OrdellRobbie - Kommentare

Alle Kommentare von OrdellRobbie

  • 9

    1942: Zur Zeit der deutschen Besatzung in Frankreich versucht eine Gruppe von Widerständlern (u.a. Lino Ventura, Simone Signeuret) im Untergrund gegen das Hitler-Regime vorzugehen. Ein quälendes Spiel um Vertrauen & Verrat, das schicksalshafte Züge annimmt ...

    Jean-Pierre Melvilles kühner Pessimismus erreicht in L'ARMÉE DES OMBRES (1969) einen verfeinerten Endpunkt: Zu keiner Zeit Partei ergreifend, mit kalter Präzision ausgetragen schildert er den mechanisch agierenden Apparat der Résistance. Seine Mitglieder sind alles andere als Helden, sondern Marionetten, gehetzt und verfolgt, jeglicher Zugehörigkeit beraubt im stillen Gefecht. Eine Ausflucht gibt es nicht. Gerade aber durch die offensichtlichen Reduzierungen in allen Belangen erreicht Melville Großartiges - Bedrückend würdevolles Spannungskino in den intensivsten Momenten.

    5
    • 7

      War es in Shivers (1975) noch eine hochmoderne Wohnanlage, so ist es in RABID (1977) ganz Montreal, das von einer rasenden Epidemie heimgesucht wird. Cronenberg wäre aber nicht Cronenberg, wenn er seinem aufkeimenden Body Horror keinen einzigartigen politischen Subtext auferlegen würde. Das Virus breitet sich vornehmlich an öffentlichen Plätzen aus: die U-Bahn, das Einkaufszentrum oder das Mitternachtskino. Marilyn Chambers, zuvor berüchtigt durch den Porno Chic "Behind the Green Door", ist der Ursprung des Chaos - einem unstillbaren Blutdurst. Sie ist Opfer eines chirurgischen Experiments nach einem Motorradunfall, nun willenlos geleitet von ihren Trieben (rabies), welche sie an Andere weiterträgt. Vor allem das finale Bild brennt sich ins Gedächtnis wie kein anderes: Die Gesellschaft endet lieb- und herzlos abtransportiert im Müllwagen. Was ein treffsicheres Frühwerk!

      4
      • 9

        Auf den Trümmern der eigenen Existenz: Der Mieter (1976)

        LE LOCATAIRE, das Ende der losen „Apartment“-Trilogie, ist am besten mit dem Werk Franz Kafkas vergleichbar: Ein schüchterner junger Mann bezieht eine Pariser Wohnung, in welcher sich zuvor eine Frau vom Balkon gestürzt hatte. Seine argwöhnischen Nachbarn reagieren überempfindlich und feindselig ihm gegenüber. Mehr und mehr verschanzt er sich, wobei der Wahn langsam die Oberhand gewinnt...
        Polanskis Kammerspiel funktioniert am besten als psychologische Angststudie, als subjektiver Alptraum der Paranoia. Und darin ist er regelrecht furchteinflößend: Ich-Zerfall, Isolation und sozialer Druck in einer in kühlen Farben getauchten Großstadt.

        Dieser Abgrund wird noch lange wirken...

        6
        • 8 .5

          »If I was in L.A.
          California Dreamin'«

          Tarantino erschafft voller Hingabe Set pieces, die in ihrer nostalgischen Sehnsucht unvergleichlich anzuschauen sind. ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD ist gleichermaßen Lobeshymne und Abgesang auf eine Ära des Films, die gemeinhin als ausgestorben gilt. Das Jahr 1969 ist in erstaunlicher Unmittelbarkeit präsent - so führt die erste Hälfte ein schimmerndes Mosaik jener Epoche vor, in denen Bilder und Musik lustvoll verschmelzen. Bis zu den ersten Konfrontationen mit der Manson Family ist dies melancholisches Sinneskino für Augen und Ohren, ein Märchen voll dialogischer Finesse und schwarzem Humor.
          Dass Tarantino ein klar versöhnliches Ende findet, bestätigt nachdrücklich den poetisch verklärenden Blick auf große Hollywood-Mythen.

