BobbyStankovic - Kommentare

Alle Kommentare von BobbyStankovic

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    [...] Um seine epische Handlung vorzutragen, sagt sich Sono von jedem möglichen Realismus los und bedient sich eines maßlosen Stil-Eklektizismus. Klassische Musik trifft auf J-Pop, Trashfilm trifft auf Teenieromanze trifft auf Gore-Action. Und im Ganzen ergibt es eine moderne Oper, die perfekt funktioniert, wenn man keine Erwartungshaltung mitbringt, die man “Love Exposure” unbedingt aufoktroyieren will. Und so schafft Shion Sono das seltene Kunststück, dass man den Film einerseits als gelungene Satire begreifen kann und seine ins albern-trashig-gehende Szenen wie die im Stile von Kung-Fu-Filmen inszenierten Upskirt-Fotografie-Episode oder die animehaft überzeichneten Kampfsequenzen distanziert als Übertreibungen aufnehmen kann, gleichzeitig der Film aber einen dennoch nahegehen und ins Herz treffen, wenn nicht sogar zu Heulkrämpfen treiben kann. [...] Sono macht hier unmissverständlich klar: Eigentlich sind wir alle ein bisschen pervers und eigentlich suchen alle Menschen doch nur nach einem: nach Liebe.

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    • 7
      über Heli

      [...] Schlagwortthema “Drogenkrieg”. Auch Escalantes neuester Film verschreibt sich diesem Sujet, wirklich neue Erkenntnisse gewinnt er nicht, aber Kopfschmerzen verursachen seine Bilder trotzdem. [...] Das zentrale Anliegen von “Heli” ist zu zeigen, dass Menschen hier inmitten der Fronten des Konfliktes aufwachsen. “Heli” zeigt fast ausschließlich junge Menschen. Heli selbst, der Protagonist ist gerade mal 17 Jahre alt und schon verheiratet, Vater eines Babys und Angestellter bei einem Automobilhersteller. Seine Schwester treibt diese Erkenntnis noch weiter. Sie ist gerade mal 12 und träumt schon von der Heirat mit dem ebenfalls siebzehnjährigen Beto. Und damit ist keineswegs ein kindlicher, unernster Heiratsgedanke gemeint, nein, Estela hätte schon längst mit Beto geschlafen, wenn sie nicht ein bisschen Angst davor hätte schwanger zu werden. Estelas Vater oder ihr Bruder Heli problematisieren das nicht. Für sie scheint es normal zu sein, dass ein zwölfjähriges Mädchen schon an Reproduktion denkt. So schnell alter man eben, umgeben von permanenter Atmosphäre der Angst. [...]

      • 8
        über Yentown

        Bereits ein Jahr nach Shunji Iwais Kinofilm-Debüt “Love Letter” entstand sein möglicherweise größter und wichtigster Film. “Swallowtail Butterfly” ist ein aufregend-unkonventionelles Genre-Potpourri, immer changierend zwischen Trashfilm und modernem Epos. Hier liegen Kitsch und Seriosität, Realismus und Unrealismus, Liebe und Gewalt, Poetisches und Plumpes sowie Ästhetik und Hässlichkeit so eng bei einander wie in kaum einem anderen Film. Dieser Film hat irgendwie einfach alles und man kann ihm wohl jede erdenkliche Wertung geben. Iwai ist ein modernes Kunstwerk gelungen, das nicht jedem gefallen, aber niemanden kalt lassen wird. [...]

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        • 3

          [...] Der Film müsste richtigerweise “Monsieur Claude und seine Schwiegersöhne” heißen, denn die Töchter bleiben bestenfalls schmückendes Beiwerk und haben keinerlei Profil, sind absolut austauschbare Figuren. Die Schwiegersöhne weisen klischeehafte (zu viele, um es aufzuzählen) und anti-klischeehafte Eigenschaften auf (z.B. ist Muslim Rachid ein Jurist und der Jude David ein erfolgloser Geschäftsmann), aber ein umgedrehtes Klischee ist eben immer noch ein Klischee. Jetzt muss die Frage erlaubt sein, ob ein Mittelschichtspublikum im Alter zwischen 40 und 50, für die dieser Film offensichtlich gemacht wurde, nicht doch noch viel zu weit weg von Integrationsbereitschaft ist, wenn es über die dämlichst-möglichsten und oberflächlichsten Stereotyp-Stichwort-Witze lacht. Aber so richtig böse kann man dem Film nicht sein, da vermutlich die Kinder der Zielgruppe selbst ihre ersten Beziehungen mit Kindern des Multikulturalismus eingehen. Und bei all den bescheuerten Gags macht “Monsieur Claude und seine Töchter” immerhin unmissverständlich klar, dass Ausländer gemeinhin nette Kerle sind. [...]

