Framolf - Kommentare
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Alle Kommentare von Framolf
++ Leichte SPOILER ++
Eine Frau und ihre Tochter werden in ihrer Wohnung in Teheran durch rätselhafte Ereignisse aufgeschreckt. Als ob der Krieg gegen Irak (die Handlung spielt während der 80er Jahre) und die Abwesenheit des Vaters nicht schon belastend genug wären, scheint eine dämonische Präsenz in dem Gebäude ihr Unwesen zu treiben. Da diese möglicherweise auch schon durch den Nachbarsjungen wahrgenommen wurde, scheint die Entität eher an das Haus als an die darin wohnenden Personen gebunden zu sein. Eine Flucht wäre also vielleicht möglich – wenn draußen nur nicht die Revolutionsgarden und deren Helfer ihr strenges Regime ausüben würden. Unter diesen Umständen kann eine hastige Flucht alleine schon dadurch unterbunden werden, dass eine Frau die falschen Textilien trägt.
Spannend ist im Fall der internationalen Co-Produktion von 'Under the Shadow' nicht zuletzt ein Blick auf die beteiligten Produzenten und Finanziers. Eine gewisse europäische Note (sowohl in Bezug auf den Stil als auch auf den Inhalt), die mutmaßlich durch die Beteiligten aus dem Vereinigten Königreich mit eingebracht wird, ist unverkennbar. Zudem sind neben Akteuren aus Iran auch Verantwortliche aus Jordanien und Katar mit eingebunden; zwei Länder, die im Verlauf der letzten Jahrzehnte ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu Iran pflegten. Hinzu kommen (aufgrund der Tatsache, dass der Film auch in einigen muslimisch geprägten Ländern veröffentlicht wurde) offenbar auch Bestrebungen, Kritik nicht allzu plakativ zu äußern. Dennoch lässt sich konstatieren, dass die Meinung der Autoren dennoch ausreichend explizit auf den Bildschirm gebracht wird. Wirkliche Innovationen liefert weder die Dramen- noch die Horrorfacette dieser Inszenierung, doch solides Filmhandwerk wird allemal geboten.
Das Ende erinnert ein wenig an den finalen Twist von
++ SPOILER ++
'The Mothman Prophecies'
++ SPOILER ENDE ++
KURZFAZIT
Konventioneller Horror mit politischen Konnotationen.
Ein Jugendlicher (Anton Yelchin) zieht mit seiner Mutter (Diane Lane) bei einem schwerreichen Kunden (Donald Sutherland) der Mutter ein, die Massagedienstleistungen anbietet. Der Sohn argwöhnt, dass der Gönner kein normaler Kunde ist, aber diese Frage macht nicht den Kern der Handlung aus, denn der Protagonist hat ganz andere Probleme. Während er zwar unter der Abwesenheit seines leiblichen Vaters und der emotionalen Distanz zu seiner Mutter leidet, ist er in der Hauptsache mit alltäglichen Fragen des Erwachsenwerdens sowie dem Hinterfragen gesellschaftlicher Gegebenheiten beschäftigt – bis ihm eines Tages ein Unglück widerfährt, das sein Leben radikal verändern sollte.
Durch die soeben angedeutete Wendung verändert sich die Stimmung des Erzähltons von 'Fierce People' von einer Minute auf die nächste grundlegend, der rote Faden, der die Handlung durchzieht, bleibt jedoch derselbe (bzw. er wird durch den vermeintlichen Plottwist sogar noch stärker). Finn (der Hauptcharakter) verbringt einen Großteil seiner Freizeit mit der Sichtung von Dokumentationen über indigene Völker. Da sein Erzeuger Anthropolge ist/war, entwickelt er ein gesteigertes Interesse für dieses Forschungsgebiet – just zu der Zeit, zu der er das sozialer Gefüge einer Familie aus der Upper Class von innen heraus beobachten kann. Dabei wird ihm klar, dass finanzieller Reichtum keineswegs mit besseren Sitten oder einem edleren Verhalten einhergehen muss – eher im Gegenteil.
Griffin Dunne (Regie) als Drama angelegte Inszenierung lässt sich durchaus auch als bewusst polemisch formulierter Kommentar zum Themenkomplex Reichtum und Verantwortung begreifen. Oder um es als Frage zu formulieren: Wieso gibt es Menschen, die sich selbst als Raubtiere und andere Personen als Beutetiere definieren – und von welchen Umständen werden derlei Entwicklungen begünstigt? Dass angesichts einer Laufzeit von gut 100 Minuten keine allumfassende Erörterung erfolgen kann, versteht sich von selbst, doch für eine Positionierung durch einen Meinungsbeitrag bleibt allemal genug Zeit.
Bei der Umsetzung seiner Idee kann sich Dunne auf einen vergleichsweise namhaften Cast stützen, denn neben den bereits genannten Namen wirken u. a. auch Kristen Stewart, Chris Evans, Elizabeth Perkins und Paz de la Huerta mit.
KURZFAZIT
'Fierce People' beginnt als vergleichsweise ruhiges Sozial- und Familiendrama, ehe die Handlung in Richtung Psychodrama umschlägt.
Oscar Madness Film 467 (2 Auszeichnungen, 3 weitere Nominierungen)
Rudolf Höß (Christian Friedel) und seine Frau Hedwig (Sandra Hüller) leben ein angenehmes Leben. Die Villa, in der die beiden wohnen, wird von Zwangsarbeitern bewirtschaftet und verfügt über einen Pool. Die Pflanzen im Garten gedeihen prächtig, schließlich werden sie mit Asche gedüngt. Hinter der großen Mauer am Rand des Gartens dringen zwar permanent Schreie und Schüsse hervor, doch daran hat sich das Ehepaar Höß schon lange gewöhnt. Ebenso wie an gelegentliche Niedergänge von Asche. Und wenn die beiden doch mal etwas Ruhe suchen, machen sie eben einen Ausflug ins idyllische Umland. Unterbrochen wird das Geschehen von Zwischenblenden in schwarz, weiß und rot.
In den beruflichen Alltag von Höß werden in 'The Zone of Interest' nur streiflichtartige Einblicke gewährt, wenn beispielsweise die Vorzüge industriell organisierter Verbrennungsöfen angepriesen werden. Dies geschieht selbstredend in unverfänglicher Sprache. Man will sich schließlich nicht den Mund schmutzig machen. Ganz allgemein bestimmt Höß über das Schicksal unzähliger Gefangener, unter denen sich auch viele junge Frauen befinden. Man muss nicht besonders visionär sein, um sich auszudenken, inwiefern der Kommandant dies zu seinem Vorteil ausnutzt. Sein Ehealltag gestaltet sich offenkundig trostlos. Die Eheleute Höß fremdeln augenscheinlich miteinander und auch der Umgang mit den Kindern ist vergleichsweise reserviert.
Während Christian Friedel die Rolle des Kommandanten betont kalt und farblos interpretiert, legt Sandra Hüller ihre Darbietung dergestalt an, dass sie nahezu jegliche Regungen vermeidet, die Sympathie für ihre Rolle erwecken könnten. Selbst der Gang, mit dem sie sich hoer fortbewegt, scheint darauf ausgelegt zu sein, jegliche Spuren von Anmut zu vermeiden.
Auch wenn hier nur wenig explizit gezeigt oder verbalisiert wird, geht Jonathan Glazers Inszenierung an zahlreichen Stellen weit über bloße Andeutungen hinaus. Alleine schon durch die mehr oder minder durchgängig vernehmbaren Schüsse erscheint das Geschehen hinter der Mauer allgegenwärtig. Hedwig Höß kümmert das alles nicht. Ihr Sorgen drehen sich um den Haushalt und den Garten. Glazers bitter-zynische Interpretation des Geschehens lebt geradezu von der Diskrepanz zwischen den gezeigten Nichtigkeiten aus Hedwig Höß' Alltag und dem nicht visualisierten Grauen, das sich hinter den Mauern abspielt.
Wer möchte in so einer Umgebung freiwillig Kinder aufziehen? Und noch schlimmer: Wie muss man gestrickt sein, um sich aktiv gegen einen sich abzeichnenden Umzug zu wehren? Eine endgültige Antwort auf diese Frage kann Glazer auch nicht liefern. So gut wie niemand kann das vermutlich. Man kann nur versuchen, die Mechanismen dahinter zu erkennen und zu verstehen – und darauf hoffen, dass sich Exzesse dieser Art nicht wiederholen werden; wobei die Geschichte lehrt, dass es nur selten singuläre Ereignisse in Bezug auf das menschliche Verhalten gibt.
KURZFAZIT
Trocken und bitter. Ein Porträt von Monstern, die biederer kaum sein könnten.
Oscar Madness Film 466 (1 Nominierung)
++ Minimale SPOILER ++
Nachdem es an einer Schule zu mehreren Diebstählen gekommen sein soll, betätigen sich einige Lehrkräfte als Hobbyermittler. Nach anfangs höchst überschaubaren Erfolgen fühlt sich eine Lehrerin ganz besonders dazu berufen, den oder die Täter zu überführen, wodurch eine regelrechte Ereignisspirale in Gang gesetzt wird, deren Dynamik kaum noch jemand unter Kontrolle behalten kann.
Das ganze Elend beginnt bereits oben in der offenbar recht flachen Hierarchie des Mikrokosmos dieser Schule. Die Direktorin betont zwar bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Wichtigkeit einer Null-Toleranz-Politik, doch welche Konsequenzen sich daraus für konkrete Alltagssituationen herleiten, bleibt unklar. Vorläufige Suspendierungen scheinen ihr Allheilmittel zu sein. Was darüber hinaus bzw. nach dem Ende der verordneten Auszeit geschehen soll, bleibt offen. Wirkliche Rückendeckung kann offenbar niemand von ihr erwarten. Doch der Fisch stinkt hier nicht nur vom Kopf her, sondern es stinkt der ganze Fisch – und zwar so extrem, dass es fast schon egal erscheint, von welcher Stelle her es am schlimmsten müffelt. Innerhalb des Lehrerkollegiums herrscht eine Stimmung, die eisiger kaum sein könnte. Begegnungen sind in vielen Fällen von Misstrauen geprägt, also hält man lieber erstmal Distanz. Viele Schüler wiederum bewegen sich wie Flipperkugeln zwischen Solidarität auf der einen und Mobbing auf der anderen Seite hin und her. Deren Eltern kommen dagegen nur am Rande vor und können augenscheinlich auch nicht viel zur Lösung der Probleme beitragen. Auch hier werden teils völlig überzogene Extrempositionen gepflegt.
