Patrick Reinbott - Kommentare
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Alle Kommentare von Patrick Reinbott
Das ultimative Teil des menschlichen Puzzles will der britische Offizier Percy Fawcett aufspüren, nachdem er mit einer kleinen Gruppe Anfang des 20. Jahrhunderts auf eine Landvermessungsmission in den Amazonas geschickt wurde. Von einem Einheimischen wird Fawcett hier erstmals in die Legende einer sagenumwobenen Stadt aus Gold eingeweiht, die sich mitten im Dschungel befunden haben soll. Zunächst hält er die Geschichte für eine abwegige Fantasie, doch nachdem seine Männer und er in bislang unerforschtem Gebiet auf alte Statuen aus Stein sowie Keramiküberreste stoßen, entzündet sich in Fawcett ein Funke. Von nun an ist er fest davon überzeugt, einer ausgestorbenen Zivilisation auf der Spur zu sein, die weitaus fortschrittlicher war, als es Geschichtsbücher je belegen konnten.
In seinem Film „The Lost City of Z“ stellt Regisseur James Gray genau diesen Forscherdrang, den unentwegten Willen, womöglich etwas zu entdecken, das den vorläufigen Wissensstand der Menschheit fundamental verändern wird, als übergreifendes Gefühl in den Mittelpunkt der Handlung. Basierend auf den wahren Lebenshintergründen von Fawcett kreiert Gray einen gewaltigen Abenteuerfilm, der sich an klassischen Epen der Kinogeschichte orientiert, und ein eindringliches Charakterporträt, für das er die unerschütterliche Obsession eines einzelnen Mannes erkundet und dabei gleichermaßen staunenswerte Facetten wie tragische Erkenntnisse ans Licht befördert.
Schon mit der mitreißenden Eröffnung zeichnet der Regisseur den Protagonisten bei der Hirschjagd noch vor der ersten Expedition im Dschungel als einen Versessenen. Auch wenn Fawcett zwischen den anderen Offizieren hervorsticht, indem es ihm gelingt, das Tier zu erlegen, wird er von ihnen aufgrund seines schlechten Elternhauses als Außenseiter gestraft. Fawcetts gekränkter Stolz und sein Wille, es unbedingt allen beweisen zu wollen, sind die ausschlaggebenden Faktoren, welche die nachfolgenden Expeditionen antreiben, auf denen der Offizier nach der Stadt Z sucht, wie er sie selbst getauft hat.
Mit fiebriger Anspannung und einer unaufhörlichen Faszination für die Erhabenheit der Natur inszeniert Gray die drei zentralen Expeditionen von Fawcett und seinen Begleitern als beeindruckende Erlebnisse. Mit wundervollen 35-mm-Aufnahmen und dem elegisch zurückgenommenen Erzählfluss wirkt „The Lost City of Z“ wie ein Werk aus einer längst vergangenen Epoche des Filmemachens, wobei der Regisseur die einnehmende Kraft der Bilder des äußeren Geschehens nie über die inneren Zustände seiner Hauptfigur stellt.
Neben der faszinierenden Ausstrahlung von Flora und Fauna beschwört Gray gängige Gefahren des Dschungels wie tödliche Krankheiten, bewaffnete sowie angriffslustige Ureinwohner und lebensbedrohliche Tiere wie Piranhas in atemberaubenden Spannungssequenzen. Es sind jedoch die Szenen zwischen den Expeditionen, in denen Fawcett zu seiner Familie heimkehrt, die zur Vervollständigung dieses Charakters von essentieller Bedeutung sind.
Nicht der Dschungel ist es, in dem Fawcett seine Orientierung verliert, sondern die Mitte seiner Familie. Zwischen einer fürsorglichen Ehefrau, deren Verständnis für die langen Forschungsreisen ihres Mannes regelmäßig an belastende Grenzen stößt, und drei Kindern, die er überwiegend nicht einmal hat aufwachsen sehen, erscheint das Familienleben von Fawcett wie ein hochgewachsenes Dickicht, in dem ihm kein Überblick mehr möglich ist. Als ihn sein ältester Sohn beispielsweise nach einer Rückkehr damit konfrontiert, ein Fremder zu sein und die eigene Familie nicht einmal zu kennen, weiß sich Fawcett nur mit Gewalt in Form einer Ohrfeige zu helfen. Gray zeichnet die Figur somit als zerrissene Persönlichkeit, für die sich die eigene Passion als Fluch und Segen zugleich entpuppt und über die man als Zuschauer moralisch folglich selbst urteilen darf.
In Szenen von majestätischer Schönheit fängt der Regisseur in Nahaufnahmen das Funkeln in den Augen seines Erforschers ein, der Dinge erblickt, die das menschliche Verständnis in ihrer Überwältigung weit übersteigen, während er Fawcett in anderen Momenten ganz klein werden lässt, sobald sich dieser damit auseinandersetzen muss, was es bedeutet, auf die eigene Menschlichkeit und auch Sterblichkeit zurückgeworfen zu werden.
Mit der starken Aura eines klassischen Abenteuerfilms und einem ungemein feinfühligen Verständnis für das menschliche Bewusstsein inmitten megalomanischer Ambitionen wird „The Lost City of Z“ somit zum schier urgewaltigen Ereignis, das jeder zelebrieren sollte, der das Kino selbst als unentwegte Erkundungstour persönlicher Seelenwelten versteht.
"A man's reach should exceed his grasp, or what's a heaven for?"
Für einen der memorabelsten, weitläufig diskutiertesten Momente bei den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen von Cannes sorgte das Netflix-Logo zu Beginn von Bong Joon-hos neuem Film „Okja“. Alleine die schlichte Einblendung des Logos sorgte dafür, dass neben Applaus auch scharenweise Buhrufe durch den Saal strömten.
Nun bietet dieser skurrile Vorfall, der für ein ohnehin als elitär-blasiert geltendes Publikum des Festivals kaum symptomatischer sein könnte, durchaus Anlass für eine Diskussion rund um die Zukunft des Kinos. Während Streaming-Giganten wie Netflix von der einen Seite als Bedrohung aufgefasst werden, sehen andere in ihnen dringend benötigte Hoffnungsträger, die unkonventionelle, eigenwillige oder kreative Visionen fördern, welche bei großen Studios längst keine Chance mehr auf eine Realisierung erhalten. Ausgerechnet ein Film wie „Okja“ trägt hingegen kaum dazu bei, der zweiten Fraktion den Rücken stärken zu wollen. Ein derart verschrobenes, zwischen den Genres umher wilderndes sowie unangepasstes Werk lässt sich heutzutage sicherlich kaum noch mit der Unterstützung eines großen Studios finanzieren. Im Fall von Joon-hos Film bedeutet anders aber nicht gleich gut, was der Zuschauer vor allem in der zweiten Hälfte überdeutlich zu spüren bekommt.
Zusammen mit seinem Co-Autor Jon Ronson entwirft der Regisseur zunächst eine Geschichte, in der die Chefin eines Großkonzerns von der Entdeckung einer neuen Spezies von Superschweinen berichtet, mit deren Züchtung die globale Hungersnot aus der Welt geschafft werden soll. 26 dieser Superschweine werden zu Farmern auf der ganzen Welt entsandt und sollen über einen Zeitraum von 10 Jahren aufgezogen werden, wobei das qualitativ beste Schwein nach diesem Zeitraum nach New York zurückgebracht und bei einer Zeremonie gekrönt werden soll. Von diesem Spektakel wollen Mija und ihr Großvater hingegen gar nichts wissen, während sie in den Bergen Südkoreas leben und ihr eigenes Superschwein großziehen, das den Namen Okja trägt. Für Mija, die beide Eltern verloren hat und sich kaum noch an sie erinnern kann, ist Okja mehr als nur ein Haustier. In dem Tier erkennt sie einen aufgeweckten Spielkameraden und einen wertvollen, liebevollen Freund, dem sie kaum von der Seite weichen möchte.
Mit rührender Sensibilität erzählt Joon-ho seinen Film anfangs als ausgefallenes Abenteuer, in dem die Beziehung zwischen Mija und Okja ebenso liebevoll wie skurril beleuchtet wird. Wie das aufgeweckte Mädchen und die wunderbar animierte Kreuzung aus Schwein, Nilpferd und Hund gemeinsam durch die Wälder rumpeln, gehört direkt zu den schönsten Szenen des Films. Das harmonische Bild währt allerdings nicht lange, nachdem Mitarbeiter des Großkonzerns anrücken, um Okja gegen den Willen von Mija nach New York mitzunehmen, obwohl das Mädchen davon ausgegangen war, dass ihr Großvater das Tier zuvor freigekauft hatte.
Mit der darauffolgenden Rettungsmission, zu der Mija aufbricht, nachdem sie die letzten Ersparnisse und ein goldenes Schwein zusammengekratzt hat, verwandelt der Regisseur seinen Film in eine inkohärente Achterbahnfahrt, bei der die frustrierenden Momente klar überwiegen. Sämtliche Nebenfiguren, von den bösen Mitarbeitern des Großkonzerns über einen durchgeknallten TV-Reporter bis hin zu einer Organisation, die sich auf friedliche Weise für das Wohl der Tiere einsetzen will, erweisen sich abwechselnd als dezent oder maßlos überzeichnete Karikaturen. Tilda Swinton darf beispielsweise erneut in eine Rolle schlüpfen, die sie bereits zuvor in Joon-hos Meisterwerk „Snowpiercer“ spielte, während Jake Gyllenhaal mit gnadenlos misslungenem Overacting gar die vielleicht schlechteste Leistung seiner bisherigen Karriere abliefert. Ohne ein sichtbares Interesse an ruhigeren Zwischentönen werden sie vom Regisseur durch eine Geschichte jongliert, in der die Botschaften kaum weniger subtil auf den Zuschauer eingeprügelt werden könnten.