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          • 8

            [...] Wie habe ich mich meinem eigenen Sohn gegenüber zu verhalten, den ich doch selbst erst jetzt kennenlerne? Der mir fremd ist, der mir aber doch näher sein sollte als das Kind, das ich sechs Jahre lang aufzog. Wie gehe ich damit um, dass mein eigenes Fleisch und Blut nicht nur den Vornamen einer anderen Familie trägt, sondern auch mit seinen Werten und Normen aufgewachsen ist? Ganz generell: Was macht ein Kind zu meinem Sohn? Das gleiche Blut wie das meine oder die Handschrift meiner Erziehung? Und noch genereller: Liebe ich dieses fremde Kind? Kann ich es lieben? Ich muss es schließlich lieben, weil es mein Sohn ist. [...] Koreeda, der gerne dokumentarisch und mit Improvisationen dreht, hat hier einen deutlich drehbuchlastigeren Film geschaffen und das ist auch gut so, denn das Drehbuch ist detailreich, schlüssig und trotzdem noch mit dem Auge für große Momente ausgestattet. [...] Koreeda hat wieder einmal einen Film gemacht, der sowohl im Kopf als auch im Herz funktioniert. Ein traurig-schöner Film, den ich mir spätestens, wenn ich (vielleicht) irgendwann mal Vater sein werde, nochmal ansehen werde.

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            • 7

              [...] Aus der Gleichgewichtung aller Figuren zieht dieses ruhige Drama seine Reize. Aus den kleinen alltäglichen Konversationsgewohnheiten dringt immer wieder das Licht größerer Zusammenhänge. Kein Charakter ist vollends unschuldig und doch kann jeder auch Empathie für sich gewinnen. “Still Walking” ist keine Tragödie, sondern die Geschichte nach der Tragödie. Ein dokumentarischer Blick auf Menschen, die es auf ihre unterschiedlichen Weisen geschafft haben, die Tragödie hinter sich zu lassen, aber doch dringt immer wieder die Trauer hindurch. Koreeda zeigt die Familie als ein Geflecht unabhängiger Individuen, die eher unfreiwillig etwas miteinander zu tun haben. Ein bei anderen seiner Werke durchklingender Koreedascher Optimismus ist hier eher zurückhaltend ausgefallen. [...] Koreedas Film schafft es gerade wegen seiner unaufgeregten, realistischen Herangehensweise, die perfekt die Stimmung von Familientreffen trifft, zur Reflexion über seine eigene Familie anzuregen. Ganz egal ob Koreeda hier wirklich vollkommen universelle Themen anspricht wie den vom Sohn enttäuschten Vater oder eher generationsspezifische Beobachtungen anstellt, indem er eine Patchwork-Familie mit einer traditionellen Familie kollidieren lässt. Vorwerfen kann man ihm nur, dass er die schöne Konsequenz, in seinem Film lediglich einen 24-Stundentag zu zeigen, in der letzten Szene über Bord wirft sowie die Verwendung einer an das Leben nach dem Tod angelehnten Schmetterlingsmetapher, die nicht von eindeutiger Notwendigkeit ist. Aber ein Nachdenken bleibt.

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              • 6

                [...] Aber als Film, der diese positive Seite des Erziehungs-SuperGAU, wie ihn die True Story bereithält, ausformuliert, funktioniert “Nobody Knows” zumindest im Großen und Ganzen eindrucksvoll. Nur kommt man eben auch nicht darum herum, Fragen zu stellen, warum Koreeda das Elend hier so fahrlässig ausblendet. Yuki, die Jüngste aus der Schicksalsfamilie wird hier nicht getötet, sondern sie stirbt bei einem höchst unspektakulären Stuhl-Unfall. Auch das Kind, das kurz nach der Geburt stirbt und in der Wohnung verscharrt wird, kürzte Koreeda radikal aus dem Skript (man muss sich die psychische Belastung mal vorstellen, mit einer Leiche in der Wohnung aufzuwachsen). Themen wie Verwahrlosung oder Mangelernährung verfolgt Koreeda nicht mit Nachdruck, lässt sie nur in Kleinstdetails durchscheinen. Das Leben ohne Eltern hat hier tatsächlich etwas Freies und Wildes an sich. [...] Koreedas vielleicht berühmtester Film ist zumindest mal von nicht unstreitbarer Qualität. Mit seiner geduldigen, dokumentarisch anmaßenden Regie-Arbeit sorgt Koreeda für Staunen und ein memorables Filmerlebnis, inhaltlich ist “Nobody Knows” aber von fragwürdigem Optimismus geprägt. Wenn die Kinder zusammen durch die Tokioer Innenstadt flanieren und den Abspann einleiten, scheint ein “Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute” über den Bildern zu liegen.