Der Kriminalfall, der als Aufhänger und initiierendes Ereignis für das Geschehen dient (die bereits erwähnte Diebstahlserie), wirkt für Filmverhältnisse derart niederschwellig, dass schnell klar wird, dass der Kern der Handlung an anderer Stelle zu verorten sein muss. Doch wo genau? Man sieht hier die Geschichte einer Lehrerin, der trotz mutmaßlich guter Absichten die Situation komplett entgleitet. Um das restliche Personal der Schule scheint es in dieser Hinsicht nicht sehr viel besser bestellt zu sein. Die meisten von ihnen ducken sich entweder weg oder erweisen sich ebenfalls als überfordert. Und die Schüler sind eben, wie sie sind; aber es ist auch nicht ihre Aufgabe, den Laden am Laufen zu halten. In vielerlei Hinsicht kann es auch nicht die der Lehrkräfte sein, denn gerade die Protagonistin mischt sich ohnehin schon in genug Dinge ein, die wohl nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen dürften (sie telefoniert der suspendierten Sekretärin hinterher usw.).
Worauf will Ilker Catak also konkret hinaus? Auf die Benennung struktureller Missstände ganz sicher. Auf eine Metapher, in der der Mirkokosmos Schule als pars pro toto für eine ganze Gesellschaft steht, wohl auch. Doch was lässt sich aus seiner Erzählung im dänischen Stil mitnehmen? Das abrupte Ende wirft in dieser Hinsicht mehr Fragen auf, als es beantwortet. Dass der Lösung des „Kriminalfalles“ keine große Bedeutung beigemessen werden wird, deutet sich früh an; doch wie eine griffige These lauten könnte, auf die sich die Aussage des Filmes pointiert zuspitzen lässt, lässt sich nur schwer beantworten, da speziell der Abschluss betont vage und ambivalent gehalten wurde.
KURZFAZIT
Da ist Musik drin. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn speziell der Score fällt für deutschsprachige Verhältnisse bemerkenswert ambitioniert aus. Ansonsten: Kinogold in zahlreichen Einzelszenen, aber als Ganzes etwas nebulös.
Oscar Madness Film 464 (2 Nominierungen)
Die ehemalige Hochleistungsschwimmerin Diane Nyad, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere den waghalsigen Versuch, von Kuba nach Florida zu schwimmen, abbrechen musste, setzt stolze 31 Jahre später zu einem erneuten Versuch an. Nachdem sie im ersten Anlauf von ihrer Route abgekommen war, baut sie nun um einen erfahrenen Navigator herum ein neues Team auf. Das Regie-Duo Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin begleitet Nyad und ihre Crew bei einer aberwitzigen Jagd nach neuen Superlativen.
Nyad, die während ihres zweiten Versuches bereits jenseits der 60 ist, legt dabei eine Mischung aus Schroffheit und Unbeirrbarkeit an den Tag, die regelrecht nach einer Verfilmung schreit. Auf einen Dokumentarfilm aus dem Jahr 2013 ('The Other Shore') sollte 2023 dementsprechend auch ein Spielfilm mit Annette Bening, Jodie Foster und Rhys Ifans in den tragenden Rollen folgen, die allesamt engagierte Leistungen an den Tag legen. Das Drehbuch gibt allen dreien Rollen an die Hand, die eine ganze Reihe an Ecken und Kanten aufweisen, was für renommierte Darsteller oft schon die halbe Miete für eine aufsehenerregende Darstellung sein dürfte. Speziell in Bezug auf die Titelheldin muss jedoch die Frage erlaubt sein, ob sie hier und da nicht sogar einen Tick zu gallig dargestellt wird. So bejubelt sie beispielsweise in einer der Szenen freudig den Misserfolg einer Konkurrentin. Unabhängig davon, ob sich dies genau so zugetragen hat oder nicht, sind auch gegenteilige Reaktionen von ihr verbürgt: Als 1997 der Australierin Susie Maronie die Durchschwimmung der Floridastraße gelang, woran Diane Nyad 1978 noch gescheitert war, wurde Maronie in der Öffentlichkeit für die Verwendung eines Haikäfigs mitunter stark angefeindet, da auf diese Weise günstigere Strömungsverhältnisse möglich seien. Nyad, die zuvor ebenfalls einen Käfig verwendet hatte, sprang ihr öffentlich bei und zollte ihr Anerkennung.
Neben Nyads Knorrigkeit bringen Regie und Drehbuch vor allem auch die Schrullen der passionierten Schimmerin auf's Tableau. Abergläubisch und showorientiert sind sicherlich viele Sportler, aber ein Trompetensolo vor einem Rekordversuch in einer Ausdauersportart dürften nur ganz wenige zu bieten haben. Auch Extravaganzen wie diese machen 'Nyad' zu einem durchaus unterhaltsamen Vergnügen, wenn auch die Erzählung als Ganzes etwas fragmentarisch anmutet. Durch zahlreiche Einschübe und Zeitsprünge kommt der Erzählfluss wiederholt ins Stocken. Das Ergebnis ist, dass dieser Sportfilm nicht komplett wie aus einem Guss wirkt, sondern eher den Eindruck einer Collage vermittelt. Ob man eine vergleichsweise starke Zergliederung als positiv oder negativ empfindet, ist gewiss Geschmackssache; doch es schadet nichts, wenn man vor der Sichtung schon weiß, worauf man sich einlässt.
KURZFAZIT
Nüchterner Film über eine kauzige Ausnahmesportlerin, die sich zwischen Begeisterung und Besessenheit bewegt.
Oscar Madness Film 465 (1 Auszeichnung, 4 weitere Nominierungen)
Der folgende Text enthält SPOILER unterschiedlichster Intensität in aufsteigender Reihenfolge. Zu Beginn gibt allerdings erstmal nur
++ Minimale SPOILER ++
Der offenbar sehr reflektiert agierend Schriftsteller hat nur mäßigen Erfolg mit seinen Werken. Er selbst führt dies unter anderem darauf zurück, dass er die Erwartungen seiner Leser massiv unterläuft. Konkret lässt sich dies an einem kleinen Beispiel aus dem Film(!)* aufzeigen: In der Filiale einer Buchhandlungskette werden die Veröffentlichungen in unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Viele afroamerikanische Autoren werden in einer gemeinsamen Sparte zusammengefasst – ganz unabhängig vom Inhalt ihrer Werke. Auf der anderen Seite liegen einige Romane afroamerikanischer Autoren aber auch an anderen Stellen des Buchladens aus – obwohl sie laut Ansicht des Protagonisten genau die Klischees bedienen, die das Publikum erwarten würde. Subtil schwingt dabei wohl auch der Vorwurf mit, dass die Mehrheitsgesellschaft erfolgreiche Künstler (unabhängig von deren Herkunft) als Leute aus ihrer Mitte wahrnimmt, während manche Texte, die in kultureller Hinsicht deutlich universeller konzipiert sind, eben in die Abteilungen bestimmter Ethnien abgeschoben werden. Doch – auch wenn das genannte Beispiel exemplarisch für die an mehreren Stellen im Film subtil geäußerte Gesellschaftskritik ist – zurück zur konkreten Handlung:
Da er aufgrund des Pflegebedarfs seiner Mutter in eine finanzielle Schieflage zu geraten droht, verfasst Monk, so der Spitzname des besagten Schreiberlings, einen Trivialroman, der mehr oder minder sämtliche Klischees erfüllt, die seines Erachtens von einem afroamerikanischen Schriftsteller erwartet werden. Er schämt sich zutiefst für sein Machwerk, für das er mit finanziellen Zuwendungen und Ruhm geradezu überhäuft wird, womit er innerhalb der schreibenden Zunft wahrscheinlich in guter Gesellschaft sein dürfte. Im Hintergrund dieser scheinbaren Künstlerbiographie schwingen zudem ein Familiendrama sowie eine zarte Liebesgeschichte mit. Das perfekte Rezept für einen Crowdpleaser? An dieser Stelle kommt die Würze ins Spiel, die 'American Fiction' aus der Masse an Veröffentlichungen abhebt.
++ Moderate SPOILER ++
Cord Jeffersons Drehbuch zu 'American Fiction' entpuppt sich als verschmitzte Satire über ein vermeintlich kulturaffines Publikum, dem es allerdings an jeglichem Hintergrund fehlt, um bestimmte Werke richtig einordnen zu können – was für Kritiker, Berufskollegen und Publikum gleichwohl gelten soll. Manchen mangelt es an einem entsprechenden Bildungshintergrund, anderen an Textkenntnis, wieder anderen an Lebenserfahrung in den einschlägigen Bereichen und ganz andere sind schlichtweg zu selbstverliebt.
