Stefan Ishii - Kommentare

Alle Kommentare von Stefan Ishii

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    Stefan Ishii 27.10.2018, 06:55 Geändert 27.10.2018, 06:59

    "Mutters Courage" von Michael Verhoeven ist eine ironisch gebrochene Auseinandersetzung mit der Judendeportation am konkreten Beispiel einer ungarischen Mutter, erzählt durch den tatsächlichen Sohn George Tabori, der sich selbst spielt. Die deutsch-britisch-österreichische Koproduktion hat nichts mit Bertolt Brecht zu tun, entleiht sich lediglich in leicht abgewandelter Form eines seiner Titel. Taboris autobiografischen Erzählung hatte er bereits 1979 (mit Hanna Schygulla in der Rolle der Elsa Tabori) ins Theater gebracht und betrachtet seine Geschichte über das Unfassbare auf komische, mitunter sogar absurde Weise und nähert sich dem Unvorstellbaren somit nur subtil, aber auf durchaus menschlicher, mitfühlender Art. Viele interessante Aspekte werden von Tabori und Verhoeven nur angedeutet oder bleiben unausformuliert. Der Holocaust findet statt, wird aber nicht direkt gezeigt. Und doch ist er in jeder Szene allgegenwärtig. Immer wieder stellt Verhoeven dem unterschwelligen Grauen die bunte, scheinbar unbeschwerte Leichtigkeit der Nichtbetroffenen gegenüber. In einer Szene beispielsweise kommt dem Deportationszug nach Auschwitz eine Eisenbahn voller fröhlicher Kinder auf dem Weg zum Sommerurlaub entgegen. Somit erzeugt der Film eine merkwürdige Surrealität. Aber dabei belässt es der Autor nicht. Tabori zeigt Figuren, die offenkundig nicht ihren Rollenbildern entsprechen wollen. Der Mann, der Elsa buchstäblich den letzten nötigen Anschub gibt, ist alles andere als sympathisch. Doch ohne ihn hätte Elsa wohl kaum ihre Courage aufgebracht. Gleichzeitig ist der hauptverantwortliche SS-Mann, gespielt von Ulrich Tukur, fast schon eine Heldenfigur; ein Vegetarier, der über Moral philosophiert. Und wie ist Elsa Tabori eigentlich zu bewerten?

    Verhoevens Umsetzung bricht seine düstere Thematik stets mit dem ironischen Augenzwinkern George Taboris, bleibt größtenteils eher nüchtern und stellt von Anfang an klar, dass es sich hier um einen Film handelt. Schön und bizarr zugleich. Humorvoll und menschlich nichtsdestotrotz.

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      Wenn man dem Essen zugetan ist und einem insbesondere die asiatische Küche beim bloßen Gedanken das Wasser im Munde zusammen laufen läßt, dann kann "Eat Drink Man Woman" von Ang Lee phasenweise fast eine buchstäbliche Tortur sein. Was da an Köstlichkeiten gezaubert wird, sieht so appetitlich aus, dass das Verlangen danach ungeahnte Ausmaße annimmt. Ein Verlangen, das zumindest während des Schauens des Filmes nicht befriedigt werden kann. Aber natürlich geht es in dem taiwanesischen Drama nicht vordergründig ums Essen oder Trinken; im Titel stehen neben diesen Wörtern noch die Begriffe Mann und Frau. Der Protagonist des Filmes sagt an einer Stelle: "Essen, Trinken, Mann, Frau. Grundlegende menschliche Wünsche. Man kann sie nicht vermeiden. Mein ganzes Leben lang war das alles, was ich je getan habe. Es kotzt mich an. Ist das alles um was es geht im Leben?" Eine einfühlsame Sozialstudie also, die Ang Lee hier erschaffen hat.

      Tatsächlich ist "Yin shi nan nu" der einzige Film von Ang Lee, der in seiner gebürtigen Heimat Taiwan angesiedelt ist. "Schiebende Hände" (1992) oder "Das Hochzeitsbankett" (1993) spielen bereits in New York, auch wenn die Mehrzahl der Figuren chinesischer Abstammung ist. Was diese drei Filme jedoch vereint, ist das Thema gesellschaftlicher Zwänge. Unglückliche Figuren, gefangen in sozialen Systemen, welche Individualität und natürliche Wünsche nicht zuzulassen scheinen. Im ersten Film ist es ein ehemaliger Tai-Chi-Meister, der ein neues Leben bei seiner Familie in Amerika beginnen möchte. Sein Sohn Alex versucht die Familie zusammenzuhalten angesichts innerer Konflikte zwischen kultureller Tradition und modernem, amerikanischem Lebenstil. In "Das Hochzeitsbankett" wird wiederum von einer gespielten Ehe zwischen einem Homosexuellen und einer Bekannten erzählt. Die Hauptfigur Wei-Tung täuscht hier aufgrund seiner drängenden Eltern etwas vor, das er nicht selbst ist.

      "Eat Drink Man Woman" berichtet nun vom alten, verwitweten Koch Chu, der mit seinen drei erwachsenen, aber unverheirateten Töchtern in Taipeh zusammenlebt. (Für Freunde der Filme von Yasujiro Ozu klingt das doch sicherlich sehr ansprechend.) Die älteste Jia-Jen ist eine Chemielehrerin, die zum Christentum konvertiert. Jia-Chien arbeitet bei einer Fluggesellschaft. Und die Jüngste, die Studentin Jia-Ning, jobbt nebenbei in einem Fast-Food-Restaurant. Im Fokus des gemeinsamen Lebens im Hause Chus stehts das Ritual eines regelmäßigen und ausgiebigen Abendessens. Durch leidenschaftliche Kochkünste versucht Chu seine Gefühle zu seinen Kindern auszudrücken, doch für die Töchter stellt dieses Ritual inzwischen wohl mehr Pflicht als Vergnügen dar. Für sie sind Privat- und Liebesleben viel wichtiger. Jede Tochter findet auf ihre Art eine Form der Rebellion.

