Patrick Reinbott - Kommentare

Alle Kommentare von Patrick Reinbott

  • 8 .5

    Wer erleben will, was ein eigenwilliger, unangepasster Regisseur mit einem Sequel veranstaltet, das er zuvor gar nicht erst drehen wollte, sobald ihm ein damals noch wagemutiges Studio 50 Millionen Dollar und komplette kreative Freiheit überlässt, muss "Gremlins 2: The New Batch" gesehen haben.
    Joe Dantes Nachfolger zu seinem bereits recht kuriosen Kultfilm "Gremlins" kommt als mit Steroiden und sonstigen Substanzen vollgepumpter Berserker daher, in dem der Regisseur die üblicherweise eng gesteckten Grenzen eines löblich budgetierten Mainstream-Studio-Films radikal pulverisiert. Den riesigen Wolkenkratzer mitten in New York, in dem sich die Geschichte des Sequels fast vollständig ereignet, nutzt Dante als großräumige Spielwiese, auf der er diesmal kein großes Rudel, sondern eine ganze Flut an Gremlins entfesselt.
    "Gremlins 2: The New Batch" gestaltet sich in zahlreichen Szenen als offensiver Frontalangriff auf die Sinne sowie provokante Reizüberflutung. Wenn einer der Gremlins lautstark durch den Aktenvernichter im Büro geschreddert, ein ganzer Trupp der kleinen Monster durch einen herabstürzenden Aufzug zermatscht wird oder verschiedene Gemüsesorten aus ihren Gesichtern sprießen, nachdem sie von einer Substanz aus dem Forschungslabor getrunken haben, sind das lediglich auszugsweise Schilderungen eines garstigen Spektakels, bei dem Dante ungehemmt einen abstrusen Einfall nach dem anderen auf sein Publikum abfeuert, das irgendwann nur noch mit weit aufgerissenen Augen staunen darf.
    Den typischen Hürden eines Sequels, das in der Regel selten an den Vorgänger heranreicht, begegnet der Regisseur mit einer fast schon ungesunden Portion an Selbstironie, mit der er seine Abneigungen gegen diesen Trend offen zur Schau stellt und bei jeder kleinsten Gelegenheit Seitenhiebe gegen die eigene etablierte Marke einbaut. So ist "Gremlins 2: The New Batch" eines der ganz seltenen, wenn nicht sogar einzigartigen Sequels, das aus vorangegangenem Desinteresse und deutlich erkennbarer Freude am frechen Demontieren offensichtlicher Erfolgselemente den Vorgänger sogar ein ganzes Stück hinter sich lässt.
    Neben dem zentralen Horrorkomödien-Inferno ist der Streifen aber auch ein Konglomerat verschiedener Anspielungen auf die damalige Gesellschaft Ende der 80er, die überdrehte Kochsendungen im Fernsehen sehen will oder sich beim Eisverkäufer über die natürliche Herkunft der Zutaten erkundigt, während diverse Filme wie "Rambo", "The Phantom of the Opera" oder "The Wizard of Oz" genüsslich parodiert werden.
    Unvergesslich bleibt hingegen die Sequenz im Mittelteil, in dem die Gremlins ihren eigenen Film zerstören und das Kinopublikum so verwirren, dass Hulk Hogan höchstpersönlich eingreifen muss. Es ist einer dieser ganz seltenen Momente, in denen man sich sehnlichst wünscht, damals selbst im Kino dabei gewesen zu sein, falls man es nicht war.

