Framolf - Kommentare

Alle Kommentare von Framolf

  • 8 .5

    Ein flüchtiger Verbrecher macht sich von Australien auf den Weg nach Indien, um dort unterzutauchen. Es dauert nicht lange, bis er mit dem dortigen kriminellen Milieu in Kontakt kommt, was seinem Vorhaben, sich vor der Polizei zu verstecken, nicht unbedingt dienlich sein dürfte. Aber da er nicht nur ein Deliquent ist, sondern auch ein Lebenskünstler, bahnt er sich eben seinen ganz eigenen Weg durch die Straßen von Bombay.

    'Shantaram' lebt zu weiten Teilen von (cineastisch) unverbrauchten Settings und einem Erzählton, der einen erfrischenden Mittelweg aus Spannung und Lockerheit findet. Auch wenn einige Facetten der Geschichte augenzwinkernd erzählt werden, gleitet die Inszenierung nicht in Albernheiten ab. Dementsprechend ist auch das Auftreten des Protagonisten konzipiert. Zwar ist der Typ „Gauner mit Herz“ beileibe keine Innovation, aber Charlie Hunnam poträtiert den Hauptcharakter auf eine Weise, die bestens zum Erzählton der Serie passt – selbiges gilt für seinen Weggefährten Prabhu (Shubham Saraf). In weiteren Rollen wirken Alexander Siddig (ST:DS9) sowie Antonia Desplat, die Tochter des Komponisten Alexandre Desplat, mit.

    Natürlich könnte man den Produzenten vorwerfen, sie würden in mehreren Szenen eine verklärende Slum-Romantik verbreiten. Doch wer will das beurteilen? Die Erfahrungen, die man als Tourist dort sammeln kann, dürften sich dann doch recht stark von denen eines Auswanderers unterschieden, der vor Ort in gewisse soziale Strukturen eingebettet ist und die Stadt, ihre Bewohner und die dortigen Gepflogenheiten sehr viel besser kennt als jemand, der sich dort zu einem kurzen Besuch aufhält.

    Den Wermutstropfen im Freudenbecher stellt der vorzeitige Abbruch der Produktion dar, wodurch die Geschichte nicht ansatzweise auserzählt ist. Wer damit leben kann, sollte sich aber nicht von dieser filmischen Reise nach Indien abhalten lassen, die einen erfrischenden Blick auf einen Mikrokosmos aus der Froschperspektive bietet.

    KURZFAZIT

    Gaunergeschichte in (für eine US-Produktion) außergewöhlichem Flair.

    30
    • 5
      Framolf 05.11.2023, 20:02 Geändert 18.02.2024, 06:24

      Oscar Madness Film 419 (1 Nominierung)

      Probleme aus dem Alltag vieler Frauen in sieben Episoden zusammengefasst. Durch Beiträge aus verschiedenen Ländern wird unterstrichen, dass viele der Herausforderungen global auftreten und zumeist struktureller Natur sind und nicht nur der Gesetzgebung oder ähnlichen Rahmenumständen einzelner Länder geschuldet sind. Ein skizzenhafter Abriss über die einzelnen Episoden:

      1) Eine mental herausgeforderte junge Frau bemüht sich nach einer Haftentlassung um das Sorgerecht ihrer Kinder. Das Publikum wird mit ins Boot genommen und kann zunächst nicht so genau wissen, wo hier die Grenzen zwischen Realität und Einbildung verlaufen. In handwerklicher Hinsicht wirkt dieser Auftakt eher schroff.

      2) Eine wohnungslose Frau wird von zwei Sozialarbeiterinnen unter die Fittiche genommen bzw. soll medizinisch betreut werden. Randbemerkung: Obwohl sie ihre zwiebelhafte Kleidung seit langer Zeit nicht mehr abgelegt haben will, finden sich nicht die geringsten Haarstoppeln an den Beinen, die im Close Up gefilmt werden. It's magic!

      3) In der dritten Episode sucht Eva Longoria nach [hier könnte Ihr Spoiler stehen].

      4) Die mittlere Episode, die gewissermaßen das Herzstück dieses Filmes darstellt, zeigt den sich ständig wiederholenden und von zahlreichen Schwierigkeiten geprägten Alltag einer alleinerziehenden Mutter. Obwohl sie beruflich mit ansprechend aussehenden Speisen zu tun hat, bleibt für Genuss keine Zeit. Eine Episode, die sich offenkundig sehr nahe am realen Leben befindet.

      5) Eine Tierärtzin muss (offenbar einmal mehr) nicht nur einen Vierbeiner betreuen, sondern dessen Besitzerin gleich mit.

      6) In Indien erlebt eine Dame, die ihr täglich Nan mit kosmetischen Dienstleistungen (wie Botoxbehandlungen) verdient, eine Begegnung, die ihren Horizont erweitern wird.

      7) Ein kleiner Animationsfilm zeigt Fabelwesen in einem Panopticon, die aus den althergebrachten Rollenklischees ausbrechen und zu den Sternen (oder zumindest zum Mond) streben wollen. Von wegen „The sky is the limit“!

      Nicht alle Episoden weisen denselben Grad an Relevanz, inhaltlicher Gravitas, Raffinesse oder handwerklicher Versiertheit auf. Die zweite und sechste (sowie mit Abstrichen auch die dritte) Episode drohen sogar wieder einzureißen, was in den anderen vermittelt wird. Auch wenn es vermutlich nicht intendiert ist, wird implizit die Botschaft vermittelt, dass selbst in den prekärsten Situationen erstmal Wert auf kosmetische Belange gelegt werden sollte. Obwohl das sicher nicht den Kern der Moral darstellt (bzw. noch nicht mal einen Randaspekt davon) läuft die stellenweise etwas tölpelhafte Inszenierung mancher Episoden letztlich eben doch darauf hinaus. Das sollte jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass in den übrigen Kurzfilmen teils extrem versierte Arbeit abgeliefert wird, die nebenbei bemerkt auch das exakte Gegenteil der eben genannten Gedanken vermittelt.

      Durch die Einbindung des Songs 'Applause' aus der Feder der Serien-Nominierten Dianne Warren im Abspann konnten sich die Produzenten von 'Tell It Like A Woman' eine Teilnahme an der Oscarverleihung 2023 sichern und sich so durch die Hintertür doch noch einen kleinen Eintrag in den Chroniken der Filmgeschichte sichern.

      KURZFAZIT

      Ein Episodenfilm als eine qualitative Achterbahnfahrt – sowohl dramaturgisch als auch stilistisch.

      29
      • 6 .5

        Eine Ehefrau und Mutter, die sich selbst als Mauerblümchen sieht, entdeckt Aerobik als Ausdrucksform, aber auch als Mittel zur Selbstgewahrwerdung und -verwirklichung und letztlich auch zur Emanzipation für sich.

        In einem teils knallbunten 80er Jahre Setting bekommt Rose Byrne hier jede Menge Raum zur Entfaltung. Ihr wird in gefühlt 90% aller Szenen Screentime eingeräumt; und wenn sie mal gerade doch nicht in Dialoge eingebunden ist, kommentiert ihre innere Stimme aus dem Off das Geschehen (in der zweiten und dritten Staffel kommt noch ein weiteres Stilmittel hinzu, das aber in dramaturgischer Hinsicht auf dasselbe hinausläuft).

        Verarbeitet werden dabei gesellschaftliche und politische, aber auch persönliche Themen. Eines haben alle drei Themenfelder gemeinsam: Einen relativ lapidaren Umgang des Drehbuchs mit durchaus ernsten Fragen. In Hinblick auf den politikbezogenen Handlungsstrang mag dies durchaus augenzwinkernd wirken, bezüglich mentaler Herausforderungen (wie etwa Bulimie) wirkt der Umgang damit mitunter etwas flapsig, was sich im Verlauf der drei Staffeln jedoch merklich ändert.

        Licht und Schatten findet sich auch bei der Ausgestaltung der Charaktere. Während die Psyche der Protagonistin regelrecht erkundet und ausgeleuchtet wird, erscheinen die allermeisten Nebencharaktere (mit zwei bis drei Ausnahmen) als klischeebeladene Abziehbilder oder teils sogar Karikaturen. Zwar könnte man auch anmerken, dass Sheilas Entwicklung hier und da etwas sprunghaft vonstattengeht; jedoch dürfte dies in erster Linie den Zeitsprüngen (und nicht etwaigen Drehbuchschwächen) geschuldet sein.

        Auch in Stilfragen fällt das Fazit gemischt aus. Die Kostüme wirken überwiegend authentisch, das Make-up bei manchen Charakteren zu Beginn etwas zu modern, aber später angemessener, während das Styling der Frisuren durchaus überzeugend ausfällt. Die Gestaltung der Innenausstattung mancher Wohnungen wirft hingegen einige Fragen auf; ebenso zweifelhaft erscheint, ob in den Vereinigten Staaten der 80er Jahre tatsächlich derart konsequent auf Achselrasur gesetzt wurde, wie hier der Eindruck erweckt wird. Zusammengefasst: Offenbar wurde hier in einigen (aber nicht allen) ästhetischen Fragen zeitgemäßen Trends (bezogen auf den Produktionszeitraum der Serie) der Vorzug gegenüber einer authentischen Gestaltung im Geist der 80er Jahre gegeben.

