Patrick Reinbott - Kommentare

Alle Kommentare von Patrick Reinbott

  • 7 .5

    [...] Völlig unscheinbar lassen sie sich wie gewöhnlicher Regen auf den Blättern nieder. Der Beginn von Philip Kaufmans (The Wanderers) Die Körperfresser kommen, ein Remake der ersten Verfilmung des Romans von Jack Finney, macht allerdings direkt deutlich, dass es sich bei den kleinen Wassertröpfchen um außerirdische Lebensformen von einem anderen Planeten handelt, die nun auf der Erde angekommen sind. Ebenso perfide wie beklemmend inszeniert der Regisseur fortan die schleichende Invasion der Bevölkerung. Obwohl von Anfang an klar ist, dass die neuartigen Blumen, welche plötzlich überall wachsen, ganz gewiss keine harmlose Motivation aufweisen, taucht Kaufman den Handlungsort San Francisco in ein eisiges Klima der Ungewissheit, bei dem sich sonderbare Vorfälle immer stärker zu einem Bild des konkreten Schreckens formen. Die erdrückende Paranoia ernährt sich dabei zunächst aus dem Gefühl der ungläubigen Fremdartigkeit, mit dem einige Menschen konfrontiert werden. Wie Elizabeth, eine der Hauptfiguren des Films, in ihrem Freund, den sie eigentlich in- und auswendig kennt, auf einmal einen anderen Menschen sieht, unterstreicht Kaufman mit intensiven Tönen und Klängen, die unangenehm unter die Haut kriechen. Mit expliziten Details verfährt Die Körperfresser kommen lange Zeit sehr sparsam. Matthew, ein Inspektor der Gesundheitsbehörde, begibt sich mit Elizabeth, die bei der gleichen Behörde arbeitet, auf die Suche nach Antworten, denn die Anzahl der Menschen, die ihre Partner nicht wiederzuerkennen scheinen, obwohl sich diese optisch nicht verändert haben, nimmt immer stärker zu. Nachdem die Figuren eine Zeit lang durch das subtil apokalyptische Labyrinth geirrt sind, in das Kaufman seinen Schauplatz geformt hat, entwickelt sich der Film nach einem bizarren Höhepunkt, bei dem die Transformationsfähigkeiten der Außerirdischen erstmals in schleimig unangenehmer Weise demonstriert werden, zu einer gelungenen Kombination aus Science-Fiction und Horror. Auch wenn Kaufman die Geschichte gelegentlich durch starke Effekte unterstützt, entsteht der wahre Terror von Die Körperfresser kommen in den Menschen selbst. Die Angst davor, jemandem zum Opfer zu fallen, der zuvor noch der beste Freund gewesen sein könnte oder schlussendlich auf einer Welt zu leben, in der die Menschheit vollständig durch fremdartige, trotzdem vertraut aussehende Invasoren besetzt wurde, beherrscht die Figuren in Kaufmans Werk und wird durch die bisweilen unruhige, direkte Kameraführung und das durchwegs hervorragende Sound-Design unmittelbar auf den Betrachter übertragen. [...]

    17
    • 2

      Seitdem ihn "Cop Out" im Jahr 2010 an die Grenzen seiner künstlerischen Freiheiten brachte, nachdem er eigenen Berichten zufolge mit dem Studio und Hauptdarsteller Bruce Willis ständig in Auseinandersetzungen geriet, sind die letzten Filme von Kevin Smith kaum mehr greifbar. Schon "Red State" war eine wütende Abrechnung mit den bibeltreuen Fundamentalisten Amerikas, die der Regisseur irgendwann in ein wüstes Action-Massaker verwandelte, mit einem großartig entfesselten John Goodman inmitten des Geschehens. Als nächstes plante Smith die "True North Trilogy", für die er mit "Tusk" einen unglaublich grotesken Anfang schuf. Die Horrorkomödie, in der Justin Long von einem verschrobenen, psychopathischen Einsiedler in ein menschliches Walross verwandelt werden soll, spaltete die Zuschauerschaft des Regisseurs so massiv wie nie zuvor.
      Konnte man in "Red State" und "Tusk" zumindest noch ein spürbares Interesse an echtem Horror erkennen, das Smith mit einprägsamen Impressionen untermauerte, um im nächsten Moment Erwartungen genüsslich zu zerschmettern, kommt "Yoga Hosers", der zweite Teil der "True North Trilogy", einem schlechten Scherz gleich. Im indiskutablen Tiefpunkt seines bisherigen Schaffens geht es um zwei befreundete Teenagerinnen , die in einem Supermarkt genervt an der Kasse arbeiten und in einem Hinterraum zusammen musizieren, sobald im Laden keine Kunden sind. Dieser Supermarkt entpuppt sich jedoch als Stützpunkt eines früheren Nazi-Führer-Anhängers, der im Keller ein Labor errichtete, in dem er aus Bratwürsten, Sauerkraut und seinem eigenen Blut Nazi-Bratwürste ("Bratzis") züchtete, die er nun, nachdem ihn die Mädels versehentlich aus dem Kälteschlaf erweckt haben, auf die Menschheit loslässt.
      Dass "Yoga Hosers" in keiner Szene mehr sein will als unterhaltsam gemeinter Trash, ist nach dieser Synopsis der kruden Handlung kein großes Geheimnis. Smith verfehlt jedoch jeden Ton und hat mit diesem Werk eine extrem misslungene Kombination aus gewollt hipper Teenie-Komödie und Nazi-Horror-Trash gedreht, in der kein einziges Element zündet. Der Humor, bei dem sich der Regisseur am laufenden Band über den kanadischen Akzent lustig macht, absolut platte Wortspiele oder fürchterliche Kalauer in die Dialoge einbaut, unpassende Cameos einstreut oder mit haarsträubenden Effekten aufwartet, bewegt sich haarscharf an der Grenze zum Anti-Humor und sorgt dafür, dass selbst Liebhaber des schlechten Geschmacks kein einziges Mal richtig lachen dürften.
      Während Johnny Depps Auftritt als Detective Guy LaPointe in "Tusk" einen gewissen charmanten Überraschungsfaktor ausstrahlte, ist er in "Yoga Hosers" an Lächerlichkeit kaum zu überbieten und gerät endgültig zur bemitleidenswerten Witzfigur. Einzig Harley Quinn Smith und Lily-Rose Depp merkt man an, dass sie am Set einen Heidenspaß hatten und ihre Rollen mit kindischer Freude spielen, was allerdings stellvertretend für die allgemeine Atmosphäre dieses Werks ist, das eher einem ausgelassenen Familienspaß gleichkommt, bei dem der Regisseur, seine Familienmitglieder sowie befreundete Schauspieler einen albernen Insider-Witz ins Leben gerufen haben, der auf Außenstehende, in diesem Fall den Betrachter, wie ein unverständlicher Anti-Film erscheint. Für den dritten und letzten Teil seiner "True North Trilogy", der auf den Namen "Moose Jaws" hört und Smiths ganz eigene Variante von Spielbergs großem Klassiker werden soll, darf er dann aber gerne wieder einen Film drehen.

      12
      • 8

        [...] Mit dem karibischen Setting, in das es die Protagonisten verschlägt, etabliert Fulci eine ganz spezielle Atmosphäre, für die der Regisseur exotischen Flair mit bedrohlichem Grusel kombiniert, bis es nach vereinzelten Zwischenfällen endgültig reihenweise zur Auferstehung der Toten kommt. Bis es allerdings soweit ist, lebt Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies ganz klar von den eindrucksvollen Einzelmomenten. Szenen wie ein Unterwasserkampf zwischen einem Zombie und einem Hai oder der schnell berühmt gewordene Moment, in dem sich ein Holzsplitter extrem langsam in Nahaufnahme in das Auge einer panisch kreischenden Frau bohrt, haben längst ikonische Qualität. Fulci verbindet übernatürliche Ansätze schwarzer Voodoo-Magie mit wissenschaftlichen Erklärungsversuchen, bei denen ein Arzt auf der Insel eine seltsame Seuche hinter den Vorfällen vermutet. Die konkrete Ursache spielt letztendlich aber auch keine wirkliche Rolle, stattdessen geht es um die unmittelbaren Auswirkungen, die solch eine Situation, in der jegliches rationales Verständnis überfordert wird, auslöst. Schaut man hinter die blassen Schauspieler sowie hölzernen Dialoge, die nah am puren Trash anzusiedeln sind, offenbart sich ein intensives Terror-Szenario, in dem der Regisseur zusammen mit brillanten Make-up-Effekten und fantastisch entworfenen Masken sowie Kostümen großen Horror zelebriert, der am Ende in ein schnörkelloses Action-Inferno mündet, das von klaustrophobischen Untertönen verdichtet wird. Einen maßgeblichen Anteil der unvergleichlichen Atmosphäre nimmt aber die herausragende Musik von Fabio Frizzi ein. Vor allem das Hauptthema, welches bereits im Vorspann erstmals zu hören ist, ist dermaßen eingängig, dass es dem Betrachter noch Stunden nach der Sichtung als Ohrwurm durch den Kopf geistert. [...]