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                • 7

                  [...] Im Fokus des Films stehen zwei vierzehnjährige Mädchen, Eka und Natia, ein doppelter Protagonist. Aber auch wenn der Film gerne auf Coming-of-Age-Thematik runtergebrochen wird, ist er eigentlich etwas ganz anderes. Ihr jugendlicher, für ihr Alter aber nichtsdestotrotz sehr reifer Gestus, bleibt im Filmverlauf nämlich eher unberührt. Ein Erwachsenwerden ist das nicht, viel mehr konfrontiert der Film zwei junge Menschen immer wieder, lässt sie streiten, sich versöhnen, zusammen lachen und dafür kämpfen, sich im neu gegründeten Georgien zurecht zu finden. Denn hier wird der Film viel konkreter: Er versteht sich als Sittengemälde seiner thematisierten Zeit, zeigt er eine Gesellschaft, die von vielen ungelösten Konflikten und Spannungen durchdrungen ist. Mitten in diese angespannte Stimmung platziert er eine Pistole — eine Waffe, wie sie zuhauf nach Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs auf dem Schwarzmarkt verfügbar wurde — und lässt sie wie ein Damoklesschwert über dem Geschehen kreisen. [...] “Die langen hellen Tage” liefert einen äußerst interessanten Exkurs über das Georgien der 90er Jahre ab und wird für so manchen gesellschaftspolitischen Aspekt Georgiens immer noch aktuell sein. Gut aufgelegte Schauspieler und ein nicht herausragend, aber zumindest mal sehr gutes Drehbuch machen aus diesem georgischen Weltkinobeitrag eine klare Empfehlung.

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                  • 5

                    [...] Sehr komplex wird die Geschichte nicht und sie wird im Endeffekt auch relativ unspektakulär aufgelöst, stark bleiben aber die authentischen Darbietungen des Casts von bekannteren englischen Schauspielern wie Paddy Considine oder Frank Harper bis zu den jungen Nachwuchsdarstellern. Shane Meadows schafft es, seine jugendlichen Erfahrungen in diesem trostlosen nordenglischen Nottingham greifbar zu machen. Dramaturgisch ist das nie ganz befriedigend, aber die Reize des Films machen eine ehrliche Atmosphäre und die klare Handschrift des Regisseurs aus. “A Room For Romeo Brass” oszilliert ständig zwischen Härte und Herzlichkeit. So richtig lustig wird der als Komödie deklarierte Film aber nie. [...] Shane Meadows zweite Regie-Arbeit ist bei weitem kein schlechter Film, aber wohl eher nur für Shane-Meadows-Werkschau-Interessierte zu empfehlen.

                    • 8

                      [...] “Raging Bull” wurde mal zum besten Sportfilm aller Zeiten gewählt, dabei ist er überhaupt kein Sportfilm, sondern eher ein Drama über Eifersucht und patriarchalisches Selbstverständnis. Daraus zieht “Raging Bull” sein großes Potenzial, zumal die Boxkämpfe zwar extravagant in Szene gesetzt sind, sie aber völlig desinteressiert an narrativer Logik von Sportfilmen sind. In “Raging Bull” geht es nie darum, die Kämpfe des Jake LaMottas als spannende Matches vorzutragen, sondern viel mehr darum, die Gewalt, die sich vom Protagonisten LaMotta in den Ring entlädt, aufzufangen und sichtbar zu machen. Denn in dieser klafft die ganze tierische Brutalität LaMottas. All das, was ihn scheitern lässt. Seine Mentalität, alles mit Körperkraft kontrollieren zu können, sein späterer gnadenloser Zerfall: Metaphorisiert durch die Brutalität seines Metiers. [...] Man muss für Jake LaMotta, trotz seines zweifelhaften Lebensstils, für den man den ganzen Film kaum Sympathie empfinden kann, doch einen Riesenrespekt aussprechen. Denn durch seine ehrlichen und schonungslosen Memoiren, sowie seiner Zusammenarbeit mit Martin Scorsese und Robert De Niro entstand dieses reife, selbstreflexive Zeugnis und einer der am höchsten angesehendsten amerikanischen Filme überhaupt. Somit hat LaMotta seinen Teil an der Filmgeschichte beigetragen. Mit seinem aufregendem Leben, genauso wie mit seinem Einverständnis dieses als solch bittere Tragödie darzustellen. Man kann nur den Hut ziehen vor LaMotta, ebenso wie vor De Niros bester Leistung seiner Karriere und Scorseses meisterhaftem, zeitlosen Film.