Der emotionale Kern, die Beziehung zwischen Mija und Okja, verschwindet im Mittelteil beinahe vollständig aus dem Film, damit der Regisseur abermals von den korrupten, bösartigen Machenschaften eiskalter Großkonzerne erzählt und wiederholt an den Zuschauer appelliert, sorgsam mit der Natur sowie unseren tierischen Zeitgenossen umzugehen. Auch wenn es Jon-hoo gelingen sollte, dass sich einige Zuschauer nach der Sichtung des Films vielleicht nicht mehr so schnell ein Stück Fleisch auf den Teller legen werden, ist „Okja“ als Satire zu seicht geraten und lässt oftmals den nötigen Biss vermissen. Die zentralen Aussagen dürfte nach der ersten Hälfte des Films bereits jeder verstanden haben, so dass sich die misslungene zweite Hälfte nur noch um sich selbst und ihre cartoonhaften Figuren dreht. Trotz des Finales, in dem sich der Regisseur noch einmal in emotional greifbare Höhen aufschwingt, bleiben die ersten gut 45 Minuten dieses Films daher das einzige, womit sich „Okja“ kurzzeitig wirklich als eine Art (Netflix-)(Kino-)Wunder entpuppt.
Wer meint, der von seinen Fans zum „Pope of Trash“ getaufte Regisseur John Waters würde im fortgeschrittenen Alter lieber etwas den Fuß vom Gas nehmen und seinen Stil zunehmend verwässern, wird mit „A Dirty Shame“ ausdrücklich eines Besseren belehrt. Von einer mainstreamtauglichen Komödie könnte der 2004 erschienene Film kaum weiter entfernt sein, denn schon in den ersten Minuten wird deutlich, dass sich Waters für dieses Werk noch einmal auf seine Wurzeln besinnt und an anarchischen Wahnsinn im Stile eines „Pink Flamingos“ anknüpfen will.
So begibt sich der Regisseur zusammen mit einem Cast, der sich für keine noch so debile, alberne oder überzogene Einlage zu schade ist, knietief in einen Sumpf aus sonderbaren Fetischvariationen, religiös angehauchten Orgien, sexualisierter Symbolik und frivol ausgelebten Trieben. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Familie Stickles, die ein vermeintlich biederes Vorstadtleben in Baltimore führt. Während Ehefrau und Mutter Sylvia sämtliche sexuelle Annäherungen ihres Ehemanns Vaughn abblockt, muss sich dieser damit behelfen, still und heimlich auf der Toilette zu masturbieren. Die mit einem XXXXL-Busen gesegnete Tochter Caprice lebt währenddessen mit einer Fußfessel eingesperrt in ihrem Zimmer, da sie unter ihrem Künstlernamen „Ursula Udders“ als Nackttänzerin in einer örtlichen Bar immer wieder für Erregung öffentlichen Ärgernisses gesorgt hat.
Waters‘ selbstgestecktes Ziel besteht nun darin, diesen prüden Lebensstil, bei dem jegliches sexuelles, freizügiges oder frivoles Verlangen fast schon zwanghaft unterdrückt wird, mit massivem Irrsinn zu zerlegen und ins Gegenteil zu verkehren. Nachdem Sylvia von dem Automechaniker Ray-Ray einen Schlag auf den Kopf erhält, wandelt sich ihre Gesinnung um 180 Grad, wodurch die insgeheim frustrierte Frau bei jeder kleinsten Gelegenheit sexuelle Andeutungen wahrnimmt, auf die sie sich mit nahezu unstillbarem Eifer stürzt. Dieser Vorfall, der Sylvia wie verwandelt als überstimuliertes Energiebündel auf ihr Umfeld loslässt, und der Plan von Ray-Ray sowie dessen sexbesessenen Anhängern, die in Sylvia so etwas wie den Schlüssel zu einer völlig neuen Form des sexuellen Akts sehen, sind die einzigen groben Handlungspfeiler, von denen „A Dirty Shame“ gestützt wird.
Mit seiner Dekonstruktion spießbürgerlicher, zugeknöpfter Moralvorstellungen startet Waters einen flächendeckenden Angriff auf die Gesamtheit der USA, wo zaghafte Prüderie nach außen hin bis heute zum guten Ton gehört, während sich ehrliche, tiefsitzende Vorlieben meist nur hinter verschlossenen Türen abspielen. Durch seinen eigenwilligen, markanten Stil degradiert der Regisseur selbst gestandene Künstler wie Chris Isaak zu hilflosen, maßlos überzeichneten Karikaturen, ohne zwischen älteren Rock-´n´-Roll- und Pop-Songs auf der Tonspur, quietschbunten Fassaden und ungehemmten Späßen jemals seine ganz persönliche Zuneigung zu all diesen andersartigen, unkonventionellen Menschen zu verleugnen.
Dass „A Dirty Shame“ dabei trotz des gefürchteten NC-17-Ratings nie so ganz in wirklich explizite Details verfällt und bei der Darstellung bestimmter Praktiken und Vorlieben bisweilen fast noch etwas zu gezähmt wirkt, ist ein verschmerzbares Manko, handelt es sich hierbei doch immer noch um einen Film, der von New Line Cinema, einem namhaften Studio, vertrieben wurde. Trotzdem wirkt der mit 90 Minuten Länge eigentlich recht kompakte Streifen als Gesamtwerk zu ausgedehnt, so als habe Waters einen langen, minimal abgewandelten und mit mehreren Pointen versehenen Witz auf Spielfilmlänge gestreckt. Der sichtbare Spaß, den er sowie sämtliche Beteiligten hierbei hatten, überträgt sich allerdings oft genug auf eben jene Zuschauer, die dem Regisseur ohnehin schon zu Füßen liegen und sich köstlich darüber amüsieren, wenn spätestens gegen Ende alle übereinander herfallen und skurrile Fetische nicht nur erklärt, sondern unverfroren zelebriert werden.
Will man sich mit „Begotten“ als Film auseinandersetzen, so fällt es schwer, diesen überhaupt als einen solchen bezeichnen zu können. Der amerikanische Regisseur E. Elias Merhige hat mit seinem 72-minütigen Werk viel mehr ein bizarres Kunstprojekt geschaffen, das sich auf sperrige Weise jeglichen Sehgewohnheiten und Kategorisierungen entzieht. Eine kuriose Tatsache stellt diesbezüglich bereits der Umstand dar, dass der Zuschauer das meiste an Informationen über die Figuren aus „Begotten“ erst im Abspann erfährt, die hier als „God Killing Himself“, „Mother Earth“ und „Son of Earth - Flesh on Bone“ bezeichnet werden.
Dass Merhige eine Geschichte über Götter oder einen Gott, die Mutter Erde und ihren Sohn erzählen will, lässt sich in den extrem verfremdeten Bildern während der Sichtung jedoch nicht erkennen. Zu Beginn zeigt der Regisseur stattdessen eine Gestalt, die sich über Minuten hinweg mit einem Rasiermesser selbst ausweidet. Genaue Details lassen sich nichtsdestotrotz nur grob erahnen, denn neben kurzen Aufnahmen von Eingeweiden, die aus einem Körper quillen, und Exkrementen, die auf den Boden vor die Füße der Gestalt klatschen, wirkt das gesamte Szenario aufgrund der Inszenierung zu abstrakt, um es konkret (be)greifen zu können.
„Begotten“ vermittelt derweil längst den Eindruck, ein Relikt aus grauer Vorzeit zu sein oder gar, als habe man dieses vage filmische Etwas aus einer anderen Dimension oder Bewusstseinsebene ausgegraben. Die zerkratzten Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Merhige in einem äußerst aufwendigen Prozess bewussten Belastungen und Schädigungen ausgesetzt hat, sowie ein Klangteppich, der durch verdichtetes Grillenzirpen und dumpfes Klopfen wie Störgeräusche in den Gehörgang des Betrachters eindringt, signalisieren jederzeit, dass dieses Werk von vornherein nicht für menschliche Augen und Ohren bestimmt zu sein scheint.
Je nach persönlicher Belastungsgrenze und der Bereitschaft, umfassende Interpretationen anzustellen oder sich über die Sichtung des Films hinaus mit weiterführenden Analysen zu beschäftigen, lässt sich Merhiges buchstäblich unkonsumierbarer Reigen aus abstoßenden Impressionen, zuckenden, flirrenden oder ruckelnden Bewegungen, religiösen Untertönen und brutalen Schandtaten entweder als außer Kontrolle geratene Kunststudenten-Fantasie oder komplex-surrealer Experimental-Horror-Brocken deuten.
Um diesem Werk mehr als eine Sichtung zu widmen, sollte man aber durchaus cinemasochistisch veranlagt sein. Über den Status einer quälend in die Länge gezogenen, mit staunenswert andersartigen Eindrücken angereicherten und dabei maximal auslaugenden Erfahrung kommt „Begotten“ als einmaliges Seherlebnis nämlich nur schwer hinaus.
Nach einer halben Stunde kommt es in „Kong: Skull Island“ dazu, dass der Riesenaffe King Kong in voller Pracht vor der Kamera wütet. Mit der Größe eines Wolkenkratzers und der Wut einer verletzten Bestie empfängt er die Flotte an Helikoptern, die sich aufgrund einer angeblichen Forschungsmission auf eine unbekannte Insel begeben. Den Moment, in dem die aus Wissenschaftlern, Soldaten, einem Spurensucher und einer Journalistin bestehende Gruppe von der Wucht der monströsen Kreatur erfasst wird, inszeniert Jordan Vogt-Roberts als filmisches Spektakel, das King Kong mit seiner gesamten majestätischen Kraft in bebenden Bildern erfasst.