          13
          • 5
            • 8 .5
              OrdellRobbie 21.08.2019, 13:31 Geändert 21.08.2019, 15:51

              Nach einem Autounfall ist die bildhübsche Tochter (Edith Scob) des Pariser Chirurgen Génessier (Pierre Brasseur) völlig entstellt. Von nun an trägt sie eine gestaltlose Maske, die nur ihre Augen freilegen. Offiziell ist Christiane bereits tot, doch Génessier setzt alles daran, ihr ein neues Leben mit neuem Gesicht zu ermöglichen...

              Die Autonomie des Menschen, der psychopathische Wissenschaftler und die Tauben im Käfig. Georges Franju hat mit LES YEUX SANS VISAGE (Augen ohne Gesicht, 1959) ein Horror-Meisterwerk voll dunkler Poesie geschaffen. Der fast dokumentarische Blick auf Operationen wird mit klinischer Distanziertheit vollzogen, während der narzisstische Vater kaltblütig Morde im Auftrag der „Schönheit“ rechtfertigt. Christiane wird so selbst zum Opfer seines Größenwahns und befreit in der letzten Szene alle Tiere der Villa, um in einem märchenhaften Befreiungsakt in die schwarze Nacht zu schreiten.
              Fazit: Ein außerordentlicher Thriller mit gewagten Bildern.

              9
              • 8
                OrdellRobbie 18.08.2019, 13:16 Geändert 30.07.2020, 00:11

                "Nothing is more contagious than evil."

                Pier Paolo Pasolinis letzter Film vor seiner Ermordung im Jahr 1975 spielt in der ehemaligen italienischen Republik Salò (1943 - 1945) gegen Ende des Zweiten Weltkriegs - vier faschistische Souveräne entführen Jugendliche in einen abgelegenen Palast, um sie dort systematisch Folter und Mord auszusetzen. Die despotischen Herren machen keinen Hehl aus ihren sexuellen Perversionen und sadistischen Neigungen, die sie an den jungen Körpern der Opfer grausam zelebrieren. Der diktatorische Mikrokosmos wird zum Tempel des Eros und Thanatos, in dem die Sklaven "immer wieder von neuem getötet" werden sollen. SALÒ wurde seit seiner Veröffentlichung mit Ablehnung begegnet, dabei zeugen die grenzenlose Willkürherrschaft, der (Macht-)Missbrauch und die Entmenschlichung eines elitären Kreises doch noch heute von brisanter Aktualität - power over the people (man denke nur an Abu Ghraib. Die Vergangenheit holt uns immer wieder ein.) Eine transgressive Parabel in schmerzlichen künstlerischen Tableaus, die den Zuschauer völlig alleinlassen in seiner Misere. Das hat immer Redebedarf.

                "Those who cannot remember the past are condemned to repeat it."
                (George Santayana, 1905)

                8
                • Phantastische Idee ;)
                  Das Hoffmann'sche Unheimliche in Bildern - finde "Seconds" von John Frankenheimer passt hier auch sehr gut.

                  2
                  • 4
                    OrdellRobbie 12.08.2019, 12:56 Geändert 18.08.2019, 12:22
                    über Climax

                    Wie schon in 'Irréversible' und 'Enter the Void' erweist sich Gaspar Noé als enorm radikaler Filmemacher, der Klang, Farbe und Rhythmus in einen deliriösen Strudel der Sinnesreize verwandelt. Eine Tanzgruppe aus Frankreich gibt sich nach einer streng choreographierten Performance dem Alkohol hin. Von da an übernehmen körperliche Triebe das grazile Bewegungs-spiel - die Tanzfläche wird zum roten Inferno willenloser Individuen, deren Denken von der halluzinogenen Wirkung des LSD bestimmt ist: die rotierende Kamera gleitet über die Köpfe hinweg, Benommenheit in schiefen Dutch Angles und pulsierenden Beats. Kein Wunder, dass CLIMAX zu Beginn Filme wie „Possession“ oder „Dawn of the Dead“ in den Raum wirft - der Körper ist Ausgang und Ende dieser Zersetzung und Ekstase.
                    Leider kommt dieser Beitrag arg prätentiös daher, der die bloßen Schauwerte früherer Filme nur noch hüllenlos bedient - und in der berechneten Katastrophe aller Teilnehmer endet. Viel Aufsehen um einen Pseudo-Skandal.