                      • 3

                        [...] Im Gegensatz zu anderen twistfokussierten Werken merkt man “The Sixth Sense” schon bei der allerersten Sichtung an, wie unbeholfen die Story eigentlich um die “überraschende” Wendung herumgewickelt ist. Das fängt mit den ersten Minuten des Films an, die zunächst einmal ihr Ziel verfehlen, Empathie für den Protagonisten und seine Ehefrau aufzubauen — was wichtig gewesen wäre, um den finalen Twist zumindest emotional funktionieren zu lassen — und darüberhinaus so abgehackt von der Resthandlung sind, dass man den späteren Rückgriff auf die Anfangsminuten fünfhundert Kilometer gegen den Wind riecht. [...] M. Night Shyamalans kommerziell erfolgreichster Film bietet einen interessanten, wenn auch nicht wirklich guten Story-Twist und rechtfertigt damit einigermaßen seinen Ruf als Must-See-Blockbuster. Darüberhinaus bietet der Film aber auch fatale Schwächen, die ihn zu einem sehr unbefriedigendem Erlebnis abrutschen lässt.

                        • 8

                          [...] Konsequent verweigert sich Villeneuve ein entscheidendes Wort zu verwenden: “Libanon”. Wer sich mit dem Theaterstück oder der Lebensgeschichte der Souha Bechara beschäftigt, weiß sofort in welchem Land “Incendies” spielen muss. Auch sind die ethnischen Konflikte recht eindeutig libanesische. Villeneuve macht aber seine Geschichte universell, indem er sie nicht auf ein Historiendrama beschränkt. Wichtig ist hier auch, dass ein völkermordähnlicher Konflikt thematisiert wird, in dem Christen Muslime töten und nicht (ausschließlich) umgekehrt. Ebenso verüben die Christen in “Incendies” Ehrenmorde. Realpolitische Schuldzuweisungen sind nicht das Hauptanliegen von “Incendies”. Die Botschaft ist klar: Man will hier keine Gegenstandsaufnahme eines Nahostkonflikts darstellen, sondern eine allgemeingültige Abhandlung über menschliche Abgründe, die sich im Namen von Religion, Ehre und Vaterland entladen. [...] Auch wenn ein paar Minuten mehr Exposition den Film zu einem noch runderem Meisterwerk gemacht hätte, ist “Incendies” für einen Denis Villeneuve, der für seine ökonomischen Hollywoodarbeiten bekannt ist, doch schon überraschend und erfreulich dramenlastig. Auch wenn Hardcore-Realisten über die konstruierte Geschichte oder Thriller-Heads über den langsamen Einstieg des Films schimpfen können, am Ende dürfte “Incendies” mit einem atemberaubend bitteren Furioso doch seinen Konsens schaffen.

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                          • 3

                            [...] “Kontroll” zeichnet eine finster-surreale Welt mit seinen eigenen Regeln, aber er bleibt dabei mit einem Bein im Realismus einer Millieu-Studie, was ihm letztlich zum Verhängnis wird, denn die Dramenversatzstücke benötigen dringend Glaubwürdigkeit, die der Film nicht mitbringt. Aus den Anflügen von Komödienelementen hätte man auch mehr machen müssen, meistens beschränkt man sich dadrauf, repetitiv die Kontrolleure beim Scheitern der Ticket-Kontrolle zuzusehen und die frechen Schwarzfahrer triumphieren zu sehen. [...] So bleibt ein fragmentarisches Gebilde aus verschiedenen Story-Anrissen, das sich auf seine surreale Wirkung verlassen will. Mit mysteriösem Kapuzenmörder und Tagtraum-Halluzinationen wird versucht, einen fehlenden roten Faden zu übertünchen. Einen klugen, gut getimten Plottwist hätte “Kontroll” gebrauchen können. Stattdessen bleibt nicht viel mehr Erkenntnis als dass das Leben als Fahrkartenkontrolleur zwar hart ist, aber auch keinen Grund für Sympathiebekundung zulässt. Beim nächsten Mal wird wieder schwarzgefahren.

