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Alle Kommentare von Framolf
Oscar Madness Film 434 (3 Nominierungen)
++ Leichte SPOILER ++
Im Dublin des 19. Jahrhunderts gibt sich eine Frau als Mann aus, um als eine Art Schichtleiter(in) oder Vorarbeiter(in) in einem Hotel arbeiten zu können; eine Arbeitsstelle, die ihr ansonsten wahrscheinlich nicht offenstünde. Ein Beruf, der weder mit hohem Prestige noch einer lukrativen Bezahlung verbunden ist, aber mit dem man es zumindest zu einem bescheidenen Wohlstand bringen kann. Dabei spielt sie nicht nur die Rolle des Albert Nobbs, sie wird regelrecht zu ihm. Denn selbst auf mehrfache Nachfragen hin antwortet sie – nachdem sie von einer Kollegin enttarnt wurde – ihr Name sei Albert. Kurioserweise ist sie nicht die einzige Person mit einem derartigen Plan. Das restliche Umfeld ahnt entweder nichts davon – oder will es gar nicht so genau wissen.
Ein Stoff, der – von wenigen Beispielen wie 'Yentl' abgesehen – oftmals für Komödien herhalten muss, wird hier für ein Gesellschafts- und Sozialdrama herangezogen, das seinen wahrscheinlich größten Wert aus der Betrachtung vermeintlicher Alltagssituationen bezieht. Wenn sich beispielsweise der Kauf von Schokolade schwieriger gestaltet als geplant, wird schnell klar, dass hier jemand noch nie zuvor derartige Süßigkeiten gekauft hat – und erst recht nicht weiß, dass es mehrere Sorten gibt. Ähnlich verhält es sich mit der Partnerwahl mehrerer Charaktere. In Betracht gezogen werden wenige Leute im persönlichen Umfeld, die noch ledig oder verwitwet sind – andere kommen scheinbar gar nicht erst infrage. Dementsprechend bescheiden fallen auch die Lebensträume einiger Figuren aus. Zwar werden auch Luftschlösser gebaut (wie etwa eine Emigration nach Amerika), doch andere hingegen träumen von der Eröffnung eines kleinen Ladengeschäfts oder davon, den eigenen Nachwuchs behalten zu dürfen. Dunkle Zeiten für viele Menschen. Zu allem Überfluss gibt es dann auch noch deutlich wohlhabendere Personen, die sich auf dem Rücken der Finanzschwächsten zu bereichern versuchen.
Regisseur Rodrigo Garcia zeichnet diese Verhältnisse deutlich nach, weshalb Einlagen wie die Selbstgespräche Alberts, die vorwiegend dem Ziel dienen, dem Publikum Alberts Sorgen und Nöte klarzumachen, derart explizit gar nicht notwendig wären und man die Situation etwas subtiler hätte lösen können. Selbiges gilt für das über weite Strecken überragende Schauspiel von Glenn Close, die vereinzelte Ausflüge ins Overacting ebenfalls nicht nötig hätte. Die in einer ähnlichen Rolle gleichfalls oscarnominierte Nebendarstellerin Janet McTeer geht deutlich dezenter zu Werke, was ihrer Darbietung keineswegs schaden dürfte. Gerade in Bezug auf die Handlung kommen die größten Stärken von 'Albert Nobbs' immer dann zum Tragen, wenn eine feine Klaviatur gespielt wird.
Eine weitere Nominierung für die Oscarverleihung 2012 konnten Martial Corneville, Lynn Johnstonund Matthew W. Mungle für das Make-up für sich verbuchen, bei dem deutlich behutsamer vorgegangen wurde. Zwar werden den Beteiligten etwas maskulinere Züge verliehen, jedoch ohne allzu plakativ zu werden. Mitunter stellt sich fast schon die Frage, weshalb niemand erkennt, dass es sich dabei um Frauen handelt – was aber die Leistung der Visagisten nicht schmälern soll.
Rodrigo Garcia gelingt hier ein streiflichtartiges Porträt einer Gesellschaft, in der verschiedene Mitglieder systematisch kleingehalten werden und man ihnen noch nicht einmal geringfügige Fortschritte zugestehen will. Dies trifft sowohl auf Frauen zu als auch auf finanzschwache Bürger. Wer beides zugleich ist (die entsprechende Zahl derer dürfte einen sehr hohen Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachen), sieht sich massiven Widerständen gegenüber und kann im Grunde nur unter Zuhilfenahme von Tricks etwas hinzugewinnen – und auch das nur in einem bescheidenen Umfang.
Pfründe werden im 21. Jahrhundert nach wie vor gewahrt, wenn auch mittlerweile mit etwas anderen Mitteln. Ob auch an den heutigen Hindernissen und Beschränkungen ein Weg vorbeiführt? In dieser Hinsicht ist wohl die Kreativität des Publikums gefragt.
KURZFAZIT
Ruhig vorgetragenes Drama über ein Thema, das in abgemilderter Form im globalen Westen und andernorts nach wie vor ungebremst große Relevanz aufweist.
Das Jahr 1918. Während die Spanische Grippe wütet und die Menschen zum Tragen von Masken zwingt, aber auch das Misstrauen der Menschen untereinander fördert, leidet Pearl ganz besonders unter den bestehenden Verhältnissen. Ihr Ehemann ist an der Front, ihr Vater ein Pflegefall und die Mutter könnte ihr gegenüber kaltherziger kaum sein. Pearl, die massive Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle mit sich schleppt, will einfach nur noch weg und setzt alles auf eine Karte: Den Gewinn eines Tanzwettbewerbs. Einen Ersatzplan gibt es nicht. Die Lunte zu einem hochexplosiven Pulverfass ist also schon gelegt.
Ti West schickt sich an, seine Geschichte aus 'X' weiterzuerzählen (bzw. mit einer Backstory anzuknüpfen), doch das Auffüllen bisheriger inhaltlicher Leerstellen zieht wiederum neue Fragezeichen nach sich: Woher stammen die übergroßen Parallelen zwischen Pearl und Maxine (Phänotyp, Latzhose, Prediger, eventueller Hang zur Promiskuität)? Einen Hinweis darauf liefert vielleicht der Titel des ersten Filmes. Schließlich stellt ein X nicht nur eine Chiffre für Sex ein stilisiertes Kreuz dar, sondern es kann auch auf eine Wegkreuzung hindeuten (siehe Andreaskreuz). Der räumliche Kreuzungspunkt wären dann wohl die Farm und der See mit dem Alligator, zeitlich ist es das Jahr 1979. Thematisch wiederum wäre es die Sendung des TV-Predigers. Eine Antwort auf die Frage, weshalb Pearl Maxine in der ersten Episode zunächst Limonade anbietet, kann man sich als Zuschauer aufgrund der genannten Überschneidungen zwischen beiden Charakteren zusammenreimen; weshalb Howard aber nicht mit sehr viel mehr Verwunderung auf ihr Erscheinen reagiert, bleibt bis hierhin fraglich.
Eine abschließende Wertung ist eigentlich erst nach der Sichtung von 'MaXXXine' möglich. Ti West hat es (und somit sein Publikum) in der Hand.
KURZFAZIT
Mystifizierung einer in 'X' fast schon comicartigen Figur.
Eine kleine Gruppe junger Menschen fährt 1979 ausgerechnet ins tiefste texanische Hinterland, um dort einen Pornofilm zu drehen. Zwar gehört der Drehort ihrer Wahl offenbar zum Einzugsgebiet einer christlichen Sekten, doch dafür ist die Miete für das Ferienhaus so unfassbar günstig. Da muss man natürlich zugreifen. Was soll schon schiefgehen? Lange Zeit läuft auch tatsächlich alles mehr oder weniger glatt für die Hobby-Filmcrew – bis eines nachts einer von ihnen in einem Eifersuchtsanfall das Weite suchen möchte.
Würde man die darauffolgenden Ereignisse hier weitererzählen, wäre wahrscheinlich nicht ganz klar, ob wirklich von einem Horrorthriller - oder nicht doch eher einer Trashkomödie - die Rede ist. Wenig überraschend bedient sich Autor und Regisseur Ti West ('The Innkeepers') bei ganz offenkundig nicht ganz ernst gemeinten Thrillern wie Julius Bergs 'The Owners' (2020), während das Creature- bzw. Rentner-Design eher an den berüchtigten Kannibalen Three Finger aus der 'Wrong Turn' Reihe erinnert. Gerade die Maske der beiden Gastgeber weist regelrecht bizarre Züge auf. Im Fall von Pearl sind diese vielleicht sogar beabsichtigt; weshalb aber auch das Aussehen ihres Ehemannes fast schon comicartig angelegt ist, bleibt offen.
Zurück zur Handlung: In einem etwas trashigen Kampf zwischen Doof und Böse wird die Zahl der Charaktere in der zweiten Filmhälfte rasch dezimiert – und dann ist der Ausflug in die Backwoods auch schon wieder vorbei. Während der Anfang noch einigermaßen vielversprechend ausfällt, kann man gegen Ende allerdings durchaus das Gefühl haben, doch wieder nur Durchschnittskost gesehen zu haben. Ob die Geschichte mit der abschließenden Episode der Trilogie rund erscheinen wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen.
KURZFAZIT
Solide Hommage an das Horrorkino der späten 70er und frühen 80er Jahre.
Oscar Madness Film 433 (1 Nominierung)
Aida, ihres Zeichens Ehefrau und Mutter zweier Söhne im Studenten- bzw. Soldatenalter, ist Mitte der 90er Jahre auf einem provisorischen Stützpunkt der Vereinten Nationen in der Nähe von Srebrenica als Übersetzerin tätig. Angesichts der serbischen Angriffe findet sich dort eine große Menge bosnischer Schutzsuchender aus der Umgebung ein, von denen nur ein kleiner Teil auf das von der UN bewachte Gelände gelassen wird. Die serbischen Truppen unter Ratko Mladic rücken immer weiter vor und bewegen sich sukzessive auf den Stützpunkt der internationalen Truppen zu. Da letztere mit einer ganzen Reihe an Problemen zu kämpfen haben, bahnt sich ein verheerendes Unglück an. Aida versucht mit aller Macht, ihre Angehörigen vor der drohenden Hinrichtung zu bewahren, und scheint doch auf verlorenem Posten zu stehen.