      Der Film beginnt mit dem Vorstellen der vier Protagonisten. Während die Töchter in ihren Lebenssituationen beobachtet werden, bereitet der alte Chu ein unglaubliches Essen zu. Er filetiert, fritiert, kocht und dämpft. Es gibt Fisch, Schinken, Schweinebauch, Rippchen, Ente und Huhn. Die goldbraune Färbung des Fleisches und brodelnden Dämpfe aus dem Wok lassen die Gerüche fast spürbar werden. Dazu selbstbereitete Nudeln, Wan-Tan-Taschen gedämpftes Gemüse und Reis. Schließlich die typische Hot-Pot-Suppe. Wer jetzt nicht Appetit bekommen hat, sollte dann doch lieber bei Jia-Nings Fast-Food-Kette zu Abend essen...

      Überhaupt ist "Eat Drink Man Woman" von einer starken Visualität geprägt, die sich nicht nur auf die Kochkünste bezieht. Die sinnlichen Erfahrungen sind es aber vielleicht, die am nachhaltigsten in Erinnerung bleiben. Ang Lee zauberte einen angenehm leichten, aber durchaus vielschichtigen Film, der sich wahlweise mit Schärfe oder Humor mit den Problemen der Figuren auseinandersetzt. Probleme und Bedürfnisse, die sicherlich jeder so oder zumindest so ähnlich selbst kennen dürfte.

      Genuss und Emotionalität. Danke, Herr Lee. Und alles Gute!

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      Dieser Text entstand im Rahmen der Community-Schreibaktion "Textgeschenke zum Geburtstag" anläßlich des 64. Jubiläums Ang Lees. Im Artikel findet ihr noch weitere Beiträge:
      https://www.moviepilot.de/news/ang-lee-der-globale-geschichtenerzahler-wird-64-1112490

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      • Stefan Ishii 20.10.2018, 07:23 Geändert 21.10.2018, 15:36

        Ich repräsentiere irgendwann den Idealismus unseres Imperiums, nachdem mein langjähriger Freund, den ich seit dem College kenne, von seiner Macht und seinem Ehrgeiz korrumpiert wurde.

        Ein Tipp:
        Ich ende schließlich im Seniorenheim, aber mein Freund stirbt einsam und verlassen in seinem etwas zu überdimensionierten Häuschen.

        Ein zweiter Tipp:
        Ich bin ein Zeitungskolumnist und Theaterkritiker.

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        • Stefan Ishii 19.10.2018, 15:50 Geändert 22.10.2018, 20:22

          Hi.

          Da ich dieses Mal das hier übernehme, musste ich nun entscheiden. Ich habe nach einem 6:6 nun Ang Lee ausgewählt. Ein dickes, ehrliches Sorry an die Phoenix-Anhänger.

          Schon am 23.10. wird Lee Geburtstag haben. Also nicht mehr viel Zeit... Schickt mir bitte in den nächsten Tagen eure Texte (am besten gleich inklusive Zitat aus dem Film sowie einem Bildervorschlag).

          So sieht der Plan aus:
          1- Stefan Ishii: "Eat, Drink, Man, Woman" (1994) ✔
          2- ElsaWaltz: "Sinn und Sinnlichkeit" (1995) ✔
          ....UND "Tiger & Dragon" (2000) ✔
          4- Adrian.Cinemacritics: "Brokeback Mountain" (2005) ✔
          5- Iamthesword: "Die irre Heldentour des Billy Lynn" (2016) ✔
          - VisitorQ: "Das Hochzeitsbankett" (1993) x
          - Amarawish: "Gefahr und Begierde" (2007) x

          Liebe Grüße. Stefan

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          • Der Oktober ist jetzt schon fast rum. Aber vielleicht wollen wir nochmal einen Geburtstagsartikel zusammen schreiben.

            Ich hatte ja ein paar Namen herausgesucht:
            Jean-Pierre Melville (20.10.), Danny Boyle (20.10.), Jeff Goldblum (22.10.), Ang Lee (23.10.), Hong Sang-soo (25.10.), Julian Schnabel (26.10.), Joaquim Phoenix (28.10.), Louis Malle (30.10.)

            Wäre da etwas für euch dabei? Ich kann ja mal zwei Vorschläge machen. Vielleicht können auch noch andere unterbreitet werden. Bei genügen großem Interesse würde ich dann hier das Zusammenstellen des Artikels übernehmen. Was sagt ihr?

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            • Stefan Ishii 12.10.2018, 19:12 Geändert 14.10.2018, 22:09

              Ein Sektenführer ist für den Tod meiner Eltern verantwortlich, weil er für seinen Kult ein "Geheimnis" rauben will.

              Tipp 1: Die gesuchte Figur wurde von einem sehr fleißigen Autor der Unterhaltungsliteratur erschaffen.

              Tipp 2: Ich töte den Sektenführer mit dem "Geheimnis" meines Volkes.

              Tipp 3: Mein hünenhafter Körper wurde durch Sklavenarbeit und Gladiatorkämpfe gestählt.