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                            • 8

                              [...] Lars von Triers Cannes-Verlierer (muss man ja sagen) ist ein unterschätzter Meilenstein in seinem Werk, der mit vielen interessante Details (z.B. die Holzschnitz-Metapher, für das Errichten von Hoffnungen, die nicht erfüllt werden?) zum mehrmaligen Schauen einlädt. Er mutet oft beinahe an, wie der Versuch einen Film von klassisch-abendländischer Ästhetik zu entwerfen mit Zitaten der Werke Albrecht Dürers, John Everett Millais’ oder Richard Wagners. Schlichtweg genial wie der Film herausstellt, dass das Memento Mori Fluch und Erlösung zugleich sein kann. Wer einen wirklich spannenden Film sehen will, kann sich “Melancholia” sparen, auch ist der Einsatz der vielen Stars fast schon ein bisschen zu viel des Guten und Identifikationsfläche mit dem Mensch hinter den Figuren bietet der Film auch erheblich wenig, als Film zum Deuten und Mitdenken ist von Triers Film dennoch ein Genuss von extrem hohen Niveau.

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                              • 6

                                [...] Wichtiger scheint es Regisseur Diao Yinan aber gewesen zu sein, einen Kriminalfilm mit verwinkelter Geschichte anzubieten. Sozialkritik wird dann auf ein Mindestmaß heruntergefahren. Wenn Schlittschuhe als Mordinstrument verwendet werden etwa hat “Feuerwerk am helllichten Tage” auch seine reißerischen Momente. Die angebotene Crime-Story, auf die sich der Film mehr und mehr selbst reduziert, kann letztendlich aber nicht wirklich befriedigend aufgelöst werden und leidet darunter, dass Yinan hin und wieder doch mit der Dynamik eines Sozialdramas vortragen will. [...] “Feuerwerk am helllichten Tage” wird kaum Diskussionen auslösen. Die dargebotene Kriminalgeschichte wird den ein oder anderen Zuschauer zufriedenstellen, aber auch nicht zu Jubelstürmen verhelfen. Andere Zuschauer werden auch vom Story-Gerüst enttäuscht sein und darüberhinaus bietet der Berlinale-Gewinner zu wenig sozialkritische Gesinnung, um noch auf anderen Feldern angreifen zu können.

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                                • 7
                                  über Boyhood

                                  [...] Linklater gibt hier sich selbst (so offensichtlich autobiografisch ist der Film dann doch), aber auch dem Schauspieler Ellar Coltrane eine Chance einen Einblick in die Persönlichkeit zu werfen. Zumindest wäre dafür die filmische Vorarbeit getan, was letztlich daraus gemacht wird, ist streitbar. Mason ist beileibe nicht die interessanteste oder detailliert ausgearbeiteste Figur der Filmgeschichte. Nicht im Geringsten. Eigentlich ist sein Leben trotz der vielen Stiefväter, die er gehabt hat, sogar reichlich banal. Das hat den Vorteil, dass wirklich jeder Zuschauer sich in dieser Figur (oder einer anderen) irgendwie wiederfindet, aber auch den Nachteil, dass die ganz großen Momente des Lebens ausbleiben. Jeder, der sein Leben verfilmen möchte, kriegt eine interessantere Geschichte zusammen als sie “Boyhood” erzählt. [...] Letztendlich dreht sich “Boyhood” im Kreis — und zwar mit Absicht. Die ewige Geschichte vom Kreislauf des Lebens wird erzählt, vom Erwachsenwerden und dem Schlüpfen in die Rolle der Elterngeneration. Gleichzeitig wird auch eben diese sehr detailliert auserzählt, sodass “Boyhood” im Grunde kein Coming-of-Age-, sondern ein Familiendrama ist. Es fehlen in “Boyhood” definitiv die großen Momente (jedes Leben ist mehr Film als dieser Film), aber von den kleinen Momenten hat “Boyhood” genug, sodass man sich an sein eigenes Leben zurückerinnert fühlt. Und das ist eine doch auch sehr positive filmische Erfahrung.

