David_Lynch - Kommentare

Alle Kommentare von David_Lynch

  • 7 .5

    Vielfältig, verrückt und leicht verwurstet. 🎬

    Ein Film, der alles sagen will. Ein Film, über den bereits alles gesagt wurde. Ich versuche mich daher kurzzufassen.

    So, wie die kurze Runde, die wir mit einem alten Bekannten drehen. Nicht etwa, weil Ke Huy Quan in den 80ern keck und süß daherkam, sondern weil er heute umso mehr drauf hat. Er ist die gute Seele dieser Geschichte und dabei macht er eigentlich nur Augen. Familienoberhaupt James Hong tat dies bereits als Augeningenieur in "Blade Runner" und nimmt jetzt in "Everything Everywhere All at Once" mit stolzen 93 Lebensjahren tatsächlich noch an Actionszenen teil. Eine ebenfalls erwachsene Jamie Lee Curtis hat dazu sichtlich den Spaß ihres Lebens und lässt sich mit voller Inbrunst auf verschiedenste Arten vermöbeln. Ausgeteilt werden diese Arschtritte größtenteils von Michelle Yeoh, die mit der Erfahrung aus vergangenen Sammo Hung und Jackie Chan Produktionen auch heute noch kampfkünstlerisch glänzen kann.

    Leider ist es gerade die Beziehung zu ihrer Filmtochter, der es als einziges Element im Film an Besonderheit mangelt. Hier ruht man sich auf altbekannten Konflikten und Klischees aus und es scheint zudem eine Rolle zu sein, die Stephanie Hsu an ihre Grenzen bringt. Nichts und niemand ist hier wirklich schlecht, davon sind wir weit entfernt, aber neben absoluten Augenblicken der Euphorie fallen ein paar der entscheidenden Schlüsselszenen vergleichseweise flach. Damit überspannt der Streifen an einigen Stellen sowohl seinen komödiantischen, als auch seinen emotionalen Flitzebogen und endet zwei-, dreimal zu oft. Nur um dann in einem relativ belanglosen Sequel-Bait-Moment zu den End Credits überzugehen. Eine Karaoke-Party im Waschsalon, mit der ganzen Familie, hätte das Finale sicher etwas aufgewertet und bahnte sich gefühlt bereits an.

    Dennoch muss man loben, wie bemerkenswert die total konfusen Einzelelemente hier überhaupt unter ein Dach gebracht werden konnten und dabei nicht alles im kompletten Chaos versinkt. Der Tonfall stimmt und die Reizüberflutung wird bewusst eingesetzt, ohne den Zuschauer dadurch zu verlieren oder zu überfordern. Das Konzept des Multiversums wird dabei soviel intelligenter integriert, als es Basketball-Hasen oder Spinnen-Männer jemals könnten. Dass Michelle Yeoh nach "Star Trek", "Boss Level" und zwei MCU-Auftritten anscheinend immer noch nicht genug von der Thematik hat, ist unser Gewinn. Die Russo Brüder haben nach ihrer Marvel-Abnabelung defintiv auf das richtige Team gesetzt.

    Es ist lediglich die eigene, sehr hohe Messlatte, unter der die Daniels knapp durchsegeln. "Swiss Army Man" aus 2016 war einfach etwas knackiger und emotional auf den Punkt. Ironischerweise ist es aber wohl eher dieses Werk, welches man als cinematisches Schweizer Taschenmesser bezeichnen könnte. Eine Allzweckwaffe gegen Langeweile, ein Kantenhieb an Kreativität. Und genau wie beim Vorgänger beweisen sie, dass der steinige Weg durchs Tal der Absurdität, eben auch direkt ins Herz führen kann. Zudem macht dieser Film etwas, das ich ihm hoch anrechnen muss. Er entlässt den Zuschauer mit einem gewissen Drang in die reale Welt zurück. Dem Drang nach Dö­ne­ken.

    Daher muss ich jetzt am Ende doch nochmal das sagen, was bereits alle gesagt haben: Schaut euch den Film bitte auf der großen Leinwand an, denn ihr werdet unter Garantie bestens unterhalten. Mit einem lachenden, einem weinenden und einem kullernden Auge.

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    • 8

      Kühler Grillo. 🎬

      Dieser Film ist so schnörkellos zusammengesetzt, dass ich nahezu keinen Punkt finde, am dem ich rütteln könnte. Einer Netflix-Eigenproduktion im Actiongenre nun vier Sterne geben zu müssen, fühlt sich fast so dreckig an, wie die Deals, die hier gemacht werden. Aber genau wie unser Protagonist, kann ich einfach nicht aus meiner Haut und muss das Ding jetzt bis zum Ende durchziehen.

      Letzteres kommt auch bereits erfrischend früh, nämlich nach nur knackigen 82 Minuten. "Speed and timing" seien sowieso das Wichtigste, wird im Finale verkündigt und das nimmt man sich hier zu Herzen. Der Film läuft keine Sekunde zu lang und nach dem wirklich absolut Nötigsten, ist die Fahrt dann auch vorbei. Alles ist geklärt, das Auto sicher geparkt und man kann endlich aufatmen.

      Leider kommen dabei ein paar der tollen Darsteller fast zu kurz, von denen man sich gut und gerne noch ein bisschen Screentime gewünscht hätte. Zum Beispiel vom ewigen Nebendarsteller Garret Dillahunt, dem ich als Fan von "Terminator: The Sarah Connor Chronicles" immer wieder freudig entgegensehe oder auch dem unberechenbaren Shea Whigham, der quasi nur in zwei Szenen vorkommt, aber allein damit schon komplett die Show stiehlt. Doch vielleicht ist es ja auch exakt das richtige Maß, wenn man genug von etwas bekommt, um es abzufeiern, aber mit einem Gefühl nach mehr entlassen wird. Viele dreistündige Blockbuster bleiben in letzter Zeit länger, als sie willkommen sind und sich selbst überhaupt tragen können.

      Getragen wird dieses Werk wohl unweigerlich vom Charisma seines Hauptdarstellers, der hier ganz nebenbei auch noch Produzent war. Die Kamera ist mindestens 75% der Zeit auf ihn gerichtet und sogar 95% fest im Auto verankert. Inszenatorisch kann man sich das Ganze grob wie die Verfolgungsjagd aus "The Batman" in Spielfilmlänge vorstellen. Viele feste Einstellungen, ungewöhnliche Blickwinkel, ordentlich Tiefenschärfe und vorbeizischenden Reflektionen der lichtgefluteten Nachtkulisse. Dem Auge wird dabei niemals langweilig, auch wenn wir fast ausschließlich im Cockpit verbleiben und der Blick immer wieder auf unseren fixen Fluchtfahrer fällt. Wir leiden mit seinen Entscheidungen, bewundern seine Manövrierkünste und lauschen seinen Telefonaten. Zuschauer, die von "Locke" bereits gelangweilt waren, sollten diesen Streifen eventuell meiden, aber wer sich auf intensives Kopfkino mit Gedankenspiralen einlassen kann, den wird "Wheelman" endlos begeistern. Für alle dazwischen steht die Ampel auf Gelb. Probiert es einach mal aus, Netflix ist ja ohnehin kostenlos.

      Man mag sich nur vorstellen, was Leute wie Frank Grillo oder auch ein Scott Adkins in den 80ern gerissen hätten. Also gebt ihnen zumindest jetzt die Chancen und den Respekt, den sie verdient haben. Die größten lebenden Legenden vergangener Generation danken langsam ab und im Actionbereich wird es bald ziemlich leer aussehen. Tom Holland ist zwar ein guter Spinnenmann, aber kein Allheilmittel und alle akrobatischen Asiaten scheinen ja immer noch Hauptrollenverbot in den USA zu haben. Iko Uwais treibt sich inwzischen selbst fast nur noch auf Netflix rum. Und so bleiben uns lediglich diese paar abgehalfterten, stoppligen Typen Ende 40, Anfang 50, die ein bisschen was einstecken können. Höchste Zeit, dass sie das Steuer übernehmen.

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      • 3

        Eiskalt und blutleer. 🎬

        "Ach was, das ist ja der Hammer!", dachte ich mir bereits bei den Opening Credits. Und das nicht nur, wegen des produzierenden Studios, sondern weil dieser Film anscheinend schon damals die drei Pappköppe Matt Reeves, Greig Fraser und Michael Giacchino zusammenführte. Eine rückwirkende Reunion für mich, da ich deren jüngstes Fledermausabenteuer für das Hause Warner ziemlich annehmbar fand. Das war aktuell auch der Ansporn für mich, der Filmographie von Reeves nochmal eine Chance zu geben. Bis auf seine Co-Produktion und Co-Writing für "The Yards", den wohl unterschätztesten Thriller aller Zeiten und natürlich die erfrischend originelle Regiearbeit "Cloverfield", hatte ich seine Werke nämlich sträflichst ignoriert, um der, zu dieser Zeit wütenden Remake-Welle, aus dem Weg zu gehen. Ich mochte mein Affentheater eben mit einem brüllenden, behaarten Heston und meine düsteren, vampiristischen Kindergeschichten lieber schwedisch.

        Man muss dazusagen, dass ich "Let Me In" niemals mit neutralen Augen hätte sehen können, da ihm meine Vergötterung der Originalverfilmung von Tomas Alfredson vorauseilt. "Låt den rätte komma in" hat 2008 meine Welt gerockt und meinen Filmkonsum nachhaltig geprägt. Auch heute noch ist das einer der wenigen Titel, dem ich die volle Punktzahl vergönne. Dagegen hatte Reeves mit seiner Neuauflage wohl nie eine realistische Chance, aber irgendwie kam mir nach über einem Jahrzehnt der Verweigerung nun doch das Gefühl, dass er es vielleicht schaffen könnte, meinen Respekt zu verdienen. So kann man sich irren.

        Eine rechtlich bindende Honorierung in Form eines "basierend auf"-Credits, erhält hier nur die Buchvorlage von John Ajvide Lindqvist, was ja für eine freiere Adaption des gleichen literarischen Stoffes sprechen würde. Aber genau wie bei Denis Villeneuves "Dune", erscheint mir das hier nicht der Fall. Die Remake-Regisseure hatten die vorherigen Verfilmungen sichtbar in ihr Hirn gebrannt, als sie ihre Versionen angingen. Eigentlich wollte man damals sogar, wie es für skandinavische Regisseure keine Seltenheit ist, Tomas Alfredson direkt in die USA rüberfliegen, damit er seinen eigenen Film nochmal untertitelfrei für ein breiteres Publikum neu verschandeln würde. Dies lehnte er jedoch lustigerweise schon im zarten Alter von 44 Jahren mit der Begründung ab, dass er zu alt und das Leben zu kurz dafür sei, den gleichen Film zweimal zu drehen. Seine schwedische Version sei gut genug, auch für ein amerikanisches Publikum und ich könnte ihm nicht mehr zustimmen.

        Was fügt nun also Reeves, der hier auch für das Drehbuch verantwortlich war, seiner Spiegelung des Originals hinzu? Einen innovativ gefilmten Autounfall, die Satanic Panic als gesellschaftlichen Kontext und ein Kiss-Shirt. That's it. Den vielleicht entscheidensten Aspekt der Vorlage, die Genderfrage, lässt man dabei sogar komplett unter den Tisch fallen. Der Rest wird bis auf ein paar Amerikanisierungen in Setting und Namensgebung nahezu 1:1 kopiert. Nur saugt man dabei leider jeder emotionalen oder entscheidenen Szene die Seele aus. Was sicherlich nicht an der hervorragenden Besetzung liegt, die wirklich ihr Bestmögliches tut (den Schulhofschläger mal ausgenommen) das Material nochmal neu zu verwandeln. Aber irgendwie fühlt sich das im Vergleich alles so an, als würde man wirklich direkt versuchen die magischen Momente des Originals Schritt für Schritt nachzuspielen. Es wirkt, als würde ein entfremdetes Monstrum eine menschliche Gestalt imitieren. Ich war bei Reeves Inszenierung keine einzige Sekunde davon überzeugt, dass sich mir eine eigenständige Welt eröffnet (was eigentlich eine seiner Stärken ist), in der sich dann eine Geschichte mit echten Figuren entspinnt. Stattdessen sah ich mich bei einer Schultheateraufführung eines Stoffes sitzen, den sowohl ich, als auch die Darsteller, bereits auswendig können und nur noch locker vortragen müssen. Und das ist echt bedauerlich, denn wie erwähnt, schätze ich eigentlich alle hier verwendeten Schauspieler sehr und selbige haben mich schon vor und auch nach diesem Film noch mehrfach begeistert.