        Als kurzweiliger - und trotz der teils schwermütigen Thematik durchaus heiterer - Retrotrip in die 80er Jahre ist 'Physical' durchaus empfehlenswert; über absolut jeden Zweifel erhaben ist die Inszenierung jedoch keineswegs. So ist es dann auch bezeichnend, dass ausgerechnet die vielleicht reflektierteste Episode (S3E09) von Stoffentwicklerin Annie Weisman selbst statt von Stammregisseurin Stephanie Laing inszeniert wurde.

        KURZFAZIT

        Konsequent auf Rose Byrne zugeschnittene Dramedy-Show.

        29
        • 5 .5
          Framolf 03.11.2023, 22:58 Geändert 09.02.2024, 05:23

          Als der Hundeführer einer ehemaligen Armeehündin stirbt, soll letztere zu dessen Beerdigung gebracht werden. Für die Zeit danach droht dem Vierbeiner ein düsteres Schicksal. Jackson (Channing Tatum), der sich nach einer langen Zeit beim Militär in einer Sinnkrise befindet, soll den Transport übernehmen und das Tier danach zu einer Militärbasis bringen, was sich nicht nur als Beginn einer langen Reise, sondern auch eines Selbstfindungsprozesses erweist. Nachdem sich der Hund und sein Interims-Herrchen zunächst regelmäßig gegenseitig anknurren, fangen sie irgendwann an, sich langsam aneinander zu gewöhnen.

          Auch wenn dem Publikum hier eine Geschichte aus dem Baukasten vorgelegt wird, macht die zottelige Hobbyschaupielerin im Zusammenspiel mit dem Hauptdarsteller natürlich einiges wieder wett. Nicht weniger unterhaltsam gestaltet sich der Auftritt von Ethan Suplee – zumindest für Fans der Serie 'My Name Is Earl', in der er eine Rolle bekleidet, die gegensätzlicher kaum sein könnte. Statt eines begriffsstutzigen Sonderlings spielt er in 'Dog' einen (fast schon seriös auftretenden) Kameraden des Protagonisten. Wie man es aus unzähligen anderen Roadmovies kennt, trifft der Hauptcharakter im Rahmen seiner Reise auf höchst unterschiedliche Personen und gerät in Situationen verschiedenster Art , was in Gefühlslagen resultiert, die vielfältiger kaum sein könnten. Doch eine wirklich eigene Note sucht man in 'Dog – Das Glück hat vier Pfoten' vergebens. Seitens des Drehbuchs wird klare Risikominimierung betrieben, jedoch zu dem Preis, dass kaum Alleinstellungsmerkmale mit einfließen. Und so bekommt man eben ein durchschnittliches Roadmovie geboten, das fast ausschließlich von der Beziehungsdynamik zwischen den beiden Reisegefährten lebt.

          5,5 – 6 Punkte.

          KURZFAZIT

          Schöne Liebeserklärung an einen Hund, während der Armeehintergrund aber keinen nennenswerten Mehrwert bringt.

          29
          • 5

            30 Jahre nach der Bauchlandung von Annabel Jankels Realverfilmung 'Super Mario Bros.' lag die Messlatte bzgl. einer Steigerung bei der Produktion eines Animationsfilmes nicht besonders hoch. So dürfte es für Aaron Horvath und Michael Jelenic dann auch keine allzu schwierige Kiste gewesen sein, einen besseren Film abzuliefern. Der Animationsstil wirkt routiniert und passt gut zum Mario-Universum. Sowohl für jüngere als für nicht mehr ganz so junge Fans der Spiele wurden zahlreiche kleine Querverweise eingebaut, wodurch trotz des modernen Stils immer auch ein wenig Nostalgie mitschwingt. Inhaltlich bleibt auch dieser Entwurf recht überschaubar, aber eine gute Jump 'n' Run Figur springt eben auch nur so hoch, wie sie muss; um zum Beispiel an Coins zu kommen – und wenn es nur durch den Verkauf von Kinotickets und Blu-ray Discs ist.

            KURZFAZIT

            Kurzweilig und bunt; nicht mehr, aber auch nicht weniger.

            37
            • Framolf 02.11.2023, 22:29 Geändert 02.11.2023, 22:40

              Kurze Zahlenspielerei zum Abschluss meines Horrormonats:

              19 (Spielfilm-)Regiedebüts | Mein Bewertungsschnitt: 5,34 / Community: 5,51

              5 Werke von Beinahe-Debütanten | Mein Bewertungsschnitt: 5,5 / Community: 5,64

              12 anderweitige Produktionen | Mein Bewertungsschnitt: 6,5 / Community: 6,33

              Insgesamt | Mein Bewertungsschnitt 5,75 / Community: 5,8

              Unter dem Strich eine recht durchwachsene Auswahl dieses Jahr. Neue Runde, neues Glück im nächsten Jahr. :-)

              21
              • 7

                [Drittsichtung. Bei den ersten beiden Durchläufen damals hätte ich bestimmt 9,5 Punkte gegeben.]

                Laura Palmer ist tot. Ihre Leiche wird an einem Ufer nahe der Kleinstadt Twin Peaks gefunden, was intensive Ermittlungen nach teils skurrilen Methoden sowie eine Unzahl weiterer Verwicklungen und Verbrechen nach sich zieht.

                Nur wenige Film- oder Serien-Leichen dürften in der Popkultur eine derart hohe Prominenz erlangt haben wie die der ehemaligen Miss Twin Peaks Laura Palmer. Millionen Menschen rätseln in den frühen 90er Jahren, wer den Mord an ihr wohl begangen haben könnte; außer die Videotextleser von Sat1, denn denen wurde der Spaß am Mitraten seitens des Senders ihres Vertrauens verdorben.

                Unabhängig von der Täterfrage und angesichts der Tatsache, dass es schon bald um weit mehr als einen einzigen Todesfall gehen sollte, stellt sich nach und nach der Eindruck ein, dass David Lynch das Geheimnis um den besagten Kriminalfall in erster Linie als Vehikel nutzt, um dem Publikum bzw. der Gesellschaft auf ironische Weise den Spiegel vorzuhalten. Er erzählt dabei die Geschichte einer Kleinstadt, die von zahlreichen Bewohnern bevölkert wird, deren Verhalten sonderbarer kaum sein könnte. Dabei stellt sich der Eindruck ein, dass die Spleens der meisten Charaktere nicht zum Selbstzweck verkommen oder ausschließlich der Belustigung dienen sollen, sondern dass Lynch hier kübelweise beißenden Spott über verschiedenen prototypischen Vertretern des Spießbürgertums ausschüttet. Bigotterie scheint sich dabei im Bull's Eye seiner Kritik zu befinden. Kommentare zu biederen EhebrecherInnen, windigen Geschäftsleuten und halbstarken Maulhelden liegen ihm offenkundig ganz besonders am Herzen (ironischerweise spielt auch Lynch selbst eine Figur, die nicht gerade makellos erscheint). Doch Lynch wäre nicht Lynch, wenn er nicht auch allerlei gesellschaftspolitische, philosophische und vor allem psychologische Konnotationen in den Subtext mit einfließen lassen würde. Georg Seeßlen bezeichnet die Bürgerschaft von Twin Peaks als „eine Gesellschaft, die aus lauter ungelösten Problemen besteht.“ Oder anders formuliert: Jeder der Charaktere ist für die Gesellschaft problematisch.

                Und so rückt (auf Drängen der Verantwortlichen des TV-Senders ABC) der ursprüngliche Kriminalaspekt dann auch zu einem höchst ungewöhnlichen Zeitpunkt in den Hintergrund, da man den Zuschauer – gegen den Willen Lynchs und Frosts – frühzeitig Antworten liefern wollte. Zwar gewinnt ein anderer Kriminalfall kurz darauf an Bedeutung, doch die Ausrichtung an satirischen Zielen bleibt weiterhin vorherrschend. Was Lynch hier zeigt, ist letztlich ein Mikrokosmos, der als pars pro toto stellvertretend für eine Gesellschaft steht. Trotz der Verfremdungseffekte und der satirischen Überspitzungen ist sein Mysterykrimi vermutlich näher am Alltag als so manch andere Crime-Serie.

                Randnotizen:

                In die Produktion der zweiten Staffel war David Lynch wegen seiner Arbeit an 'Wild at Heart' nur noch in eingeschränktem Umfang involviert.

                Harry Goaz (Andy) wurde durch Lynch höchstpersönlich besetzt. Beide lernten sich kennen, als Goaz in seinem Job als Chauffeur David Lynch zu einer Veranstaltung zu Ehren von Roy Orbison fuhr.