Bedauerlicherweise gehört dieser Abschnitt zu den wenigen Lichtblicken in einem Blockbuster, in dem sich der Abstieg in eine grüne Hölle als Debakel aus der Blockbuster-Hölle entpuppt. Fast ist man als Zuschauer gewillt, dem Film seine uninspiriert in die Länge gezogene Exposition zu verzeihen, sobald die einzelnen Schauspieler anfangs in ihre schablonenhaften Figuren schlüpfen und zweckdienliche Dialoge aufsagen müssen, bis sie schließlich auf dem titelgebenden „Skull Island“ unterschiedlichen Monsterkreaturen zum Fraß vorgeworfen werden.
Wie sich vielversprechende Schauspieler und unbestreitbare Talente wie Tom Hiddleston, Brie Larson, John Goodman, Samuel L. Jackson oder John C. Reilly in einen Film wie diesen verirren konnten, bleibt auch nach der bleischweren, endlos ausschweifenden Einführung weiterhin ein Rätsel und lässt sich nur aufgrund äußerst großzügiger Gehaltsschecks erklären. Kaum ist der entsandte Trupp von King Kong mit geballten Fäusten empfangen und um ein erhebliches Maß reduziert worden, gestaltet sich der Rest des miserabel geschriebenen Drehbuchs als katastrophal zusammengeschusterter Flickenteppich.
Unfreiwillig aufgeteilt in verschiedene Parteien irren die austauschbaren, charakterlosen Figuren über die Insel, um regelmäßig in Kämpfe mit den anderen Kreaturen der Insel verwickelt zu werden, wobei Vogt-Roberts einige Sterbesequenzen mit irritierender Drastik in Szene setzt, während andere Momente wiederum von unpassender Leichtigkeit und flapsigen Einschüben aufgelockert werden sollen, ehe erneut eine austauschbare Action-Szene folgt.
Ohne sichtbares Gespür für Timing und Atmosphäre verläuft sich der Regisseur in müden Setpieces, aus denen einige Effekte wie aus einem Videospiel wirken, während das ungewohnt farbenfrohe Color Grading in den wenigsten Momenten das Gefühl eines taumelnden Fiebertraums vermittelt, in dem die Figuren gefangen zu sein scheinen. Eine Passage, in der sich einige der Figuren in einem Nest der tödlichen Kreaturen wiederfinden, das von gelblichem Nebel durchzogen wird, ist ein rarer Lichtblick, welcher atmosphärisch kurzzeitig andeutet, was der Rest des Films nie einlösen kann.
Zwischen Ansätzen einer Kritik am kriegsvernarrten Militarismus der USA, einem brutalen Schlachtengetümmel, das Impressionen der Vietnamkriegsfilme emuliert, Gekloppe wie aus den Monsterstreifen der 50er Jahre und womöglich satirisch gemeinten Spitzen verkommt „Kong: Skull Island“ zu einem Musterbeispiel dafür, wie lärmendes Blockbuster-Kino ohne jeglichem Interesse an Figuren in plastischen Bildern ertrinkt und am Ende nichts als Kopfschmerzen hinterlässt.
[...] Verbunden durch Nachrichtenbeiträge, in denen es beispielsweise um den Bosnienkrieg oder den Prozess gegen Michael Jackson wegen Vorwürfen des Kindesmissbrauchs geht, wirken die spröde inszenierten sowie abgehakt montierten Szenen in 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls noch abweisender als in den vorherigen Werken des Regisseurs. Trotz vereinzelter Momente, in denen es Haneke erneut eindringlich gelingt, die Einsamkeit seiner Figuren durch minimalistische Gesten oder unscheinbare Banalitäten nach außen zu kehren, scheint es so, als solle man als Zuschauer bewusst an den losen Fragmenten abprallen. Der Regisseur zwingt sein Publikum dazu, Leerstellen mit eigenen Reflexionen zu füllen, Bedeutung hinter Trivialem zu erkennen und Verbindungen zwischen einzelnen Handlungen zu spinnen, die er mit nüchterner, trockener Beiläufigkeit aneinanderreiht. Die anfangs angekündigte Tat des Einzelnen, welche am Ende des Films zu mehreren Toten führt, stellt der Regisseur ebenso gleichberechtigt auf eine Ebene wie den Diebstahl des Flüchtlingsjungen, der womöglich aus purer Verzweiflung ein Donald-Duck-Comic klaut, oder das minutenlange Telefonat eines Rentners, der mit seiner Tochter unentwegt in Streit ausbricht und dem es trotzdem nicht gelingt, den Hörer aus der Hand zu legen. Als Abschluss einer Trilogie markiert 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls trotzdem den schwächsten Beitrag der drei Filme. Die chirurgische Kälte, mit der Haneke erfolgreich in einen Mikrokosmos einzudringen vermag, gestaltet dieses Werk über eine ganze Gesellschaft immer wieder als Geduldsprobe, bei der Szenen wie die des Studenten, der über Minuten hinweg gegen sich selbst eine Partie Tischtennis spielt, fast schon wie leere Provokation wirken, mit der der Regisseur seine Zuschauer an der Nase herumführen will. [...]
[...] Nach dem ersten Drittel der Laufzeit wähnt man sich bereits in einem dieser vorhersehbaren Psychothriller, in denen es fortan darum geht, dass das Opfer zahlreichen Übergriffen psychischer sowie physischer Natur ausgesetzt wird und einen Weg finden muss, um dem Täter zu entkommen. In seinem Drehbuch macht Autor Jeremy Slater (Fantastic Four) jedoch deutlich, dass es sich bei Pet keineswegs um genau diese Art von Film handelt, die im Voraus so gemächlich wie augenscheinlich eindeutig angetäuscht wurde. Zuviel soll hierbei nicht verraten werden, denn der Überraschungsfaktor, mit dem Slater nicht nur einen, sondern gleich zwei große Haken innerhalb der Geschichte schlägt, verwandelt den gesamten Film plötzlich in etwas völlig anderes. Wie die Reaktion auf diese ebenso brachialen wie fragwürdig konstruierten Handlungswendungen ausfällt, dürfte von Zuschauer zu Zuschauer variieren. Mit Rückblick auf die vorangegangenen Ereignisse offenbart die neu eingeschlagene Erzählrichtung sicherlich einige grobe Ungereimtheiten. Lässt man sich allerdings auf das veränderte, grundlegend auf den Kopf gestellte Szenario ein, so entspinnt sich ein bösartiger Machtkampf, bei dem nie klar wird, wer gerade die Oberhand hat, welche Gefühle echt oder nur gespielt sind und was im Inneren der Figuren in den jeweiligen Szenen überhaupt vor sich geht. Auf kompromisslose Weise stellen Torrens und Slater schlüssige Logik hinten an, um gängige Rollenbilder zu unterwandern und zu hinterfragen, während sie die Gewaltschraube kontinuierlich anziehen, bis alles in einem blutigen Chaos gipfelt. Mit subtilem, vollends durchdachten Filmemachen hat Pet gewiss nur wenig gemeinsam, doch die konsequente Boshaftigkeit und eine deutlich erkennbare Freude an perfider Maskerade sowie überdrehter Eskalation dürften dem Streifen durchaus einige hartgesottene Anhänger einbringen, die selbst nach der besonders harten Schlusspointe noch daran glauben dürfen, einer unkonventionellen Liebesgeschichte beigewohnt zu haben. [...]
[...] Seit Dominik Grafs (Die geliebten Schwestern) Serien-Meilenstein Im Angesicht des Verbrechens durfte man keine deutsche Serie mehr sehen, in der Berlin derart schmutzig sowie ständig unter Strom stehend als pulsierendes Moloch dargestellt wurde. Kren zeigt Neukölln als aufgeladenen Schmelztiegel der Kulturen, in dem er das impulsive Temperament seiner Figuren immer wieder explodieren lässt. Mit exzellent ausgesuchten Darstellern, unter denen beispielsweise auch Deutschrapper wie Veysel und Massiv besetzt wurden, die sich überraschend stimmig in den Rest des professionellen Casts einfügen, erzeugt 4 Blocks durch die raue Sprache mit vielen Slang-Begriffen und groben Eigenarten sowie der generell körperbetonten Spielweise in Bezug auf die Figuren ein Gefühl von ungeschönter Authentizität, die man in den meisten glattgebügelten, deutschen Produktionen schmerzlich vermisst. [...] Aus diesen vielfältig gestreuten Spannungsfeldern formt Kren gemeinsam mit seinen drei Co-Autoren über die insgesamt sechs Episoden hinweg spannungsgeladene Szenarien, die sich gemeinsam mit dem hohen Erzähltempo zu einem ungemein rasanten Seherlebnis verdichten. 4 Blocks entwickelt schon nach kurzer Zeit eine fesselnde Eigendynamik, die den Zuschauer förmlich durch die einzelnen Episoden peitscht, wobei immer neue Verwicklungen, Eskalationen, Handlungswendungen sowie dramatische Zuspitzungen dafür sorgen, dass in der Geschichte kaum Verschnaufpausen eingelegt werden. Der dabei entstehende Sog ist zugleich die größte Stärke sowie Schwäche der Serie. Mit einer auffällig hohen Schnittfrequenz treibt der Regisseur das Geschehen geradezu atemlos voran, wodurch er seinen Figuren allerdings oftmals den nötigen Raum zur Entfaltung nimmt. Momente, in denen hinter die Fassade geblickt werden darf und Masken zugunsten privater Einblicke fallen, sind eher rar gesät. Bisweilen fühlt sich 4 Blocks wie die verfilmte Version eines Gangsterrap-Albums an, das von einem der besetzten Künstler wie Veysel stammen könnte. Brutale Auseinandersetzungen, gelegentliche Waffengewalt, Drogenhandel, Prostitution, aggressive Wutausbrüche und knallharte Posen sind einzelne Bestandteile der Geschichte, die trotz ihrer tiefschürfenden Intensität sowie tragischen Entwicklungen zu selten über Genre-Allgemeinplätze hinausreicht. [...]