        Kameramann Greig Fraser hingegen spielt auch hier bereits mit seinen bekannten Unschärfen, die er später mit "Rogue One: A Star Wars Story" und "The Batman" zur Perfektion bringen sollte. Aber irgendwie wirkt der Look von "Let Me In" noch sehr uninspiriert und wahllos. Dazu kommt ein fürchterlich übertriebenes Color Grading aus den späten 2000ern, welches großartige Szenerien, wie die nächtlichen Gespräche im Innenhof oder auch das Finale im Schwimmbad, zu einem generischen Bildermatsch verkommen lässt. Generell sind es eigentlich alle prägnanten Horrormomente, die hier komplett dilettantisch umgesetzt wurden. Die Optik ist drüber, das Timing ist falsch, die Geschwindigkeit der Schocks viel zu hoch, das CGI größtenteils lachhaft schlecht und selbst bei den praktischen Effekten und dem Make-Up der Kreaturen hat man gespart. Die Kontaktlinsen nach der Verwandlung sahen bereits bei "The Evil Dead" hochwertiger aus, einem Film, der zu der Zeit entstanden ist, in der dieser hier spielt und zwar durch ein paar Jugendliche im Wald mit einem Budget von 375,000$ und 'ner handvoll Kartoffelbrei. Deshalb kann ich dieses lächerliche Halloween-Kostüm, was "Let Me In" mir hier anbietet, beim besten Willen nicht entschuldigen. Sogar auf Kontinuität wird komplett geschissen, denn wo wir am Anfang noch in einer sehr präsenten Nahaufnahme zu sehen bekommen, dass Richard Jenkins' rechte Hand komplett verätzt ist, macht man sich später, wenn der Film zeitlich zu der Szene zurückkommt, nicht mehr die Mühe, seine Hand nochmal zu modellieren und sie ist urplötzlich wieder komplett geheilt. Genauso willkürlich läuft es bei der Musik ab, die einfach in jeder Szene irgendwas ziellos auf die Ohren des Publikums rotzt, um die Stimmung zu manipulieren. Einen schlimmeren Hollywood-Score habe ich wahrlich selten gehört und auch das ist eigentlich unter Giacchinos Würde.

        Was bleibt nun übrig? Meine Wut, dass ich nicht auf mein Bauchgefühl gehört habe und meine Erinnerung an dieses tolle Material jetzt für den Rest meines Lebens durch diese fehlgeleitete Adaption getrübt wird. Und zudem die Angst, dass so etwas immer wieder passieren kann. Reeves Weggefährte J.J. Abrams hat seine Drohung, den nahezu perfekten Anime "Kimi no Na wa." nochmal für ein stumpferes US-Publikum neuauflegen zu wollen, Gott sei Dank Stand heute noch nicht wahrgemacht. Aber wem will ich etwas vormachen, statistisch gesehen werden wahrscheinlich mehr Menschen "Let Me In", als das schwedische Original gesehen haben. Und vielleicht tut es ohne dieses Vorwissen auch nicht so verdammt weh. Für mich ist das jetzt jedoch ein Fluch, den ich nie wieder loswerde. Zeit also, mich nur mit einem T-Shirt bekleidet, zu emotionaler 80er Indie-Mucke in mein dunkles Kämmerlein zurückzuziehen und aus den Augen zu bluten.

        • 5 .5

          Demenzploitation. 🎬

          Heidewitzka, dieser Film ist so konstruiert, dass er bei Müller im Regal für LEGO® Technic stand. Dabei kam "Memoir of a Murderer" mit viel Vorschusslorbeeren (und auch ordentlich Verspätung) in mein Leben. Auf dem Cover prangt sogar ein werbewirksamer Vergleich mit "Oldboy". Vielleicht hatten die Produktionen ja zufällig den gleichen Cateringdienst.

          Aber genug der Stichelei, schlecht ist der Streifen nicht, soviel sei gleich vorweg verraten. Wir befinden uns immer noch meilenweit über einem "The Girl on the Train", einem "The Woman in the Window" oder wo auch immer der westliche Thriller-Markt seine Mädels plötzlich platziert. Aber gerade in den eigenen Gefilden muss er sich halt mit starker Konkurrenz messen. Bong Joon-ho Fans haben wahrscheinlich sogar kurz innegehalten und sich gefragt, ob dieser Titel nicht bereits in ihrer Sammlung sei. Die Assoziation ist sicherlich kein Zufall, seitens des internationalen Verleihs. Erinnern können sich die Südkoreaner anscheinend sehr gut. Und noch besser morden.

          Leider fehlte mir hier jedoch ein emotionaler Anker oder zumindest eine gewisse Raffinesse. Irgendetwas, das mich durch die sehr erwartbare Story getragen hätte. Die Prämisse ist eigentlich goldwert. Kranker Killer vs. Killer Cop. Auch die Schauspielleistungen, vor allem die von Sol Kyung-gu, sind ironischerweise sehr erinnerungswürdig. Gut, wenn die Demenzschübe durch sehr prägnant zuckende Muskulatur visualisiert werden, macht es das dem Zuschauer zwar ziemlich leicht zu folgen, aber wirklich nötig war die überzogene Gesichtsakrobatik nicht. Filme wie "The Father" lösen das mal eben ohne Simplifizierung einer realen Krankheit durch einen cleveren Schnitt. Der ist hier auch nicht sehr konsequent, mal ist der Blackout unseres Protagonisten zu sehen, mal wird er übersprungen. Mal sind wir komplett bei ihm, weil der Film auch sehr mit seiner Wahrnehmung spielt, mal gibt es Szenen ohne ihn, die hinterher schwer zu erklären sind. Vielleicht soll damit das Chaos im Kopf und der Verlust des Zeitgefühls deutlich gemacht werden, aber es wirkt doch recht willkürlich. Generell passt der Gedächtnisverlust immer auffällig gut in die Dramaturgie, so wie es dem Plot gerade dienlich ist.

          An einem bestimmten Moment im Finale musste ich zudem unweigerlich an das berühmte Zitat aus "Se7en" denken: "If John Doe's head splits open and a UFO should fly out, I want you to have expected it." Ja, ich weiß, nicht jeder Thriller nach 2000 muss sich zwangsweise Fincher als Vorbild genommen haben, aber irgendwie lag der Vergleich für mich nah. Vor allem, da einem hier ebenfalls klärende Rückblenden zu eingebildeten Figuren geboten werden, die wie erwartet den unzuverlässigen Erzähler entlarven. Auch so ein Klischee, was eigentlich seit "Fight Club" verboten gehört. Und von weißen Kleidungsstücken, deren Unschuld irgendwann mit Blut besudelt wird, will ich gar nicht erst anfangen. Immerhin ist es hier Kimchi Sauce, soviel Originalität muss sein.

          Ich puste jetzt also definitiv nicht mit voller Inbrunst in die Thriller-Pfeife, um einen neuen Meilenstein des Genres anzukündigen, aber dennoch würde ich "Memoir of a Murderer" den meisten Zuschauern, die unter mildem Krimihunger leiden, empfehlen. Vielleicht gerade weil er für westliche Sehgewohnheiten etwas bekanntere Elemente benutzt und auch von der Intensität her sehr aushaltbar ist. Ich glaube der Film ist einfach nur an meiner zu hohen Erwartungshaltung gescheitert. Wenn jemand kommt und sagt: "Du, das ist das nächste große Ding aus Südkorea!", dann liegt die Bambuslatte halt schon ziemlich hoch.

          Was die verschiedenen Versionen angeht, würde ich auf jeden Fall zur Kinofassung raten. Die ist auch weitverbreiteter im Ladenregal oder auf den Streaming-Plattformen und meiner Meinung nach etwas runder als der Director's Cut. In der längeren Fassung bleibt nämlich gerade am Ende nur noch wenig Spielraum zur Interpretation und man kommt nicht umher, noch ein weiteres, abgenutztes Klischee auf die sowieso schon twistreiche Achterbahnfahrt zu packen. Die Kinofassung versucht es da hingegen ein bisschen poetischer und sensibler zu halten, als direkt mit der Brechstange den Kopf des Zuschauers zum Platzen zu bringen.

          • 9

            Du bist ein verdammter Denker. 🎬

            Ein Dummejungenstreich. Ein Geniestreich. Die alte Leier. Boy meets girl. Sie ist zu alt für ihn, zu jung für andere. Der Sohn von Philip Seymour Hoffman in seiner ersten Rolle. Der Vater von Leonardo DiCaprio in seiner ersten Rolle. Ein Film zum Anfassen. Ein Film über das Anfassen. Ein Klaps auf den Po, ein Kompliment an den Busen. Für wen staffiert man ihn eigentlich aus? Schätzchen, sexy sein ist dein Job. Du stehst auf der Speisekarte. Du bist die geborene Waitress, Stewardess, Wasserbetthostess. Attraktiv, aber namenlos. That's showbiz.

            In die Fußstapfen des Vaters treten. Und Matratzen verkaufen. Filme machen. Geschäftsmodelle. Mit Models. Das große Geld, das kleine Glied. Alles anfangen, nichts beenden. Mit allen was anfangen. Neue Frauen am laufenden Band. Und geschiedene Männer. Immerhin dünner. High five! Du bist der Mann! Nein, du bist der Mann! Männer, die sich lieben. Aber nicht in der Öffentlichkeit. Der ewige Tanz. Rückwärts den Abhang runter. Das Steuer übernehmen. Den kleinen Finger reichen. Einen Heiratsantrag bekommen. Begehrt werden. Begehrt werden wollen. Wollen wir doch alle. Wir rennen und rennen, auf und davon und kommen dennoch nicht vom Fleck.

            Ölkannentrichter, Wasserschlauch, Zigarettenstummel. Ein Knallkörper im Jungenklo. Ein Peniswitz. Boys will be boys. So sind sie nun mal. Alte Männer aus Old Hollywood. Auf dem Sprung. Die wollen immer noch ihr Ding machen. Mit jungen Dingern. John C. Reilly ist ein Monster. Männer sind Mörder. Nicht dieser. Nicht Gary. Ihm fehlen die Eier. Er haut nur die Jüngeren. Er zerkratzt das Auto, wenn niemand hinschaut. Sie boxt ihn raus.

            Telefon. Wer zuerst spricht hat verloren. Wer zu laut atmet auch. Eigentlich schon wer atmet. Gary hat's verkackt. Deep Throat. Skandal. Richard Nixon hat's auch verkackt. Benny Safdie for president! Männer die um Öl kämpfen. Um ihre Muscle-Cars zu befüllen. Das Motorrad macht den Stunt nicht ohne. Sie vergleichen den Schwanz, sie erzählen vom Krieg. Von Affären. Von Filmen. Vom Schein. Eigentlich sind sie alle nur Schauspieler. Eigentlich sind alle Scheißkerle. Eine warme Umarmung. "Hi." Augenhöhe. Vielleicht ein Anfang. "Ich liebe dich." Idiot.

            Hier haben wir es mit etwas ganz Besonderem zu tun. Denn schon lange nicht mehr fühlte sich neu-produzierter Content, wie man es heutzutage schimpft, so sehr nach einem echten Film an. Damit meine ich nicht nur das Material, auf dem er gedreht ist, sondern auch seine Art. Er ist kein bloßes Produkt und er muss sich auch bei niemandem anbiedern. Entweder gefällt er einem oder eben nicht. Falls nicht, dann ist es ihm auch egal, denn er ist ehrlich. Und sehr direkt. Man spürt als Zuschauer geradezu, wie sich eine exakt 35 Millimeter dicke, wärmende Decke aus Zelluloid, beim Schauen über einen legt. Doch die Decke hat Gewicht. Es scheint erst alles so vertraut, wie das Knistern der titelgebenden Schallplatte, aber ist dann doch irgendwie erfrischend, energiegeladen, unberechnbar. Ohne Nostalgiegewichse.

            Faszinierend ist, dass Regisseur Paul Thomas Anderson sein Publikum, im Gegensatz zu seinem infantilen, männlichen Protagonisten, tatsächlich für mündig hält. Für fähig, das Gesehene verarbeiten zu können. Was inzwischen auch einer Seltenheit gleicht. Ein neuer Handlungsstrang ohne Aufbau, eine weitere Figur, die den Film ohne Ankündigung betritt? Eigentlich unvorstellbar und doch verstehen wir nahezu jede neue Szenerie schon ab dem zweiten Bild. Wir sind doch alle erwachsen.