Jasmila Zbanic (Regie) zeichnet in ihrem Kriegsdrama 'Quo Vadis, Aida?' eine Geschichte bitteren Versagens nach. So erweisen sich die niederländischen Truppen (den Soldaten vor Ort ist dabei nicht unbedingt ein Vorwurf zu machen) als hoffnungslos überfordert. Zahlenmäßig sowie in Bezug auf Ausrüstung und Erfahrung sind sie den Serben, die zudem noch eine Art Heimvorteil für sich verbuchen können (auch wenn das in Bezug auf bosnischen Grund und Boden auch zynisch klingen mag), augenscheinlich in jeder Hinsicht unterlegen. Zudem bleibt die angeforderte Luftunterstützung aus. Als sich dann noch weitere taktische Fehlentscheidungen hinzugesellen, ist das sich anbahnende Unglück kaum noch aufzuhalten.
Aida sucht ihr Heil (bzw. das ihrer Angehörigen) in der Nutzung persönlicher Kontakte; doch die Situation erscheint derart aussichtslos, dass sich selbst mit Vetternwirtschaft nicht viel erreichen lässt. In dieser Hinsicht könnte man eventuell die Frage aufwerfen, ob sich zur Personalisierung und Psychologisierung auch eine leicht veränderte Konstellation angeboten hätte, doch angesichts der Ungeheuerlichkeit der geschilderten Ereignisse, verblassen derartige Überlegungen mehr oder weniger im Bereich der Nichtigkeit.
Fraglos ist es Zbanic in dieser multinationalen Produktion gelungen, ein wichtiges Erinnerungsdokument zu schaffen, das nicht nur auf einen ganz speziellen Fall, sondern zugleich auch auf systembedingte Mängel verweist. Denn so traurig es ist: Srebrenica ist beileibe nicht der einzige Fall (finanziell und personell) völlig unzureichend ausgestatteter Blauhelmtruppen. Die Szene, in der ein serbischer Soldat seinem niederländischen Gegenüber die Kopfbedeckung abnimmt, um damit seinem eigenen Handeln den Anschein von Legitimität zu verleihen, könnte in dieser Hinsicht symbolträchtiger kaum sein. Filme wie 'Quo Vadis, Aida?' kann man leider nicht nur auf Grundlage von Ereignissen in Bosnien und Herzegowina drehen. Die Befürchtung steht im Raum, dass weitere solcher Ereignisse folgen werden. Umso wichtiger erscheint die internationale Aufmerksamkeit, die diesem Film (u. a. auch durch eine Oscar Nominierung im Jahr 2021) zuteilwurde.
KURZFAZIT
Desillusionierendes Protokoll des Versagens – sowohl in Bezug auf die Menschlichkeit der Angreifer als auch auf die völlig unzureichende internationale Unterstützung.
Oscar Madness Film 432 (1 Nominierung)
Ein desillusionierter Journalist (Matthew Rhys) soll einen Artikel über den Moderator einer Kindersendung (Tom Hanks) schreiben. Der Auftrag, den er zunächst als demütigend empfindet, entpuppt sich schnell als deutlich herausfordernder als gedacht. Denn der Fernsehstar, den er interviewen soll, windet sich wie ein Aal, wenn ihm persönliche Fragen gestellt werden. Viel lieber möchte er den eigentlichen Fragensteller zum Objekt der Gespräche machen und ihm als eine Art großer Bruder Hilfe für verschiedene Lebensbereiche anbieten. Schnell wird klar, dass für die Gespräche sehr viel mehr Zeit als nur ein, zwei Stunden eingeplant werden müssen. Als Lohn winkt dafür eine Lektion, die den Reporter sowohl beruflich als auch privat weiterbringen könnte. Schließlich hat er auch selbst einen ungelösten Konflikt mit seinem Vater zu bewältigen, für den die Ratschläge des Mannes, der ansonsten hauptsächlich Kinder anleitet, hilfreich sein könnten.
In einer Erzählung, in der sich Berufs- und Privatleben der Charaktere immer stärker vermischen, wird zwischen den Zeilen klar, dass Mr. Rogers selbst ganz gut ein paar Tropfen seiner eigenen Medizin vertragen könnte. Sein eigenes Familienleben scheint nicht frei von Unebenheit zu sein, auch wenn er für andere eine große Portion Sanftmut und zahlreiche Ratschläge (bzw. Gedankenanstöße) parat hat. Doch statt ihn in den Fokus der Erzählung zu stellen, haben die Verantwortlichen die Entscheidung getroffen, den Reporter zum Protagonisten zu küren, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Der daraus resultierende Effekt ist eine gewisse Distanz, die sich auch zwischen dem Publikum und dem Fernsehstar aufbaut, der sich trotz aller Freundlichkeit auch betont unnahbar gibt. Zu ungewöhnlich wirkt einfach sein betont ruhiges und reflektiertes Auftreten, um an Personen zu erinnern, denen man für gewöhnlich im Alltag begegnet.
Tom Hanks eröffnen sich dadurch Räume für ein zurückhaltendes und nuanciertes, aber dennoch eindringliches Spiel, was ihm im Januar 2020 eine Nominierung für den Oscar als bester Nebendarsteller einbrachte. Vermarktet wurde seine Rolle trotzdem als die eines Protagonisten. Der deutschsprachige Titel bezieht sich auf seinen Charakter und sein Bild ziert Filmplakate und Covers, auf denen außer ihm keine anderen Darsteller abgebildet sind. Aufgegangen ist dieser Plan ganz passabel, denn geschätzten Produktionskosten von 25 Millionen Dollar sollen rund 68 Millionen Dollar an Bruttoerträgen gegenüberstehen.
KURZFAZIT
Ruhig erzähltes Drama über eine kauzige TV-Persönlichkeit.
Oscar Madness Film 431 (1 Auszeichnung, 5 weitere Nominierungen)
Die Hundstage. Es ist drückend heiß. Während manche dabei in Urlaubs- oder Badestimmung kommen, schlägt die Hitze anderen auf's Gemüt. Gerade wenn ohnehin schon massiv Druck auf dem Kessel ist und es schon seit langer Zeit vor sich hin brodelt, wird es unter diesen Umständen nicht gerade einfacher. So auch für Sonny, der gemeinsam mit zwei Komplizen eine Bank überfallen will. Einen tragfähigen Plan haben sie nicht, aber dafür zumindest rudimentäres Fachwissen über die Abläufe in einer Bankfiliale; das muss reichen.
Ob der Überfall glatt über die Bühne gehen oder völlig aus dem Ruder laufen wird, kann man sich angesichts dieser Vorbedingungen schon nach wenigen Minuten ausrechnen. Das oscarprämierte Drehbuch erzählt die Geschichte dreier Bankräuber, die es offenkundig schon im Alltag nicht leicht haben und sich nun selbst in eine Extremsituation manövrieren, der sie erst recht nicht gewachsen sind. Der erste von ihnen schätzt die Lage gleich zu Beginn richtig ein und sucht das Weite. Die anderen bereiten den Geiseln und sich selbst einen Nachmittag, der gravierende Konsequenzen nach sich ziehen wird. Während sich im Inneren der Filiale so manche bizarre Situation ergibt, kochen auch draußen die Emotionen hoch, denn die gesellschaftliche Lage ist fragil und der soziale Friede brüchig.
Neben Berücksichtigungen in den Sparten „Bester Film“ und „Beste Regie“ (Sidney Lumet) wurden im Rahmen der Oscarverleihung 1976 auch Al Pacino als bester Hauptdarsteller sowie Chris Sarandon als bester Nebendarsteller für den wohl weltweit prestigeträchtigsten Filmpreis nominiert. Während Sarandon seinen Part vergleichsweise unaufgeregt und zurückhaltend interpretiert, gestaltet sich das Wirken von Pacino deutlich extrovertierter. Seine innere Unruhe spiegelt sich in seinem körperlichen Auftreten wider. Wie ein gestresster Hund marschiert er auf und ab, reagiert mal gereizt und mal unsicher.
Die Tatsache, dass die Prämisse der Handlung auf einer wahren Begebenheit beruht und Pacinos Rollenvorbild (oder besser: Rollenvorlage) John Wojtowicz sowohl seine Darbietung als auch die von Chris Sarandon als „akkurat“ bezeichnete, verstärkt den positiven Eindruck noch zusätzlich. Zwar erscheint die Inszenierung unter dem Strich eher unangenehm als unterhaltsam, aber genau damit dürfte Lumet auch genau den Auftrag erfüllt haben, der an ihn gestellt wurde. Dass es aus dramaturgischen Gründen zahlreiche Abweichungen von den tatsächlichen Abläufen gegeben haben soll, ist davon unbenommen.
KURZFAZIT
Trocken vorgetragene Mischung aus Thriller und Drama mit impliziter Gesellschafts- und Medienkritik.
Oscar Madness Film 430 (1 Nominierung)
++ Mäßige SPOILER ++
Eine Jugendliche namens Deborah wird von ihren Eltern in eine psychiatrische Anstalt gebracht. Aufgrund einer Krebserkrankung hat sie sich in ihren Gedanken eine Art Refugium erschaffen. Vor allem dann, wenn sie mental dorthin abdriftet, wirkt sie auf ihre Mitmenschen besonders befremdlich.
Die Eltern haben sich nun also vorerst dieses Problems entledigt, dafür hat Deborah selbst nun einige weitere Schwierigkeiten an der Backe. Die Klinik entpuppt sich nämlich keineswegs als Zutrittspforte zu einem Rosengarten (also einer halbwegs konfliktfreien Welt), sondern viele Auswüchse der Außenwelt scheinen sich hier sogar noch in potenzierter Form zu bündeln. Überfordertes Personal und einige schwierige Mitpatientinnen tragen zusätzlich zu einer Verschärfung der Situation bei. Die Motive von Deborahs Handeln wiederum werden von Teilen der Belegschaft nicht richtig verstanden, was mitunter Zwangsmaßnahmen nach sich zieht, die sie noch weiter in Richtung ihres selbsterschaffenen Refugiums treiben. Und auch dieses scheint zunehmend unwirtlicher für sie zu werden. Obendrein kommen noch Andeutungen in angeschnittenen Gesprächsthemen, die darauf hindeuten, dass die Tumorerkrankung beileibe nicht ihren einzigen Rucksack aus der Vergangenheit darstellt. Und so gerät sie immer tiefer in einen Strudel, aus dem eine Befreiung trotz der Hilfe einer engagierten Therapeutin zunehmend diffiziler wird.
