als bizarres Randelement heraus, das für die Beziehung der Hauptfiguren im Verlauf des Films eine nicht ganz unwesentliche Bedeutung erhält.
In erster Linie führt das Verhältnis zwischen der Studentin und Michal allerdings zu einer Reihe von Szenen, in denen die von Zulawski gewohnte Mischung aus ungezügeltem Verlangen, sperriger Symbolik und bizarren Ausbrüchen dominiert. Für „Szamanka“ begreift der Regisseur sein Medium ein weiteres Mal als Schauplatz verdorbener Dominanz und abgründiger Lüste, welcher sich nach kontinuierlichen Zuspitzungen in ein Schlachtfeld aus Stöhnen und Schreien verwandelt. Die weitestgehend unverständlichen Momente, in denen Speichel auf Münder oder kurz gekautes Essen in Gesichter gespuckt wird, vermengen sich zusammen mit den zahlreichen Sexszenen, in denen Zulawski dem Akt des Geschlechtsverkehrs unter anderem durch wüstes Industrial-Gewitter auf der Tonspur zunehmend rituelle Züge verleiht, zu einem sperrigen und doch faszinierenden Handlungsfluss.
Dabei scheint der Regisseur die Zügel immer wieder bewusst aus der Hand zu geben, damit die Schauspieler die Kontrolle übernehmen und wie unter Drogeneinfluss ihr ganz eigenes Verständnis von Bewegungen und Körperlichkeit äußern. „Szamanka“ erweist sich hierdurch selbstverständlich auch wieder als schwierige Herausforderung, die weder in hypnotisierende Sphären eines „Possession“ führt, noch auf unerträgliche Weise das Nervenkostüm des Zuschauers pulverisiert wie beispielsweise „L'amour braque“.
Irgendwo dazwischen begibt sich der Regisseur zusammen mit der unerfahrenen, direkt aus einem Café gecasteten Hauptdarstellerin Iwona Petry, die sich in Zulawskis Besetzungstradition schöner Frauen, die hässliche Dinge tun, nahtlos einfügt, in eine Abwärtsspirale, die neben spiritueller Transzendenz, Mord und Totschlag am Ende vor allem den Zuschauer mehr als erschöpft zurücklassen dürfte.
[...] Mit seinem Film war Scorsese der Zeit lange voraus, denn sein Porträt eines Showgeschäfts, das schräge Persönlichkeiten zwischen Verzweiflung und Wahn erst durch den Fleischwolf dreht und schließlich einer voyeuristischen Masse zum Fraß vorwirft, während alteingesessene Größen längst zu ausgebrannten, lebensmüden Abbildern ihrer selbst geworden sind, besitzt eine nahezu prophetische Präzision, die die satirische Schärfe im direkten Vergleich noch überstrahlt. Gemäß dem unter Komikern gerne verbreiteten Grundsatz, dass erst aus der Tragödie eine Komödie entstehen kann, ist Rupert folglich der größte nur vorstellbare Komödiant. Robert De Niro (Casino) verkörpert ihn fantastisch als grotesk verzerrten Wiedergänger des ebenfalls von ihm Jahre zuvor gespielten Travis Bickle. Während sich der Protagonist aus Taxi Driver schließlich durch ekstatische Gewaltentladung ein Ventil verschaffen musste, bleibt Rupert nur die Bühne als trauriger Clown. Es ist bezeichnend, dass Scorsese die ganze Zeit über keinen seiner Gags zeigt, denn erst am Ende, wenn die Kameras endlich auf Rupert gerichtet sind, offenbart der King of Comedy in einem markerschütternden Monolog das volle Ausmaß seines Innenlebens, indem er tragische Traumata mit bissigem Galgenhumor kreuzt. Als Zuschauer kommt man in diesem Finale von The King of Comedy nicht umhin, sich selbst auch ein Stück weit in Rupert zu erkennen, dem es gelingt, unter erschreckenden Bedingungen eine Art Selbstverwirklichung zu erlangen. In letzter Konsequenz weicht das Spiel zwischen Realität und der Fantasie des Protagonisten schlussendlich einer neuen Ebene. Der Fantasie Amerikas, seiner Star-Besessenheit und der Vergötterung zweifelhafter Vorbilder, die lieber König für eine Nacht sind als ihr Leben lang Trottel zu bleiben. [...]