            Anderson ist auf den Schlag, mitten im Sommer des Jahres 1970 geboren und genau wie sein BFF Quentin Tarantino dort steckengeblieben. Doch entgegen der "früher war alles besser"-Mentalität, scheint er eher ein Vertreter des "früher war's auch schwierig und wir haben seitdem nicht viel hinzugelernt"-Standpunktes zu sein. Der Zigarettenqualm hat damals noch das größte Übel verschleiert. Darum tut dieser Blick zurück, durch PTAs geschulte Augen und seine zielgerichtete Kamera, auch genau an den richtigen Stellen so weh. Als Geschwister im Geiste, kann man ihn aktuell noch am ehesten mit Edgar Wrights "Last Night in Soho" vergleichen und nicht zufällig machen beide Leading Ladies, in ihrem Kampf gegen toxische Männlichkeit, kurz vor einem "James Bond" Kinoposter halt.

            Heraus kommt dabei ein Film, den man über zwei Stunden lang thematisch kaum einordnen oder in eine Schublade stecken kann und der dann doch so absolut teffend, mit nur einer einzigen Szene, auf den Punkt kommt. Mit einer Figur, die man nach gerade einmal zwei Minuten Screen Time als emotionalen Anker akzeptiert. Matthew ist der MVP des Films. Matthew braucht Liebe. Denn selbst die entschlossensten Männer können sich nicht entscheiden. Und plötzlich fügt sich alles. Daran werde ich noch lange zu knabbern haben. Ich glaube ich leg' erstmal 'ne Platte auf zum Runterkommen.

            "Nimm schon den Lappen, ich hab' ihn dir mit Liebe gekauft
            Oh, Baby, Baby, Baby, Baby, Nein muss nicht sein
            Sag Ja zum Leben, nimm den Lappen und wisch den Tisch ab
            Ich kann es doch nicht, ich bin nur ein Mann"
            - Helge Schneider

            9
            • 2
              über Scream

              Unters Messer gekommen. 🎬

              "Für Wes", lässt der selbstbewusste Abspann in schnittiger, originalgetreuer Schriftart verlauten. Doch mir stellt sich viel eher die Frage: "Für wen?"

              Der fünfte Teil der "Scream"-Reihe ist eine blutleere Reflektion des Gegenwartskinos. Wo "Spider-Man", trotz seinem kleinsten gemeinsamen Nenner, zumindest noch auf grundlegendem Level Bombast bieten konnte und "Matrix" gar fantastisch mit der aktuellen Abklatsch-Krise und dem Zuschauer gespielt und gewonnen hat, wird "Scream" eine traurige Randnotiz im Recycling-Genre bleiben. Der Film scheint derjenige zu sein, der den Witz in der Runde als letzter verstanden hat. Dabei hat er ihn erfunden.

              Von der im Ursprung wirklich zeitgeistlichen Originalität des Originals ist kein Fetzen mehr übrig. Der clevere USP von damals lässt das Franchise heute wie Auslaufware wirken, denn dieser "Scream" ist ein stumpfes Remake des ersten Teils und nur, weil er das selbst verkündet, ändert das nichts an der Tatsache. Das Gesehene gab es schonmal. Es wurde sich auch schonmal darüber lustig gemacht. Und wir haben auch schonmal gesehen, wie sich jemand über das Gesehene lustig gemacht hat. Wes Cravens Werke waren bereits meta to the max, spätestens mit den Sequels, die das kritische Konzept des Originals eigentlich schon ad absurdum geführt haben. Ist dieser neue Film nun noch mehr meta, weil er einer Franchise huldigt, die sich bereits vor Jahrzehnten selbst gehuldigt hat? Vielleicht, aber das Abziehbild wird mit jedem weiteren Mal blasser. Der Kniff ist eingerostet und verrät sich schließlich selbst, weil man sonst nichts weiter anzubieten weiß und den Fehler begeht, sich mit viel schlaueren Filmen messen zu wollen.

              Worin liegt zum Beispiel der Mehrwert, wenn David Arquette mit der Intelligenz eines Special Officer Doofy unehrenvoll abtreten darf? Ist es ein Gag? Falls ja, dann ist es der älteste der Welt. Wir alle wissen schon lange, dass dieses Klischee nervt, darum sind Horrorfilm-Opfer im Durchschnitt seit 1996 auch klüger geworden und außer dem letzten "Halloween" traut sich das kaum noch eine große Franchise. Oder will man sich in dem Moment nicht über Filme, sondern über Fantum lustig machen? In dem Fall werden sich Freunde der Reihe vor den Kopf gestoßen fühlen, weil ihnen der Charakter am Herzen lag oder sie haben die restlichen Teile nicht gesehen und Deputy Dewey sagt ihnen sowieso nichts. Das Ende vom Leid ist, dass ich weder schmunzeln noch weinen muss und mir einfach nur eine weitere, belanglose, strunzdumme Horrorszene ansehe, in der Charaktere falsch handeln. Kommentar-, kritik- und humorlos.

              Selbst in den Momenten, in denen der Film versucht, durch die Maske eines Hochglanz-Remakes hindurch, wenigstens noch ein zeitgemäßes Augenzwinkern einzubauen, kommt das so unsubtil und unclever daher, wie ein Jagdmesser in den Augapfel. Die Filmemacher scheinen nicht schlauer zu sein als ihre Figuren und zur vollständigen Farce reicht es leider auch nicht. Der Witz ist einfach fade geworden, die Kills unkreativ und das Drama nimmt sich viel, viel zu ernst. Soll man Emotionen verspüren, wenn geliftete Gesichter vergangener Ikonen nochmal vor die Kamera gezerrt werden? Soll man Sympathie empfinden für die neuen, neunmalklugen, instrumentalisierten Protagonisten, die die Weisheit mit Messern gefressen haben? Soll man sich wirklich noch erschrecken, wenn zum zehnten Mal der Buhmann aus dem Dunklen springt? Natürlich nichts davon, aber was dann? Immerhin machen die Szenen mit ernstem Tonfall und dem Anspruch, echten Horror zu liefern, ca. 65% der Laufzeit aus. Was trägt mich also durch diese verlorene Todesmüh? Ein Lachen hat man in meinem Kinosaal jedenfalls über die ganze Zeit vergebens gesucht.

              Okay, ja, ich mag die in der Eröffnungsszene aufgezählten "anspruchsvollen" Horrorfilme. Aber Herrgott nochmal, ich liebe auch simple, schlichte Slasher von der Stange. Hier bekomme ich aus Prinzip weder noch geboten und schon gar keine geistreichen Gedanken über das Genre geliefert. Stattdessen wird einem das filmische Äquivalent der "Ich bin ja kein Nazi, aber..."-Mentalität vorgefüht. Und an dieser Stelle muss ich dich in deinem minderbemittelten Monolog leider unterbrechen. Doch, das bist du. Du bist einfach nur ein schlechter Film.

              5
              • 8 .5

                Radikal poetisch. 🎬

                Ich glaube ich habe einen Schuss gehört. Ich glaube ich habe einen Schuss gehört. Oder könnte es eine Filmklappe gewesen sein? Was auch immer es war, der Knall hat mich aufgeweckt.

                Der vierte Teil der Matrix-Trilogie (besser kann man ihn kaum beschreiben) ist ein radikales Werk. Ein Magnum Opus, dass es schafft, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zum Einsturz bringt. Und ist ganz nebenbei der Filmförderung Berlin-Brandenburg zu verdanken, mit soviel Umlauten im Abspann, wie man sie schon lange nicht mehr bei einem Blockbuster lesen konnte.

                Über 20 Jahre nach dem ersten Teil, bewerkstelligt der Film das nahezu Unmögliche. Er regt erneut zum Nachdenken an. Ihn auf der Handlungsebene oder gar auch nur der ersten Meta-Ebene zu besprechen, ist zum Scheitern verurteilt. Er ist der vielleicht erste Film, der an der zweiten Meta-Ebene kratzt. Ein Kommentar, formuliert als Hilfeschrei, auf die replizierende Wiederverwertung finanziell erfolgreicher Franchises. Wie eine Matrix in einer Matrix, wird jede tieferliegende Verschachtelung bedeutungslos gegenüber der einen großen Wahrheit, die über ihr, über allem, schwebt. Willkommen in der Realität.

                Dieser Film ist nichts, was wir uns wirklich gewünscht hätten. Und anscheinend auch nichts, was sich die Schöpferin gewünscht hätte. Er ist der filmgewordene Zeigefinger gegen geldgierige Studios. Gegen Nostalgie-hungrige Fanscharen, die blind alles verschlingen, was ihnen vorgesetzt wird. Die das immergleiche Gefühl von damals rekreiert haben wollen. Originalität ist tot. Gebt uns den grauen, angerosteten Einheitsbrei, denn wir haben bereits vergessen, wie eine echte, wilde Erdbeere schmeckt.

                Filme entstehen heute durch Analytiker. Basierend auf Statistiken. Spider-Man muss wieder zurück in die High School. Nicht etwa, weil dies eine werkgetreuere Adaption der Story darstellt, sondern weil er dort Influencer sein kann. Weil man ihm und seinen jungen Freunden dort Social Media Accounts verpassen kann. Das ist keine Vermutung, kein Verdacht. Es war die konkrete Ansage des kommandogebenden Studios. Diese Infos haben wir ironischerweise einem Hacker zu verdanken. Inzwischen ist TikTok der größte Sponsor auf den glitzernden Premierewänden und gehört zu Spider-Man wie Audi zu den Avengers. Und wenn das bereits 2017 die grauenhafte Realität war (und auch Erfolg hatte), dann können wir uns nicht ausmalen, durch welche Gespräche und welche Höllenkreise Lana Wachowski gegangen sein muss, bis man sie dazu bringen konnte, allen Widrigkeiten zum Trotz, diesen Geniestreich zu manifestieren. Und vor allem, wie zum Teufel sie es geschafft hat, dieses Drehbuch an den Agenten des Studiosystems vorbeizuschleusen.

                Als Warner vor einer Weile diese Fortsetzung forderte, gar androhte, war die ursprüngliche Matrix-Trilogie längst Geschichte, nicht mehr als IP. Doch die Regisseurin nutzt hier clevererweise nicht die fiktive Story, die wir als "Matrix" kennen, für ihre künstlerischen Zwecke, denn diese ist ohnehin auserzählt, die Leinwand bis zum Rand gefüllt. Hat selbst Animationsfilme, Actionfiguren und Videospiele hervorgebracht. Stattdessen erzählt Lana jetzt diese IP, die wir als "Matrix" kennen, weiter und hält uns als Publikum buchstäblich den Spiegel vor. In der Hoffnung, dass wir nun endlich aufwachen. Denn diese Welt, die uns täglich auf der Leinwand und dem Bildschirm präsentiert wird und das Gefühl von Geborgenheit suggeriert, ist mehr Schein als Sein. Ein Geisterjäger kehrt als stummer Geist zurück? Luke ist wieder jung und kampfeswillig? Drei heulende Spinnenmänner in einem Raum? Da kann man wohl schlecht trocken bleiben. Die Taschentuchpackung und das Portemonnaie liegen offen. Kennt ihr noch Sentinels? Sie sind zurück. Aber jetzt als kleine, süße Marshmallow Männer. Ähm, ich meine Yoda, aber als Baby. Ich meine BB-8. Fist bump, little guy!

                Mit dieser Kritik, gekleidet in selbstreferenziellen Anti-Humor, geht der Film nicht sparsam um, sondern feuert sie wie Maschinengewehrsalven im Sekundentakt raus. Fans finden sich in künstlichen Nostalgie-Empathieträger-Figuren wieder, die parolenhaft Zitate der alten Teile, wie hirnhungrige Zombies von sich geben. Der grobe Plot ist exakt der gleiche des ersten Teils, wie schon bei "The Force Awakens" und auch eine Verulkung des Rey-Charakters tritt mit vergötternden Augen auf. Du bist Luke fucking Skywalker, du bist eine Legende für meine Generation. Neo kriegt hier sogar seinen eigenen Fanclub innerhalb des Universums. Manche sehen den Glauben an diese Figur als ihre eigene Religion an. Das Jeditum lässt grüßen.

                Und nicht nur in der eigenen Franchise gräbt man Erinnerungen ab. Keanu Reeves ist inzwischen in seiner "John Wick" Persona, inklusive passendem Look und Kleidungsstil, angekommen, verhält sich aber wie ein neurotischer Hoschi und das volle Kanne. Das Alter? Der Bart! Um ihn zurückzuholen, wiederzubeleben, bringt man ihn an einen vertrauten Ort, kämpft einen Kampf, den er schon einmal geführt hat. Nein, ich spreche nicht von Morpheus im Kimono, sondern dem dazugehörigen Haus am See. Selbst auf der Oberfläche ist "Resurrections" kein Actionfilm, er ist eine Romanze. Für die neu inszenierten Szenen der künstlichen Trinity wäre Sandra Bullock das i-Tüpfelchen gewesen. Und wenn man im großen Finale schließlich stürzenden Suizid-Bots ausweichen muss, triggert das unweigerlich Flashbacks an den gefühlt achtzehnten Teil der "Fast & Furious" Reihe.