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                                  • 9

                                    [...] Ein halbstarkes Publikum, das erwartet hat einen Film als “rauschhafte Party” zu erleben, wie er im Programmheft angekündigt wurde, musste schnell enttäuscht feststellen, dass Harmony Korine kein Regisseur für konventionelles Spaßkino ist. Der Film ist experimentell, psychotisch und enervierend. Stimmen aus dem Off, die Telefonate an die Eltern darstellen und ihre Besäufnisse als “Einfach Spaß haben” oder gar als “spirituelle Erfahrung” verkaufen, werden rekurrent mit Waffen-Klickklackgeräuschen und wiederkehrenden Bildern über-, nebeneinander und gegenübergestellt, das “Spring Breakers” immer Rausch, Ekstase, aber auch Verkaterung und Gewissenskonflikt in einem ist. Bitterböse lässt Harmony Korine auch einen unschuldigen, pubertären Cast mit Disney-Vergangenheit vergewaltigen — in doppelter Bedeutung des Satzes. Kamera-Ass Benoît Debie (“Enter The Void“) tut seinen Anteil daran, den Film in eine unvergessliche Melanche zwischen verwaschener Pixelkotze und Schwarzlicht-Neonlicht-Optik irgendwo zwischen Rausch und Ernüchterung anzusiedeln. So schön der Film aber auch ist und nicht wenige Zuschauer sich, aufgrund der hochwertigen cinematischen Oberfläche, dabei selbst ertappen dürften, sich in manchen Momenten auf die Seite der Mädels zu schlagen ist in “Spring Breakers” genauso auch Deästhetisierung und Abgesang inbegriffen. [...] “Spring Breakers” ist eine rauschhafte Übertreibung, eine Abrechnung mit der westlichen Gesellschaft, die kein Recht hat auf dem Rücken ihrer Untaten einen so maßlosen Hedonismus zu exerzieren. Über Harmony Korines Film wird noch lange geredet, nachgedacht, vieles nie vergessen und ebenso viel zwanghaft verdrängt — und ein wenig gekotzt. Wie nach einem Besäufnis. “Spring Break Forever, Bitches!”

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                                    • 8

                                      Mit „L’eclisse“ setzt sich Michelangelo Antonioni nach „L’avventura“ und „La notte“ ein drittes Mal mit der Entfremdung des modernen Menschen auseinander. Dabei sagen Innen- und Außenarchitektur, Objekte und Räumlichkeiten mehr über die Figuren und ihre Befindlichkeiten aus als das gesprochene Wort. Bereits die erste Szene verdeutlicht dies. Vittoria und Riccardo befinden sich in Riccardos Appartment. Immer wieder lässt die ruhige Kamera Objekte zwischen die beiden Parteien Vittoria und Riccardo treten; eine Trennwand als symbolische Trennlinie, ein Ventilator als Metapher für eine unterkühlte Stimmung. Der Wortwechsel zwischen den beiden erscheint hingegen wie eine Aneinanderreihung leerer Worthülsen. Vittoria tut schließlich das, was die Bilder bereits ab der ersten Einstellung andeuteten: Sie verlässt Riccardo. [...] Antonioni führt den modernen Menschen [...] konsequent in die Apokalypse der Entfremdung. Für ihn verdunkelt sich die Sonne wie es der Titel („L’eclisse“) andeutet, er liest in der Zeitung vom atomaren Wettrennen („Gara atomica“), während ein atompilzförmiger Turm wiederholt auftaucht und das künstliche Licht einer Straßenlaterne die Finsternis einleitet. Das Ende der Welt. Die totale Entfremdung.

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                                      • 9

                                        “Ich habe alles gesehen in Hiroshima”

                                        Den ersten zehn Minuten von “Hiroshima, Mon Amour” sieht man an, dass der Film eigentlich als Dokumentarfilm geplant war. Und tatsächlich erreichen sie immer noch ihr Ziel, die Grausamkeit der Bombe abzubilden, dass man dieser keine Faszination zollt, sondern dieser nur mit Ekel und nichts anderem begegnen kann. [...] “Hiroshima, Mon Amour” ist ein prosaischer Film. Der Dialog beider Figuren besteht aus symbolhaften Schlagsätzen, deren Mühe sie zu einem Skript zu verdichten, man in dem einen oder anderen Moment schon anmerkt. Das macht “Hiroshima, Mon Amour” zu einem sehr zitierfähigen Werk, dennoch versagt der Film darin, Empathie für die Figuren zu entwickeln. Der Film bleibt symbolhaft und wenig nahbar. Aber vielleicht ist das auch durchaus die Absicht des Films, denn so bleiben die gewaltigen Gräuel des Kollektivs, die der Film abbildet immer im Vordergrund, auch wenn beide Figuren den Anspruch erheben, ihr eigenes Leid über das der Gesellschaft zu stellen. [...]
                                        Man muss sich auf den Resnais-Film einlassen, aber wenn man einen Zugang zu dem Film findet, der über das Berauschen an der Nouvelle-Vague-Optik hinausgeht, eröffnet sich eine Vielzahl an Lesearten. Ein sehr symbolhafter, sehr literarischer Film von verstörender und gewaltiger Schönheit.

