Framolf - Kommentare

Alle Kommentare von Framolf

  • 7 .5

    Als Blake (Colin Firth) erfährt, dass sein Vater aufgrund einer Erkrankung vermutlich nicht mehr lange leben wird, quartiert er sich im Haus seiner Eltern ein. Dort übermannt ihn eine Vielzahl an Erinnerungen an die Jugendzeit. Besonders gemeinsame (Schlüssel-)Erlebnisse mit seinem Vater stehen dabei im Vordergrund, wodurch im Verlauf der Handlung ein mosaikartiges Charakterporträt des Vaters – aber auch seines Sohnes – entsteht. Hauptsächlich treten unbewältigte Konflikte und unzureichend verheilte Wunden an die Oberfläche.

    Nach einem eher unscheinbaren Beginn wächst sich Anand Tuckers Inszenierung von 'Die Zeit, die uns noch bleibt' zu einem gefühlvollen Werk aus, das so manche Eindrücke visualisiert und verbalisiert, die viele Zuschauer aus ihrem eigenen Leben kennen dürften. Gerade der retrospektive Blick legt eine Vielzahl von Eindrücken frei, wie man sie (zumindest von der Struktur her) vielleicht auch aus dem eigenen Leben kennt. Man erinnert sich im Nachhinein eben oft an skurrile Ereignisse oder kauzige Charakterfacetten und Schrulligkeiten, wobei sicherlich auch die eine oder andere ungeklärte Frage hochkochen kann. Auch wer bereits Erfahrungen in der Sterbebegleitung gesammelt hat, dürfte hier einige Phänomene (wie beispielsweise intervallweise Aussetzer der Atmung) wiedererkennen.

    Alles in allem vermittelt dieses Familiendrama also den Eindruck, dass hier Erfahrungen und Impressionen aus der Biographie des Autors (und wahrscheinlich auch des Regisseures) verarbeitet und in ein cineastisches Format gebracht wurden. Der Umgang mit Details aus der erzählten Gegenwart und Vergangenheit legt diesen Schluss jedenfalls sehr nahe. Am Ende schließt Tucker (zwar nicht expressis verbis, aber zumindest implizit) mit der Erkenntnis, dass familiäre Beziehungen nur in den seltensten Fällen unkompliziert verlaufen, doch dass Schatten nur dort fallen können, wo es auch Licht gibt.

    KURZFAZIT

    Unscheinbares Drama, das sich in der Publikumsresonanz (in Bezug auf die Aufmerksamkeit) deutlich unter Wert schlägt.

    30
    • 4 .5

      Ruth und Harry (Maika Monroe und Jake Lacy) brechen zu einer gemeinsamen Wanderung auf. Für ihre Rucksacktour haben sie sich ein wunderbares Ziel ausgesucht. Das Waldgebiet ist schwach frequentiert und extrem weitläufig. Offenbar ist die Gegend auch keine reine Holzplantage, sondern es konnte bisher ein gewisser naturnaher Charme bewahrt werden. Die beiden Wanderer sind also relativ alleine mit sich selbst und ihrem Partner. Großartige Voraussetzungen, sofern man in einer intakten Beziehung lebt, aber durchaus riskant, wenn unter der Oberfläche Konflikte brodeln. Verschärfend kommt hinzu, dass die beiden nichts von der Gefahr ahnen, die dem Publikum schon früh angekündigt wird.

      Die Handlung von 'Significant Other' beginnt als halbwegs düstere Mischung aus Beziehungsdrama und Thriller. Auch wenn die Geschichte eher beschaulich beginnt, liegt von Beginn an ein dunkler Schatten über dem Glück der beiden Wanderer. Nach und nach zieht sich die Schlinge enger, wobei zunächst nicht ganz klar ist, ob die größte Gefahr aus dem Inneren der Beziehung oder doch von außen bzw. oben droht. Nach und nach werden die genaueren Umstände schrittweise und wendungsreich enthüllt, bis irgendwann die Katze endgültig aus dem Sack ist. Spätestens ab diesem Zeitpunkt beginnt die Story, richtig holprig zu werden. Beim Hinterfragen der Handlung sollte man dann besser nicht mehr allzu tief bohren, sondern sich einfach nur noch zurücklehnen. Die Atmosphäre bleibt schließlich packend und auch wenn einige Facetten der Handlung zu Stirnrunzeln führen können, wird die Spannung über weite Strecken aufrechterhalten.

      Grundsätzlich gibt es ganz gewiss schlechtere Thriller, doch am Ende bleibt auch der Eindruck einiger verpasster Chancen.

      KURZFAZIT

      Vielversprechende Figurenkonstellation, sehenswertes Setting, ordentliche Atmosphäre, aber einige hanebüchene Entwicklungen der Handlung.

      33
      • 6 .5
        Framolf 28.02.2024, 01:42 Geändert 04.02.2025, 05:06

        Oscar Madness Film 450 (1 Auszeichnung, 4 weitere Nominierungen)

        Paula hat ein Problem. Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten hat dieser die Wohnung, in der sie noch lebt, untervermietet. Vielleicht als Abschiedsgruß, um sie zu verärgern, vielleicht aber auch, um sie mit dem Neuankömmling zu verkuppeln und so irgendwann keine Verpflichtungen mehr zu haben. Wie auch immer, wichtig ist nur: Der neue Mitbewohner, der plötzlich vor der Tür steht, entpuppt sich schnell als nur mäßig erfolgreicher Schauspieler, der einen relativ unkonventionellen und bisweilen auch chaotischen Lebensstil pflegt. Beispielsweise spielt er ganz gerne mal nachts um drei Uhr nackt Gitarre. Was man halt so macht in einer Wohngemeinschaft... Paula wiederum könnte humorloser kaum sein. Auf mittlere Sicht werden sich beide aber irgendwie zusammenraufen müssen. Hinzu kommt, dass Paula eine Tochter hat, die sich eigentlich eine neue Vaterfigur wünscht, aber auf der anderen Seite auch Angst hat, erneut im Stich gelassen zu werden.

        Regisseur Herbert Ross hat bei seiner Inszenierung das große Privileg, mit einem Cast arbeiten zu dürfen, der im Rahmen der Award Season 1978 für bemerkenswerte Erfolge sorgte. Hauptdarsteller Richard Dreyfuss konnte mit 30 Jahren als bis dato jüngster Schauspieler einen Oscar für den besten Hauptdarsteller einheimsen. Marsha Mason (Paula) und Quinn Cummings (Paulas Filmtochter Lucy) wurden ebenso nominiert wie Drehbuchautor Neil Simon und Produzent Ray Stark (in der Kategorie Bester Film).

        Heiter wird es besonders dann, wenn zwei gegensätzliche Lebensentwürfe aufeinanderprallen oder wenn sich bei der Inszenierung eines Theaterstücks der Regisseur und sein Hauptdarsteller mit den Plänen und Allüren des jeweils anderen auseinandersetzen müssen.

        Randnotizen:

        Als Hauptdarsteller war zunächst Robert DeNiro eingeplant, wurde dann jedoch durch Richard Dreyfuss ersetzt, da letzterer als passender für die Rolle an sich, aber auch für das Zusammenspiel mit seiner Filmpartnerin erachtet wurde.

        Die Rolle der Protagonistin soll auf Marsha Masons Lebensgeschichte beruhen, die acht Jahre lang mit Drehbuchautor Neil Simon verheiratet war.

        Dustin Hofmann behauptete in einem Interview, die männliche Hauptrolle beruhte in der ersten Drehbuchversion auf Episoden aus seiner Karriere. Jedoch kam es im Verlauf der Textgenese und der Produktion zu zahlreichen Änderungen.

        KURZFAZIT

        Locker vorgetragene Beziehungskomödie, die vor allem von ihren Metagags über die Schauspielerzunft (und andere im Kunst- und Kulturbetrieb maßgebliche Akteure) lebt.

        34
        • 7 .5
          Framolf 27.02.2024, 02:11 Geändert 04.02.2025, 05:05

          Oscar Madness Film 448 (1 Nominierung)

          Im Jahr 1939 probt eine polnische Schauspieltruppe ein satirisches Stück über Hitler und seine Schergen. Auf ganz eigene Weise erzeugt der Hauptdarsteller eine Wechselwirkung mit dem Warschauer Alltag, doch schon kurz danach bricht der Zweite Weltkrieg aus. Ersatzweise gibt die Truppe daher – der Filmtitel 'Sein oder Nichtsein' deutet es bereits an - 'Hamlet' zum Besten. In die Wirren des Krieges wird sie trotzdem hineingezogen, was die Mitglieder des Ensembles auf ihre ganz eigene Weise lösen wollen. An kreativen Einfällen mangelt es ihnen jedenfalls nicht; doch ihr Plan verläuft nicht annähernd so reibungslos wie erhofft.

          Auffallend in Bezug auf die politische Dimension der Handlung ist vor allem der spielerische Umgang mit der Thematik. Dadurch werden einerseits den Nationalsozialisten die Zähne gezeigt, andererseits lässt sich dadurch aber auch erahnen, dass das ganze Ausmaß des Schreckens zum Zeitpunkt der Produktion noch nicht für jeden absehbar gewesen sein dürfte. Regisseur Ernst Lubitsch und Drehbuchautor Edwin Justus Mayer brachte dieser Umstand teilweise auch harsche zeitgenössische Kritiken ein. Insgesamt fiel das Echo wohl gemischt aus. Erst in der Retrospektive verschob sich das Gesamtbild deutlich in den positiven Bereich. Eine prestigeträchtige Würdigung erhielt Komponist Werner R. Heymann jedoch bereits 1943 in Form einer Oscar-Nominierung (Gewinner: Max Steiner für seine Musik zu 'Reise aus der Vergangenheit').