                Natürlich werden aber auch die ikonischen Szenen der Matrix-Reihe selbst, die sich im popkulturellen Gedächtnis verankert haben, 1:1 wieder nachgestellt. "Hommagiert", wie man in der Werbung sagen würde. Doch der Gag ist auch hier auf Kosten des Zuschauers, denn das Ganze geht soweit, dass man einfach aufwandslos Clips der ersten drei Teile einspielt, ja sogar identische Charaktere gegeneinanderschneidet. Einmal verkörpert von den charismatischen Darstellern von damals und dann, im krassen Gegensatz dazu, die leeren Hülsen der Jungdarsteller in eben diesen Rollen. Morpheus und Smith sind ein Witz, verschmelzen sogar zu einer Figur. Das Melken vergangener Charaktere, wie es das "Star Wars" Universum noch heute tut, wird komplett ad absurdum geführt. Jada ist jetzt Jack Sparrow, der Merowinger nun Robin Williams aus "The Fisher King", mit Rufios Lost Boys aus "Hook" im Schlepptau. Selbst das Einspielen eben dieser Clips entbehrt sich jeglicher Logik. Innerhalb der neuen Matrix sei Keanu Reeves jetzt ein Spieleentwickler. Er habe mit der Videospieltrilogie, die Ende der 90er begann, den weltweiten Popkulturmarkt revolutioniert. Erinnerungen für eine ganze Generation geschaffen. Um diese Videospiele zu illustrieren zeigt man uns jedoch 2D Filmclips. In einem Kinosaal projeziert. Es ist egal. Irgendjemand im Publikum hat das Bekannte bereits erkannt. Mission erfüllt. Wir werfen euch unser wiedergekautes Erbrochenes vor. Die Magie von damals ist lange erloschen. Das Zitat wird pervertiert. Ich habe nur ein Wort für euch: Bullet Time.

                Es ist ein bisschen, als würde man seine liebste Nu Metal Band von Anfang der 2000er nochmal sehen. Mit Remixen ihrer größten Hits im Gepäck. Nicht nur, wird man feststellen, dass das heutzutage nicht mehr funktioniert, gar furchtbar klingt, nein, man wird auch merken, dass es vielleicht damals schon nicht die erhabenste Kunst auf Erden war. Aber auf einer WG-Party die Frage zu stellen, was wäre denn, wenn es die Matrix wirklich gibt, hat in den vergangenen 20 Jahren sicher zu höchst philosophischem Small Talk und dem eventuellen One Night Stand geführt. In unseren Pods werden wir getrennt. Im Pop sind wir vereint. Gefangen.

                Die ersten drei Matrix-Filme waren von unterschiedlicher Güte, aber zumindest gab es etwas, dass sie alle einte. Die Faszination für das Erkunden einer fremden, fiktiven Welt, die mit jedem weiteren Teil gewachsen ist. Dieser vierte Eintrag ist kein weiteres Kapitel derselben Reise, er ist vielmehr das dazugehörige Reclam-Heft, verfasst mit dem Sturm und Drang eines Uwe Boll. Sein Konflikt ist nicht mehr fiktiv und er kann auch nicht mehr faszinieren. Stattdessen lässt er einen deprimiert über die eigene Realität zurück. Irgendwas hat er dabei jedoch in meinen Hinterkopf gepflanzt und so wächst und gedeiht dort die Idee von Hoffnung. Kann es Friedensverhandlungen zwischen den Fans und dem Studio geben? Zwischen Künstlern und Konzernführern? Kann Nostalgie gesund sein? Lanas Glaube scheint, dass irgendwo tief verborgen immer noch Liebe für dieses Franchise besteht. Entkoppelt vom finanziellen Erfolg, respektvoll und auf Augenhöhe. Ein Regenbogen am Himmel, den wir dringend brauchen. Allein dafür, will ich sie einfach nur in den Arm nehmen.

                Ein inhaltliches Detail muss ich aber in eigener Sache doch noch festhalten. Selbst im Zuge eines kongenialen Meta-Meta Hate Fucks, sollte sich der gute Max Riemelt bitte nie wieder selbst auf deutsch synchronisieren. Oder ein abgespacetes Cyberpunk-Kostüm tragen. Und Christina Ricci, trotz ihres prominenten Eintrags in den Credits, nur für eine einzige Einstellung zu zeigen, ist sowieso ein Kapitalverbrechen.

                Wo verbleibt "The Matrix Resurrections" nun? Er bietet eine schrecklich miese Seherfahrung mit einem unfassbaren Konzept sondergleichen, dessen Exekution einem Wunder gleichkommt. Ein gaunerhafter Masterplan, bei dem man die Gelackmeierten selbst für ihren Schaden bezahlen lässt. Ein Clou, bei dem selbst George Clooney und Brad Pitt blass werden würden. Er ist intendierte Folter, Vergewaltigung und Wiedergeburt zugleich. Er ist kein richtiger Film, kein brauchbares Reboot und schon gar kein kanonisches Sequel. Und dennoch ist er das vielleicht beste "Gremlins 2" Remake, auf das wir nie gehofft haben. Denn das ist der wohl einzige Vorfall der Filmgeschichte, den man hier als Vergleich anführen kann. Schon damals gelang es Altmeister Joe Dante den Gebrüdern Warner ein Sequel unterzujubeln, dass er selbst nie machen wollte und eben diesen Umstand in vollen Zügen (und auf Kosten des Studios) auszunutzen. Auch dort wagte er den Sprung durch den Spiegel, durch die vierte Wand und lies Hulk Hogan den Film im Film anhalten. Inspiriert wurde er dazu laut eigener Aussage durch den bahnbrechend chaotischen "Hellzapoppin'" aus dem Jahre 1941. Mit Universal Pictures steckte damals ebenfalls ein großes Studio hinter dem, sich seiner selbst bewussten, Film. In einer Welt, die sich seit vielen Jahrhunderten gegenseitig für anhaltenden Profit kannibalisiert, ist halt alles schonmal dagewesen. Der Mensch merkt es nur nicht, da ihm stets eine veränderte Zukunft simuliert wird. Ein falscher Fortschritt, der sich am Vorherigen vergeht und der Zelluloid-Markt ist da keine Ausnahme. Im Gegenteil, er ist Vorreiter.

                Die politische Dimension dieses nicht enden wollenden Loops und die potentiellen gesellschaftlichen Gefahren, möchte man sich gar nicht ausmalen. Es ist schon schlimm genug die Popkultur zu betrauern, die uns als Geisel hält. Und so zeigt die allerletzte Szene des Films treffenderweise unsere verklärten Helden von damals, wie sie einen Algorithmus wortwörtlichen zu Tode prügeln, der zuvor in Studien das maximale Fan-Potential ausgerechnet hatte und die volle Kapazität dieser menschlichen Zielgruppe, wie eine in Reihe geschaltete Batterie, abzapfen wollte. Wer es bis dahin noch immer nicht verstanden hat, dem prügeln es dann die End Credits ebenfalls nochmal ein. Denn es sollte kein Zufall sein, dass man hierfür die brandaktuelle Band "Brass Against" mit ihrem "Rage Against The Machine" Cover für die musikalische Unterstützung auswählte. So wie die Frontfrau vor Kurzem einem gealterten, hochnotpeinlichen (wenn auch glücklichen) Fanboy live vor Publikum ins Gesicht urinierte, so will dieser Film es als Mahnmal und Gleichnis zementieren. Unsere Fans sind so unfassbar geschmacksblind geworden, dass wir ihnen alles vorwerfen können. Selbst wenn wir ihnen im Strahl ins Gesicht pissen, werden sie es dankend annehmen.

                Und wer ganz bis zum Schluss im bezahlten Kinosessel sitzen bleibt, der bekommt sogar noch eine fantastisch sinnbefreite Verballhornung der Post-Credit-Szenen populärer Superheldenprodukte geboten. Gebt uns "The Catrix" und die ersten Tickets würden sich wie von selbst verkaufen, denn ich fürchte die konsumierende Masse hat den Schuss nicht gehört.

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                  Zierkürbissuppe. 🎬

                  Sieht gut aus, schmeckt aber wie 1978 abgelaufen. So dümpelt der neuste Aufguss, einer seit nunmehr über vier Jahrzehnten nicht totzukriegenden Franchise, aktuell wieder über die Kinoleinwände.

                  Es wird kälter, die Tage kürzer, das Laub häuft sich. Michael Myers gehört halt zum cinematischen Oktober, wie Ingwer in die Kürbissuppe. Aber so langsam habe selbst ich, als Fan der ersten Stunde, das Gefühl, Ingwersuppe mit einem Hauch Kürbisabrieb vorgesetzt zu bekommen. Und es ist ehrlich gesagt zum Kotzen. Der Vorgänger von 2018, den ich nun in der Rückschau deutlich verzeilicher bewerte, übte sich noch brav in den Reboot-Methoden eines J.J. Abrams. Die Optik hochwertig halten, bloß nicht zuviel neuerfinden und die größtmögliche potentielle Zuschauerschafft abholen. Vor allem die jüngeren Generationen, denn jeder Teil einer Franchise ist für irgendwen der jungfräuliche Einstieg und sich diese Zielgruppe für die nächsten Jahre zu abonnieren ist unbezahlbar. Für alle anderen gibt es Fan-Service. Kennste Loomis? Kennste, kennste, kennste!

                  Ich habe bereits Abhandlungen über diese Reihe gehalten, aber ich will den Menschen kennenlernen, der am Ende von "Halloween Kills" noch den Überblick behalten kann, wie viele glorifizierte Cameo-Auftritte es in diesem Film gab und welche dieser Figuren bis zum Abspann überlebt hat. Es würde mir vielleicht leichter fallen, wenn ich mich drum scheren würde. Und wieso arbeitet ein gefühlt 95-Jähriger eigentlich immer noch als Polizist in der Nachtschicht? Antwort: Weil der Darsteller zufällig noch am Leben war und Sheriff Brackett unter den Kids auf Tic Toc halt der heiße Scheiß ist. Hätte man all diesen Ehrengästen wenigstens etwas würdevolles zu tun gegeben, könnte das Wiedersehen ja durchaus Freude machen, aber sie bleiben bloßes Beiwerk für die Schlachtplatte.

                  Selbst wenn man zwischenzeitlich auch nur den Hauch von Sympathie für einen Charakter verspürt, lässt der Film es einen in aller Deutlichkeit wissen, dass jedes dieser Opfer den Tod gnadenlos verdient hat. Dummheit muss bestraft werden und ich glaube seit "Alien: Covenant" (ist Danny McBride für Horrorfilme etwa ein schlechtes Omen?) hat das Kino nicht mehr so eine Anhäufung an Stupidität erlebt. Jeder im Wald gedrehte Low Budget Horrorfilm schafft es nachvollziehbarere Situationen zu kreieren, als die Drehbuchschreiber von "Halloween Kills" anscheinend in der Lage sind. Das Ausrutschen auf der Bananenschale wäre im Vergleich zu dieser lächerlichen Leichenschau noch eine willkommene Abwechslung gewesen. Wer es nicht schafft sich selbst in den Kopf zu schießen, ballert den Revolver halt ziellos leer und läuft dann freiwillig ins Messer. Eines macht der Film ganz deutlich, Michael will eigentlich nur zusehen. Die Bösen sind die anderen.

                  Vom ernsthaften Versuch der Systemkritik und der Darstellung von Mob-Mentalität, will ich lieber gar nicht erst anfangen, aber es sei gesagt, dass dies zumindest für die einzigen Lacher im Film sorgt. Insbesondere, wenn blutrünstiges Krankenhauspersonal plötzlich den Schutz von Leib und Leben aufgibt und Senioren niedertackelt oder einer (in diesem Film höchst passiven) Jamie Lee Curtis im wahrsten Sinne die Gedärme aus dem Bauch kickt. Die Jagd auf den Vogelmann allein ist größeres Comedy-Gold als M. Night Shyamalans "Old" in seiner Gesamtheit dieses Jahr bieten konnte.

                  Der Ex-Regisseur und frischgebackene Rockstar John Carpenter haut auch hier wieder höchstpersönlich in die Tasten, kann jedoch mit dieser Iteration kaum etwas Neues beisteuern. Sein Score war schon immer das Blut in den Adern dieser Franchise und so ziemlich der einzige Aspekt, der dem 2018er Reeboot frischen Wind einhauchte und Vetrautes tatsächlich noch verbesserte. Der 2021er Film klingt nun leider so, als hätte man aus Knauserigkeit lediglich die alternativen Takes des vorherigen Soundtracks aufgewärmt und wiederverwertet. Ein bisschen Lob muss allerdings sein, die deutsche 18er-Freigabe ist zumindest in Bezug auf die Gewaltdarstellung hart verdient und jeder Abgang saftig in Szene gesetzt. Mit ganz viel echtem, falschen Blut, versteht sich. Also zumindest diese liebevolle Handarbeit der Effektkünstler kann ich honorieren und selbst der für die Rückblenden wiederbelebte Donald Pleasence entstand in diesem Fall nicht durch Rechenpower, sondern ein Double mit diversen Gesichtsprothesen und das kann sich durchaus sehen lassen.