                Frank Silva (Bob) war am Set eigentlich als einer der Ausstatter für einen Teil der Kulissen zuständig. Als er eines Tages dort Möbel verschob, bot ihm Lynch die Rolle des Bob an, die ursprünglich gar nicht vorgesehen war – und schon gar nicht in der herausragenden Bedeutung, die sie im weiteren Verlauf bekommen sollte.

                Um zu verhindern, dass frühzeitig an die Öffentlichkeit dringt, wer den Mord an Laura Palmer begangen hat, wurden zwei alternative Szenen von der Tat gedreht. In der nicht verwendeten Version wird Laura von Benjamin Horne getötet. Darsteller Richard Beymer war als einer von wenigen Beteiligten bereits während des Drehs dieser Szene eingeweiht, dass seine Figur den Mord aber nicht begangen habe.

                Lynch verkehrt in mehreren Szenen die Funktion von Innen- und Außenräumen bzw. er verlegt typische Outdoorereignisse nach innen und umgekehrt.

                KURZFAZIT

                Im Lauf der Jahre ein wenig verblasst, aber immer noch bemerkenswert schillernd.

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                • 7 .5
                  Framolf 31.10.2023, 22:38 Geändert 01.11.2023, 00:38

                  Horrorctober 2023, Beitrag #36

                  Wenn David Lynch rund ein Vierteljahrhundert nach den ersten beiden Staffeln und dem Spielfilm den Cast von 'Twin Peaks' zur Reunion bittet, hat es auch etwas von einem Klassentreffen. Die allermeisten DarstellerInnen folgen seinem Ruf und sind in größeren oder kleineren Rollen involviert oder absolvieren zumindest einen ganz kurzen Gastauftritt. Nur ein paar wenige fehlen oder sind zwischenzeitlich verstorben (bspw. Jack Nance). Auf der anderen Seite stehen offenkundig reihenweise namhafte Darsteller (wie beispielsweise Jim Belushi, Robert Knepper, Robert Forster, Tim Roth, Jennifer Jason Leigh, Amanda Seyfried, Ashley Judd, Matthew Lillard, Brett Gelman, Madelina Zima oder David Koechner) für die Besetzung diverser Nebenrollen bereit – von Stars wie Laura Dern und Naomi Watts, die ohnehin bereits einen Bezug zum Lynch-Universum hatten, ganz zu schweigen. Selbst kleine Komparsenrollen wurden teils namhaft besetzt (zum Beispiel mit Virginia Kull oder Moby). Diverse musikalische Einlagen (etwa von Eddie Vedder oder Nine Inch Nails), die hier regelrecht zelebriert werden, runden den Eindruck einer Starparade ab. Wofür genau sie Schlange standen, dürften viele von ihnen im Vorfeld selbst nicht hundertprozentig gewusst haben, denn David Lynch macht in Interviews nicht unbedingt ein Geheimnis daraus, dass er bei der Produktion von 'Twin Peaks' selbst einige inhaltliche Überraschungen erleben durfte (Literaturtipp: 'Lynch über Lynch' von Chris Rowley). Manche Ideen fielen ihm kurzfristig während der Dreharbeiten ein, andere wurden durch sein Autorenteam beigesteuert, das besonders während der Produktion der zweiten Staffel sehr viele Freiheiten gehabt haben soll. Vielleicht ist das auch der Grund für gelegentliche inhaltliche Brüche, vielleicht sind viele davon aber doch nicht ganz so profaner Natur.

                  Zu „lesen“ ist 'Twin Peaks' bekanntlich noch am ehesten wie ein Traum. Für manche Regisseure ist uneigentliches Sprechen ein völlig fremdes Konzept, andere wiederum inszenieren regelrechte Schnitzeljagden, bei denen nahezu jedes Detail eine gewisse Relevanz für die Hermeneutik aufweist. Lynch gehört offenkundig zu keiner dieser beiden Fraktionen. Manche Stilelemente sind schwer bedeutsam, andere pures Beiwerk oder sogar nur reine Zierde, wodurch stets eine gewisse Gefahr der Überinterpretation im Raum steht. Auf der anderen Seite stehen Werke wie 'The Straight Story' in seiner Filmographie, deren Oberfläche fast schon transparent erscheint, deren tiefere Schichten sich aber dennoch erst allmählich erschließen. Es bleibt also stets die Frage des methodischen Umgangs mit seinen Werken, denn Gewissheiten gibt es nur wenige. Im Fall von 'Twin Peaks' darf zumindest als gesichert gelten, dass man hier mit einem nicht-linearen Zeitverlauf konfrontiert wird. Dialogzeilen werden rückwärts gesprochen, wiederholt taucht das Rätsel einer Nennung von Cooper durch Laura Palmer auf und es findet ein scheinbar fließender Wechsel zwischen verschiedenen Zeitebenen statt. Die Zeit verläuft hier eben nicht als Strahl, sondern offenkundig beschreibt sie in ihrem Verlauf auch Knicke und Schleifen, wodurch es zu Interferenzen zwischen verschiedenen Zeitebenen kommen kann. Die Vermutung liegt nahe, dass sich der Verlauf auch in getrennte Wege (alternative Zeitlinien) aufspalten kann, doch mit allerletzter Sicherheit lässt sich das nicht feststellen.

                  Überhaupt schwingt hier bei so gut wie jedem Befund immer ein gewisser Unsicherheitsfaktor mit. Selbst der Tonfall lässt sich oft nicht so richtig greifen. Grausamkeiten und Skurrilitäten wechseln sich munter ab. Wähnt man sich (in Bezug auf das Doppelgängermotiv, aber auch auf den Umgang mit Natur und Wissenschaft) in einem Moment noch in einer modernen Version von E.T.A. Hoffmans 'Der Sandmann', findet man sich wenige Minuten später vielleicht schon in einer Szenerie wieder, die Erinnerungen an Clemens Brentanos 'Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter' weckt. Und so bleibt am Ende der Eindruck, einen ziemlich wilden Genremix aus Krimi, Thriller, Mystery, Horror, Drama, Avantgarde, Groteske und Science Fiction gesehen zu haben. Wie nicht anders zu erwarten war, lädt das Finale zu allerlei Spekulationen ein. Aber manchmal ist es vielleicht ganz gut, keine definitiven Antworten zu bekommen, schließlich hat man sie auch im realen Leben bei Weitem nicht so oft, wie man sie vielleicht gerne hätte.

                  Randnotiz: Mit Amanda Seyfried, Grace Zabriskieund Harry Dean Stanton sind gleich drei Darsteller aus der HBO-Serie 'Big Love' involviert.

                  KURZFAZIT

                  Ein Legende in neuem Gewand; vielleicht nicht ganz so sagenumwoben wie die ersten beiden Staffeln, aber in jeder Hinsicht radikaler.

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                  • 6
                    Framolf 30.10.2023, 21:58 Geändert 07.02.2024, 05:31

                    Horrorctober 2023, Film #35

                    [Kein Horrorfilm im eigentlichen Sinne, aber da der „Mutterfilm“ mit Anleihen aus diesem Genre spielt, ist diese Zuordnung noch einigermaßen plausibel.]

                    22 Jahre nach der Veröffentlichung des Kinofilms reicht David Lynch rund 90 Minuten bisher unveröffentlichten Materials nach, die er seinerzeit auf Druck der Produktionsfirma im Giftschrank verschwinden lassen musste. Die Form, in der das Material präsentiert wird, geht weit über den fragmentarischen Stil hinaus, in dem das Bonusmaterial bei vielen anderen Filmen gezeigt wird, denn David Lynch hat einen Weg gefunden, die bisher unveröffentlichten Szenen so zu montieren, dass sie eine nachvollziehbare Abfolge von Ereignissen erzählen. Der wahrscheinlich größte Segen dürfte bei der Montage die Fülle des bisher überschüssigen Materials gewesen sein, denn offenkundig standen ausreichend unveröffentlichte Szenen zur Verfügung, um daraus eine Art Komplementärgeschichte zum Kinofilm zusammenzubasteln.

                    Als eigenständiger Film funktioniert 'The Missing Pieces' aber dennoch nur unzureichend, da es einerseits an einer durchgängigen Dramaturgie mangelt und zweitens so viel Vorwissen vorausgesetzt wird, dass Neueinsteiger in das 'Twin Peaks' Universum viele Zusammenhänge bestenfalls erahnen können (wenn überhaupt). Für Fans der Reihe hingegen ergibt sich ein beachtlicher Mehrwert aus der Sichtung der fehlenden Stücke. Wirklich erfolgversprechend ist das Konzept allerdings nur für diejenigen Zuschauer, die Handlung des „Mutterfilms“ noch einigermaßen präsent haben.

                    Die Motivation verschiedener Handlungen aus 'Fire Walk With Me' wird nun deutlich und zahlreiche Charaktere aus der Serie geben sich ein Stelldichein. Letztlich trifft hier also ein verfeinertes Storytelling auf Fanservice - und beides zusammen führt zu einem deutlich runderen Bild als es der gestutzte Kinofilm alleine liefern konnte.

                    KURZFAZIT

                    Für sich genommen extrem kantig, aber im Verbund mit 'Fire Walk With Me' rundet sich das Bild durch die nachgereichten Szenen ab.