        16
        • 6

          [...] Überraschenderweise haben die Autoren in ihrem Werk ein paar Überlegungen zu blindem Fanatismus, Atheismus und Konflikten zwischen ethnischen Minderheiten parat, die man ihnen vorab vermutlich gar nicht zugetraut hätte. "Sausage Party" offenbart in einigen Szenen jedoch durchaus kritische Momente, in denen unterschiedliche Ansichten und Konfliktpunkte bezüglich Glaube, Religion oder Sexualität hinterfragt werden. Über weite Strecken dominiert jedoch der gewohnte Humor des Goldberg/Rogen-Duos, der sich hier bedauerlicherweise zu sehr abnutzt und nicht immer richtig in das Korsett einer eher zweitklassig animierten Komödie passen will. Sexuelle Anspielungen von Würstchen, die sich gerne ganz tief in den Öffnungen der Brötchen vergraben wollen, endlose Schimpfwort-Kaskaden oder ein willkürlich eingestreuter Drogentrip offenbaren wenig, was man mittlerweile nicht schon zuhauf in den anderen Filmen der Autoren gesehen hat, weshalb "Sausage Party" zu oft den Eindruck von altem Wein in neuen Schläuchen erweckt. Die Momente, in denen die absurden Möglichkeiten des zugrundeliegenden Konzepts auf offensivste Weise ausgetestet werden, sind aber trotzdem von großartigen Einfällen geprägt. Wie hier bisweilen Impressionen von Kriegsszenarien reflektiert oder grausame Todesarten der Lebensmittel auf ebenso bizarre wie intelligente Weise realisiert werden, lässt erahnen, was für ein gewaltiges Potential in diesem Werk schlummert. Ausgeschöpft wird es von den Verantwortlichen allerdings nur in vereinzelten Szenen, zwischen denen sich immer wieder humoristischer Stillstand bemerkbar macht, bei dem der Eindruck entsteht, die Idee für einen grandiosen Kurzfilm musste irgendwie zu einem Langfilm gestreckt werden. Zur Höchstform läuft "Sausage Party" dann aber im großen Finale auf, in dem sich der Streifen schließlich in einen gigantischen Exzess verwandelt, welcher die ansonsten eher gemütlichen Sehgewohnheiten des Genres endgültig zerschmettert. Nur alleine für diesen Schlussakt, bei dem die Reaktionen zwischen schrillen Lachkrämpfen, peinlich berührter Befremdlichkeit und ungläubigem Entsetzen pendeln dürften, lohnt sich die Sichtung dieses Animationsfilms, in dem sich ansonsten wirklich unterhaltsame Einzelmomente mit redundanten Gags und einer Geschichte abwechseln, in der durchaus nachdenkliche, tiefgründige Ansätze auf platten Leerlauf treffen. [...]

          14
          • 8

            Für die zweite Staffel von "Black Mirror" hat Mastermind Charlie Brooker sein Konzept nicht verändert. Wieder gibt es drei Folgen, die jeweils eine Geschichte erzählen, nur hat Brooker diesmal im Gegensatz zur ersten Staffel, bei der er sich für die zweite Episode Unterstützung holte und die dritte Episode von Jesse Armstrong geschrieben wurde, alles im Alleingang geschrieben.
            Schon "Be Right Back" macht sofort wieder klar, wieso man die Serie nach nur drei vorherigen Episoden bereits ein wenig in sein Herz geschlossen hatte. Die Auftaktepisode ist erneut eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Technik, von Brooker auf einem zutiefst berührenden, melodramatischen Niveau dargeboten. Als sich Martha morgens von ihrem Freund verabschiedet, der den Umzugstransporter nach dem Einzug in die gemeinsame neue Wohnung zurückfahren will, ist die Welt noch in Ordnung. Kurze Zeit später erfährt sie, dass Ash unterwegs vermutlich bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Eine Freundin will Martha aus ihrer schweren Trauer helfen und registriert sie für einen Service, bei dem das Online-Verhalten von Ash exakt imitiert wird, so dass Martha mit einem künstlichen Chat-Abbild ihres verstorbenen Partners kommunizieren kann.
            Ähnlich wie Spike Jonzes "Her" ergründet "Be Right Back", bis zu welchen Grenzen die Liebe zwischen zwei Menschen verlaufen kann und hinterfragt das Potential, welches in den weiterentwickelten Möglichkeiten der Technologie steckt, auf eine ebenso sanftmütige wie tragische Art. Dass die langsamen Steigerungen, welche Brooker vornimmt, nicht zu einem befremdlichen Science-Fiction-Gedankenspiel führen, in dem die künstlich erschaffene Komponente zu viel Raum einnimmt, liegt am emotionalen Kern der Geschichte. Marthas Reaktionen, wenn sie in den Text-Nachrichten den frechen Humor von Ash wiedererkennt oder durch seine Stimme am Telefon mit neuer Kraft durch ihr Leben läuft, machen aus "Be Right Back" ein rührendes Drama, in dem die schmerzhafte Erkenntnis, dass ein falsches Stück Liebe letztlich über echten Verlust triumphiert, durchaus Löcher ins Herz reißt.
            Wo vorher noch emotionale Klarheit dominierte, fehlt diese in "White Bear" zunächst völlig. Zum ersten Mal begibt sich "Black Mirror" in der zweiten Episode dieser Staffel auf das Terrain eines waschechten Horror-Thrillers, in dem eine Frau ohne Erinnerungen in einem Raum vor einem mysteriösen TV-Signal erwacht und fortan von maskierten, bewaffneten Verfolgern gejagt wird, während sie alle Menschen in ihrer Umgebung wie Marionetten mit dem Smartphone filmen. Brooker spielt mit den Tropen des Genres, streut immer wieder irritierende Dissonanzen in die verwirrende Geschichte und hetzt die Hauptfigur durch ein schweißtreibendes Terror-Szenario. Was er dem Zuschauer aber schließlich als Auflösung präsentiert, kommt einem Schlag in die Magengrube gleich und verwandelt "White Bear" in die moralisch bisher vermutlich komplexeste Episode der Serie, in der Schuld und Sühne auf abgründige Weise durch die Perspektive einer an dauerhaften Inszenierungen interessierten, voyeuristischen Gesellschaft gefiltert werden.
            In der letzten Episode schlägt die Serie dann aber nochmal einen leichteren Ton an. "The Waldo Moment" macht einen vulgären, blauen Cartoon-Bären zum Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Die von einem erfolglosen Comedian durch Motion-Capturing und mit verstellter Stimme verkörperte Figur wird zum viralen Hit, nachdem sich Waldo in den örtlichen Wahlkampf einmischt und Politiker, die um einen Sitz im Parlament kandidieren, auf freche Weise konfrontiert, beleidigt oder bloßstellt. Mit der Kombination von offensivem Humor und politischen Untertönen lenkt Brooker die Aufmerksamkeit leicht vom Kern seiner Geschichte ab, in der es um Identität geht.
            Jamie hat genug davon, dass Waldo an seiner Stelle im Rampenlicht steht, während der Cartoon-Bär immer beliebter wird und den realen Kandidaten schließlich sogar den Rang abläuft. "The Waldo Moment" macht ein künstlich erschaffenes Konzept zum unmittelbaren Fluch und Segen für den Schöpfer, bebildert auf zynische Weise, wie der Avatar dem Menschen dahinter auf absurde Weise über den Kopf wächst und endet in ausgelassenem Chaos.
            Mit der zweiten Staffel hat Charlie Brooker den Sonderstatus von "Black Mirror" weiterhin eindrucksvoll untermauert und erneut dafür gesorgt dass man sein Smartphone nach der Sichtung mit einem mulmigen, nachdenklichen Gefühl in die Hand nimmt oder leicht nervös vor dem PC sitzt. Bleibt nur zu hoffen, dass ihm seine eigene Kreation nicht auch irgendwann über den Kopf wächst.