                  Doch trotz diesem wilden, innovativ in Szene gesetzten Blutbad alter Schule will aus den oben genannten Gründen der Egalität und Ermüdung kein wirklicher Spaß bei den titelgebenden Kills aufkommen. Selbst innerhalb dieser langgehegten Familientradition wirkt der aktuelle Michael eine Spur zu sadistisch, was sich massiv mit der behaupteten, abstrakten Emotionslosigkeit beißt. Und wenn in einem Slasher sogar das Slashen keinen Zweck mehr erfüllt, außer irgendwie die Laufzeit mit Dummheit vollzuscheißen, dann läuft hier was gehörig schief. Jason Blum wird seinen Sack mit Süßigkeiten aber sicherlich voll kriegen, mein Kinosaal war, wie viele andere auch, restlos ausverkauft. Und so sehen wir uns sicher bald wieder, genau wie meine Schnittwunde im Fingergelenk vom Kürbisschneiden, die einfach nicht heilen will. Denn wie das Böse, stirbt Tradition wohl leider nie aus.

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                    über Dune

                    Feuchte Träume im Wüstensand. 🎬

                    Öde, dröge, Dune die Dritte. Wer sollte siegen, wo Jodorowsky und Lynch scheiterten? Villeneuve war vielleicht unsere größte Hoffnung, aber auch er kann die Marvelisierung des Abendlandes nicht mehr aufhalten. Ein Film als Durchlauf, ein Teaser in Überlänge.

                    Die Bilder sind groß, die Worte sind schwer, doch deshalb steckt noch lange nichts dahinter. Im Vergleich zu den bisherigen Varianten und Versuchen, "Dune" in ein anderes Medium zu übertragen, scheint Villeneuves tatsächlich die bedeutungsbefreiteste und blasseste zu sein, eine bloße Übersetzung, ohne eigene Persönlichkeit. Und das muss man erstmal schaffen, wenn man mit einem gecancelten Film, einem zerstückelten Alan Smithee Machwerk und einer Sci-Fi Channel Produktion mit Uwe Ochsenknecht konkurriert. Doch es ist geschafft. Aus all den Adaptionen, die ich zu Herberts Stoff konsumiert habe, egal ob Film, TV-Serie oder Videospiel, war das hier mit Abstand die trockenste. Das kann auch ein Spritzer Bro-Humor hier und dort nicht mehr auflockern, der Boden ist tot.

                    Die Aufgabe "Dune" zu verfilmen ist gewiss keine leichte, darum ehre ich allein den Versuch. Aber bei einem Destillat eines solchen Mammutwerks erwarte ich nunmal, dass jede aufgewandte Sekunde zählt, jede Dialogzeile auf die Goldwaage gelegt wird. Sehe ich dann, wie Jason Momoa ganz offensichtlich eine Tür schließt, gefolgt von der Einstellung einer anwesenden Beobachterin, die für den unmündigen Zuschauer festhält: "He locked the door!", ist dies genauso verschwendet, wie ein Tropfen Wasser auf den heißen Wüstensand. Villeneuve vertraut seinen Bildern nicht, dabei sind es die plumpesten, die er uns bisher geliefert hat.

                    Aber wenn ein Film gefühlt zu einem Drittel aus Umarmungen und Wiedersehen von Charakteren besteht, denen wir vor gerade mal 10 Minuten zuletzt begegnet sind und zu einem weiteren Drittel aus zeitlupenhaften Zukunftsvisionen von Figuren, die wir noch gar nicht kennen, dann ist das wohl noch das geringste Problem. Es will erst gar kein richtiger Erzählfluss entstehen und Charakterbindung gibt es kaum, selbst bei jemandem, dem die Geschichte vertraut ist. Die Kostüme sind, obwohl handwerklich hochwertig, leider sehr uninspiriert oder eben zu sehr von den bisherigen inspiriert. "Blade Runner 2049" hat gezeigt was an Innovation möglich ist, aber hier fehlt mir die Eigenleistung. Es ist schwer die Figuren zu unterscheiden, wenn sie gleichförmig erscheinen und auch charakterlich im besten Falle zu Karikaturen verkommen. Graue Parteien reisen in grauen Raumschiffen zu grauen Planeten und raunen sich an. Farben fehlen in dieser Welt merklich.

                    Ein (Neu)Anfang ist eine sehr delikate Zeit. Es wäre die Chance gewesen, die Vorlage neu zu erfinden, zumindest kreativ zu rekonstruieren, clever wieder zusammenzufügen. Die ersten 90 Minuten halten sich jedoch überraschend streng ans Lynchs Strukturierung der einzelnen Szenen und Abläufe. Wenig wird hinzugefügt oder alterniert, die Exposition kommt unangenehm oft mit dem Holzhammer. Es riecht schwer nach Remake und das einzig semi-neue Motiv, Paul als Zuchtbulle der Bene Gesserit Schwestern und das potentielle Leid durch diese Rolle in seiner Ahnenreihe, wird kontextlos totgeritten. So plätschert das bekannte Treiben nun dahin. Ab und zu wird der Zuschauer durch eine imposante Supertotale oder einen sehr zurückhaltenden Hans Zimmer kurz geweckt. Es passiert nicht viel, aber das zumindest konsequent.

                    Im letzten Akt drosselt man das Erzähltempo dann nochmal so abrupt wie eine Vollbremsung in der 30er-Zone. Als hätten sich die Drehbuchschreiber selbst erschrocken, wie viel Film denn noch zu füllen wäre. Darum zerdehnt und streckt man nun Momente, die bei Lynch gerafft genauso funktioniert haben. Neue Facetten erhalten die Charaktere in dieser neugewonnen Zeit keine, aber irgendwie muss ja das beinahe beschämt wirkende "Part One" im Titel gerechtfertigt werden. Man könnte aus dem ersten Buch ganz sicher auch eine feine Trilogie zaubern, keine Frage, aber stattdessen macht man einfach das Gleiche nochmal, etwas schwächer, dann plötzlich langsamer und schließlich auch ohne abgeschlossenen Bogen, der für einen Einzelfilm funktionieren würde. Über den kitschigsten aller Cliffhanger, die Schlussworte: "This is only the beginning!", wollen wir mal wohlwollend den Mantel des Schweigens legen.

                    Nach mehr als einer handvoll Meisterwerken folgte nun also das Unausweichliche und dennoch das, mit dem niemand gerechnet hatte. Der Perfektionist Denis lässt sich auf den absoluten Durchschnitt herab und geht auf Nummer sicher, anstatt sich und uns weiter zu fordern. Vielleicht kann "Part Two" mehr, verhilft gar im Nachhinein zu einem Ganzen. Ich würde es mir wahrlich wünschen und genauso große Augen machen wie die kleine Wüstenmaus. Aber das Einzige, was nun nach gut zweieinhalb Stunden Laufzeit noch bleibt, ist ein immenser Druck. Zum einen der, das nächste Kinoticket kaufen zu müssen und zum anderen jener auf meiner Blase, deren Inhalt wohl eine ganze Fremen-Familie ernähren könnte.

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                      David_Lynch 01.02.2022, 13:41 Geändert 14.02.2022, 14:23

                      Du bist ein verdammter Denker. 🎬

                      Ein Dummejungenstreich. Ein Geniestreich. Die alte Leier. Boy meets girl. Sie ist zu alt für ihn, zu jung für andere. Der Sohn von Philip Seymour Hoffman in seiner ersten Rolle. Der Vater von Leonardo DiCaprio in seiner ersten Rolle. Ein Film zum Anfassen. Ein Film über das Anfassen. Ein Klaps auf den Po, ein Kompliment an den Busen. Für wen staffiert man ihn eigentlich aus? Schätzchen, sexy sein ist dein Job. Du stehst auf der Speisekarte. Du bist die geborene Waitress, Stewardess, Wasserbetthostess. Attraktiv, aber namenlos. That's showbiz.

                      In die Fußstapfen des Vaters treten. Und Matratzen verkaufen. Filme machen. Geschäftsmodelle. Mit Models. Das große Geld, das kleine Glied. Alles anfangen, nichts beenden. Mit allen was anfangen. Neue Frauen am laufenden Band. Und geschiedene Männer. Immerhin dünner. High five! Du bist der Mann! Nein, du bist der Mann! Männer, die sich lieben. Aber nicht in der Öffentlichkeit. Der ewige Tanz. Rückwärts den Abhang runter. Das Steuer übernehmen. Den kleinen Finger reichen. Einen Heiratsantrag bekommen. Begehrt werden. Begehrt werden wollen. Wollen wir doch alle. Wir rennen und rennen, auf und davon und kommen dennoch nicht vom Fleck.

                      Ölkannentrichter, Wasserschlauch, Zigarettenstummel. Ein Knallkörper im Jungenklo. Ein Peniswitz. Boys will be boys. So sind sie nun mal. Alte Männer aus Old Hollywood. Auf dem Sprung. Die wollen immer noch ihr Ding machen. Mit jungen Dingern. John C. Reilly ist ein Monster. Männer sind Mörder. Nicht dieser. Nicht Gary. Ihm fehlen die Eier. Er haut nur die Jüngeren. Er zerkratzt das Auto, wenn niemand hinschaut. Sie boxt ihn raus.

                      Telefon. Wer zuerst spricht hat verloren. Wer zu laut atmet auch. Eigentlich schon wer atmet. Gary hat's verkackt. Deep Throat. Skandal. Richard Nixon hat's auch verkackt. Benny Safdie for president! Männer die um Öl kämpfen. Um ihre Muscle-Cars zu befüllen. Das Motorrad macht den Stunt nicht ohne. Sie vergleichen den Schwanz, sie erzählen vom Krieg. Von Affären. Von Filmen. Vom Schein. Eigentlich sind sie alle nur Schauspieler. Eigentlich sind alle Scheißkerle. Eine warme Umarmung. "Hi." Augenhöhe. Vielleicht ein Anfang. "Ich liebe dich." Idiot.

                      Hier haben wir es mit etwas ganz Besonderem zu tun. Denn schon lange nicht mehr fühlte sich neu-produzierter Content, wie man es heutzutage schimpft, so sehr nach einem echten Film an. Damit meine ich nicht nur das Material, auf dem er gedreht ist, sondern auch seine Art. Er ist kein bloßes Produkt und er muss sich auch bei niemandem anbiedern. Entweder gefällt er einem oder eben nicht. Falls nicht, dann ist es ihm auch egal, denn er ist ehrlich. Und sehr direkt. Man spürt als Zuschauer geradezu, wie sich eine exakt 35 Millimeter dicke, wärmende Decke aus Zelluloid, beim Schauen über einen legt. Doch die Decke hat Gewicht. Es scheint erst alles so vertraut, wie das Knistern der titelgebenden Schallplatte, aber ist dann doch irgendwie erfrischend, energiegeladen, unberechnbar. Ohne Nostalgiegewichse.

                      Faszinierend ist, dass Regisseur Paul Thomas Anderson sein Publikum, im Gegensatz zu seinem infantilen, männlichen Protagonisten, tatsächlich für mündig hält. Für fähig, das Gesehene verarbeiten zu können. Was inzwischen auch einer Seltenheit gleicht. Ein neuer Handlungsstrang ohne Aufbau, eine weitere Figur, die den Film ohne Ankündigung betritt? Eigentlich unvorstellbar und doch verstehen wir nahezu jede neue Szenerie schon ab dem zweiten Bild. Wir sind doch alle erwachsen.

                      Anderson ist auf den Schlag, mitten im Sommer des Jahres 1970 geboren und genau wie sein BFF Quentin Tarantino dort steckengeblieben. Doch entgegen der "früher war alles besser"-Mentalität, scheint er eher ein Vertreter des "früher war's auch schwierig und wir haben seitdem nicht viel hinzugelernt"-Standpunktes zu sein. Der Zigarettenqualm hat damals noch das größte Übel verschleiert. Darum tut dieser Blick zurück, durch PTAs geschulte Augen und seine zielgerichtete Kamera, auch genau an den richtigen Stellen so weh. Als Geschwister im Geiste, kann man ihn aktuell noch am ehesten mit Edgar Wrights "Last Night in Soho" vergleichen und nicht zufällig machen beide Leading Ladies, in ihrem Kampf gegen toxische Männlichkeit, kurz vor einem "James Bond" Kinoposter halt.