          Unabhängig von Biss, Spott und wohlgesetzten Pointen gegen die uniformierten Aggressoren geizen Skript und Regie auch nicht mit augenzwinkernden Scherzen über Eigentümlichkeiten des Theaterbetriebs. Alleine die Wahl des Titels zeigt schon auf, dass neben der gesellschaftlichen und politischen Dimension eben auch die kulturelle auf's Korn genommen werden soll. Denn immer wenn Hauptdarsteller Joseph Tura die berühmten Worte spricht, steht ein Zuschauer auf und verlässt den Saal. Den selbstverliebten Schauspieler kränkt und wurmt dies so sehr, dass er trotz aller Brisanz selbst unter größter Lebensgefahr die Pflege seines persönlichen Rufes betreiben will, woraus sich wiederholt heitere Szenen ergeben.

          7,5 – 8 Punkte.

          KURZFAZIT

          Bissige Satire, die gleich mehrere zeitgenössische Felder ins Visier und auf's Korn nimmt.

          34
          • 5 .5

            Ein paar Gangster planen einen Mordanschlag auf einen wichtigen Funktionsträger. Dafür heuern sie nicht irgendeinen dahergelaufenen Trottel an, sondern niemand geringeren als Paco, die Kampfmaschine des Todes! Den Titel Kampfmaschine kann man dabei getrost wörtlich nehmen. Denn Paco ist kein normaler Durchschnittsmensch, sondern ein optimierter Android. Allerdings einer, den Gewissensbisse plagen, was aus Sicht seiner Schöpfer natürlich einen Makel darstellt. Dementsprechend zetteln diese eine gnadenlose Jagd auf ihn an. Doch eines lassen sie dabei außer Acht: Auch eine fehlerhafte Kampfmaschine des Todes kann diesen Gaunern noch böse einheizen! Eigentlich hat er zwar gar keine Lust auf Konfrontation, aber wenn es Not tut, packt er eben seine optimierte (und selbst reparierte) Faust aus und gibt seinen Widersachern (und den Zuschauern), was sie brauchen.

            Coole Frisuren, blonde Frauen, Cyborgs, Trucks, Explosionen, ein Helikopter, Wettbewerbe im Armdrücken, ein ganz besonders reißerischer Titel, ein Filmplakat, auf dem der Oberarmumfang des Protagonisten drei mal größer wirkt als in der Realität – hier wird wirklich kein Klischee der 80er Jahre ausgelassen. Und genau das kann 'Paco – Kampfmaschine des Todes' für Genrefans zu einem kleinen Erlebnis machen. Eine Extraportion Käse gibt es gratis als Zugabe mit dazu – und natürlich jede Menge Stylingtipps sowie ein paar trockene Sprüche. Wer mit trashigen Actionern aus den 80ern nicht viel anfangen kann, wird naturgemäß auch mit Paco nicht glücklich werden. Doch wer im letzten Jahrhundert in der Videothek gerne mal am Regal mit den B-Movie Actionfilmen hängen geblieben ist, kann mit Paco eine kleine Zeitreise zurück erleben, die im Vergleich zu vielen anderen Filmen aus demselben Subgenre noch halbwegs solide ausfällt.

            KURZFAZIT

            80er Jahre Actiontrash, der sich selbst so ernst nimmt, dass es schon wieder augenzwinkernd wirkt.

            35
            • Framolf 25.02.2024, 07:58 Geändert 25.02.2024, 08:01

              Bester Film (10 Nominierungen)
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              Anatomie eines Falls
              Die letzte Fahrt der Demeter
              Call Me Chihiro
              Stimme des Herzens - Whisper of the Heart (2023)
              Die Frau im Nebel
              The Banshees of Inisherin

              Beste Regie (10 Nominierungen)
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              Park Chan-wook (Die Frau im Nebel)

              Bestes Drehbuch (10 Nominierungen)
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              Anatomie eines Falls
              Call Me Chihiro
              Die Frau im Nebel

              Bester Darsteller (10 Nominierungen)
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              Brendan Fraser (The Whale)
              Bill Nighy (Living - Einmal wirklich leben)
              Colin Farrell (The Banshees of Inisherin)
              Brendan Gleeson (The Banshees of Inisherin)

              Beste Darstellerin (10 Nominierungen)
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              Sandra Hüller (Anatomie eines Falls)
              Kerry Condon (The Banshees of Inisherin)
              Kasumi Arimura (Call Me Chihiro)
              Runa Yasuhara (Stimme des Herzens - Whisper of the Heart)
              Tang Wei (Die Frau im Nebel)

              Schlechtester Film (5 Nominierungen)
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              Candy Cane Lane
              EXMas
              Die Familie Claus 3

              Bester Animationsfilm (5 Nominierungen)
              ---------------------------------------------------
              -

              Beste Kamera (5 Nominierungen)
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              Babylon
              Die Frau im Nebel
              Die letzte Fahrt der Demeter

              Beste Ausstattung (Kostüme + Kulisse, 5 Nominierungen)
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              Die letzte Fahrt der Demeter
              Babylon

              Bester Schnitt (5 Nominierungen)
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              Anatomie eines Falls

              Beste Effekte (5 Nominierungen)
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              Guardians of the Galaxy Vol. 3

              Beste Filmmusik (5 Nominierungen)
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              Babylon

              Bester Song (5 Nominierungen)
              ------------------------------------------------
              P.I.M.P. (Instrumental Version) (Anatomie eines Falls)

              Beste Serie (5 Nominierungen)
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              Atlanta
              Snowfall
              Der Pass
              The Walking Dead: Daryl Dixon
              The Walking Dead: Dead City

              Bester Seriendarsteller (5 Nominierungen)
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              Woody Harrelson (White House Plumbers)
              Carter Hudson (Snowfall)
              Carter Hudson (Der Morgen davor und das Leben danach)
              Colin O'Brien (Der Morgen davor und das Leben danach)

              Beste Seriendarstellerin (5 Nominierungen)
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              Amy Forsyth (Der Morgen davor und das Leben danach)
              Jenna Qureshi (Der Morgen davor und das Leben danach)
              Gail Bean (Snowfall)

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              • 5
                über Red Dot

                Ein junges Paar, das kurz nach der Verlobung eigentlich eine besonders gute Phase in der Beziehung durchleben sollte, scheint eine unsichtbare Barriere zwischen sich zu haben. Beide gehen irgendwie reserviert miteinander um und wirken zumindest nicht so vertraut, wie man es rund um einen Verlobungstermin idealerweise sein sollte. Es lässt sich nicht genau greifen, was sich in der Beziehungsdynamik zwischen ihnen abspielt, aber die Atmosphäre zwischen ihnen erscheint eisig. Passenderweise besteht ihr Rezept gegen dieses Stimmungstief ausgerechnet in einem Ausflug in eine verschneite Bergregion. Angekommen in der Urlaubsgegend ecken sie zunächst standesgemäß bei einem Rudel Hinterwäldler an. Wie der Titel schon verrät, finden sie sich kurze Zeit später im Fadenkreuz eines (oder mehrerer) Schützen wieder. Keine guten Voraussetzungen für eine Paartherapie im Do it Yourself Style.

                Alain Darborg (Regie) macht gar nicht erst Anstalten, das Thrillerrad neu erfinden zu wollen. Der Handlungsaufbau ist (abgesehen von einem kleinen Kniff) geradezu klassisch und gefühlt wird fast schon systematisch eine Checkliste mit bewährten Horror- und Thrillermotiven abgearbeitet. Dementsprechend solide, aber auch uninspiriert fällt auch das Ergebnis aus, das fast ausschließlich durch eine kleinere Umstellung im Erzählaufbau am Leben gehalten wird. [Indirekter SPOILER:] Die Backstorywound wird erst verhältnismäßig spät enthüllt. [SPOILER ENDE]

                Der Fluch, aber auch der Segen dabei: Genrefans bekommen mehr oder weniger das, was sie im Vorfeld erwarten dürften. Kalkulierte Überraschungen funktionieren bei alten Filmfan-Hasen eben nur noch bedingt. Insofern ist es natürlich auch nicht leicht, ein Publikum, das mit Wendungen rechnet, mit einer ebensolchen zu überrumpeln. Alain Darborg ist die Erledigung dieser Aufgabe passabel gelungen; nicht mehr, aber auch nicht weniger.

                KURZFAZIT

                Kalt und über weite Strecken berechenbar, jedoch auch gespickt mit ein paar wenigen Überraschungen.

                29
                • 5 .5
                  Framolf 23.02.2024, 22:11 Geändert 04.02.2025, 05:05

                  Oscar Madness Film 447 (1 Auszeichnung, 6 weitere Nominierungen)

                  Wenn es den Wesenskern von Monumentalfilmen der 50er und 60er Jahre ausmacht, so ziemlich alles zu bieten außer Understatement, dürfte Cecil B. DeMilles Version von 'Die zehn Gebote' wohl DAS prototypische Beispiel schlechthin für dieses Subgenre sein.

                  Die Handlung wird offenbar wörtlich genommen. Die Option, sie im übertragenen Sinn aufzufassen und entsprechend zu interpretieren, stand offenbar nur bei sehr wenigen Szenen zur Debatte. In einer epischen Spieldauer von rund 220 Minuten wird das Leben des Moses nacherzählt – beginnend mit seiner Geburt über die Teilung des Roten Meeres und den Empfang der zehn Gebote bis hin zur Ankunft am Jordan.