    16
    • 7

      1. Setze sie auf gar keinen Fall hellem Licht aus, schon gar nicht Sonnenlicht, denn das wird sie töten!
      2. Bring sie bloß nicht mit Wasser in Berührung!
      3. Die wichtigste der drei Regeln: Egal, wie sehr sie auch betteln und flehen, füttere sie niemals nach Mitternacht!
      Diese drei Regeln im Umgang mit dem Mogwai Gizmo, den Billy von seinem Vater zu Weihnachten geschenkt bekommt, sind im Grunde recht einfach zu verstehen. Wie es (im Kino) aber nun mal so oft der Fall ist, dauert es nicht lange, bis das pelzige Tier mit Wasser in Berührung kommt und das Unheil langsam seinen Lauf nimmt.
      Das "Steven Spielberg Presents" im Vorspann ist ein Versprechen, das Regisseur Joe Dante zu großen Teilen auch einlöst. "Gremlins" beginnt trügerisch als fast schon unverschämt charismatischer, weihnachtlicher Wohlfühlfilm. Kein Kind auf dieser Erde würde sich den süßen, knuddeligen Gizmo nicht auch als neues Haustier wünschen, denn trotz seiner fledermausartigen Ohren kann man sich dem putzigen Charme des Mogwai nicht entziehen, sobald dieser anfängt, mit hoher Stimme zu musikalischen Klängen mitzusingen.
      Das Drehbuch von Chris Columbus inszeniert der Regisseur zunächst als verspielte Fantasie, in der sich die Festtagsstimmung in Hochform präsentiert und dabei ein gewohnt sympathisches Familienidyll gezeichnet wird, das aus der warmherzigen Mutter, dem etwas schrägen, aber amüsanten Vater, der jedem seine selbstgemachten, fehlerhaften Erfindungen andrehen will, und Sohn Billy besteht, der ebenfalls von Grund auf liebenswürdig erscheint.
      Spätestens ab der zweiten Hälfte, wenn Dante die monströsen, hinterhältigen Gremlins von der Leine lässt, erweist sich "Gremlins" allerdings plötzlich als anarchisch-entfesselte Horrorkomödie, in der die Fetzen nur so fliegen. Irgendwo zwischen massentauglichem Ulk und derben Spitzen zelebrieren die tricktechnisch hervorragend in Szene gesetzten Wesen ihre ganz eigenen Vorstellungen vom heiligen Fest, saufen und rauchen in Bars, stopfen sich mit Lebensmitteln voll oder sorgen dafür, dass eine ältere Frau von ihrem defekten Treppenlift mit voller Wucht aus dem Fenster geschleudert wird.
      Wenn Billy mit seinem Schwarm Kate durch die leergefegten, verschneiten Straßen läuft, während eine bedrohlich verlangsamte Version von "Stille Nacht, heilige Nacht" erklingt, findet "Gremlins" zu seiner ganz eigenen Form der weihnachtlichen Apokalpyse, bevor sich der Höhepunkt passenderweise in einem Kino ereignet, in dem die Gremlins voller Begeisterung "Snow White and the Seven Dwarfs" schauen. In solch einem wahnsinnigen Chaos bleibt folglich gar keine andere Möglichkeit mehr, als diesen Ort in die Luft zu sprengen, bevor es der Film nicht selbst schon vorwegnimmt.