Das Drehbuch (Oscarnominierung für Lewis John Carlino und Gavin Lambert) zeichnet auf schroffe, aber dennoch einfühlsame, Art nach, wie sehr sich die Protagonistin trotz der vermeintlichen Hilfe, die sie aus Sicht ihrer Eltern erfährt, isoliert fühlt und wie sie mit eigenen Methoden dagegen anzukämpfen versucht. Ihr mentales Refugium ist dabei keineswegs die einzige Gegenmaßnahme, die sie ergreift; unter anderem spielt beispielsweise auch autoaggressives Verhalten eine Rolle.
Für das Publikum ist dieser Trip ganz gewiss nicht angenehm (im Sinne eines Wohlfühlfilmes), aber durch den Filmtitel ist man ja bereits vorgewarnt. Denn dieser bezieht sich ganz offenkundig nicht nur auf die Protagonistin, sondern letztlich auch auf die Zuschauer. Doch auch wenn man eben nicht durch einen Rosengarten geführt wird, kann sich ein Ausflug in diese Welt durchaus lohnen.
Ironisches Detail am Rande: Joanne Greenberg, die Autorin der Romanvorlage, wurde nach eigenen Angaben von den Produzenten in keiner Weise eingebunden. Lediglich Darstellerin Bibi Anderson soll sie auf eigene Initiative hin kontaktiert haben. Dabei habe sie der Schriftstellerin erzählt, das Produktionsteam habe sich deshalb nicht bei ihr gemeldet, weil sie „hoffnungslos verrückt“ sei.
KURZFAZIT
Düsterer Trip in mentale Abgründe sowie in ein Kliniksystem, das selbst voller innerer Widersprüche und Probleme steckt.
Oscar Madness Film 429 (4 Auszeichnungen, 2 weitere Nominierungen)
++ Mäßige SPOILER ++
Robert Redford erzählt in seinem Regiedebüt 'Eine ganz normale Familie', für das er als Regisseur gewissermaßen aus dem Stand mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, die Geschichte einer Familie, die einen schweren Verlust zu verkraften hat. Nach dem plötzlichen und unerwarteten Tod eines der beiden jugendlichen Söhne sehen sich die drei engsten hinterbliebenen Familienmitglieder auf sich allein gestellt – und zwar nicht als familiäre Einheit, sondern jeder für sich selbst. Eine wirklich tragfähige Bewältigungsstrategie hat niemand von ihnen parat.
Zwar unterstützen die Eltern ihren anderen Sohn finanziell und moralisch bei dessen Bewältigungsversuchen (Schwimmtraining, therapeutische Sitzungen), doch der Impuls zu möglichen Lösungsstrategien geht von ihm selbst aus. Seine Eltern nicken seine Bitten im Grunde nur ab und helfen ihm hauptsächlich per Scheckbuch. Der Vater (Donald Sutherland) leidet seinerseits selbst enorm unter dem Unglücksfall, was er sich äußerlich zwar nur bedingt anmerken lässt, sich aber auch in körperlicher Hinsicht äußert (beispielsweise erleidet er einen Kollaps). Die Mutter (Mary Tyler Moore, die für diese Rolle für einen Oscar nominiert wurde) wiederum schweigt sich über das Thema weitgehend aus, doch auch bei ihr schlägt die Thematik augenscheinlich körperlich durch, wie in einer Szene angedeutet wird, in der sie stark zitternd an den Deckel eines Topfes mit kochendem Wasser erinnert.
Beim überlebenden Sohn (oscarprämiert: Timothy Hutton) äußert sich das unzureichend bewältigte Trauma unter anderem in zermürbender Schlaflosigkeit. Seine physische und psychische Konstitution leidet darunter zunehmend. Das Schwimmtraining fällt ihm immer schwerer und teilweise ist ihm gar nicht mehr bewusst, welcher Wochentag gerade ist. Hilfe findet er allenfalls bei einem Therapeuten, der mit etwas unkonventionellen Methoden nach einem Lösungsweg sucht. Ursprünglich sollte dessen Rolle mit Gene Hackman besetzt werden, der jedoch durch Judd Hirsch ersetzt werden musste. Dieser wiederum stand aufgrund terminlicher Engpässe lediglich für acht Drehtage zur Verfügung. Geschadet hat es seiner Reputation allerdings keineswegs. Ganz im Gegenteil: Für seine Darbietung wurde auch er für einen Oscar als bester Nebendarsteller nominiert. Komplettiert wurde der Triumphzug bei der Verleihung 1981 durch zwei Auszeichnungen in den Kategorien „Bestes adaptiertes Drehbuch“ (Alvin Sargent) und „Bester Film“ (beide Auszeichnungen erfolgten sicherlich nicht zuletzt aufgrund einer doch recht eleganten Informationsvermittlung mittels durchdacht arrangierter Dialoge), wodurch Redfords Erstlingswerk in diesem Jahr mehr Trophäen einheimsen konnte als jeder andere konkurrierende Beitrag, wobei immerhin Schwergewichte wie 'Der Elefantenmensch' oder 'Wie ein wilder Stier' ins Renne gingen.
KURZFAZIT
Schwergewichtiges Drama mit subtiler Gesellschaftskritik.
Oscar Madness Film 428 (5 Nominierungen)
Als Dave Hirsh (Frank Sinatra), ein Veteran und Schriftsteller, nach vielen Jahren in seinen Heimatort zurückkehrt, wartet dort schon sein Bruder (Arthur Kennedy) auf ihn, von dem ihn mittlerweile allerdings eine große emotionale Distanz trennt. Hinzu kommt, dass der Rückkehrer bei seiner Schwägerin ohnehin nicht gut gelitten ist. Seine Zeit verbringt er daher lieber mit einem halbseidenen Kartenspieler (Dean Martin), einer leichtlebigen Circe (Shirley MacLaine) und einer Lehrerin (Martha Hyer) – drei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch jeweils einer Facette von Daves Persönlichkeit entsprechen bzw. diese ansprechen. Denn Dave scheut zwar nicht das Risiko, hat aber auch eine verspielte sowie eine schöngeistig-intellektuelle Seite. Die Wiedereingliederung in die Gesellschaft fällt ihm alles andere als leicht, wobei ihm durch einen Gegenspieler auch sperrige Steine in den Weg gelegt werden.
Vincente Minnelli (Regie) zeichnet in seiner Geschichte ein hoffnungsloses Bild einer kleinstädtischen Gesellschaft, in deren Kreise dem Protagonisten nur schwerlich der Zutritt gelingt. Zwar fällt es ihm keineswegs schwer, Kontakte zu knüpfen, und er erfährt auch durch mehrere Menschen in seinem Umfeld (aus den verschiedensten Motiven) Unterstützung, doch bewegt er sich in vielen Szenen wie in einer Blase durch seinen Alltag. Zumeist ist er dabei mittendrin im Geschehen, doch nur selten vermittelt er den Eindruck, wirklich dazuzugehören. Seine wichtigsten Kontakte sind dementsprechend selbst auf irgendeine Weise Sonderlinge (zumindest in Bezug auf Kleinstadtverhältnisse). Entweder wegen von der Norm abweichenden Moralvorstellungen (Ginny), eines unsteten Lebenswandels (Bama), eines besonders reflektierten Verhaltens (Gwen) oder einfach nur aufgrund einer relativ abgeschiedenen Wohnsituation (Frank).
In dieser Hinsicht bietet das Drehbuch den Mitgliedern des Ensembles also beste Gelegenheiten, sich auszuzeichnen. Sowohl Hauptdarstellerin Shirley MacLaine als auch Martha Hyer und Arthur Kennedy (beide in Nebenrollen) wurden 1959 dementsprechend für einen Oscar nominiert, während ausgerechnet der prominente Hauptdarsteller Frank Sinatra nicht berücksichtigt wurde. Ebenfalls nominiert wurden hingegen Walter Plunkett (Kostümdesign) sowie Sammy Kahn und Jimmy Van Heusen, deren Song 'To Love and Be Loved' während der Szenen im Tanzlokal gespielt wird. In den folgenden Jahr(zehnt)en wurden zudem zahlreiche Coverversionen dieses Musikstücks veröffentlicht; unter anderem wurde es von Dusty Springfield und Dinah Washington interpretiert.
KURZFAZIT
Desillusioniertes Klagelied über den Umgang mit sozialer Entwurzelung.
Vier Jungs aus Los Angeles halten sich für die durchgeknalltesten Mofos auf diesem Planeten. Schließlich knallen sie sich gerne die Birne zu oder tragen auch mal die Leggings der Schwester (zumindest einer von ihnen). So viel Coolness hat die Welt – zumindest ihrer Meinung nach - noch nicht oft gesehen; bis sie eines Tages mit Ozzy an einem Pool abhängen...
Wie der deutschsprachige Zusatztitel bereits nahelegt, geht es ihnen um Sex, Drugs und Rock 'n' Roll – vermutlich in exakt dieser Reihenfolge. Aber vielleicht stehen auch die Drogen an erster Stelle; genau weiß man es nicht. So oder so: Ihre Musik klingt ohnehin deutlich zahmer, als es ihre an den Tag gelegte Attitüde vielleicht vermuten ließe. Trotzdem (oder genau deswegen) erscheint die Bandgeschichte der Mötley Crüe geradezu prädestiniert für eine Verfilmung. Die Historie des zusammengewürfelten Haufens erstreckt sich zum Zeitpunkt der Verfilmung über knapp vier Jahrzehnte, die nicht gerade von Ereignisarmut geprägt sind. Dementsprechend unterhaltsam fällt die Inszenierung auch aus. Unabhängig davon, ob man Fan der vier Jungs ist oder nicht, macht man gerade als Rockfan nicht viel falsch mit einer Sichtung. Die Inszenierung unterscheidet sich nicht wesentlich von der anderer Biopics, wodurch sich der wilde Inhalt ironischerweise nicht in der äußeren Form widerspiegelt. Auf der anderen Seite ist dadurch, dass man sich auf ein bewährtes Konzept verlässt, allerdings auch gewährleistet, dass der Film bei nicht allzu vielen Zuschauern zu einem Reinfall wird. Im Grunde wird hier also die Mötley Crüe durch denselben Formelkinofleischwolf gedreht wie unzählige andere Künstler in deren Filmbiographien auch – was in Anbetracht ihrer Musik und ihres Erfolges aber auch durchaus nachvollziehbar erscheint.
Sieben von zehn geschnupften Ameisen.
KURZFAZIT
Konventionell erzählter Streifen über eine Band, deren Weg von Exzessen geprägt ist.