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              • Stefan Ishii 07.10.2018, 14:24 Geändert 07.10.2018, 15:15

                Ein neues Rätsel:

                Ich kann mich mit meinem "zu gut" arbeitendem Verdauungsapparat noch glücklich schätzen; auch wenn das eklige Konsequenzen hat. Anderen wird einfach der Bauch aufgeschnitten...

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                  Stefan Ishii 05.10.2018, 23:07 Geändert 05.10.2018, 23:28

                  "Tale of Genji: A Thousand Year Engima" beschäftigt sich eher indirekt mit den Geschichten des Prinzen Genji. Vielmehr rückt diese Verfilmung aus dem Jahre 2011 die Frage in den Mittelpunkt, warum Murasaki Shikibu ihren Roman "Genji Monogatari" eigentlich geschrieben hat. Dieses Werk gilt als einer der ersten Romane Japans überhaupt und entstand in der Heian-Zeit vor über 1000 Jahren. Letztlich muss natürlich die Interpretation dieses Filmes reine Spekulation bleiben, denn es gibt hier kaum konkrete Fakten, auf die die dargestellten Vermutungen fußen. Aber gänzlich falsch dürften die Autorin Yukiko Takayama und Regisseur Yasuo Tsuruhashi auch nicht gelegen haben, trägt doch eine der weiblichen Hauptfiguren schließlich den gleichen Namen wie die kaiserliche Hofdame Murasaki Shikibu. Hintergrund könnte eine (unglückliche oder unerwiderte?) Liebe zu einem Minister gewesen sein, nach dessen Vorbild die Autorin ihre zentrale Figur schuf. Die letzte Szene des Filmes könnte darauf hindeuten, dass sie mit ihrem Werk eine Form von Abarbeitung an ihrem Unglück versuchte. In dieser Szene begegnen sich Murasaki und Genji auf einer Brücke. Er fragt: "Wann wirst du aufhören mich zu foltern?" Und sie antwortet: "Verstehst du es noch immer nicht? Du hast die Herzen so vieler Menschen verzaubert. Das verbleibende Glück musst du mit deinem Blut verdienen. So sieht dein Leben aus." Nachdem er versteht, muss er aufgrund der Erkenntnis, dass Glück für ihn nicht möglich ist, verzweifelt lachen.

                  Auch wenn ich den Ansatz, die Geschichten rund um den "Strahlenden" mit dem Leben der Autorin zu verknüpfen, sehr interessant finde, so konnte mich diese Genji-Verfilmung leider nur wenig überzeugen. Zu wenig atmosphärisch und nahezu ohne jegliche Faszination ausübend dümpelt das Geschehen vor sich hin. Leider kam nur in wenigen Momenten etwas mehr an Emotionalität auf und das gewisse Genji-Gefühl konnte sich in mir ausbreiten. Letztlich bin ich nicht der Meinung, dass hier gewählter Aufbau und Erzählweise der Absicht und Fragestellung des Filmes zuträglich sind.

                  Da dies nach dem Anime "Die Geschichte von Prinz Genji" von Gisaburo Sugii (1987) und "The Tale of Genji" von Kōzaburō Yoshimura mit Kazuo Hasegawa in der Titelrolle (1951) bereits die dritte Umsetzung des Stoffes ist, die ich nun gesehen habe, kannte ich mich mit den Geschichten und Zusammenhängen glücklicherweise bereits etwas aus. Ich bin mir nicht sicher, ob ich aus "A Thousand Year Engima" wirklich viel mitgenommen hätte, wäre dies mein Erstkontakt mit Genji gewesen. Etwas sicherer bin ich mir jedoch, dass in diesem Fall meine Motivation, die bereits erwähnten (und aus meiner Sicht deutlich besseren) Filme zu schauen, wohl etwas weniger groß gewesen wäre.

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                    über Alamar

                    Der mexikanische dokumentarfilmartige "Alamar" von Pedro González-Rubio ist wirklich mal eine wohltuende Abwechslung. Wenn Filme das Thema Scheidungskind behandeln, so sind diese Werke oftmals traurig, bedrückend und von Frauen geprägt. Dies ist nun natürlich alles andere als schlecht, aber wenn ein Film wie "Alamar" dieses Thema einmal völlig anders angeht, so ist diese Abwechslung sehr willkommen.

                    Der kleine Natan lebt bei seiner italienischen Mutter Roberta. Diese hat sich vom mexikanischen Naturburschen Jorge getrennt, weil sie sein Leben im Banco Chinchorro, einem großen Korallenriff in der mexikanischen Karibik, auf Dauer nicht aushält. Jorge hingegen ist natürlich überhaupt kein Stadtmensch; er braucht das naturbezogene Leben am Meer. Natan darf nun seinen Vater sowie seinen Großvater für ein paar Tage am Meer besuchen.

                    Der Film beobachtet in wunderschön eingefangenen Bildern den Jungen und die Männer beim Fischfang, bei Naturerlebnissen und beim alltäglichen Arbeiten. Momente der Ruhe, Abgeschiedenheit, einer mal schönen, mal rauen Natur und... ja, auch... der (wenn ich ganz ehrlich sein darf irgendwie wohltuenden) Abwesenheit von Frauen. Die Gespräche sind zumeist reduziert, funktional, konzentriert auf die aktuell anstehenden Tätigkeiten. Natürlich schwingt auch von Zeit zu Zeit Natans unvermeidliche Rückkehr in eine andere Welt mit, aber dies wird nicht konkret artikuliert.