                    31
                    • 7 .5
                      Framolf 29.10.2023, 22:05 Geändert 30.10.2023, 08:56

                      Horrorctober 2023, Film #34

                      ++ Minimale SPOILER ++

                      Nachdem die Handlung der Serie 'Twin Peaks' mit dem Finale der zweiten Staffel ein unerhörtes vorläufiges Ende fand, war innerhalb der Fangemeinde das Verlangen nach Antworten groß. David Lynch reagierte auf diese Nachfrage auf seine ganz eigene Weise.

                      Ein explodierender Fernseher weist früh den Weg und zeigt an, welche Richtung hier eingeschlagen werden soll. Weg von den Konventionen des von Lynch verhassten Mediums Fernsehen, hin zu mehr künstlerischer Freiheit, besserer visueller Qualität und weniger abgenötigten Konzessionsentscheidungen. Schnell wird allerdings klar, dass es sich nur um eine Reduktion von Zugeständnissen – und nicht um eine völlige Vermeidung dieser – handelt. Denn auch wenn ihm durch das Studio sehr viel mehr Freiheiten eingeräumt werden als seinerzeit durch ABC, muss er sich zunächst von einer großen Menge an abgefilmtem Material trennen. Schließlich haben viele Kinobetreiber nur bedingtes Interesse an überlangen Filmen, durch die die Kinosäle allzu lange belegt werden. Geopfert wurden also zunächst zahlreiche Kurzauftritte von Darstellern, die in der Serie durchaus tragende Rollen innehatten, was auch eine Änderung des Tonfalls zur Folge hatte. Denn plötzlich ist Twin Peaks nicht mehr nur eine Ansammlung ungelöster Probleme von Charakteren, die skurriler kaum sein könnten, sondern ein düsterer und nahezu hoffnungsloser Ort, der so schwer von kapitalistischen Auswüchsen gezeichnet scheint, dass selbst von in ihrem Leben bedrohten Anwohnern Angebote der Hoffnung ausgeschlagen werden.

                      Nicht zufällig verweist die blaue Rose der Pantomimin auch auf die blaue Blume der Romantik als Sehnsuchtssymbol nach einer mittlerweile mehr oder minder verlorenen Einheit mit der Natur. Das amerikanische, europäische und asiatische Kapital hat die Kleinstadt - und eigentlich die ganze Welt – bereits in einem Würgegriff, aus dem eine Befreiung kaum noch möglich erscheint. Lynch-Kenner Georg Seeßlen bezeichnet das Böse in Twin Peaks nicht umsonst als „Struktur von Geld, Macht, Gewalt und Sexualität“, die durch die postpuritanische Gesellschaft hervorgebracht, aber nicht so richtig verstanden wird.

                      Doch zurück zu den Charakteren. Diejenigen, die es schließlich in die endgültige Schnittfassung geschafft haben, erscheinen im Vergleich zur Serie regelrecht reduziert. Der satirische und bis ins Groteske übersteigerte Erzählton ist nun einer düsteren, abgründigen und pessimistischen Grundstimmung gewichen, was zumindest auf den ersten Blick vor allem insofern bemerkenswert erscheint, dass es sich hierbei um ein Prequel handelt. Umso bitterer fällt der Befund aus, wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt. Kurz nach den ersten beiden Morden an jungen Frauen geht die Bevölkerung also wieder zur Tagesordnung über und kümmert sich um eigene Belange – vorzugsweise um das eigene Doppelleben. Der Erzählton fällt in 'Fire Walk With Me' nicht nur grimmiger und ernster, sondern irgendwie auch erwachsener aus. Für kurze Zeit scheinen mehrere Charaktere innezuhalten und dem inneren Kind mal nicht den Vorrang zu geben. Verhindert werden kann das drohende Unglück allerdings auch dadurch nicht. Laura Palmer scheint fast schon zielstrebig in das eigene Verderben zu rennen; wobei sich jedoch auch die Frage stellt, ob ihr Untergang nicht ohnehin schon durch das Erkennen der Einheit von Bob und Leland besiegelt war. Wohin hätte sie auch dauerhaft fliehen sollen?

                      Die Reaktionen auf dieses düstere Gemälde von David Lynch fielen jedenfalls durchwachsen aus (was sich erst sehr viel später durch die Veröffentlichung von 'The Missing Pieces' ändern sollte). Seeßlen erklärt die vielen verhaltenen bis enttäuschten Reaktionen auf den Film damit, dass Lynch den Kinofilm zur Serie „against interpretation“ verfilmt hat, und dass dieses Prequel seinen eigenen bisherigen Prinzipien (Charakterzeichnung etc.) aus der Serie zuwider läuft. Während Rückblicke in unserer Kultur (etwa in der Psychoanalyse, im historischen Materialismus, oder in abendländischen Religionen) üblicherweise Klarheit bringen sollen, fügt Lynch stattdessen weitere Mysterien hinzu. 'Fire Walk With Me' erscheint über weite Strecken also als ein Traum über einen Traum. Gerade in Verbund mit 'The Missing Pieces' kann es für langjährige Fans allerdings durchaus Sinn machen, diesen wiederholt zu träumen.

                      Randnotiz: Analog zu einigen rückwärts aufgenommenen Dialogzeilen, die anschließend wiederum rückwärts abgespielt werden, läuft laut Lynch auch ein Teil der Handlung rückwärts ab. So wird beispielsweise Cooper erwähnt, bevor er überhaupt in Twin Peaks eintrifft. Geniestreich oder schelmische Rechtfertigung eines Goofs? Die Antwort kennt nur David Lynch. Konsequenterweise legt er diesbezüglich jedoch in 'Twin Peaks: The Return' deutlich nach.

                      KURZFAZIT

                      Mit jeder Antwort, die hier geliefert wird, wird mindestens eine zusätzliche Frage aufgeworfen. Statt das Mosaik zu komplettieren, stückelt Lynch an den Rändern (und nicht nur dort) an, sodass daraus gewissermaßen ein 3D-Puzzle wird. Interviews mit ihm lassen daraus schließen, dass er manche Fragen ohnehin nicht beantwortet haben möchte und sie letztlich sogar für sich selbst offen gelassen hat. Er bleibt sich treu und hat trotz aller Finsternis eben auch den Schalk im Nacken sitzen.

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                      • 5 .5
                        Framolf 28.10.2023, 20:14 Geändert 28.10.2023, 20:14
                        über Ghul

                        Horrorctober 2023, Beitrag #33

                        In 'Ghul' bekommt das Publikum genau das zu sehen, was man erwarten würde, wenn Netflix und Blumhouse eine indische Miniserie produzieren. Zumindest fast. Denn in Bezug auf die Laufzeit ist diese Produktion eigentlich nur ein in drei Episoden zerlegter Spielfilm. Sogar die Dramaturgie orientiert sich in an Gepflogenheiten aus dem Kino.

                        Erzählt wird die Geschichte einiger Sicherheitskräfte, die in einem Gefängnis ihren Dienst verrichten. Einer der Gefangenen soll angeblich unschuldig sein, was aber kaum jemanden interessiert. Das Interesse fokussiert sich vielmehr auf den Verdacht, dass eine Person innerhalb des Gebäudes eine getarnte Bestie, genauer gesagt ein Ghul, sein könnte. Die Protagonistin wähnt sich auf der richtigen Spur, jedoch schenkt ihr wegen ihrer Backstory um ihren Vater kaum jemand Glauben.

                        Atmosphärisch erinnert 'Ghul' ein wenig an 'Resident Evil', inhaltlich werden zumindest in Nuancen durchaus auch eigene Akzente gesetzt und kulturelle Eigenheiten mit eingebracht; dennoch ist eigentlich zu jedem Zeitpunkt klar, dass diese Verfilmung in manchen Punkten auch abendländischen Mustern folgt. Versucht wird also einmal mehr der Spagat zwischen zwei recht unterschiedlichen Erzähltraditionen, der letztlich auch ganz passabel gelingt.

                        KURZFAIT

                        Solider Miniserien-Snack für zwischendurch.

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                        • 5
                          Framolf 27.10.2023, 21:18 Geändert 03.02.2024, 05:37

                          Horrorctober 2023: First Blood, Film #32

                          ++ Leichte SPOILER ++

                          Die drei Stooges wollen gemeinsam mit einer Freundin (Maisie Williams aus 'Game of Thrones') das Haus eines älteren Ehepaares ausrauben. Doch schnell stellt sich heraus, dass sich die vermeintlichen Opfer durchaus zu helfen wissen und völlig überraschend entwickeln sich die Dinge ganz anders, als es die drei Möchtegern-Verbrecher-Einsteins geplant haben.