                      Heraus kommt dabei ein Film, den man über zwei Stunden lang thematisch kaum einordnen oder in eine Schublade stecken kann und der dann doch so absolut teffend, mit nur einer einzigen Szene, auf den Punkt kommt. Mit einer Figur, die man nach gerade einmal zwei Minuten Screen Time als emotionalen Anker akzeptiert. Matthew ist der MVP des Films. Matthew braucht Liebe. Denn selbst die entschlossensten Männer können sich nicht entscheiden. Und plötzlich fügt sich alles. Daran werde ich noch lange zu knabbern haben. Ich glaube ich leg' erstmal 'ne Platte auf zum Runterkommen.

                      "Nimm schon den Lappen, ich hab' ihn dir mit Liebe gekauft
                      Oh, Baby, Baby, Baby, Baby, Nein muss nicht sein
                      Sag Ja zum Leben, nimm den Lappen und wisch den Tisch ab
                      Ich kann es doch nicht, ich bin nur ein Mann"
                      - Helge Schneider

                      https://letterboxd.com/milli_vanilla/film/licorice-pizza

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                        David_Lynch 30.08.2020, 12:37 Geändert 30.08.2020, 16:27
                        über Tenet

                        Berg- und Talbahn rückwärts. 🎬

                        Am Anfang steht das Sinnbild. Die Künstler eines Orchesters stimmen ihre Instrumente, bereit für die große Werkschau, bereit das schlafende Publikum mit einem lauten Knall zu wecken. Doch plötzlich erschießt jemand den Dirigenten. So beginnt das Chaos, ein riesiger Haufen Lärm. Um Nichts.

                        Es war zum einen der Mangel an Alternativen, der mich in diesen, sich langsam gar fremd anfühlenden, Kinosaal geführt hat. Das gebe ich gerne zu. Doch zum anderen war da auch immer noch dieser Funke Hoffnung. Ein Licht, am anderen Ende des Kanals, welches damals bei mir durch die "Dunkirk" Sichtung in glorreichem 70mm entfacht wurde. Die Hoffnung, dass Christopher Nolan mehr kann, als nur technisch anzustrengen. Dass er seine Akribie vielleicht irgendwann doch wieder mit Story, Figuren und Dramaturgie vermählen würde, so wie es bei "Memento" noch wunderbar gefruchtet hat.

                        Leider jedoch mündet "TENET" im unausstehlichsten Diagramm, das jemals auf ein Whiteboard gerotzt wurde. Ein seelenloses Konstrukt, ohne auch nur irgendeinen narrativ wertvollen oder gar menschlichen Kontext, welches aber dennoch zu jeder Sekunde auf aggressivste Weise versucht, sich selbst schön zu reden. Wie ein kleiner Junge, der die schlechte Schulnote für seinen Aufsatz beklagt, obwohl er doch extra so viele Wörter verwendet hat. Aufwand und Materialschlacht sind stellenweise zwar anzurechnen, aber selbst der Look and Feel des Films bleibt nicht wirklich hängen. Bis auf den verpuffenden Gimmick-Effekt bleibt eigentlich kein Bild, keine Szene, kein Charakter im Gedächtnis, noch nichtmal ein einziger Name auch nur irgendeiner Person im gesamten Film. Die größte Identifikationsfigur bleibt der arme Kellner, der Opfer vom asozialen Verhalten des Protagonisten wird, als dieser sich in ca. 3-4 Szenen hintereinander Essen bestellt, was zwar extrem schön angerichtet ist, aber einfach ungenutzt auf dem Tisch stehen bleibt. Keine Zeit. Oder einfach keine Lust, denn Zeit ist bei den quälenden 150 Minuten Laufzeit eigentlich nicht das Problem.

                        Vielmehr ist es der grauenvoll geglückte Versuch von Nolan, den Expositions-Albtraum von "Inception" noch zu toppen. Das Drehbuch rammt uns den Löffel mit der Babynahrung regelrecht den Rachen hinunter und das in einem halsbrecherischen Tempo. Es wird wirklich unfassbar viel dusseliges Zeug geredet, vorausgesagt, rekapituliert, rezitiert und beschrieben und jede einzelne Figur nimmt es einfach so hin, wie es kommt. Da ist es eigentlich nur das Sahnehäubchen Absurdität obendrauf, dass man die unerträglichen Dialoge durch die Nolan-typische Tonabmischung und das Finden immer neue Wege, um Gesichtsmasken oder Gegenstände vor die Münder der Sprechenden zu pflanzen, sowieso nicht verstehen kann. Wenn ein beinahe 90-jähriger Michael Caine, mit Essen im Mund, die verständlichste und lebendigste Aussprache im Film besitzt, dann läuft irgendwas gehörig schief. Vor allem, wenn das Schauspiel aller Beteiligten generell schon hölzern und monoton rüberkommt, was nachweislich nicht an der tollen Cast liegen kann, die in anderen Werken regelmäßig mit eindringlichen Figuren glänzt.

                        Mit Ausnahme vielleicht von Kenneth Branagh, der sich in letzter Zeit für fremdsprachige Akzente verschrieben zu haben scheint und als schlimmster Bösewicht, dem ein suaver Agent im feinen Anzug jemals gegenüberstand, an Peinlichkeit kaum zu überbieten ist. Immerhin gewährt man seiner rachsüchtigen Ehefrau im Finale schließlich den Cumshot auf den Rücken ihres Mannes, weil man dadurch anscheinend eine klischeebehaftete Frauenrolle emanzipiert, der bisher überhaupt keine individuelle Eigenschaft zugeschrieben wurde. Olive Oyl wäre stolz. Na gut, sie darf nicht nur Hure und Opfer geben, auch das Muttersein wird ihr gestattet. Denn wie Nolan schon in "Interstellar" durch eine Gruppe Wissenschaftler verlauten lies, ist die Liebe die stärkste Kraft im Universum. Und die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind folglich der ausreichende emotionale Anker für das Schicksal der Welt. Da reicht es auch völlig aus, wenn man das Kind in zwei Totalen für jeweils fünf Frames mal schräg von hinten sieht. Bloße Behauptungen, hohle Phrasen und überladene Bilder, die im Endeffekt doch entleert sind.

                        Logik, Motivation, Nachvollziehbarkeit, Spannung, Pacing, Figuren- und Konfliktaufbau oder gar die simple Mühe eines Szenenwechsels, wer braucht diesen altmodischen Kram schon, wenn man Cloud Rap im Abspann hat und pseudointellektuelle Kalendersprüche raushauen kann, die selbst den "DARK"-Autoren die Ohren bluten lassen. Ganz ehrlich, die gerade erst neugewonnene Lust auf's Kino ist mir nach einem halben Jahr Pause soeben wieder invertiert worden. Aber wer hätte auch ahnen können, dass eine Parade singender Katzenarschlöcher tatsächlich NICHT das nervtötendste Filmerlebnis der letzten 12 Monate sein wird. "TENET", ich habe nur zwei Wörter für dich und mein geheimer Gruß wird ein ausgestreckter Mittelfinger sein.

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                          Es platzt heraus. 🎬

                          Der filmgewordene Diskurs von Savaş Ceviz über eines der vielleicht immer noch universell am stärksten geächteten Tabuthemen ist ein wichtiger, ein geradezu notwendiger. Dass man sich daran verheben kann, sollte niemanden verwundern. Was jedoch überrascht, ist die Tatsache, dass "Kopfplatzen" nicht am Inhalt scheitert, der nämlich einwandfrei und sehr respektvoll daherkommt, sondern an der Form.

                          Man hat das Gefühl, auf dem Weg zum Dreh sind ein paar Notizzettel durcheinander geraten und aus Versehen wurde nicht das geschliffene Drehbuch verfilmt, sondern die Mindmap vom ersten Brainstorming. Fiktives Protokoll: "Lasst uns einmal alle möglichen Situationen, die einem Pädophilen zustoßen könnten und zu Konflikten führen, in einen Topf werfen. Nur als Ideensammlung!" Im fertigen Film sieht man tatsächlich ALLE. Teilweise werden sie dem Hauptcharakter sogar binnen 24h an den Kopf geschmettert. Schon früh am Morgen, nach der Masturbation, lächeln einen Grundschüler an, denen man dann in den Park folgt, bevor man sich beim Hausarzt erfolglos outet, worauf man zum Abreagieren ein paar Kinder im Schwimmbad fotografiert, was schließlich darin mündet, dass man dort zufällig von einem Kollegen mit Sohn erkannt wird, also folglich nach Hause flüchten muss, wo schon die Nachbarin darauf wartet ihr Kind zum Babysitten abzugeben, welches dann auch noch unglücklicherweise im Schoß einschläft und weil einem das alles so langsam zu stressig wird, lässt man den Abend lieber damit ausklingen, dass man seine Kinderfotos entwickelt und dann auch leider genau an diesem Tag noch im Chatroom auf eine Kinderschänder-Party eingeladen wird, was einem nun aber WIRKLICH zu viel wird und darum geht man nach ein bisschen Masturbation schließlich wieder ins Bett. Full circle, Alltag halt.

                          Jeder Moment im Film, jedes Gespräch, ja jede einzelne Lebenssekunde des Protagonisten läuft in irgendeiner Form (direkt, indirekt, metaphorisch, kompensatorisch, etc.) auf Pädophilie hinaus, steht teilweise am Szenenende sogar als Pointe da: "Und schwimmen gehen müssen wir auch mal!" Ceviz gibt im Interview an, das spezifische Einzelschicksal einer Person erzählen zu wollen, überkonstruiert sie dann aber als amalgamierte Kunstfigur, deren Rolle zum unpersönlichen Stellvertreter mutiert: DER Pädophile. Und dadurch leider auch weniger greifbar wird. Hinzu kommt, dass er wie von mir bereits etwas zynisch bemängelt, einem regelrechten Dauerfeuer an Deus Ex Machina ausgesetzt wird, die schon arg an der Realitätswahrnehmung des Zuschauers zerren und sich mit der sonst so nüchternen Inszenierung wie Wolf und Beute beißen. Natürlich soll all dies nur seinen konstanten Konflikt, das titelgebende "Kopfplatzen", spürbar machen. Doch für mich wirkte diese Anhäufung an äußeren Umständen viel zu sehr wie eine große, kosmische Ungerechtigkeit, ja geradezu wie pures Pech, anstatt, dass sie denn ein real existierendes Problem forciert und für den Unbetroffenen nachvollziehbar macht.

                          Ein weiteres, massives Störelement sind die Dialoge und Begegnungen zwischen den Figuren. Auch sie scheinen nicht ausgeschrieben worden zu sein, sondern entspringen teilweise wortwörtlich den ersten Notizen darüber, was man denn eigentlich in der jeweiligen Szene vermitteln will. Fiktives Protokoll: "Irgendwie muss deutlich werden, dass er Kinder liebt." Protagonist sagt: "Ich habe ein Problem. Ich liebe Kinder." Fiktives Protokoll: "Dann muss in der Reaktion des Arztes klar werden, dass er in seiner Behandlung nicht mit Pädophilen konfrontiert werden will." Arzt sagt: "Bitte verlassen sie sofort meine Praxis!" Fiktives Protokoll: "Es muss aber auch rüberkommen, dass unser Protagonist das eigentlich alles gar nicht will." Protagonist sagt: "Ich will das nicht!" Fiktives Protokoll: "Dennoch sollten wir irgendwie den Gedanken anstoßen, dass es ein angeborener Instinkt für ihn ist, wie bei einem Raubtier". Film zeigt ohne narrativen Kontext mehrfach Szenen, in denen der Protagonist neben einem Raubtier steht. Fiktives Protokoll: "Ich denke der offensichtlichste Punkt, den wir mit diesem Film machen müssen, ist der, dass Pädophilie keine heilbare Krankheit, sondern eine Neigung ist und wie qualvoll es für den Betroffenen sein muss, dass er dieser nie nachgehen könnte, ohne anderen zu schaden." Zweiter Arzt sagt: "Sie müssen wissen, Pädophilie ist keine Krankheit, sondern eine Neigung. Sie ist nicht heilbar. Sie werden sie für den Rest ihres Lebens haben". Protagonist entgegnet: "Wie soll das gehen, soll ich niemals Sex haben? So kann doch niemand leben!"