      11
      • 6

        Auch ein Jahr nach J.J. Abrams' weltweit mit höchster Spannung erwarteten Fortsetzung der originalen "Star Wars"-Trilogie läuft das Franchise weiterhin auf Hochtouren. Der umfassende Plan von Disney, zwischen den einzelnen Episoden der neuen Trilogie jeweils ein Spin-off in die Kinos zu bringen, in denen eine Brücke zu den bereits existierenden Filmen gebaut werden soll, trägt nun in Gareth Edwards' "Rogue One: A Star Wars Story" erstmals Früchte.
        Als Überleitung von Episode III auf Episode IV erzählt das Spin-off die Geschichte davon, wie die Rebellen an die Pläne des Todessterns und somit an die Information über dessen zentrale Schwachstelle gekommen sind. Wie so ziemlich jedes Spin-off muss sich auch dieser Film folglich der Frage unterziehen, was für eine Existenzberechtigung er überhaupt hat, denn wer auch nur ansatzweise mit dem von George Lucas erschaffenen, aus der Popkultur nicht mehr wegzudenkenden Science-Fiction-Universum vertraut ist, weiß über den Ausgang der Geschichte längst Bescheid und ist der eigentlichen Dramaturgie demnach einen entscheidenden Schritt voraus.
        Edwards blieb also kaum etwas anderes übrig, als den Weg hin zu einem bekannten Ausgang mit möglichst eigenständigen Impulsen zu versehen. Im Gegensatz zu Abrams' Episode VII, die wie eine Frischzellenkur von "A New Hope" wirkte, welche der Regisseur mit lebendigen, vielschichtigen sowie interessanten Figuren bevölkerte, fühlt sich dieses Werk wie ein ganz anderer Film an, in dem Edwards die Schwerpunkte völlig neu setzt.
        Mit einem eskapistisch unbeschwerten Abenteuer hat dieser Aufstand der Rebellen kaum etwas zu tun. Stattdessen wurde das "War" in "Star Wars" seit "The Empire Strikes Back" nicht mehr derart konsequent, drastisch sowie düster umgesetzt wie in Edwards' Spin-off. Von der etwas mühsamen Zusammenstellung des Rebellen-Trupps, für die zunächst wahllos von einem Planeten zum nächsten gesprungen und wichtige Figuren übereilt angerissen werden, als klassische Armee, über die vorsichtige Stealth-Mission im Mittelteil bis hin zum gewaltigen Showdown, in dem der Film atmosphärisch durchaus große Vorbilder des Genres zitiert, gestaltet sich "Rogue One: A Star Wars Story" als eindeutig ausgerichteter Kriegsfilm.
        Was Edwards dadurch an eindringlicher Drastik erreicht, für die der Regisseur auch auf überraschende Opfer konsequenterweise keine Rücksicht nehmen muss, geht in letzter Konsequenz bedauerlicherweise zu Lasten der neuen Charaktere. Während Felicity Jones' Jyn als Tochter von Galen Erso, welcher gezwungerweise am Bau des Todessterns mitwirken musste, als emotionales Bindeglied zwischen intimer Motivation sowie universaler Bedeutung funktioniert und im Mittelteil eine großartig bewegende Sequenz spendiert bekommt, entpuppt sich der Rest des zumindest rein optisch vielfältigen Rebellen-Trupps als Enttäuschung.
        Figuren wie der persönlich vorbelastete Rebellen-Offizier Cassian Andor, der ursprünglich imperiale Pilot Bodhi Rook sowie die zwei Krieger Chirrut Îmwe und Baze Malbus, welche alle als elementarer Bestandteil der Truppe dienen sollten, sind kaum mehr als blass gezeichnete Erfüllungsgehilfen, die in wenigen Szenen kurz einen entscheidenden Beitrag liefern dürfen, während ihr finales Schicksal im großen Finale kaum mehr von Bedeutung für den Zuschauer ist. Lediglich der neue Droide K-2SO fügt sich trotz des humorvollen Charakters, der eher konträr zum ernsten Tonfall wirkt, aufgrund der trocken dargebotenen, treffsicher platzierten Einschübe gelungen in das Szenario ein.
        Von der gegnerischen Seite bleibt ebenfalls ein zwiespältiger Eindruck, denn Ben Mendelsohns imperialer Offizier ist kaum mehr als der typisch engstirnige, zähneknirschende Klischee-Bösewicht, während sich Tarkins digitale Wiederauferstehung wie ein Fremdkörper zwischen den Realschauspielern einfügt. Entschädigt wird man als Fan jedoch mit zwei kurzen, aber dafür grandiosen Auftritten des ikonischen Darth Vader, der vor allem in einer großartigen Szene zum Schluss berechtigte Begeisterungsstürme ernten dürfte.
        Am Ende ist "Rogue One: A Star Wars Story" daher viel mehr ein interessanter, ungewöhnlicher Eintrag in das "Star Wars"-Franchise als ein wirklich begeisternder Film. Edwards' Ansatz, einen düsteren Kriegsfilm im Gewand des massenpopulären Science-Fiction-Universums zu inszenieren, ist trotz der im Vorfeld ans Licht gekommenen Produktionsschwierigkeiten und Nachdrehs ein in sich schlüssiges, konsequent drastisches Ereignis geworden. Der Regisseur inszeniert in den besten Momenten ein furioses Schlachtengemälde, in dem gewohnt seichte Blockbuster-Ansprüche unter bedrückenden Zuspitzungen begraben werden, während sich die neuen Figuren diesem Ansatz leider massiv unterordnen müssen und oftmals schablonenhafte Randnotizen bleiben.