Oscar Madness Film 427 (1 Nominierung)
Regielegende John Ford erzählt in seinem Spätwerk 'Cheyenne' (1964) die Geschichte eines indigenen Stammes, dessen Mitglieder sich nach der Einstellung der Essenslieferungen durch die Regierung dazu entschließen, sich auf den anstrengenden Weg zurück in ihr angestammtes Gebiet zu machen. Begleitet wird dieser Gewaltmarsch nicht nur von äußeren Widrigkeiten und inneren Spannungen, sondern auch von den Aggressionen einiger Siedler und vor allem von den Attacken durch Regierungstruppen.
Beim Handlungsaufbau wird weitgehend auf konventionalisierte Gepflogenheiten des Drehbuchschreibens verzichtet. Stattdessen werden in einem episodenhaften Stil einzelne Stationen einer langen Reise nachgezeichnet, wobei sogar auf eine Hauptrolle im gewohnten Sinn verzichtet wird. Zwar ist die Bedeutung verschiedener Charaktere durchaus unterschiedlich gewichtet, jedoch erscheint es eher so, dass sich einige von ihnen gegenseitig den Staffelstab weiterreichen. In einer ausladenden Erzählung streckt Ford eine Geschichte, die sich in wenigen Sätzen zusammenfassen ließe, auf eine Laufzeit von rund zweieinhalb Stunden. Dabei schreckt er auch nicht vor der ausführlichen Betrachtung von Nebenaspekten der Handlung zurück. Offenbar möchte er nicht nur viele Details der Handlung berücksichtigen, sondern er ist auch erkennbar um eine mehr oder minder ausgewogene Berichterstattung bemüht. Tendenziell gehören die Sympathien der Autoren eher den Cheyenne als der Armee.
Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht der Umstand, dass die Rollen der Cheyenne mit Navajo besetzt wurden. Diese wiederum sollen in den Dialogzeilen, die in ihrer Muttersprache gesprochen werden, fluchen wie die Kesselflicker und derbe Scherze reißen, was in der Folge zu einer großen Beliebtheit dieses Filmes bei Angehörigen der Navajo geführt haben soll.
Deutlich gelungener dürfte aus Sicht der Produzenten die Kameraarbeit ausgefallen sein, für die William H. Clothier 1965 für einen Oscar nominiert wurde. Ob auch ihm irgendwelche Kuckuckseier im Sinn von übersehenen oder falsch interpretierten Gesten ins Nest gelegt wurden, ist jedoch nicht überliefert...
KURZFAZIT
Bildgewaltiger Western mit einer kauzigen Erzählstruktur, wie sie die meisten Filmstudios (zumindest in dieser Dimension) wohl nur einem renommierten Regisseur durchgehen lassen.
Paul möchte nach Feierabend noch ein wenig erleben und danach müde ins Bett fallen. Soweit sein Plan. Tatsächlich wird er dann auch weit mehr erleben, als ihm lieb ist (und auch nicht unbedingt die Ereignisse, die er sich erhofft hat), aus dem herbeigesehnten Schlaf wird allerdings nichts. Nach einer Verkettung teils skurriler, teils tragischer Ereignisse findet er sich irgendwann auf der Flucht vor ein einem Lynchmob wieder, der sich im Lauf der Nacht nach und nach zusammenrottet, was wiederum zu einer Abfolge noch absurderer Geschehnisse führen wird.
(Zumeist nächtliche) Großstadtodysseen haben sich im Verlauf der Jahrzehnte regelrecht zu einem eigenen Subgenre ausdifferenziert. Speziell mit Blick auf die 80er Jahre kommt hier beispielsweise Chris Columbus 'Die Nacht der Abenteuer' (1988) in den Sinn, aber eben auch Martin Scorseses 'Die Zeit nach Mitternacht'. Als städtisches Pendant zum Roadmovie lebt auch diese Unterkategorie zumeist von wechselnden Stimmung, verschiedenen Handlungsstationen und extravaganten Charakteren, deren Verhalten mitunter extrem unberechenbar erscheint.
Nachdem zunächst nicht ganz klar ist, worauf die Handlung wohl hinauslaufen wird, stellt sich erst nach und nach eine Ahnung ein, worum es hier überhaupt gehen könnte. Der Protagonist bleibt ständig in Bewegung und kommt doch keinen Schritt voran. Seine Situation fühlt sich an wie ein Traum, in dem jemand gegen die Laufrichtung einer Rolltreppe zu rennen versucht, aber sich so oft in Geschehnisse am Rande verstricken lässt, dass er keinerlei Fortschritte erzielt. Hinzu kommt, dass er sich als Pechvogel sondergleichen erweist und noch dazu zu unglücklichen Entscheidungen neigt.
Martin Scorsese inszeniert diesen Stoff, der grundsätzlich auch das Zeug zu einem Drama hätte, als Farce und beweist mit der Besetzung einmal mehr, dass nicht nur Schauspieler oder Autoren, sondern durchaus auch er den Schalk im Nacken sitzen haben. Die Rollen der beiden Einbrecher sind schließlich mit niemand geringerem als dem dem kultigen Comedy Duo „Cheech und Chong“ besetzt. Entsprechend den Fahrzeugen in ihren Filmen sind sie natürlich auch hier mit einem mehr oder minder schrottreifen Van unterwegs.
Auf Anhänger von Scorseses Mafia-Epen kann 'Die Zeit nach Mitternacht' sicherlich auch ermüdend oder belanglos wirken. Wenn man jedoch ganz bewusst einen Beitrag aus seiner Filmographie sichten möchte, der gegenüber den meisten anderen seiner Werke aus dem Rahmen fällt, könnte sich ein nächtlicher Stadtrundgang mit Paul durchaus anbieten.
KURZFAZIT
Nächtlicher Streifzug durch ein Stadtviertel. Schräger als die Handlung und die Charaktere dieser Geschichte ist eigentlich nur das reale Leben.
„Better Call Saul“
Beauftragen Sie Saul! Eine eingehende Beschäftigung mit Ihrem Fall wird er Ihnen zwar nicht bieten können, denn da dafür ist er viel zu beschäftigt – entweder mit den Fällen anderer Klienten oder mit bestenfalls halblegalen (wenn nicht gar kriminellen) Aktivitäten, um seinen eigenen Profit zu steigern oder um Menschen in seinem Umfeld gezielt zu schaden. Einsetzen wird sich Saul bzw. Jimmy hingegen für einen passablen Deal mit der Staatsanwaltschaft. Das kostet deutlich weniger Zeit und schlägt sich trotzdem positiv in seiner Erfolgsbilanz nieder, was schließlich auch wieder höhere Einnahmen bedeutet.
Jimmy vs. Saul
Doch James McGill trägt nicht nur Gefechte mit Staatsanwälten oder anderweitigen Konkurrenten (wie seinem Bruder Charles oder dessen Kompagnon Howard) aus, denn letztlich ist er sich selbst der größte Feind. Gewitzt und mit schier unfassbarer Kreativität verschafft er sich – und manchmal auch seinen Mandanten – auf aberwitzige Weise Vorteile, mit denen kaum jemand gerechnet hätte. Doch auf jede gute Entscheidung lässt er mindestens zwei schlechte folgen, was ihn immer tiefer in einen Strudel geraten lässt, der eigentlich nur eine Richtung kennt: abwärts. Gelegentliche Anfälle von Gier, Rachsucht oder Jähzorn tun ihr Übriges dazu und lassen ihn immer größere Risiken in Kauf nehmen, wodurch sich letztlich auch wieder die Konsequenzen verschärfen. Doch Jimmy wäre nicht Jim bzw. Saul, wenn er nicht auch gute Seiten hätte: Immer wieder zeigt er sich auch fürsorglich und (wenn auch manchmal widerwillig) hilfsbereit. Zudem plagt ihn in regelmäßigen Abständen ein schlechtes Gewissen, weshalb er die Konsequenzen seines Handelns immer wieder mal abzufedern versucht. Auch damit tut er sich nicht in jedem Fall einen Gefallen. Eine andere Facette seiner Persönlichkeit ist seine Unbeirrbarkeit, die ihn auch dann noch nachsetzen lässt, wenn andere längst aufgeben würden. Demütigungen wischt er mit einer Routine beiseite, wie es nur wenige Menschen vermögen. Aber genau diese Eigenschaft hat auch wieder ihre Schattenseiten, wenn jemand dadurch seine Skrupel verliert, die ihn vielleicht vor dubiosen Entscheidungen schützen würden. Es ist also alles angerichtet für eine Tragödie, in der ganz bewusst mit den Kategorien der aristotelischen Poetik gespielt wird.
Beaking Bad
Bei aller Verschiedenheit in der Persönlichkeitsstruktur weisen die Lebensläufe von Charakteren wie Saul Goodman, Walter White, Kim Wexler, Gustavo Fring, Mike Ehrmanntraut oder Ignacio „Nacho“ Varga eine Gemeinsamkeit auf: Sie alle befinden sich auf einer kriminellen Bahn, die immer tiefer in einen ethischen Abgrund führt. Manche von ihnen können zeitweise die Fallgeschwindigkeit begrenzen oder gar umkehren; doch sich selbst am eigenen Schopf aus einem Sumpf ziehen zu wollen, ist eben kein wirklich erfolgversprechendes Verfahren.
„'s all good, man!“
Serienschöpfer Vince Gilligan gelingt es, auch diesem Spin Off seine unverkennbare Handschrift aufzudrücken. Ein Großteil der Episoden beginnt mit Close Ups von Gegenständen (Variationen in Form von Panoramaaufnahmen und der dergleichen bestätigen nur die Regel) und immer wieder werden Vorgänge beobachtet, deren Zweck zunächst unklar erscheint und erst mit etwas Verzögerung enthüllt wird. In Bezug auf den Protagonisten wird das Publikum rasch dazu erzogen, um die Ecke zu denken, seine Handlungen zu hinterfragen und „cui bono?“-Überlegungen anzustellen. Über weite Strecken ist man als Zuschauer mit dieser Strategie zwar erfolgreich, doch Gilligan wäre nicht er selbst, wenn er dem Publikum nicht gelegentlich auch diesbezüglich eine lange Nase drehen würde. In Bezug auf die große Anzahl an Neben- und Gastcharakteren läuft eine derartige Strategie auf Rezipientenseite jedoch komplett ins Leere. Da nutzt es auch nur bedingt, dass eine Vielzahl der Figuren bereits aus der Stammserie 'Breaking Bad' bekannt ist. So oder so: An Emotionen jahrelanger Anhänger wird im Rahmen der sechs Staffeln nicht selten appelliert. Gerade vermeintlich kleinere Alltagsdramen werden erweisen sich hier in vielen Fällen als äußerst reflektiert konzipiert und bemerkenswert behutsam inszeniert. Müßig zu erwähnen, dass es viele der Darsteller äußerst gut verstehen, die besagten Situationen mit Leben zu erfüllen. Nicht selten wird auf diesem Weg ein Gefühl bittersüßer (und manchmal auch nur bitterer) Beklemmung erzeugt, wie man es nur selten in Filmen und Serien erleben darf. Besonders Gefühle wie Frust, Enttäuschung oder Verbitterung erweisen sich als nahezu allgegenwärtige Begleiter mehrerer Charaktere, was sich in gewissem Maße auch auf das Publikum überträgt. Jedoch nicht in Form derselben Empfindungen, sondern eher als Staunen über die Fähigkeit, eine derartige Fülle solcher Szenen zu schreiben und sie in Szene zu setzen.