                          Und so kommt leider nahezu jeder Dialog im Film daher. Das funktioniert vielleicht in einem stark überhöhten, theatralisch angelegten Setting, wie z.B. bei "Das melancholische Mädchen", aber nicht, wenn das Ziel verfolgt wird, ein realitätsnahes Leiden eines echten Menschen abzubilden. Unsere Kommunikation funktioniert selten direkt, oft hingegen unbewusst und zu einem sehr großen Teil über Subtext, der hier komplett entzogen wurde. Nehmen wir an Person A ist von Person B wirklich herbe enttäuscht. Je nach Typ würde sie Person B vielleicht vollständig ignorieren, ihr in einem haltlosen Wutanfall Beleidigungen an den Kopf werfen oder ihr auch einfach nur passiv-aggressiv ein "Is' okay, passt schon!" entgegnen. Damit ist eigentlich alles gesagt. Ohne es zu sagen. Was Person A sehr wahrscheinlich nicht tun würde, aber hier im Sprachduktus des Film geschieht, ist, dass sie Person B direkt im Klartext konfrontiert: "Person B, ich bin enttäuscht von dir." Das wäre zwar eine mögliche Variante diese Information zu vermitteln, ist aber leider fernab unserer Realität. Und noch dazu, die wirklich uneleganteste, da sie nicht auffordert über das Gesagte nachzudenken. In dem Moment, in dem es ausgesprochen wird, ist die eigentlich dahinterstehende Absicht und Motivation bereits auserzählt und damit auch die einhergehende Dramatik sofort beendet.

                          Nun, nach all diesen Versäumnissen, klingt es es jetzt fast so, als könnte den Film nichts mehr retten. Dem ist nicht so. Der erste und mit Abstand entscheidendste Grund dafür: Max Riemelt. Er vermag es durch seine markerschütternde Schauspielleistung die Plumpheit des Drehbuchs zu überschatten. Sobald er auch nur für einen Frame zu sehen ist, wir nur ein einziges, angestrengtes Seufzen von ihm auf der Tonspur vernehmen, leiden wir mit ihm. Er bringt die bitter notwendige Empathie zurück, die den entmenschlichten Dialogen und Situationen so fehlt. Riemelt trägt diesen Film und das könnte er im Alleingang. Muss er jedoch nicht, denn er wird in zweiter Hinsicht durch eine sehr aussagekräftige Kameraarbeit gestützt, die perfekt komponierte, klinisch kalte Bilder liefert und das sogar vollkommen ohne Effekthascherei. Als dritter und letzter Grund sollte auch das sehr reduzierte und dadurch umso effektivere Sound Design nicht unerwähnt bleiben. Der gelungene Score nimmt sich angenehm zurück und liefert uns stattdessen einer extrem atmosphärischen Geräuschkulisse aus. Das ungewöhnlich stark betonte Atmen des Protagonisten wirkt mit jedem Zug schwerer auf den Zuschauer ein. Somit schafft der Film durchaus eine beklemmende Grundstimmung, die technisch und handwerklich bis zum Rande des Erträglichen ausgereizt wird, ohne jemals die Grenze zur Exploitation zu überschreiten. Einzelne Szenen bekommen zwar leichte Thriller-Anleihen attribuiert, aber es verkommt nie auch nur ansatzweise zum Pornografischen, zum Horrorfilm oder zur respektlosen Freakshow.

                          Es bleibt also ein wirkungsvolles Gesamtbild zurück, welches berechtigte und vor allem auch richtige Absichten verfolgt, was wiederum das grob verschenkte Potential in der formellen und strukturellen Ausarbeitung für mich umso tragischer erscheinen lässt. Und damit man mich nicht falsch versteht, will ich es noch einmal ganz unsubtil im Klartext festhalten: Bitte guckt ihn euch an. Ich werde ihn auch nochmal sehen. "Kopfplatzen" ist kein schlechter Film. Ich wünschte mir nur er wäre besser.

                          http://www.youtube.com/watch?v=d5p84z2BFMA

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                            David_Lynch 04.02.2020, 06:09 Geändert 01.02.2022, 13:42

                            Es schlummert darunter. 🎬

                            Da mich dieser Film wahrlich umgehauen hat und es nach nur einer Sichtung sofort in meine ewige Top 10 schaffte, will ich ihm hier kurz mit einem Essay die Aufmerksamkeit geben, die er verdient hat. Wie immer mit grauenhafter Tonqualität, aber ist ja nicht so, als ob ich das gelernt hätte. Viel Spaß! :-)

                            Because this film literally destroyed me and instantly made it into my top 10 of all time after just one viewing, I hearby want to give it the attention it deserves. As usual with horrible audio, but then again that's only my job. Enjoy! :-)

                            https://www.youtube.com/watch?v=4Z_ynXNKExM

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                            • Zitat Ende. 🎬

                              Kann sich noch jemand an diese wenig clevere "Reservoir Dogs"-Parodie von Itchy und Scratchy erinnern? Es scheint, als hätte, wie im weißen Haus, die Realität die peinlichsten Wahnvorstellungen längst überholt.

                              Jahrzehntelang schon frönt Tarantino mit mal mehr und mal weniger gekonnter Recyclingkunst dem glorreichen Schund. Nun hat er ihn erstmals selbst geschaffen, denn "Once Upon a Time in Hollywood" ist genauso lahm, wie lächerlich und verlangt fast drei Stunden vom Zuschauer, nur um dann auf genau dem einsilbigen Gag zu enden, der schon in den ersten 15 Minuten, eigentlich bereits im Trailer, sogar der Prämisse des Projekts, jedem klar gewesen ist. Kein feiner Kniff mehr im letzten Akt, kein Brechen mit den Formeln oder gar der eigenen Filmvergangenheit. Stattdessen beendet sich Tarantino selbst und erklärt damit nicht nur sein eigenes Werk, sondern gleich ganz Hollywood für Bankrott. Dieses selbstreferenzielle Abgewichse fühlt sich nämlich derart leb- und lieblos an, wie das Kalkül mit dem Marvel (gezwungener Bettnachbar von Sony Pictures) seine Easter Egg-Checklisten für maximale Fanoptimierung abarbeitet. Seit 1992 weiß die ganze Welt, dass Tarantino Corbucci verehrt, doch so langsam müsste er mal wieder beweisen, wieso uns das kümmern sollte. Ich mag "Django" auch, aber das allein macht mich oder das, was ich zu sagen habe, noch nicht besonders. Das Sequel eines Reboots einer Franchise ist inzwischen genauso totgeritten, wie das erneute Vorlesen eines zitierten Zitates. Die Wahrscheinlichkeit, dass man etwas von Wert oder einen neuen Kontext hinzufügt, ist zwar da, schwindet jedoch mit jedem weiteren Abziehbildchen bis in die bitter blasse Belanglosigkeit. Dabei steckt hier bei "Once Upon a Time in Hollywood" zugegebenermaßen ein unfassbarer Aufwand hinter, um diese altbekannten Bilder wieder wunderschön aufleben zu lassen. Die Darsteller spielen auch alle groß auf, vor allem in den Nebenrollen (wenn sich zum Beispiel in den durchaus gelungenen Meta-Momenten Method Actor DiCaprio von einem gruselig gut dargestellten Kind an die Wand spielen lässt oder der in der Realität mehrfache Ex-Mann Pitt von einer oscarreifen Anhalterin verführt wird). Daran kann es also nicht liegen. Die Darsteller formen sogar ansatzweise runde Figuren, doch vollziehen diese eben keine grandiosen Schachzüge, wie noch bei "Inglourious Basterds", sondern werden vom Altmeister angestrengt im Kreis aufgestellt, nur um dann allesamt wieder über den Haufen geworfen zu werden. Das, sich aus diesem langwierigen Prozess ergebende, Gesamtbild, ist ernüchternd, der Humor daneben, die Coolness lediglich durch Überinszenierung behauptet. Und ironischerweise fühlt sich auch zum allerersten Mal in Tarantinos Filmographie die Gewaltdarstellung absolut deplaziert an. Vor allem, wenn Pitt in Peckinpah'scher Zeitlupe Hippiezähne im Wüstensand zermalmt, woraufhin später die Zeugen dieser Tat beteuern, dass das Fernsehen die Brutalität und das Morden doch überhaupt erst anlernt. Früher war dieser allzu plumpe Ansatz einer Solzialkritik (oder zumindest die Reaktion auf eine Sozialkritik, da Tarantino wohl auch hier lieber nur zitiert anstatt Klartext zu sprechen) noch Grund genug sich aus den Credits für Oliver Stones "Natural Born Killers" streichen zu lassen. Heute scheint er sich hingegen für irgendetwas rechtfertigen zu wollen, nur um dann im gleichen Atemzug wieder hämisch auf alles zu scheißen. Doch wenn Tarantino sich gegenüber Kritikern, die ihm den Spaß verbieten wollen, wie ein Kind benimmt, dann bereitet das uns als Betrachter noch lange keinen Spaß diesen Trotz und Rotz mitansehen zu müssen. Quentin, mein Lieber, sei doch einfach besser als das, was dir vorgeworfen wird und suhl dich nicht im Spott. Schreib ausschweifende Dialoge, solange sie großartig sind und schreib sie für starke Figuren, denen du eine Geschichte, eine Entwicklung zutraust. Niemand braucht eine stundenlange Clipshow über die Top 10 Gründe, warum Tarantino für kontrovers erklärt wird. "The Hateful Eight" war zwar wieder ein Schritt in die richtige Richtung, aber mehr Fingerübung, als die Offenbarung einer Künstlerseele, wie man sie in "Jackie Brown" und "Kill Bill" gespürt hat und auch die erzähltechnisch perfekte Konstruktion eines "Inglourious Basterds" bleibt aus. Somit wird aus "Once Upon a Time in Hollywood" leider nicht mehr, als die vielleicht zweitgrößte Farce des Jahres, nach der Invasion der albtraumhaften Tier-Roller, um mal beim Untergang von Lifestyle-Großstädten zu bleiben. Hoffen wir auf einen zehnten Paukenschlag, der das Gesamtkunstwerk Q.T. eindrucksvoll ausklingen und peinliche Fehltritte wie diesen vergessen lässt.

                              Wer sich also diese ziemlich infantile Rückentwicklung ersparen oder danach zumindest wieder ausbalancieren möchte, dem würde ich gerne drei artverwandte Alternativen aufzeigen, die leider meist viel zu wenig Beachtung bekommen. Hier wird ebenfalls mit verschiedenen Realitäten der menschenfressenden Traumfabrik und dem medialen Einfluss gewaltbereiter Sekten gespielt und das meiner Meinung nach effektiver, mit wesentlich mehr Sinn und Verstand.

                              The Player (1992) von Robert Altman
                              http://www.imdb.com/title/tt0105151

                              Red State (2011) von Kevin Smith
                              http://www.imdb.com/title/tt0873886

                              Under the Silver Lake (2018) von David Robert Mitchell
                              http://www.imdb.com/title/tt5691670

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                                David_Lynch 19.01.2019, 01:41 Geändert 19.01.2019, 08:23

                                Brecht die erste Regel. Tötet Hunde. Alle Hunde. Tretet am Boden liegende Kinder. Malt Penisse. Es ist das Erwachsenste, was wir jetzt tun können. Ihr wollt Frauenärsche sehen? Dieses Höllenloch ist auf Frauenärschen gebaut. Frauenärsche sind der Backstein in den Wänden. Ihr wollt Unterwäsche-Models sehen? Seht ihnen beim Weinen zu, die Drohne stabilisiert das Bild. Ihr wollt weibliche Genitalien sehen? Bedeckt sie mit Blut. Bedeckt sie mit Brüsten. Bedeckt die Brüste mit Burgern. Zeigt Kotze, zeigt Pisse, zeigt Scheiße. "Psycho" hat keine Toilette gezeigt, denn in echten Toiletten ist Scheiße. Jesus' Scheiße. Taucht ab, unter der Oberflächlichkeit. Der Ruf eures Letztgeborenen verfolgt euch auf Schritt und Tritt? Dann macht Horror. Macht auch Horror. Den Besten. Einfach so. Weil ihr es könnt. Die Eulen sind das, was sie scheinen. Lasst euch nicht verführen. Nehmt das Instrument an euch und schlagt dem Schöpfer den Kopf ab. Seid schlaue Schreiber. Seid obdachlos. Esst Popkultur. Malt mit Scheiße, ihr müsst die Miete zahlen. Ihr wollt morgen noch da sein. Das schönste Shirt ist das weiße Shirt. Das mit den Flecken. Wenn es riecht, riecht schlimmer. Seid der schlechteste Spider-Man. Reißt das aufgeblasene Superhelden-Plüschtier in Fetzen. Konfettiregen. Stoßt "Vertigo" vom Thron, dort oben wird einem schwindelig. Wenn ihr hier raus wollt, haut einfach ab über Nacht. Ihr kommt hier nicht raus. Sie werden euch lebendig aufessen. Präserviert Johnny Depp. Schließt den Videorekorder wieder an, zwischen dem Plattenspieler und dem NES ist noch Platz. Vergebt euch selbst die Nostalgie. Das Alte zu lieben, ist okay. Masturbiert Popkultur. Seid nicht "La La Land". Habt eine Seele. Schaltet den Fernseher auch mal wieder aus, ihr habt schließlich noch einen Job. You're not your job. You're not how much money you have in the bank. You're not the car you drive. You're not the contents of your wallet. You're not your fucking khakis. You're the all-singing, all-dancing crap of the world. Singt an diesem merkwürdigen Punkt in eurem Leben "Where Is My Mind?" in eurem Kopf. Erinnert euch, wie besonders eure Rebellion war. War sie nicht. Ich hab' den fucking Song geschrieben. Alle Songs. Ja, auch Silversun Pickups. Ach, Fuck. Fühlt euch wertlos. Verratet niemandem das Geheimnis, denn alle wissen es. Googelt dumm. Folgt jemandem. Fickt einen Stern. Penetriert Popkultur. Seid frei, denn ihr seid es nicht. Lasst euren Film öfter enden als "Der Herr der Ringe". Habt Mut, riskiert mal was. Wenn ihr schon hier seid, macht das Beste draus. Seid ganz große Kunst.