[Interludum] Diese Zeilen schreibe ich im vollen Bewusstsein, selbst Ziel des Spottes zu sein – wie nahezu allen anderen Zuschauer wohl auch. Durch den Schwenk zur Filmindustrie, den die Handlung irgendwann (den Zeitpunkt lasse ich mal ganz bewusst offen) nimmt, sowie durch Monks Öffentlichkeitsarbeit und seine Mitwirkung an einer literarischen Jury bekommen auch Filmproduzenten, TV-Producer, Kritiker, Berufskollegen und Jurymitglieder jedweder Art ihr Fett weg. Durch die Tatsache, dass 'American Fiction' im Rahmen zahlreicher Filmpreisveranstaltungen mit Nominierungen und Auszeichnungen überhäuft wurde, wird diese Farce letztlich auch ins reale Leben geholt, wodurch Jeffersons Coup erst perfekt abgerundet wird. Eigentlich hat Jeffersons zwiebelartiges Konstrukt sogar noch zusätzliche Schichten, aber um nicht unnötig zu spoilern, belasse ich es bei einer kurzen Fußnote ganz am Ende. Wenn man Jeffersons Ansatz konsequent zu Ende denkt, verspottet man sich mit einer (vor allem positiven) Bewertung für seinen Film auch regelrecht selbst. Denn nachdem es – so die These dieses Filmes - ein Massenpublikum gibt, das (nicht nur) von afroamerikanischen Autoren klischeehafte Geschichten erwartet, muss es zwangsläufig auch ein anderes Publikumssegment geben, das sich das gezielte Unterlaufen von auf die Ethnie bezogenen Erwartungen erhofft; anders macht ein Filmentwurf wie dieser keinen Sinn. Denn - auch wenn das in Hollywood ein vergleichsweise überschaubares Budget darstellt - welcher Produzent würde schon einen hohen einstelligen Millionenbetrag für einen Film bereitstellen, den niemand sehen will? Nebenbei bemerkt: Das Geld kam von MRC, aber diese Randnotiz dürfte komplett am Kern der Sache vorbeigehen... [Ende des Zwischenspiels]
Kurz gesagt: Jefferson dürfte mit 'American Fiction' (alleine der Titel ist schon auf mehreren Ebenen schnippisch) nicht weniger als die Veredelung cineastischer Satire in ihrer bisherigen Form gelungen sein, indem er das Konzept von Produktionen wie Spike Jonzes 'Adaption – Der Orchideendieb' auf die Spitze treibt. Jefferson verspottet Juroren wie Publikum gleichermaßen, mal offen und mal subtil – und beide spenden ihm teils frenetischen Applaus dafür. Monk, der möglicherweise auch eine Spiegelung ausgewählter beruflicher und privater Facetten Jeffersons verkörpern könnte, hätte dafür vermutlich nicht sehr viel mehr als eine genervte Facepalm-Geste übrig. Den Rezipienten ist das egal; sie klatschen trotzdem weiter.
Ach, was soll's, auch von mir acht Punkte. Soll uns Jefferson doch auslachen – er hat es sich verdient mit diesem schelmischen Konstrukt!
KURZFAZIT
Nur selten wurden Publikumsschelte und zynische Gesellschaftskritik derart sanft und schelmisch verpackt.
*++Massiver SPOILER++
Am Ende stellt sich heraus, dass die gesamte Handlung eine Binnenhandlung in Form eines Drehbuchentwurfes ist und man als Zuschauer gerade Zeuge dessen Entstehungsprozesses wurde.
Oscar Madness Film 463 (1 Nominierung)
Auch mit mehr als sechs Jahrzehnten Abstand ist Martin Luther Kings Washingtoner Rede von 1963 in aller Munde. Doch wie ging eigentlich deren Organisation vonstatten und welche Hindernisse waren während der Vorbereitungen zu überwinden? George C. Wolfes Mischung aus Biopic und Politdrama liefert Antworten.
'Rustin' lässt sich gewissermaßen als Komplementärstück zu Ava DuVernays oscarprämiertem Bürgerrechtsdrama 'Selma' (2014) begreifen, da beide zwei zeitlich und kausal eng zusammenhängende Ereignisse beschreiben, indem in beiden Filmen wichtige Meilensteine der US-Amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre gezeigt werden. Während es im Fall von 'Rustin' um die Organisation des Marsches auf Washington im Jahr 1963 geht, beschäftigt sich 'Selma' mit den entsprechenden Märschen in Alabama anno 1965. Im ersteren Fall geht es um das Ende der Rassendiskrimierung, im zweiteren um die vollständige Durchsetzung des Wahlrechts für afroamerikanische Bürger.
Zu den inhaltlichen Schnittpunkten gesellen sich zudem personelle, denn sowohl Martin Luther King (in 'Rustin' dargestellt durch Aml Ameen, in 'Selma' durch David Oyelowo) als auch Coretta Scott King ('Rustin': Carra Patterson, 'Selma': Carmen Ejogo) kommen ebenso wie Bayard Rustin in beiden Geschichten vor. Kurios: Bayard Rustin wird in 'Selma' von Ruben Santiago-Hudson dargestellt, während er in 'Rustin' durch Oscar-Nominee Colman Domingo verkörpert wird, der in Ava DuVernays Verfilmung in der Rolle des Ralph Abernathy mitwirkt. Sowohl für Domingo selbst als auch für Regisseur George C. Wolfe geht dieser Rollenwechsel voll und ganz auf. Der Darsteller, der in der Endzeit-Serie 'Fear the Walking Dead' der Rolle des zwielichtigen, berechnenden und körperlich präsenten Sonderlings Victor Strand durch sein trockenes und resolutes Auftreten über Jahre hinweg seinen Stempel aufdrückt, wirkt in seinem Part als Titelfigur dieses Dramas sehr viel zweiflerischer und behutsamer in seinem Vorgehen. Nicht zuletzt in der Gegenüberstellung beider Parts wird deutlich, welch breite Palette an Emotionen und Wesenszügen Domingo glaubhaft darzustellen vermag. Zwar war er bereits zuvor in zahlreichen Produktionen mit ähnlicher Thematik zu sehen (u.a. 'Ma Rainey's Black Bottom', 'If Beale Street Could Talk', 'Der Butler', 42 – Die Geschichte einer Legende' oder eben 'Selma'), doch die Idee, ihn in einer Titelrolle zu besetzen, kommt auch bei den Juroren diverser Filmpreise bestens an. So wurde er beispielsweise auch für einen Golden Globe nominiert – ebenso wie Lanny Kravitz, der zum Abspann den Song 'Road to Freedom' beisteuerte, im Zuge der Oscarnominierungen jedoch unberücksichtigt blieb.
KURZFAZIT
Geschichtsstunde von zwar hoher Relevanz, aber höchst unscheinbarer Umsetzung, wodurch es – abgesehen von Colman Domingos engagierter Darbietung – an jeglichen Alleinstellungsmerkmalen mangelt.
Auf einer Bohrinsel kommt es zu einem rätselhaften Todesfall. Eine Ermittlerin, die zur Aufklärung des Falles entsandt wird, stellt schon kurz nach ihrer Ankunft fest, dass es sich dabei nur um die Spitze eines offenbar riesigen Eisberges handelt. Die Schilderung der Lage (aber nicht unbedingt der Fall selbst) ist derart verworren, dass nicht nur die allermeisten Charaktere und sicherlich auch manche Zuschauer, sondern offenbar auch ein Teil der Autoren den Überblick verlieren. Zumindest drängt sich dieser Eindruck zum Ende der zweiten Staffel auf, wenn sich die einzelnen Puzzleteile offenbar nur noch bedingt zusammenfügen lassen.
Grundsätzlich ist es sicherlich ambitioniert, dass in der zweiten Staffel nicht irgendein anderer Fall auf einer Bohrinsel ausgebreitet wird, sondern dass sich die Produzenten sichtlich darum bemühen, einen Bogen zur Handlung der ersten Staffel zu spannen. Einige der Rädchen greifen auch passabel ineinander, doch bei all den Finten, die angetäuscht oder durchgeführt werden, wirkt die Geschichte auch stellenweise überkonstruiert.
Das Setting selbst erweist sich als Trumpfkarte und limiting factor zugleich. Die Szenerie ist gerade im Serienbereich noch vergleichsweise unverbraucht und kommt dem aristotelischen Prinzip einer Einheit des Orts sehr nahe. Dargestellt wird die Plattform als düsterer Ort in einer rauen Umgebung, wodurch der Produktion in atmosphärischer Hinsicht ein klarer Stempel aufgedrückt wird. Auf der anderen Seite scheinen den Autoren ab einem gewissen Punkt aber auch die frischen Einfälle für diesen engt begrenzten Raum auszugehen, sodass sich gerade während der zweiten Season viele Handlungselemente als Variationen von Ereignissen aus der ersten Staffel erweisen. Gelegentliche Schludrigkeiten in der Inszenierung sorgen hier auch für Störfelder und kratzen ein wenig am Immersionserlebnis, wenn beispielsweise in Staffel zwei neben der Protagonistin ein Mückenschwarm durch die Luft schwirrt oder aufgrund gepflasterter Böden allzu deutlich wird, dass die Dreharbeiten auf einem Fabrikgelände stattfanden. Im Großen und Ganzen erweist sich die finstere Atmosphäre dennoch als größter Pluspunkt einer Produktion, die auch eine Reihe spannender Momente zu bieten hat, als Gesamtkonstrukt jedoch nur teilweise überzeugt.
KURZFAZIT
Solide Umsetzung einer vielversprechenden Idee.
Oscar Madness Film 462 (2 Nominierungen)
In wohl kaum einem anderen Lebensbereich dürften zahlreiche Menschen derart wehmütig auf vergangene Entscheidungen zurückblicken wie in beruflichen Belangen und vor allem in Beziehungsfragen. Die Wahl des Wohnorts und der Umgang mit einem (nicht) vorhandenen Kinderwunsch dürften wohl ebenfalls weit vorne stehen. Die ersten drei dieser Fragen werden in 'Past Lives' intensiv verhandelt, die vierte schwingt zumindest implizit mit.
Konkret geht es um eine junge Frau und einen nahezu gleichaltrigen Mann, die früher gemeinsam die Schulbank drückten und darüber hinaus auch einen großen Teil ihrer Freizeit gemeinsam verbrachten. Zwölf Jahre später trennt die beiden nicht nur eine unterschiedliche Lebensplanung, sondern auch eine Distanz von mehreren tausend Kilometern. Durch ein paar Mails und Videotelefonate finden beide wieder ein Stück weit zueinander. Nachdem ein weiteres Dutzend Jahre vergangen ist, macht Hae-Sung sich auf den Weg nach New York, um die mittlerweile verheiratete Nora zu besuchen.