Pollo agridulce
'Better Call Saul' erweist sich somit als emotionaler Trip abseits gängiger Konventionen. Während üblicherweise oftmals positive Empfindungen (Beispiel: Komödien und Liebesfilme) auf der einen oder Wut und Leere (Beispiel: Endzeit- und Rachefilme) auf auf der anderen Seite des Spektrums adressiert werden, setzen Vince Gilligan und sein Mitstreiter Peter Gould vorwiegend auf Beklemmung, (Fremd-)Scham, Faszination, Erstaunen und bittersüße Mischformen dieser Eindrücke, womit sie in dieselbe Kerbe schlagen wie auch über weite Strecken in der Mutterserie – wobei dort allerdings ein anderes Mischverhältnis der Zutaten angemischt wurde. Gerade durch das deutlich gedrosselte Tempo zu Beginn (sowie regelmäßig platzierte Bremsen entlang der Wegstrecke) ergibt sich eine besonders effektive Wirkung der Spannungsspitzen. Mitunter können dadurch vermeintlich unspektakuläre Szenen eine Spannung erzeugen, die fast mit den Händen zu greifen ist. Serienherz, was willst du mehr?
KURZFAZIT
Was als Groteske über einen windigen Winkeladvokaten beginnt, wächst sich im Lauf der Staffeln zu einem Serienevent aus, das man nicht einfach nur anschauen, sondern förmlich zelebrieren sollte. Ein Werk wie dieses kann man im Grunde gar nicht passiv konsumieren – es wächst sich ganz alleine zu einer regelrechten Erfahrung aus; sofern man sich darauf einlässt. Wenn man schließlich denkt, man hätte nun alles gesehen, wartet das Finale mit einer Entwicklung auf, die einen konsterniert zurückblicken lässt – und sich wahrscheinlich gerade deshalb perfekt als Abschluss eignet.
Also: Beauftragt Saul! Sofern er gerade eine Anwaltslizenz hat...
Oscar Madness Film 426 (1 Nominierung)
Nach dem durchaus beachtlichen Erfolg von 'Spider-Man: A New Universe' dürfte es keine leichte Aufgabe gewesen sein, entsprechend nachzulegen. Inhaltlich stieß die erste Episode dieser Reihe die Tür zu einer Reise durch Multiversen auf, durch die anschließend sowohl die Realfilm-Kollegen von Sony (Spider-Man: No Way Home') und Disney ('Doctor Strange in the Multiverse of Madness') im Rahmen des MCU als auch die Konkurrenten von Warner und DC mit 'The Flash' gingen. Der sprunghafte und über weite Strecken fast schon fragmentarische Erzählstil liegt ohnehin im Trend der Zeit. Dass die Handlung von 'Across the Spider-Verse' fast unvermittelt abbricht und eine Sichtung der nächsten Fortsetzung fast unabdingbar ist, wenn man Interesse an der Geschichte hat, passt in dieser Hinsicht perfekt ins Bild.
Apropos Bild: In visueller Hinsicht sind die Fußspuren, die der Auftakt der Reihe hinterlässt, nicht gerade klein. Die Ästhetik, die durch Bob Persichettis Inszenierung geprägt wurde, hinterließ unter anderem Nachwirkungen bei Animationsfilmen wie 'Der gestiefelte Kater'.
Das Motto von 'Across the Spider-Verse' lautet ganz offenkundig: Mehr Tempo, mehr Stückwerk, mehr Wahnsinn; kurzum: Noch mehr von allem, was schon den ersten Film ausmacht. Das Publikum dankt es den Produzenten ganz offensichtlich. Das Einspielergebnis ist respektabel und erscheint als klares Indiz dafür, dass auch und gerade im Superheldengenre, in dem extrem oft auf Nummer sicher gegangen wird, Innovationen bereitwillig und dankbar angenommen werden. In dieser Hinsicht geht der dieser Fortsetzung aus dem Jahr 2023 der Mut der Verfilmung von 2018 natürlich ab, aber das steht dem Studio, das diesen neuen Stil zu verantworten hat, natürlich fraglos zu. In diesem Licht lässt sich dann auch erahnen, wohin die Reise im dritten Teil der Reihe gehen könnte. Was hingegen nach dem Abschluss dieser Trilogie passieren wird, dürfte allerdings maßgeblich davon abhängen, in welchem Universum man sich als Zuschauer befindet...
Sechs von zehn realen Donald Glovers.
KURZFAZIT
Kalkuliert durchgeknallter Trip durch das Multiversum.
Ein Film brodelnder Kälte
++ Leichte SPOILER ++
Eine vergleichsweise wohlhabende Dame (Florence Pugh) führt ein freudloses Dasein auf einem abgeschiedenen Landsitz. Mit ihrem Ehemann und dessen Vater, der regelmäßig zu Besuch kommt, bildet sie ein Dreieck des Hasses und der gegenseitigen Verachtung. Keine dieser drei Personen bringt den anderen beiden mehr Respekt, Freundlichkeit und Vertrauen entgegen, als unbedingt nötig. Das Liebesleben des Paares fällt dementsprechend trostlos aus und ist im Grunde genommen komplett auf Demütigung ausgelegt. Äußerlich nimmt Katherine die stetigen Herabwürdigungen zunächst gelassen hin, doch innerlich brodelt es ganz offensichtlich in ihr. In Widerspruch zu ihrem eiskalten Auftreten steht dies jedoch keineswegs. Unabhängig davon hat allerdings auch sie eine feurige Seite, die sie mehr oder weniger offen an den Tag legt.
Unter dem Strich scheinen die Umstände ihren Charakter und ihr Handeln in eine Richtung zu formen, die Tod und Verderben über ihr Umfeld bringen könnte (und wahrscheinlich auch wird). Vielleicht war vieles davon auch schon vorher in ihrem Wesen angelegt und ihr Gatte ist einfach nur dabei, sein Blatt zu überreizen. Man weiß es nicht sicher. Doch klar erscheint, dass Nikolai Leskov den Titel der literarischen Vorlage sehr bewusst gewählt haben dürfte. So oder so wird hier schleichend eine Bestie entfesselt, die auf jeden Schritt, den sie zusätzlich in die Ecke gedrängt wird, drastischer reagiert. Für das Publikum endet diese Eskalation in einer unterkühlten Abrechnung mit ungezügelten Auswüchsen des Patriarchats und einer Entwicklung, die nicht nur ihre Verursacher einholt, sondern darüber hinaus auch weitere massive Schäden verursacht. Gute Laune findet man hier naturgemäß nicht, eine versierte Inszenierung durch William Oldroyd allerdings durchaus.
KURZFAZIT
Garstige Kriminalthrillergeschichte im Historienfilm- bzw. Dramengewand.
Japanuary 2024 - Film 8 / 8
++ Mäßige SPOILER ++
Eine Angestellte hat eine Affäre mit ihrem Chef, weil sie sich davon berufliche Vorteile verspricht. Seine Frau, ebenfalls in leitender Position in derselben Firma, schläft selbst mit einer Angestellten, die ihrerseits mit der Geliebten des Chefs gut befreundet ist. Um dieser Viereckskonstellation die Krone aufzusetzen, kommt es im Verlauf der Handlung noch zu weiteren Verwicklungen, über die bei einer derartigen Ausgangslage aber kaum noch jemand verwundert sein dürfte.
Was vielleicht nach einer chaotischen Komödie klingen könnte, erweist sich schnell als eher bedrückendes Drama über das Wesen von Beziehungen sowie über den Druck, der durch gesellschaftliche Konventionen und Erwartungen ausgeübt wird. Unter letzterem hat eine der Hauptfiguren stark zu leiden. Immer wieder werden Fetzen ihrer Backstorywound eingeblendet, die sich nun als Hemmnis auf dem Weg zu einer tiefgründigeren Beziehung herausstellen.
Eher augenzwinkernd hingegen werden die Affären des Chefs und seiner Ehefrau (sowie ihr Liebesleben untereinander) einander gegenübergestellt. In ihrer Ehe dreht sich einiges um Dominanz und Pflichterfüllung; wirkliche Leidenschaft findet man zumindest nicht bei beiden gleichzeitig. Sie lässt sich bei ihren Abenteuern abseits der Ehe liebkosen, streicheln und verwöhnen, er hingegen zieht seiner Mitarbeiterin im Büro schnöde die Hose herunter und jammert danach, dass er kein Taschentuch zur Hand hat. Ein echter Romantiker eben.
Begleitet wird das (mal mehr mal weniger) liebevolle Treiben von gewöhnungsbedürftiger Flötenmusik und einer unorthodoxen Montage, die vermutlich nur ganz besonders hartgesottene Zuschauer zu schätzen wissen dürften. Fast schon lustig wird es, wenn kurz vor den sexuellen Höhepunkten offenbar auch der Flötenspieler(!) durch sein ins Absurde übersteigerte Spiel ins Schwitzen gerät...
Rein stilistisch steht hier unter dem Strich eine recht kuriose Mischung aus Fernsehfilm, B-Movie und Arthouse-Drama. Großes Kino sucht man hier zwar vergebens, doch eine von Understatement geprägte Geschichte über das Wesen von Lust, Bedürfnissen und Beziehungen wird hier durchaus erzählt.
KURZFAZIT
Unterkühlte Erzählung eines (für die Charaktere) eigentlich recht aufwallenden Sachverhalts.