                                        “Du hast nichts gesehen in Hiroshima.”
                                        “Nichts.”

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                                        • 8
                                          über Oh Boy

                                          “Oh Boy” ist ein Film über Berlin heißt es immer so schön und so falsch. Man tut dem Film ein bisschen unrecht, ihn allein auf seine Stadt zu reduzieren. Es stimmt, der Film spielt zu 100% darin und er seziert die Seele der oft kritisierten Internet-Hipster-Generation (jedoch ganz ohne Internet), die für Berlin so typisch gilt, aber eigentlich ist das poträtierter Berlin immer nur ein Stilmittel; ein verdammt sexyes obendrein. Man sollte “Oh Boy” den Gefallen tun, ihn universeller auszulegen. Dem Jungregisseur Jan-Ole Gerster ist ein kluger, unkonventioneller aber nicht manieriert-unkonventioneller Film über die Planlosigkeit unserer Generation gelungen. Optimistisch, gleichzeitig melancholisch und immer mit einem offenen Ohr. [...] Wer “Oh Boy” schaut, sollte eine Kaffeekanne bereitstehen haben. Nicht weil der Film so langweilig und ein Kampf gegen das Einschlafen ist, sondern weil hier der Alltagsgegenstand Kaffee (das nebenbei bemerkt Lieblingsgetränk der Deutschen) zur Relaxations- und Reflexionsmetapher graduiert wird.

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                                          • 9

                                            [...] Regisseur Elia Kazan war zu Lebzeiten selbst Kommunist, leistete jedoch Verrat an seinen ehemaligen Parteigenossen indem er ihre Namen dem Komitee für unamerikanische Umtriebe übergab. Nicht wenige sahen in diesem Verhalten ein unverzeihliches Handeln und im Film “On the Waterfront”, in dem der Protagonist ebenfalls seine ehemaligen Freunde verrät, eine Art Rechtfertigung für sein Handeln. Tatsächlich ist dies jedoch abzulehen, denn hinter dem Verrat im Film verbirgt sich sogar etwas wie ein sozialpolitisches Plädoyer, die dem profitorientierten Kapitalismus den Spiegel vorhält und für eine korruptionslose Gewerkschaft nach europäischem Vorbild plädiert. Nach europäischem Vorbild ist auch durchaus der schmutzige, semidokumentarische Filmstil gelungen, der deutliche Wurzeln im italienischen Neorealismus zeigt. Das ungeschönte, in famosen Schwarzweiß-Fotografien eingefangene New York ist Schauplatz einer wendungsreichen und durchaus spannenden Geschichte, die sowohl als historisches Zeitzeugnis der Arbeiterbewegung in den amerikanischen 50ern, als auch als nach wie vor aktuelles sozialpolitisches Statement oder einfach als einfache moralische Parabel funktioniert. [...] “On the Waterfront” ist ein detailverliebtes, vielfach auslegbares Meisterwerk des amerikanischen Films, das für seine Zeit unmodern deutlich mit sozialpolitischem Statement daher kommt. Kazan ebnete zudem auch die künstlerischen Werdegänge eines Francis Ford Coppola oder Martin Scorsese mit seinem Film und steht zurecht in vielen prominenten Bestenlisten auf einer Topplatzierung.

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                                            • 3

                                              [...] Man kann dem Film eigentlich nur wünschen, dass er in zehn Jahren die Rezeption bekommt, die er verdient. Nämlich die, dass man ihn als besseren (bzw. im Trashfilmsinne schlechteren) Trashfilm abtut. Man kann darüber streiten, wie sehr dieser Film die Romanvorlage vergewaltigt oder wie sehr die Romanvorlage schon an sich eine Vergewaltigung darstellt, aber am Ende ist “Cloud Atlas” eine überdimensional-gigantische Katastrophe. Da kann man fast froh sein, dass der Film immerhin gut ankam und er somit keine gänzliche Steuergelderverbrennungsmaschine ist, wie er von der Qualität eigentlich hätte sein müssen. Und ganz ehrlich: So weit entfernt von John Travoltas Aliendarstellung in “Battlefield Earth”, dem vielleicht schlechtesten Film aller Zeiten, ist Tom Hanks mit seiner Steinzeitmenschdarstellung auch nicht entfernt. In diesem Sinne ...