Regisseurin Celine Song folgt dem verhinderten Liebespaar bei einigen besonders prägnanten Wegmarken in ihrer gemeinsamen Zeit: Der Moment des Wiedersehens, die Phase des erneuten Kennenlernens und das Aufeinandertreffen der beiden Männer. Schnitte werden dabei äußerst behutsam gesetzt, sodass man als Zuschauer den Eindruck gewinnen kann, als unsichtbarer Begleiter dem Geschehen beizuwohnen. Mal macht sich Unsicherheit bei den Protagonisten breit, mal Beklemmung und manchmal auch beides zugleich. Inszeniert sind die Ereignisse auf eine Weise, die sich extrem nah am realen Leben orientiert. Offenkundig werden hier zum Teil auch tatsächliche Begebenheiten verarbeitet; zwar vielleicht nicht in Bezug auf die Rahmengeschichte, aber höchstwahrscheinlich doch hinsichtlich mehrerer Einzelsituationen. Wer Szenen daraus aus dem eigenen Leben wiederkennt, wird einer Sichtung sicherlich mehr abgewinnen können als jemand ohne biographische Bezüge dazu. Nicht zuletzt wegen dieser Verankerung im Konkreten dürfte 'Past Lives' auf ein mehr als beachtliches Abschneiden während der Award Season 2024 zurückblicken können.
KURZFAZIT
Lebensnahes Drama mit einer auf den ersten Blick rudimentären Handlung, das seine Punkte in vermeintlich kleinen Dingen sammelt.
Oscar Madness Film 461 (1 Nominierung)
++ Enthält SPOILER ++
Alles beginnt mit einem Mann (David Oyelowo), der augenscheinlich ein glückliches Leben mit seiner Frau und seinem Kind führt. Die Sonne scheint sprichwörtlich, aber auch buchstäblich, über ihnen und ihnen ist zum Tanzen zumute. Ein rücksichtsloser Radfahrer stört kurz die Idylle, doch halb so wild. Wenige Augenblicke später ändert sich die Lage dann aber doch grundlegend und auf traumatisierende Weise. Der Rest des Geschehens beschäftigt sich – wie der Titel schon vermuten lässt – mit den Nachwirkungen dieses Ereignisses.
Aufgrund der kurzen Spieldauer von lediglich knapp zwanzig Minuten bleiben viele Aspekte der Handlung im Vagen und werden der Phantasie der Zuschauer überlassen. Dem Protagonisten wurde mutmaßlich keine effektive Hilfe bei der Traumabewältigung zuteil. Jedenfalls scheint er sich in der Folge isoliert und wohl auch überfordert zu fühlen; überfordert im Umgang mit Einsamkeit und Trauer, aber auch mit der Profanität des Alltags. Manche Menschen, mit denen er in Kontakt kommt, scheinen regelrecht gebannt von Banalitäten zu sein, andere gehen gerade durch ihre ganz persönliche Hölle. Der Hauptcharakter hingegen erscheint wie eine leere Hülle oder ein Geist und ist offenbar nur körperlich anwesend – bis er eines Tages Fahrgäste transportieren soll, die unabsichtlich (bzw. im Fall der beiden Erwachsenen) tölpelhaft auf seine mentale Achillesferse zielen.
Am Ende erscheint alles noch viel trostloser, als es ohnehin schon war. Denn Dayo ist nicht nur allein mit seinem Schmerz, manche Charaktere begegnen ihm (aus durchaus nachvollziehbaren Gründen) auch noch mit Unverständnis. Woher sollen Zufallsbekanntschaften in seinem Alltag auch wissen, was in ihm vorgeht?
Die Geschichte, die hier erzählt wird, erweckt zwar den Eindruck hoher Relevanz, doch was soll man daraus mitnehmen? Vielleicht einen Aufruf zu mehr Achtsamkeit und Rücksicht im Alltag. Allerdings hätte man dazu auch etwas weniger marktschreierisch auftreten können.
KURZFAZIT
Gewichtiger Inhalt reißerisch verpackt.
Oscar Madness Film 460 (1 Nominierung)
Jonathan Michael „Jon“ Batiste aus Kenner, Louisiana, entstammt einer Musikerfamilie, zu der auch Linonel Batiste, Milton Batiste und Harold Battiste gehören (woher die unterschiedliche Schreibweise der Nachnamen kommt, entzieht sich meiner Kenntnis). Sowohl Jon als auch Lionel wirkten in der HBO-Serie 'Treme' mit, deren Handlung zum Teil auf der Familiengeschichte dieser Musikerdynastie beruht. Jon ist mehrfacher Grammypreisträger und wurde 2021 gemeinsam mit Atticus Ross und Trent Reznor (Nine Inch Nails) mit einem Oscar für den besten Soundtrack ('Soul') ausgezeichnet, zu dem Batiste die Jazz-Stücke beigesteuert hatte. 2024 wurde er (gemeinsam mit Dan Wilson) in Form einer Nominierung für das Stück 'It Never Went Away', das während des Abspanns der Dokumentation 'American Symphony' zu hören ist, erstmals auch in der Kategorie „Bester Song“ berücksichtigt.
Filmemacher Matthew Heinemann ('Cartel Land') stellt dabei Batistes musikalisches Wirken (hauptsächlich während der Jahre 2021 und 2022) den massiven Herausforderungen im Privatleben gegenüber. Seine Lebensgefährtin Suleika Jaouad, die er im Verlauf der beiden gezeigten Jahre auch heiratet, hat mit dem erneuten Ausbruch einer Leukämieerkrankung zu kämpfen, während er die größten Erfolge seiner bisherigen Karriere zu verbuchen hat. Der Kontrast zwischen dem schillernden, wenn auch bisweilen von Nachdenklichkeit geprägten, Bühnenleben und dem niederschmetternden Alltag in Krankenhäuser könnte kaum größer sein. Suleika spendet er durch seine Erfolge etwas Trost und Freude, auf der anderen Seite ist er aufgrund beruflicher Verpflichtungen oft unterwegs.
Batiste und Jaouad gewähren Heinemann teils sehr intime Einblicke, die an einer Stelle jedoch auch ironisch konterkariert werden, wenn Batiste in einem Telefonat sagt, er habe gerade abseits der Öffentlichkeit mit einer schwierigen Entscheidungen zu ringen, währenddessen eine Kamera im Rahmen der Dreharbeiten für diese Doku auf ihn gerichtet ist. Bei aller Schwere des Themas kann sich durchaus die Frage stellen, was man als Zuschauer aus dieser Dokumentation mitnehmen kann. Vielleicht die Einsicht, dass Glück enorm fragil ist und ein sorgenfreies Leben jederzeit in eine Tragödie umschlagen kann. Oder die Erkenntnis, dass jeder Augenblick ebenso kostbar ist wie soziale Strukturen und die Möglichkeit, ein intaktes Gesundheitssystem nutzen zu können (was in den USA natürlich noch stärker eine finanzielle Frage ist als hierzulande). On top kommt natürlich die Feststellung, dass auch Stars nur Menschen sind, aber diese erscheint im Vergleich zu den beiden erstgenannten Gedanken dann doch recht banal.
Wenn Heinemann seinen Ansatz hier und da etwas nachgeschärft hätte, wäre durchaus auch eine Nominierung in der Sparte „Bester Dokumentarfilm“ erreichbar gewesen, denn zumindest auf die entsprechende Shortlist hat es 'American Symphony' geschafft. Ganz nebenbei liefern die Produzenten aber auch ein Zeitdokument über die Spätphase der Covid-19-Pandemie ab, deren Auswirkungen während der gezeigten Szenen allgegenwärtig sind.
KURZFAZIT
Große Triumphe und tragische Ereignisse auf engstem Raum vereint.
Oscar Madness Film 459 (1 Nominierung)
Wenn das Publikum auf Streamingdienste ausweicht, um weniger Werbespots ertragen zu müssen, wird mittelfristig eben zu anderen Strategien gegriffen. Apple hat es mit einer Firmengründermythosverfilmung über einen Kuscheltierhersteller vorgemacht und nun zieht Disney eben mit einem ähnlichen Film über einen Getränke- und Snackhersteller nach. Nachdem bereits in den Vorjahren so manch andere Produktionen über Spielwarenproduzenten, Modelabels oder Anbieter digitaler Dienstleistungen vergleichsweise gut von Publikum und Filmpreisjuroren angenommen wurden, hat sich im Lauf der Jahre ein regelrechtes Subgenre herausgebildet.
Konkret geht es in Eva Longorias Mischung aus Biopic und Firmenmythos 'Flamin' Hot' um einen Kleinkriminellen, der gerne auch mal in einem „halb geliehenen“ Auto herumfährt, bis er schließlich von seinen Angehörigen dazu gedrängt wird, eine legale Geldquelle zu erschließen. Also heuert er als Hausmeister in einer Fabrik an, in der Knabberzeug hergestellt wird. Schon nach kurzer Zeit entwickelt er größere Ambitionen sowie die Idee für ein Produkt, dass diese Firma bisher offenbar noch nicht in ihrem Portfolio hat. Zwar scheinen ähnliche Artikel bereits von anderen Herstellern produziert zu werden, doch diese haben nicht annähernd die Marktmacht seines Arbeitgebers. Jetzt muss er also nur noch den CEO des Konzerns von seiner Idee überzeugen (darunter macht er es nicht) und der ohnehin schon mächtige Konzern kann seine Stellung innerhalb des Oligopols weiter zementieren.