Die Ironie von Charles Kaufmans Rape-and-Revenge-Reißer „Mother’s Day“ wird bereits durch die Wahl des Titels deutlich. Assoziiert man mit dem Muttertag in der Regel eine warmherzige Tradition, bei der Mütter dafür geehrt werden sollen, dass sie ihre Kinder zur Welt gebracht und sich um sie gekümmert haben und weiterhin jene Liebe zeigen, die nur eine Mutter für ihr Kind empfindet, so weckt Kaufmans Film ganz andere Empfindungen beim Zuschauer.
Auch wenn die Mutter in diesem Werk ebenfalls ein inniges Verhältnis zu ihren beiden Söhnen pflegt, sind es eher sadistische Freuden anstelle von liebevollen Gefühlen, die hier ihren bösartigen Ausdruck finden. Schon der Prolog, in dem die ältere Frau einem jüngeren Pärchen anbietet, sie mit dem Auto mitzunehmen, gibt die Marschrichtung der wüsten Ereignisse vor, die noch folgen werden. Keine fünf Minuten sind vergangen, ehe die ahnungslosen Mitfahrer im Wald von den Söhnen der Mutter überrumpelt werden, wobei der Freund mit einer Machete enthauptet wird, bevor seine Freundin beinahe vergewaltigt und schließlich erdrosselt wird.
„Mother’s Day“ ist gewiss kein Film der subtilen Gesten, denn dafür labt sich der unter anderem von Troma-Chef Lloyd Kaufman produzierte Film viel zu sehr am derben, reißerischen Effekt. Nachdem der Regisseur drei Frauen auf einen Campingausflug schickt, den die langjährigen Freundinnen traditionell einmal im Jahr unternehmen, ist dem Zuschauer aufgrund des schrillen und doch ungemein beunruhigenden Prologs längst bewusst, was den Figuren bevorsteht. Kaufman verlässt sich jedoch nicht nur alleine auf herbe Thrills und schockierende Gewaltspitzen, die der Regisseur trotz der billigen Low-Budget-Atmosphäre und den dürftigen Schauspielleistungen liefert.
Sein Entwurf eines amerikanischen Familienbilds, das ins Albtraumhafte verzerrt wird und immer wieder Züge eines pervertierten Kuriositätenkabinetts annimmt, erhält durch ständige Momente unpassender Komik unentwegt Risse. Mit grell überzeichneten Slapstick-Einlagen positioniert sich Kaufmans Werk tonal ungezügelt zwischen knüppelhartem, todernsten Horror und platter Groteske, wodurch „Mother’s Day“ mehr eigenwillige Freakshow denn ernstzunehmender Film ist. Das grausame Leid, das die Protagonistinnen ertragen müssen, bevor sie die ihnen angetane Gewalt in einem Akt reiner Selbstjustiz gegen ihre Peiniger richten, lässt Kaufman in einigen überaus intensiven Szenen mit drastischen Konsequenzen sichtbar werden.
Am Ende ist man sich als Zuschauer nichtsdestotrotz nie darüber im Klaren, was der Regisseur überhaupt für einen Film im Sinn hatte. Als wütende Abrechnung mit dem männlichen Geschlecht, das hier degeneriert niedersten Trieben nachgeht oder demütig ein Ableben findet, unreflektierter Rape-and-Revenge-Film, der reinen, verstörenden Terror entfachen soll oder absurde Groteske, die familiäre Werte im Herzen Amerikas schonungslos ab absurdum führt, ist „Mother’s Day“ von allem etwas und nichts so richtig.
[...] Biggs spielt Paul, einen naiven Tollpatsch aus einer ländlicheren Kleinstadt, der zu Beginn mit einem Stipendium an der Universität von New York angenommen wird. Zu den Pop-Rock-Klängen von Wheatus‘ Song Teenage Dirtbag, der das Lebensgefühl der frühen 00er Jahre ebenso treffend wie unwiderstehlich einfängt, inszeniert Heckerling die Ankunft des Protagonisten in der gewaltigen Stadt als Abfolge überaus amüsanter Szenen. Pauls Befürchtung, an der Mentalität der sarkastischen Großstädter abzuprallen und als Außenseiter gebrandmarkt zu werden, bestätigt sich schneller als ihm lieb ist und schon ist er der titelgebende Loser, der lieber fürs aktuelle Semester lernt, während die schroffen, verwöhnten Mitbewohner seiner Studentenverbindung wilde Partys feiern. Das Problem von Heckerlings Film besteht nach der Einführung jedoch darin, dass die Regisseurin diesen Witz über die gesamte Laufzeit ausdehnt und weiterhin rein gar nichts zu erzählen hat. [...] Ohne jegliche Ambitionen, die müden Klischees und Stereotypen ihres Drehbuchs zu durchbrechen oder ironisch aufs Korn zu nehmen, versinkt Loser - Auch Verlierer haben Glück frühzeitig in ausgetrampelten Erzählpfaden, auf denen weder der Humor zündet, noch irgendetwas geschieht, dass man als Zuschauer nicht schon lange vorher kommen sah. Die Sichtung des Films fühlt sich ab einem bestimmten Zeitpunkt an, als würde man eine Variante von American Pie schauen, der sämtliche Elemente entzogen wurden, welche auch nur ansatzweise für Unterhaltung sorgen oder Spaß bereiten. Die gemeinsame Chemie zwischen Biggs und Mena Suvari (Spun), die man vor dieser Rolle unter anderem als verdorbene Versuchung in American Beauty erleben durfte, erzeugt zumindest einige Szenen, in denen die Regisseurin immerhin für kurze Zeit in den unbeschwerten, warmherzigen Kern vordringt, den dieses Genre in seinen schönsten Momenten hervorbringen kann. Dieses Gefühl macht Heckerling jedoch durch einige seltsame Geschmacklosigkeiten im späteren Verlauf wieder zunichte, bei denen beispielsweise die Verwendung einer Vergewaltigungsdroge unangenehm aufstößt und moralisierende Texttafeln kurz vor dem Abspann endgültig für ungläubiges Kopfschütteln sorgen. Da reißt es selbst eine nett gemeinte Referenz an Mike Nichols' (Wer hat Angst vor Virginia Woolf?) Meilenstein Die Reifeprüfung nicht mehr raus. [...]
Bilder innerhalb von Bildern bestimmen Michael Hanekes zweiten Film seiner Trilogie über die emotionale Vergletscherung der postindustriellen Konsumgesellschaft. In „Benny’s Video“ erschließt sich der Protagonist seine Lebenswelt vorwiegend über flimmernde Aufnahmen, die er sich auf Fernsehbildschirmen ansieht und oftmals mit einer Videokamera selbst erzeugt. Direkt zu Beginn des Films beobachtet der Zuschauer ein solches Video, in dem der Jugendliche Benny ein Schwein filmt, das kurz vor der Schlachtung durch einen Schuss in den Kopf von einem Schlachtschussapparat getötet wird.
In dem Moment, in welchem der Bolzen in den Kopf des Schweins abgefeuert wird, hält Benny das Video an, spult es ein Stück zurück und sieht sich den Tötungsakt noch einmal in deutlich verlangsamter Zeitlupe an. Haneke inszeniert seine Hauptfigur hierdurch als eine Art Herrscher, der in der von ihm geschaffenen, alternativen Wirklichkeit stets die Kontrolle über jedes Ereignis behält und genau darüber entscheidet, in was für einem Rhythmus sich die Realität vor seinen Augen entfaltet.
Fortan geht es dem Regisseur um die Gefahr dieses Dauerzustandes, bei dem sich Benny auf die Verlässlichkeit der Bilder stützt, durch die er sein Umfeld wahrnimmt. Filme bieten dem Jugendlichen dauerhaft Unterhaltung, die Nachrichten informieren ihn über aktuelle Geschehnisse in der Welt und nach außen gerichtete Kameras dokumentieren alles, was sich im nahen Umkreis vor den eigenen vier Wänden abspielt. Die mediale Dauerbeschallung kehrt der Regisseur in einer schier unerträglichen Szene plötzlich gegen sich selbst, nachdem Benny ein Mädchen mit zu sich nach Hause nimmt, das er vor der Videothek kennenlernt, in der er sich regelmäßig neue Filme ausleiht.
Haneke verschmilzt die von ihm selbst geschaffene, filmische Realität mit der künstlich geschaffenen Realität von Benny durch einen grauenvollen Akt, nach dem die Schreie des Opfers gefühlt minutenlang im Kopf des Zuschauers nachhallen. Mit dieser Tat, die erneut auf Video gebannt wurde, konfrontiert der Regisseur sein Publikum zusätzlich noch ein zweites Mal. Ebenso wie das Video, das die Tötung des Schweins zu Beginn zeigt, begreift Haneke das Video der menschlichen Tötung als sonderbares Relikt zwischen Abscheu und Faszination, dessen Ausstrahlung ebenso ambivalent und komplex bleibt wie die Beweggründe der Tat.
Wie auch schon in seinem vorherigen Film „Der Siebente Kontinent“ blickt der Regisseur für die Ergründung des aufgebrochenen Abgrunds auf das Verhältnis der Familie, in der Benny aufgewachsen ist. Wie seine Eltern, die die meiste Zeit über ohnehin mit Abwesenheit glänzen, auf die von ihm begangene Tat reagieren, ist neben der Ermordung eines unschuldigen, noch nicht einmal erwachsenen Menschen das eigentlich Schockierende an „Benny’s Video“. Mit gewohnt kühler Distanz zeichnet Haneke seinen Protagonisten von Anfang an als sozial isoliertes Individuum, das sich vernachlässigt, unverstanden sowie übergangen eine neue Zuflucht sucht. Daneben seziert der Regisseur aber vor allem den fast schon mechanisch ablaufenden Verdrängungsprozess innerhalb einer Familie, die längst jeglichen zwischenmenschlichen Kontakt zueinander verloren hat.
