lieber_tee - Kommentare

Alle Kommentare von lieber_tee

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    Kau-Boy und Indianer spielen...
    Dem abgegrasten Zombie-Genre neuen Biss zu geben ist nicht leicht. Dieser Film versucht untoten Horror mit gesellschaftspolitischen Subtext zu verbinden. Es klingt vielversprechend, wenn nur indigene Menschen gegen einen tödlichen Virus immun sind. Daraus könnte eine allegorische, (post-) koloniale Parabel entstehen. Aber die Idee, das „Weisse“ Krankheit und Tod ins Land der Ureinwohner bringen (damals wie heute) wird nie verfolgt. Stattdessen erkundet der Film familiäre Bruder-Rivalitäten und das auch nur halbgar. „Blood Quantum“ ist eine generische Standartsuppe ohne Dringlichkeit, die spärlich vor sich hin fliesst, zumindest mit blutiger Würze und hübschen Bildern.
    5 untote Lachse.

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      lieber_tee 25.10.2020, 12:52 Geändert 31.10.2020, 02:20

      Netflix nimmt die Pille.
      Eine Droge, die dich töten, oder dir fünf Minuten lang Superkräfte verleihen kann. "Project Power" ist ein schlichter Genre-Hybrid aus Dutzenden von Comics und anderen 90er Filmen. Das Ergebnis hat einige gut choreographierte Actionsequenzen und die arg ungekochte Handlung funktioniert gerade gut genug als temporeiches Star-Vehikel für Jamie Foxx und Joseph Gordon-Levitt. Mit viel Elan, aber nicht viel Fantasie, schustern die Co-Regisseure Joost / Schulman im „Nerve“-Look eine schnittige Absurdität auf B-Film-Niveau zusammen. Leider bleibt der Streifen immer in den Grenzen des Superhelden-Genres stecken und gibt sich mit einem konventionellen Schlussakt zufrieden. Hyperflüchtiger-Wegwerf-Artikel.
      5 übernatürliche Fähigkeiten freischalten.

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        lieber_tee 24.10.2020, 12:47 Geändert 31.10.2020, 02:25

        Wenn die letzten Tage nicht früh genug kommen...
        Die Idee „Minority Report“ mit „The Purge“zu kombinieren und daraus ein
        Heist-Movie zu machen wird hier für einen beleidigend-dummen Film verschleudert. Das wirre Drehbuch-Durcheinander aus unausgereiften Ansätzen hat manch netten stilistischen Tick, ist aber ebenso Berührungslos wie Hirnlos. Olivier Megaton kann einfach keine guten Actionfilme drehen. Seine Vorschlaghammer-Regie verwischt jegliche Nuancen, bläht den Streifen zu einer filmischen Monstrosität auf. Der dystopische Hintergrund, Recht und Ordnung durch Gedankenkontrolle und Polizeibrutalität zu erreichen, bleibt nur eine Schaufensterdekoration.
        Bitte 3 mal über die Drehbücher bei Netflix schauen.

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          The Breakfast Club als Horrorfilm im Superhelden-Universum.
          Fox 'letzter X-Men-Film kommt mit mehr als zwei Jahre Verspätung in die Kinos, ein Milliarden-Dollarschweres Franchise verabschiedet sich mit einem schwachen Film (und übergibt die Zügel an Disney). Während dieses Spin-off versucht, die X-Men-Mythologie mit milden Grusel und Motive des Erwachsenwerdens zu verbinden, sitzt es zwischen allen Stühlen, wirkt richtungslos. Mit geringen Erwartungen ist der Streifen nicht so schlimm, wie er medial abgeurteilt wird. Die Jugendzielgruppengerechte Mixtur aus blutfreier Action und pubertierender Angst wird als Coming of Age – Film mit Mutanten in der Identitätskrise erzählt. Keins der einzelnen Elemente funktioniert, wird nie ehrgeizig-konkret verfolgt, aber die Besetzung ist stark genug, um dabei zu bleiben.
          Als Pilotfolge für eine Serie hätte der Film allerdings besser funktioniert.
          5 digitale Bären.