            8
            • 8 .5

              Allgemein wird die von Charlie Brooker erschaffene Serie "Black Mirror" gerne als Science-Fiction eingestuft. In seinen Geschichten beschäftigt sich der britische Satiriker mit den Auswirkungen verschiedener Technologien, die sich wie eine Droge in das Leben der Menschen gefressen und eine permanente Abhängigkeit ausgelöst haben. Die Angst davor, dass Technik letztendlich vollständig die Kontrolle über uns gewinnt, überträgt Brooker in seine Drehbuchideen und spinnt ambivalente Gedanken weiter. Mit der ersten, drei Episoden und gleichzeitig drei eigenständige Kurzgeschichten umfassenden Staffel der Serie ist ihm beängstigend zeitgemäßes, faszinierendes sowie bewegendes Fernsehen gelungen.
              In "The National Anthem" bewegt sich die Serie dabei komplett im Rahmen des Möglichen. Die Geschichte, in der die britische Prinzessin entführt und vom Premierminister verlangt wird, dass dieser vor laufender Kamera Sex mit einem Schwein hat, gestaltet sich grundlegend als abstrus. Und doch könnte sie sich genau so morgen ereignen. Aus dem Druck der Öffentlichkeit, der medialen Berichterstattung, die einer Schlammschlacht gleicht und vor allem einer rasanten, viralen Verbreitungswelle konstruiert Brooker ein nervenzerreißendes Szenario, in dem sich das überforderte Individuum schließlich der Übermacht der Masse beugen muss, die voyeuristisch vor den Fernseh- oder Laptopbildschirmen nach einem skandalösen Spektakel giert. Im Stil eines atemlosen Echtzeit-Thrillers benötigt "The National Anthem" gerade einmal 43 Minuten. 43 Minuten, die ausreichen, um ein eindringliches Bild der Gesellschaft zu zeichnen, die hinschaut, wenn es zu spät ist und wegschaut, wenn Blicke erforderlich wären.
              "Fifteen Million Merits" lehnt sich schon weiter in die Zukunft hinaus. In einem Hamsterrad des stumpfen Massenkonsums hält Brooker die jungen Menschen einer unbestimmten, vermutlich aber nicht allzu weit von uns entfernten Zeitepoche gefangen. Sie müssen unentwegt in die Pedale strampeln, um sich eine Art Währung zu verdienen, mit der sie sich dann digitale Sendungen ansehen, aufdringliche Werbespots ausblenden oder einen Snack am Automaten ziehen können. Für echte Gefühle scheint in dieser bedrückenden Dystopie, die einem endlosen Kreislauf des unbestimmten Funktionierens gleichkommt, kein Platz mehr zu sein und doch greift Brooker mit einem warmherzigen Bestreben nach ihnen, indem er Ansätze von Liebe zwischen dem Hauptcharakter Bing und der talentierten Sängerin Abi aufkeimen lässt. Mit der Einbindung einer skurrilen Talentshow, die dem britischen Vorbild "Britain's Got Talent" sicherlich nicht nur ungefähr ähnelt, von der sich Teilnehmer einen Sprung aus ihrem Dasein erhoffen, zerbrechen die Träume und Hoffnungen in "Fifteen Million Merits" aber schließlich wieder in einzelne Scherben, die sich selbst von einem markerschütternden Wutanfall nicht mehr wegkehren lassen. Am Ende wird jeglicher Versuch eines authentischen Ausbruchs nur wieder in ein inszeniertes Programm gepfercht, während sich die eigene Zelle einfach vergrößert und der Blick weiterhin vergeblich über die grünen Weiten der (virtuellen) Wälder schweift.
              Während sich Experten im Silicon Valley momentan wünschen, dass sie ihre Gedanken digital festhalten und je nach Belieben unendlich oft wieder abrufen könnten, ist dieser Wunsch in "The Entire History Of You" bereits Wirklichkeit geworden. Die Menschen halten alles vor ihren Augen mithilfe eines in ihrem Nacken implantierten Geräts digital fest. Erinnerungen können beliebig oft angesehen, einzelne Momente durch eine simple Spul-Funktion auf kleinste Details abgetastet werden. Die dritte Episode dieser ersten Staffel ist womöglich die berührendste, denn sie dringt in die tiefsten Empfindungen von uns Menschen vor. Auf Konzerten sieht man heutzutage fast nur noch Lichter der in die Höhe gestreckten Smartphone-Kameras, denn kostbare Momente möchte man festhalten. Was allerdings passiert, wenn ausnahmslos alles dokumentiert und archiviert wird und das Festklammern an erlebte Ereignisse zur Obsession wird, erzählt "Black Mirror" mit einer einfachen Geschichte über Eifersucht und Betrug zwischen einem Ehepaar. Was wird aus der gewohnten Einstellung, dass Momente zwar in verblassenden Erinnerungen existieren, aber nur für den jeweiligen Augenblick geschehen? Wie verändert sich unser Leben, wenn jedes Wort und jede kleinste Regung des Körpers, ein Ausdruck in den Gesichtern nachträglich noch als Schwäche oder entlarvender Makel vorgehalten werden kann? Oder die Gegenwart dauerhaft von einem quälenden Verlangen nach vergangenen Momenten überschattet wird?
              "Black Mirror" ist Science-Fiction und doch erzählt uns die Serie so viel über die Gegenwart wie kaum eine andere. Wofür andere über mehrere Staffeln hinweg Figuren einführen, aufbauen und verändern müssen, Geschichten langfristig formen, braucht Charlie Brooker nicht mal eine Stunde und trotzdem führt er uns das eigene Dasein mit einem bissigen Augenzwinkern und viel menschlichem Verständnis vor Augen.

              11
              • 9

                Liebesbeziehungen zwischen Männern und Frauen stecken voller Rätsel, Gemeinsamkeiten, einzigartigen Momenten, Streitigkeiten, frustrierenden Diskussionen oder niederschmetternden Brüchen. Das Kino ist reich an Geschichten, die sich mit dem Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Geschlechtern beschäftigen, doch nur wenigen gelingt es auf derartig spritzige, unterhaltsame und trotzdem anregende Weise wie Woody Allens "Annie Hall".
                Alvy Singer, gespielt von Allen selbst als mehr oder weniger originalgetreue Version seiner eigenen Persönlichkeit, hat es ohnehin nicht einfach im Leben. Dem Komiker fehlt es augenscheinlich an nichts, er hat Erfolg, wird auf der Straße regelmäßig von Fans erkannt und geht einem entspannten Lebensalltag in New York nach. Trotzdem ist Alvy gewissermaßen eine Zumutung für sich selbst und für Außenstehende seines Umfelds, denn durch seine neurotischen Ticks, die pessimistische Lebenseinstellung und zahlreiche andere Schwierigkeiten sieht er das Leben eher als sinnlose Last.
                Trost und Erfüllung sucht der frustrierte, dauerhaft gestresste Intellektuelle bei der aufstrebenden Sängerin Annie Hall, mit der er eine Beziehung führt, die beiden das Glück auf Erden beschert, wenn sie nicht gerade dabei sind, sich gegenseitig Probleme zu bereiten und über das Ende ihrer Beziehung nachdenken.
                Mit einzigartiger Leichtigkeit und einem unvergleichlichen Sinn für spielerische, inszenatorische Feinheiten führt Allen durch eine chronologisch zerbröckelte Handlung, in der er das Verhältnis zwischen seinen beiden Hauptfiguren betrachtet. Allens Kreation von Alvy Singer ist dabei eine Hommage an all diejenigen, die sich im, für die meisten gewöhnlich erscheinenden, Wahnsinn namens Leben kaum zurechtfinden, bewusst anecken oder aufgrund spezieller, eigenwilliger Ansichten als nicht gesellschaftsfähig eingestuft werden. Auf selbstironische, aber ebenso nachdenkliche Weise hält sich der Regisseur damit in gewisser Weise einen Spiegel vor, reflektiert seine Macken und zeigt, dass auch in der Akzeptanz eigener Defizite glorreiche Momente verborgen liegen.
                Die Dialoge in "Annie Hall", von denen viele mindestens denkwürdig, einige unvergesslich sind, rauschen nur so am Betrachter vorbei, während Allen Gedanken über die Liebe, das Leben und verschiedenste Zwischentöne seiner eigenen Herkunft und Leidenschaften, beispielsweise jüdische Sichtweisen, frustrierende Familienessen oder das Kino selbst, vornimmt. Alle Feinheiten und Ideen bei der ersten Sichtung zu erfassen, gestaltet sich als aufheiternde Herausforderung. Allen verbiegt das Medium ganz zu seinen Gunsten, durchbricht in urkomischen Momenten die vierte Wand, um beim Betrachter verzweifelt Zustimmung oder Anerkennung zu suchen, legt unter eine gewöhnliche Konversationen Texttafeln, die völlig konträr zum gesprochenen Wort die Gedanken der Protagonisten ausdrücken, flüchtet sich als Zeichentrickfigur in das Märchen von Schneewittchen, besichtigt im wahrsten Sinne des Wortes Stationen seiner Kindheit oder lässt den Geist von Diane Keatons Figur aus ihrem Körper flüchten, als diese keine Lust auf Sex mit Alvy hat.
                Der Regisseur scheut keine kreativen Kosten und Mühen, um das komplizierte Mit- und Auseinander von Mann und Frau zu beschreiben. Dabei bringt er es am Ende doch so einfach auf den Punkt:
                "I thought of that old joke, y'know, the, this... this guy goes to a psychiatrist and says, "Doc, uh, my brother's crazy; he thinks he's a chicken." And, uh, the doctor says, "Well, why don't you turn him in?" The guy says, "I would, but I need the eggs." Well, I guess that's pretty much now how I feel about relationships; y'know, they're totally irrational, and crazy, and absurd, and... but, uh, I guess we keep goin' through it because, uh, most of us... need the eggs."

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                • 7
                  über Tickled

                  Alles beginnt mit einem harmlos wirkenden, amüsanten Kitzel-Video. Auf der Suche nach einer neuen Story stößt der neuseeländische Journalist David Farrier, der sich in der Regel auf möglichst außergewöhnliche, gerne auch skurrile Themen stürzt, auf "Competitive Endurance Tickling". Die vom Produzenten "Jane O'Brien Media" ins Leben gerufenen Videos zeigen junge, oftmals muskulöse Männer, die sich von anderen Männern ihrer Art teilweise über Minuten hinweg kitzeln lassen.
                  Der Journalist ist sofort angetan von dieser merkwürdigen Welt des ungewöhnlichen Fetisches und möchte mit dem Produzenten dahinter Kontakt aufnehmen. Die Reaktion auf Farriers Anfrage gibt allerdings erste Rätsel auf, nachdem er eine ziemlich unfreundliche Antwort erhält, in der er aufgrund seiner Homosexualität von jeglichen Nachforschungen ausgeschlossen werden soll, da es sich bei der Sportart um ein rein heterosexuelles Event handele.
                  Farrier ist sich natürlich sofort sicher, dass er hier einer größeren Sache auf der Spur ist und will trotz brieflicher Klagen tiefer in die Thematik vordringen. Seine Dokumentation "Tickled" entpuppt sich fortlaufend als verzwickte, komplex verzweigte Spurensuche in ein dunkles Netzwerk, in dem schwerwiegende Erpressungen, korrupte Enthüllungen, weitreichende Verbindungen in höhere Kreise sowie letztlich ein erschreckendes Spiel um Macht und Kontrolle zum Vorschein gelangen.
                  Was als amüsanter Blick in eine alternative, überwiegend sicherlich eher unbekannte Welt beginnt, stellt sich nach und nach als schmutziges Millionengeschäft heraus, bei dem offenbar eine ganz bestimmte Person dafür verantwortlich ist, die Leben zahlreicher junger Menschen entscheidend zum Negativen beeinflusst zu haben. Farriers Recherche in Form dieses Films stellt einen der mutigen, aufregenden Versuche dar, das Genre des Dokumentarfilms wieder einmal als eigenständige Kunstform hervorzuheben.
                  Seine Art der investigativen Ermittlung durch real existierende Abgründe und Schattenseiten dieser Welt ist weitaus mehr als bloße Schilderungen und Befragungen über eine Tatsache, sondern entfaltet sich langsam wie ein Krimi-Thriller, der gerade deshalb so aufsaugend ist, da er narrative Wendungen einschlägt, die man aus fiktionalen Spielfilmen gewohnt ist, aber selten so im echten Leben vermutet.
                  Mit "Tickled" hat Farrier daher einen aufrüttelnden Weckruf gestartet, der die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit auf einen ganz konkreten Missstand lenken soll. Da seine Dokumentation zuletzt mit klaren Erkenntnissen, aber ohne befriedigenden Abschluss endet, wird deutlich, dass "Tickled" hoffentlich erst der Grundstein zu etwas Größerem sein könnte und womöglich wirkliche Veränderungen bewirkt.