Im Angesicht einer Schuld, die das Gewissen jedes einzelnen Familienmitglieds wie schweres Blei erdrückt, bebildert „Benny’s Video“ schließlich Situationen der verzweifelten Flucht und des Suchens nach Lösungen. Ohne das Gefühl füreinander, welches in dieser Familie lange vor Beginn des Films bereits gestorben zu sein scheint, bleiben am Ende jedoch nur Bilder ohne Bilder dahinter und Menschen ohne Menschen dahinter.
[...] Mit einer Mischung aus forscher Extrovertiertheit, durch die er sich beispielsweise im Zug gerne neben Fremde setzt und diese sofort mit persönlichen Fragen löchert, und seiner ungefiltert-ehrlichen Art, bei der er verletzende Erniedrigungen mit selbstverständlicher Offenheit äußert, gerät der Protagonist des Films zu Beginn von einer unbequemen Situation in die nächste und mit ihm auch der Zuschauer. Zwischen bissigen Fremdschammomenten und bösartiger Situationskomik entfaltet sich Johnsons Adaption des Graphic Novel von Daniel Clowes (Ghost World) als exzentrisches Charakterporträt eines unausstehlichen Misanthropen, dem Woody Harrelson (The Messenger - Die letzte Nachricht) ein passendes Gesicht verleiht. Der Schauspieler entpuppt sich als Glücksfall für diesen Film, denn Harrelson zählt zu jenen Darstellern, die schon nach kurzer Zeit völlig hinter ihren Rollen verschwinden und einen Blick rein auf die Figur gestatten. Harrelson ist es somit auch, der Wilson sowohl als manischen Wahnsinnigen spielt, dem man sofort aus dem Weg gehen möchte, falls man ihm begegnet, wie auch als tragisch gescheiterte Existenz. In wenigen Momenten lässt der Schauspieler die ganze Sehnsucht seiner Figur mit rührenden Nuancen aufblitzen und verdeutlicht gleichzeitig, wie sehr sich dieser Wilson nach jemandem sehnt, der ihm zuhört und für ihn da ist. [...] Im Zuge dieser Handlungsentwicklung kann sich der Regisseur nie dafür entscheiden, ob er seinen Film von nun an als skurriles Charakterporträt oder seichte Familienkomödie inszenieren will. Johnson bedient stattdessen beide Genres mit durchwachsenen Resultaten, denn weder sind seine rabiaten Ausreißer lustig genug, noch vermag der emotionale Kern dieser eher unfreiwillig zusammengewürfelten, dysfunktionalen Familie wirklich zu berühren. Auch wenn Laura Dern (Blue Velvet) in der Rolle von Pippi ein überzeugendes Gegenstück zu Wilson abgibt und ihrer Figur der überforderten Ex-Prostituierten mit Drogenvergangenheit einige Szenen beschert, die dem skurrilen Geschehen immer wieder die nötige Bodenhaftung verleihen, pendelt der Streifen als Gesamtwerk zu sehr zwischen karikaturesker Zuspitzung und ernstem Drama. [...]
[...] Am Ende des Kinojahres 2017 wird man sich redlich bemühen müssen, einen menschenverachtenderen, zynischeren Film als The Belko Experiment zu finden. Diese Prognose dürfte bei vielen vermutlich automatisch die Neugier wecken, sich den Film anzusehen, doch trotzdem sollte man von Greg McLeans (Rogue - Im falschen Revier) Werk weiten Abstand halten. [...] Töten oder getötet werden lautet die simple, kaum nachvollziehbare Devise des grobschlächtig konstruierten Drehbuchs, in dem hintergründigen Zwischentönen oder humorvoller Auflockerung keinerlei Platz eingeräumt wird. Anfangs könnte man das Szenario in The Belko Experiment noch als bissige Metapher auf die moderne, globalisierte Arbeitswelt deuten, in der die Menschen wie willenlose Sklaven in ein skrupelloses oder abstumpfendes System eingepfercht werden, bis ihnen irgendwann der Kopf platzt. Angesichts des reißerischen Handlungsverlaufs löst sich diese unterhaltsame Lesart allerdings zunehmend in Luft auf. Die Würde des Menschen und der Wert des Lebens werden in Gunns Drehbuch nicht nur konsequent mit Füßen getreten, sondern von McLean zusätzlich in fast schon perversen Gewaltszenen dem zynischen Effekt geopfert. Explodierende Köpfe, fatale Einschusswunden oder tödliche Messerhiebe kostet der Regisseur mit einer derartigen Vorliebe für voyeuristische Brutalität aus, dass The Belko Experiment den Zuschauer mit fortschreitender Laufzeit regelrecht benommen hinterlässt. Sympathien für einzelne Figuren, die notdürftig charakterisiert werden, spielen irgendwann keine Rolle mehr, sobald sie von Kopfschüssen niedergestreckt werden oder ihnen das Genick gebrochen wird, nachdem sie dem Vorgesetzten zuvor sexuelle Dienste angeboten haben, um nicht sterben zu müssen. Mit bestialischer Freude am puren Akt des Tötens rückt der Aspekt des sozialen Experiments, bei dem den einzelnen Beteiligten ohnehin nie realistische Alternativen oder logische Überlebenschancen eingeräumt werden, so weit in den Hintergrund, bis Regisseur und Drehbuchautor nur noch durch ein Meer von Leichen, Blut und Knochensplittern waten. Jeder Zuschauer, der auch nur einen Funken Empathie in sich trägt, dürfte sich frühzeitig angewidert abwenden. [...]
Kein Wort wird im achten Teil des „Fast & Furious“-Franchise öfter wiederholt als „Family“. Auch wenn die Welt ein weiteres Mal von Terroranschlägen oder gar einem dritten Weltkrieg bedroht wird, ist es der Wert der Familie, der stets über alles andere gestellt wird. Nachdem sich die Reihe mit dem fünften Teil gewissermaßen neu erfunden hat, indem man illegale Straßenrennen und protziges Autotuning gegen atemlose Action-Manöver tauschte, bei denen physikalische Gesetzmäßigkeiten konsequent ignoriert wurden, markierte „Furious 7“ aufgrund des Todes von Hauptdarsteller Paul Walker einen vorübergehenden Abschied.
Ohne Brian O’Conner fokussiert sich Regisseur F. Gary Gray noch stärker auf die verbliebenen Teammitglieder und verschiebt innerhalb der bunt durchgewürfelten, selbstgegründeten Familie sicher geglaubte Sympathien, indem Freunde zu Feinden werden und umgekehrt. Da die von Charlize Theron immerhin mit garstigen Eifer gespielte Strippenzieherin die meiste Zeit eher passiv hinter Computermonitoren verbringt, wird Dominic Toretto kurzerhand von ihr erpresst und zum eigentlichen Gegenspieler umgepolt.
Die Motivation dahinter findet ihren Ausdruck in einer Einstellung, in der ein Baby seine Hand gegen eine Glasscheibe drückt und die erneut verdeutlicht: Natürlich geht es hier nicht darum, dass eine EMP-Bombe sowie Nuklear-Codes gestohlen werden und die Welt ins Chaos zu stürzen drohen, sondern um den intimen Bund der Familie, den es zu beschützen gilt. Auch wenn die altbewährte Erfolgsformel aus waghalsigen Stunts, Hochgeschwindigkeitsmanövern, handfesten Auseinandersetzungen und unterhaltsamen Dialoggefechten innerhalb des Teams über die insgesamt gut 135 Minuten hinweg manchmal etwas zu sehr ins Stocken kommt, fühlt sich auch dieser achte Teil längst wie ein launiges Klassentreffen an, an dem man Jahr für Jahr nur zu gerne teilnimmt und seine Freude haben darf.
Wenn sich The Rock und Jason Statham zu peitschenden Hip-Hop-Beats ihren Weg aus dem Gefängnis freikämpfen, Autos ferngesteuert als Wurfgeschosse eingesetzt werden, Tyrese Gibson und Ludacris zum x-ten Mal wie kleine Jungs in gegenseitige Sticheleien verfallen oder Statham mitsamt Baby im Tragekörbchen durch die feindliche Besatzung eines Flugzeugs wütet, wartet Gray immer noch mit genügend Momenten auf, um „The Fate of the Furious“ in jene Höhen zu befördern, in denen das Franchise den spaßigsten Eskapismus anbietet, der sich im derzeitigen Big-Budget-Blockbuster-Kino finden lässt.