                    7
                    • 9
                      OrdellRobbie 02.08.2019, 22:02 Geändert 05.01.2021, 15:36

                      "I hate the artificial mechanisms of conventional cinematic narration. Life has a completely different pace, sometimes fast, sometimes extremely slow. In a story about feelings, like L’Avventura, I felt the need to link feelings to time. Their own time. The more times I see L’Avventura, the more I am convinced that I found the right rhythm, I don’t think it could have had any other pace than the one it has."
                      –Michelangelo Antonioni

                      Ein Film als Sackgasse, ohne Ausweg, ohne Anfang und Ende.

                      4
                      • 8
                        OrdellRobbie 24.07.2019, 18:52 Geändert 29.07.2019, 01:12

                        Selbst in den absurdesten Momenten schimmert in Polanskis drittem Langfilm CUL-DE-SAC (Wenn Katelbach kommt) eine Prise Schwermut und Melancholie durch. Seine drei Hauptfiguren sitzen auf einer englischen Insel fest; ein ungleiches Paar (Françoise Dorléac, Donald Pleasance) und ein ruppiger Gangster (Lionel Stander), der auf seinen Boss Katelbach wartet. Die Gezeitenströmung schneidet sie von der Außenwelt ab. Langsam aber sicher wird die gotische Burg zum Schauplatz innerer Abgründe, ein Handlungsmotiv, das Polanski spätestens seit „Ekel“ meisterhaft durchforstete. Dank der eleganten Kameraführung von Gilbert Taylor bewegt sich der Film auf einem hohen künstlerischen Niveau (die bis dahin längste Plansequenz von etwa sieben Minuten!). Prämiert mit dem Goldenen Bären 1966, zeigt der Auteur sich hier von seiner persönlichsten schwarzhumorigen Seite.

                        6
                        • 8
                          OrdellRobbie 16.07.2019, 23:16 Geändert 17.07.2019, 20:29

                          In einem menschenleeren Hotel im belgischen Ostende trifft ein frisch vermähltes Paar auf die anmutige Gräfin Báthory (Delphine Seyrig) und ihre Gespielin Ilona (Andrea Rau). Bald kommen Liebeswirrung und sinnliche Versuchung mit ins Spiel ...

                          In den einsamen Korridoren, prachtvollen Sälen wirkt die glamouröse Contessa geradezu gespenterhaft. Harry Kümel (Malpertuis) beschwört in LES LÈVRES ROUGES eine unnachahmliche Aura herauf - lesbische Liebe, rote Lippen, sexuelle Intrigen und ein Ausflug ins Übernatürliche - was ihn zu einen der eigensinnigsten europäischen Gothic-Horror-Beiträgen macht, die in den 1970ern entstanden sind. Ein Kaleidoskop von Kunst- und Vampirfilm.
                          «Queer Cinema» im wahrsten Sinne des Wortes.

                          8
                          • 10
                            OrdellRobbie 05.07.2019, 13:04 Geändert 05.07.2019, 14:57

                            Statuenhaft, kühl, rau, verregnet, trüb, entsättigt.
                            In Melvilles fast ästhetizistischem Gangsterfilm LE SAMOURAÏ definiert Alain Delon Genreregeln neu - als Meditation über Einsamkeit. Sein dunkles Apartment ist trostlos, nur ein Vogel im Käfig gibt Laute von sich. Seine ikonenhafte Erscheinung, der beige Trenchcoat und Hut sind nur Oberfläche. Dahinter ruht ein stoisches Gemüt. Melville will die Wirklichkeit nicht abbilden, seine Stilistik schafft ein eigenes Kunstgebilde (poésie pure) im monochromen Paris anno 1967. Diese Welt ist grau und wortkarg, ewig durch den diffusen Schleier des Regens versperrt:

                            Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
                            sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
                            geht durch der Glieder angespannte Stille –
                            und hört im Herzen auf zu sein.