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            lieber_tee 22.10.2020, 12:11 Geändert 22.10.2020, 18:16

            Posttraumatische Serienkillerbelastung.
            Auf den ersten Blick wirkt "Open 24 Hours" wie eine intime Charaktergeschichte über eine Frau die wegen Schuldgefühlen und einem Trauma paranoide Halluzinationen hat. Ihre mentalen Probleme werden zunächst für Jump-scares zwischen Realität und Illusionen benutzt. Leider bedient Filmemacher Padraig Reynolds diese Idee nur, um die konventionelle Stalker-Formel auszupacken, was sich zunehmend faul und berechenbar anfühlt. In der ersten Hälfte wird die räumlichen Erkundung der Tankstelle gut als stimmungsvolle Kulisse genutzt, weiter fortschreitend gibt es dann nur noch klassische Slasher-Beats, die ausser mehr Gewalt nichts Neues bieten. Wer von dieser Art von Horrorfilmen noch nicht genug gesehen hat wird Spass haben, denn Handwerklich ist das Ganze ordentlich.
            5 mal die Kreditkarte vergessen.

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              lieber_tee 21.10.2020, 11:40 Geändert 05.03.2021, 23:04

              Kulturschock als Selbstfindung.
              Die eher frei auf den Memoiren von Deborah Feldman basierende Miniserie ist ein Blick aus Frauenperspektive auf die chassidische Gemeinde in N.Y., mit ihren Ritualen und Weltanschauungen. Ultraorthodoxes Judentum ist hier ein düsterer Raum der (sexuellen) Unterdrückung, weiblichen Unterwerfung und freudlosen Lebensstrafe, wo Frauen dem Patriarchat hilflos ausgesetzt sind.
              Um so besser, das es das weltoffene Berlin gibt. Denn dort leben coole Studenten, die in leuchtende Farben ihre (sexuelle) Vielfältigkeit in offenen Räumen ausleben, wo Techno und der Lippenstift zum Leben gehören. Ein multikultureller Ort der Emanzipation. Dem Coming of age - Motiv folgend, wird die religiöse Enge (Innenwelt) einem freiheitlich-hedonistischen Stadtleben (Aussenwelt) entgegengestellt und als Auslöser für weibliche Ermächtigung bzw. kreative Entfaltung erzählt.
              Ja, das ist lieb und kritisch gemeint, aber auch so plakativ wie es klingt, so voller Klischees und Vorhersagbarkeit. Allerdings rettet das facettenreiche Spiel der Hauptdarstellerin Shira Haas, die subtil zwischen Angst, Trauer, Naivität und Staunen dahin schreitet, die Show. Ihre trotzige und kraftvolle Energie überträgt sich auf den Betrachter.
              6 Grammys.

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                lieber_tee 20.10.2020, 11:03 Geändert 20.10.2020, 13:47

                Schreibblockade und Schießbefehl.
                Auf einer beschaulichen deutschen Nordseeinsel bricht ein tödlicher Virus aus. Christian Alvart erzählt das ohne jeglichen Kunstanspruch, als geradliniges Genrekino, das mit seinen vielen Nebensträngen dem Grundmuster des klassischen Katastrophenfilm folgt. Jugendfilm, Groteske und Horror werden mit einer bekannten Eskalationsdramaturgie der Isolation kombiniert, bis Bundeswehr und Bürgerwehr die Leichensäcke füllen, das Krankenhaus ein Horrorhaus wird. Trotz offensichtlicher Formelhaftigkeit funktioniert „Sløborn“ durchaus als Prestige-Hochspannungsserie mit langen Anlauf. Und nicht nur weil die ungewollten Bezüge zur Corona-Pandemie einen morbiden Reiz ausüben.
                6 Liter Desinfektionsmittel trinken.