Japanuary 2024 - Film 7 / 8
Fast drei Jahrzehnte nach der Produktion von Ghiblis populärem Anime 'Stimme des Herzens – Whisper of the Heart' legt Yûichirô Hirakawa eine Realfilmversion der Geschichte um die musikbegeisterte Nachwuchsliteratin Shizuku und den bibliophilen Musiker Seiji vor, deren Geschichte nicht nur neu erzählt, sondern zugleich auch fortgesetzt wird.
Die Eckpunkte der Handlung, die während der Schulzeit der beiden spielt, sind in beiden Filmen grob dieselben. Für einige der Schauplätze wurden erstaunlich passende Drehorte gefunden. Unterschiede bezüglich des Handlungsverlaufs findet man in erster Linie in Detailfragen. Überwiegend geht es dabei um eine gewisse Entrümpelung und Pointierung des Inhalts, um den entsprechenden Raum für zusätzliche Entwicklungen zu schaffen. So wirkt die Sequenz, in der Shizuku dem Kater Mond zu dem Antiquitätenladen folgt, deutlich gestrafft. Das Musizieren des Großvaters mit seinen Freunden wurde sogar ersatzlos gestrichen. Hinzu kommen einige Änderungen, die den Verlauf der Geschichte zwar beeinflussen, nicht aber grundlegend verändern (beispielsweise legt Shizuku im Live Action Movie ihren Textentwurf Seiji und nicht dessen Großvater vor).
Den durch die Straffung gewonnenen Raum nutzt Hirakawa zur Etablierung eines zweiten Erzählstranges, in dem von Ereignissen berichtet wird, die ungefähr zehn Jahre später stattfinden. Seiji studiert nun in Rom und Shizuku plagt sich als Lektorin mit einem nicht gerade unkomplizierten Vorgesetzten sowie einem eingeschnappten Autoren herum. Er arbeitet also nach wie vor an seinem Traum, indem er weiterhin sein Musikspiel zu perfektionieren versucht, droht aber sein Musikerherz unter zu viel verkopfter Theorie zu vergraben. Sie wiederum redigiert nun die Texte anderer Schriftsteller, wodurch auch ihre Vision zum Erliegen kam. Positiv ist für die beiden sicherlich, dass sie in ihren liebsten Fachbereichen verbleiben konnten, wenn auch (zunächst?) anders als geplant.
Der größte Vorteil der Realverfilmung dürfte neben der weiterreichenden Handlungsspanne sicherlich in dem Eindruck liegen, dass die Charaktere deutlich handfester und griffiger wirken. Als kleines Bonmot kommt hinzu, dass Runa Yasuhara in der Rolle der jüngeren Shizuku wiederholt mimische Eigenheiten aus dem Anime in ihr Spiel mit einbaut. Auf der anderen Seite fehlt der neueren Version jedoch ein Teil der Poesie, die die Fassung aus dem Jahr 1995 durchzieht. Während der ältere Film wie ein moderner Bildungsroman mit Elementen des magischen Realismus wirkt, erscheint der neuere deutlich prosaischer und vielleicht auch etwas profaner. Gerade die stilistische (und teils auch inhaltliche) Eigenständigkeit der Neuauflage sind vielleicht zwei der wesentlichen Argumente, die für eine Sichtung sprechen.
Nach der Figur des Barons, dessen Rolle in 'Königreich der Katzen' erneut aufgegriffen wurde, haben nun also auch Shizuku und Seiji eine Fortführung ihrer Geschichte erhalten. Es hätte sicherlich schlechtere Kandidaten für eine Realverfilmung gegeben als 'Stimme des Herzens'.
7 – 7,5 Punkte.
KURZFAZIT
Realverfilmung und Fortsetzung zugleich. Nicht ganz so poetisch wie das Original, aber dennoch keineswegs belanglos.
Japanuary 2024 - Film 6 / 8
Eine Jugendliche geht mit einem dubiosen Händler einen faustischen Pakt ein, der es ihr ermöglicht, sich immer wieder in eine Katze und zurück in einen Menschen zu verwandeln. Sie nutzt diese Gabe, um als Katze eine Verbindung zu ihrem Schwarm herzustellen, der natürlich nichts davon ahnt, wen genau er da regelmäßig in seinem Arm hält. Doch es kommt, wie es kommen muss, und das Abkommen mit dem zwielichtigen Händler erweist sich als doch nicht so komplikationsfrei wie erhofft.
Inhaltlich knüpfen die Autoren von 'Um ein Schnurrhaar' lose an Ghiblis 'Königreich der Katzen' (und damit indirekt auch an 'Stimme des Herzens – Whisper of the Heart') an. Einige visuelle und thematische Motive daraus werden in leicht abgewandelter Form zitiert. Zudem bestehen sogar Ähnlichkeiten in der Grundstruktur der Geschichten, was aber nicht zwingend heißen soll, dass es sich hierbei um ein Plagiat handeln würde. Es erscheint eher so, dass man sich von den besagten Filmen hat inspirieren lassen, um eine Geschichte zu erzählen, in der auch ganz bewusst mit popkulturellen Phänomenen gespielt wird. Wie man es aus dem Animebereich kennt, schwingen hier und da zwischen den Zeilen auch mal etwas anzüglichere Schwingungen mit, wobei aber alles in einem überschaubaren Rahmen bleibt und zumeist auf kleinere Humoreinlagen oder Pubertätsmetaphern hinausläuft.
Im Verlauf der Geschichte wird der Anteil an Fantasyelementen bzw. Metaphern sukzessive erhöht, wodurch der Eskapismus auf die Spitze getrieben wird. Zunächst betreibt die Protagonistin selbst eine Art Realitätsflucht durch ihre ständigen Verwandlungen in eine Katze, was gewissermaßen auch mit dem Eskapismus des Filmpublikums korrespondiert. Gegen Ende hin wird das Entfliehen aus dem Alltag dann regelrecht auf die Spitze getrieben und Charaktere sowie Zuschauer finden sich in einer ganz besonderen Welt innerhalb der Animerealität wieder. All diese Ideen sind keineswegs neu, scheinen in der japanischen Gesellschaft aber durchaus auch Entsprechungen zu finden. So gesehen lässt sich 'Um ein Schnurrhaar' auch als Kommentar zu ausgewählten gesellschaftlichen Phänomenen begreifen; allzu viel sollte man jedoch vermutlich nicht hineingeheimnissen.
KURZFAZIT
Grundsolider Anime mit passablem Unterhaltungsfaktor, aber nur wenig Mut zu eigenen Ideen.
Japanuary 2024 - Film 5 / 8
++ Minimale SPOILER ++
Nomen est omen...
...oder etwa doch nicht?
Wie der Titel bereits andeutet, wird hier die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die Chihiro genannt werden möchte. Begründen lässt sich ihre Namenswahl auf doppelte Weise: Zum einen aus der Handlung heraus (in Bezug auf eine für sie prägende Begegnung während ihrerKindheit) und zum anderen als Verweis auf Ghiblis Anime 'Chihiros Reise ins Zauberland'. Die Protagonistin in Hayao Miyazakis preisgekröntem Zeichentrickfilm, der im Verlauf der Handlung ebenfalls ein anderer (bzw. kürzerer) Name gegeben wird, hat zu Beginn ihrer Reise ins Zauberland mit einer augenscheinlichen Entfremdung von ihren Eltern zu kämpfen, die es im Lauf der Geschichte aufzulösen oder zumindest abzumildern gilt. Rikiya Imaizumis Chihiro hingegen ist auf ihrem Weg (auch altersbedingt) schon einige Schritte weiter. Die Beziehung zu ihren Eltern ist komplett in die Brüche gegangen, lediglich zu ihrem Bruder pflegt sie noch sporadischen Telefonkontakt. Die genauen Gründe dafür werden zwar nur angedeutet, mindestens einer davon liegt jedoch auf der Hand und hat in erster Linie mit verletztem Ehrgefühl zu tun (ein Thema, das in anderer Form auch durch den verletzten Stolz von Makotos Mutter angerissen wird). Was darüber hinaus vorgefallen sein könnte, bleibt größtenteils offen und wird der Vorstellungskraft der Zuschauer überlassen.
Denn bei allen sozialen Kontakten, die Chihiro auch pflegt, lässt sie nur ganz wenige Menschen an sich heran – und selbst diese stehen ab einem gewissen Punkt vor einer unsichtbaren Barriere. Chihiro ist sozial engagiert und versorgt gerne auch mal einen Obdachlosen oder einen hungrigen Schuljungen mit liebevoll zusammengestellten Bento-Boxen. Sie versteht sich relativ gut mit ihren Kollegen und selbst zu ihrem ehemaligen Zuhälter (oder wie auch immer man seine Berufsbezeichnung umschreiben mag) verbindet sie nach wie vor ein freundschaftliches Verhältnis. Sie scheint die Begabung zu haben, Menschen in ihrem Umfeld einander näherzubringen und zumindest manche Wunde im persönlichen Miteinander zu heilen.
Doch das ist eben nur eine Seite der Medaille. Sie selbst entscheidet sich ganz bewusst für ein leben in emotionaler Einsamkeit. Selbst inmitten ihrer liebsten Kontakte scheint sie sich wie ein Fremdkörper zu fühlen. Gerade als sie beginnt, zarte Wurzeln anzusetzen, setzt in ihr eine Art Fluchtreflex ein.
++ SPOILER ++
Konsequenterweise ist ihre nächste Station in noch größerer Abgeschiedenheit gelegen. Nach der Entwurzelung von ihrer Familie (sie verzichtet auf einen Besuch bei ihrer sterbenden Mutter und empfindet laut eigener Aussage auch keinen Schmerz darüber) kappt sie später auch noch die Verbindungen zu ihren Freunden und Kollegen.
++ SPOILER ENDE ++
Erzählt wird hier also eine Geschichte, wie sie für viele Menschen bedeutsamer kaum sein könnte: Das Empfinden von Einsamkeit inmitten eines sozialen Gefüges ist für Außenstehende oftmals sicherlich nur schwer bis gar nicht ersichtlich (bezeichnenderweise konnte es die blinde Kollegin als einzige auf den Punkt bringen). Für die Betroffene selbst wiederum resultiert (zumindest in dieser Geschichte) daraus ein Gefühl der Rastlosigkeit. Sie hilft mit großer Hingabe anderen Menschen – doch was ist mit ihr? Zwar erfährt sie auch selbst Zuneigung und Dankbarkeit, doch ganz so einfach ist es eben nicht. Ob es dafür eine Lösung gibt? Die Rikiya Imaizumi maßt sich nicht an, eine Antwort darauf zu geben. Ob man als Zuschauer mit seinen Überlegungen weiterkommt, sei dahingestellt. Vielleicht geht es aber auch einfach nur darum, Chihiros Lebensentwurf und ihrem Umgang mit Problemen beizuwohnen und über die eine oder andere Facette ihres Handelns nachzudenken. Schaden kann e jedenfalls nicht.