                  7
                  • 7

                    [...] My Scientology Movie kann gewissermaßen als unterhaltsameres, nichtsdestotrotz stellenweise beängstigendes Gegenstück zu Gibneys Werk betrachtet werden. Da Theroux schon früh zu dem Schluss gelangt, dass ihm David Miscavige, das Oberhaupt von Scientology, niemals für ein Interview zur Verfügung stehen wird, wählt er einen anderen Ansatz. Gemeinsam mit Scientology-Aussteiger Mark Rathbun, der zwei Jahrzehnte lang Mitglied war und als rechte Hand von Miscavige fungierte, castet Theroux Schauspieler, die in die Rollen des Scientology-Anführers und Tom Cruise schlüpfen sollen, damit typische Situationen und Vorgehensweisen innerhalb der Organisation rekonstruiert werden können. Auch wenn Theroux hierdurch einen eher leichteren Ton anschlägt, wandelt sich My Scientology Movie recht bald zu einem höchst interessanten Experiment, bei dem sich drei Ebenen zunehmend vermischen. Während der Dokumentarfilmer an seinem eigenen Werk arbeitet, kreiert er nebenbei immer wieder nachgestellte Szenarien, was schließlich von beunruhigenden Ereignissen überschattet wird, in denen das Filmteam von seltsamen Personen verfolgt, gefilmt und förmlich überwacht wird. Dadurch, dass sich Theroux nicht nur mit der Theorie beschäftigt, sondern hautnah in die Organisation vordringen will, streift er immer wieder bewusst Grenzen, an denen er schließlich auf persönlichen Widerstand in vielfältiger Weise prallt. Die große Enthüllungsdokumentation ist ihm am Ende aber auch nicht gelungen. My Scientology Movie ist eher ein Dokument über den Prozess, sich hinter den Kulissen einer der mächtigsten und gleichzeitig bedrohlichsten Organisationen überhaupt bewegen zu wollen und über die Schwierigkeiten, die dieses Vorhaben unmittelbar hervorruft. Scientology selbst, mit ihrem mythenumwobenen Hauptquartier in der Traumstadt Los Angeles und den damit verbundenen Beziehungen direkt zu Hollywood, bleibt weiterhin ein schauriges, faszinierendes Mysterium, dessen wahres Gesicht immer noch hinter einer gut geschützten, aber immer stärker bröckelnden Fassade verborgen bleibt. [...]

                    7
                    • 7 .5

                      [...] Wie bei einem spannenden Puzzle fügt Özge ihrer Geschichte immer neue Teile hinzu und verdreht Perspektiven sowie Sympathien. In den zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen stellt Auf einmal brisante Fragen über das moralische Handeln der Hauptfigur, wirft hingegen aber auch einen kritischen Blick auf die Gerechtigkeit oder eben Ungerechtigkeit, die Karsten widerfährt. Dass sich der ruhig gehaltene Film dabei stets eine elektrisierende Ausstrahlung bewahrt, die zwischen verschwommener Spannung und unheilvollen Vorahnungen pendelt, hat die Regisseurin ihrem Hauptdarsteller Sebastian Hülk (Wer ist Hanna?) zu verdanken. Hülk spielt Karsten großartig als kühlen Wohlstandsjüngling, der sich trotz der verzweifelten Situation, in der er sich befindet, nie in die Karten blicken lässt, eine regelrechte Mauer um sein Innenleben errichtet und damit nicht nur seine Freunde und Verwandte ein ums andere Mal vor den Kopf stößt, sondern vor allem auch den Zuschauer. Auch wenn die Regisseurin schließlich immer mehr Licht auf die schattigen Fragezeichen ihrer Geschichte wirft, verblüfft Auf einmal mit einem Schlussakt, in dem Özge den Ton des Films noch einmal entscheidend verändert und in eine Richtung lenkt, die sich zuvor nur ganz leicht abzeichnete und am Ende mit voller, bösartiger Wucht zuschlägt. Der Abspann bringt den atmosphärisch unberechenbaren Zwiespalt letztlich perfide auf den Punkt. Während passionierte Cineasten zustimmend nicken dürften, dass sich die Regisseurin an erster Stelle bei Nuri Bilge Ceylan (Winterschlaf) bedankt, ertönen gleichzeitig die donnernden Klänge der Band Rammstein. [...]

                      9
                      • 8

                        Da er mit "Night of the Living Dead" bereits einen der ganz großen Meilensteine des Zombiefilms schuf, war es nur konsequent, dass es keinem geringeren als George A. Romero persönlich wieder gelingen sollte, seinen eigenen Klassiker gut 12 Jahre später noch einmal zu übertreffen.
                        Mit "Dawn of the Dead" hat der Regisseur die Symbiose aus Horror, Action und Gesellschaftskritik auf beeindruckende Weise vorangetrieben. Geradezu phänomenal ist bereits der Einstieg, bei dem Romero den Zuschauer ohne jegliches Vorgeplänkel mitten in ein apokalyptisch-unübersichtliches Szenario wirft, in dem die Auferstehung der Toten für Panik und Chaos sorgt. Das hektische Intro, in dem Romero in einem Fernsehstudio pure Hysterie ausbrechen lässt und anschließend bei einem SWAT-Kommando-Einsatz in einem Wohnkomplex gewaltbereite Schützen, wilde Kriminelle und nach Fleisch gierende Zombies zu einem blutigen Exzess vermengt, ist ein absolutes Lehrstück darin, wie man seinen Film eröffnen sollte.
                        Auch das darauffolgende Belagerungsszenario, in dem sich die vier Hauptfiguren in einem großflächigen Einkaufszentrum verschanzen, gestaltet der Regisseur als atmosphärisch verdichteten Überlebenskampf. Durch die Aufnahmen der stöhnenden Zombies, die sich in Massen gegen die Fenster und Türen der einzelnen Shopping-Läden drücken, entwirft Romero ein bissiges, überspitztes Abbild der stumpf nach Konsum lechzenden, amerikanischen Gesellschaft, die sich im hier dargestellten Extremfall nach und nach gegenseitig zerfleischt. Ebenso interessant sind die Szenen, in denen "Dawn of the Dead" gelegentlich für kurze Zeit einen leichteren, humorvollen Tonfall anschlägt. Gekonnt kleidet der Regisseur den massiven Waffenfetischmus seiner Nation als rasante Action-Scharmützel, in denen die trickreich inszenierte Jagd auf die Untoten als fast schon verspielte Abenteuer inszeniert sind.
                        Am Ende bleibt Romeros Werk aber ein eindeutiges Mahnmal, das den Untergang der Zivilisationsordnung ganz klar auf das Eigenverschulden der Menschen zurückführt. Auch wenn die offensichtlichen "Feinde" langsam schlurfende, nach primitivsten Instinkten agierende, menschenähnliche Gestalten sind, entsteht die entscheidende Eskalation im Finale rein aus puren, menschlichen Beweggründen.
                        Zusammen mit dem tollen Score von Goblin und den gewohnt bahnbrechenden Effekten von Tom Savini hat Romero beinahe so etwas wie den ultimativen Zombiefilm gedreht, der sich nicht nur dadurch auszeichnet, dass er die Bedrohung durch das unerklärliche Böse in ein apokalyptisch-beengendes Setting zwängt, sondern stets mit gesellschaftskritischen, durchdachten Impulsen verkettet.

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                          Azeroth, Orks, Draenei, Hexer, Gul'dan, Fel-Magie, magische Portale und menschliche Allianzen. Als Neuling im "Warcraft"-Universum kann einem schon mal schwindelig werden angesichts der vielen Begriffe, Verbindungen, Rituale und Figuren, mit denen diese bereits seit 1994 in Spielform existierende Fantasy-Welt bevölkert ist.
                          Regisseur Duncan Jones, der sich vorher im Science-Fiction-Genre einen Namen gemacht hat, wo er kopflastige Konzepte mit massentauglichen, emotionalen Stützpfeilern verknüpfte, nahm sich mit diesem Mammutprojekt in jeder Hinsicht einer nahezu unmöglich zu bewältigenden Aufgabe an. Einerseits musste er die Aufmerksamkeit von denen gewinnen, die mit dem längst zum Milliardengeschäft herangewachsenen Franchise bislang keinerlei Berührungspunkte hatten, andererseits sollten die Erwartungen der langjährigen Fans an eine detailgetreue Umsetzung ihrer geliebten Vorlage nicht enttäuscht werden.
                          Was Jones mit dem ersten Film dieser womöglich auf mehrere Teile ausgelegten Saga geschaffen hat, ist ein tonnenschwerer Blockbuster, der von seiner gehetzten Erzählweise, massig angerissenen, aber nie vollständig ausformulierten Ideen und einer letztlich banalen Geschichte erdrückt wird. Aus der grundlegenden Prämisse, bei der Menschen gegen Orks Krieg führen, entwirft der Regisseur eine überladene Welt, bei der er vor allem zu Beginn von einem Handlungsort zum nächsten springt und eine ganze Reihe an Figuren einführt, denen es im weiteren Verlauf merklich an Tiefe fehlt. Dem klassischen Gut-gegen-Böse-Schema wirkt Jones ansatzweise entgegen, indem er auf beiden Seiten Konflikte in den eigenen Reihen sät und Parteien miteinander vermischt, wenn die Halb-Orkfrau Garona nach einer Auseinandersetzung von den Menschen gefangen genommen wird und sich langsam auf deren Seite schlägt.
                          Trotzdem gelingt es "Warcraft" nie, dass man sich für die sprunghaft in das Szenario geworfenen Charaktere, die am Ende kaum mehr als funktionale Stereotypen bleiben, wirklich interessiert. Jones ist sichtlich darum bemüht, die wuchtige sowie gleichzeitig berührende Epik aus Peter Jacksons "The Lord of the Rings"-Verfilmungen zu imitieren, bleibt dabei aber zwischen glatten Oberflächen, generischen Reißbrett-Konflikten, flachen Fantasy-Dudel-Klängen und mitunter begeisternden, mitunter befremdlichen Effekten stecken.
                          Die durch Motion-Capturing zum Leben erweckten Orks bewegen sich mit ihrer massiven Erscheinung und der glaubwürdigen Mimik nahe an der Realität, können den Eindruck aber nie verwischen, dass man hier einem mit CGI überladenen Spektakel beiwohnt, in dem jegliches Gespür für liebevolle Einzelheiten zugunsten seelenloser Effekt-Schlachten verloren geht und vor allem die persönliche Handschrift des Regisseurs nie zu erkennen ist.
                          Ob dieser Film tatsächlich das ist, was sich Duncan Jones unter seiner "Warcraft"-Verfilmung vorgestellt hatte, bleibt ebenso ungeklärt wie die Frage, für wen der Film letztendlich gemacht wurde. Neulinge dürften den Überblick und somit jegliches Interesse schnell verlieren, während Fans einige vertraute Namen und Gebiete aus dem Spiel bekommen und über all dem beide Parteien mit unsauber gezeichneten Figuren, einer formelhaften Geschichte und der übereilten Erzählweise abgefertigt werden.