[...] Die Adaption der Marvel-Comics rund um den Mutanten David Haller, welcher eng mit dem X-Men-Franchise verwoben ist, führt deutlich vor Augen, woran das Marvel Cinematic Universe, das nach wie vor mit riesigen finanziellen Erfolgen durch die Kinos wandert, schon eine ganze Weile krankt. Längst sehen Filme wie Iron Man 3, Thor: The Dark Kingdom, Avengers: Age of Ultron oder The First Avenger: Civil War nach genormter Corporate Identity aus, wobei den jeweiligen Regisseuren praktisch untersagt wird, eine eigene Handschrift in ihre Arbeiten einzubringen. Im Serienformat, in dem sich Hawley ohne strikte Produktionsvorschriften und allzu sichtbare Limitierungen austoben darf, nutzt dieser die seltene Narrenfreiheit prompt, um ein komplex verschachteltes Mindfuck-Labyrinth zu kreieren, das mit keiner Origin-Story zu vergleichen ist, die einem in den letzten Jahren bezüglich der Entstehung von Superhelden geboten wurde. [...] Hawley gestaltet den Auftakt als fiebrig-wirren Abstieg in Davids Psyche, wobei Zeit- und Bewusstseinsebenen munter übereinander geschoben werden, so dass das Spiel mit der Frage, was real ist und was sich nur in Davids Kopf abspielt, fast schon zu einer Art vergnüglichem Running Gag verkommt, der sich durch die gesamte erste Staffel zieht. [...] In den besten Momenten mutiert Legion daher zu einem audiovisuell betörenden Gesamtkunstwerk, das von experimentellen Spielereien und kreativen Kniffen wie Stummfilmsequenzen, wechselnden Bildformaten, hervorragend eingesetzten Songs und Musical-Einlagen durchzogen wird. Daneben verknüpft die Serie eingängige Schicksale der Figuren und dramatische Höhepunkte mit brillant-verzwickten Montagen. Die parallelen Ereignisse in verschiedenen Schichten des menschlichen Unterbewusstseins erinnern somit beispielsweise auch an Christopher Nolans (Memento) Inception, wo die reine Kraft der Gedanken im Traum ebenfalls ganze Welten entstehen lassen und nach Belieben umformen. Nach sieben Episoden, die die Augen zum Leuchten und den Kopf wiederholt förmlich zum Explodieren bringen, endet die erste Staffel geradezu gemäßigt und in vermeintlich realem Terrain. Es ist bezeichnend für den Charakter der Serie, dass dieser Umstand fast schon ernüchternd wirkt, denn die Vorstellung, dass eine bereits bestätigte zweite Staffel mit einer geradlinigen Handlung daherkommt, ist ebenso interessant wie irritierend. [...]
Mit „Beyond Clueless“ hat der britische Filmkritiker Charlie Lyne seine ganz persönliche Liebeserklärung an ein Genre geschaffen, das vor allem zwischen der Mitte der 90er und der Mitte der 00er Jahre eine regelrechte Flut an Filmen hervorbrachte. Mit gerade einmal 12.000 Pfund, die Lyne durch eine Kickstarter-Kampagne sammeln konnte, begibt sich der Regisseur in seinem Debüt auf eine Reise durch eine knapp 10 Jahre andauernde Historie von „Teen Movies“ wie „Clueless“, „10 Things I Hate About You“, American Pie“ oder „Mean Girls“, um sich mit den einzigartigen Stimmungen, unterschwelligen Motiven und klaren Botschaften in diesen Werken auseinanderzusetzen.
Um seinem schwelgerischen, von purer Leidenschaft getriebenen Konzept Ausdruck zu verleihen, etabliert Lyne den Besuch der High School bereits im Prolog als faszinierend überhöhten Mythos, bei dem er sich in mehreren Kapiteln mit den Befindlichkeiten von Teenagern beschäftigt, die inmitten ihrer Adoleszenz mit verschiedenen Problemen zu kämpfen haben. Der Regisseur nutzt dafür die aufregendste Perspektive überhaupt, den Blick aufs Kino, indem er kurze Clips von rund 200 Filmen aus dem Teen-Movie-Genre zu einem flirrenden Sinnesrausch montiert.