        13
        • 5

          [...] Für ihren Debütfilm beruft sich Regisseurin und Drehbuchautorin Elizabeth Wood (Wade in the Water, Children) auf lose Fakten ihres eigenen Lebens, auf denen der unweigerliche Absturz, in den Leah fortan gerät, basieren soll. Auch Wood ist in recht jungem Alter von Oklahoma nach New York gezogen und wurde Zeugin von Drogenmissbrauch, Verhaftungen und sexuellen Übergriffen, wovon sie teilweise selbst betroffen war. Der Versuch, tiefste Schattenseiten aus persönlicher Erfahrung filmisch aufzuarbeiten, ist allerdings nur leidlich gelungen. White Girl weiß der Thematik der destruktiven Abwärtsspirale, in welche die Protagonistin gerät, kaum mehr hinzuzufügen als sich ständig wiederholende Szenen, in denen die immer gleichen Motive abgespult werden. Ausschweifender Drogenkonsum folgt auf ausschweifenden Drogenkonsum, in Clubs wird sich völlig benebelt oder betäubt die Seele aus dem Leib getanzt und zu jeder Gelegenheit wird miteinander geschlafen, notfalls auch mitten am helllichten Tag auf dem Rücksitz eines Autos. Als Blue bei einem geplanten Deal von einem Undercover-Cop festgenommen wird, bleibt Leah nichts anderes übrig, als selbst zu dealen, um die Anwaltskosten bezahlen zu können, damit er wieder in Freiheit gelangt. Mehr und mehr gleicht sie dabei einem willenlosen, zerfallenden Junkie, wobei die mutige, freizügige Leistung der Hauptdarstellerin einem Kraftakt gleichkommt, den Saylor mit einer regelrecht schonungslosen Selbstaufgabe überzeugend bewältigt. Den monotonen Charakter der Geschichte füllt die Regisseurin jedoch auch mit einigen Figuren, die zu sehr dem typischen Klischeedenken zu entstammen scheinen. Dabei fehlt der skrupellose, gefürchtete Gangster im Unterhemd, von dem die Drogen stammen und der folglich sein Geld einfordert, ebenso wenig wie der Vorgesetzte, dem es nur darum geht, die frisch eingestellte Praktikantin flachzulegen oder der Anwalt, der sich vordergründig als barmherziger Samariter aufspielt, um im entscheidenden Höhepunkt des Films ebenfalls sein wahres, abstoßendes Gesicht zu offenbaren. [...]