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                  Ein kluger, wütender Film.
                  „Chicago 7" mag einem manchmal etwas zu vertraut und benutzerfreundlich vorkommen, wenn ein prominentes Ensemble Aaron Sorkins Vorliebe für Kracher-Dialoge dem Zuschauer ins Gesicht ballert. Aber es überzeugt, wie hier ein berüchtigter Prozess, der fast fünf Monate dauerte und dessen Transkript 22.000 Seiten umfasste, zu einem packenden zweistündigen Gerichtssaal-Drama komprimiert wurde. Methodisch und leidenschaftlich lenkt der Filmemacher auf das zunehmend radikale US-Klima der 1960er und den damit unfassbar undemokratischen Umgang der Staatsgewalten. Das ist ebenso historisches wie zeitgemässes Kino. Mit grimmigen Humor durchzogen, wird bissig für die Bekämpfung von Unterdrückung Position bezogen. „Chicago 7“ ist kein Dokumentarfilm. Er verdichtet die damaligen Ereignisse und erschafft so eine Power, die die wesentlichen Wahrheiten auf zugängliche Art und Weise dem Zuschauer bewegend präsentiert. Das ist nicht perfekt, hat aber das Herz am gerechten Fleck.
                  7 implizite Possessivpronomen.

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                    Wenn die Untoten kommen gibt es kein WLAN mehr!
                    Der südkoreanische-Horrorfilm hält es sich (zu) eng an die bekannte Zombie-Super-GAU-Formel. Er mixt „Rammbock“ ,Train To Busan“ und „The Night Eats The World“, allerdings Überraschungen kommen dabei kaum zu Vorschein. Was enttäuschend ist, denn es gibt Momente, in denen das Potenzial für etwas Neues möglich gewesen wäre, z.B. eine Version von „Fenster zum Hof“ mit Untoten. Die klaustrophobisch-apokalyptische Haft eines Mannes in seiner Wohnung, während die Zombies um ihn herum wuseln, die Gesellschaft zusammenbricht und wir zu unseren schlimmsten Feinden werden, wird nie konsequent durch gezogen. „#amLeben“ flirtet mit der Möglichkeit, das zwei Menschen inmitten des Chaos zusammenkommen, scheut sich aber davor diese Idee voll und ganz auszuleben, obwohl die Chemie zwischen den beiden Darstellern stimmt, sympathisch ist.
                    Trotzdem hat mir der Film gefallen. Ich mochte die jugendlich-spritzige Mischung aus Drama, Horror und Sozial-Media, die immer mit Humor und Tempo gewürzt wird.
                    6 zerstörerische Drohnen.

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                      lieber_tee 17.10.2020, 11:59 Geändert 17.10.2020, 12:41

                      Politische Stil-Ikone.
                      Das Hauptproblem von „Seberg“ ist, das er mehr Ausstattungskino als tiefgreifende Biografie über die französische New Wave-Kultfigur bietet. Er schlängelt sich verführerisch durch die Fakten, ist definitiv hübsch anzuschauen in seinem modern wirkenden Retro-Charm. Kristen Stewart bekommt die Chance, von Hybris und Naivität zu Angst und Paranoia zu schreiten und macht ihre Sache dabei sehr überzeugend. Ihre Performance powert mit weitaus grösserer Intensität als es das mittelmässige Drehbuch hergibt. Ebenso gut sind die Leistungen der Set-Designer und der Garderobenabteilung. Irgendwo, nicht wirklich sauber herausgearbeitet, tauchen wir hier in ein beschämenden Kapitel um Rufmord und Überwachung ein, das, trotz vereinfachten Ansatz, durchaus einen aktuellen Bezug zur Situation in den USA findet. Irgendwie schafft der Film die heikle Kombination aus radikaler Politik, sexueller Selbstbestimmung und Hollywood-Tragödie, während er Stewart in stylischen Chanel-Klamotten herumlaufen lässt.
                      7 mal mit Black Panther-Aktivisten schlafen.