KURZFAZIT
Poetische Symphonie der Einsamkeit mit einer nuanciert ausgearbeiteten und versiert verkörperten Hauptfigur.
Japanuary 2024 - Film 4 / 8
So ziemlich jeder Fan von Ghibli-Filmen kann wahrscheinlich ohne langes Zögern antworten, ob ihm/ihr die realitätsbezogenen oder die fantasylastigen Filme aus diesem Studio besser gefallen. 'Flüstern des Meeres - Ocean Waves' gehört ohne Wenn und Aber in die erstere Kategorie und steht damit in derselben Traditionslinie wie 'Tränen der Erinnerung – Only Yesterday' oder 'Der Mohnblumenberg'. Entworfen wird auch hier ein Bild über junge Menschen und über einschneidende Erlebnisse in ihrer Jugend und über Ereignisse, die für ihren weiteren Weg (mindestens mittelfristig) von entscheidender Bedeutung sind.
Konkret geht es hier um zwei Freunde, die eine neue Mitschülerin kennenlernen und dadurch auch ihre Freundschaft in einem neuen Licht betrachten (müssen). Auf großes Gepolter wird dabei ganz bewusst verzichtet, stattdessen liegt der Fokus auf eher auf der Betrachtung alltäglicher Situationen. Es mag sein, dass die Handlung manchen Zuschauern dadurch etwas unspektakulär erscheint, auf der anderen Seite erreicht Tomomi Mochizuki (Regie) dadurch einen gewissen Grad an Allgemeingültigkeit. Schließlich werden Situationen und Dialoge gezeigt bzw. Probleme verhandelt, die sich so nahe am Alltag befinden, dass sie so ziemlich jeder Zuschauer in ähnlicher Form bereits durchlebt haben dürfte. Der Effekt, der damit erzielt wird, ist (wenn auch in abgemilderter Form) ähnlich dem bei 'Tränen der Erinnerung': Man hinterfragt womöglich eigene Entscheidungen, reflektiert deren Konsequenzen und gewinnt im Idealfall sogar noch Erkenntnisse für die Zukunft – und sei es nur die Einsicht, dass sich manches eben nicht steuern lässt oder dass man nicht zu lange mit der Vergangenheit hadern sollte; zumindest dann nicht, wenn man sich dabei nur im Kreis dreht und den Blick für das große Ganze verliert. Natürlich kann man sich aber auch einfach nur von der Handlung berieseln lassen und drei junge Leute auf einem Stück ihres Weges begleiten.
So oder so: Ghibli vermittelt mit 'Flüstern des Meeres' einmal mehr ein angenehmes Gefühl; und zwar in dem Sinne, dass das Publikum hier ebenso ernst genommen wird wie die Charaktere.
KURZFAZIT
Bodenständiges Porträt zweier Freunde.
Japanuary 2024 - Film 3 / 8
In Ghiblis Drama 'Tränen der Erinnerung – Only Yesterday' wird auf zwei Zeitebenen die Geschichte einer Schülerin bzw. Mittzwanzigerin erzählt, deren Vergangenheit und Gegenwart (wie bei sicherlich sehr vielen Menschen) Hand in Hand gehen. Mit einer Mischung aus Wehmut, Freude, Reue, Wut, Zweifel, Enttäuschung und Hoffnung blickt sie demütig zurück, während sie eine Bauernfamilie bei der Ernte unterstützt. Die Menschen, bei denen sie zu Gast ist, kennt sie bereits von früher, was ihren Drang zur Reflexion noch zusätzlich befeuert. Aktuell befindet sie sich in einer Lebensphase, in der verschiedene Erwartungen von außen an sie herangetragen werden, während sie selbst noch unschlüssig ist, welchen Verlauf ihr Lebensweg mittelfristig nehmen soll.
Manche ihrer Erinnerungen mögen für Außenstehende vielleicht trivial wirken, doch für Taeko sind sie es keineswegs. Schließlich sind wir es selbst, die unseren Erfahrungen Bedeutung verleihen oder sie ihnen eben absprechen. Manche Menschen stecken harte Schicksalsschläge vergleichsweise souverän weg, andere verzweifeln an vermeintlichen Kleinigkeiten und bei wieder anderen ist es eine Mischung aus beidem. Dass die Verarbeitung von Erfahrungen von sehr viel mehr abhängt als der eigenen Konstitution und der Bedeutung, die man Einzelereignissen zumisst, versteht sich von selbst; doch komplexe psychologische oder erkenntnistheoretische Betrachtungen sind auch gar nicht Gegenstand dieser Geschichte. Vielmehr wird in bewusst gesetzter Schlichtheit (die sich auch im Zeichenstil widerspiegelt) eine bemerkenswerte Prägnanz erreicht, um diverse Sachverhalte auf den Punkt zu bringen und Entwicklungen in Einzelereignissen (oder deren Verkettung) zu kulminieren.
Wenn die Protagonistin beispielsweise voller Reue darauf zurückblickt, wie abwertend sie einen ihrer Mitschüler behandelt hat, und sich nun vergegenwärtigt, dass es nach dessen Umzug keine Möglichkeit zur Wiedergutmachung oder wenigstens einer Entschuldigung gibt, steht dieses Fallbeispiel sicherlich nur als Teil für einen ganzen Korb voller Erinnerungen, für die man sich nachträglich schämt oder die man rückblickend zumindest hinterfragt. Selbiges gilt für verpasste Gelegenheiten und Fehlentscheidungen jedweder Art. Die Summe unserer Erfahrungen macht eben einen Teil unseres Daseins aus und wirkt sich womöglich auch auf zukünftige Handlungen aus (in welchem Ausmaß auch immer). Genau das ist einer der wesentlichen Punkte der Handlung von 'Tränen der Erinnerung' – wenn auch ganz sicher nicht der einzige. Weitere Themen sind der unterschiedliche Blick von Großstädtern und Bauern auf das Landleben (im Film verklären es beide auf unterschiedliche Art), die Bedeutung verschiedener Lebensentwürfe (Wohnort, Berufswahl, Alltagsgestaltung etc.) und auch der Umgang mit Erwartungen von Menschen aus dem persönlichen Umfeld (Beispiel: Eheschließung).
Letztlich kann die Handlung dieser rückwärtsgewandten Geschichte alles und nichts zugleich bedeuten. Die persönliche Wertung sagt daher womöglich nicht nur etwas über den Film aus, sondern auch über den Zuschauer selbst und welchen Wert er den (manchmal auch nur implizit) im Film geäußerten Gedankengängen beimisst. So wie es eben Taeko auch mit ihren Erinnerungen ergeht.
KURZFAZIT
Aufgeräumte Erzählung, aus deren Schlichtheit eine bemerkenswerte Prägnanz resultiert, deren Bedeutsamkeit man jedoch nur nachempfinden kann, wenn man es auch wirklich möchte.
Japanuary 2024 - Film 2 / 8
Guten Morgen, liebe Filmfreunde. Ist das nicht ein schönes Wetter heute?
Grußformeln wie diese sollen im realen Leben das Eis brechen; und sie erfüllen ihren Zweck auch sicherlich ganz oft. Sie können die Laune heben, das Kennenlernen erleichtern, die Langeweile vertreiben oder einfach nur dem Gegenüber signalisieren, dass man nicht auf Streit aus ist. Einer der Charaktere im hier besprochenen Film bezeichnet derartige Floskeln sogar als „Schmiermittel der Gesellschaft“.
Auf der anderen Seite lassen sich Gesprächspartner mit Allgemeinplätzen aber auch auf Distanz halten. Man unterhält sich, gibt sich gegenseitig das Gefühl, nicht isoliert zu sein, und geht trotzdem keinerlei Bindungen oder gar Verpflichtungen ein. Gerade wenn man in ähnlich beengten Verhältnissen lebt wie die Ehepaare und Familien in Yasujiro Ozus Gesellschaftssatire 'Guten Morgen', die nicht nur (Schiebe-)Tür an (Schiebe-)Tür mit ihren Nachbarn wohnen, sondern mit einem unbedachten Schritt bereits im falschen bzw. fremden Wohn- und Esszimmer stehen, will gut überlegt sein, wen man wie nahe an sich heranlässt. Dies gilt umso mehr, wenn Nachbarinnen in wechselnden Konstellationen immer über die jeweils abwesenden Personen lästern. Da kann es sogar zur Last werden, wenn sich die Kinder besser verstehen, als den Eltern lieb ist.
Die Sprößlinge wiederum (oder zumindest einer bis zwei von ihnen) hinterfragen den Sinn der eingangs erwähnten Grußformeln und verweigern ab einem gewissen Punkt sogar jegliche Kommunikation. Letzteres tun die beiden Brüder teilweise aber auch aus anderen Gründen, denn sie wünschen sich nichts sehnlicher als einen Fernseher, was sie auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit äußern. Ihre Mutter hingegen antwortet nicht weniger stur und bockig beständig mit Ablehnung, ohne sich wirklich mit der Forderung auseinanderzusetzen oder die Beweggründe für ihre Entscheidung zu erklären. Doch Kommunikationsprobleme hat die Elterngeneration nicht nur in Richtung ihrer Kinder. Auch im Miteinander mit ihren eigenen Eltern (also der Generation der Großeltern der Kinder) stockt der Informationsfluss ganz extrem. Auch hier kommt es zu massiven Missverständnissen aufgrund unzureichender Unterhaltungen. Denn während sich die Erwachsenen in der Blütezeit ihres Lebens untereinander mit Floskeln (je nach Sichtweise) bespaßen oder nerven, reduzieren sie die Kommunikation mit der vorherigen und der nachfolgenden Generation auf ein absolutes Minimum. Wenn sie Gespräche mit den Alten oder Jungen führen, dann fast durchgängig aus einer Position der selbstwahrgenommenen Überlegenheit heraus.