          6
          • 6

            Auch wenn der "Stern" genauso wie viele andere Printerzeugnisse in den letzten 10 - 15 Jahren aufgrund des Internets krisenbedingt an verkaufter Auflage sowie Abonnentenzahl einbüßte, ist es an für sich bemerkenswert, dass das eigene Image bis heute vergleichsweise stabil aufrechterhalten werden konnte. Als sich der "Stern" 1983 damit rühmte, an bislang geheime Tagebücher von Adolf Hitler gelangt zu sein und ankündigte, Auszüge aus diesen in einer monatelangen Reihe zu veröffentlichen, war dem Magazin die ganz große Aufmerksamkeit zunächst sicher. Noch größer war allerdings der Aufschrei, als sich wenig später aufgrund einer Echtheitsprüfung des Bundeskriminalamtes herausstellte, dass es sich bei den Tagebüchern zweifelsfrei um Fälschungen handelte.
            Helmut Dietl musste das filmreife Potential, welches in dem ohnehin absurden Vorfall steckte, umgehend erkannt haben und entwarf gemeinsam mit Ulrich Limmer ein Drehbuch, in dem er die Ereignisse in erster Linie aus der Perspektive des Kunstfälschers Fritz Knobel und des Reporters Hermann Willié nacherzählt, beides fiktive Charaktere, die an reale Vorbilder angelehnt sind. Während sich der Regisseur zuvor im Fernsehen einen Namen gemacht hat, wo er mit "Monaco Franze - Der ewige Stenz" und "Kir Royal" bereits komödiantisches Potential auslotete, ist "Schtonk!" eine lupenreine Satire.
            Dietl konzentriert sich in seinem ersten Kinofilm dabei weniger um die skandalöse Enthüllung der Fälschungen, die er fast schon nebensächlich erst Minuten vor dem Abspann platziert, sondern um das Verhältnis zwischen Knobel und Willié. Ersterer wird von Uwe Ochsenknecht als getriebener, verschrobener Mann gespielt, der in seiner Arbeit als Kunstfälscher gewissermaßen selbst eine künstlerische Ader an den Tag legt, während Knobel als betrügerischer Vermarkter, dem das große Geld vorschwebt, ein noch größeres Talent zeigt. Herzstück des Films ist aber eindeutig ein glänzend aufgelegter Götz George als schmieriger Sensationsreporter. Mit starker Gelfrisur, roten Backen, weit aufgerissenen Augen und einer nervös-angespannten Körpersprache wütet George in vielen Szenen wie ein Wirbelwind durch die Szenerie.
            Der Regisseur nimmt sich zunächst viel Zeit, um beide Figuren zusammen und somit die zentrale Betrugsgeschichte ins Rollen zu bringen. Der Blick auf das Privatleben von Knobel und Willié gestaltet sich diesbezüglich immer wieder als problematische Seite des Streifens, denn hierbei verliert sich "Schtonk!" etwas zu oft in banalen, oftmals recht albern geratenen Nebenschauplätzen, die zum Kern der Handlung kaum sinnvolles beitragen. Die Dreiecksbeziehung zwischen Knobel, seiner Frau Biggi und der Kellnerin Martha, mit der er eine Affäre beginnt, erinnert dabei an die TV-Wurzeln von Dietl, wo der Regisseur ebenfalls mit den Elementen der "Soap - Opera" spielte, wobei ihm die Persiflage dieses Genres hier nur schwer erkenntlich gelingt.
            Viel amüsanter ist der Film, wenn er sich rein auf die Geschichte der vermeintlich echten Hitler-Tagebücher fokussiert. Die Szene, in der Willié mit der Führungsetage des Magazins versucht, die Handschrift des Führers zu entziffern und dabei abstruse Einträge vorliest, in denen sich Hitler über Mundgeruch und Blähungen beklagt, ist ebenso urkomisch wie die allgemeine Wandlung der beiden Charaktere sowie die damit verbundene Parodie des Führerkultes, wenn sich Knobel und Willié in ihrem Verhalten immer stärker an Vorbilder aus dem dritten Reich annähern.
            Die absurde Komik des realen Vorfalls, satirisch gelungene Spitzen gegen die Sensationsgier der Presse sowie die persönliche Gier der daran Beteiligten und die schrill überzeichneten Figuren, welche der Regisseur überwiegend als pure Karikaturen anlegt, gehen in "Schtonk!" keinen durchwegs harmonischen Bund ein, doch Dietls Werk hat genügend amüsante Einzelmomente und einen grandiosen Götz George als Hauptdarsteller, um Realität und Fiktion auf unterhaltsame Weise zu kreuzen.