                  Da die Geschichte den allermeisten Zuschauern während der 50er Jahre sicherlich bestens bekannt gewesen sein dürfte, war es den Produzenten offenkundig ein großes Anliegen, über die B-Note für Furore zu sorgen, was ihnen ohne jeden Zweifel gelungen sein dürfte. Besonders der Marsch durch das Rote Meer sorgte in dieser Hinsicht für Aufsehen, was 1957 nicht zuletzt in einer Prämierung mit einem Oscar für die besten Spezialeffekte Ausdruck fand. Für die besagte Szene musste unter anderem ein Tank mit einem Fassungsvermögen von 1,3 Millionen Liter Wasser gebaut werden. Weitere Nominierungen gab es in den Kategorien Kamera, Schnitt, Ton, Ausstattung, Kostümdesign und Bester Film. Gerade die Kostüme und Requisiten wirken aufwändig gestaltet; oftmals auch in einem verspielten Stil. Gerade in finanzieller Hinsicht hat sich der Aufwand durchaus gelohnt, denn den kolportierten Produktionskosten in Höhe von knapp 13,3 Millionen Dollar stehen Einnahmen von 65,5 Millionen Dollar gegenüber.

                  Als nicht minder beachtlich erweist sich ein Blick auf die Besetzungsliste, auf der sich mit Charlton Heston (in der Rolle des Moses), Yul Brynner, Vincent Price, Yvonne De Carlo, Anne Baxter und einigen weiteren eine Reihe bekannter Namen findet. Randnotizen: Moses als Säugling wird von Charlton Hestons Sohn Fraser Clarke Heston dargestellt. Audrey Hepburn war ebenso für eine Rolle im Gespräch wie Jack Palance und William Boyd.

                  Selten war ein Blick auf Oscarnominierungen so aufschlussreich wie im Fall von 'Die zehn Gebote': Gerade in den handwerklichen Kategorien (die natürlich auch künstlerische Facetten beinhalten) wurde aufsehenerregende Arbeit geleistet, während in den ganz besonders ausdrucksstarken Sparten wie Schauspiel oder Musik zwar gute Ergebnisse erzielt wurden, aber im Rahmen der Award Season nicht ganz so große Ausrufezeichen gesetzt werden konnten. Die Ausnahme in Form einer Nominierung bei den Golden Globes für Charlton Heston bestätigt die Regel letztlich nur.

                  KURZFAZIT

                  Aufwändig inszeniertes Epos von herausragender handwerklicher Qualität.

                  26
                  • 7 .5
                    Framolf 22.02.2024, 21:23 Geändert 04.02.2025, 05:04

                    Oscar Madness Film 446 (1 Auszeichnung, 4 weitere Nominierungen)

                    Ein junger Reisender (oscarpämiert: Sidney Poitier) legt einen Zwischenstopp ein, um eine Gruppe von Nonnen, Einwanderinnen aus der DDR, um Kühlwasser zu bitten. Diese verwickeln ihn in ein Gespräch und ehe er sich's versieht, soll / darf / muss er ihnen Englischunterricht erteilen und eine Kapelle für sie errichten. Über Material für das Bauwerk verfügen sie zwar nicht, aber es wird sich schon alles fügen. Überhaupt solle sich der Durchreisende keine Gedanken machen. Schließlich bekommt er ja ein Ei zum Frühstück...

                    Drehbuchautor James Poe und Regisseur Ralph Nelson, beide ebenso oscarnominiert wie Kameramann Ernest Haller und Nebendarstellerin Lilia Skala, machen sich aus dieser Prämisse einen Spaß, indem sie darauf eine leicht verdauliche Komödie aufbauen, die an manchen Stellen wie ein früher Vorläufer der 'Sister Act' Filme wirkt. Im Stile eines Feelgood Movies werden vor allem zu Beginn der Geschichte zahlreiche heitere Situationen geschildert, in denen zwar keine ganz großen Schenkelklopfer geboten werden, sich aber eine ganze Reihe augenzwinkernd vorgetragener Dialoge findet. Hier und da gibt es auch kleinere Verweise auf Bibelverse, die mehr oder minder verschmitzt in die Handlung mit eingewoben werden. Die Dialogzeile, die es sogar zum Filmtitel gebracht hat, ist dabei sicherlich das hervorstechendste Beispiel: Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.

                    Das Lebensmotto der Nonnen wird damit perfekt eingefangen. Protagonist Homer Smith (sein Vorname verweist mit Blick auf den griechischen Dichter ja bereits auf eine gewisse Rastlosigkeit), der den Hauptanteil der körperlichen Arbeit beim Bau der Kapelle zu schultern hat, kann darüber nur gequält schmunzeln. Doch auch wenn für ihn so gut wie nichts in der Geschichte nach Plan verläuft, kann er doch recht gut mit den Entwicklungen leben – so wie nahezu alle anderen Charaktere auch. Denn irgendwie wird sich mit der Hilfe des Herrn schon alles fügen – wie für die Lilien auf dem Felde.

                    Gerade noch 7,5 von 10 Lilien auf dem Felde.

                    KURZFAZIT

                    Heitere Tragikomödie, deren Betonung deutlich auf dem Spaß- und Unterhaltungsfaktor liegt.

                    31
                    • 7 .5
                      Framolf 21.02.2024, 22:58 Geändert 04.02.2025, 05:04

                      Oscar Madness Film 445 (1 Nominierung)

                      ++ Leichte SPOILER ++

                      Ein junger Häftling, der nach einer ganzen Reihe an Delikten (darunter auch ein Kapitalverbrechen) das Ende seiner Haftstrafe im Blick hat, soll im Zuge seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft in einem Sägewerk arbeiten. Im Gefängnis war seine Rolle offenbar ambivalent. An Übergriffen unter den Insassen war er (mindestens) indirekt beteiligt, andererseits unterstützte er den dortigen Priester als Messdiener. Eine Geschichte also, wie sie auch das reale Leben schreiben könnte.

                      Während seiner ersten Fahrt zum Sägewerk legt er jedenfalls lieber einen Zwischenstopp an einer Dorfkirche ein, statt den verordneten Arbeitsdienst anzutreten, wodurch er eine Reihe erstaunlicher Ereignisse in Gang setzt.

                      Regie (Jan Komasa) und Drehbuch (Mateusz Pacewicz) entwickeln aus dieser Prämisse eine Geschichte, wie sie in so ähnlicher Form auch im Neuen Testament stehen könnte. Zwar trifft dies nicht auf alle Details der Handlung zu, doch in ein verfassendes bzw. zu komponierendes „Modernes Testament“ würde Daniels Geschichte vermutlich gut passen. Die Parabelhaftigkeit beginnt bereits mit dem Vornamen des Protagonisten. Auf Wikipedia ist zu dessen Herkunft folgendes notiert:
                      >> Der hebräische Vorname „Daniel“ kombiniert die semitische Wortwurzel din („richten“, „Recht schaffen“) mit dem Gottestitel El. Er bedeutet etwa „Gott hat Recht verschafft“. <<

                      Diese Herleitung spiegelt sich in einem der wichtigsten thematischen Motive des Films wider. In dem Dorf, in dem der katholische Häftling Kontakt zur Kirchengemeinde sucht, schwelt ein Konflikt, der sich nach ethischen Gesichtspunkten nur schwer lösen lässt. Schon die juristische Aufarbeitung des zugrundeliegenden Falles gestaltet sich als äußerst schwierig. In moralischer Hinsicht wähnen sich diejenigen, die in der Mehrheit sind, hingegen voll und ganz im Recht. Aus christlicher Perspektive wiederum stehen sich alt- und neutestamentarische Referenzen gegenüber. Die Produzenten dieses Dramas stellen jedoch schon durch den internationalen Filmtitel 'Corpus Christi' klar, welchen der beiden Teile sie als Diskussionsgrundlage verstanden wissen wollen. Etwas komplexer verhält es sich in Bezug auf den polnischen Originaltitel 'Boże Ciało', der auf das Fronleichnamsfest verweist. Beide Titel, deren Konnotationen Hand in Hand gehen, finden ihre Entsprechung ebenso in der visuellen Gestaltung (ganz besonders während des Finales) wie auch in den Dialogen und in der Handlungsentwicklung.

                      Gegenübergestellt werden dabei vordergründig das Motiv des Sünders, der nun sein Heil im Glauben sucht, und eine Auslebung des Glaubens, die sich eher auf das Alte Testament beruft. Doch ganz so einfach ist es nicht. Ob Daniel wirklich bekehrt ist, bleibt über weite Strecken unklar. Verschärfend kommt hinzu, dass er es bei allem Engagement mit der Ehrlichkeit alles andere als genau nimmt und ein (zumindest aus Kirchensicht) sehr exklusives Verhältnis zum Glauben pflegt, das von zahlreichen modernen, aber auch unkonventionellen (und vielleicht sogar heidnischen) Elementen geprägt ist. Ironischerweise gelingt es ihm ausgerechnet mit dieser ungewöhnlichen Mischung, Zugang zu den Köpfen und Herzen der trauernden Wutbürger im Dorf zu erlangen. Und auch auf deren Gegenseite verschafft er sich damit Gehör.

                      Wie nun also umgehen mit einer derart ungewöhnlichen Figur in einer doch recht komplexen Gemengelage? Der gordische Knoten, den der Protagonist bei der Lösung des dorfinternen Konflikts zu durchtrennen hat, erscheint bei allen Schwierigkeiten fast noch trivial im Vergleich zum Umgang des Publikums mit der Hauptfigur selbst. Daniels kompletter Auftritt ist eine einzige Lüge, die er dazu nutzen möchte, Gerechtigkeit zu sprechen (womit sich der Kreis zu seiner Namensgebung schließt). Während in Deutschland unzählige Menschen angesichts legitimierter Pfarrer, denen teils ungeheuerliche Verbrechen zur Last gelegt werden, aus der Kirche austreten, wird hier ein wahrer Fall aus Polen aufgegriffen, in dem ein verurteilter Verbrecher als Priester auftritt und sich darum bemüht, für die Gemeindemitglieder das umzusetzen, was er für Gottes Willen hält. Dass in Bezug auf seine eigene Person augenscheinlich nicht ausschließlich religiöse Kriterien handlungsleitend sind, ist davon unbenommen.