                          Da die meisten Wegmarken der Handlung einige Kilometer gegen den Wind stinken, speist sich die Spannung in erster Linie aus punktuell verteilten überraschenden Handlungsdetails. Immer wieder kommt es zu kleineren Entwicklungen, die sich nicht ganz so deutlich am Horizont abzeichnen wie der grobe Handlungsverlauf. Gespickt ist die Erzählung mit mehreren grotesken Überspitzungen, die aber nur in den seltensten Fällen einen erzählerischen Mehrwert bringen; denn es wird weder so richtig lustig noch spannend oder hintergründig. Zwar wird die Geschichte ohne allzu ausufernde Längen heruntererzählt, doch trotzdem fragt man sich, wie diese drei Trottel eigentlich so lange durchhalten können. Man hat ja schon Zweifel, ob sie sich überhaupt die Schuhe binden können, ohne dabei draufzugehen. So gesehen schlagen sie sich bei dem Überfall also recht wacker. Den mentalen Herausforderungen der Einbrecher steht auf der anderen Seite die (relative) körperliche Schwäche der Hauseigentümer gegenüber, die ihr Heil in der List suchen. Eigentlich beste Voraussetzungen also für ein halbwegs ausgeglichenes Katz- und Maus-Spiel zwischen zwei Parteien, die sich gegenseitig die Hölle auf Erden bereiten; nur dass die Katze hier lediglich zwei Beine hat, während die Maus stockbesoffen ist. Das Ergebnis dieser etwas kuriosen Situation kann man sich während der Sichtung verhältnismäßig früh bereits selbst ausrechnen.

                          Kann man sich mal geben, aber einmal reicht.

                          KURZFAZIT

                          Augen auf bei der Komplizenwahl!

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                          • 9

                            Horrorctober 2023, Beitrag #31

                            Selbst eine lange Reise muss irgendwann enden. Nach elf Staffeln und 177 Episoden wird die Geschichte um gefährliche Zombies, die in den Dialogen in dieser Form aber nicht beim Namen genannt werden, und noch viel gefährlichere Menschen zu einem Abschluss gebracht. Aber gibt es überhaupt irgendwelche Gewissheiten im Serienuniversum der Walking Dead?

                            Gut, wer zermatscht oder geköpft wird, ist raus. Aber abgesehen davon schlägt die Handlung wilde Haken, die eigentlich nur eine Gemeinsamkeit haben: Den Verfall. Ähnlich wie die Walker, die von Jahr zu Jahr heftiger verrotten, verkommen auch die Sitten und Methoden der Akteure immer stärker. Die wenigen Regeln der Kriegsführung, die anfangs vielleicht noch gelten mögen, werden nach und nach über Bord geworfen, sodass ab einem gewissen Zeitpunkt selbst die Protagonisten keine moralische Überlegenheit mehr für sich in Anspruch nehmen können. Nachdem sie wiederholt daran scheitern, ihre wechselnden Kontrahenten von der Einhaltung gewisser Mindeststandards zu überzeugen, greifen sie selbst zu immer rabiateren und schmutzigeren Methoden und zahlen dafür einen hohen Preis. Kategorien wie „gut“ und „böse“ gibt es im postapokalyptischen Zeitalter der Walking Dead ohnehin nicht mehr. Letztlich gibt es nur noch Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Interessen, was den gesamten Kontinent in die Zeit Machiavellis zurückwirft. Jedes Fürstentum ist strikt auf das eigene Wohl fixiert und der Hauptunterschied besteht eigentlich nur noch in der Vehemenz, mit der Expansionspläne verfolgt werden, sowie in der jeweiligen Methodenwahl. Manche Akteure wirken offen konfrontativ, während andere ihre Gegner infiltrieren und von innen heraus zersetzen. Das Ergebnis ist stets dasselbe: Der Zerfall sozialer Strukturen und gesellschaftlicher Einheiten.

                            So gesehen dreht sich die gesamte Serie beständig im Kreis. Auf der anderen Seite kommt es während der zahlreichen Variationen eines im Grunde stets ähnlich aufgebauten Konflikts jedoch auch zu einer ordentlichen Zahl erschreckender Überraschungsmomente. Zudem sorgt die sukzessive Erweiterung der Landkarte um zusätzliche Orte für weitere Handlungsoptionen und eine Vielzahl neuer Figurenkonstellationen. Darüber hinaus dürfte auf Fans von Endzeitgeschichten alleine schon die trostlose Atmosphäre anziehend wirken, in die die Geschichte der wandelnden Toten eingebettet ist. In grobkörnigen Bildern werden zahllose grobschlächtige Aktionen gezeigt. Den Gegenpol stellen Geschichten um verschiedene Paarbeziehungen, Freundschaften und (Patchwork-)Familien dar, die aber in vielen Fällen noch fragiler sind als die Schädelknochen der Walker.

                            Trotz gelegentlicher Wiederholungen sind die Welt und das Figurenensemble der Walking Dead groß genug, um auf dieser Prämisse zahlreiche weitere Geschichten aufzubauen. Mindestens drei der Spin Offs sind ganz offenkundig als Fortsetzungen der Hauptserie konzipiert, die vermutlich aus Vermarktungsgründen in einer ausdifferenzierten Form veröffentlicht werden (sollen), was so gesehen auch einen Schritt zurück zu den Anfängen der Serie darstellt, als gelegentlich auch Episoden gezeigt wurden, die nicht eine Gruppe von Figuren, sondern auch mal einzelne Charaktere in den Fokus nehmen. Und so stellt das Ende dieser Reise eben auch den Aufbruch zu mehreren weiteren Reisen dar. Also: Baseballschläger eingepackt und los geht’s!

                            KURZFAZIT

                            Hoffnungsarmer Trip durch eine düstere Zukunft.

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                            • 6 .5

                              Horrorctober 2023, Beitrag #30

                              Eine Autorin von Horrorgeschichten bekommt während eines Marketingtermins eine ziemlich drastische Rückmeldung von einer Person aus ihrem Heimatort. Offenbar entfalten ihre Texte eine zerstörerische Wirkung auf eine Leserin und deren Umfeld. Durch ein erschreckendes Ereignis sieht sich die Schriftstellerin wenig später zu einer Reise in ihre Heimat gezwungen, wo sie sich (zusammen mit ein paar Freunden aus der Jugendzeit) einer dämonischen Bedrohung stellen muss.

                              Showrunner Samuel Bodin trägt hier wie eine Elster Versatzstücke verschiedener erfolgreicher Horrorformate (wie beispielsweise 'Der Exorzist' oder 'Es' und verschiedene andere Werke und Adaptionen von Stephen King) zusammen und kleidet sie in einen „europäischen“ Stil. Manches wirkt dadurch zwar vorhersehbar, doch die Handlung schlägt genug Haken, um auch wiederholt zu überraschen. Eingebettet ist die Erzählung in eine kühle und weitgehend trostlose Atmosphäre, die einen passenden Rahmen für das Geschehen bietet. Die (stellenweise sogar etwas augenzwinkernd umgesetzte) Montage im Buchseitenstil sorgt darüber hinaus für ein kleines visuelles Markenzeichen dieser Produktion. Innovationen werden sich für langjährige Horrorfans kaum entdecken lassen, aber handwerklich gut umgesetzt ist Geschichte von 'Marianne' allemal.

                              Gerade noch 6,5 Punkte.

                              KURZFAZIT

                              Eine Collage aus bewährten Horrormotiven im Miniserienformat.

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                              • 7 .5
                                Framolf 24.10.2023, 20:42 Geändert 24.10.2023, 21:23

                                Horrorctober 2023, Beitrag #29

                                ♪♫ A devil in a midnight mass
                                He prayed behind stained-glass
                                A memory of Sunday class
                                Resurrected from the past ♪♫

                                Billy Talent bringen eigentlich schon recht gut auf den Punkt, was Mike Flanagan mit 'Midnight Mass' für ein Monster an Miniserie auf das Publikum loslässt. Alles beginnt recht harmlos als Drama über einen ehemaligen Karrieristen, der nach einer fahrlässigen Tötung im Suff aus einer jahrelangen Haftstrafe entlassen wird und in sein Heimatdorf zurückkehrt. Dieses liegt rund 30 Meilen vor der Küste auf einer Insel, die kaum größer ist als das Dorf selbst. Trotz der Abgeschiedenheit von größeren Städten ist hier also kaum an Privatsphäre – und erst recht nicht an Einsamkeit – zu denken. Auf der anderen Seite kommt es hier so selten zu Verbrechen, dass der Dorfpolizist unter normalen Umständen noch nicht einmal eine Waffe bei sich trägt. Straßenverkehr gibt es gar keinen. Abgesehen vom sozialen Druck, der dadurch entsteht, dass jeder jeden kennt und so gut wie nie etwas passiert (was regelmäßig selbst bei Kleinigkeiten Getuschel nach sich ziehen kann), also nicht die schlechteste Umgebung für eine Resozialisierung – wäre da nicht...