            8
            • 7 .5

              Das Rauschen der Wellen, die ans Ufer prallen, die Brise des Windes, der über der Küste liegt und ein Leuchtturm, der inmitten der weitläufigen, kargen sowie menschenleeren Insel, auf der er sich befindet, fast schon unbedeutend wirkt, sind für sich genommen nur kleine Bestandteile, die von Derek Cianfrance mit geradezu überlebensgroßer Erhabenheit eingefangen werden. Der Regisseur, von dem das verletzlich intime Beziehungsdrama "Blue Valentine" und der ambitionierte, mehrere Generationen umspannende und unklar zwischen Thriller und Drama pendelnde "The Place Beyond the Pines" stammen, schlägt in seinem dritten Spielfilm abermals neue Töne an.
              "The Light Between Oceans" ist ein klassisches Melodram, in dem die gefühlvoll-imposanten, teilweise äußerst dick aufgetragenen Klänge von Alexandre Desplat und die herausragend komponierten Bilder von Adam Arkapaw nur noch von den schweren Konflikten der zentralen Figuren überschattet werden, die Cianfrance mit bewundernswerter Konsequenz in den Vordergrund rückt und auf eine Weise ausleuchtet, welche die Zerrissenheit des Geschehens tief im Inneren des Betrachters verankert, sofern sich dieser gänzlich auf den Film einlässt.
              Besagter Leuchtturm stellt für den Kriegsveteranen Tom den idealen Rückzugsort dar. Im Ersten Weltkrieg wurde er mit dem Tod mehr als genug konfrontiert, daher ist die einsame Insel für ihn perfekt, denn hier ist Tom mit sich und der idyllischen Stille alleine und zufrieden. Als er Isabel kennenlernt und beide ein gemeinsames Leben in dem Leuchtturm beginnen, fehlt nur noch Nachwuchs zum vollkommenen Familienglück, doch das Schicksal macht dem Paar gleich zwei mal einen Strich durch ihre Rechnung. Nach zwei schrecklichen Fehlgeburten ist Isabel nur noch ein Schatten ihrer Selbst, als hätte sie jeglichen Willen auf Hoffnung schon lange aufgegeben.
              Als eines Tages ein kleines Boot an die Küste angespült wird, auf dem sich neben einer männlichen Leiche ein schreiendes Baby befindet, nimmt Cianfrances Werk nach ungefähr der Hälfte der Laufzeit einen langsamen Abstieg in Richtung der Tragödie, zu der sich "The Light Between Oceans" spätestens mit der Einführung von Rachel Weiszs Figur entwickelt. Dass sich der Streifen auffällig lange Zeit nimmt, um die beiden Hauptfiguren zusammenzubringen, gemeinsam in den siebten Himmel zu heben, um sie dann zermürbenden Rückschlägen auszusetzen und schließlich vor die moralisch wohl schwierigste aller Proben zu stellen, ist in diesem Fall ein Gütesiegel, das sich Cianfrance als mittlerweile klar gereifter Filmemacher deutlich erarbeitet hat.
              Auf der einen Seite positioniert der Regisseur ein Paar, das buchstäblich durch die Hölle gehen musste und nun die Möglichkeit geboten bekommt, für einen gewissen Preis zu persönlichem Glück zu finden, während auf der anderen Seite eine Frau steht, die diesen Preis zahlen muss und auf das Glück verzichten muss, das ihr auf natürliche Weise bereits zustand.
              "The Light Between Oceans" ist in dieser Hinsicht gewiss kein Film der leisen Töne, sondern einer der ausufernden Gesten, welcher markerschütternde Theatralik bewusst ernst nimmt und aufgrund der herausragend besetzten Schauspieler in keiner Szene ein falsch wirkendes Gefühl evoziert.
              Michael Fassbender und Alicia Vikander, die kurz nach Beginn der Dreharbeiten bekannt gaben, offiziell ein Paar zu sein, entwickeln vor der Kamera eine hinreißende Chemie, in der jede Bewegung ihrer Körper und vor allem jede noch so kleine Regung in ihren Gesichtern Bände spricht, während Rachel Weiszs ruhiger Leidensweg eine ganz ähnliche, anrührende Intensität entfaltet. Moralische und ethische Bedenken verhandelt Cianfrance trotz seiner zwischen imposant und altmodisch schwankenden Inszenierung in erster Linie über den Ausdruck seiner Figuren, wobei er sämtliche Entscheidungen und Wendungen absolut nachvollziehbar und glaubwürdig vermittelt.
              Ins Stolpern gerät "The Light Between Oceans", der sich durchaus zu den am besten gespieltesten Filmen des Kinojahres 2016 zählen darf, lediglich in seinem Epilog, der sich unpassend in den Gesamteindruck einfügt und aufgrund des zu versöhnlichen Tonfalls so anfühlt, als sei er nachträglich angehängt worden. Die Kraft dieser einnehmenden, konsequent in Szene gesetzten Tour de Force wird dadurch aber nur geringfügig geschmälert.