[...] In der Liga unvergesslicher Meilensteine des Horror-Genres hat sich Bernard Roses (Paperhouse) Candymans Fluch schon alleine deshalb einen Platz verdient, da die atmosphärische Schockwirkung des Films weit über die reine Sichtung hinausragte. Die urbane Legende des titelgebenden Geistes, der erscheint, sobald sein Name fünf Mal vor einem Spiegel aufgesagt wird, zieht ihre Spuren nicht nur durch das Drehbuch des Films, sondern bahnte sich einen unmittelbaren Weg in die Köpfe und (Alb)Träume von unzähligen Zuschauern. [...] Für die erste Hälfte seines Films folgt der Regisseur dabei einem beinahe gemächlichen Erzählrhythmus, in dem die Präsenz des Candyman nie eine konkrete Gestalt erhält und doch bedrohlich zwischen den Schauplätzen schwebt, die Helen auf ihrer Spur besucht. Die Berichte angeblicher Augenzeugen, die der Protagonistin von befragten Personen überliefert werden, setzen sich mit den unheilvollen Orten, die Helen besucht, zu einem subtilen Porträt der Angst zusammen, ohne dass der gefürchtete Rächer selbst jemals in Erscheinung tritt. Die stilvollen Einstellungen, in denen die bedrohliche Architektur mit beklemmender Suggestion verschmilzt, sorgen zusammen mit der eindringlichen Musik von Philip Glass (Die Truman Show) für ein überwiegend subtiles Horrorerlebnis, das im frühen Verlauf des Films zudem einige Schreckmomente provokant ins Leere laufen lässt. Endgültig dem Wahnsinn entsprungen scheint schließlich die zweite Hälfte, in der Candymans Fluch den eigenen Mythos ausbrechen und wüten lässt. In Form einer verstörenden Materialisierung verschiedener Urängste erzählt Rose vom Kontrollverlust der eigenen Existenz, sobald der Candyman in Helens Leben eindringt. Der Regisseur bedient sich hierfür gleichermaßen Elementen des Slasherfilms, wenn Hunde geköpft und menschliche Körper aufgeschlitzt werden, sowie des psychologischen Horrors und verknüpft beide Stilrichtungen zu einer entfesselten Schreckensvision, die der Protagonistin buchstäblich den Verstand raubt. [...]
[...] Als der Auftragskiller Pope zu Beginn vor der Zimmertür seines nächsten Opfers steht und dieses zur Aufgabe zwingen will, haucht er dem Mann hinter der Tür mit beängstigend ruhigem Tonfall zu, dass er sowieso schon tot sei. Diese beiläufige Aussage beschreibt den atmosphärischen Charakter von Let Me Make You a Martyr genauestens, denn sie trifft auf beinahe jede Figur zu, die man im Laufe des Films noch zu Gesicht bekommt. Junkies, die unentwegt an der Nadel hängen und ihr verbliebenes Dasein als Strafe betrachten, während sie ihren bevorstehenden Tod mit einem Lächeln auf dem Gesicht willkommen heißen, junge Frauen, die zugedröhnt und knapp bekleidet wie Vieh von einem Wohnwagen zum nächsten geschleift werden und skrupellose Gangsterbosse, die sich an ihren eigenen Adoptivkindern vergreifen, verdichten sich in Asrafs und Swabs Werk zu einem körperlich auslaugenden Panorama, das einen direkten Blick in die Hölle auf Erden offenbart. Inmitten dieses Settings, das die Regisseure mit behutsamer Langsamkeit beleuchten, um kein einziges schmerzhaftes Detail auszusparen, entfaltet sich eine Geschichte, in der Neo-Noir- sowie Rache-Motive knochentrocken aufgeboten und mitunter provokant gebrochen werden. [...] In ihrem Film setzt sich das Regie-Duo innerhalb dieser Rahmenhandlung vor allem damit auseinander, wie zwei gequälte Seelen in einer Welt, die sie ganz entscheidend geprägt und gewissermaßen ruiniert hat, wiedervereint werden und gemeinsam einen Ausweg suchen, der für sie eine Form von Erlösung bereithält. Die Gewalt, die Drew seinem Umfeld auf dieser Reise entgegenbringt, wird von Asraf und Swab dabei ausschließlich ins Off verlagert, als läge im Zeigen der Brutalität längst keinerlei Wert mehr. Es ist eine Form von antiklimatischer Konsequenz, die zudem mit der ungewöhnlichen Handlungsstruktur verknüpft wird. Die Ereignisse werden nicht chronologisch erzählt, sondern von Drew in einem Verhörraum rekonstruiert und gleichen so fiebrigen Erinnerungsfragmenten, deren faktischer Wert bisweilen angezweifelt werden darf. Let Me Make You a Martyr ist somit einer dieser Filme, in denen Rache als zentrales Motiv nicht nur in ihrem dunkelsten Ursprung ergründet, sondern mit fortschreitender Dauer um ihre Katharsis beraubt wird, die im finalen Drittel auf andere Weise ersucht wird. Nach dem langsamen Aufbau, der mit typischen Slow-Burn-Thrillern vergleichbar ist, verleihen die Regisseure ihrem nihilistischen Grundton und den bisweilen lyrisch-philosophischen Dialogen zusätzlich einen religiösen Unterbau, der sich ebenso faszinierend wie bewegend in den Kontext des schwer erträglichen Szenarios einfügt. [...] Die letzten 20 Minuten dieses Films gehören nichtsdestotrotz Drew und June. Auf ihrem Weg nehmen sie ein kleines Mädchen mit, das zuvor gefesselt in einem Container stand und für sie den letzten Funken Reinheit und Unschuld symbolisiert, der in diesem Höllenschlund noch aufblitzt. Asraf und Swab setzen nach einem markerschütternden Höhepunkt, der grausamer und zärtlicher zugleich kaum sein könnte, schließlich noch zu einer letzten Wendung an. Diese dürfte viele Zuschauer nachdenklich zurücklassen, während sie für die Figuren durch ihre mutige Ergründung spiritueller Fantasien einen Hauch von Erlösung beschwört, an den man sich zum Ende hin noch einmal festklammern will, bevor es Zeit ist, loszulassen. [...]
[...] Es liegt alleine am Zuschauer, sich wahlweise zwischen ratloser Überforderung und anziehender Sogkraft einen Reim auf die einzelnen Szenen zu bilden und selbstständig Verbindungen zu knüpfen, um ein halbwegs kohärentes Gesamtbild zu erhalten. Mit sichtlicher Freude bewegt sich die Regisseurin durch teilweise metaphorisch aufgeladene Einstellungen, in denen reale Schrecken und Ängste sowie neblig verschleierte Traumwelten nie weit voneinander entfernt zu sein scheinen. Mit ihrem letzten Film The Midnight Swim hauchte Smith dem abgenutzten Found-Footage-Stilmittel frisches Leben ein, indem sie auf für das Subgenre eher untypische, fast schon malerische Aufnahmen und unterschwellige Esoterik setzte, um die Trauerbewältigung dreier Halbschwestern zu inszenieren. Buster’s Mal Heart stellt in dieser Hinsicht einen Rückschritt dar, denn mit der Verbindung aus mysteriösen, surrealen Elementen, dem wirren Rhythmus der Handlung und einem zentralen Charakterdrama verzettelt sie sich irgendwann in zu sprunghaften Stimmungswechseln. Smith hangelt sich von der Betrachtung eines isolierten Einsiedlers über ein psychotisches Geiselnahme-Szenario sowie eine bedrohliche Verschwörungstheorie hin zu persönlichen Tragödien. Dabei kreiert sie selten mehr als ansprechend in Szene gesetzte Einzelteile mit eigenständigem Potential, die sich eher gegenseitig abstoßen. So bleibt letztendlich vor allem der Eindruck eines unnötig verkomplizierten, wenig berührenden Porträts über einen Menschen, welcher der Realität sukzessive entgleitet und alles verliert, was ihm lieb ist. [...]
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"Why wouldn't I believe you?"
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[...] Always Shine - Freunde für immer… wird als cineastisches Erlebnis sehr deutlich von vertrauten Motiven geprägt. Werke wie Mulholland Drive, Persona oder zuletzt Queen of Earth haben alle ihre Spuren in Lawrence Michael Levines (Gabi on the Roof in July) Drehbuch zu diesem Film hinterlassen, in dem es um die destruktive Aura geht, die aus Neid und Eifersucht heraus entsteht und tiefe Risse im Verhältnis von zwei Frauen entstehen lässt. Die Regisseurin verwandelt ihren gelegentlich von verstörenden, kurz aufflackernden Bildfragmenten durchzogenen Psychothriller hierbei in einen wuchtigen Schauspielerfilm, in dem die zentrale Thematik des Schauspiels an sich zur wesentlichen Faszination gerät. In einer der elektrisierendsten Szenen des Films, in der Anna und Beth einen Auszug aus dem Drehbuch proben, das Beth eine Hauptrolle in einem billigen Horrorfilm einbringen könnte, verschwimmt die Grenze zwischen Spiel und Fiktion auf eindringliche Weise. Jede einzelne Dialogzeile und jede geringste Regung in der Mimik der beiden Frauen verdichtet sich zu einem Machtspiel, in dem fiktiv erzwungene Emotionen und aufrichtige Empfindungen förmlich miteinander ringen. Takal interpretiert das komplexe Verhältnis zwischen den beiden Protagonistinnen als intensives Rollenspiel, in dem die Gratwanderung zwischen Leben und Fiktion immer wieder von nervösen Zuckungen durchbrochen wird. Trotz seiner vielschichtigen Themenkomplexe, in denen der intime Rahmen zwischen den beiden Frauen einen unangenehmen Bogen hin zu Missständen im laufenden Hollywood-Betrieb schlägt, in dem sich von vornherein angeschlagene, instabile Persönlichkeiten endgültig in Identitätskrisen verlieren, umgeht Always Shine - Freunde für immer… mögliche Meta-Anleihen. Die Regisseurin inszeniert ihren Film viel mehr über audiovisuelle Reize, die das Kopflastige mehr und mehr verdrängen und trotz etwas zu offensichtlicher Entwicklungen gegen Ende nur allzu gerne in surreale Verwirrspielchen kippen. Ein maßgeblicher Konflikt in der Handlung dreht sich darum, dass Beth ein showreel von Anna nicht weitergeleitet hat, das die Fähigkeiten der Schauspielerin geschickt montiert aufzeigt und mit vollster Wirkung entfalten soll. Für Hauptdarstellerin Mackenzie Davis (Halt and Catch Fire) könnte es hingegen kaum ein besseres showreel geben als Always Shine - Freunde für immer…. Eine fast schon amüsante Pointe, die das gewaltige Schauspiel von Davis keineswegs schmälert. Sie dürfte man in Zukunft noch öfters zu sehen bekommen. [...]