                    "Alamar" ist sehr nah an einer tatsächlichen Doku, da alle Personen sich selbst spielen. Jorge Machado ist in Wirklichkeit Ornithologe und Kanu-Reiseführer und Vater von Natan. Einzig der Großvater ist eigentlich nur ein langjähriger Freund Jorges, den dieser jedoch als Vaterfigur betrachtet. Auch wenn die Szenen "nur" inszeniert sind, so hat der Film eine starke Wirkung. Einfühlsam und nachfühlbar. Unmittelbar und menschlich.

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                      Stefan Ishii 01.10.2018, 15:06 Geändert 01.10.2018, 15:08

                      Dem Animationsfilm "Batman: The Killing Joke" stehe ich zwiegespalten gegenüber. Einerseits greift er einen der bekanntesten und beeindruckensten Comics in der Batman-Geschichte auf, anderseits enttäuscht der Film in seiner Umsetzung. Als Vorlage diente zum Teil der gleichnamige One-Shot von Alan Moore, dem Schöpfer von "Watchmen". Der eigenwillige Brite schuf diese kurze Geschichte als sein DC-Abschieds"geschenk", nachdem er sich mit dem Superhelden-Verlag etwas zerstritten hatte. Ein wichtiger Aspekt, denn die Story rund um den Joker, Batgirl und schließlich auch Batman selbst könnte - zumindest für den Autor - einen Endpunkt für den Dunklen Ritter bedeuten. Im Zentrum der Geschichte steht doch letztlich das uneindeutige Ende. Was passiert nach dem letzten Bild? Tötet Batman den Joker? Seit jetzt fast 30 Jahren ist die Community darüber uneins, die Meinungen darüber gehen durchaus berechtigt dazu auseinander. Dass diese Geschichte zum Entstehungszeitpunkt außerhalb der Batman-Continuity angesiedelt war, wurde leider von DC später umgeändert. Somit könnte man argumentieren, es gibt also eine definitive Antwort auf die gestellte Frage. Für mich persönlich zieht dieses Argument jedoch nur bedingt. Ich betrachte "The Killing Joke" weiterhin als etwas Außenstehendes. Der titelgebende Witz, den der Joker am Ende dieses harten, drastischen Batman-Comics erzählt, steht ja schließlich für etwas. Und in dieser Logik müsste auch das Ende nach dem Ende eigentlich eindeutig sein. Gehen die Geschichten um Batman danach jedoch weiter, wie es ja auch die Filmumsetzung in einer Midcreditszene andeutet, so kommt man wieder zur Möglichkeit eines anderer Interpretation. Ich habe für mich persönlich jedenfalls entschieden, wie ich das Ende zu verstehen habe, und aufmerksame Leser wissen nun auch, was meine Antwort wäre.

                      Noch ein paar Bemerkungen zum Film. Den zusätzlich vorangestellten Batgirl-Part fand ich für sich genommen nicht so schlimm. Eine schöne Episode, die Batgirls Position, Denkweise und Problematik aufzeigt, wie sie ja stellvertretend auch für alle weiteren Helfer des Dunklen Ritters Gültigkeit besitzen könnte. Problematisch an der hinzugefügten Vorgeschichte ist jedoch, dass sie eher unpassend zum eigentlich relevanten Teils von "Batman: The Killing Joke" erscheint. Der wechselnde Blickwinkel und der damit entstehende Bruch im Erzählfluss geht mit dem Beginn der eigentlichen Geschichte aus der Vorlage einher, in die man nun hineinfinden muss, aber - anders als im Comic - nun durch das gesehene Vorgeschehen anders aufnehmen kann. Zumal ja auch noch mit der Vorgeschichte des Jokers eine weitere Erzählebene aufgemacht wird, die viel wichtiger sein sollte als die Batgirls. Damit haben sich die Drehbuchschreiber der Filmadaption wohl leider keinen großen Gefallen getan.

                      Ebenfalls eher negativ erscheint mir der unpassend kinderfreundliche Animationsstil. In einer Vielzahl von DC-Trickfilmen mag der cartoon-artige Zeichenstil ja noch passen, aber hier steht er der harten, eher für reifere Leser geeigneten Handlung diametral gegenüber. Eine etwas eigenständigere Herangehensweise, ähnlich wie es bei "Batman: Year One" geschehen ist, hätte dem Film aus meiner Sicht sicherlich sehr gut getan.

                      Ich bin also insgesamt eher zwiegepalten. Zum einen hat die Geschichte (inklusive des ursprünglich grandios uneindeutigen Endes) seine unbestreitbaren Stärken. Zum anderen ist die Umsetzung eher enttäuschend ausgefallen. Aber dies ist ja leider schließlich bei den meisten Comicverfilmungen der Fall...

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                      • Über drei Jahrzehnte nutze ich einen Jungen mit mentaler Retardierung aus. Das liegt nicht nur an meiner Drogensucht, oder?

                        • Ich unterliege einem Fluch, doch das Stockholm-Syndrom erlöst mich.

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                            Stefan Ishii 23.09.2018, 11:10 Geändert 23.09.2018, 13:56
                            über Home

                            "Home" von Fien Troch steht irgendwo zwischen Larry Clark und Xavier Dolan... nur realistischer und für mich sogar besser. Troch gibt sich nicht den überzeichneten Widerwärtigkeiten eines Clark hin. Und doch sind Parallelen zu dessen "Ken Park" nicht zu übersehen. Auch die unsympathische Selbstverliebheit eines Dolan wird man hier nicht finden.