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                        lieber_tee 16.10.2020, 15:14 Geändert 16.10.2020, 16:21

                        Parade der Unmoral.
                        „The Devil All the Time“ versucht der schwergewichtigen Literatur-Vorlage zu folgen, reifes Geschichten-erzählen gelingt ihm dabei aber nie, stattdessen wird die Textur des Romans als bleierner Off-Kommentar über den Film gekippt. So plätschert er durch seine düsteren Wellen und wirkt wie ein abgefilmtes Buch, dessen (sprachliche) Magie der Filmemacher aber nie verstanden hat. Elend-quälendes und leeres Kino kommt heraus. Penetrant von deprimierenden Nihilismus, gewollter Gotteslästerung und religiöser Heuchelei geprägt, ist der überlange Streifen eine Ansammlung von Unglücksfällen menschlicher Moral zwischen Fundamentalismus und Barbarei, mit Rachephantasie als Katharsis.
                        Das Casting allein sollte für Interesse sorgen, aber das Schauspiel der hochkarätigen Stars wirkt so als ob hübsche Menschen in einer schaurigen Seifenoper schreckliche Ereignisse spielen. Zumindest Robert Pattinson scheint in seinem schmierigen Overacting Spaß zu haben.
                        „The Devil All the Time“ ist Hinterwäldler-Horror für Intellektuelle, teilweise gewollt unerträglich, im Gesamteindruck kaum anschaubar.
                        3,5 pädophile Priester.

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                        • 5 .5

                          Selbst ist die Frau...
                          Der brave Familienfilm von Regisseur Harry Bradbeer basiert auf Nancy Springers Young Adult-Romanreihe und wirkt wie ein Pilot für eine Serie. Mit einer frechen Heldin bewaffnet, die ikonisch die vierte Wand durchbricht, bekommt der Zuschauer pubertierende Mädchenpower aus dem vorletzten Jahrhundert, irgendwo zwischen Hermine und Fleabag. Frühreifer Witz wird mit etwas Action und einer unterkomplexen Detektivgeschichte abgestimmt, der Jung-Star Millie Bobby Brown gibt die überschwänglich-sprudelnde Würze. In seinen hellsten Momenten ist „Enola Holmes“ charmant und inspirierend, hinten raus aber nur luftleerer Superheldenstoff. Das Sprengen des patriarchalen Korsetts als feministische Botschaft kommt modern daher, wird als Coming-of-Age-Komödie mit multikulturellen Kampfsport und einem hip frisierten Jungen für ein eher jugendliches Zielpublikum serviert.
                          5,5 Stimmen für das Frauenwahlrecht.

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                            Oberfläche wird zur Substanz.
                            Auch wenn die ehrgeizige Rekonstruktion des berühmten Modedesigners manchmal narrativ diffus bzw. arg assoziativ wirkt, dieser hyperstylisierte Wirbel aus Textur und Sensation ist faszinierend. Bertrand Bonello stellt Yves Saint Laurent als einen Gefangener seines eigenen Genies und seiner Lust dar, als ein prächtig genähtes Kleidungsstück, das von außen nach innen gekehrt wird. Die reflektierenden Oberflächen sind Spiegel seiner Psyche, die von Narzissmus und Selbstmitleid geprägt sind. In seinen eigenen Erfindungen gefangen, webt der Filmemacher ein ebenso träges wie durchdringendes Porträt, das optisch mehr einer Fashion-Werbekampagne als einem konventionellem Biopic folgt. Zwischen Depressionen, Dekadenz und Drogen erleben wir einen sich selbst folternden Künstler, der wie ein mythisch-verträumtes Alien wirkt und als fragiles Monster durch sein hedonistisches Elfenbeinturm-Leben schlängelt.
                            7,5 Möpse, die an Überdosis sterben.