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                            "I Spit on Your Grave" markiert das wohl dunkelste Kapitel des Rape-and-Revenge-Subgenres. Meir Zarchis unfassbar böser Exploitation-Thriller gehört sicherlich zu den härtesten Streifen der 70er und stellt einen zutiefst problematischen Film dar, der bis heute die Gemüter spaltet und im Mittelpunkt kontroverser Diskussionen steht.
                            Das Ziel der aufstrebenden Autorin Jennifer, sich im Sommer in ein ruhiges Haus aufs Land zurückzuziehen und ihr erstes Buch zu schreiben, wird von vier unmenschlichen Individuen auf erschütternde Weise vernichtet. In kaum erträglicher Länge von fast einer halben Stunde zieht der Regisseur das Martyrium der jungen Frau in die betäubende, gefühlte Endlosigkeit. Nachdem die erste Vergewaltigung den Betrachter bereits mit äußerster Wucht trifft, nach der er annehmen könnte, das Leben von Jennifer wäre beendet, setzt Zarchi noch einmal und noch einmal einen drauf, bis ihr Körper nur noch einer Ruine gleicht, während die leeren, starren Augen jegliches Funkeln der Anfangsszenen verloren haben.
                            Was bis dahin zu den brutalsten Momenten der vergangenen Kinogeschichte gehört, wandelt sich in der zweiten Hälfte des Films auf eine kaum weniger anstößige Art zum furiosen Vergeltungsinferno, das sich unter Umständen noch schwieriger gestaltet als die unvergessliche Vergewaltungssequenz. Die ausführlichen Todesmomente von Jennifers Peinigern entpuppen sich nur schwer als erträgliche Katharsis, sobald das Opfer durch Schlingen minutenlange Erdrosselungen durchführt oder mit einem Messer zur Kastration ansetzt. Indem der Regisseur die Gewalt auf beide Geschlechter gleichwertig verteilt, entzieht er seinem Werk klare Möglichkeiten der Positionierung. Ein misogynes Werk ist "I Spit on Your Grave" daher keinesfalls, ebenso wenig lässt sich der gnadenlose Racheakt der förmlich gebrochenen Frau als emanzipatorischen Akt gegen das vulgäre, abstoßende männliche Geschlecht einstufen, denn Jennifer ködert die Männer letztlich mit genau den Reizen, an denen sich die Vergewaltiger zuvor in abartigster Manier vergriffen haben.
                            Letztlich ist Zarchis Film daher eine völlig eigenständige Bestie, die für politisch korrekte und moralisch gefestigte Instanzen in jeder Hinsicht einen Schlag ins Gesicht bedeutet. "I Spit on Your Grave" verweigert sich eindeutigen Kategorisierungen und lässt endgültige Wertungen von sich abprallen, stellt durch seine kompromisslose Schilderungen menschlicher Abgründe aber einen der pursten, reduziertesten und härtesten Vertreter seiner Art dar und ist auf positive Weise schwierigstes Kino in seiner radikalsten Form, mit dem man sich unbedingt auseinandersetzen sollte.

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                              Was passiert, wenn sich vier namhafte Schauspielgrößen des französischen Kinos völlig dem schmuddeligen, frivolen Exzess hingeben? Marco Ferreris skandalumwobener Film "La Grande Bouffe" gibt die Antwort darauf und führt Marcello Mastroianni, Michel Piccoli, Philippe Noiret und Ugo Tognazzi in den Rollen vier dekadenter, wohlhabender Männer in ein prachtvolles Anwesen, in dem die Gruppe im Laufe eines Wochenendes ihren Leben ein Ende bereiten will.
                              Exquisite Speisen verlassen die Küche, Köstlichkeiten wandern in die unersättlichen Münder der Männer und sobald das Essen alleine nicht mehr ausreicht, bestellt man sich zusätzlich eben noch ein paar Prostituierte. Ferreris Film lässt sich leicht als bissige Anklage der französischen Oberschicht auffassen, für die der Regisseur die von (Konsum-)Gier und schmerzhafter Leere besessenen Körper der Figuren mit Nahrungsmitteln und sexuellen Eskapaden bombardiert, bis nur noch stöhnende Resignation und qualvolle, mitunter groteske Todesarten ausstehen.
                              Das exzessive Konzept dieses Films, welches in derart radikal ausgedehnter Form eindeutig in den ungestümen 70ern verwirklicht wurde, wo im Kino sonderbare Experimente keine Seltenheit waren, nimmt über die Laufzeit des Films hingegen früh ähnlich füllende sowie rasch sättigende Ausmaße an, wie der Gemütszustand der vier Männer.
                              Was die Figuren dazu bewegt, sich auf diese Weise langsam das Leben zu nehmen, lässt der Regisseur überwiegend unbeantwortet. Lediglich grobe psychologische Skizzierungen bekommt der Zuschauer an die Hand, ansonsten regiert in "La Grande Bouffe" über volle zwei Stunden hinweg schmatzender, schlingender und furzender Irrsinn. Ohne überschwängliche Höhepunkte macht Ferreri den Titel seines Films zum Programm und inszeniert die fatale Völlerei als edel anzusehenden Reigen leckerer Speisen, ansehnlicher Damen und luxuriöser Dekors, dessen garstige Gesellschaftskritik treffsicher formuliert ist, aber unnötig ohne eventuelle makabere Denkwürdigkeiten zelebriert wird, so dass man sich früh sattgesehen hat.

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                                [...] Mit jedem anderen Darsteller in der Hauptrolle wäre Vampire's Kiss kaum mehr als ein sonderbarer Genre-Hybrid, bei dem Drehbuchautor Joseph Minion zynisch-satirische Töne gegen die Yuppie-Dekadenz der 80er-Jahre mit bizarren, schwarzhumorigen Comedy-Elementen kreuzt. Dass die Hauptfigur tatsächlich von einem Vampir in Frauengestalt gebissen wurde und sich nun langsam selbst in ein mystisches Geschöpf der Nacht verwandelt, darf angezweifelt werden, denn bereits von Anfang an wird Peter als psychisch labiler Mensch gezeichnet, der schleichend, aber dafür umso heftiger dem Wahnsinn verfällt. Wirkliche Relevanz und einen zugleich unschlagbaren Sonderstatus erhält der Streifen aber endgültig durch seinen Hauptdarsteller. Wie Cage jede Gefühlsschwankung und sämtliche, hysterische Aussetzer seines Charakters verkörpert, lässt sich mit Worten kaum beschreiben und kommt einem manischen, wahnhaften Exzess gleich. In derart überdrehter, aufgekratzter Form durfte man dem Schauspieler selten zuschauen, wenn er wie ein Geisteskranker die Augen aufreißt, in Schreikrämpfe verfällt, absurde Grimassen schneidet oder im Finale schließlich völlig ins fantasierende Delirium abgleitet. In vielerlei Hinsicht weist Vampire's Kiss durchaus Parallelen zu Mary Harrons (Die Sehnsucht der Falter) American Psycho, der Adaption des Bestsellers von Bret Easton Ellis (The Canyons) auf, wenn grotesk überspitzte Dekadenz auf psychotischen Wahnsinn trifft. Da verwundert es kaum, dass Christian Bale (Batman Begins), der Patrick Bateman spielte, Cages Performance in Biermans Film als größte Inspiration für seine Darstellung des völlig abgestumpften, psychopathischen Wall-Street-Serienmörders bezeichnete. Auch wenn sich die Handlung dieses Films irgendwann nur noch im Kreis dreht, ist es alleinig Cage zu verdanken, dass Vampire's Kiss zu einem selten gesehenen Kuriosum mutiert, das an den Kassen gefloppt ist, aber nachträglich zum Kultfilm erklärt wurde. [...]