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                                              • 8

                                                Die Intimität des Verbrecherseins. Für Bonnie und Clyde stellt ihr Daseins als Kriminelle einen besonderen Reiz und einen Zugang zu dem jeweils anderen dar, der über bloße Sexualität hinausgeht. Eine im 21. Jahrhundert angekommen, immer noch unkoventionelle und auf eine freche Weise romantische Vorstellung von Liebe [...] Wie man die viel zitierte Gangstergeschichte deuten will hin oder her: “Bonnie & Clyde” zählt zurecht zu den wichtigsten und prägendsten Hollywooderlebnissen überhaupt. Die schonunglos brutale Action, die mit zeitloser Härte beeindruckt und nie zum plakativen Rumgeballer verkommt, kann man als direkte Vorstufe des Sam Peckinpahs ansehen. Auch die Geschichte für sich genommen, findet Zeit jede Figur zärtlich in die Narration einzubinden und bleibt die gesamte Spiellänge über unterhaltsam und unvorhersehbar. Ein großer Film, der seinen beispiellosen Eingang in die Popkultur mit Qualität en masse untermauern kann.

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                                                  [...] Das Prinzip der Natur wird durch die Vaterfigur (Brad Pitt), die Gnade durch die Mutterfigur (Jessica Chastain) verkörpert, dazwischen befindet sich Terence Malicks Alter Ego Jack. Ein kleiner Junge, der sich zwischen beiden Polen bewegt und aufwächst. Gnade und Natur streiten sich, lieben sich und verfechten einen permanenten Kampf mit ihren eigenen Mitteln. Die Gnade versucht durch Liebe und Zuneigung die Gunst der Menschen zu erreichen, die Natur dem unbedingten Memento, man würde in dieser Welt untergehen, begegne man ihr nicht mit Härte. [...] Der Film betrachtet sich selbst als auf die gesamte Welt und Weltgeschichte anzuwendende Prophetie. So gut die Familiengeschichte Jacks auch erzählt sein mag, sie ist großenteils nur angedeutet und immer im gewaltigen Schatten dieser Weltentstehungs/Schöpfungssequenz. Malick provoziert durch diese Überdimensionierung einen Vergleich zu Tarkowskij oder Kubrick. [...] Man muss dem Film zumindest zu Gute halten, dass er mit sehr vielen Symboliken aufweist, die über den ganzen Film verstreut sind und dem Film eine angenehme Tiefe verleihen, z.B. die Baumsymbolik. Allerdings kann ich schon mit der Grundintention des Films nicht viel anfangen und finde die Überdimensionierung des Films, die um eine Vergleichbarkeit mit Noé, Kubrick und Tarkowski bettelt, einfach nur arrogant. “The Tree of Life” wird wohl noch die ein oder andere Chance bei mir bekommen, den langweilig fande ich den Film, hingegen meiner Profilierung eines “Hassers”, nicht. Daher hochachtungsvolle:

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                                                    [...] Die Figuren wissen sich ins Herz des Zuschauers zu spielen, das Skript überzeugt mit feinen Wortwechseln und auch rein handwerklich muss sich der Streifen keinerlei Vorwüfe gefallen lassen. Wer auch nur annähernd ein Auge für neorealistische Filme hat, wird sich bei “Il Bidone” keine Sekunde langweilen: Die Gaunereien des Trio Infernales werden lockerleicht und temporeich vorgetragen und finden immer wieder neue Ideen. Besonders fantastisch sind die Spielereien mit den Zuschauererwartungen. Oft ist einem nicht klar, ob die drei Ganoven tatsächlich ein falsches Spiel spielen oder nicht, so etwa in der grandiosen Silvesterszene oder dem Ende des Films, das den moralischen Gedanken den Films besonders Nachdruck verleiht. [...] “Il Bidone” zeigt Verständnis für moralische Abwege in Italiens Nachkriegszeit nach dem Motto: Jeder muss sehen wo er bleibt. Zumal die Ganoven ihren Opfern stets zwar ein faules Geschäft vorschlagen, es aber immer noch ein Geschäft bleibt, das erst mit Annahme in Kraft tritt. Eine moralische Legitimation ist dies aber nicht, durch Gewissenskonflikte mit Familie und dem Bewusstmachen, dass das Kleinganoventum seine Grenzen vom organisierten Mafiaverbrechen aufgezeigt bekommt, redet Fellini seinen Figuren ein, dass die schiefe Bahn gefälligst an der nächsten Ausfahrt verlassen werden solle, wer drin bleibt, wird dafür bezahlen.

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