Vorbei sind die Zeiten, in denen man Adrian Grenier hauptsächlich als aufstrebenden Hollywood-Schönling Vincent Chase aus der HBO-Serie „Entourage“ kannte. In Richard Bates Juniors dritten Spielfilm „Trash Fire“ ist der Schauspieler kaum wiederzuerkennen, auch wenn er nur optisch an Gewicht verloren hat.
Dass der von ihm gespielte Owen in der Anfangsszene selbst seine eigene Psychiaterin während einer Therapiestunde zum Einschlafen bringt, ist ein kurioser Auftakt für das, was noch folgen wird. Bates Junior inszeniert seinen Film über das erste Drittel hinweg als sonderbare Betrachtung einer Beziehung, in der das Verhältnis und vor allem die Dialoge zwischen dem zentralen Pärchen immer wieder bewusst ins Groteske kippen. Warum Isabel überhaupt seit drei Jahren mit einem Mann wie Owen zusammen ist, dürfte zunächst das größte Kuriosum dieser versponnenen Geschichte darstellen.
Bei Owen handelt es sich unter anderem um einen egozentrischen Bulimiker, der regelmäßig epileptische Anfälle erleidet, Isabels Verwandte und Freunde mit hochnäsiger Verachtung straft und seiner eigenen Freundin umgehend anbietet, die Kosten für eine Abtreibung durch zwei zu teilen, nachdem sie ihm eröffnet hat, schwanger zu sein. Mit einer Mischung aus amüsierter Süffisanz und bitterbösen Spitzen breitet Bates Junior die seltsam entrückten Dialoge zwischen seinen Figuren zu einem regelrechten Schlachtfeld aus. So entwickelt sich „Trash Fire“ zunächst zu einem weiteren Sehvergnügen, das sich ähnlich wie Bates Juniors „Excision“ an dem Tragischen und dem Komischen reibt und dabei groteske Berührpunkte an die Oberfläche befördert.
Von der zweiten Hälfte des Films lässt sich das bedauerlicherweise nicht behaupten. Nachdem Owen Isabel geradezu anbettelt, das gemeinsame Kind auf die Welt zu bringen, besteht sie darauf, Owens Verwandtschaft kennenzulernen. Nachdem seine Eltern durch ein Feuer ums Leben kamen, besteht die nur noch aus seiner Oma, zu der er laut eigener Aussage ein eher kompliziertes Verhältnis pflegt, und seiner Schwester, die damals ebenfalls vom Feuer erfasst wurde und schwere Verbrennungen erlitt.
Das große und zugleich unerwünschte Familientreffen gestaltet der Regisseur als kammerspielartiges Szenario aus unbehaglichen Momenten, schaurigen Genre-Motiven und schrägen Ausreißern, wobei sich Bates Junior nie auf einen Tonfall festlegen kann und am liebsten sämtliche Extreme aneinanderreiht. „Trash Fire“ verkommt hierdurch zu einem unentschlossenen Potpourri aus wirkungslosen Versatzstücken wie der unliebsamen Großmutter, die sich immer näher dem Wahnsinn zu nähern scheint, dem entstellten, weggeschlossenen Familienmitglied, das beim Zuschauer unsichere Gefühle zwischen Mitleid und Abscheu erzeugen soll sowie okkulten Elementen, die nie klar ausformuliert werden.
Indem der Regisseur in dieser zweiten Hälfte vor allem das Verhältnis zwischen Owen und Isabel beinahe vollständig entschärft und aufgrund tiefgründigerer Zwischentöne nach charakterlichen Glättungen strebt, verliert der Film deutlich an Schärfe und endet in einem planlosen Durcheinander, in dem die Mischung aus Grusel und Humor nie so recht aufgehen mag und ein völlig miserabler Schluss endgültig für einen bitteren Nachgeschmack sorgt. Fast wirkt es, als sei hier ein potentiell gelungener Film von einem unausgegorenen zweiten Film überrumpelt worden, der sich nach der Hälfte ungestüm in den Mittelpunkt drängt.
[...] Es ist ein von unruhigen Spannungen aufgeladenes Szenario, das Schultz hierbei errichtet, denn die Hintergründe sowie bedeutenden Informationen aus der Vergangenheit der zentralen Figuren belässt der Regisseur lange Zeit im Unklaren. Die dunklen Schatten, von denen Roxxy im Auftakt des Films verfolgt wird, bleiben ein ebenso vage angerissenes Mysterium wie die schwarze Tasche, die sich zu Beginn neben Vincent im Wagen befindet und von der Kamera zumindest für eine kurze Szene mit sichtlicher Neugier eingefangen wird. Mithilfe der starken Chemie zwischen Emile Hirsch (Into the Wild) und Zoë Kravitz (Dope), die ihren geheimnisvollen Hauptfiguren düstere Reize und zugleich eine unheimliche Anziehungskraft verleihen, schwirrt Vincent-N-Roxxy in bedächtiger Manier um aufkeimende Gefühlswelten, die in den richtigen Momenten des Films spürbar erbeben.[...] In einer Szene des Films, in der das Verhältnis zwischen Vincent und Roxxy einen erheblichen Wendepunkt erreicht hat, versucht sie ihm gegenüber auszudrücken, warum eine Beziehung zwischen ihnen niemals funktionieren wird. Das Innere von Vincent beschreibt sie dabei mit nur einem einzigen Wort: Violence. Die unvermeidlichen Konsequenzen gewalttätigen Handelns bringt Schultz schließlich in einem letzten Drittel zum Ausdruck, das einen Großteil der Zuschauer unvorbereitet überrumpeln dürfte und ausgerechnet den bislang charismatischen Rapper und Schauspieler Scott Mescudi (Meadowland) durch eine kleine Nebenrolle für lange Zeit auf höchst verstörende Weise im Unterbewusstsein verankert. In einem kompromisslosen Gewaltrausch, der in seinem skrupellosen, fast schon widerwärtigen Umgang mit sämtlichen Figuren fast schon zynische Ausmaße annimmt, befördert der Regisseur seinen Film in beinahe surreale Höhen. Die finale Spirale aus Rache und Gewalt, die auf ein fassungslos stimmendes, nihilistisches Inferno folgt, dürfte den meisten als überstilisierte, unreflektierte Selbstjustiz-Orgie übel aufstoßen. Dabei wendet sich der Regisseur selbst an sein Publikum und greift das zentrale Motiv von Vergebung auf, an dem alle Figuren in diesem Film auf drastischste Weise scheitern. Ähnlich wie Vincent, der Roxxy in einer Schlüsselszene in einem Brief darum bittet, ihm irgendwann verzeihen zu können, wirkt Schultzs Schlussakt wie ein verzweifelter Versuch nach Vergebung in einem Moment, in dem es längst zu spät ist und alles aus dem Ruder gelaufen ist. Der Song Angels der Band The XX, der im Film zu hören ist, als Vincent und Roxxy zum ersten Mal miteinander schlafen, wirkt bei seinem zweiten Einsatz kurz vor dem Abspann wie eine aus dem Paradies erklingende Melodie, die umgehend in die Hölle führt. [...]
[...] Ein riesiges, echsenartiges Monster stampft durch Seoul, begräbt ganze Häuserschluchten unter sich und versetzt die Menschen, die sich noch rechtzeitig retten können, in hysterische Hilfeschreie und panische Fluchtversuche. Was der Beschreibung nach ein neuer Teil der Godzilla-Filmreihe sein könnte, ist in Wirklichkeit das neue Werk des spanischen Regisseurs Nacho Vigalondo (Timecrimes – Mord ist nur eine Frage der Zeit), der bereits in der Vergangenheit mit wagemutigen Experimenten und verspielten Genre-Kreuzungen aufwartete. So geht es auch in Colossal nur am Rande um die überdimensionale Kreatur, die noch dazu immer zur gleichen Uhrzeit auftaucht und Südkorea verwüstet. Im Mittelpunkt der Geschichte befindet sich stattdessen Gloria, eine arbeitslose Autorin, die mit Alkoholproblemen zu kämpfen hat und zu Beginn des Films von ihrem Freund aus der gemeinsamen Wohnung in New York vor die Tür gesetzt wird, da er sie nur noch verkatert zu Gesicht bekommt. [...] Sobald Gloria genau um 08:05 Uhr morgens den Spielplatz in der Nähe ihres Hauses betritt, entsprechen ihre Bewegungen exakt denen des Monsters, das zur selben Zeit in Seoul auftaucht. Mit dieser recht absurden und doch erfreulich einfallsreichen Idee überträgt der Regisseur die Handlungen der oftmals unzurechnungsfähigen, stark alkoholisierten Protagonistin in ein brachiales Zerstörungsszenario. Hierdurch bringt Vigalondo die intimeren Ausfälle von Gloria mit massiven, globalen Kollateralschäden in einen Rahmen und gewinnt dem um brachiale Sensation bemühten Genre des Monster-Katastrophen-Films überaus frische Impulse ab. [...] Auch wenn es dem Regisseur über den gesamten Verlauf des Films nicht immer gelingt, die absurden, komischen Elemente seiner Geschichte mit den abgründigen, verletzlichen sowie ernsthaften Facetten in Einklang zu bringen, besticht Nacho Vigalondos „Colossal“ durch einen furchtlosen Ideenreichtum und eine noch furchtlosere Hauptdarstellerin. Einen Film, in dem Anne Hathaway ein gigantisches Monster durch Seoul wüten lässt, obwohl sie eigentlich viel mehr mit sich selbst zu kämpfen hat, wird man jedenfalls so schnell sicher nicht mehr zu Gesicht bekommen! [...]