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                                  Found-Footage ist tot. Eine Aussage, die man im Angesicht der unzähligen, lieblos produzierten und amateurhaft zusammengestückelten Ableger des Subgenres keineswegs schweren Herzens trifft. Blickt man auf das Massengrab, in dem sich Filme wie "Grave Encounters", "The Amityville Haunting", "The Devil Inside", "Raw – Der Fluch der Grete Müller" oder "Area 51" befinden, verfliegt die Hoffnung auf ein weiteres, innovatives Erfolgswerk wie der völlig zurecht populär gewordene "The Blair Witch Project" recht schnell.
                                  Ausgerechnet einem Oscar-prämierten Regisseur, der Filme wie "Good Morning, Vietnam" und "Rain Man" in seiner Vita aufweisen kann, ist es gelungen, dem Subgenre zwischenzeitlich zur Abwechslung mal wieder etwas Leben einzuhauchen. Barry Levinsons "The Bay" besticht vor allem durch seine Form, bei der es nicht darum geht, dass eine Einzelperson oder eine Gruppe unterschiedlicher Protagonisten ein bestimmtes Ereignis mit wackeligen, kaum erkennbaren Handkamera-Aufnahmen festhält. Der gesamte Film ist stattdessen als Fake-Reportage inszeniert, für die Levinson ein ganzes Arsenal an dokumentarischen Stilmitteln miteinander kombiniert.
                                  Alles beginnt mit einleitenden Schilderungen einer Reporterin, die per Skype-Übertragung drei Jahre zurückliegende Ereignisse zusammenfasst, die im Küstenort Chesapeake Bay stattfanden. Donna, die damals noch als Praktikantin beschäftigt war, wird in einen erschreckenden Zwischenfall hineingezogen, bei dem zuerst von einem Fischsterben in Millionenhöhe berichtet wurde, bis schließlich auch die Bewohner der Kleinstadt beängstigende Symptome aufweisen und sich erste Todesfälle anhäufen.
                                  "The Bay" gelingt es auf ebenso authentische wie perfide Weise, Unbehagen beim Betrachter auszulösen. Levinson montiert Skype-Konferenzen, Home-Video-Aufnahmen, TV-Berichte, Reportage-Schnipsel, Chat-Verläufe und ärztliche Reporte zu einer Chronik des Schreckens. Indem der Regisseur überwiegend auf plumpe Schockeffekte verzichtet und viel mehr ein Kribbeln auf der Haut erzeugt, wenn er minimalistische Spezialeffekte in reale Aufnahmen integriert, ekelerregende Body-Horror-Momente einstreut und selbst die nicht gerade subtile Öko-Botschaft eher unterschwellig und passend im Hintergrund mitschwingen lässt, erzielt der Streifen seine gewünschte Wirkung.
                                  Obwohl sich Levinson im Kern auf grundlegende Empfindungen konzentriert, die er durch das Ansprechen simpler Reize wie Panik, Angst, Ungewissheit und Überforderung auslöst, verkettet und verdichtet der Regisseur realistische Vorzeichen und Andeutungen zu einem glaubwürdigen Szenario. Von besorgniserregenden Vorfällen wie genmanipuliertes Futter, Tierexkremente, die in den Fluss entsorgt werden, vom Himmel stürzende Vögel und radioaktive Rückstände schlägt der Film eine extreme Brücke hin zu mutierten Fisch-Parasiten, ekligen Blasen und Ausschlägen auf menschlichen Körpern, notdürftigen Amputationen, aufgeplatzten Wunden und schließlich zombieähnlichen Wirten.
                                  Mit seiner Vermischung von ökologisch-apokalyptischem Horror und medialen Werkzeugen schlägt der Regisseur zwar nie eine innovative Kerbe, doch "The Bay" funktioniert weitaus besser als viele Streifen dieses Subgenres und stellt eine erfrischende, authentische und schaurige Abwechslung zum öden Einheitsbrei dar.

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                                    Gerade in aktuellen Zeiten, wo die Geschichte rund um Pablo Escobar und sein Medellín-Kartell noch einmal ein Revival erlebt, indem sich die Netflix-Serie "Narcos" ausgiebig beiden Seiten des Gesetzes widmet, kommt ein Film wie "The Infiltrator" wahlweise passend oder erscheint völlig überflüssig.
                                    Basierend auf der Autobiographie von Robert Mazur, der Mann, dem ein entscheidender Schlag gegen Escobars Drogenoperationen gelang, inszeniert Regisseur Brad Furman einen riskanten Undercover-Einsatz, der schließlich in die Geschichte einging. Der ausschlaggebende Impuls ist die Idee des Steuer- und Zollbeamten, nicht den Drogen zu folgen, sondern dem Geld. Mazur legt sich eine Tarnidentität zu, bei der er vorgibt, Bob Musella zu sein, ein mächtiger Geschäftsmann, der Geldsummen jeglicher Höhen waschen könne. Gemeinsam mit einigen Hintermännern und Spitzeln gelingt es dem Agenten, in engere Kreise des sagenumwobenen Drogenbosses vorzudringen und mit viel Geschick große Namen, die in enger Beziehung zu Escobar stehen, überführen zu können.
                                    Über weite Strecken folgt Furmans Film den üblichen Strukturen des Undercover-Genres, bei dem viel Zeit dafür verwendet wird, das Vertrauen entscheidender Schlüsselpersonen zu gewinnen, immer neuen Namen vorgestellt zu werden und sich in einem Milieu einzuleben, in dem jeder Schritt argwöhnisch beobachtet wird und selbst geringe Zweifel eine Kugel in den Kopf bedeuten könnten. "The Infiltrator" gelingt es allerdings zu selten, die Spannung über einen konstanten Rahmen hinweg aufrecht zu erhalten. So kristallisieren sich eher vereinzelte Szenen heraus, die überraschend in kurze, aber umso packendere Momente umschlagen, während sich ein Großteil der Geschichte eher an unaufgeregten, kaum mitreißenden Entwicklungen interessiert zeigt.
                                    Einen ganz großen Trumpf hat der Streifen allerdings vorzuweisen und der heißt Bryan Cranston. Wie der Schauspieler den besorgten Ehemann und Familienvater gibt, der um sein privates Wohl fürchtet, je weiter er in lebensgefährliche Regionen vorstößt, als entschlossener Agent konzentriert seinem Auftrag nachgeht und vor allem immer tiefer mit der Rolle in der Rolle verwächst, wenn sein Bob Musella es immer mehr genießt, in sündhaft teuren Markenanzügen durch luxuriöse Etablissements zu streifen und den einflussreichen Geschäftsmann raushängen zu lassen, ist faszinierend anzusehen.
                                    Überhaupt ist "The Infiltrator" in den wenigen Momenten am stärksten, wenn er keine Geschichte darüber erzählt, wie eine Undercover-Aktion gegen einen der gefährlichsten Drogenbosse des Planeten abläuft, sondern unverhoffte Beziehungen und Verwicklungen knüpft, vertrauensvollen Halt zwischen Menschen aufkeimen lässt, den es eigentlich nicht geben dürfte und am Schluss mit einer nachdenklichen Note endet, bei der ein paar emotional eindringliche Blicke weitaus mehr bedeuten als faktische Durchbrüche auf dem Papier.

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                                      [...] In der mittlerweile fast schon unüberschaubaren Flut an immer neu erscheinenden Qualitätsserien kommt Crisis in Six Scenes ebenso überraschend wie erwartungsgemäß einem Novum gleich. Allen beugt sich den Strukturen des seriellen Erzählens zu keinem Zeitpunkt. Wie sollte er auch, wenn er davon nicht die geringste Ahnung besitzt? Von komplexen Charakteren, verwinkelten Handlungssträngen oder heftigen Cliffhangern fehlt in den sechs Episoden der Serie jegliche Spur. Der Regisseur hat stattdessen einfach einen neuen Film gedreht, der mit insgesamt gut 140 Minuten deutlich länger geraten ist als seine üblichen Werke, welche selten die 90-Minuten-Marke überschreiten, und diesen in einzelne Episoden aufgeteilt. Hätte Allen auf die Titeleinblendung sowie das Einfügen von Credits am Ende jeder Episode verzichtet, wären die Übergänge nahtlos und der Unterschied zwischen einer Miniserie und einem Film nicht mehr zu erkennen. Die offensichtliche Unfähigkeit des Regisseurs, sich mit den Möglichkeiten des Mediums auch nur im Ansatz auseinanderzusetzen, macht aus Crisis in Six Scenes im Gegenzug noch lange keinen künstlerischen Fehlschlag. Viel mehr hat Allen in dem Serienprojekt einige der bissigsten, amüsantesten und trockenhumorigsten Pointen auf Lager, die seine letzten Werke nur noch in abgeschwächter, verdünnter Form enthielten. Das liegt auch daran, dass der Regisseur seit langer Zeit trotz seines mittlerweile stolzen Alters von 80 Jahren mal wieder selbst in eine der Hauptrollen geschlüpft ist. Bereits in der allerersten Szene, wenn er als nur noch mäßig erfolgreicher Autor auf dem Friseurstuhl sitzt und davon erzählt, an einer Fernsehserie zu schreiben, da hier momentan am meisten Geld zu machen sei, während er gerne einen Haarschnitt im Stil von James Dean hätte, strahlt die Auftaktepisode atmosphärische Töne aus, die an ältere Filme von Allen erinnern und die verkörperte Figur des Regisseurs sofort als typisch neurotische Allen-Kreation etablieren. [...] Nach dem ersten Drittel macht sich durchaus bemerkbar, dass Allen stellenweise überfordert damit war, eine Geschichte, die in kompakte 90 Minuten hervorragend gepasst hätte, auf Serienlänge zu strecken. Die Art des Humors weist spätestens nach der Hälfte leichte Abnutzungserscheinungen auf, während sich die Dialoge, welche diesmal so politisch aufgeladen sind wie selten zuvor in Allens Werken, etwas im Kreis drehen.