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                              Alcoholic Assassin.
                              Obwohl die prominente Besetzung auf den ersten Blick lohnend wirkt, die lächerliche Handlung kann sie nicht kompensieren. Jessica Chastain versucht sich als ambivalente Antiheldin in einer klassisch-knallharten Männerdomäne durch zu boxen. Sie hat dabei unbestreitbar Charisma, aber was nutzt das, wenn Regisseur Tate Taylor keinerlei Interesse zeigt, das Rad neu zu erfinden. Dieser Mangel an Erfindungsreichtum ist schon dreist. Zwischen Action- und Familiendrama-Elementen pendelt sich der Streifen in seiner Ernsthaftigkeit zu Tode. Das „Ava“ weniger wie ein Spielfilm als vielmehr wie ein schwacher Pilot für eine nie in Planung gegebene Serie wirkt ist noch sein geringstes Problem.
                              4 deutsche Soldaten in einem langen roten Abendkleid erschiessen.

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                                lieber_tee 12.10.2020, 16:59 Geändert 12.10.2020, 18:58

                                Seltsam schlaffer Thriller...
                                „The Apartment“ ist immer dann gut, wenn ein Hauch von Rosemarys Baby im Scientology – Modus durch den Film weht. Wenn der Filmemacher es schafft ein Gespür für bedrohliche Stimmung und Paranoia zu entwickeln. Leider ist das, wenn überhaupt, nur in der ersten Hälfte des Films vorhanden. So sehr die Newcomerin Nicole Brydon Bloom auch ihre unschuldig-grünen Rehaugen in die Kamera hält, auch sie kann nicht verhindern, das der Streifen in seiner Vorhersehbarkeit vor die Hunde, äh Katze geht. Wirklich wird der Schrecken von erzwungene Indoktrination als soziales Ideal nicht erforscht, stattdessen gibt es einen schlichten und arg hastigen letzten Akt, der die bisherige Charakterentwicklungen zunichte macht. Am Ende bleibt nur eine interessante Prämisse, die so herunter gekocht wird, bis eine inkonsistente (Blut-)Suppe übrigbleibt. Schade.
                                4,5 Katzen im Ofen.

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                                • 5 .5

                                  „Escape from LA“ mit Zombies.
                                  Wie die überwiegende Mehrheit von Fortsetzungen erfolgreicher Filme erreicht „Train to Busan 2“ nicht das Niveau des Vorgängers. Er hat zwar keine Interesse daran das Original zu wiederholen, aber auch keinerlei Ambitionen eine neue Idee zu entwickeln. Stattdessen gibt es penetrantes, mittelprächtiges CGI und noch mehr Action. Obwohl „Peninsula“ ständig Vollgas gibt, eine verrückte Achterbahn aus cartoonartigen Irrsinn ist, mehr als ein generischer Film, der sich wie ein Videospiel anfühlt, ist er nicht geworden. „Mad Max", „World War Z“ und „Fast & Furious“ sagen sich gute Nacht, aber die ganze Show wirkt, trotz manch starker Momente, irgendwie trashig und überproduziert. Das ist nie trödelig, aber es gibt kaum etwas, was einen bleibenden Eindruck hinterlässt, selbst wenn am Ende bemüht der seifig-sentimentale Holzhammer zuschlägt.
                                  5,5 Stapel Tote.