                                Im Fall von 'Midnight Mass' gestaltet es sich extrem schwer, über die Handlung zu schreiben, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. Denn erstens finden die Eskalation sowie ihre deutlichsten Vorläufer erst vergleichsweise spät statt und zweitens lässt es sich zwar treffend über den religiösen Hintergrund und die zahlreichen kulturellen Verweise philosophieren, doch um die Argumentation auf den Punkt zu bringen, müsste man auch in diesem Fall wieder auf entscheidende Wendungen eingehen. Flanagans Skript ist ganz offenkundig von biographischen Erfahrungen geprägt und es führt Überlegungen fort, die mutmaßlich während der Zeit seiner Erziehung entstanden sein müssen. Einige der Gedanken kreisen um die Frage, ob und wie Gläubige beim Auftreten möglicher Wunder durch vermeintliche oder tatsächliche Erlöser zwischen göttlichen Zeichen auf der einen Seite und Scharlatanerie oder gar diabolischen Angriffen auf der anderen Seite unterscheiden könnten. In dieser Hinsicht knüpft Flanagan auch an einen Diskurs an, der im Serial-Bereich bereits 2003 durch Daniel Knaufs 'Carnivàle' angestoßen wurde.

                                Sehr weit kommt man über diese verkürzte Darstellung nicht hinaus, wenn man nicht auf allzu viele Handlungsdetails eingehen möchte. Daher nur noch so viel: Auch wenn die Mischung aus Drama und Horror hier völlig anders austariert ist als in Flanagans beiden vorherigen Miniserien 'Spuk in Hill House' und 'Spuk in Bly Manor', und auch wenn zurückliegende Ereignisse hier auf deutlich abweichende Art eingebunden werden, könnte sich eine Sichtung gerade für Fans der beiden 'Spuk'-Serien lohnen. Ein wenig Geduld ist aber auf jeden Fall gefragt, ehe die Dramaturgie auf ihren Höhepunkt zusteuert.

                                KURZFAZIT

                                Ambivalentes Spiel mit religiösen Motiven; anfangs dramenlastig, gegen Ende hin drastisch.

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                                • 7 .5
                                  Framolf 24.10.2023, 01:07 Geändert 25.10.2023, 01:31

                                  Horrorctober 2023: First Blood, Film #28

                                  ++ Mäßige SPOILER ++

                                  Alles hat seine Ordnung in der finnischen Neubausiedlung, in der Tinja, ihr Bruder Matias und deren namenlose Eltern leben. Sogar minimale Grünstreifen zwischen Gartenzaun und Straße werden bewässert und innerhalb der Häuser bemüht man sich um die perfekte Kopie einer Katalogoptik. Ob man wirklich reich ist, spielt eigentlich keine Rolle; wichtig ist nur, dass man so tut als ob – und dass man auch in den entsprechenden Social Media Postings ein möglichst gutes Bild abgibt. Matias wirkt wie eine Mischung aus Klon und Karikatur seines Vaters und von Tinja wird erwartet, ein Ebenbild ihrer Mutter abzugeben und die Ziele zu erreichen, die diese als Jugendliche hatte. Auf eine bizarre Weise gelingt es der Mutter auch, die Tochter in ihren Fußstapfen wandeln zu lassen; jedoch deutlich anders als geplant.

                                  Als die Tochter dabei zusehen muss, wie ihre Mutter einem hilflosen Vogel das Genick bricht, werden in ihr Kräfte entfesselt, die unter der glatten Oberfläche bisher nicht sichtbar waren. Auf externalisierte Weise wird Tinjas dunkle Seite regelrecht greifbar und sie wächst ihrem Umfeld zusehends über den Kopf. Auch Tinja selbst kann sie nur unzureichend kontrollieren, wodurch alles auf einen finalen Konflikt (mit sich selbst, aber auch mit den anderen Familienmitgliedern) hinausläuft.

                                  (Spielfilm-)Regiedebütantin Hanna Bergholm rührt in einem betont sterilen Setting und in einem plakativ biederen gesellschaftlichen Umfeld eine trockene Mischung aus Gesellschaftskritik und Spott an, der aber auch fraglos ein gewisser Schrecken innewohnt. Dabei geht sie unter anderem der Frage auf die Spur, welche Art von Nachfolgegeneration eigentlich Eltern hinterlassen, denen nichts wichtiger ist als der äußere Schein und das eigene Wohl und für die Verantwortung für das eigene Handeln keinerlei Rolle mehr zu spielen scheint. Speziell der zweite und dritte Aspekt dieser Charakterisierung (eigenes Wohl und fehlendes Verantwortungsgefühl) grenzen die hier gezeigte „Mutter“ (einen persönlichen Namen hat ihr die Autorenfilmerin offenbar ganz bewusst nicht gegeben) dann auch klar von den meisten Biedermännern und -frauen vergangener Jahrzehnte ab. Jede Zeit hat eben ihre eigenen Sitten. Vielleicht ist im Jahr 2022 der soziale Druck von außen (beispielsweise gegenüber Nachbarn) nicht mehr ganz so hoch wie anno dazumal, dafür erwächst er nun eher aus den Wohnungen heraus, in denen man vermeintlich schicke Bilder und Videos für's Internet postet. Wer in solch einer Umgebung aufwächst, adaptiert eben gerne mal die Verhaltensweise seiner Vorbilder (Matias) oder bricht auf die eine oder andere Weise aus den Verhältnissen aus (Tinja), was durchaus auch mal hässlich werden kann. Wie diese Generation später ihre Kinder erziehen wird, wird sich noch zeigen. Eine Rabenmutter der etwas anderen Art bekommt man jedenfalls hier schon mal zu sehen.

                                  7 – 7,5 Vogeleier.

                                  KURZFAZIT

                                  Coming of Age Drama mit impliziter Gesellschaftskritik im Gewand eines finnischen Horrorfilms.

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                                  • 7 .5
                                    über Fresh

                                    Horrorctober 2023: First Blood, Film #27

                                    Noas (Daisy Edgar-Jones) Date in einem asiatischen Imbissrestaurant entpuppt sich als purer Reinfall. Eine größere Niete als diesen unverschämten und ignoranten Dummschwätzer hätte sie wohl nicht ziehen können. Ein Glück, dass sie wenig später einen augenscheinlich kultivierten Mann kennenlernt, der noch dazu ein Feinschmecker zu sein scheint.

                                    Wer bei dieser Prämisse an 'The Menu' denkt, liegt goldrichtig und komplett falsch zugleich. Vielmehr drängt sich allerdings der Vergleich zu diversen anderen Genrevertretern auf, die hier aber besser nicht genannt werden sollten, da Mimi Caves Regiedebüt 'Fresh' sicherlich dann das beste Aroma entfalten kann, wenn es möglichst ungespoilert genossen wird.*

                                    Worüber man aber schon im Vorfeld ungehemmt schwärmen kann, ist der Stil der Inszenierung. In edler Kameraarbeit eingefangene Hochglanzbilder und ein stimmungsvoller Score setzen die passende Atmosphäre für diese filmische Schlachtplatte der etwas anderen Art. Beim Spiel des Ensembles mag es vielleicht hier und da noch etwas Luft nach oben geben, doch es wirkt dadurch eben auch bodenständig genug, um die phasenweise auftretende Spannung zu befeuern. Zudem setzt Mimi Cave auf ein ganz eigenes Timing, das zwar nur um Nuancen, aber in einigen Szenen doch entscheidend von einigen tradierten Genrekonventionen abweicht. Der Effekt, der daraus resultiert, lässt sich als eine Variation von Alfred Hitchcocks Konzept zum Spannungsaufbau begreifen. Man sieht bestimmte Ereignisse zwar kommen, doch sie treten oft erst 30 oder 60 Sekunden später auf, als man es aus zahlreichen anderen Filmen kennt. Wer empfänglich für derlei Spielereien mit Details ist, hat gute Chancen, von 'Fresh' ordentlich unterhalten zu werden. Die Handlung an sich gibt hingegen kaum Höhepunkte her, die eine Sichtung zu einem Muss machen würden. Zwar geben einige zynische Zwischentöne dem Fleisch die richtige Würze, doch wirklich neu sind weder die Zutaten noch deren Kombination. Wenn das Essen jedoch auf einem so schönen Teller serviert wird wie hier, kann es durchaus Sinn machen, herzhaft in das Steak zu beißen.

                                    Gerade noch 7,5 Happen Fleisch auf dem Teller.

                                    KURZFAZIT

                                    Grimmiger, aber trotzdem nicht ganz ernst gemeinter Horrorthriller für Gourmets.

                                    --

                                    *SPOILER

                                    Referenzen wären beispielsweise Filme wie 'Split', '10 Cloverfield Lane', 'Pet' oder 'Chained'.

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                                    • 6
                                      Framolf 22.10.2023, 14:47 Geändert 02.02.2024, 05:41

                                      Horrorctober 2023: First Blood, Film #26

                                      ++ Minimale SPOILER ++

                                      Eine Seuche hat Millionen Menschen dahingerafft. Ein Forscher (Vincent Price), der seine Familie verloren hat, muss sich nun alleine durchschlagen. Nach einem ausführlichen Rückblick auf die letzten Züge seines Familienlebens stellt er fest, dass die Welt nicht ausschließlich von zombieähnlichen Vampiren bevölkert ist.