                            Die belgische Regisseurin erzählt (ähnlich wie Dolan) von Jugendlichen mit emotional-sozialen Störungen. Heutzutage ein Heranwachsender zu sein ist schwer. Eine Mutter oder Erziehungsberechtigte dieser Kinder hat es ebenfalls nicht leicht. Eltern-Kind-Beziehungen sind nicht immer das, was wir uns idealistisch darunter vorstellen möchten. Trochs Film blickt auf eine Vielzahl von realistischen Problemen, wie sie tatsächlich auftreten. Die größte Stärke des Filmes liegt in den sehr gut herausgearbeiteten und damit überzeugenden Charakteren, die insbesondere von den jungen Darstellern erstaunlich eindringlich in den Film getragen werden. Troch läßt uns die einfühlsam beobachteten Situationen sehr deutlich, stellenweise sogar drastisch miterleben. Und doch werden die Jugendlichen für ihre Fehler zu keinem Zeitpunkt verurteilt. Troch hat nicht nur Mitgefühl für die Kinder und Mütter übrig. Das wunderbare Ende läßt sogar so etwas wie leichte Ansätze von Hoffnung zu.

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                              Stefan Ishii 09.09.2018, 07:46 Geändert 09.09.2018, 08:08

                              Mit dem Nebentitel "13 kurze Filme zur Lage der Nation" hat man es den Regisseuren und Autoren von "Deutschland 09" vielleicht unnötig schwer gemacht. Mit einem Kurzfilm etwas über die Lage einer ganzen Nation erzählen zu wollen, ist natürlich möglich - wie ja auch einige der Beiträge beweisen - baut jedoch auch eine gewisse Erwartungshaltung auf, die dann nicht immer für jeden Zuschauer erfüllt werden kann. Insbesondere weil die verschiedenen Filmemacher ihre ganz ureigenen Herangehens- bzw. Arbeitsweisen und Ansichten in ihre Werke einbringen. Insgesamt empfinde ich das Projekt aber als durchaus gelungen, auch wenn ich natürlich nicht jeden Kurzfilm wirklich mag. Hier ein paar kurze Gedanken zu den einzelnen Beiträgen:

                              "Erster Tag" – Angela Schanelec (6,5 Punkte):
                              Gedreht beim ersten Morgenlicht. Menschen, die allein sind. Und das Leben geht einfach weiter... Ein schöner Einstieg in den Film.

                              "Joshua" – Dani Levy (4,5 Punkte):
                              Die persönlichen Zukunftsängste des Regisseurs. Beginnt auch ziemlich stark, aber wird dann viel zu albern.

                              "Der Name Murat Kurnaz" – Fatih Akin (6,5 Punkte):
                              Beschäftigt sich mit einem Fall, der viel zu wenig bekannt und schnell wieder vergessen wurde. Die strenge, reduzierte und fokussierte Form, die Akin hier wählte, gefällt mir ganz gut.

                              "Die Unvollendete" – Nicolette Krebitz (6,5 Punkte):
                              Interessanter Diskurs, der Persönlichkeiten zusammenführt, die sich nie begegnet sind. Krebitz fragt nach Möglichkeiten, aber auch nach Einsichten und Veränderungen über die Zeit. Gedanken, die unvollendet bleiben müssen... Problematisch, wenn auch nachvollziehbar, erscheint mir jedoch etwas die Auswahl der Personen. Die Schauspielerinnen Sandra Hüller und Jasmin Tabatabai sind hingegen beide wundervoll.

                              "Schieflage" – Sylke Enders (6,5 Punkte):
                              Eindeutige Botschaft, die auch für mich inzwischen eine der besorgniserregendsten Probleme adressiert. Menschen versuchen zu helfen, aber die Möglichkeiten sind beschränkt. Die sich entwickelnden Parallelgesellschaften entfernen sich immer weiter von einander. Alles andere als Sozialkitsch, da vielschichtiger als es zunächst den Anschein hat.

                              "Der Weg, den wir nicht zusammen gehen" – Dominik Graf & Martin Gressmann (7,5 Punkte):
                              Am Beispiel der sich verändernden Architektur und der (von wem eigentlich?) gewollten Hinwendung zum „Sauberen und Schönen“, möchte Graf deutlich machen, wie wenig sich unsere Gesellschaft um Geschichte aber noch viel weniger um „Häßlichkeiten und Unerwünschten“ schert. Am besten gleich alles Unerwünschte verstecken!

                              "Fraktur" – Hans Steinbichler (5,0 Punkte):
                              Beginnt ansprechend und geheimnisvoll. Spätestens wenn sich alles auflöst und entlädt, wird mir das dann jedoch zu platt. Soll natürlich eine Satire sein, aber mit dem Ende kommen wir nicht weiter, auch wenn natürlich einem das Lachen vergehen soll. Der „Deutsche“ ist wirtschaftlich erfolgreich, beschwert sich gern über Unbedeutendes und ist (geschichtlich betrachtet) noch auf einem anderen Gebiet gut.

                              "Eine Demokratische Gesprächsrunde zu festgelegten Zeiten" – Isabelle Stever (7,0 Punkte):
                              Demokratische Mitsprache, die ja eigentlich selbstverständlich sein sollte, muss bereits in der Schule erlernt werden. Dass dabei auch mal vollkommen fragwürdige Entscheidungen getroffen werden, muss man manchmal aushalten können.