Begleitet durch ein Voice-over von Fairuza Balk, die unter anderem mit ihrer Rolle in „The Craft“ selbst Teil des hier behandelten Genres wurde, und den fantastischen Klängen der Indie-Pop-Band Summer Camp hat Lyne ein atmosphärisch aufsaugendes Essay kreiert. „Beyond Clueless“ enthält zwar keine weitreichenden Analysen, die den einzelnen Filmen völlig innovative, ungeahnte Aspekte abgewinnen, doch er verbindet auf gekonnte Weise erhellende Kommentare, formschöne Assoziationen und eindringliche Stimmungsbilder.
Auf ebenso amüsante wie neugierige Weise gräbt sich der Regisseur in ein Regelwerk von High-School-Normen vor, indem er anhand offensichtlicher sowie naheliegender Filmausschnitte das jugendliche Verlangen beleuchtet, unbedingt zu einer bestimmten Clique dazugehören zu wollen, wobei Geltungsdrang und der Wunsch nach Anerkennung zu festen Maßstäben werden, die es einzuhalten gilt.
Zu wahrer Größe reift „Beyond Clueless“ schließlich, wenn Lyne Spuren unterdrückter Homosexualität in Werken wie „Jeepers Creepers“ oder „EuroTrip“ an die Oberfläche befördert, bedeutende, intime Momente wie der leidenschaftliche Kuss im Swimmingpool, Masturbation oder das erste Mal durch zahlreiche ähnliche Szenen aus verschiedensten Filmen wie an einer bunten Perlenkette aneinanderreiht und jugendlichen Leichtsinn, frustrierende Unverstandenheit sowie impulsive Überreaktionen in einem brutalen Bildermeer aus Flammen und Gewalt explodieren lässt.
Sicherlich sollte man ähnlich wie der Regisseur selbst eine gewisse Liebe zu dieser Sorte von Film hegen und keine wissenschaftlich-analytische Herangehensweise einfordern. Fernab von allzu verkopfter Komplexität schöpft Lyne stattdessen aus der audiovisuellen Kraft des Mediums, dem er sich zugleich widmet, und hat mit „Beyond Clueless“ eine Hommage voller Leidenschaft und filmischem Verständnis geschaffen, die das Herz und den Kopf gleichermaßen in Euphorie versetzt.
[...] Als die Studenten am 01. August 1966 wie gewohnt über den Campus der University of Texas in Austin laufen, dürften ihre Gedanken wohl auch bei vielen verschiedenen Dingen gewesen sein, nur nicht bei dem Mann, der sich hoch oben im Tower der Universität mit mehreren Schusswaffen verschanzt hat und plötzlich das Feuer auf sie eröffnet. Der daraus resultierende Amoklauf zog 16 Tote und 32 Verletzte nach sich, wobei das Ereignis ein ganzes Land erschütterte, welches mit solch einer Form von unverständlicher Gewalt zuvor noch nicht konfrontiert wurde. In Tower lässt Keith Maitland (The Eyes of Me) den gesamten Tag noch einmal vor den Augen des Zuschauers Revue passieren, wobei sich der Regisseur einer Kombination unterschiedlicher filmästhetischer Stilmittel bedient, um das Unbegreifliche auf intensive Weise zu neuem Leben zu erwecken. Mithilfe des Rotoskopie-Verfahrens, das beispielsweise auch schon Richard Linklater (Boyhood) für Waking Life und A Scanner Darkly - Der dunkle Schirm verwendete, verwandelt der Regisseur Aussagen von damaligen Überlebenden und Augenzeugen in animierte Bilder, die Maitland mit realen Archivaufnahmen kombiniert. Geglückt ist ihm damit ein ebenso aufregendes wie innovatives Konzept, das die Ereignisse des Amoklaufs fast minutiös vor den Augen des Zuschauers entfaltet und ihn in Echtzeit am Verlauf der Geschehnisse teilhaben lässt. [...] Darüber hinaus entstehen in Tower jedoch viele, kleine Charakterporträts von Menschen, die auch Jahrzehnte später nicht vergessen können, was sie schon damals nicht verstehen konnten, die vergeben, obwohl ihnen grausamstes Leid widerfahren ist und die durch ihren gemeinsamen, solidarischen Einsatz einen Akt bewegender Menschlichkeit erzeugten, die der Schütze, der in diesem Film aufgrund vager Hintergrundinformationen sowie zweitrangiger Fokussierung nie eine Bühne erhält, unbedingt auslöschen wollte. [...]