Will solche Geschichten wirklich jemand sehen? Offenbar schon, denn zugegeben: Die Erzählung fällt recht kurzweilig und heiter aus. Gut geklaut ist eben halb gewonnen. Wie schon Michael Pena in den ersten beiden 'Ant-Man' Filmen darf auch der hiesige Erzähler anderen Charakteren mit seiner Stimme flapsig vorgetragene Dialogzeilen in den Mund legen – und überhaupt wird dieselbe Klaviatur gespielt wie in vielen anderen spielfilmlangen Werbespots auch. Damit verhält es sich mit diesem Film dann schließlich wie mit den Produkten, die hier im Fokus stehen. Eine Tüte Chips und eine Flasche Cola ergänzen sich gegenseitig recht gut und leeren sich auch schnell, sofern man solche Dinge gerne mag. Nach dem Verzehr liegt einem allerdings ein Batzen von zweifelhaftem Nährwert im Magen, der sich irgendwie auch nicht besonders gesund anfühlt.
KURZFAZIT
Ein Film wie eine Tüte Chips. Alle paar Monate mal ein Produkt von dieser Sorte reicht völlig; und selbst das ist eigentlich schon zu viel.
Oscar Madness Film 458 (1 Nominierung)
Seit 1789 ist alles anders - und irgendwie doch nicht. In Frankreich (und kurze Zeit später auch in anderen Ländern) werden die Aristokraten entmachtet. Das Bürgertum möchte sich die Macht sichern bzw. zurückholen und gerät dabei vom Regen in die Traufe – oder zumindest unter eine mehr oder minder weltumspannende Dusche. Statt Königen und Fürsten regiert nun der Geldadel – und in Chile knapp zwei Jahrhunderte später ein Graf (El Conde). Dieser hatte bereits bei den Missständen in und um Versailles seine Finger mit im Spiel.
Doch wie kann das sein? Die Antwort ist erschreckend einfach: Er ist ein Vampir. „Seinem“ Volk saugt er buchstäblich das Blut aus den Adern. An Diebstahl hat er nach eigener Aussage ähnlich viel Spaß wie am Morden. Eine entsetzliche Situation für seine fünf Kinder. Wie sollen sie denn jemals etwas erben, wenn der eigene Vater nahezu unsterblich ist? Im späteren Verlauf der Handlung wird ein noch größerer Bogen zu einer anderen Persönlichkeit von zweifelhaftem Ruf gespannt – doch es wäre gemein, das schon an vorab zu verraten; denn der Weg zum Ziel ist auch so schon steinig genug. Denn so ungewöhnlich die Prämisse auch sein mag, den Stil, in dem die Handlung an das Publikum gebracht wird, muss man schon mögen. Große Teile des Geschehens werden durch eine Stimme aus dem Off vermittelt. Die überaus ambitioniert eingefangenen Bilder sind fast ausschließlich schwarz-weiß gehalten und die allermeisten satirischen Einlagen werden derart trocken vorgebracht, dass sie leicht im Sammelsurium der Kuriositäten untergehen könnten. Besonders die zynisch-bissigen Spitzen werden mit großer Selbstverständlichkeit fast schon im Vorbeigehen vorgetragen. Aufmerksames Zuhören und Zusehen wird also belohnt, kann hier und da aber auch zu einer Herausforderung geraten, zumal der Handlungsaufbau nicht unbedingt einem konventionalisierten Muster folgt. Zumindest in Bezug darauf kann man sich mitunter eher in einem Theatersaal als im Fernsehsessel wähnen. Der Ansatz ist aller Ehren wert, erinnert gelegentlich aber auch ein Stück Beef Jerky, auf dem man als Zuschauer knapp zwei Stunden lang herumkauen soll. Substanz ist vorhanden, Würze ebenso, doch von einer vollwertigen Mahlzeit ist man meilenweit entfernt.
KURZFAZIT
Satirische Betrachtung politischer Missstände.
Oscar Madness Film 457 (1 Nominierung)
++ Der folgende Beitrag enthält SPOILER. Eigentlich ist der gesamte Text sogar ein einziger SPOILER. Doch in diesem Fall geht es nicht anders. ++
Eine Frau denkt im Erwachsenenalter an die bittersüßen Urlaube zurück, die sie als Kind bei den Großeltern verbracht hat. Süß war allerdings nur Omas Kuchen. Ansonsten war Oma nicht präsent. Zumindest dann nicht, wenn es darauf ankam. Opa hingegen war immer da. Mit Adleraugen am Badesee, nachts im Schlafzimmer oder bei nächtlichen Ausflügen in den Wald. Dorthin ist er mit seiner Enkelin gefahren, um den Geräuschen der Tiere zu lauschen. Das funktioniert natürlich nur, wenn das Kind ganz leise ist. Und zwar nicht nur im Wald, sondern auch danach. Das Mädchen kehrt mit einem Blutfleck auf dem Kleid zurück. Oma bleibt unsichtbar. Auch nachts, wenn Opa durch das Haus schleicht und Türen öffnet, die er keinesfalls öffnen sollte. Das Mädchen wiederum fürchtet sich Nacht für Nacht vor Monstern und möchte einfach nur nicht gefunden werden.
Die Tage sind nicht viel besser als die Nächte. Opa fährt mit der Kleinen wiederholt an einen verlassenen See. Dort lässt sich immerhin Opas Geruch abwaschen. Der alte Mann mit den übergroßen Pranken lässt das Kind zu keiner Sekunde aus den Augen. Sein Verhalten rechtfertigt er damit, dass in früheren Tagen die Leiche einer Frau im See gefunden worden sei. Was ihr zugestoßen ist, bleibt unklar. Weitere Kinder werden als geisterhafte Erscheinungen gezeigt. Für deren Hintergrund gilt dasselbe wie für den der (vermeintlichen oder tatsächlichen) Wasserleiche.
Wenn Opa im Garten ist, kümmert er sich um seine Rosen. Er bindet sie fest – nur um ihnen dann doch die Blüten abzuschneiden. Warum? Er sieht ihnen nicht gern beim Welken zu, sagt Oma. Opa mag es offenbar gerne jung oder tot. Das Horn eines Dickhäuters, das er im Haus aufbewahrt, unterstreicht dies zusätzlich.
Stéphanie Clément reiht mehrere Vorkommnisse aneinander, von denen eines für sich genommen – zumindest in der gezeigten Form – nicht zwingend etwas aussagen muss. In einer derartigen Häufung (noch dazu innerhalb des zeitlich eng begrenzten Rahmens eines Urlaubs) erscheint es jedoch schwer bis unmöglich, an Zufälle zu glauben. Man muss nicht übermäßig achtsam sein, um in Fällen wie diesem Alarmsignale zu erkennen; doch wer den Kopf in den Sand stecken will, tut das eben. Kinder werden schließlich ohnehin nur selten ernst genommen. Regisseurin Stéphanie Clément und Drehbuchautor Marc Rius geben ihnen mit ihrem animierten Kurzfilm 'Dickhäuter' eine Stimme und kleiden die Situation in entsprechende Bilder.
KURZFAZIT
Oberflächlich betrachtet eine etwas kryptisch vorgetragene, unheilvolle Geschichte. Im (nicht allzu stark verborgenen) Subtext eine Erzählung über Missbrauch und mögliche Bewältigungsstrategien.
Oscar Madness Film 456 (1 Auszeichnung)
In Zeiten, in denen ganze Branchen ihre Geschäftsmodelle auf geplanter Obsoleszenz aufbauen, verkommen Repair Shops fast schon zu einem Kuriosum. Bei zahlreichen Arbeiten, die vor einigen Jahrzehnten noch von vielen Endnutzern selbst ausgeführt wurden, kann man anno 2024 schon froh sein, wenn man noch jemanden findet, der sie als Auftragsarbeit ausführen kann und will. Nicht nur in der Computer- und Automobilbranche setzen sich zunehmend Typen und Modelle durch, bei denen defekte Komponenten nicht mehr ohne Weiteres bzw. nur noch unter erhöhtem Aufwand getauscht werden können. Bei den meisten Musikinstrumenten besteht dieses Problem in der Form (zumindest bisher) zwar noch nicht, aber auch dort wird es immer schwieriger, Defekten durch Reparaturen beizukommen. Für manche Musiker ist das eine Frage von Sentimentalitäten, für andere eine finanzielle und letztlich auch soziale. Wer sich ein Instrument vom Mund abspart, wird es im Schadensfall oft nicht gerade mühelos ersetzen können. Besonders brisant kann diese Frage dann werden, wenn soziale Strukturen oder die persönlichen Bildungschancen daran hängen. Manch einer würde eben den Kontakt zu den musizierenden Freunden vermissen, andere spekulieren auf ein Stipendium an einer Musikhochschule und wieder anderen hilft das Hobby des Musizierens bei der Strukturierung der Freizeit.
All diese Gesichtspunkte werden – teils mit leuchtenden Augen – von Musikschülern hervorgebracht, von denen nicht wenige erstaunlich erwachsen über die Thematik sprechen. Zwar erscheint es möglich, dass einige von ihnen in Vorgesprächen für den geplanten Gegenstand dieser Kurzdokumentation sensibilisiert wurden, vielleicht wurden aber auch nur dutzende Schüler befragt, um derartige Aussagen quasi zwangsläufig zu erhalten (in dem Sinne, dass man nur genügend Menschen befragen muss, bis die eine oder andere naheliegende Antwort von jemandem geäußert wird), doch sei es drum.
Ebenfalls befragt werden einige Menschen, die die Reparatur der besagten Instrumente in die Hand nehmen. Jeder von ihnen verknüpft diese berufliche Tätigkeit mit einschneidenden Erlebnissen aus der persönlichen Vergangenheit (Finanzprobleme, ein Coming Out, Vertreibung aus Aserbaidschan), die eines gemeinsam haben: Sie alle verweisen darauf, sich lange Zeit als Außenseiter gefühlt zu haben, ehe sie über die Musik Teil einer größeren Gruppierung werden durften.
Das Ende vom Lied: In der abschließenden Szene musizieren viele der zuvor gezeigten Personen generationenübergeifend gemeinsam und vermischen dabei verschiedenste Stilrichtungen.
KURZFAZIT
Ambitionierter Ansatz, warmherzige Botschaft, aber augenscheinlich – womöglich auch mit Blick auf die Award Season - etwas überkonstruiert.