                            (Rainer Maria Rilke, Der Panther)

                            11
                            • 8

                              Luis Buñuel umgeht in seiner Dramaturgie bewusst konventionelle Wege, bricht in den schrillsten Momenten ab, um dem Zufall alles zu überlassen. LE FANTÔME DE LA LIBERTÉ rechnet ab mit Dekadenz und der Verrohung des Großbürgertums. Das Absurde wird zur logischen Einheit, denn nur die kann man berechnen: Essen am Tisch ist obszön, genauso französische Sehenswürdigkeiten und Symmetrie - Die heile Welt: Mönche vergnügen sich beim Poker, ein Hahn im Schlafzimmer und Inzest. Buñuels urkomisches Kino ist in höchstem Maße subversiv, weil es von einer Gesellschaft mit anarchistischen, selbstzerstörerischen Strukturen durchzogen ist. Vielleicht ist der Surrealismus die beste künstlerische Form, um diese paradoxe Zeit darstellen zu können.

                              7
                              • 9
                                OrdellRobbie 12.06.2019, 17:29 Geändert 01.12.2021, 18:37

                                "The key of joy is disobedience"

                                In Kenneth Angers visionärem Kino verschmelzen taktile Sinnesreize mit provokativem homoerotischem Inhalt. Der kontrapunktische Einsatz von Rock- & Pop-Musik der 1950er Jahre (u.a. Elvis Presley, Bobby Vinton) steht im Kontrast zu den ritualisierten Vorbereitungen einer Motorradgang: Springerstiefel, Stahlhelme und Lederuniformen. Elitärer Schick verbindet sich mit fetischisierter Männlichkeit. Die ikonischen Rebellen heißen Marlon Brando ("Der Wilde") und James Dean, Identifikation, Urbild des fragilen Machismos, parallelisiert mit Bildern von Anhängern Jesu und Hitlers. Auch SCORPIO RISING ist ein Film voller Anarchie und Aufbegehren einer jungen Generation von Underground-Regisseuren, die keine Scheu zeigen, das Medium nach eigenem Willen umzugestalten. Ihr Einfluss ist bis in die Postmoderne, oder gerade selbst als Ausdruck einer frühen Clipästhetik -- der reinen Ästhetisierung und Stilisierung des "Bösen", der schillernde Soundtrack mit seinen verborgenen Relationen und relativ freiem Bezug zum Bild -- spürbar.
                                (Scorseses Mean Streets hätte gewiss nicht seinen popbasierten Soundtrack ohne Angers Meilenstein der amerikanischen Avantgarde und von Tarantino ganz zu schweigen...)

                                4
                                • 9
                                  OrdellRobbie 05.06.2019, 20:33 Geändert 08.06.2019, 02:40
                                  über Stalker

                                  “I think it lets those pass who have lost all hope.“

                                  Ein Professor, Schriftsteller und der geheimnisvolle Stalker wagen sich in die militärisch bewachte, abgeriegelte „Zone“. In ihr herrschen eigene Gesetze, die das Gebiet zu einem wandelbaren Ort machen - nichts beugt sich hier dem menschlichen Verstand. Der Stalker weiß um ihre magische Kraft, führt die Fehlgeleiteten in die raue, natürliche Schönheit, um in ihr tiefes Geheimnis vorzudringen ...

                                  Über die wenigen Erzählpassagen hinweg, erfahren wir mehr über das Wesen der „Zone“. Dazu lässt Tarkowski seine Bilder selbst sprechen, in stiller Meditation, nur mit den Mitteln filmischer Poesie. STALKER ist somit vor allem Science Fiction über die Menschlichkeit: Selbstzweifel, Melancholie und Entfremdung in einer postapokalyptischen Gesellschaft.

                                  6
                                  • 8

                                    Olivier Assayas' PERSONAL SHOPPER ist zweifellos einer der ungewöhnlichsten Geisterfilme der Dekade. Maureen (Kristen Stewart) erhält Textnachrichten eines Unbekannten, den sie für ihren verstorbenen Zwillingsbruder Lewis hält. Da sie sich selbst als Medium versteht, wartet sie auf signifikante Zeichen aus dem Jenseits und beginnt im Internet zu recherchieren (Spiritismus, Hilma af Klint). Gleichzeitig muss sie als Modeberaterin die Pariser Haute Couture durchwandern. Was zunächst banal erscheint, steigert sich zu einem höchst manipulativem Thriller, in dessen Mittelpunkt digitale Kommunikation und Metaphysik stehen. Selbst in seiner vermeintlichen Auflösung lösen sich nicht die Knoten, alles bleibt umhüllt vom Schleier des Ungewissen... "or is it just me?"