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                                    Die düstere Schwester von „Juno“.
                                    Eliza Hittmans preisgekröntes Indie-Drama hat keine Angst Stellung zu beziehen. In der US-amerikanischen Realität verordnet, ist ein ebenso fragiler wie energischer Film entstanden. Zurückhaltend und intim, mit fast schon klaustrophobischen Zügen, hat diese nuancierte Abtreibungs-Odyssee mit Roadmovie-Einflüssen eine ungemein kraftvolle Ausstrahlung. Niemals moralisch predigend, eher beobachtend, ist der Film ein bejahendes Porträt über weibliche Freundschaft und Solidarität. Mit Empathie und Empörung werden Alltagssexismus und körperliche Autonomie mit angemessener Detailgenauigkeit thematisiert, die vielen Klischees über ungeplante Schwangerschaften von Teenagern vermieden. Ohne jemals auf melodramatische oder gar seifenopernhafte Elemente zurückzugreifen fühlt sich „Niemals“ immer echt an, seine reduzierte Einfachheit ist zutiefst bewegend, sowohl emotional als auch intellektuell.
                                    8 Fragen beantworten.

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                                      lieber_tee 11.10.2020, 00:29 Geändert 11.10.2020, 00:42
                                      über Tenet

                                      Kino als Algorithmus.
                                      Wer einem Blockbuster (im Spätsommer 2020) wegen der cornoa-bedingten Flaute entgegen gefiebert ist, für dem könnte dieser Zeitachsen-Mindfuck-Bond vielleicht die gewünscht-überdrehte Hybris sein. Aus klassischen Spionageversatzstücken zusammengebastelt, soll ein philosophischer Diskurs über das Leben und die Zeit entstehen.
                                      Pustekuchen.
                                      Ungelenk von Plot-Point zu Plot-Point hangelnd, verfängt sich Nolan in seiner eigenen Komplexität, verkauft Taschenspielertricks als Handlung. Die High-Concept-Prämisse wird mit scherenschnittartigen Figuren zum Überlaufen gebracht, sei es der böse Russe, der gute Heldenamerikaner oder die Damsel in Distress. Ohne Frage hat die Idee, das Zeit in mehrere Richtungen laufen kann, hier durchaus eine originelle Optik. Der Film läuft gleichzeitig vor und zurück. Zeitreise, Zeitschleife und Zeitumkehr sind aber nur Gimmicks, um Actionversatzstücke durch die Gegend hetzen zu lassen. „Tenet“ springt von Schauplatz zu Schauplatz, verbunden von unverständlichen (Dialog-) Erklärbären, darüber werden ein brachialer Score und grottiger Schnitt geballert. Das ist dann Michael Bay für Intellektuelle, oder (wohlwollend formuliert) Kino, das den kommerziellen Konventionen den Mittelfinger zeigen will. Die plumpe Geschichte, obligatorischen Twists und desorientiert-inszenierten Materialschlachten sollen als atemberaubendes Spiel mit der Zeit und narrativen Mustern verstanden werden. Das ist aber alles nur Nolan-Kino, das seinen selbstgerechten Mythos feiert und den künstlerischen Zenit überschritten hat.
                                      Die Sogwirkung der hämmernden Bild-, Ton- und Schnittebenen, das Transzendierende, konnte ich nie erkennen, nur eine gewollt-komplizierte Trivialität. Diese verkopfte Berieselungsstrategie mit der Brechstange hat mich schnell ermüdet und nicht dazu eingeladen den Film mehrmals anzuschauen, auch wenn sich die Genialität des Streifens dann angeblich erst offenbaren soll. Einen Film so hart erarbeiten zu müssen spricht nicht für ihn.
                                      4 Kinobesuche ausgespart.

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                                        Afroamerikanischer Boogey Man.
                                        „Body-Cam“ hätte eine interessante Kombination aus B-Grusel und (wieder aktuellen) Sozial-Kommentar werden können, in der Tradition des neuen Black-Horror-Cinemas, das der Regisseur Jordan Peele initiiert hat. Stattdessen gibt es hölzernes Schauspiel und eine alberne Handlung, die nie eine erkennbare Spannung entwickelt. Obwohl dieser übernatürliche Rachethriller sowohl auf schummrig-urbane Stimmung als auch auf Schocks zielt, genügend Körper blutig zerfetzt, mehr als formelhafte Geisterbahneffekte hat er nicht zu bieten. Besonders ärgerlich ist, das hier eine gewalttätige und rassistische Polizei nicht wirklich kritisieren wird, im Gegenteil, hier wird willkürliche Staatsgewalt und toxischer Korpsgeist verharmlost.
                                        4 knackende Knochen.