„The art spirit sort of became the art life. And i had this idea that you drink coffee, you smoke cigarettes and you paint. And that’s it. Maybe, maybe, girls come into it a little bit but basically it’s the incredible happiness of working and living that life.“
Es scheint nur konsequent zu sein, dass Terrence Malick seinen achten Spielfilm „Song to Song“ in der Musikszene von Austin, Texas angesiedelt hat. Seit „The Tree of Life“, mit dem der Regisseur seinen Stil wohl endgültig perfektionierte, gleichen seine Filme längst selbst aneinandergereihten Musikstücken. Die schwebenden Impressionen in Malicks Spätwerk haben stets eine eigene Klangfarbe und vermischen sich mit flüchtigen Eindrücken, nachdenklichen Momenten des Innehaltens, schwermütigen Selbstzweifeln und wunderschönen Augenblicken zu einer majestätischen Symphonie, einem poetisch-zerbrechlichen Vakuum, das die Leinwand in vielen Szenen förmlich zum Glühen bringt und willige Zuschauer völlig in sich aufzusaugen vermag.
An eine lineare Handlung ist auch in diesem Film weiterhin nicht zu denken. Viel zu sehr ist Malick mittlerweile an einer filmischen Logik interessiert, die er vermutlich selbst kreierte und für die er einzelne Erinnerungen als eine unaufhörlich fließende Abfolge von Bewegungen inszeniert. Im Vergleich zum Vorgänger „Knight of Cups“, in dem der Regisseur Christian Bale als lebensmüden, innerlich leeren Drehbuchautor auf eine hypnotisierende Sinnsuche durch Hollywood schickte und sich dabei vor allem an dem Kontrast zwischen spiegelglatten Oberflächen und natürlicher Schönheit entlang hangelte, ist „Song to Song“ wieder weitaus gefühlsbetonter auf pure Sinnlichkeit ausgelegt.
Auch wenn es sich bei den zentralen drei Hauptfiguren um Musiker oder Musikproduzenten handelt, dient der künstlerische Schaffensprozess hier nur als beiläufige Randnotiz. Zwischen selbstkomponierten Songskizzen, Bandauftritten und zahlreichen Backstage-Besuchen bei Festivalkonzerten widmet sich Malick im Kern der Dreiecksbeziehung zwischen Faye, BV und Cook. Letzterer ist der attraktive, wohlhabende Produzent, der Künstler zu Plattenverträgen bringt, auf Partys durch die Menge rauscht und sich in seinem prachtvollen Anwesen mit Pool im Garten vor allem weiblicher Aufmerksamkeit hingibt.
Michael Fassbender spielt ihn als unwiderstehlichen Charmeur, hinter dessen breitem Grinsen und manchmal ausgelassen zappelnden Körper eine bedrohliche, destruktive Aura durchschimmert. Im Figurenkosmos des Films entpuppt sich Cook recht früh als Teufel in Menschengestalt, der im Hintergrund die Strippen zieht und dabei naive Nachwuchstalente sowie bezirzte Frauen regelrecht konsumiert, um das schwarze Loch in selbst zu füllen.
Überhaupt ist dieses Loch das treibende Motiv, welches unentwegt als schmerzliche Leerstelle in den Figuren aufklafft. Der von Ryan Gosling gespielte Musiker BV und die von Rooney Mara gespielte Musikerin Faye finden in Malicks betörendem Flackern der Glücksgefühle anfangs zueinander, doch nicht nur Cook ist es, der als feste Präsenz immer wieder zwischen den beiden steht. In den gewohnten Voice-over-Monologen, die der Regisseur häufiger als zuletzt mit konventionellen Dialogen abwechselt, sind es vor allem Selbstzweifel, die Frage nach der eigenen Identität und dem Platz auf der Welt, die den Charakter der Figuren bestimmen und sie in tiefe Konflikte stürzen, die sie meist mit sich selbst austragen müssen.
Dabei beschränkt sich Malick nie auf konkrete Psychologisierungen, sondern erzählt mit Emmanuel Lubezki und dessen Kamerakunst, die nach wie vor unerreicht bleibt, die Geschichte der einzelnen Körper, die sich suchend berühren, abtasten und streicheln, wobei die sinnliche Komponente des Werks von düsteren Untertönen durchbrochen wird, bei denen der Regisseur im späteren Verlauf die mitunter herzzerreißendsten Szenen und tragischsten Höhepunkte seiner bisherigen Karriere einstreut.
Stilistisch bleibt sich der Regisseur weiterhin treu, was ihm viele mittlerweile als müde Variation oder Stagnation auslegen möchten. In „Song to Song“ lässt er die Figuren, die greifbare Intimität zwischen ihnen sowie die tiefe Verletzlichkeit von ihnen jedoch so unmittelbar spürbar werden wie länger nicht mehr. Dabei schließen sich bei einem der letzten großen Poeten des Kinos unerreichbare Höhenflüge und bittere Verzweiflung nie aus, sondern verknoten sich in formvollendeten Momenten, in denen die quälende Einsamkeit im Angesicht überwältigender Schönheit glücklicherweise regelmäßig ins Stocken gerät, bevor sie sich einen Weg zurück ins Bewusstsein kämpft.
Vorhersehbar waren die Filme von Ben Wheatley noch nie. Zwischen verstörenden Horror-Thrillern („Kill List“), schwarzhumorigen Grotesken („Sightseers“), psychedelischen Kunstfilm-Exzessen („A Field in England“) und elegisch-apokalyptischen Dystopien („High-Rise“) ließ sich der Regisseur bislang nie in eine feste Schublade stecken, was seine Filmografie qualitativ so interessant wie durchwachsen zugleich macht. „Free Fire“, Wheatleys sechster Spielfilm, kommt nun auf dem Papier bereits einem ausgelassenen Scherz gleich, purer Schabernack, der klingt, als hätten ihn sich Actionfans bei einem Trinkgelage zusammengesponnen.
Ein einziger Schusswechsel, der sich über die Länge eines ganzen Films erstrecken soll. Das ist das Konzept hinter diesem Werk, das der Regisseur zusammen mit seiner Ehefrau Amy Jump entwickelt hat, mit der Wheatley auch bei seinen letzten Filmen schon für das Drehbuch und den Schnitt zusammenarbeitete. Dass die beiden ihre Idee ernst nehmen, zeigt sich ungefähr nach dem ersten Drittel des Films. Nachdem der erste Schuss abgefeuert wurde, artet die Situation in ein wüstes, chaotisches Durcheinander aus, bei dem sich der Schauplatz bis zur letzten Szene vor dem Abspann nicht mehr verändert und ein schier endloser Kugelhagel ausbricht, der nur von wenigen Ruhe- und Nachladepausen unterbrochen wird.
Mit einer Mischung aus amüsierter Verachtung und trotzigem Desinteresse blickt der Regisseur dabei auf seine Figuren, die er unverhohlen immer wieder in die Schusslinie wirft, schmerzhaften Verletzungen aussetzt, über den Boden robben lässt und die Orientierung raubt, so dass manche von ihnen nach einer Weile nicht mal mehr wissen, auf welcher Seite sie eigentlich stehen. Das überschaubare Ensemble setzt sich aus zwei Gangsterbanden zusammen, die in einer Lagerhalle eigentlich nur einen unspektakulären Waffendeal über die Bühne bringen wollen. Die Spannungen, die schließlich zum übereilten Schusswechsel führen, sind letztlich allerdings kaum von Belang. Wheatley inszeniert die Kriminellen stattdessen als überspitzte Karikaturen, die als Hitzköpfe, Möchtegern-Alphatiere, abgebrühte Poser oder verpeilte Junkies auftreten. Aneinander geraten sie nur deshalb, weil ihr fehlender Intellekt dafür sorgt, dass sie impulsiv sowie unüberlegt handeln und vor allem aus verletztem Stolz zum direkten Konflikt übergehen, der mit Worten in ihrer Welt nicht geregelt werden kann.
Dass der Regisseur die Figuren dabei regelrecht bloßstellt und ihnen von Anfang an bis auf wenige Stichwörter kaum Möglichkeiten zur Charakterisierung einräumt, ist ein Ansatz, der „Free Fire“ in ein denkbar eindimensionales Korsett zwängt, das im Kugelhagel fernab von durchdachten Metaebenen oder verspielter Genre-Reflexion nichts als herabwürdigen Zynismus, undankbare One-Liner, quälend in die Länge gezogene Tode oder verschleppte Spannungsmomente zu bieten hat. Während im illustren Cast zumindest Armie Hammer als einziger passende Selbstironie beweist und sich mitten im Gefecht noch einen Joint anzünden darf, um anschließend angenehm benebelt zwischen den einzelnen Schützen zu taumeln, sind Darsteller wie Cillian Murphy, Michael Smiley, Sam Riley oder Brie Larson kaum mehr als eine Charakterfacette auf zwei Beinen, wobei insbesondere Sharlto Copley als schauspielernder Akzent nur noch schwer zu ertragen ist.
Einzig und allein Wheatleys Gespür für Rhythmus und Timing, das er zusammen mit dem abwechselnd wirren und dann wieder punktgenauen Schnittfolgen vorantreibt, rettet „Free Fire“ vor dem desaströsen Totalausfall. Etwas mehr als eine farblose Gangster-Action-Komödie, deren einziges Gimmick, der pausenlose Schusswechsel, sich aufgrund von fehlenden Ideen und eindimensionalen Charakterschablonen überraschend schnell abnutzt, hätte man nach „High-Rise“ aber dann doch erwarten dürfen. So bleibt sich der Regisseur in seiner durchwachsenen Filmografie aber immerhin weiter selbst treu.