                                      Die verzweifelte Lage des Protagonisten wird mit vergleichsweise minimalistischen Stilmitteln atmosphärisch passend in Szene gesetzt. Vincent Price passt als Typ und in Bezug auf sein Rollenimage ohnehin gut in die hier gesetzte Stimmungslage. Es fällt jedoch auf, dass dem Publikum offenbar nur ein gewisses Maß an cineastischer Einsamkeit zugetraut wurde. Zu Beginn spricht Price eine ganze Reihe an tagebuchartigen Monologen aus dem Off, später kommt anderweitig Belebung in die Szenerie. Vielleicht ging es Ubaldo Ragona und Sidney Salkow bei derlei Entscheidungen auch nur um eine strikte Abgrenzung von der Stummfilmära. So oder so fällt jedoch auf, dass die Stimmung zwar durchaus passend, aber nicht mit letzter Konsequenz auf das Publikum übertragen wird. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass dies in allererster Linie auf Druck von oben (Studio, Produzenten) geschehen sein dürfte.

                                      So oder so erweist sich 'The Last Man on Earth' als stilistische Keimzelle vieler weiterer Endzeitfilme – oder zumindest als einer von vielen bemerkenswerten Entwicklungsschritten dieses Subgenres – und könnte daher gerade für Cineasten mit Interesse an der Entwicklung einzelner Subgenres aus dem Horror- oder Science-Fiction-Bereich von Belang sein.

                                      KURZFAZIT

                                      Endzeitfilm über ein tristes Szenario, in dem sich die verbliebenen Menschen und die Untoten gegenseitig und untereinander den Alltag zur Hölle machen. Wie so oft steckt in dieser Fiktion durchaus auch ein gesellschaftskritischer Kern.

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                                      • 5
                                        Framolf 21.10.2023, 22:34 Geändert 07.02.2024, 05:05
                                        über Moloch

                                        Horrorctober 2023: First Blood, Film #25

                                        In den Niederlanden kommt es zu einem kuriosen Fund einer Moorleiche. Denn nicht nur diese muss geborgen werden, sondern die ihres Finders gleich mit, nachdem dieser selbst vor Ort verstorben ist. Unterdessen beschleichen eine Anwohnerin mit einer tief klaffenden Backstorywound düstere Vorahnungen, die nur auf den ersten Blick unbegründet herbeigezogen sind.

                                        (Spielfilm-)Regiedebütant Nico van den Brink erzählt analog zu deutschsprachigen Serien wie 'Der Pass' oder 'Kohlrabenschwarz', die durch eine Mischung aus Mystery und Crime (und im Fall von 'Kohlrabenschwarz' auch Comedy) geprägt sind, eine Geschichte, die auf lokalen Mythen und Sagenfiguren basiert und verwebt diese mit zeitgenössischen Charakteren und Ereignissen. In einem fast schon „klassischen europäischen Stil“ und in ordentlich gesetzter Atmosphäre werden nach und nach die Rahmenumstände und der „historische“ Hintergrund der Geschichte enthüllt, während sich die imaginäre Schlinge um den Hals mehrerer Charaktere immer enger zieht. Die ganz großen Kreativ-Ausrufezeichen sucht man hier vergebens, denn im Großen und Ganzen wird hier sowohl inhaltlich als auch stilistisch ein recht sicherer Weg beschritten. Die vielleicht größte Stärke der Inszenierung könnte in der unterkühlten Atmosphäre liegen, die sowohl gut zum Lokalkolorit als auch zur Handlung der Geschichte passt. Der Preise dieser Kühle ist jedoch auch eine gewisse emotionale Distanz zwischen einigen der Charaktere sowie zwischen Charakteren und Publikum.

                                        Das Ergebnis dieser Mixtur ist keineswegs ein Rohrkrepierer, ragt auf der anderen Seite aber auch in keiner Weise nennenswert aus der großen Massen an Horrorthrillern heraus.

                                        KURZFAZIT

                                        Solider Mythologiehorror aus den Niederlanden.

                                        [Wichtiger Sicherheitshinweis: Beim Eintippen des Filmtitels darauf achten, dass man beim Anfangsbuchstaben auf der Tastatur nicht um zwei Zeilen nach rechts oben verrutscht. :D ]

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                                          Horrorctober 2023: First Blood, Film #24

                                          Eine junge Frau, die sich regelmäßig bedroht fühlt, leidet zugleich unter Erinnerungslücken und einem inflationären Auftreten von Deja-vus. Was könnte die Ursache dafür sein? Demenz? Eine psychoaktive Substanz? Oder vielleicht eine Zeitschleife?

                                          Gemeinsam mit der Protagonistin geht das Publikum auf die Suche nach Hinweisen und betreibt Ursachenforschung. Umso größer dürfte die Enttäuschung einiger Zuschauer nach der Enthüllung der Auflösung aussfallen. Zwar gelingt Drehbuchautorin Allyson Morgan damit eine kleine Überraschung, allerdings eher deshalb, weil diese regelrecht an den Haaren herbeigezogen ist – und nicht, weil sie so unfassbar reflektiert konstruiert wäre. So gesehen korrespondiert der Inhalt dieses für Hulu produzierten Projekts zumindest recht gut mit der visuellen Gestaltung und dem Ton, die über weite Strecken eher an ein Fernsehproduktion als einen Kinofilm erinnern.

                                          KURZFAZIT

                                          B-Movie mit halbwegs ungewöhnlicher Prämisse, aber kruder Auflösung.

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                                            Framolf 20.10.2023, 07:42 Geändert 20.10.2023, 07:42

                                            Horrorctober 2023, Film #23

                                            Im britischen Episodenfilm 'Totentanz der Vampire' werden vier Geschichten erzählt, die von einer Rahmenhandlung zusammengeklammert werden bzw. sich mit dieser überschneiden. Eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt verbietet sich an dieser Stelle fast von selbst, da sonst womöglich noch der letzte Rest von Freude an der Sichtung verloren gehen könnte. Denn neben der recht dünnen und teils reichlich abstrusen Handlung schleppt jede der Geschichten auch noch ein ganz eigenes Päckchen mit sich herum.

                                            Das erste Kapitel, das sich mit einem Schriftsteller beschäftigt, dem eine seiner fiktionalen Figuren über den Kopf zu wachsen droht, wirkt wie ein früher Vorläufer der Leib- und Magen-Thematik von Stephen King. Immerhin beinhaltet sie überraschende Wendungen. Der Abschnitt über das Wachsfigurenkabinett gestaltet sich hingegen höchst vorhersehbar, was so weit geht, dass sich sogar die unplausiblen Entwicklungen erahnen lassen. Während die anschließende Anekdote mit der Teilnahme von niemand geringerem als Christopher Lee punkten kann, wird es zum Abschluss eher drollig. Unbeholfen in Szene gesetzte Filmtricks (die Bezeichnung „Spezialeffekte“ wäre maßlos übertrieben) sorgen zum Finale eher für Erheiterung und lenken so vielmehr vom vermeintlich schockierenden Ende ab, statt die Inszenierung aufzuwerten.

                                            Trotz einer recht konventionellen Spieldauer von gut 100 Minuten hätte dieser Verfilmung eine leichte Straffung sicher nicht schlecht zu Gesicht gestanden. Nachdem ein Teil der Geschichten ohnehin schon recht farblos erzählt wird und die Handlung über weite Strecken ziemlich überschaubar ist, hätten ein paar Minuten weniger pro Abschnitt eventuell für ein etwas höheres Erzähltempo sorgen können. Doch so bleibt am Ende bestenfalls Durchschnittskost, die in allererster Linie von einem gewissen Vintagecharme lebt.

                                            KURZFAZIT

                                            In die Jahre gekommenes Mittelmaß.

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                                              Framolf 19.10.2023, 15:35 Geändert 02.02.2024, 03:45

                                              Horrorctober 2023: First Blood, Film #22

                                              ++ Leichte SPOILER ++

                                              Sarah zieht, wie so viele andere junge Menschen, voller Hoffnung nach Los Angeles. In ihrem Fall ist es der Traum von einem Job als Kostümdesignerin in Hollywood sowie der Wille zu einem Neustart nach einem massiven Streit mit ihrem Vater. Es dauert nicht lange und es stellt sich heraus, dass trotz des tiefgreifenden familiären Zerwürfnisses eine Versöhnung mit ihrem Dad sehr viel realistischer gewesen wäre als ein Entkommen aus dem Albtraum, in den sie an ihrem neuen Wohnort geraten ist.

                                              Im Gegensatz zu den allermeisten anderen großstädtischen Wohnblöcken scheinen sich hier nahezu alle Bewohner des Gebäudes zu kennen und offenbar pflegt man auch intensiven Kontakt zueinander. Doch von rein altruistischer Fürsorge scheint man hier dennoch weit entfernt zu sein. Schon früh drängt sich daher der Verdacht auf, Sarah könnte in eine Sekte geraten sein. Ob es wirklich so ist? Findet es heraus – wenn ihr euch traut.