                                    10
                                    • 8 .5

                                      Francesco Barillis beinahe verschollener Giallo überwindet leicht Genregrenzen, der Übergang in einen Horrorfilm geschieht auf beeindruckende Weise: Denn bis kurz vor Ende der SIGNORA IN NERO beherrscht die Wohnung Mimsy Farmers eine Aura des Ungewissen; die erfolgreiche Chemielaborantin hat einen geregelten Alltag, alles scheint gewöhnlich an der Oberfläche, doch Visionen markieren ihren zunehmenden Wahn. Zwischen Voodoo-Hexerei, einer Geistergeschichte und posttraumatischem Stress dreht sich ihre eigene Welt - und der Betrachter kann sich nur mühevoll zusammenreimen, wie dies in Verbindung steht.
                                      Das unvermittelte Ende kann nur als logische Konsequenz des zuvor Gesehenen gelten, als endgültige Subversion und Schockmoment.
                                      Fazit: Wunderschön fotografierter, mit expressiven Lichtakzenten ausgestatteter Thriller, dessen Auflösung noch lange widerhallt.

                                      8
                                      • 7
                                        OrdellRobbie 09.04.2019, 23:47 Geändert 30.01.2022, 22:03

                                        "Waiting a million years, just for us ... "

                                        PICNIC AT HANGING ROCK, bis heute einer der prägendsten australischen Produktionen, ist eine Fingerübung der subtilen Spannung. Nichts ist, wie es scheint, wird uns schon anfangs erklärt. Und als die Schülerinnen den gesitteten viktorianischen Schulalltag verlassen, mit der ungezähmten Natur unweigerlich in Berührung kommen, tut sich ein Abgrund der Ungewissheit auf. Die träumerische Idylle in flüchtigen, Sommer-Eindrücken, unterlegt vom zarten Spiel der Panflöte, verschleiert die grobe Gefahr der unwirtlichen Topographie. Konsequent beendet Peter Weir das Drama - und lässt mehr Fragen offen, als er beantwortet. Trance, magisch-mystische Verzauberung und Coming-of-Age, die Zeit ist tot.
                                        Von der thematischen Fülle; weibliche Unschuld und Sexualität, die schlafwandlerisch-sinnliche Ästhetik zeigte sich u.a. Sofia Coppola stark inspiriert (The Virgin Suicides).

                                        8
                                        • 8
                                          OrdellRobbie 24.03.2019, 12:03 Geändert 24.03.2019, 21:03

                                          Karl Kopfrkingl (Rudolf Hrušínský) arbeitet mit Herzblut im Prager Krematorium. Seine buddhistische Weltsicht versichert ihm, dass Einäscherung das Leiden der Seele erheblich verkürzt. Als er jedoch von einer radikalen Partei erfährt, wandelt sich dieses Bild: Von nun an sieht er sich als Beschützer des „reinen deutschen Blutes“ ...

                                          Juraj Herz schafft mit dem LEICHENVERBRENNER eine fruchtbare Auseinandersetzung mit den Themen Fanatismus/Antisemitismus. Gerade zum Ende hin entfaltet sich ein klar expressionistisch gefärbter Psycho-Thriller durch die Transformation des friedfertig-beängstigenden Kopfrkingl. Ein Pionier der tschechischen Avantgarde (Montage, verzerrte Winkel, subjektive Kamera), eine psychologische Studie über die Rechtfertigung des Mords und wie schnell man jegliches Ethos verwerfen kann. Eindringlich menschlich und abgründig bizarr.

                                          7
                                          • 7
                                            OrdellRobbie 15.03.2019, 21:38 Geändert 21.04.2020, 01:24

                                            "When you awake, my love, keep your secret safe."