                      Bezeichnendes Detail am Rande: Während Missbrauchsopfer der katholischen Kirche oftmals Untätigkeit oder gar Vertuschung vorwerfen, wurden die durch den Scharlatan verliehenen Sakramente sanktioniert.

                      KURZFAZIT

                      Jan Komasas 'Corpus Christi' erweist sich als ein auf den ersten Blick unscheinbares Drama, das erst im Verlauf der Handlung seine wahre Komplexität und Tragweite offenbart.

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                        Framolf 21.02.2024, 01:06 Geändert 22.02.2024, 01:45

                        Sherlock Holmes ist in die Jahre gekommen. Selbst die Menschen, die gerade das reguläre Rentenalter erreichen, sind schon eine Generation jünger als er. Seit Jahren lebt er zurückgezogen mit einer Haushälterin und deren Sohn fernab der großen Metropolen. Für den Jungen fungiert er als eine Art Mentor. Ansonsten widmet er sich seinem Hobby, der Bienenzucht. Seinen Ruhestand kann er allerdings nur bedingt genießen, denn ein lange zurückliegender Fall belastet sein Gewissen und sorgt bei ihm für einen Zustand steter Unruhe. Das Problem: Sein ehemals brillanter Verstand ist – gepaart mit seiner außerordentlich gut ausgeprägten Beobachtungsgabe - nach wie vor messerscharf, doch sein Gedächtnis lässt ihn immer häufiger im Stich. Wird er das Rätsel, das ihn so sehr quält, lösen können?

                        Der wahrscheinlich größte Reiz der Konzeption von 'Mr. Holmes' liegt bereits in der Prämisse. Ein Meisterdetektiv, dessen wacher Geist sein größtes Markenzeichen war, hat mit verblassenden Erinnerungen zu kämpfen. Noch ist er mental aufgeweckt genug, um nach wie vor atemberaubende Schlussfolgerungen zu ziehen, doch niemand weiß, wie lange er noch im Stande sein wird, sich diese außerordentliche Gabe zu bewahren. Er bäumt sich regelrecht gegen die altersbedingten Veränderungen auf und sucht nach verschiedenen Strategien, um den drohenden Verfall zu bremsen. Doch mit welcher Geschwindigkeit sich sein Alterungsprozess fortsetzen wird, lässt sich nur schwer vorhersehen.

                        So gesehen beschränkt sich Bill Condons ('Die Schöne und das Biest') Inszenierung keineswegs auf reinen Fanservice (der durch einen verspielten Umgang mit diversen Motiven aus der Karriere des Meisterdetektivs durchaus auch gepflegt wird) beschränkt, sondern die Handlung lässt sich auch als Kommentar zum Leben an sich lesen. Schließlich wird der Zahn der Zeit früher oder später an jedem nagen – sofern man das wertvolle Privileg hat, bei passabler oder gar guter Gesundheit altern zu dürfen. Mr. Holmes will dieses Geschenk dazu nutzen, Schatten seiner Vergangenheit aufzuarbeiten. Und wenn das erledigt ist, bleiben noch weitere Aufgaben. Erfahrene Mentoren sind schließlich immer gefragt.

                        KURZFAZIT

                        Tiefe Verneigung vor einer großen literarischen Figur.

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                          Framolf 20.02.2024, 01:19 Geändert 04.02.2025, 05:04

                          Oscar Madness Film 444 (1 Nominierung)

                          Ein mäßig erfolgreicher Comedian tritt gemeinsam mit ein paar Kollegen, die im Lauf der Jahre seine Freunde geworden sind, regelmäßig im selben Club auf. Einer von ihnen rattert Abend für Abend denselben Text herunter, die anderen mühen sich etwas mehr ab, kommen beruflich aber auch nicht so richtig voran. Da trifft es sich für Kumail ganz gut, dass sich aus einem Zwischenruf ein Flirt entwickelt, der das Zeug zur Keimzelle für eine glückliche Beziehung zu haben scheint. Zwar dürfte seine traditionsbewusste Verwandtschaft kaum mit seiner Auserwählten einverstanden sein, doch was die Sippschaft nicht weiß... Als ein medizinisches Unglück geschieht (der Titel deutet es ja bereits an), rücken derlei Fragen allerdings ohnehin in den Hintergrund.

                          Kumail Nanjiani ('Stuber') fungiert in 'The Big Sick' als Drehbuchautor und Hauptdarsteller in Personalunion. In seiner autobiographisch eingefärbten Geschichte, die durch Regisseur Michael Showalter als Tragikomödie inszeniert wurde, wird eine Story aus seiner frühen Karrierephase nacherzählt. Die Besetzung der Protagonistenrolle mit ihm persönlich erweist sich also als zweischneidiges Schwert. Einerseits kann ihn wahrscheinlich niemand besser spielen als er selbst; andererseits wirkt er doch etwas zu alt für seine Rolle. Für deutlich mehr Furore sorgte er jedoch ohnehin durch seine Oscarnominierung für das beste Originaldrehbuch, die er 2018 zusammen mit seiner Ehefrau Emily V. Gordon einheimsen konnte. Skript und Regie bekommen heitere und tragische Passagen überzeugend unter einen Hut und erzählen eine durchaus spannende Geschichte. Auf der anderen Seite steht wie bei nahezu allen autobiographischen Werken die Frage nach dem Grad der Selbststilisierung im Raum. Schließlich nimmt der Autor einen extrem subjektiven Blickwinkel ein und entscheidet selbst, welche Ereignisse erzählt werden sollen. Manche Schriftsteller gehen verantwortungsvoll mit dieser Aufgabenstellung um, andere interpretieren sie eher frei. Zudem stellt sich (wie üblich) die Frage nach dem angemessenen Maß an Dramatisierung. Gordons und Nanjianis Autorenkollegen sind offenbar der Meinung, dass diese Fragen hier gut gelöst wurden, sonst hätten sie die besagte Nominierung (sowie einige weitere, wie etwa zum Writers Guild of America Award) nicht erhalten. Was den Umgang mit dem traditionshörigen familiären Umfeld betrifft, sieht man hier vieles, das man bereits anderswo in derselben oder einer ähnliche Form gesehen hat, doch Culture Clash Filme sind eben, was sie sind.

                          KURZFAZIT

                          Culture Clash, Künstlerbiographie, romantische Komödie und Krankenhausdrama im Paket.

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                            Framolf 19.02.2024, 01:33 Geändert 04.02.2025, 05:03

                            Oscar Madness Film 443 (1 Nominierung)

                            ++ Leichte SPOILER ++

                            Orlando, Florida. Unweit des Disney World Freizeitparks sind die Einfallsstraßen gesäumt mit Geschenkeshops, Souvenirständen und Spielwarenläden. Viele davon haben aufwändig geschmückte Fassaden und bringen so ein Stück der Märchenwelt in den Alltag des realen Lebens. Geschäftsleute wollen ein Stück vom Disney-Kuchen abbekommen und für Besucher ergibt sich eine gewisse Dramaturgie auf der Anreise: Auf der Hinfahrt fährt man an den Läden vorbei, wo bereits ein kleiner Hauch von Fiktion in den profanen Alltag hineinragt. Wenn das mal nicht die Kauflaune steigert.

                            Umso größer ist die Verwunderung bei Touristen, die sich irrtümlicherweise in einem der abgeranzten Motels mit einem immerhin klangvollen Namen einbuchen. Diese entpuppen sich schnell als Sozialbauten, wie es sie in den Vereinigten Staaten zuhauf gibt. Ganze Familien (bzw. in vielen Fällen alleinerziehende Elternteile) leben oftmals in Zimmern, die kleiner kaum sein könnten. Große Teile der Nachbarschaft lassen sich dem Prekariat zuordnen; aber eines ist auch klar: Wirklich kaputt sind immer nur die anderen. Und so beschimpfen sich nicht wenige der Bewohner munter gegenseitig. Manche unterstützen sich auch bei verschiedenen Herausforderungen des Alltags oder bilden kleinere Gemeinschaften; doch diese erweisen sich oft als außerordentlich brüchig. Zu unzureichend sind einfach die Problemlösungsstrategien mancher Leute aus den Projects. Und irgendwie brauchen viele Menschen (was ganz sicher kein exklusives Problem von finanziell schwachen Personen ist) halt auch grundsätzlich jemanden, auf den sie herabblicken können.

                            Damit ist die Prämisse von Sean Bakers 'Florida Projects' dann auch schon zusammengefasst. Oh halt, es geht ja zu einem guten Teil um die Kinder der Bewohner. Die kann man schon mal vergessen. Passiert deren Müttern ja auch manchmal. Und dem Rest der Gesellschaft sowie den zuständigen Behörden sowieso. So gesehen (und angesichts der „Vorbilder“, die einige Erwachsene abgeben), kann man fast froh sein, wenn der Nachwuchs „nur“ leerstehende Häuser anzündet. Was sie eines Tages selbst mal für Eltern abgeben werden, lässt sich zwar noch nicht sicher absehen; ihr Start ins Leben könnte allerdings kaum ungünstiger sein.