Oscar Madness Film 455 (7 Nominierungen)
In Bezug auf die Academy Awards scheint Netflix bei seinen Exklusivinhalten mit (im buchstäblichen Sinn) farblosen Produktionen besonders gut zu fahren. Nach dem durchschlagenden Erfolg in Bezug auf Nominierungen und Auszeichnungen von Beiträgen wie 'Roma', 'Mank' oder 'Blond' müssen den Verantwortlichen Kandidaten wie 'El Conde' und 'Maestro' (wenngleich es sich dabei um keinen reinen schwarz-weiß Film handelt) vermutlich bereits im Vorfeld wie eine Card Blanche vorgekommen sein. Nur wenig überraschend stellte sich dann in dieser Hinsicht auch stante pede der entsprechende Erfolg ein: Am 23. Januar 2024 wurden sieben Nominierungen für 'Maestro' sowie eine weitere für 'El Conde' verkündet.
Die Handlung beginnt mit der Leitung eines Konzerts, zu der Leonard Bernstein so gut wie keine Vorbereitungszeit hatte. Auch wenn der Mensch hinter der Fassade des berühmten Künstlers eine wichtige Rolle in diesem Drama spielt, wurde also bewusst sein beruflicher Durchbruch als Einstiegspunkt in die Erzählung gewählt. Mit einem fulminanten Auftakt macht Bernstein unter Musikkennern auf sich aufmerksam – ein gefundenes Fressen für einen versierten Darsteller wie Bradley Cooper, der so auch eine außerordentlich extrovertierte Facette eines ansonsten als halbwegs introvertiert porträtierten Charakters präsentieren kann. Carey Mulligan reüssiert in ihrer Hauptrolle, die als eine Mischung aus Gegenpol und unterstützender Begleiterin angelegt ist, nicht minder prestigeträchtig.
Als deutlich streitbarer erweist sich hingegen das Drehbuch, das zwar ebenfalls für einen Oscar nominiert wurde (wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil es mit einer vergleichsweise unkonventionellen Struktur aufwartet), dessen Autoren Bradley Cooper und Jish Singer sich allerdings auch die Frage gefallen lassen müssen, ob es nicht zu sehr auf ein Fachpublikum (nicht im Sinne von „Musikexperten“, sondern eher bezogen auf Kenner der Vita von Bernstein) ausgerichtet ist. Gerade nach dem Eingangszitat, wonach Kunst in erster Linie Fragen stellen statt beantworten solle, erscheint zweifelhaft, ob diese in Coopers Inszenierung auch in ausreichender Klarheit formuliert wurden. Oder anders gesagt: Über weite Strecken bleibt – trotz zahlreicher nebulöser Andeutungen und vom Offenkundigen mal abgesehen – unklar, worin die inhaltliche Brisanz dieser Erzählung liegen soll. Da während der ersten Hälfte auch die Spannung auf eher niedrigem Niveau köchelt (auch wenn dieser Eindruck womöglich subjektiv ist), könnte man auf den Gedanken kommen, dass die Handlung in erster Linie als Vehikel für die darstellerischen Leistungen dienen soll – was ja auch keineswegs verwerflich ist und angesichts herausragender Leistungen gerechtfertigt erscheint. Doch falls es tatsächlich die selbstgestellte Aufgabe Coopers gewesen sein sollte, mit diesem Film Fragen zu stellen, hätte er sie auch so artikulieren können, dass sie auch verstanden werden, wenn man kein ausgewiesener Bernstein-Kenner ist.
Wie dem auch sei: Die Wettquoten, dass Netflix auch in Zukunft mit Blick auf prestigeträchtige Awards Produktionen veröffentlichen wird, die ganz oder teilweise in schwarz-weiß gehalten sind, dürften wahrscheinlich nicht sehr hoch stehen. Never change a running system. Erst recht, wenn es sich seit den Anfängen der Filmkunst etabliert hat.
KURZFAZIT
Streitbare Filmbiographie mit einigen knackigen Thesen als Diskussionsgrundlage. Ob die breite Masse tatsächlich darüber debattieren möchte, steht aber auf einem ganz anderen Blatt.
Oscar Madness Film 454 (2 Nominierungen)
Alles beginnt mit einem Rückblick auf die Anfänge der Forschung zu künstlicher Intelligenz, der nahtlos in einen Ausblick auf eine dystopische Zukunft übergeht. Die Vermutung liegt nahe, dass wir uns auf einer alternativen Zeitlinie oder in einem anderen Universum befinden, doch eigentlich ist diese Frage auch nicht wichtig.
Rund hundert Jahre nach den US-Amerikanischen Militärinterventionen in Japan, Korea, Vietnam, Laos und Kambodscha wüten westliche Streitkräfte erneut in Fernost. Dieses mal primär gegen Roboter und Androiden, gewissermaßen aber auch gegen die einheimische menschliche Bevölkerung. Zwischen den Fronten findet sich ein ehemaliger Agent (John David Washington) mit massiven Erinnerungslücken wieder, der sich anhand eines vagen Versprechens widerwillig für einen letzten Einsatz rekrutieren lässt. Für ihn persönlich wird die Mission zu einer in die Zukunft gerichteten Reise in die eigene Vergangenheit. Ein Oxymoron, das sich schnell auflösen lässt: Er selbst verspricht sich das Wiedererlangen verlorener Erinnerung davon, es steht allerdings auch die Lösung des blutigen bzw. (aus Robotersicht) öligen Konflikts im Raum.
In einem unterkühlten, reflektierten und bisweilen fast schon depressiven Erzählton wird der Protagonist auf die Suche nach einem vermeintlichen MacGuffin geschickt, der sich jedoch schnell als etwas entpuppt, das kaum jemand erwartet haben dürfte. Erwartungsgemäß hingegen gestaltet sich das Verhalten der Militärs. Nachdem sich Menschen jahrhundertelang gegenseitig die Schädel einschlugen, sollte der Einsatz künstlicher Intelligenz die Wende bringen. Doch falsch gedacht. Nun machen eben Menschen und Maschinen gegenseitig Jagd aufeinander. So oder so ähnlich sieht das Ergebnis dann wohl aus, wenn sich Bestien (bezogen auf die Spezies, nicht auf das konkrete Individuum) zu Schöpfern aufschwingen wollen. Der Abfall fällt eben nicht weit vom Stamm – bzw. man kann froh sein, wenn er überhaupt ein Stück vom Stamm entfernt zum Liegen kommt.
Gareth Edwards ('Godzilla', 2014) Inszenierung erscheint wie ein Sammelsurium an inhaltlichen und visuellen Zitaten aus mannigfachen Genres. Anleihen bei Roadmovies wie 'Paper Moon' und 'Logan – The Wolverine' sind ebenso augenfällig jene aus Kriegsfilmen wie 'Apocalypse Now'. In Sachen Produktionsdesign gingen augenscheinlich auch Einflüsse von Villeneuve und Blomkamp nicht ganz spurlos an Edwards vorbei, was aber keinesfalls bedeuten soll, er hätte abgekupfert, sondern vielmehr in dem Sinne zu verstehen ist, dass er nicht hinter die Ästhetik seiner „Vorgänger“ zurückfällt. Der Lohn für Edwards Crew: Oscarnominierungen für die visuellen Effekte und den Ton.
KURZFAZIT
Betont ruhig vorgetragenes Gleichnis in einem dystopischen Setting.
++ Minimale SPOILER ++
Claire Darling (Catherine Deneuve) löst Hals über Kopf ihren gesamten Haushalt auf. Sie möchte so viel wie möglich verschleudern, überwiegend zu symbolischen Preisen. Dies gilt sowohl für Haushalts- als auch für Kunst- und Sammlergegenstände, denn sie ist fest davon überzeugt, dass sie in der kommenden Nacht sterben wird. Verkompliziert wird die Lage jedoch dadurch, dass sie bereits eine Reihe kognitiver Ausfallerscheinungen zeigt. Sie verwechselt Personen, schätzt Situationen falsch ein und vergisst Dinge und Gedanken teils binnen kürzester Zeit wieder. Und als wäre dem nicht genug, liegen auch noch dunkle Schatten über ihrer familiären Vergangenheit.
Julie Bertuccelli (Regie) bedient sich in erster Linie zweier erzählerischer Stilmittel, von denen ihre Inszenierung geprägt ist. Fast schon als Klassiker lässt sich der Rückgriff auf (teils auch verschachtelte) Rückblicke bezeichnen. Aus der Reihenfolge, wann welche Erinnerungen hochkochen, ergibt sich ein ganz eigener Handlungs- und Spannungsaufbau, den man durch eine chronologische Erzählweise nicht ansatzweise hätte erreichen können.
Als fast noch spannender erweist sich der damit einhergehende stete Perspektivwechsel zwischen Mutter und Tochter. Mal erinnert sich Claire, während sie reale Situationen oder deren subjektive Zerrbilder durchlebt, und mal ihre Tochter Marie, die nach längerer Zeit mal wieder in ihrem Heimatort aufschlägt. Für deren jahrelanges Fernbleiben gibt es triftige Gründe, die nach und nach enthüllt werden. Neben dem Prozess des Alterns spielen also auch die Kategorien Schuld und Vergebung eine maßgebliche Rolle in dieser Verfilmung.
Der einigermaßen innovative Erzählstil ist es dann auch, der dieses Drama aus der Masse ähnlicher Filme abhebt. Zudem entfacht Julie Bertuccelli nicht zuletzt aufgrund der Ansiedlung der Handlung in einem alten Anwesen, das durchaus Charakter hat, eine recht eigenständige Atmosphäre, durch die ihrer Verfilmung ein wiedererkennbarer Stempel aufgedrückt wird.
KURZFAZIT
Poetischer Kommentar zu verschiedenen Facetten des Lebens und des Sterbens.