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                                      • 6 .5

                                        John Boormans "Deliverance" ist ein Film der prägnanten Einzelmomente. Mit gelassener Ruhe führt der Regisseur vier Großstädter in ein abgelegenes Waldgebiet, in dem sich die Männer abenteuerlustig auf einen Kanu-Tour über den dort anliegenden Fluss begeben wollen.
                                        Boormans Adaption der Romanvorlage von James Dickey ist eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur, aber auch zwischen vordergründig kultivierten Zivilisten und rückständigen Einwohnern des Hinterlandes. Der Regisseur inszeniert den Aufprall der gegensätzlichen Mentalitäten als psychotischen Überlebenskampf, bei dem die vier Männer plötzlich in eine unvorstellbare Eskalation der Gewalt geraten.
                                        In den intensivsten Szenen explodiert "Deliverance" daher in schweißtreibende, verstörende Akte menschlicher Abgründe, wenn der Film in Erniedrigungen und Vergewaltigungen kippt, wo zuvor noch wunderschöne Aufnahmen der unberührten Naturlandschaft regierten. Was Boorman hinsichtlich der dichten Spannungsmomente gelingt, die unweigerlich zu vielzitierten, ikonischen Augenblicken heranwuchsen, fehlt ihm dagegen auf der Ebene des differenzierten Erzählens und des allgemeinen Konstruierens einer stimmigen Dramaturgie.
                                        Obwohl "Deliverance" das Bild der abgebrühten, vorlauten Macho-Figuren, welches zu Beginn etabliert und in der großartig gelungenen Banjo-Szene erstmals an seine Grenzen getrieben wird, später genüsslich demontiert, nachdem die Männer nach ersten Verletzungen und im Angesicht des Todes zu verzweifelten, weinerlichen Erscheinungen verkommen, enttäuscht der Streifen durch die einseitige Darstellung der Hinterwäldler, die als primitive, außer Kontrolle geratene Inzest-Geschöpfe porträtiert werden.
                                        Daneben leidet Boormans Werk unter einem zerfahrenen, unnötig ausgedehnten Spannungsbogen, durch den "Deliverance" neben einer Handvoll einprägsamer Szenen immer wieder in zähe Durststrecken verfällt, wenn sich der Beginn zu ereignislos in die Länge zieht, während der Regisseur nach einem Höhepunkt eine ganze halbe Stunde lang den richtigen Schlusspunkt verpasst.
                                        Als Blaupause für raues Survival-Terror-Kino diente "Deliverance" gewissermaßen als Vorbild für zahlreiche, nachfolgende Backwood-Horror-Filme, doch in Regionen eines wegweisenden Klassikers schwingt sich Boormans Film nie auf, dafür ist er neben der gesellschaftskritischen Botschaft und einigen intensiven Einzelmomenten zu einseitig gezeichnet und zu schleppend in Szene gesetzt.

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                                          Jonathan Gold ist von Beruf Restaurantkritiker. Die Artikel, die er jede Woche seit mittlerweile gut 26 Jahren für die "Los Angeles Times" schreibt, gehen jedoch weit über herkömmliche Schilderungen des Geschmacks oder der Konsistenz der ihm servierten Gerichte hinaus.
                                          In "City of Gold", Laura Gabberts Dokumentation über den berühmten "Food Writer", zeichnet die Regisseurin ein bereicherndes Porträt von Gold, der als erster Restaurantkritiker überhaupt mit dem Pulitzer-Preis geehrt wurde. Große, berühmte Restaurants, welche bevorzugt von Touristen angesteuert werden, die vorübergehend ihren Urlaub in Beverly Hills verbringen, sind für Gold kaum von Bedeutung. Wie der Kritiker selbst erzählt, liebt er Los Angeles, die Stadt, in der er aufgewachsen ist und bis heute lebt, vor allem wegen den kulinarischen Erlebnissen einer multikulturell bunt zusammengewürfelten Gesellschaft, in der er sich am liebsten in kleineren, unbekannten Lokalen bedienen lässt oder Essen von einem Food-Truck an der nächsten Straßenecke bekommt.
                                          "City of Gold" bietet nicht nur einen umfassenden Einblick in das Leben von Gold, sondern dient darüber hinaus als Liebeserklärung an ein Los Angeles, Jonathan Golds Los Angeles, durch das der Restaurantkritiker mit seinen leidenschaftlichen Texten wie ein Kompass führt, wodurch sich seinen Lesern eine völlig neue Infrastruktur der ungewöhnlichen Köstlichkeiten offenbart. Hinter dem oberflächlich schrulligen Erscheinungsbild entpuppt sich Gold schnell als unglaublich warmherzige Seele, der sein Umfeld abgöttisch verehrt. Für jedes Gericht, das ihm ein zufriedenstellendes Lächeln ins Gesicht zaubert, revanchiert sich der Kritiker automatisch, indem er unter anderem Immigranten, deren Restaurants in schweren Krisen kurz vor der Schließung standen, mit seinen Texten zu populärem Aufschwung verhalf.
                                          In Gabberts Dokumentation wird man somit nicht nur Zeuge von der Vergangenheit und dem Alltag des Kritikers, sondern viel mehr von zahlreichen, erhellenden Momenten, in denen "City of Gold" unheimlich viel über die Wirkung des geschriebenen Wortes ausdrückt, das hier im besten Fall Leben verändert, aber genauso ein Bild von Los Angeles entwirft, das von einem Mann beschrieben und beschwärmt wird, der durch seine Passion zum Essen einen Zugang gefunden hat, um das kulturelle Herz einer ganzen Stadt einfangen zu können.
                                          Wie ein leckerer Appetizer macht "City of Gold" sofort Lust, sich nach der Sichtung umgehend in den Artikeln des Restaurantkritikers zu verlieren und von ihm mitgenommen zu werden, auf eine Reise durch dieses ganz besondere, so noch nicht gekannte Los Angeles.

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                                          • 7 .5

                                            Larry Clarks Filme handelten schon immer von dem, was der Regisseur in seiner Jugend selbst erlebte. Teenager, die verantwortungslos in den Tag hinein leben, übereinander herfallen, Drogen konsumieren und einer Zukunft entgegen blicken, die für sie rein gar nichts parat hält. Werke wie "Kids" oder "Ken Park" sind diesbezüglich fast schon schmerzhaft authentische Milieustudien, in denen sich Clark als beeindruckender Beobachter erwies, der die Mentalität einer ganzen Generation schonungslos einfing.
                                            Der vermutlich finsterste Film des Regisseurs ist allerdings der, dessen Handlung das Leben selbst schrieb. Basierend auf dem True-Crime-Bestseller "Bully: A True Story of High School Revenge" inszeniert Clark in "Bully" die Geschichte einer schockierenden Tat, die sich aus dem jugendlichen Milieu heraus wie ein Parasit entwickelt und das Leben aller Beteiligten schlagartig aus der Bahn reißt. Zunächst folgt der Regisseur seinem vertrauten Rhythmus, wenn die beiden befreundeten Teenager Marty und Bobby zwei Mädels kennenlernen, mit denen sie durch die Gegend fahren, Sex haben und einfach gelangweilt abhängen. Zu den pumpenden Beats der Songs von Dr. Dre oder Eminem zeigt Clark entblößte Körper, die immer wieder in betäubende Ekstase verfallen, bis sie in intimer Zärtlichkeit zur Ruhe kommen. Neben der gewohnten Lethargie wird "Bully" allerdings auch von einer düsteren Kraft überschattet, bei der das Verhältnis zwischen Marty und Bobby im Mittelpunkt steht. Martys neue Freundin Lisa erträgt es nicht länger, dass er von Bobby geschlagen, erniedrigt und beispielsweise dazu ausgenutzt wird, in einer Homosexuellen-Bar auf der Bühne zu strippen, während Bobby sie und andere Frauen in seinem Umfeld vergewaltigt, wann immer ihm gerade danach ist.
                                            Als die Clique, bestehend aus Marty, Lisa, ihrer Freundin Ali, Alis Freund Donny und ihrer Freundin Heather sowie Lisas Cousin Derek, beschließt, Bobby zu töten, stürzt "Bully" endgültig in einen pechschwarzen Abgrund. Sämtliche Schritte vom Entschluss der Tat, über die Planung und Vorgehensweise bis hin zur Durchführung inszeniert der Regisseur mit einer beinahe unerträglichen Langsamkeit, unter die er die kaum durchdachten Konsequenzen und den jugendlichen Leichtsinn der Figuren mischt, welcher von bekifftem Dilettantismus bis hin zu nervöser Unfähigkeit reicht. Der Film läuft schließlich auf einen markerschütternden Höhepunkt hinaus, nach dem Clark den plötzlichen Einbruch der blanken Realität als Abfolge von verzweifelten, hilflosen Entscheidungen schildert, bei dem er seine pessimistische Perspektive auf das Leben der Protagonistin schlussendlich mit einer audiovisuellen Intensität verwirklicht, die ihresgleichen sucht.