                            Und so werden wohl auch in zwanzig Jahren noch Touristen überteuerte Teddybären in den Geschenkeläden kaufen, vor denen Mütter und ihre Kinder im Abfall nach Essen suchen oder versuchen, sich mit Betrugsmaschen über Wasser zu halten.

                            KURZFAZIT

                            Oscarnomiertes Sozialdrama (Nominierung für Nebendarsteller Willem Dafoe), in dem Regisseur Sean Baker in der Tradition des Expressionismus scheinbar unvereinbare Gegensätze auf engem Raum zusammenbringt.

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                              Framolf 17.02.2024, 22:54 Geändert 19.02.2024, 01:34

                              Kann ein Film mit dem fast schon poetischen Titel 'Fireflash – Der Tag nach dem Ende' und einem derart kunstvoll gestalteten Filmplakat überhaupt schlecht sein? Natürlich nicht! Schade nur, dass er allerdings auch nicht besonders gut ist.

                              Die Menschen, die in einer fernen Zukunft – im Jahr 2019 – ihr Dasein fristen müssen, sind nicht zu beneiden. In einer postapokalyptischen Postapokalypse gilt das Gesetz des Stärkeren. Gut für alle Muskelpakete sowie für Bandenmitglieder, schlecht für die letzte fruchtbare Frau. Doch immerhin gibt es im New Yorker Untergrund der Endzeit einen tapferen Kämpfer und seine Begleiter, die sich furchtlos und einfallsreich auf ein Himmelfahrtskommando begeben, um die besagte Dame zu retten.

                              Das Drehbuch, das offenbar auch als eine von mehreren Inspirationsquellen des Retro-Spektakels 'Turbo Kid' (2015) diente, wurde selbst wiederum augenscheinlich von Einflüssen aus Filmen wie 'Mad Max' geprägt. Vor Trasheinlagen wird offenbar ganz bewusst nicht zurückgeschreckt. Ganz im Gegenteil: Einige Auswüchse werden sogar regelrecht zelebriert und auf die Spitze getrieben. Trotz eines nicht unbedingt namhaft besetzten Casts ragen mehrere Genrespezialisten aus der Besetzungsliste heraus. So ist beispielsweise die Rolle des Hünen mit dem klangvollen Namen 'Big Ape' mit George Eastman besetzt, der in 'Paco – Kampfmaschine des Todes' den Antagonisten gibt und ansonsten die Drehbücher für einige nicht minder von Understatement geprägte Filmtitel wie 'Der Fluss der Mörderkrokodile', 'Im Knast der perversen Mädchen' oder 'Porno Holocaust' zu verantworten hat. Die Hauptrolle hingegen ist mit Michael Sopkiw besetzt, dessen cineastische Vita jedoch ungleich kürzer ausfällt, was aber halb so wild ist. Sein Stirnband sitzt; alles andere war in den 80ern sowieso zweitrangig.

                              KURZFAZIT

                              Unterhaltsames Trashspektakel, das das Publikum in eine ferne Zukunft im Jahr 2019 und zurück in die 80er Jahre zugleich entführt. Fireflash macht's möglich! Gut ist das alles nicht, unterhaltsam aber allemal.

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                                Ein amerikanischer Buchautor recherchiert in St. Pauli und hofft, seine Eindrücke in seinem neuesten Werk veröffentlichen zu können. Schließlich ist die sündige Meile in Hamburg nicht nur für ihre Frivolität bekannt, sondern auch für eine hohe Kriminalitätsrate. Letztere hätte er zwar vermutlich in seiner Heimat noch viel besser studieren können, nur wo bleibt dann der Spaß? Schließlich sind nahezu alle Prostituierten derart leichtlebig, dass sie auch Hintergrundgespräche mit Reportern grundsätzlich oben ohne durchführen. Außerdem kann man ja nie wissen, vielleicht lässt sich der Gast aus den USA ja auch zu einem außerberuflichen Termin nach dem Gespräch hinreißen. Spoileralarm: Ausgerechnet bei der minderjährigen Zwangsprostituierten wird er dann tatsächlich schwach...

                                Immerhin: Wer sich Günter Hendels 'Eros-Center Hamburg' aus dem Jahr 1969 antun möchte, wird genau das vorgesetzt bekommen, was angesichts des Titels und der Produktionsjahres im Vorfeld zu erwarten ist: Ein marktschreierisches (S)Exploitationfilmchen über eine fiese Truppe von Schlägern und Menschenhändlern, hier und da etwas nackte Haut (entsprechend des Produktionsdatums aber weniger als zur Blütezeit des Genres einige Jahre später) und sogar Mord und Totschlag! Denn wie schon der Sprecher des Trailers so poetisch voller Understatement ankündigt: „Schonungslos sehen wir diese Mädchen, wie sie leben, wie sie lieben und – wenn sie Pech haben – wie sie sterben.“

                                So recht können sich die Produzenten nicht entscheiden, ob sie nun vornehmlich mit der Darstellung erotischer Tabus oder brutaler Verbrechen provozieren wollen. Mit mehreren Jahrzehnten Abstand wirken natürlich beide Versuche eher drollig; zumal hier und da auch noch kleinere Comedyeinlagen mit eingebunden werden. Für kurzweilige Unterhaltung auf Groschenromanniveau taugt dieser Streifen zwar durchaus, recht viel mehr sollte man allerdings nicht erwarten.

                                KURZFAZIT

                                Harmloses Exploitationfilmchen, das Ende der 60er Jahre sicherlich noch seine Zielgruppe gehabt haben wird, aber mehr ein halbes Jahrhundert später eher wie ein Hund wirkt, der zwar laut bellt, aber kaum noch einen Zahn im Maul hat.

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                                  Framolf 16.02.2024, 00:05 Geändert 04.02.2025, 05:03

                                  Oscar Madness Film 442 (1 Auszeichnung)

                                  Zwei junge Männer werden in der tiefsten Provinz nach einem Ladendiebstahl verhaftet und fallen aus allen Wolken, als ihnen bewusst wird, dass man ihnen statt des Eigentumdelikts einen Mord zur Last legt. Beide sind nicht besonders wohlhabend, wodurch ihnen droht, die Dienste eines Pflichtverteidigers in Anspruch nehmen zu müssen. Zum Glück hat die Mutter eines der beiden Beschuldigten die rettende Idee: Billys (Ralph Macchio) Cousin Winnie (Joe Pesci) hat eine Anwaltslizenz! Und noch besser: Er hat sogar schon sechs Wochen Berufserfahrung gesammelt! Zwar leider nur in zivilrechtlichen Fällen und bisher auch noch nie vor Gericht, aber er ist zumindest motiviert bis in die Haarspitzen. Bei der Vorverhandlung merkt man davon zwar noch nichts, aber seine Zeit wird schon noch kommen – hoffen die beiden Angeklagten jedenfalls.

                                  Jonathan Lynn (Regie) inszeniert in 'Mein Vetter Winnie' den Plot eines klassischen Justizdramas als eine Komödie, die bisweilen die Züge einer Groteske trägt. Überzeichnete Figuren und überspitzte Situationen täuschen trotzdem nicht über einen im Kern ernsten Fall hinweg. Auch wenn einige Dialoge und Handlungen bis ins Absurde übersteigert werden, ist über weite Strecken der Erzählung hinweg klar, dass die Geschichte auf durchaus ernsten und in der Realität verankerten Begebenheiten basiert. Einem Teil der Ermittler ist offenbar nur wichtig, irgendjemanden für die Tat verurteilen zu können; unabhängig davon, ob es sich dabei um die tatsächlichen Täter handelt oder nicht. Dementsprechend (wenig) akribisch fallen auch die Ermittlungen aus. Es werden nicht mehr Beweise gesichert als unbedingt nötig. Und auch der wichtigste Gutachter, auf dessen Ausführungen die Staatsanwaltschaft ihre Anklage stützt, hat sich offenkundig nicht besonders eingehend mit dem Fall befasst. Die Hauptbelastungszeugen wiederum sind auf ihren ganz eigenen Planeten unterwegs. Eigentlich ein gefundenes Fressen für jeden Strafverteidiger. Dumm nur, dass die beiden Beschuldigten einen Berufsanfänger an ihrer Seite haben.

                                  Gerade Juristen scheinen ihren Spaß zu haben an der Inszenierung von Jonathan Lynn. Im American Bar Association Journal wurde 'Mein Vetter Winnie' 2008 hinter den beiden Klassikern 'Wer die Nachtigall stört' und 'Die Zwölf Geschworenen' als drittbester Justizfilm aller Zeiten gekürt. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences veredelte die Produktion 1993 mit einem Oscar für Marisa Tomei als beste Nebendarstellerin. Zwar ist ihre Rolle fast schon ins Karikaturenhafte übersteigert, doch dadurch bieten sich ihr auch vielfältige Möglichkeiten, ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten an den Tag zu legen.

                                  KURZFAZIT

                                  Heitere Gerichtskomödie, deren Thema sich dennoch um einen ernsten Kern dreht.

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                                    Framolf 14.02.2024, 23:45 Geändert 12.02.2025, 05:20

                                    Oscar Madness Film 441 (1 Auszeichnung, 4 weitere Nominierungen)

                                    Alles beginnt mit einer Instrumentalversion von 50 Cents 'P.I.M.P.' in Dauerschleife. Während die populäre Autorin Sandra (Sandra Hüller) in ihrem Chalet interviewt werden soll, spielt ihr Ehemann im Obergeschoss mit dröhnender Lautstärke immer und immer wieder den besagten Song ab. Wenig später kehrt der gemeinsame Sohn von einem Spaziergang mit dem Hund zurück und findet seinen Vater tot im Schnee. Er ruft seine Mutter, die vom Sturz ihres Gatten nichts bemerkt haben will. Was ist gesehen? In einem Gerichtsverfahren soll dieser Frage nachgegangen werden.