                              "Gefährder" – Hans Weingartner (6,5 Punkte):
                              Die Überwachung linksorientierter Menschen durch den Verfassungsschutz. Hier würde ich mir einen Spielfilm wünschen. Für einen Kurzfilm wirkt die nötige Verdichtung fast schon etwas zu fokussiert auf ein Problem, das wahrscheinlich deutlich komplexer sein dürfte – auch im menschlichen Bereich.

                              "Feierlich reist" – Tom Tykwer (6,0 Punkte):
                              Hier fehlt mir tatsächlich etwas das Anknüpfen an die übergeordnete Idee des Filmprojektes. Menschen, wie der von Benno Fürmann hier porträtierte, lassen sich doch überall finden. Darüber hinaus ist der Film handwerklich sicherlich gut gemacht, auch wenn sich mir letztendlich nicht so wirklich viel Substanzielles vermittelt.

                              "Ramses" – Romuald Karmakar (6,0 Punkte):
                              Das Lauschen und Beobachten ist natürlich spannend, keine Frage, aber was Karmakar mit diesem Dokubeitrag wirklich erzählen möchte, ist mir nicht ganz klar. Ob der Regisseur über das Vergehen von Zeit und der damit verbundenen Veränderung oder über die Anschauungen eines aus der Zeit Gefallenen, der Vergangenes romantisiert und Gegenwärtiges verurteilt, berichtet will, weiß ich leider nicht.

                              "Krankes Haus" – Wolfgang Becker (4,0 Punkte):
                              Die gewählte Analogie finde ich jetzt nicht sonderlich geistreich. Und witzig schon mal gar nicht, zumal der Ganze überhaupt keine konkreten Punkte anspricht, sondern sich höchstens über die eingeschränkten Möglichkeiten der Politik lustig macht.

                              "Séance" – Christoph Hochhäusler (6,5 Punkte):
                              Was bleiben für Gedanken, wenn die Erinnerung schwindet? Was ist, wenn Geschichte nicht mehr belegbar ist? Was löst das Wort „Deutschland“ dann in einem aus? - Eine dystopisch empfundene Auseinandersetzung.

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                              • Mit zwei Kumpels finde ich gestohlene Funkgeräte. Das sorgt für ordentlich Wirbel. Dabei wollten wir eigentlich nur etwas Gutes für unseren Sportklub tun.

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                                  Stefan Ishii 06.09.2018, 14:39 Geändert 06.09.2018, 15:26

                                  In "La Soufrière" berichtet Werner Herzog von einer skurrilen Begebenheit, in der wohl nur er einen Film zu entdecken vermag. Wie der Titelanhang "Warten auf eine unausweichliche Katastrophe" andeutet, bleibt die eigentlich erwartete Katastrophe nämlich aus.

                                  Im Sommer 1976 flog Herzog mit einer kleinen Filmcrew zum Antilleninselstaat Guadeloupe, um den vorhergesagten Volkanausbruch des La Grande Soufrière zu filmen. Er hatte gehört, dass weite Teile der Insel evakuiert worden seien und sich lediglich ein Bauer weigerte, seine Heimat zu verlassen. Herzog machte schließlich den Daheimgebliebenen ausfindig, um dessen Motivation und seine Ansichten zum bevorstehenden Tode herauszufinden. Er fand sogar noch weitere Menschen. Herzog filmte zurückgelassene, umherwandernde Tiere und die gespenstisch leeren Straßen der Hauptstadt Basse-Terre. Er wanderte auch auf den bedrohlich brodelnden Vulkan, dem mit 1.467 m höchsten Berg der Kleinen Antillen, um Bilder von Qualm und Schwefeldämpfen aufzuzeichnen. Doch im Zentrum des etwa dreißigminütigen Dokumentarfilmes steht der zurückgebliebene Mensch und dessen ausschließlich auf sich selbst und die Natur bezogenen Äußerungen. Wie so oft in seinen Filmen interessiert sich Herzog dann doch mehr für gesellschaftliche Außenseiter und skurill-egozentrische Querdenker, die sich mit dem Rest der Welt nur bedingt auseinandersetzen wollen.

                                  Doch der eigentliche Witz: Zum erwarteten Unheil kam es einfach nicht. Das Warten auf die unausweichliche Katastrophe fand kein Ende. Der Vulkan brach schließlich doch nicht aus. Basse-Terre blieb verschont. Die Zurückgebliebenen starben ebensowenig wie Werner Herzog und sein Filmteam.

                                  2016, also 40 Jahre später, sollte sich Herzog erneut und dann gleich in zwei Produktionen mit der Vulkan-Problematik beschäftigen: Einmal in einem weiteren Dokumentarfilm ("In den Tiefen des Infernos") und einmal in Form eines Spielfilmes ("Salt and Fire"). Doch "La Soufrière - Warten auf eine unausweichliche Katastrophe" bleibt trotz seiner kurzen Laufzeit und gerade wegen dem Ausbleiben des Ausbruches die interessanteste Annäherung an das Thema.

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                                  Dieser Text entstand im Rahmen der Community-Schreibaktion "Textgeschenke zum Geburtstag" anläßlich des 76. Jubiläums Werner Herzogs. Im Artikel findet ihr noch weitere Beiträge:
                                  https://www.moviepilot.de/news/geburtstagliche-begegnungen-mit-dem-eigenwilligen-1110892

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                                  • Ich möchte noch einmal allen Beteiligten, also meinen Mitautoren, aber auch Amarawish, für die Mitwirkung an diesem Artikel danken. Ohne euch wären solche Community-Aktionen nicht möglich. Immer wieder schön ♥

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                                    • Auf der Suche nach einem verschollenen Kulturgut irre ich durch ein entfremdetes Europa.