                                              Nachdem in 'The Apartment' über weite Strecken das Mittelmaß dominiert, werden die Schrauben gegen Ende hin immer heftiger angezogen, auch wenn bereits lange Zeit vorher klar ist, dass die Protagonistin nur auf den richtigen Moment lauert, um eine passende Gelegenheit für Gegenmaßnahmen zu ergreifen, mit denen sie sich gegen ihre nachbarn zur Wehr setzen will. Es bleibt also lange Zeit offen, wann sie es versuchen wird und es stellt sich die Frage, was sie wohl unternehmen wird – und natürlich auch ob ihre Pläne gelingen können. Doch wie so oft im Leben (und auch in der Filmwelt) entwickeln sich die Dinge ab einem gewissen Punkt deutlich anders als erwartet. Und so holt Regiedebütant David Marmor gegen Ende hin die Kohlen dann doch noch aus dem Feuer – auch wenn es sicherlich nicht alle Zuschauer so sehen dürften.

                                              KURZFAZIT

                                              Filmischer Albtraum, der mit fortschreitender Laufzeit immer roher und drastischer wird.

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                                                Horrorctober 2023: First Blood, Film #21

                                                In New Orleans kommt es zu rätselhaften Attacken auf die Einwohner. Angehörige des örtlichen Prekariats werden zu blutrünstigen Monstern und einer Gefahr für die Allgemeinheit.

                                                Bereits diese skizzenhaft umrissene Prämisse deutet an, weshalb 'Black As Night' gegenüber dem thematisch verwandten Ansatz von 'Vampires vs. the Bronx' mehr oder weniger zwangsläufig den Kürzeren ziehen muss. Während im zweitgenannten Film Immobilienhaie den Menschen nicht nur das Geld aus den Taschen ziehen, sondern auch das Blut aus den Adern saugen, sind hier es irgendwelche armen Schlucker, die ohnehin schon vom Schicksal gebeutelt sind. Zwar könnte man dieses Konstrukt damit rechtfertigen, dass finanziell schwache Menschen besonders vulnerabel sein können, doch in Bezug auf eine etwaige Parabelhaftigkeit der Geschichte ist auch damit nicht viel gewonnen. Zwar werden auch hier einige Rückverweise zum finsteren Zeitalter der Sklaverei gezogen, doch über die bloße Nennung verschiedener Ereignisse im Nachgang kommt man nicht wesentlich hinaus. Dasselbe gilt für die Einhegung kultureller Eigenheiten aus Louisiana (Jazz Funeral etc.). Zwar werden durchaus viele Traditionen erwähnt oder gezeigt, eine gewisse Doppelbödigkeit findet sich aber bestenfalls in einem Teil der Szenen.

                                                Bleibt am Ende also nur noch die Vampirstory an sich – und die ist allerhöchstens durchschnittlich. Wie in nahezu jedem anderen Vampirfilm auch gibt es natürlich hier ebenfalls ein, zwei „Sonderregeln“ in der Charakterisierung der Vampire (im Fall von 'Black As Night' betrifft das vor allem die Fähigkeit, sich dem Sonnenlicht auszusetzen). Und auch sonst läuft hier ziemlich viel nach business as usual, was gerade für eine Reihe wie 'Welcome to the Blumhouse', die sich eigentlich Innovationen auf die Fahnen geschrieben hat, einen doch recht mauen Output darstellt. In Bezug auf das spezielle Motto der zweiten Staffel (institutioneller Horror) empfiehlt sich dann doch eher eine Sichtung von 'The Manor' oder eventuell noch von 'Madres – Der Fluch'. Zumindest vor dem vierten Beitrag der zweiten Welle ('Bingo Hell') muss sich Maritte Lee Gos Regiedebüt allerdings nicht verstecken. Immerhin.

                                                Unqualifizierte Nebenbemerkung: Es wäre nicht weiter verwunderlich, wenn es auch eine Asylumversion oder einen „Liebesfilm“ mit dem Titel 'Black Ass Night' geben würde.

                                                KURZFAZIT

                                                Vampirhorror der verpassten Möglichkeiten. Aber falls die Autoren selbst Bluttrinker sein sollten, haben sie ja ein paar hundert Jahre Zeit, sich eine bessere Geschichte aus den Fingern zu saugen.

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                                                  Horrorctober 2023: First Blood, Film #20

                                                  ++ Minimale SPOILER ++

                                                  Eine neue Schülerin wird in ein abgelegenes Internat verbracht, in dem so einiges aus dem Ruder läuft. Ungehorsame Schülerinnen werden körperlich gezüchtigt, nahezu alle werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Es herrscht eine gewisse Zwei-Klassen-Gesellschaft und offenbar befindet sich auch ein Voyeur im Gebäude. Zu allem Überfluss verschwinden von Zeit zu Zeit sogar noch Mädchen. Während „normale“ Ausreißerinnen aus anderen Einrichtungen irgendwann bei ihren Angehörigen ankommen, hört man hier nie wieder etwas von den vermissten jungen Damen. Wo ist Teresa da nur hineingeraten?

                                                  Narciso Ibáñez Serrador (Regie) inszeniert diese Geschichte deutlich konservativer, reflektierter und nuancierter als viele andere Filmemacher, wodurch ein gewisses Gegengewicht zu diversen Unerhörtheiten der Handlung gesetzt wird. Die Kamera ist deutlich weniger voyeuristisch als bei vielen anderen Filmen, wodurch sich auch nicht diese Bigotterie ergibt, die andernorts oft beobachtet werden kann; beispielsweise wenn der Blick, den das Publikum einnimmt, sich nicht wesentlich von dem des verachteten oder gescholtenen Voyeurs im Film unterscheidet. Auf der anderen Seite ergeben sich durch diesen Konservativismus auch einige Verrenkungen, die eher unfreiwillig komisch wirken (wenn sich beispielsweise Schülerinnen, die im Unterkleid duschen, einseifen wollen / sollen). In den letzten Augenblicken der Handlung zieht die Inszenierung dann aber doch noch (zumindest fast) in den Exploitationbereich und weist damit in eine (Stil-)Richtung, die im folgenden Jahrzehnt fast schon exzessiv oft beschritten werden sollte. Gerade dadurch gewinnt die Auflösung deutlich an Effektivität und das Publikum wird mit einem Gefühl des Erstaunens aus der Sichtung entlassen, dass über weite Strecken der Spieldauer nur die wenigsten erwartet haben dürften.

                                                  KURZFAZIT

                                                  Stilprägender Vertreter aus der (relativen) Frühphase des Giallo.

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                                                    Horrorctober 2023, Film #19

                                                    Rund ein Viertel Jahrhundert vor den Ereignissen in den 80er Jahren finden die Geschehnisse statt, die in 'Bloodlines' geschildert werden. Das Grundprinzip ist dasselbe: Zuerst taucht ein verhaltensauffälliges Tier auf, kurze Zeit später macht dann ein auffällig blasser Zweibeiner die Gegend unsicher. Doch das ist erst der Auftakt zu einer Serie blutiger Ereignisse.

                                                    Die Figurenkonstellation stellt sich in 'Bloodlines' deutlich verändert dar und durch die im Raum stehende Kriegsthematik bekommt die Handlung auch einen gewissen (unsichtbaren) Überbau, der wie eine Klammer funktioniert. Auch ein paar Goreszenen können sich sehen lassen. Auf der anderen Seite kommen die Autoren allerdings auch nicht über die inhaltlichen Leitplanken hinaus, die sie durch die ursprüngliche Prämisse gesetzt haben. Irgendwie muss es halt stets um Wiederbelebung toter Körper in der Nähe der Ortschaft Ludlow gehen.

                                                    Trotzdem wird vorsichtshalber in einem Rückblick schon mal angedeutet, dass die Ursprünge der mysteriösen Grabstätte noch sehr viel weiter in der Vergangenheit liegen. Die Tore zu einem Pre-Pre-Prequel, das wiederum weit vor der Szene aus dem Rückblick liegt, sind also bereits geöffnet. Anders gesagt: Neben den 60er und 80er Jahren sowie der Gegenwart bieten sich noch mindestens zwei weitere Zeitebenen für kommende Verfilmungen an. Im Grunde wäre ein regelrechtes Tierfriedhofsuniversum denkbar. Doch im Falle einer Umsetzung sollte man sich tunlichst für weitere neue Ideen öffnen, was aber womöglich zu weiteren Enttäuschungen im Publikum führen könnte. Am Ende von 'Bloodlines' sagt einer der Charaktere, dass der Tod nicht zwingend die schlechteste Entwicklung sein müsse, sondern dass es manchmal auch noch schlimmer laufen könne. Übertragen auf diese Filmreihe hat es allerdings den Anschein, dass jemand vor vielen Jahren eine VHS-Cassette der Verfilmung von 1989 auf dem besagten Friedhof begraben hat. Das Ergebnis lässt sich im Sequel (1992), dem Remake (2019) und der Prequel (2023) bestaunen. Man muss es nicht zwingend schlecht finden, aber es erscheint durchaus verständlich, dass einige Zuschauer mittlerweile genug von der wiederbelebten Idee haben.

                                                    KURZFAZIT

                                                    Solides Prequel – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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