Ozu geißelt derlei Gesprächskonventionen nicht zwingend als negativ, einen süffisanten Blick darauf (aus kindlicher Perspektive) möchte er sich allerdings dennoch nicht nehmen lassen. Schließlich kann es durchaus auch Sachverhalte geben, die sich als sinnvoll und hilfreich erweisen, aber bei genauerer Betrachtung dennoch etwas skurril erscheinen. Ein halbes Jahrhundert später hätten viele Autoren vielleicht das Format der Stand Up Comedy für eine Bestandsaufnahme und den entsprechenden Spott über die bestehenden Verhältnisse gewählt, doch Ozu hat sich glücklicherweise für eine Tragikomödie entscheiden.
Sechs von zehn ziemlich ungesund klingenden Furzen.
KURZFAZIT
Der Nachbarsjunge im Film steht gewissermaßen als pars pro toto für die gesamte Handlung. Viel heiße Luft? Ja. Aber es kommt auch Substanz mit...
Japanuary 2024 - Film 1 / 8
++ Minimale SPOILER ++
'Der Geschmack von grünem Tee über Reis' – ein Filmtitel, wie er arthousetypischer kaum sein könnte. Lange Zeit könnte die Handlung dieses Dramas nicht weiter von den mit dem Titel verbundenen Erwartungen entfernt sein und es kann sich durchaus der Verdacht einstellen, dass er aus reinem Marketingkalkül und ohne jeden Inhaltsbezug gewählt worden sein könnte. Doch weit gefehlt. Denn zum Finale kommt das besagte Gericht nicht nur als Speise und mehrfach als Gegenstand von Zwiegesprächen vor, sondern sie erweist sich auch in einem dreifachen Sinn als Metapher: nämlich als Sinnbild für den Film, das Zusammenleben des Protagonistenpaares und die Ehe im Allgemeinen. Speziell ein Satz, der in diesem Zusammenhang gleich zwei mal fällt, kann ganz offenkundig nur aus der Feder eines Mannes stammen (nämlich, dass Männer Helden seien, die zu Hause ihren Panzer ablegen). Doch davon abgesehen ist das Drehbuch spürbar um den Ausgleich verschiedener Interessen bemüht – zwischen Mann (Reis) und Frau (grünem Tee), aber auch zwischen Tradition und Moderne. Letztere Opposition kommt beispielsweise in den Kostümen der Charaktere zum Ausdruck und korrespondiert inhaltlich mit der Präsentation zweier opponierender Modelle der Eheschließung. Arrangierte Ehen nach den Vorstellungen der älteren Familienmitglieder stehen dabei Partnerschaften gegenüber, für die sich die zukünftigen Brautpaare ganz bewusst entscheiden. Eines haben aber beide gemeinsam: Die Herausforderung, trotz teils höchst unterschiedlicher Eigenschaften einen Weg für ein im Idealfall jahrzehntelanges Zusammenleben zu schaffen, an dem beide Freude haben – oder sich zumindest nicht gegenseitig das Leben zur Hölle machen.
Die kleinen Dinge des Alltags sind es, mit denen sich Taeko und Mokichi Sataki gegenseitig in den Wahnsinn treiben. Ihr missfällt (nicht nur, aber auch) seine Gleichgültigkeit (anschaulich von Yasujiro Ozu am Beispiel des Süppeschlürfens oder der Haltung gegenüber der Flucht von Setsuko herausgearbeitet), sie wiederum nimmt es mit der Wahrheit nicht besonders genau, was einem harmonischen und respektvollen Zusammenleben auch nicht unbedingt zuträglich ist. Dabei sind die Voraussetzungen der beiden ganz sicher nicht die schlechtesten. Finanziell leben sie augenscheinlich in gefestigten Verhältnissen (Haushälterin, Wohnungseinrichtung) und ihre Wohnsituation ist weit von der entfernt, mit der sich die Charaktere in Ozus 'Guten Morgen' herumplagen müssen. Was sie mit letzteren jedoch gemeinsam haben, ist der regelmäßige Rückfall auf Floskeln, um Gespräche anzustoßen oder missliebige Themen abzubinden, was hier auf süffisante Weise persifliert wird. In gewisser Weise gehen beide Filme als Sittengemälde oder Gesellschaftsportäts durch, auch wenn sie sowohl unterschiedliche soziale Gruppierungen als auch verschiedene Aspekte des Zusammenlebens unter die Lupe und auf's Korn nehmen.
Das Ende droht in seiner zwischenzeitlichen Konsequenz fast ein wenig über das Ziel hinauszuschießen,* doch eine augenzwinkernd erzählte Schlusssequenz federt derartige aufkeimende Gedanken zügig wieder ab. Denn bei aller Ernsthaftigkeit hat Geschichtenerzähler Ozu eben auch ein wenig den Schalk im Nacken sitzen. Es geht schließlich nicht um Leben und Tod, sondern nur um die Ehe. Diese ist zwar für viele Menschen nicht weniger wichtig, kann aber in einer Vielzahl von Fällen fast täglich neu justiert werden. Man muss es nur wollen – und eben auch ein Mindestmaß an Empathie dem Partner gegenüber aufbringen. Der Erfolg derartiger Versuche steht freilich in den Sternen – auch in Bezug auf Taeko und Mokichi Sataki. Aber wer den Versuch nicht wagt, hat schon von vornherein verloren.
KURZFAZIT
Hintergründiges Ehedrama, bei dem zwar kurzzeitig der Holzhammer zum Einsatz kommt, über weite Strecken aber mit Feinwerkzeug gearbeitet wird.
Darauf einen grünen Tee. Oder eine Schüssel Reis. Oder im Idealfall beides zusammen.
In einem postapokalyptischen Szenario ist die Gesellschaft in zwei Fraktionen aufgespalten. Die privilegiertere von beiden verweigert der anderen den Zugang zu Technik und Nahrungsmitteln. Als ob das Überleben unter derlei Rahmenbedingungen nicht schwer genug wäre, machen sich einige Mitglieder der zweitgenannten Gruppe auch noch gegenseitig das Leben schwer. Dementsprechend karg fallen auch die Zustände aus, in denen sie ihr Dasein fristen müssen. Findet Vesper, die Teil einer Generation ohne Hoffnung ist, einen Weg, der ein besseres Leben verspricht?
Das trostlose Produktionsdesign dürfte wohl auch der Aspekt dieser litauisch-französisch-belgischen Co-Produktion sein, der nach der Sichtung am längsten haften bleiben wird. In einer düsteren und dreckigen Welt mit einem Inventar, das seine besten Tage längst hinter sich hat, irren die Charaktere etwas unstet umher und suchen nach einer besseren Zukunft. Mit Eddie Marsan und Richard Drake (beide in Nebenrollen) befinden sich zwei aus internationalen Produktionen bekannte Gesichter unter den Castmitgliedern; die Hauptlast wird allerdings von Raffiella Chapman geschultert. Ihre Filmfigur muss sich in einer Welt mit teils willkürlich wirkenden Regeln zurechtfinden, was den Zugang zu der Geschichte, die hier erzählt wird, nicht gerade erleichtert. Bei mehreren Facetten der Handlung stellt sich schlichtweg die Frage, ob sie tatsächlich metaphorisch gemeint sind, oder nicht doch er einfach nur grundlos für sich stehen. Wirklicher Gewinn (in Form von Erkenntnissen) lässt sich so nur sehr bedingt aus der Handlung ziehen.
Letztlich steht und fällt also alles damit, ob und wie sehr man sich von der Atmosphäre einfangen lassen will und ob man sich damit begnügen möchte.
KURZFAZIT
Dank der Drehorte in Litauen halbwegs ungewöhnlich für ein deutschsprachiges Publikum. Abgesehen davon wirken viele Facetten der Handlung allerdings zu beliebig, um sich für eine eingehendere Beschäftigung damit zu empfehlen.
Ein Paar, dessen Baby verstorben ist, stellt trotzdem eine Nanny ein. Die Mutter will den Verlust nicht wahrhaben, weshalb das Alltagsleben der besagten Personen teils recht skurrile Blüten treibt. All diese Geschehnisse sind jedoch geradezu normal im Hinblick auf das, was danach passiert.
M. Night Shyamalan schildert bei einem bis zum Beinahestillstand gedrosselten Erzähltempo mysteriöse Ereignisse, deren Ursachen lange Zeit im Verborgenen liegen und erst sehr spät – und eher beiläufig – enthüllt werden. Nahezu alle Fragen, die von Charakteren bezüglich der Mysterien in den Dialogen gestellt werden, werden entweder ignoriert oder ausweichend beantwortet. Und wenn doch mal erhellende Fakten enthüllt werden, dann nahezu jedes mal so, dass sich aus der Antwort mindestens zwei neue Fragen ergeben. Das Publikum soll mit diesem Konzept offenbar bei der Stange gehalten werden, doch vielmehr dürfte sich bei vielen Zuschauern eine Art Ermüdungseffekt einstellen. Werden Shyamalans Antworten wirklich Substanz haben? Und sind sie es wert, vier Staffeln lang durchzuhalten? Um es vorwegzunehmen: Das Fazit fällt diesbezüglich eher ernüchternd aus.
Deutlich interessanter gestaltet sich hingegen der Stil der Inszenierung. Eingebettet sind die Schilderungen in eine düstere Atmosphäre. Durch die feste Fixierung auf das Wohnhaus der Protagonisten beginnt die Handlung mehr oder weniger als Kammerspiel. Wenn man den Hinterhof und die Parkplätze vor dem Haus zum festen Setting hinzurechnet, findet der Kontakt zu weit entfernten Schauplätzen fast ausschließlich über Bildschirme statt. Die Hauptfigur berichtet für einen TV-Sender über verschiedene Ereignisse von gesellschaftlichem Interesse. Ansonsten werden gelegentlich Videotelefonate mit Personen, die sich außerhalb des Gebäudes befinden, eingestreut. Erst im weiteren Verlauf der vier Staffeln wird dieses Konzept behutsam aufgebrochen und der Raum Schritt für Schritt geöffnet und erweitert. So gewinnt beispielsweise eine Parkanlage unweit des Wohnhauses an Bedeutung und es kommt zu weiteren kurzen Ausflügen innerhalb der Nachbarschaft. Stark eingeschränkt bleibt der Aktionsradius jedoch weiterhin. Aus dieser Herangehensweise ergibt sich ein gewisser Reiz, auf der anderen Seite limitieren die Autoren ihre Möglichkeiten dadurch auch selbst. Als Horrorserie der etwas anderen Art funktioniert 'Servant' daher durchaus, gewisse Unebenheiten wird man aber bei einer Sichtung in Kauf nehmen müssen.
KURZFAZIT
Ein düster inszenierter Hauch von Nichts.