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                                          lieber_tee 23.08.2020, 11:29 Geändert 25.08.2020, 00:16

                                          Auf hoher See scheint es kalt zu sein...
                                          In diesem 80 minütigen, flüchtig aufregenden Theaterstück mit hässlichen Spezial-Effekten, darf ein alter, weißer, sehr christlicher Kriegsheld seine Erhabenheit propagieren und Tom Hanks sein Saubermann-Image polieren. Er zeigt den bösen und untergetauchten Wölfen aus Nazi-Deutschland was er für ein besonnender und cleverer Schäferhund auf der Brücke ist, der seine Schafherde (mit etwas Schwund) ins sichere und gelobte Land führt. Angelegt wie das Brettspiel „Schiffe-versenken“ erfährt man viel über Marinetaktik, über die Menschen dahinter aber gar nix. Zuschauer, die Krieg als Abenteuer sehen, sich für strategische und nautische Terminologie interessieren, könnten bei dem Film abspritzen. Oder den Film sich an einem langweiligen Sonntagnachmittag mit Opa ansehen, damit er in seinen Kriegserinnerungen schwelgen und am Ende klatschen darf.
                                          4 Täuschkörper.

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                                          • 7 .5
                                            lieber_tee 23.08.2020, 00:40 Geändert 23.08.2020, 01:26

                                            Wir alle spielen nur Theater...
                                            Diese sechsteilige John Le Carre-Adaption um eine Gruppe von Agenten, die versuchen eine Terrorzelle zu Fall zu bringen, ist pures psychosexuelles Knistern. In den siebziger Jahren angelegt, zwischen Intrigen, persönlicher und politischer Unterwanderung im Nahen Osten, schafft die Mini-Serie mit vielen Wendungen einen langsamen, stetig steigenden Thrill aufzubauen, wo die Charaktere im Mittelpunkt stehen. Die Dialoge sind ebenso präzise wie die Inszenierung. Besonders Florence Pughs facettenreiche Performance aus Naivität, ernsthafter Verwirrung und ungezügelter Wut überzeugt, trägt die ganze Show. Regisseur Park Chan-wook schafft es, mit seiner auf starken Farbkompositionen orientierten Filmsprache, ein faszinierendes Vexierspiel über Paranoia zu erzeugen und die Parallelen zwischen Spionage, Schauspiel und Manipulation zu vertiefen.
                                            7,5 mal die Akropolis bei Nacht bestaunen.

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                                              lieber_tee 18.08.2020, 21:28 Geändert 19.08.2020, 00:35