++ Leichte SPOILER ++
Eine junge Frau, die auf eine etwas holprige Jugendzeit zurückblickt, erstattet Anzeige wegen einer Vergewaltigung. Die zuständigen Ermittler zweifeln an ihrer Glaubwürdigkeit und verunsichern sie so sehr, dass sie ihre Aussage revidiert, was ihr wiederum selbst juristischen Ärger einbringt. Als es einige Zeit später in einem anderen Bundesstaat zu ähnlichen Übergriffen kommt, rollen die dortigen Ermittler – gegen enorme Widerstände - auch den Fall der vermeintlich unglaubwürdigen jungen Frau wieder neu auf.
Im Zentrum der Handlung von 'Unbelievable' steht eine Protagonistin, die vom Regen in die Traufe und wieder zurück in den Regen gerät. Ganz unabhängig von der Stichhaltigkeit ihrer Strafanzeige (deren Umstände erst im späteren Verlauf dieser Miniserie erhellt werden) werden ihre Ausführungen – nicht zuletzt aufgrund ihrer sozialen Vorgeschichte – von den zuständigen Beamten von Anfang an in Zweifel gezogen. Auf umfassende Ermittlungen wird daher zunächst verzichtet. Statt der besagten Strafanzeige zunächst vorurteilsfrei nachzugehen, wird regelrecht nach Gründen gesucht, um die Hände in den Schoß legen und den Fall abschließen zu können. Wie in vielen anderen Justizdramen und Dokumentarfilmen aus den Vereinigten Staaten scheint auch hier die Devise zu sein, entweder irgendeine beliebige Person (vorzugsweise mit niedrigem Bildungsgrad oder schlechter finanzieller Situierung) als Täter zu präsentieren oder die Tatvorwürfe als haltlos darzustellen. Hauptsache, die Statistik der vermeintlich gelösten Fälle stimmt. Wer sich einen guten Anwalt leisten kann oder einen findet, der sich des Falles pro bono annimmt, kommt aus solchen Fällen zumeist wieder heraus. Alle anderen haben eben Pech gehabt.
Kaitlyn Dever, deren Stern nicht zuletzt durch ihre Mitwirkung im Cast der Sitcom 'Last Man Standing' aufging, ehe sie sich im Dramengenre einen Namen machen konnte, meistert ihre keineswegs einfach angelegte Rolle in 'Unbelievable' bemerkenswert, wodurch die Inszenierung eine beachtliche Erdung erfährt. Weitere namhaft besetzte Rollen (Toni Colette, Dale Dickey, Danielle MacDonald u.a.) tun ihr Übriges zu diesem Eindruck hinzu.
KURZFAZIT
Bisweilen unbequem, doch gerade deshalb besonders sehenswert.
Irgendwo in Texas. Auf einer Farm, die auch in Kansas stehen und die zweite Heimat von Superman sein könnte, liegt ein offenbar schwerkranker Mann im Delirium. Seine Ehefrau macht einen traumatisierten bzw. verstörten Eindruck. Der Sohn und die Tochter der beiden reisen an, um die Mutter zu unterstützen und sich vom Vater zu verabschieden. Schon kurz nach ihrer Ankunft spüren die beiden (bzw. zuerst die Tochter und etwas später auch ihr Bruder), dass eine ungewohnte Finsternis über dem Anwesen liegt, die sich nur schwer (be)greifen oder in Worte fassen lässt. Der Verdacht liegt nahe, dass Schatten aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinragen und nun ihren Tribut einfordern. Doch ehe die Geschwister realisieren, was dort vor sich geht, werden sie in einen Strudel gesogen, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.
Angereichert ist die recht überschaubare Geschichte mit einer Vielzahl an Details, von denen nicht wenige höchst bedeutungsschwanger daherkommen. Das Spiel mit christlicher Symbolik und (verbal sowie visuell vermittelten) Metaphern wird mal subtil und mal plakativ betrieben. Doch ob wirklich jede Einzelheit auch bedeutungstragend ist oder der Handlung einen doppelten Boden verleiht, sei dahingestellt. Etwas eindeutiger verhält es sich mit verschiedenen Verweisen auf zurückliegende Ereignisse mit offenbar verheerenden Nachwirkungen, die hier und da angedeutet werden. So gesehen werden mehrere Charaktere von innen und außen bedroht – also aus der eigenen Psyche heraus ebenso wie aus ihrem Umfeld. Das Böse hat sich gewissermaßen im Elternhaus manifestiert und greift nun auf die Bewohner und deren Besucher über.
Erzählt wird diese Geschichte in düsteren Bildern und einem bedrohlichen Erzählton. Die Jumpscares schleichen sich regelrecht an und poltern nur auf gebremstem Pegel, funktionieren aber vielleicht gerade deswegen vergleichsweise effektiv. Frische Impulse werden durch die Inszenierung von 'The Dark and the Wicked' zwar nicht in das Genre getragen, doch in dieser Produktion ist eben der Weg das Ziel. Und genau dieser Weg fällt bemerkenswert düster aus.
KURZFAZIT
Relativ überschaubare Geschichte, die in einem fast schon diabolischen Erzählton zum Besten gegeben wird.
Oscar Madness Film 453 (1 Auszeichnung, 5 weitere Nominierungen)
Nur selten hat ein Filmtitel ein derart umfangreiches Werk versprochen, nur um letztlich eine völlig andere Art von Geschichte zu liefern. Schließlich spielt der Titel 'The Queen' nicht nur auf irgendeine Königin an, sondern auf DIE Königin schlechthin. Königinnen anderer Länder scheinen für die Autoren bestenfalls eine untergeordnete Rolle zu spielen. Dasselbe gilt für die Amtsvorgängerinnen der britischen Monarchin, zu denen immerhin auch Victoria gehört. Desweiteren würde man bei einem Film dieses Titels vielleicht auch eine halbwegs umfassende Filmbiographie erwarten. Doch weit gefehlt; gezeigt wird nur ein kurzer (wenn auch besonders einschneidender und wahrscheinlich symbolträchtiger) Ausschnitt aus ihrer Amtszeit.
Nach dem Tod von Prinzessin Diana prasselt von außen derart viel auf das Königshaus ein, dass die Situation selbst für die royalen Medienprofis zu einer riesigen Herausforderung wird. Stellenweise macht sich regelrecht Ratlosigkeit über den öffentlichen Umgang mit der Situation breit. Vielleicht sind es gerade solche Extremsituationen, in denen Verhaltensweisen ans Tageslicht kommen bzw. an die Öffentlichkeit dringen, die eine Königin, die zeitlebens als Meisterin der Selbstbeherrschung galt, ansonsten niemals freigeben würde. Möglicherweise geben diese aufgrund der mentalen Angespanntheit ein Zerrbild wieder, vielleicht kommt aber gerade hier der Mensch hinter einer ansonsten meterdicken Fassade zum Vorschein. Dasselbe gilt in abgeschwächter Form auch für ihren Sohn und Thronfolger Charles.
Stephen Frears ('Victoria & Abdul') liefert anhand dieser Ausgangslage intime - wenn auch teils hochspekulative - Einblicke in das Innere des Buckingham Palace. Oscarnominierungen in den besonders prestigeträchtigen Kategorien Regie, Original-Drehbuch und Bester Film sprechen eine deutliche Sprache hinsichtlich der Ambitionen, die hier auf inhaltlicher Ebene verfolgt werden. Die Auszeichnung von Helen Mirren als beste Hauptdarstellerin stellt die (wie soll es auch anders sein) Krönung der hier erzielten Leistungen dar. Ihrer reflektierten und nuancierten Darbietung merkt man mehr oder weniger über die gesamte Spieldauer hinweg die schier unfassbare Akribie an, mit der sie sich auf die Rolle vorbereitet haben muss. Wie tief auch immer man sich vor einer Monarchin verneigen muss, Helen Mirren hat für die hier dargebotene Leistung eine nicht minder respektvolle Ehrerbietung verdient. Weitere Nominierungen für die Filmmusik und die Kostüme runden das Bild einer erfolgreichen Award Season ab,
KURZFAZIT
Stephen Frears Inszenierung von 'Die Queen' liefert zwar nicht genau das, was man angesichts des Titels vielleicht erwarten würde; doch innerhalb der gewählten Prämisse wird auf mehreren Ebenen exzellente Arbeit geleistet.
Produktionsmeeting bei Beck Woods, Bron Creative und Columbia Pictures:
„Lass mal 'nen Film machen, in dem Menschen gegen Dinosaurier kämpfen.“
- „Du meinst, wie die 'Jurassic Park' Filme?“
„Nein, billiger.“
- „Nee, lass mal, wir sind doch nicht Asylum.“
„Dann nehmen wir statt der Menschen halt Aliens, die genauso aussehen wie Menschen, verlegen die Handlung 65 Millionen Jahre in die Vergangenheit und nennen das Projekt '65'“
- „Geile Idee, bin dabei!“
Ausbaden dürfen es jetzt die Zuschauer...
Na gut, ganz so schlimm ist es nicht, aber von wirklichen Ambitionen sind die Regisseure Scott Beck und.Bryan Woods dennoch weit entfernt. Die Handlung passt auf einen Bierdeckel und ist weder besonders innovativ noch hebt sie sich in irgendeiner sonstigen Form aus der grauen amorphen Masse an Science Fiction Produktionen ab. Zwar liefern sowohl Adam Driver als auch der Rest der Crew durchaus solide Arbeit ab, wodurch '65' auch keineswegs zu einem Fiasko gerät; aber zu einem größeren Wurf scheint es an mindestens einem Funken an Inspiration zu fehlen. Routiniert wird die minimalistische Handlung heruntererzählt, wobei aber immerhin in Sachen Laufzeit, die mit rund anderthalb Stunden recht überschaubar ausfällt, keine Gefangenen genommen werden.
Der Protagonist strandet mit seinem Raumschiff auf einem für ihn fremden (und für uns wohlbekannten) Planeten, wo er es mit dinosaurierartigen Tieren zu tun bekommt. Immerhin hat er Glück im Unglück. Das Ende der Kreidezeit, und damit ein Massensterben riesigen Ausmaßes, liegt in erdgeschichtlichen Maßstäben noch nicht lange Zeit zurück. Die allergefährlichsten Raptoren sind also ohnehin bereits von der Erdfläche verschwunden. Mit der verbliebenen Fauna kann er es angesichts guter Bewaffnung durchaus aufnehmen.