                                    Schon als relativ kurz nach Beginn der Verhandlung die Staatsanwaltschaft ein Gutachten zu den gefundenen Blutspritzern präsentiert, das durch ein von der Verteidigung in Auftrag gegebenes Gegengutachten gekontert wird, wird klar, dass in Justine Triets Inszenierung von 'Anatomie eines Falls' (so gut wie gar) nicht mit dichotomen Merkmalen gearbeitet wird. Vielmehr wird das Publikum in eine Position versetzt, die der der Richterin nicht unähnlich ist. Beide Gutachter kommen in ihren Befunden zu völlig unterschiedlichen Schlüssen. Auch wenn vielleicht einer von beiden überzeugendere Argumente vorbringen mag, verbleiben auch hinter der vermeintlich wahrscheinlicheren Version Fragezeichen. Dieses Beispiel zeigt als pars pro toto für die gesamte Verhandlung, worauf Triets Erzählung hinauslaufen soll: Eine Unzahl an Prozessen beruht lediglich auf Indizien, was die Findung eines gerechten Urteils enorm erschwert – und die Richter oder Schöffen in einigen Fällen vielleicht dazu zwingt, mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten. Auch wenn in manchen Justizdramen und -thrillern aus Hollywood gerne mal ein Ass aus dem Ärmel geschüttelt wird, das sogar die Gegenseite anerkennt (oder wenn alternativ nachträglich enthüllt wird, dass ein Fehlurteil gefällt wurde), hat man hier mit allenfalls teilweise überzeugenden Gutachten, unzuverlässigen Zeugen und in verschiedene Richtungen interpretierbaren Indizien zu tun.

                                    Das (oscarnominierte) Drehbuch präsentiert im Verbund mit Kamera, Regie und Schnitt (die beiden letzteren sind ebenfalls oscarnominiert) eine Konstruktion, in der diese Unsicherheit sichtbar gemacht wird. Hauptdarstellerin Sandra Hüller wiederum reizt mit ihrem Spiel eine große Bandbreite an darstellerischen Möglichkeiten zwischen nuancierter Mimik und theatralischer Gestik aus, was stark dazu beiträgt, den Fall ganz besonders griffig erscheinen zu lassen. Als Zuschauer wird man auf diese Weise regelrecht gezwungen, das Geschehen zu reflektieren und zu überdenken, ob vorschnelle Vorverurteilungen nicht vielleicht doch verheerende Konsequenzen haben könnten. Innerhalb der Handlung wird dies auch anhand der Figur des Sohne personifiziert, der regelrecht hin- und hergerissen erscheint und ab einem gewissen Punkt nicht mehr so recht weiß, was er noch glauben soll.

                                    Fast nebenbei werden im Zuge der juristischen Betrachtungen noch ein Ehedrama und eine Charakterstudie über die Protagonistin mitgeliefert, womit Triets Inszenierung sehr viel mehr zu bieten hat als viele herkömmliche Gerichtsfilme. In diesem Licht erscheint es mehr als konsequent, dass diese Produktion 2024 von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences auch in der Königskategorie „Bester Film“ nominiert wurde.

                                    KURZFAZIT

                                    Fein ausgearbeiteter Versuch der juristischen Aufarbeitung eines unklaren Kriminalfalles.

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                                      Framolf 13.02.2024, 21:34 Geändert 04.02.2025, 05:06
                                      über Selma

                                      Oscar Madness Film 449 (1 Auszeichnung, 1 weitere Nominierung)

                                      Martin Luther King (David Oyelowo) und andere führende Vertreter der Southern Christian Leadership Conference beschließen Mitte der 60er Jahre, ihre Aktionen zeitweise auf die Kleinstadt Selma in Alabama zu konzentrieren. Dort werden Proteste von Schülern und Studenten zur rechtmäßigen Umsetzung des Civil Rights Acts von 1964 vom örtlichen Sheriff mit überharten Mittel bekämpft. Ein großes Ärgernis in Bezug auf die Umsetzung von Bürgerrechten (wie etwa der Registrierung von Wählern), auf der anderen Seite jedoch auch eine gute Gelegenheit zur Erweckung von Aufmerksamkeit und der Produktion von Bildern, durch die sich möglicherweise größere Menschenmassen für weitere Proteste mobilisieren lassen könnten. Kann ihr Plan gelingen und welche Opfer werden sie dafür in Kauf nehmen?

                                      Ava DuVernay (Regie) erzählt die geschilderten Ereignisse betont nüchtern nach und verzichtet dabei auf viele (wenn auch nicht alle) gängigen Mittel zur Dramatisierung. Gezeigt werden Richtungsdebatten innerhalb der Protestbewegung, meilensteinartige Begegnungen werden nachgezeichnet und die Inszenierung nähert sich der Persönlichkeit des einen oder anderen Akteurs. Wirklich nahe kommt man dabei aber nur den wenigsten von ihnen. Dementsprechend flach fällt über weite Strecken auch der Spannungsbogen aus. Letztlich steuert der gesamte Handlungsaufbau auf einen großen Protestmarsch im Örtchen Selma sowie auf die Frage zu, inwieweit die Situation wohl eskalieren wird. Werden die Sicherheitskräfte Blut fließen lassen oder lassen sie die überwiegend friedlichen Demonstranten gewähren?

                                      Im Rahmen der Oscarverleihung 2015 wurde 'Selma' in zwei Kategorien berücksichtigt: Neben einer Nominierung in der Sparte „Bester Film“ (Gewinner: ''Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)' von Alejandro González Iñárritu) konnte im Bereich „Bester Song“ mit dem Titel 'Glory', der während des Abspanns läuft, von Common und John Legend sogar der Gewinn einer Goldstatue verbucht werden.

                                      KURZFAZIT

                                      Betont nüchtern inszeniertes Drama, in dem die gesellschaftliche und politische Tragweite des Themas gegenüber persönlichen Belangen der Charaktere deutlich in den Vordergrund gestellt werden. Die Erzählung erhält dadurch einen vergleichsweise allgemeingültigen Charakter, jedoch zu dem Preis, dass die Berichterstattung hier und da etwas trocken ausfällt.

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                                        Framolf 12.02.2024, 21:04 Geändert 04.02.2025, 05:01

                                        Oscar Madness Film 440 (1 Auszeichnung, 1 weitere Nominierung)

                                        Der aus einer wohlhabenden Familie an der Ostküste stammende James McKay (Gregory Peck) reist in die Prärie, um die Tochter eines Großgrundbesitzers zu heiraten. In dem Provinznest angekommen findet sich der kritisch beäugte Neuankömmling inmitten einer Fehde wieder. Der Vater seiner Braut befindet sich schon in (mindestens) zweiter Generation im Clinch mit einem Widersacher (Burl Ives), da beide einen exklusiven Zugang zu Wasserquellen für sich bzw. für ihre Viehherden beanspruchen. Das besagte Reservoir wiederum liegt auf dem Land einer dritten Partei, einer alleinstehenden Dame. Mitten in dieser festgefahrenen Gemengelage versucht McKay, einen Ausgleich zwischen den beteiligten Parteien herzustellen. Sein Problem: Mangelnde Akzeptanz. Denn welcher normaler Mensch verhandelt zuerst, bevor er die Fäuste schwingt oder den Revolver zückt, denken sich viele Einheimische (unter ihnen der von Charlton Heston dargestellte Steve Leech, die rechte Hand des Großgrundbesitzers).

                                        Regisseur William Wyler ('Ben Hur') entwirft in 'Weites Land' ein Szenario, das in Grundzügen auch anderthalb Jahrhunderte später noch aktuell erscheint. Zwischen Städtern und Landbewohnern bzw. Menschen von der Ostküste und aus dem Wilden Westen tut sich eine tiefe Kluft auf, die sich nicht zuletzt in unterschiedlichen Strategien zur Problembewältigung äußert. Gewaltbereitschaft und Verhandlungsbemühungen werden dabei einander ebenso gegenübergestellt wie Vorbehalte und Aufgeschlossenheit gegenüber Fremden. Amerika ist ein weites Land, das eigentlich genug Platz für alle bieten sollten. Doch funktionieren kann das Miteinander nur, wenn die Bewohner auch ein Mindestmaß an Kompromissbereitschaft aufbringen.

                                        Ein weiteres Thema der Handlung stellt die Opposition von Sorgen um den eigenen Ruf und dem Bedürfnis, auch weiterhin in den Spiegel schauen zu können, dar. Während sich McKays Braut dafür schämt, dass ihr Zukünftiger gewalttätige Konflikte (so gut es geht) meidet, sucht er hingegen nach Lösungen, für die er sich selbst im Nachhinein keine Vorwürfe machen muss. Gewissermaßen geht es also auch um den Gegensatz zwischen impulsgesteuerten Rachetrieben zur Erringung kurzfristiger Erfolge auf der einen Seite und einem strategischen Vorgehen zum Erreichen mittel- oder gar langfristiger Ziele auf der anderen Seite. Welchem Ansatz die Sympathien von Drehbuch und Regie gehören, ist klar erkennbar. In dieser Hinsicht reiht sich 'Weites Land' also eher in der Tradition von Western wie Anthony Manns 'Stern des Gesetzes' (1957) ein als in der Linie der Rachefilme.