                                              Sich den Mund zunähen...
                                              Bellocchios episch langes Mob-Drama folgt einem Cosa Nostra-Fußsoldaten zum Mafia-Whistleblower. Die Aussagen von Tommaso Buscetta führten zum größten Prozess in der Geschichte Italiens und zur Ermordung eines angesehenen Bundesrichters.
                                              Die Prämisse des Films ist ehrgeizig und hätte eine interessanten Diskurs über die italienische Vergangenheit (und Gegenwart) werden können. Aber der Film funktioniert kaum. Bellocchio und seine Drehbuchautoren verwandeln den komplex-historischen Inhalt in eine seltsam unausgegorene Mischung aus Mafia-Krimi-Stereotypen und Gerichtsfilm, der wie ein absurdes Theater wirkt. Das Justizverfahren, die Beziehung von Informant und Richter, die extrem belastenden Aussagen, die politischen Hintergründe und die Strukturen der Cosa Nostra werden kaum angesprochen, alles bleibt komplett im Vagen, wirkt oft nicht nachvollziehbar.
                                              Auch visuell sieht der Film schrecklich in seiner digitalen TV-Kinematografie aus, erinnert dabei eher an eine Seifenoper. Hauptdarsteller Pierfrancesco Favino versucht Buscetta etwas Komplexität zu geben, wird aber vom Drehbuch zu oft alleine gelassen. Das er sich für einen ehrenwerten Kerl hielt, aber schreckliche Dinge getan hat, ist psychologisch arg wenig. Seine toxische Männlichkeit wird kurz vor dem Ende für ein paar Minuten komplett dekonstruiert, ebenso das die „alte“ Mafia mit ihren Werten „gut“ war, aber die Neue "böse" ist, weil sie mit Drogen dealt. Das ändert aber nix daran, das die persönliche Tragödie um Reue, Verrat und Loyalität hier nicht berührt bzw. erfahrbar gemacht wird, der Film eher schwerfällig und unentschlossen vor sich hin plätschert.
                                              4 persönliche Beleidigungen.
                                              P.S.die deutsche Synchronisation ist furchtbar.

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                                                lieber_tee 17.08.2020, 12:41 Geändert 17.08.2020, 13:48

                                                Eher bemüht als begabt...
                                                „Minds Eye“ ist ein psychokinetischer Thriller der alten Schule. Er erinnert bewusst an die frühen Werke von Cronenberg oder De Palma, hat aber nicht deren Substanz oder Raffinesse. Jeden Moment spürt der Betrachter, das Regisseur Joe Begos ein Liebhaber des 80er Jahre Genre-Kinos ist und hier einen Film von einem Gorehound für Gorehounds gedreht hat. So kommen Fans von explodierenden Köpfen und aufplatzenden Körpern voll auf ihre Kosten, die dünne Handlung und langweiligen Charaktere müssen dabei ertragen werden. Leider wird dieser arg hirnlose Film zunehmend lächerlicher, wenn die Protagonisten mit weit aufgerissenen Augen und wedelnden Armen die Blutwurst dem Zuschauer ins Gesicht spritzen lassen.
                                                5 Scanners für Arme.

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                                                  über Waves

                                                  Das Traurige kann schön sein.
                                                  In „Waves“ erzählt Trey Edward Shults eine Familientragödie elliptisch aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln. In der ersten Filmhälfte wird in haltlosen, immersiv-physischen Bildern ein gutbürgerliches, afro-amerikanisches Teenagerleben gezeigt, das nach und nach aus der Bahn geworfen wird. Nach der Betrachtung der Ursachen von männlicher Selbstzerstörung (mit Hang zum Toxischen) folgen in der zweiten Hälfte die Auswirkungen dieses Handelns, allerdings durch einen Perspektivwechsel und weiblichen Blick. Die Atemlosigkeit, der Wirbel des Verfalls, beruhigt sich, der Film wird ruhiger, einfühlsamer und privater. Im Grunde handelt „Waves“ von Versöhnung und dass wir Verantwortung für ein selbstbestimmtes Leben übernehmen müssen, das immer Höhen und Tiefen bereit hält. Shults übersetzt das in eine begnadete Filmsprache, in dem jede Einstellung, jede Kamerabewegung eine symbolische Bedeutung hat. Sein Drehbuch, mit seinen über-melodramatisch zelebrierten Themen über Elternschaft, Trauer und Vergebung, ist oftmals nahe am Kitsch, aber wie hier menschliches Kino als Ort der großen und kleinen Gefühle gefeiert wird, als künstlerischer Sog, das hat mich stark berührt.
                                                  7 mal das Format wechseln.

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                                                    lieber_tee 15.08.2020, 23:09 Geändert 15.08.2020, 23:44

                                                    A Romantic Monster Movie.
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                                                    7 Löcher vor Verzweiflung in die Tür ballern.

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