                                            Im Zuge der Czech New Wave entstandenes quirliges Gothic-Märchen aus dem Blickwinkel eines 13-jährigen Mädchens: Farben des Frühlings, grüne Felder, sanftes Flötenspiel. Aber da lauern auch Gefahren im Wunderland; eine blasse Vampirfratze verfolgt sie und Figuren verstecken ihre zweideutige Natur. VALERIE A TÝDEN DIVŮ ist eine traumhafte Allegorie sexuellen Erwachens, die eine assoziative Bildsprache vermittelt. Wenig ist vorauszusetzen, viel kann man gewinnen. Sehenswert wegen seiner vielfältigen Rezeption märchenhafter Themen sowie seiner strukturellen Ähnlichkeit zu Träumen.

                                            7
                                            • 8

                                              Satirisch überspitzt und kammerspielartig choreographiert zeigt THE FAVOURITE Machtstrukturen im frühen 18. Jahrhundert auf: Queen Anne (Olivia Colman) ist die schwerfällige Monarchin, gleichzeitig tragische Leidensfigur und Opfer eines restriktiven Hofstaates. Rachel Weisz und Emma Stone buhlen um die Gunst (favour) ihrer Majestät und scheuen vor keiner Methode zurück. Lanthimos' strenger filmischer Rahmen wird nur durchbrochen von allerlei 'Irrsinn' mit Mitteln des absurden Theaters, bei dem sich niemand sicher sein kann über den weiteren Hergang der Geschichte. Liebe ist Hass, Hass ist Liebe - ein kompliziert verschrobenes Bühnenstück, das sich von seinem historischen Kontext loslösen kann bis in unsere heutige Zeit. Wahrlich grandios.

                                              "War is not over. We must continue."
                                              "Oh... Oh, I did not know that."

                                              7
                                              • 9

                                                Blau - Die Farbe der Freiheit
                                                Julie (Juliette Binoche) verliert Mann und Tochter bei einem Autounfall. Sie wagt einen grundlegenden Neuanfang, lässt alles zurück. Doch die Vergangenheit holt sie ein …
                                                Die Titel gebende Symbolfarbe blau erscheint zunächst als Projektion ihrer Trauer und emotionaler Kälte; später als Verweis auf eine Liberalisierung, das Loslassen einer schmerzhaften Trennung, als Julie das Musikstück vollenden kann. Krzysztof Kieślowski weiß um die künstlerische Form, die die äußere Handlung nur noch unterstützt. Besonders die ungewöhnliche Herangehensweise an das Thema "Freiheit" macht TROIS COULEURS: BLEU zu einer reinigenden Erfahrung und zu nachhaltig bewegender Kunst.

                                                <https://www.youtube.com/watch?v=9lJeQAFyJgQ>

                                                5
                                                • 7

                                                  Unfassbar, wie Regisseur Babak Anvari das Horrorgenre inmitten kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen dem Iran und Irak Ende der 1980er verortet.
                                                  Als ihr Mann an die Front muss, sind Tochter und Mutter in dem Wohnungsblock auf sich allein gestellt. Raketen schlagen ein und der Bombenalarm geschieht in regelmäßigen Abständen. Mit fortschreitender Laufzeit entwickelt UNDER THE SHADOW eine immer bedrohlicher werdende Kamera- und Tondynamik. Wir betrachten die Situation Teherans nur als Teil eines größeren Ganzen - pars pro toto - in einem abgeschlossenen Bereich menschlicher Existenz. Auf diesem simplen Rezept beruht die Spannung des Films bzw. die des grandiosen offenen Endes.

                                                  7
                                                  • 8 .5
                                                    OrdellRobbie 18.01.2019, 20:19 Geändert 27.01.2020, 20:28
                                                    über Carol

                                                    Zart, feinfühlig, endlos erotisch. Todd Haynes kleidet seine edlen Bilder in anmutig "gemalte" Kulissen des New York der 50er, verwaschene Pastelltöne. In einer Ära, die Homosexualität tabuisiert, verlieben sich die junge Verkäuferin Therese Belivet (Rooney Mara, Beste Schauspielerin in Cannes) und die Hausfrau CAROL (Cate Blanchett) ineinander. Bemerkenswert ist hier, wie die Kamera selbst den begehrenden Blick der Frauen einfängt - vor allem Thereses erstes Foto von Carol im Wintermantel und sanftem Schneefall. Es sind vorbeiziehende, vergängliche Augenblicke, unbemerkte, aber wertvolle Gesten, die nachhaltig bewegen. Großartig.

                                                    6