                                        Burl Ives wurde für die Darstellung des zwielichtigen, aber resoluten und körperlich präsenten Antagonisten Rufus Hannassey 1959 mit einem Oscar für den besten Nebendarsteller ausgezeichnet. Aufhorchen lässt diese Auszeichnung auch insofern, dass Ives für zwei renommierte Produktionen, die im Jahr 1958 produziert wurden, in tragenden Rollen vor der Kamera stand. Auch in Richard Brooks Verfilmung von Tennessee Williams Ehe- und Alkoholikerdrama 'Die Katze auf dem heißen Blechdach' gibt er einen Patriarchen zum Besten; jedoch einen, dessen äußeres Auftreten völlig anders konzipiert ist, was das versierte Spiel mit verschiedenen Rollenfacetten von Ives unterstreicht.

                                        Eine weitere Oscarnominierung wurde Jerome Moross für die Komposition der Filmmusik zuteil, die anfangs eher verspielt wirkt und später zunehmend ernste Töne anschlägt, aber auch wiederholt ein leitmotivisches Thema in die Klänge einarbeitet. Nicht minder versiert wirken die Kameraführung, die einige ausgeklügelte Einstellungen zu bieten hat (besonders während der Szenen in der Schlucht), sowie die ausgewogene Ausgestaltung des Drehbuchs, das mit einer vielschichtigen Charakterzeichnung aufwartet. Die Figuren werden dabei (mit einigen wenigen Ausnahmen wie James, Julie, Ramón und Buck) nicht in Kategorien wie Gut und Böse eingeteilt, sondern es wird klar vermittelt, dass hier eben verschiedene Interessen, Moralvorstellungen und Lösungsstrategien aufeinanderprallen. In dieser Hinsicht erscheint 'Weites Land' auch mehrere Jahrzehnte nach der Produktion noch als durchaus moderner Western.

                                        KURZFAZIT

                                        Ein ausgewogenes Konzept in sehenswerten Bildern und mit namhaften Darstellern durch eine reflektierte Regie inszeniert. Die finale Szene mit dem nonverbalen Dialog, bei dem man beiden Charakteren ansieht, was sie gerade denken, spricht in dieser Hinsicht Bände.

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                                          Framolf 11.02.2024, 22:32 Geändert 04.02.2025, 04:59

                                          Oscar Madness Film 438 (1 Auszeichnung)

                                          Nach dem desaströsen Scheitern von Raketentests finanziert ein ehrenwerter Großindustrieller den Versuch einer bemannten Raumfahrt zum Mond, um seiner Nation einen Vorteil gegenüber konkurrierenden Ländern zu verschaffen. Drei Optimisten und ein Pessimist machen sich in der Folge auf eine Reise, die zu einem der größten Abenteuer der Menschheitsgeschichte werden soll.

                                          In Irving Pichels Science Fiction Raumfahrerpistole 'Rakete zum Mond', die auch unter den Titeln 'Endstation Mond' und 'Ziel Mond' vermarktet wird, trifft Propaganda auf modernes Storytelling. Auf der einen Seite könnte die Prämisse um den patriotischen Selfmade-Multimillionär, der sich binnen weniger Sekunden von dem Plan einer halsbrecherischen Mission überzeugen lässt, plumper kaum sein. Andererseits erfolgt der Handlungsaufbau (abgesehen von der etwas kurios anmutenden Einbindung eines Woody Woodpecker Cartoons) nach Prinzipien, die sich in den folgenden Jahrzehnten als eine Art Grundgerüst im Science Fiction Bereich etablieren konnten und letztlich auch eine der Säulen des Fundaments des über viele Jahrzehnte hinweg erfolgreichen Formelkinos darstellen.

                                          Grundsätzlich ist Pichels Crew erkennbar darum bemüht, ihre Inszenierung im Hard Science Fiction Bereich anzusiedeln, was sie allerdings nicht davor schützt, hier und da auch etwas an der Realität vorbeizuspekulieren.

                                          Die wohl größte Qualität dürfte seinerzeit jedoch die Tricktechnik dargestellt haben, für die Devereaux Jennings, Gordon Jennings und Paul K. Lerpae 1951 mit einem Oscar ausgezeichnet wurden. Teilweise wurden gezeichnete Elemente eingefügt und in manchen Szenen wurde mit Stop Motion Tricks gearbeitet. Hier und da hat man sich auch einfach mit um 90 oder 180 Grad gedrehten Kamerabildern oder ähnlich offensichtlichen Kniffen beholfen.

                                          KURZFAZIT

                                          Propagandawerk mit einem durchaus stilprägenden Drehbuchgerüst und kreativ eingesetzten Spezialeffekten auf der einen Seite, aber einer doch recht dünnen Handlung auf der anderen Seite.

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                                            Framolf 11.02.2024, 01:04 Geändert 04.02.2025, 05:01

                                            Oscar Madness Film 439 (1 Nominierung)

                                            Ein junger Mann, der seit seiner Kindheit (damals zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder) Nachlässe und andere Habseeligkeiten auf Trödelmärkten aufkauft, stößt eines Tages auf die Hinterlassenschaften eines Kindermädchens namens Vivian Maier. Und damit beginnt das Rätsel auch schon, denn sie schrieb ihren Namen mit verschiedenen Schreibweisen, änderte gelegentlich ihre Initialen oder gab sich sogar unter völlig fremden Namen aus. Sie spricht mit einem französischen Akzent, der manchen Menschen authentisch und anderen aufgesetzt vorkommt und soll behauptet haben, sie wäre eine Spionin. So gut wie jeden Tag ist sie mit ihrer Kamera unterwegs, die ihr diskrete Aufnahmen aus einer hüfthohen Position ermöglicht. Sie hinterlässt zehntausende Fotografien, von denen der besagte Trödelhändler nicht wenige als extrem hochwertig erachtet. Also spricht er eine Reihe von Kunstexperten an, versucht Ausstellungen zu organisieren und stellt Nachforschungen über die Person an, die sich hinter den Aufnahmen verbirgt.

                                            Auch wenn ihr Werk in der Kunstszene teils auf Ablehnung oder Ignoranz stößt, finden sich einige Jahre später auch zahlreich Fürsprecher, wie etwa der Fotograf Joel Meyerowitz, der davon berichtet, wie schwer es sei, in den Kanon als rezeptionswürdig erachteter Kunst aufgenommen zu werden, und welcher Stellenwert den Künstlern zuteil werde, die neu in den erlesenen Zirkel aufgenommen werden.

                                            Geprägt sind viele der populären Bilder von Vivian Maier (ein Großteil der Aufnahmen wurde der Öffentlichkeit bisher nicht zugänglich gemacht) durch ein charakteristisches Zusammenspiel von Nähe und Distanz. Durch die ganz spezielle Perspektive aus Hüfthöhe, blickt die Linse zu den Menschen auf und lässt ihnen so (zumindest den Anschein von) Respekt zukommen. Vielen der Porträtierten dürfte aber möglicherweise gar nicht bewusst gewesen sein, dass sie gerade aufgenommen werden. Eingefangen wurden dadurch oftmals lebensnah wirkende Situationen, in denen der individuelle Charakter einzelner Menschen unterstrichen wird, während die Fotografin - zumindest rein physisch - einen diskreten Abstand wahrt. Dass dabei andererseits auch ein gewisser Voyeurismus bedient wird, steht wiederum auf einem anderen Blatt.

                                            Auf die Spitze getrieben wird letzterer Eindruck, als eine Geschichte von einem Kind erzählt wird, das in einen Unfall verwickelt war. Vivian Maier soll es lieber fotografiert haben, statt ihm zu helfen. Gepaart mit ihrem offenbar großen Drang, Spiegelselfies in unzähligen Variationen zu erstellen, erscheint sie fast wie eine Vorbotin einer ganzen Generation (bzw. mehrerer Generationen) von Handyfotografen. Nur mit dem Unterschied, dass sie ihre Aufnahmen teils unentwickelt in Schachteln hortete, während viele ihrer Nachfolger ihre Beute fast schon notorisch auf (a)sozialen Medienplattformen verbreiten.

                                            KURZFAZIT

                                            Als Person mag Vivian Maier womöglich sperrig gewesen sein, als Thema eines Dokumentarfilms eignet sich ihr Werdegang aber mehr als hervorragend.

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                                              Geliefert wird hier genau das, was man bei einer Produktion mit dem Titel 'Women in Cages' aus dem Jahr 1971 erwarten würde: (S)Exploitation der moderaten Art. Neben einigen halbgaren Folterszenen gibt es etwas nackte Haut sowie Dialoge auf Groschenromanniveau zu bestaunen – und natürlich darf auch der eine oder andere Catfight ebenso wenig fehlen wie ein paar mehr oder weniger sinnfreie Szenen mit Tieren wie Ratten oder Schlangen.

                                              Doch auch wenn es sich um einen Knastfilm handelt, nehmen Drehbuch und Regie beim Erzählstil keine Gefangenen. Gerade während der ersten Hälfte wird die Handlung schnörkellos erzählt. Dabei wird die Mehrzahl der Szenen nicht länger gestreckt als unbedingt nötig, was wiederum vergleichsweise schnelle Handlungsfortschritte mit sich bringt. Das Resultat ist eine kurzweilige, aber auch höchst berechenbare Erzählung. Eine Sichtung lohnt sich eigentlich weder wegen der Geschichte noch wegen etwaiger Schauwerte. Der Schrecken fällt ebenso überschaubar aus wie die Dramatik. Doch bei aller Mäßigung in inhaltlichen und visuellen Fragen steht als Resultat dennoch ein halbwegs unterhaltsames Filmchen übe Frauen in Gefängnisuniformen, die aussehen wie Nachthemdchen.

                                              KURZFAZIT

                                              'Frauen hinter Zuchthausmauern' erweist sich als sExploitationfilm [sic!], bei dem das „s“ ziemlich kleingeschrieben wird.