Besonders die Pflanzenwelt wirkt nur bedingt stimmig. Ein Großteil der Wälder, die die beiden Hauptcharaktere durchstreifen, sehen aus wie moderne Holzplantagen. Dass Locationscouts mit den Orten arbeiten müssen, die es nun mal gibt und an denen die Voraussetzungen für einen Dreh gegeben sind, liegt ebenso auf der Hand wie die Einhaltung produktionsbedingter Zwänge (wenn beispielsweise die Vergabe von Filmfördermitteln an Dreharbeiten in bestimmten Regionen geknüpft wird). Doch auch innerhalb derartiger Grenzen hätte man vermutlich ein paar geeignetere Drehorte finden können. Zumindest ein Teil der gewählten Locations wirkt aber halbwegs stimmig.
Und so bleibt am Ende eben der Eindruck von etwas Licht, ein wenig Schatten und sehr viel Grau dazwischen. Pures Mittelmaß eben.
KURZFAZIT
Solide Mischung aus Science Fiction und Abenteuer.
Oscar Madness Film 452 (2 Nominierungen)
++ Minimale SPOILER ++
Kaum zu glauben: Woody Allen dreht einen Film über einen Neurotiker aus New York, dessen Rolle er selbst spielt...
Eine Zusammenfassung der Handlung erübrigt sich also mehr oder weniger von selbst, da die Unterschiede zwischen seinen Neurotikerporträts sowieso überwiegend im Detail liegen. Ganz besonders frappierend erscheinen allerdings die Parallelen zwischen 'Manhattan' (1979) und 'Hannah und ihre Schwestern' (1986). Zwar spielt Allen in letzterem Drama eher eine Nebenrolle, in der er einige der bisher von ihm dargestellten Charaktere persifliert, doch ansonsten wirken beide Filme auf vielfache Art verbunden. Beide erweisen sich als etwas kuriose Liebeserklärungen an New York, die mittels einer langen Reihe an thematischen Überschneidungen formuliert werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit fallen dabei folgende Orte, Situationen und inhaltlichen Motive ins Auge:
Buchladen, Southampton, Hörverlust, Kinderwunsch, ein Job bei einer Fernsehproduktion, jemand schreibt ein Buch, es wird auf Noam Chomsky verwiesen, es gibt Seitenhiebe gegen den Nationalsozialismus, jemand hat eine Affäre mit einem verheiratetem Mann und ein Besuch bei einer Kulturveranstaltung ('Manhattan': Ausstellung, 'Hannah und ihre Schwestern': Konzert) gefällt nur einem von beiden.
Eingefleischte Fans von Woody Allen werden sicher noch weitere Überschneidungen erkennen, doch das Prinzip dürfte auch so klar sein. Gewissermaßen wirkt der neuere der beiden Filme wie ein cineastischer Nachtrag zum älteren, bei dem sich Allen die „Was wäre wenn?“ Frage stellt (im Sinn von: „Wie hätte die Situation andernfalls verlaufen können?“).
'Manhattan' wartet im direkten Vergleich der beiden Filme jedoch auch mit so manchen Eigenarten auf. Auffallend ist beispielsweise in der Figurenzeichnung, dass der Protagonist verbale Angriffe in der Regel verhältnismäßig energisch durchführt, während er oftmals kleinlaut wird und anfängt zu nuscheln, sobald er sich in Rechtfertigungszwang sieht. Selbstironisch treten allerdings beide der von ihm verkörperten Charaktere auf. Als eines der Highlights in dieser Hinsicht erweist sich eine Szene, in der Isaac Davis (Woody Allen) eine Filmidee auf Band spricht, in der es um Leute in Manhattan geht, die neurotische Probleme erfinden, um sich nicht mit den wirklich gewichtigen Fragen auseinandersetzen zu müssen.
Bei aller Kreativität und allem Mitteilungsdrang des Autorenfilmers ist jedoch schon erstaunlich viel Routine mit ihm Spiel, auch wenn es sich bei 'Manhattan' um ein Werk aus seinem ersten Karrieredrittel handelt. Seine Fans werden hier zuverlässig bedient; wer vor der Sichtung noch keiner war, wird aber auch durch diesen Film wohl keiner mehr werden (außer man kannte sein Œuvre zuvor noch nicht).
KURZFAZIT
100% Woody Allen.
Oscar Madnessn Film 451 (1 Nominierung)
Als Julianne (Julia Roberts) die Nachricht erhält, dass ihr langjähriger Freund Michael (Dermot Mulroney) in Kürze heiraten wird, steht für sie die Welt Kopf. Zu allem Überfluss verkörpert die zukünftige Braut Kimberly (Cameron Diaz) auch noch das komplette Gegenteil von ihr. Während sich die Protagonistin zynisch bis schnippisch ihren Weg durch den Alltag bahnt, erscheint Michaels Zukünftige im direkten Vergleich geradezu unbedarft. Der Bräutigam wiederum findet sich plötzlich zwischen zwei Extremen wieder: Zwischen seiner rebellischen Ex und seiner zumeist zurückhaltenden Verlobten - und in gewissem Sinne auch zwischen seiner eigenen Vergangenheit und Gegenwart, was wiederum die Frage aufwirft, wie er sich wohl seine Zukunft vorstellen mag.
Auch wenn 'Die Hochzeit meines besten Freundes' eine fast schon prototypische Romcom darstellt, so lässt sich die Inszenierung von P. J. Hogan rückwirkend durchaus auch als indirektes Zeitdokument über die Wertevorstellungen im Hollywood der 90er Jahre begreifen. Aufgeworfen wird dabei die Frage nach zwei doch recht unterschiedlichen (monogamen) Beziehungsmodellen. Eine offene oder gar polyamoröse Beziehung werden nicht einmal ansatzweise in Betracht gezogen. Ähnlich verhält es sich mit dem Charakter von Juliannes Kumpel George. In einer Szenen wird die Frage aufgeworfen, ob er denn hetero- oder homosexuell sei; an Bi- oder gar Pansexualität wird gar nicht erst gedacht. Vorsichtshalber stellt er gegen Ende auch nochmal explizit klar, wie er sich selbst verortet. Um nicht falsch verstanden zu werden: Dieser Befund ist absolut wertneutral und wirkt sich weder positiv noch negativ auf die Bewertung aus; es soll lediglich der Wertewandel sichtbar gemacht werden, der seither in (zumindest manchen) Filmproduktionen Einzug gehalten hat bzw. inwiefern sich Hollywood diesbezüglich von vielen kleineren Arthouseproduktionen abgrenzt.
Unabhängig von derlei inhaltlichen Aspekten ließ 'Die Hochzeit meines besten Freundes' in Bezug auf die Filmmusik aufhorchen, die 1998 für einen Oscar nominiert wurde. Zwar hatte James Newton Howard im Rahmen der Verleihung das Nachsehen gegenüber Anne Dudley, die für ihre Arbeit an 'Ganz oder gar nicht' mit einer Goldstatue ausgezeichnet wurde, ein Eintrag in zahlreiche Filmchroniken ist der Crew von P- J. Howard aber dennoch gelungen.
KURZFAZIT
Größtenteils unspektakuläre Beziehungskomödie, die wahrscheinlich mehr über Hollywood aussagt als über den Rest der Gesellschaft.
Als Flugbegleiterin Cassandra (Kaley Cuoco) nach einer durchzechten Nacht neben einer Leiche aufwacht, ändert sich ihr Leben von einem Tag auf den anderen radikal. Zwar war ihr Alltag auch schon zuvor chaotisch, doch was anschließend folgen wird, ist auch für sie eine neue Dimension des Wahnsinns. Hinzu kommt, dass sie mit ihrer Zerstreutheit und ihrer Unzuverlässigkeit die Situation zusätzlich selbst massiv verschärft. Statt den imaginären bzw. sinnbildlichen Wagen sanft aus dem Sand zu fahren, gräbt sie ihn mit einer Mischung aus Leichtfertigkeit und panikartigen Überreaktionen immer tiefer ein. Kann das gutgehen?
Passend zur Prämisse und der Konzeption der Hauptfigur steuert Blake Neely einen Score bei, der sprunghafter und ausdrucksstärker kaum sein könnte. Augenscheinlich bzw. ohrenscheinlich soll dabei die Gedankenwelt der des Mordes verdächtigten Flugbegleiterin hörbar gemacht werden. Als Zuschauer wird man so in ihre Welt des Chaos mit hineingezogen, ob man es will oder nicht. Der Vorspann wiederum deutet – begleitet vom musikalischen Hauptthema – auf nebulöse Weise einzelne Entwicklungen der Handlung der ersten Staffel an, ohne aber zu viel vorwegzunehmen. In erster Linie werden entweder surreale Einschübe ohne konkreten Bezug zur Story gezeigt oder Motive angedeutet, deren Bedeutung sich erst im Nachhinein erhellt.
Während der zweiten Staffel läuft dann nicht nur das Verhalten der Hauptfigur, sondern die komplette Handlung aus dem Ruder – auch und besonders in Bezug auf einigen Nebencharaktere. Ruhmloser Höhepunkt des ganzen Treibens ist eine hanebüchene Agentengeschichte, wodurch sich diese Produktion endgültig ins Reich der Groteske verabschiedet.
Letztlich dürfte alles damit stehen und fallen, ob man die Allüren der Protagonistin erträgt und ob man den Stil der Inszenierung mag oder nicht. Wer sich darauf einlassen kann und will, bekommt die vergleichsweise innovativ inszenierte Verfilmung eines an und für sich haarsträubenden Drehbuchs geboten.
KURZFAZIT
Chaotische Protagonistin (eine abgehobene Flugbegleiterin) in einer durchgeknallten Geschichte.