                                      • Stefan Ishii 02.09.2018, 10:17 Geändert 04.09.2018, 19:00

                                        Ich möchte nochmal an die Werner-Herzog-Schreibaktion erinnern. (Entschuldigt bitte, falls ich unnötig nerve!) Am Mittwoch hat er Geburtstag.

                                        Bisher der Plan für den Geburtstagsartikel (drei Texte sind bereits fertig):
                                        1- (VincentVega): "Aguirre" (1972) ✔
                                        2- VisitorQ: "Stroszek" (1977) ✔
                                        3- Stefan Ishii: "La Soufrière" (1977) ✔
                                        4- colorandi_causa: "Fitzcarraldo" (1982) ✔
                                        5- Nonkonformist: "Begegnungen am Ende der Welt" (2007) ✔

                                        Natürlich können auch gerne noch weitere Kommentare hinzugefügt werden. Beispielsweise ein Film aus den 90er Jahren wäre noch ganz schön... Wenn also noch jemand Lust hast, immer her damit! Ich hätte nur gerne die Texte bereits Dienstag früh, damit der komplette Artikel pünktlich online gehen kann.

                                        Liebe Grüße. Stefan

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                                        • Stefan Ishii 27.08.2018, 23:25 Geändert 04.09.2018, 19:00

                                          Bereits schon am 5.9. wird Werner Herzog Geburtstag haben. Zwar kein rundes Jubiläum (76), aber man kann ihn doch trotztdem feiern, oder?

                                          Ich würde gerne wieder einen MP-Artikel verfassen. Wer möchte mit welchem Film dabei sein?

                                          Bisher der Plan:
                                          1- (VincentVega): "Aguirre" (1972) ✔
                                          2- VisitorQ: "Stroszek" (1977) ✔
                                          3- Stefan Ishii: "La Soufrière" (1977) ✔
                                          4- colorandi_causa: "Fitzcarraldo" (1982) ✔
                                          5- Nonkonformist: "Begegnungen am Ende der Welt" (2007) ✔

                                          Ich würde vorschlagen, dass mir jeder seinen Text bis zum Montag (3. September, 23:59) per Facebook, Mail oder moviepilot zukommen läßt, damit ich genügend Zeit habe, alles vernünftig zusammen zu stellen, um den Artikel am 5.9. problemlos fertig zu haben!

                                          Bei reger Teilnahme wird bestimmt wieder ein toller Artikel entstehen. Ich freue mich ungemein auf eure Texte! Hinweise, Anregungen, Fragen bitte direkt an mich.

                                          Liebe Grüße. Stefan

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                                          • Angemalte Steine sollen mir helfen, das Autofahren zu lernen.

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                                              "Die Eigenheiten einer jungen Blondine" ist ein wunderschöner, bezaubernder, kleiner Film, dessen Stärken in seiner Einfachheit und dessen Charme im subtilen Humor liegen. Eine Geschichte aus dem 19.Jahrhundert über inzwischen (vielleicht doch noch nicht?) altmodisch gewordene Verhaltensweisen und Moralvorstellungen läßt Manoel de Oliveira einfach in der Gegenwart ablaufen. Elegant und mit gedeckt gehaltenen Bildern erzählt. Damit bekommt "Die Eigenheiten einer jungen Blondine" selbst seine Eigenheiten - angesiedelt im Spannungsfeld zwischen Anachronismus und Beobachtung gesellschaftlicher Themen - welche den Film als (sehr zurückgenommene) Parodie lesbar machen.

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                                              • 6 .5

                                                Der portugiesische Film "Ala-Arriba!" von 1942 ist ähnlich wie die Filme von Robert J. Flaherty ("Nanuk, der Eskimo" oder "Die Männer von Aran") eine Ethno- oder Dokufiktion. Mit Hilfe von sich selbst spielenden Fischern oder Dorbewohnern aus der Umgebung, die damit einen realistischen Einblick in Traditionen und soziale Verhaltensweisen ermöglichen, erzählt Regisseur José Leitão de Barros eine fiktionale Geschichte, die für meinen Geschmack gegen Ende etwas zu reißerisch und heroisierend ausfällt.

                                                Der Film ist vom Leben am Meer und der Existenz zweier verschiedener Fischerkasten geprägt. "Ala-Arriba!" erzählt eine dramatische Liebesgeschichte zwischen Julha und João, die aus verschiedenen Gruppen stammen. Eine Mischehe ist zwar denkbar, jedoch ausschließlich mit väterlicher Mitwirkung möglich. Obwohl alle Hürden aus dem Weg geräumt werden, bringt ein moralisches Fehlverhalten des jungen Mannes die Ehe mehr als nur in Gefahr.

                                                Der Titel des Filmes bezieht sich übrigens auf dem auffordernden Ausruf der Fischer, wenn ein Boot mittels Menschenkraft zurück ans Land gezogen wird. Auf meiner DVD wurde der Ausruf mit "Go forward!" also sowas wie "Vorwärts!" übersetzt. Zu einem späteren Zeitpunkt wird diese Wendung auch in einem anderen Kontext verwendet, wenn der dorfvorstehende Geistliche eine traurige Julha aufmuntern möchte, nicht zurückzuschauen und lebensbejahend in die Zukunft zu gehen. Ob man dies uneingeschränkt positiv betrachten möchte, muss wohl jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden angesichts einer Problematik, auf die ich nun leider noch eingehen muss.