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                                                Framolf 08.02.2024, 21:24 Geändert 04.02.2025, 04:59

                                                Oscar Madness Film 437 (3 Nominierungen)

                                                Herman Broder (Ron Silver), der nur knapp dem Holocaust entkommen ist, hat sich in den Vereinigten Staaten von Amerika ein neues Leben aufgebaut. Und was für eines. Er lebt nun in Brooklyn und ist mittlerweile mit der polnischen Dienstmagd verheiratet, die ihm seinerzeit das Leben gerettet hat. Neben seiner Ehe mit ihr hat er eine Affäre mit einer Frau, die wiederum selbst verheiratet ist. Als eines Tages seine totgeglaubte erste Ehefrau wieder in sein Leben tritt, gleitet sein Alltag in komplettes Chaos ab und zwingt den Lebemann, der ohnehin nur schwer Entscheidungen treffen kann, von einer skurrilen Situation in die nächste.

                                                Regisseur und Drehbuchautor, Oscar-Nominee Paul Mazursky, entwirft mit 'Feinde – Die Geschichte einer Liebe' einen Plot, der auch von Woody Allen stammen könnte – nur mit dem Unterschied, dass sich hier nicht alles auf einen neurotischen Charakter fokussiert. Vielmehr wird hier Adornos Verdikt, wonach es barbarisch sei, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben, auf eine ganz eigene Weise beantwortet. Ein Leben, das während der Shoa um ein Haar geendet wäre, schlägt nun regelrechte Kapriolen. Das Oxymoron im Filmtitel deutet es bereits an: Der Protagonist ist sich selbst der größte Feind – und seine drei Frauen sind es ihm auch irgendwie, was aber letztlich wieder auf ihn selbst zurückfällt. Von keiner der drei Frauen mag er sich so richtig lossagen. Auf der anderen Seite hat er nicht wenige erzkonservative Personen in seinem Umfeld, für die er sich immer neue Ausreden ausdenken muss. Die drei Frauen wiederum gehen auf völlig unterschiedliche Weise mit der Situation um.

                                                Anjelica Houston und Lena Olin konnten die Vorlagen zur Darstellung eines vielschichtigen Verhaltens, die ihnen das Drehbuch bietet, beide derart versiert nutzen, dass sie mit Oscarnominierungen in der Kategorie „Beste Nebendarstellerin“ bedacht wurden. Beide mussten bei der Verleihung im Jahr 1990 jedoch Brenda Fricker ('Mein linker Fuß') den Vortritt lassen.

                                                KURZFAZIT

                                                Bittersüße Tragikomödie mit einer anfangs möglicherweise gewöhnungsbedürftigen Mischung der Tonlagen, deren Ziel sich jedoch im weiteren Verlauf immer stärker offenbart.

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                                                  Framolf 07.02.2024, 23:33 Geändert 04.02.2025, 04:58

                                                  Oscar Madness Film 436 (1 Auszeichnung, 4 weitere Nominierungen)

                                                  Eine Geschichte über eine Reise um die Welt, die mit einem Heißluftballon beginnt. Man könnte denken, hier wäre die Rede von 'In 80 Tagen um die Welt'. Auf der anderen Seite erinnert der Prolog von 'Das große Rennen rund um die Welt' auch sehr an die nur wenige Jahre zuvor gestarteten 'Spion & Spion' Comicstrips. Zwei Kontrahenten versuchen sich gegenseitig zu übertrumpfen. Einer von beiden (Jack Lemmon) trägt fast ausschließlich schwarze Kleidung und versucht zusammen mit seinem Assistenten (Peter Falk) mit größtem Aufwand und enormer Kreativität die fast schon spielerisch wirkenden Rekordversuche des in weiß gekleideten Gegenspielers (Tony Curtis), der seinen Widersacher nahezu vollständig ignoriert, entweder zu sabotieren oder mit unerlaubten Mitteln zu übertrumpfen. Bis es zur ultimativen Herausforderung kommt: Einem Wettrennen von New York nach Paris. Abgesehen von einer Zeitungsreporterin, die sich ebenfalls unter die Teilnehmer mischt, gibt es keine ernstzunehmenden Gegner. Und so kommt eben alles, wie es kommen muss, bis sich die Handlung in immer absurdere Ereignisse verstrickt, die das Rennen mehr oder weniger in den Hintergrund rücken lassen.

                                                  Um es vorwegzunehmen: Spätestens nach einer völlig überdrehten Hatz und einigen fast schon bizarren Erlebnissen am Hof eines exzentrischen Prinzen zeichnet sich ab, dass eigentlich völlig egal ist, wer das Rennen gewinnen wird. Das Finale fällt dementsprechend augenzwinkernd aus – in mehrerlei Hinsicht.

                                                  Letztlich steht einfach nur die Bespaßung des Publikums im Vordergrund, welcher nahezu alles untergeordnet wird – zumindest in Bezug auf das Drehbuch, das im Zweifelsfall immer einem Gag den Vorzug vor großem Storytelling zu geben scheint. In technischer, handwerklicher und künstlerischer Hinsicht hingegen entspricht das Erreichte weitestgehend dem state of the art der 60er Jahre. Ablesen lässt sich dies nicht zuletzt an einer Oscarprämierung in der Kategorie Tonschnitt sowie an weiteren Nominierungen in den Sparten Kamera, Schnitt, Tonmischung und Song ('The Sweetheart Tree' von Henry Mancini und Johnny Mercer).

                                                  Auch mehrere Jahrzehnte nach der Veröffentlichung vermag Blake Edwards 'Das große Rennen rund um die Welt' die Fans des fast schon legendären Komödienregisseurs humorvoll zu unterhalten. Garniert wird seine vergleichsweise temporeiche Inszenierung durch eine technisch ambitionierte Umsetzung, womit schon weit mehr erreicht wurde als in den allermeisten anderen Slapstickkomödien.

                                                  KURZFAZIT

                                                  Inhaltlich sicherlich nicht die anspruchsvollste cineastische Reise um die Welt, aber auf jeden Fall eine der kreativeren Art.

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                                                    Framolf 07.02.2024, 00:27 Geändert 04.02.2025, 04:57

                                                    Oscar Madness Film 435 (3 Auszeichnungen, 4 weitere Nominierungen)

                                                    Ein junger Mann namens Joe (Jon Voight) wirft seinen Job als Küchenhilfe hin, um sich in New York als „Mietrammler“, wie er es nennt, zu verdingen. Dort trifft er unter anderem auf den kleinkriminellen Hausbesetzer Rico „Ratso“ Rizzo (Dustin Hoffman). Dieser sieht seine Chance gekommen, das als Cowboy verkleidete Landei unter seine Fittiche zu nehmen und ihn an zahlende Kundschaft zu vermitteln.
                                                    Beide Charaktere wirken dabei wie jemand, dessen Wagen im Sand feststeckt, und der in der Folge immer weiter Gas gibt. Ihre Lösungsstrategien funktionieren bestenfalls unzureichend und sie graben sich (teilweise selbstverschuldet, teilweise aufgrund äußerer Umstände) ein immer tieferes Loch.

                                                    Speziell Joes Werdegang wirkt wie eine moderne Version des Märchenklassikers 'Hans im Glück'. Statt sich mit seinen Diensten eine bescheidene Existenz aufzubauen, verschlimmert sich seine finanzielle Lage immer weiter. Die Freundschaft zu Ratso erweist sich als Segen und Fluch zugleich. Denn einerseits zeigt ihm dieser, wie man sich auch ohne nennenswerte Mittel durchschlagen kann, andererseits zieht dieses Leben auch eine Reihe neuer Probleme nach sich, was mit Blick auf Joes Backstory umso tragischer erscheint. Regelmäßig wird er von Albträumen und Schatten aus der Vergangenheit gequält. Ratsos Tagträume hingegen sind komödiantischer Natur und auf die Zukunft gerichtet. Beide Charaktere weisen eine Vielzahl an Ecken und Kanten auf und sind keineswegs als reine Sympathieträger konzipiert, aber auf der anderen Seite doch vielschichtig und griffig genug, um als effizientes Vehikel für die Handlung zu dienen.

                                                    Auch und gerade in Hinblick auf die Award Season 1970 sollte sich diese Konstruktion als äußerst erfolgreich erweisen, denn mit Auszeichnungen in den Sparten Bester Film, Beste Regie und Bestes adaptiertes Drehbuch konnte in drei der prestigeträchtigsten Kategorien der Gewinn einer Goldtrophäe verbucht werden. Jon Voight und Dustin Hoffman wiederum konnten den ihnen gebotenen Spielraum zu Nominierungen in der Sparte Bester Hauptdarsteller nutzen. Bemerkenswert erscheint in dieser Hinsicht die Nominierung von Sylvia Miles, die ihren Part zwar überzeugend meistert, allerdings nur sehr wenig Screentime eingeräumt bekommt. Abgerundet wird das erfolgreiche Abschneiden bei den Oscars mit einer weiteren Nominierung für den Besten Schnitt. Wie ein Gewitter hämmern die Erinnerungen, von denen der Protagonist gequält wird, auf das Publikum ein, wodurch sich die Unruhe regelrecht von der Leinwand oder dem Bildschirm auf die Zuschauer überträgt. Auch mit mehreren Dekaden Abstand verfehlt John Schlesingers Inszenierung des Romans 'Midnight Cowboy' keineswegs.

                                                    KURZFAZIT

                                                    Eindringlich erzählte Geschichte eines persönlichen Niedergangs. Ob sich Möglichkeiten bieten werden, diesen zu stoppen, muss das Publikum im Verlauf der Handlung herausfinden, was einen nicht unwesentlichen Teil des Reizes einer Sichtung von 'Asphalt-Cowboy' ausmacht.

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