                                http://www.youtube.com/watch?v=f_JU1OD-OLU

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                                  über Climax

                                  Der kontroverse Arthouse-Film scheint dieses Jahr durchgängig zwei immer wieder auftretende Elemente inne zu haben. Das Ergehen in bewegter Körperlust und das Bewusstsein, dass wir alle Darren Aronofskys "mother!" gesehen haben und man das doch auch mal in gut machen könnte. Berufsprovokateur Gaspar Noé bringt mit "Climax" nun seine Eskalationsvariante an den Start und vermag es wieder einmal zu schocken. Hier allerdings am meisten mit der Tatsache, dass der inzwischen 54-Jährige es wohl in Betracht zieht, zahm zu werden. Eine fast spielerische Natur scheint sich in seinem neusten Werk durchs Zelluloid zu brennen. Und in Teilen tut diese Frischzellenkur verdammt gut. Vielleicht sollte er sie bei Gelegenheit auch mal seinem Kollegen Terrence Malick verordnen.

                                  Von der ersten Sekunde an wird klar, hier läuft was anders. Und anders kann Spaß machen. Es wird sich nicht neu erfunden, aber neu arrangiert. Ähnlich wie Nolans "Dunkirk" bekommen wir quasi ein Greatest Hits Album aller bisherigen Stil- und Inszenierungsmittel aus der kompletten Laufbahn des Regisseurs geboten. Das letzte Mal, dass ich soviel Freude am Aufbrechen des Mediums Film, in all seinen etablierten Versatzstücken hatte, war wahrscheinlich Patrick Siegfried Zimmers "Anhedonia", der ähnlich schräg und unkonvetionell daherkommt. Wir beginnen mit dem Abspann, wie bei "Irreversible", die Opening Credits, im Look von "Enter the Void", kommen irgendwann in der Mitte des Films, der Prolog findet auf einem abgefilmten Monitor statt, der von Film- und Buchtipps gerahmt wird, die eindeutig Einfluss auf "Climax" hatten. Mal fühlt sich die Kamera auf einem perfekt ausbalancierten Kran am wohlsten, mal bleibt sie für gut eine halbe Stunde frontal gerichtet auf dem Stativ und mal scheint sie (oder zumindest der Kameramann) selbst einen Schluck der gepanschten Sangría genommen zu haben, wenn minutenlang quasi nur noch über den blutroten Fußboden gewackelt wird. Wie gesagt, das ist alles schonmal dagewesen und für Noé eigentlich Standardprogramm, aber es kommt genau dann, wenn es die größtmögliche Wirkung entfalten kann und das ist wesentlich anspornender als ein kohärenter Aufbau aus einem Guss. Vielmehr imitiert es dadurch die Form eines bösen Drogentrips mit all den Ups und Downs, die eben dazugehören. Für einen Moment scheint die Zeit im Raum stillzustehen, im nächsten versinkt das Chaos wie im Zeitraffer. Die Party könnte schon Wochen so gehen. Ja wirklich das Einzige, was tatsächlich konsequent von vorne bis hinten, bis zur höchsten Eskalationsstufe, durchexerziert wird, ist der Tanz. Gleich zu Beginn sehen wir die komplette Choreografie des Ensembles in einer bahnbrechenden Plansequenz, die beim Filmfestivalpublikum tatsächlich für Szenenapplaus gesorgt hat. Man fühlt sich geradezu ermutigt die "Step Up"-Reihe noch einmal am Stück durchzubingen, so unfassbar ist man gefesselt von den Entfesselungen der grandiosen Laiendarsteller, die alle professionelle Tänzer sind. Diese Fähigkeit ermöglicht eine ganz einzigartige Form des Ausdrucks für die, langsam aber sicher in Wahnsinn zerfallenden, Figuren. Es wird sich im wahrsten Sinne des Wortes die Seele aus dem Leib getanzt, denn mit der Stimmung des Films kippt dann auch die Wirkung der hypnotischen Körperkontorsion und formt sich zu einem grotesken, höllenartigen Maskenball, der die inneren Dämonen im Tanz zum Vorschein bringt. Expressionistisch, verstörend und nicht verzeihend. Unterfüttert werden die eindrucksvollen Bilder durch ein Sound Design, das direkt in die Magengrube schlägt, so, wie man es von Noé gewohnt ist. Die grauenvollen Panikschreie der Ekstase, der Verwirrung, Verzweiflung und der Todesangst werden zu einer beinahe unerträglichen Symphonie menschlichen Leidens verwoben. Nicht zuletzt durch den vielleicht effektivsten Einsatz einer Kinderfigur überhaupt.

                                  Wenn das hässlichste Tier auf diesem Planeten seine fiese Fratze zeigt, dann hat "Climax" eine gewisse Härte parat, daran besteht kein Zweifel. Erträglich wird er nur durch das Grinsen unter Noés langsam ergrauenden Schnurrbart, welches der Zuschauer hinter der Dimension der Kamera erfühlen kann. Es steckt in der Manipulation, im Spiel mit dem Opfer, das nun im Kinosaal Geisel genommen wird. Die Geiselnehmerforderungen werden in lakonischen Titelkarten adressiert. Teilweise kommt das allerdings auch sehr platt und plakativ daher. Generell bleibt der Film im Endeffekt mehr Schein als Sein oder entpuppt sich zumindest als gezielter Angriff auf jegliche antrainierte Erwartungshaltung des geneigten Filmgängers. Dramatische Charakterbögen werden errichtet, aber niemals beendet, teilweise verschwinden ganze Figuren unerklärt aus dem Film und deren Schicksal bleibt uns vorenthalten. Protagonisten ergeben sich für eine kurzen Zeitraum und entziehen sich dann doch wieder vollständig. Zumindest wird die Dynamik in der Tanzgruppe sehr schön ausgearbeitet und für den begrenzten Raum, der zur Verfügung steht, maximal ausgenutzt. Das ist das Kernstück des Films, eine Gesellschaft außer Kontrolle, die sich selbst zerfleischt, während man sich voyeuristisch daran ergötzt. Nur ergibt das eben ein merkwürdiges Zwitterwesen, ein Werk, das zum einen ungenießbar wird, zum anderen aber nur als Widerlichkeit genossen werden kann. Dabei ist es auffällig, wie gerade der titelgebende Klimax, den enttäuschendsten Teil bildet und im Epilog dann doch bloß auf ein sehr plumpes Whodunit zurückgerudert wird. Es ist sicherlich nicht der große philosophische oder emotionale Wurf, den man sich von einem weiseren Noé vielleicht erhoffen mag und auch wahrlich nicht sein bester, aber ich würde doch schon von einer Return to Form sprechen. Kein Original, aber doch ein verdammt guter Remix.

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                                    Eine kleine Review und Analyse von mir zum wohl interessantesten Film des Jahres, Luca Guadagninos Remake des Kultklassikers "Suspiria". Ich versuche mich wie immer relativ spoilerfrei zu halten, es empfiehlt sich aber den Film im Voraus gesehen zu haben. Andererseits jedoch könnte ich niemanden, der jemals wieder ruhig schlafen möchte, mit gutem Gewissen in dieses höchst verstörende Werk schicken. Eine Filmrezension im Limbus sozusagen. Ich bin gespannt, wie die Welt diesen Brecher eines Films aufnehmen wird. Wahrscheinlich wird er wie "Blade Runner 2049" als verkanntes Meisterwerk dem Untergang geweiht sein. Meine Seele hat er! Hier der Link zur Besprechung:

                                    https://www.youtube.com/watch?v=Ltix_e5K_dE

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                                      Lost River(dance) - Warum mein erstes Mal auf der Berlinale so wundervoll wehtat

                                      "Kissing Candice", das Langfilmdebüt von Aoife McArdle, schlägt ein wie ein Ziegelstein und versenkt den Zuschauer in neonlichtgefärbten Albträumen und ungeahnten Abgründen der irischen Vorstadtidylle. Eine spätpubertierende Rebellion der bittersten Sorte, inszeniert und bebildert auf die schönste Art und Weise. Wie das Auf- und Zuschlagen eines Märchenkapitels gleiten wir auf sanften Schwingen durch eine blut- und schweißgetränkte Hölle. Die Epilepsie unserer Protagonistin ist Plot Point und Stilmittel zugleich. Blackouts, stakkatoartige Szeneriewechsel, eine Welt wie im Fieber.

                                      Wer sich nach gut einer halben Stunde (und einer der wohl zauberhaft surrealsten Eröffnungssequenzen) in den metaphorischen Stimmungsbildern zu verlieren droht, dem wird letztendlich mit einer doch ziemlich stringenten Story ein Pfad durch das bebende Chaos geboten. Diese Story fällt dann zugegebenermaßen etwas nüchterner aus und man sollte auch nicht darauf hoffen, dass der blutrote Faden noch mit komplexen Verknotungen aufwartet. Intellektuelle Offenbarungen bleiben aus. Der Film verleitet vielmehr zum Fühlen, als dass er wirklich greifbar wird. Doch beeindruckt er gerade darin und vergreift sich auch nicht im Ton, wie es schnell passieren könnte. Stattdessen balanciert McArdle scheinbar mühelos eine Dreifaltigkeit aus spektakulärer Schönheit, verstörender Finsternis und sogar einem Spritzer schwarzem Humor. Sei es auch nur in der perfekt durchkomponierten Bildsprache, die selbst vor einigen augenzwinkernden Kubrick-Zitaten nicht zurückschreckt. Lynch, Refn, von Trier und Argento sind ebenfalls zur Party eingeladen, was jedoch nicht zur bloßen Imitation unter Cineasten bekannter und beliebter Stile verkommt, sondern versprüht im Gegenteil eine überaus inspirierende Euphorie, die die wilde Gedankenwelt der Hauptfigur trefflich visualisiert. "Kissing Candice" ist ein ganz eigenes Biest und lässt sich nicht zähmen.

                                      Eine makellose Cinematographie und ein markerschütterndes Sound Design sind ohne Frage die größten Stärken des Films, welche durch hervorragende Performances aller Jungdarsteller ergänzt werden und somit trotz höchst stilisierter Ästhetik die notwendige Authentizität erlangen. Wer also wagemutig genug ist, sich zum Kuss vorzubeugen, der wird mit einer einmaligen Grenzerfahrung belohnt. Und was fühlt sich eigentlich länger an, die Sekunden vor dem ersten Kuss oder vor dem tödlichen Aufprall?

                                      http://www.youtube.com/watch?v=76rxlSMQ7jg

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                                      • 10

                                        While not being quite as well-rounded as Denis Villeneuve's last film, "Arrival", this movie transcends any form of judgement on single scenes, plot structure or pacing. It is far more important than that. If "Arrival" were a catchy Christian rock song, then "Blade Runner 2049" is a literal quotation from the Bible. May it save us.

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                                        • So ein Zufall, die Alien-Filmreihe möchte auch ohne Ridley Scott weitergeführt werden.

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                                          • Some bad hombres trying to defame us and our glorious movie, but it's not true. We have the best reviews, tremenouds reviews. The people love it.

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                                              • "Weiterhin seien die Objekte, darunter ein Picasso-Gemälde, ohnehin für wohltätige Versteigerungen vorgesehen gewesen."

                                                Die Produktion von "The Wolf of Wall Street" ist ja nun schon ein paar Jährchen her. Nach der wie vielten Topmodel-Kreuzfahrt sollte diese Versteigerung denn stattfinden? :-P

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                                                • "Fast niemand stimmt mit dieser Meinung überein."

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                                                  • Bin noch ein wenig skeptisch, aber wenigstens ist "Hans Mentor" schonmal einer dieser klassischen Star Wars Namen, wie wir sie kennen und lieben.

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