                                                Denn es darf nicht verschwiegen werden, dass "Ala-Arriba!" zur Zeit des sogenannten Estado Novo, also einer autoritären, faschistisch geprägten Diktatur, entstand. Der Film wurde vom Secretariado da Propaganda Nacional, einer Propagandaeinheit innerhalb des Ministeriums für Öffentlichkeitsarbeit, finanziert. Der porträtierte nordportugiesische Ort Póvoa de Varzim wurde vom Regime als ein Vorzeigebeispiel erachtet. Auch wenn meines Erachtens "Ala-Arriba!" auf den ersten Blick eher unpolitisch ist, so kann man eine problematische Auswirkung auf den Film erkennen. Dies wird in der negative Darstellung einer Zigeunerin offenkundig, die als betrügerische Wahrsagerin, Diebin und unmoralische Verführerin fungiert und damit die Dramatik der Geschichte überhaupt erst ins Rollen bringt. Ihr Charakter ist letztlich auch der einzig wirklich negativ belegte des gesamtes Filmes, was damit leider durchaus einen komischen Nachgeschmack hinterläßt.

                                                Dass der Film 1942 bei den Filmfestspielen von Venedig den sogenannten Biennale Award gewann, macht die Sache leider auch nicht besser. Anfang der 40er Jahre war dieses Filmfest von faschistischer Propaganda geprägt und hatte fast ausschließlich Filme aus entsprechenden Ländern im Programm.

                                                Trotzdem ist "Ala-Arriba!" zumindestens empfehlenswert, wenn man sich für die realistisch wirkenden Einblicke in ethnologische Verhaltensweisen (wie beispielsweise Dorffeste und Hochzeitsrituale) der Fischergemeinschaft interessiert. Auch wenn sich damit zunächst gewisse Ähnlichkeiten zu Luchino Viscontis "La Terra Trema - Die Erde bebt" (1948) aufdrängen, da dort vom harten Leben der Fischer in einem kleinen sizilianischen Dorf berichtet wird und ebenfalls mit Laiendarstellern gearbeitet wurde, so ist jener Film deutlich politischer und eben nicht mit moralisch fragwürdigen Aspekten versetzt.

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                                                • Stefan Ishii 06.08.2018, 11:58 Geändert 06.08.2018, 13:13

                                                  Kino ist für mich (und wird es wohl auf absehbare Zeit bleiben) der Ort der Wahl, wenn es um Film geht. Nirgendswo sonst kann man so in die Handlung eintauchen und die gewisse Magie spüren wie im Kinosaal. Da nehme ich den Weg zum Kino gerne auf mich. Dieses Jahr habe ich bereits 65 Filme im Kino gesehen.

                                                  Kino und Streaming sind sowieso zwei verschiedene Welten; in vielerlei Hinsicht. Streaming ist für mich nur bequemer Massenkonsum des immer Gleichen: fast ausschließlich aktuellen, mehrheitlich amerikanischen Produktionen und in erster Linie von Serien. Beispielsweise die "Eigenproduktionen" von Netflix im Filmbereich sind (mit ganz wenigen Ausnahmen) unterirdisch schwach. Eine positive Streaming-Ausnahme stellt allerdings MUBI, ansonsten kann ich mit dem Angebot der Streaming-Anbieter nur wenig anfangen.

                                                  Und die angebliche Vielfältigkeit beim Streaming halte ich für ein Gerücht. Ich bin in Berlin sicherlich verwöhnt, aber ich finde in diversen Retrospektiven, Programmreihen und Filmfesten eine deutlich größere Bandbreite an Filmen, die ich persönlich zudem auch noch um Welten interessanter finde. In kleineren Städten hingegen ist Kino sicherlich weit weniger ergiebig, das stimmt wohl leider.

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                                                    "Numafung" aus dem Jahr 2001 zeigt uns die ewige Geschichte einer jungen, indigenen Frau zwischen Tradition und eigenen Wünschen. Numa gehört der nepalesisch-indischen Volksgruppe der Limbu an, welche etwas mehr als eine halbe Millionen Menschen umfasst und eine eigene Sprache beziehungsweise einen Dialekt spricht. Die junge Numa ringt mit sich angesichts kultureller Traditionen wie abgesprochener Eheschließung, aber auch ehelicher Gewalt sowie insbesondere den Folgen ihrer Entscheidungen auf die Familie und Dorfgemeinschaft. Auch wenn die negativen Aspekte des traditionellen Lebens in der entsprechenden Himalayaregion deutlich werden, so sind sie keinesfalls verteufelt oder verurteilt. Auch die Limbu-Leute sind sozialen Veränderungen unterworfen und müssen ihren Weg erst suchen. Numa ist diesbezüglich eine Stellvertreterin für die Frauen ihrer Volksgruppe und ihre Entscheidung am Ende hat Symbolcharakter.

                                                    Die Geschichte von "Numafung" ist vielleicht nicht sehr aufregend erzählt, aber die Einblicke in Bräuche und Traditionen der Limbu sind mehr als lohnenswert und machen den Film letztendlich aus. Das Schauspiel ist gut, obwohl es möglicherweise kaum professionell sein dürfte. Der Film schreibt Authentizität jedoch ganz groß und biedert sich gerade nicht irgendwelchen erfolgsorientierten Kinogeflogenheiten an. "Numafung" ist einfach und liebenswürdig.

                                                    Ich danke Cinepolis vielmals für diesen Filmtipp.

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