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                                            • 4 .5

                                              [...] Gerade zu Beginn ist Fucking Berlin, Florian Gottschicks (Nachthelle) Verfilmung von Sonia Rossis autobiographischem Bestseller, am stärksten, wenn der Regisseur den neugierigen, aufgeregten und kaum zu bändigenden Drang vermittelt, den junge Menschen verspüren, sobald sie in die gigantische Hauptstadt Deutschlands ziehen, wo sie sich grenzenlose Freiheit und elektrisierende Momente erwarten. Auch für Sonja geht dieses Bestreben zunächst in Erfüllung, wenn sie sich anfangs von Party zu Party tanzt, grinsend neben One-Night-Stands aufwacht und neben dem unbeschwerten Uni-Alltag in Ladja offenbar so etwas wie ihre große Liebe findet. [...] Im Gegensatz zu dem Berlin des Films, das als Rhythmus in Endlosschleife beschrieben wird, in dem Beats das Lebensgefühl ständig ändern, springt Fucking Berlin zu oft aus dem Takt. Gottschick verpasst der Geschichte immer wieder einen höchst unangenehmen Anstrich, bei dem der Regisseur natürliche Momentaufnahmen in kitschige Montagen verwandelt, die mit ihrer aufdringlichen Musikuntermalung und dem ungelenken Verhalten der Schauspieler wie aus einer schlechten Vorabend-Soap wirken. Auch wenn Hauptdarstellerin Svenja Jung (Die Mitte der Welt) eine ebenso offenherzige wie freizügige Art an den Tag legt, fallen vor allem ihre Voice-over-Monologe arg negativ auf. Die wirken so, als würde Jung Textstellen aus der Romanvorlage 1:1 und mit gelangweilter Stimme ablesen. Nachdem die Hauptfigur endgültig ins Milieu der Prostitution abrutscht, bei dem sie sich selbst ein Alter Ego namens Mascha zulegt und zur Kaschierung ihrer wahren Persönlichkeit eine Perücke trägt, hat der Streifen hin und wieder einige amüsante Momente zu bieten, wenn Fucking Berlin die eigenartigen Fetische und speziellen Vorlieben von Sonjas Freiern zur Schau stellt. Auch Sonjas Verbindung zu ihren Kolleginnen, die für sie zu einer Art Ersatzfamilie werden und ihren Beruf mit frechem Mundwerk kommentieren, sorgt für einige emotional gelungene Szenen. Trotzdem hangelt sich die Handlung des Films weitestgehend an vorhersehbaren Klischees entlang und erinnert mit der Geschichte, die zwar aus dem echten Leben der Autorin gegriffen ist, trotzdem zu sehr an typisch moralisierende Erzählungen vom jungen, unschuldigen, naiven Mädchen, das vom verdorben-verführerischen Puls der Großstadt verschluckt wird und nur noch schwer wieder einen Ausweg findet.

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                                              • 8

                                                Was bewegt zwei Teenager dazu, schwer bewaffnet durch die Korridore der eigenen Schule zu streifen und jeden zu erschießen, der ihnen vor den Lauf des Maschinengewehrs läuft? Das Motiv für solch eine Tat blieb auch schon 1999 schmerzlich im Unklaren, als Eric Harris und Dylan Klebold an der Columbine High School einen Amoklauf verübten, der zwölf Schülern das Leben kostete und zahlreiche Verletzte nach sich zog, während sich die beiden nach der Tat selbst hinrichteten und auf brennende Fragen keine Antworten lieferten.
                                                Ebenso unklar bleibt Gus Van Sant in seiner filmischen Auseinandersetzung mit dem "Columbine-Massaker". Der Regisseur entwirft zunächst das Bild des gewöhnlichen High-School-Alltags, bei dem er seine Geschichte in episodenhafte Beobachtungen zersplittert, die sich jeweils unterschiedlichen Schülern widmen. Durch die unaufgeregte Erzählung stellt sich beim Betrachter schnell das Gefühl der Vertrautheit ein, denn man hat sie während der eigenen Schulzeit ebenfalls alle persönlich kennengelernt. Die grinsenden, sportlichen Jungs, die von sämtlichen Mädchen angehimmelt werden, die stillen, schüchternen Jungs, die mit ihren aus der Mode gefallenen Frisuren oberflächlich einen abschreckenden Eindruck machen, die unscheinbaren Typen in der letzten Reihe, die sich ohne Widerstand von Papierkugeln bewerfen lassen oder die Mädels-Cliquen, die stets zu dritt durch die Korridore streifen, über den neuesten Klatsch und Tratsch reden, bis sie auf der Mädchentoilette angekommen sind.
                                                Van Sant wähnt den Betrachter in wohlige Sicherheit und zeigt ihm das, was er kennt, auch wenn er dabei stets das Gefühl von Bedrohung und Unheil aufkommen lässt. "Elephant" ist beeindruckend konzipiert und komponiert, wenn der Regisseur die einzelnen Einstellungen über erstaunliche Längen ohne Schnitte streckt, jede Bewegung minutiös choreographiert und dabei den Fokus immer wieder sanft verschiebt. Von besonderer Faszination ist allerdings der Umgang mit Klischees und Vorurteilen. Van Sant präsentiert eine Vielzahl an äußeren und inneren Faktoren, die zur Eskalation führen könnten. Er zeigt Jugendliche, deren alkoholisierte Väter schon am Morgen kaum noch fähig sein, ihre Kinder zur Schule zu fahren, Jugendliche, die Ego-Shooter spielen, Hitler-Dokumentationen schauen aber gleichzeitig klassische Stücke am Klavier spielen, und doch laufen alle Spekulationen am Ende ins Leere, wenn "Elephant" im Schlussakt ohne eindeutige Motivation in einem schockierenden Akt der Gewalt explodiert, bei dem der Regisseur das Attentat auf seine pure, hässliche Seite des Tötens und Sterbens reduziert.

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                                                • 1

                                                  "The Bunny Game" hat den zweifelhaften Ruf erlangt, in einer Riege mit den ganz großen, grenzüberschreitenden, anstößigen Skandalwerken wie "Salò", "Cannibal Holocaust", "A Serbian Film" oder "Irreversibel" genannt zu werden. Diese Aufmerksamkeit hat Adam Rehmeiers Film aber nicht verdient, denn auch wenn der Regisseur durchaus Grenzen überschreitet, überschreitet er in erster Linie vor allem die Aufmerksamkeitsspanne des Zuschauers nach Rekordzeit.
                                                  In dilettantisch gehaltenen S/W-Bildern schildert Rehmeier den Alltag einer Prostituierten in Los Angeles, die sich körperlichen Erniedrigungen aussetzen muss, während sie längst drogenabhängig geworden ist. Diese mit epileptischen Schnitten und Black-Metal-Klängen unterlegten Szenen sind allerdings nur der Einstieg für einen geschmacklosen, menschenverachtenden Folter-Porno, bei dem sich Rehmeier in redundanten Szenarien ohne jegliches Gespür für Dramaturgie, Spannung oder Horror suhlt, in denen er menschliches Leid, schmerzhafte Qualen und physischen sowie psychischen Missbrauch mit stoischer Gefälligkeit ausschlachtet.
                                                  Für Aufmerksamkeit hat dabei vor allem die Hintergrundgeschichte des Streifens gesorgt. Hauptdarstellerin Rodleen Getsic hat ähnlichen Missbrauch in ihrem wirklichen Leben erfahren, weshalb sie den Film nutzen wollte, um ihre Erlebnisse therapeutisch aufzuarbeiten. Zur Vorbereitung auf die Dreharbeiteten fastete sie 40 Tage lang, während sämtliche Folter-Aktionen des Films tatsächlich an ihr ausgeübt wurden.
                                                  Dass "The Bunny Game" ihr womöglich wirklich eine Art der Problembewältigung verschafft hat, bleibt zu bezweifeln, doch darüber hinaus ist Rehmeiers Film schlichtweg überflüssig, eine Beleidigung für das Medium selbst und so aufdringlich mit seinen frenetischen Schnittfolgen, dem unerträglichen Industrial-Gehämmer auf der Tonspur und den zahlreichen Wiederholungen identischer Szenen, dass der Regisseur absolut keine schockierende Wirkung beim Betrachter hervorruft. Ein Werk, bei dem man sich während der Sichtung fast schon schämt, Filmfan zu sein und sich wünscht, es wäre besser nie entstanden.

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                                                  • 2 .5

                                                    [...] Schon die Einblendung im Vorspann dürfte nicht ganz unberechtigt für üble Vorahnungen sorgen, denn hier wird der Streifen nicht als originalgetreue Umsetzung bezeichnet, sondern schon vorsichtig als "frei nach einem Roman von Benjamin v. Stuckrad-Barre". Frei trifft es recht genau, denn inhaltlich hält sich Schnitzlers Film nur vage an den Roman, wobei Drehbuchautor Jens-Frederik Otto (Sushi in Suhl) einige Änderungen vornahm. Grundsätzlich ist es natürlich kein vernichtendes Kriterium, wenn sich eine Adaption von der Vorlage löst und versucht, eigenständigere Pfade einzuschlagen. Im Fall von Soloalbum werden aber selbst diejenigen, die mit der Romanvorlage überhaupt nicht vertraut sind, schwer enttäuscht, denn Schnitzlers Film ist ein auf ganzer Linie misslungener Versuch, eine konventionelle Liebestragikomödie mit möglichst modern und hip wirkenden Zeitgeist-Elementen zu verbinden. Hauptfigur Ben erweist sich in dieser Hinsicht bereits als größtes Problem. Matthias Schweighöfer (Rubbeldiekatz) nimmt man den lockeren, bei Frauen angesagten und auffällig selbstbewussten Musikredakteur in keiner Szene ab. Viel mehr wirkt seine Darstellung von Ben auf fast schon nervtötende Weise narzisstisch, wenn sich alles ständig nur um ihn selbst dreht und darum, wie er Katharina, die ihn zu Beginn des Films verlässt, nachdem er sie vor ihrem Geburtstag versetzt hat, um sich auf einer Party mit einer anderen Frau auf der Couch zu vergnügen, wahlweise vergessen oder zurückerobern kann. Die ungebremsten Wortkaskaden aus der Feder von Stuckrad-Barre verkommen im Film zu einer Aneinanderreihung peinlicher Fremdschammomente, die sich durch abgestandene Comedy-Einlagen, schmerzhaft aufgesetzte Dialoge oder unsympathische Charaktere auszeichnen. Durch die ständigen Versuche, Technik der damaligen Zeit wie Computer oder SMS in den Film einzubauen, um die jüngere Zielgruppe zu erreichen, wirkt Soloalbum schon nach kürzester Zeit massiv veraltet und ist heutzutage, mit jahrelangem Abstand zum damaligen Zeitgeschehen, weitestgehend unerträglich anzusehen. [...]

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