              18
              • 8

                Als Owen drei Jahre alt ist, entwickelt sich der kleine Junge auf eine für seine Eltern kaum nachvollziehbare Art weiter. Die Sprache, die er bis zu diesem Zeitpunkt seines bisherigen Lebens erlernt hatte, wich einem unverständlichen Gebrabbel, durch das Owen keinen einzigen stringenten Satz mehr äußern konnte. Nachdem die Ärzte später bei dem Jungen eine Form von Autismus feststellen, bricht für seine Familie eine Welt zusammen, denn die Suskinds verzweifeln förmlich daran, wieder zu dem aufgeweckten, offenen Kind durchdringen zu können, das Owen zuvor war. Eines hat sich an Owen aber nicht verändert und das ist seine begeisterte, unbändige Obsession mit den Zeichentrickfilmen von Disney.
                Roger Ross Williams' Dokumentation "Life, Animated" verfolgt Owen auf seinem herausfordernden Weg in ein so weit wie nur möglich unabhängiges Erwachsenenleben, auf das der während der Entstehung des Films 23-Jährige geradewegs zusteuert. Williams zeigt nicht nur die Auswirkungen, die solch eine Diagnose für das familiäre Umfeld mit sich bringt und vor allem wie Menschen, die an Autismus leiden, die Welt um sich herum wahrnehmen, sondern enthüllt ganz nebenbei eine wahrhaft unglaubliche Geschichte.
                Nachdem Owens Eltern in einem kurzen Moment herausfinden, dass er Dialoge aus seinen geliebten Disney-Filmen auswendig aufsagen kann, öffnet sich für die Familie ein paar Jahre später ein Fenster, durch das sie endlich wieder mit ihrem Sohn kommunizieren können. Owen liebt die bunten, ausgefallenen sowie vielfältigen Streifen nicht einfach nur, sondern lernt durch sie die Welt für sich kennen und verstehen. Durch die kraftvolle Heldengeschichte in "Hercules" wird er dazu ermutigt, nicht aufzugeben, die Freundschaft zwischen Mogli und Baloo in "The Jungle Book" weckt auch in ihm die Sehnsucht nach zwischenmenschlichen Beziehungen und "Pinocchio" zeigt ihm, wie es sich anfühlt, ein richtiger Junge wie alle anderen zu sein.
                Möchte man dem Regisseur auch nur für einen kurzen Moment unterstellen, dass "Life, Animated" dem Disney-Konzern eine äußerst strahlende Weste beschert und in einigen Szenen fast schon zu stark in die Privatsphäre von Owen eindringt, wenn Williams einen gemeinsamen Abend zwischen ihm und seiner Freundin filmt, verschließt man sich fälschlicherweise einem Werk, das wie kaum ein anderes im Jahr 2016 eine tief berührende Anerkennung des Lebenswerten darstellt. Owens Schicksal und wie er selbst damit umgeht ist bereits an sich von inspirierender Kraft, die einen daran erinnert, wie schwer man es sich manchmal mit Belanglosigkeiten im eigenen Leben macht.
                Darüber hinaus handelt "Life, Animated" aber auch von der überwältigenden Kraft des Mediums Film, das in diesem Fall ganz im buchstäblichen Sinne ein Leben von Grund auf verändert und zum Positiven wandelt. So endet dieser anrührende, beeindruckende Film, dem manch einer womöglich eine gewisse Sentimentalität ankreiden wird, auch folgerichtig im Kinosessel, in dem Owen Platz nimmt, während sich sämtliche Disney-Filme, sein ganz persönlicher Zugang in die Welt, im Zeitraffer vor seinen Augen ausbreiten.

                11
                • 7

                  Ein Mädchen, das leicht wie eine Feder in die Lüfte abhebt, ein Junge, aus dessen Mund regelrechte Schwärme von Bienen strömen, ein Zwillingspärchen, das andere mit seinem Blick in Sekundenschnelle versteinern kann oder ein Junge, der komplett unsichtbar ist. In dem Heim, das von Miss Peregrine geleitet wird, finden so einige Kinder Unterschlupf, die ganz besondere Fähigkeiten haben und in ihrem noch jungen Alter von der Gesellschaft unter Umständen als Gefahr angesehen und verfolgt werden könnten. Aus diesem Grund lebt die Heimleiterin mit ihren Schützlingen in einer Zeitschleife am 03. September des Jahres 1943, ohne, dass auch nur irgendjemand von ihnen jemals altern kann.
                  Ebenso wie das Heim von Miss Peregrine bot auch das Kino von Tim Burton den Aussätzigen, von der Gesellschaft Ausgestoßenen oder schlichtweg Andersartigen stets eine sichere Unterkunft. Im Laufe seiner von zahlreichen hervorragenden Werken gespickten Karriere erwies sich der Regisseur als leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, der seine gefühlvoll-traurigen, märchenhaften Stoffe wie kein Zweiter mit morbiden Details ausstatten konnte. Eben diese Qualität ließ sein vergangenes Werk "Big Eyes" schmerzlich vermissen, zu lustlos und fehlbesetzt wirkte das banale Ehe-Drama, zu dem der Regisseur die eigentlich interessante Geschichte einer Malerin formte, die von ihrem Ehemann um den eigenen Ruhm gebracht wird.
                  "Miss Peregrine's Home for Peculiar Children" wirkt daher noch stärker wie eine Wiedergutmachung, denn die Romanvorlage von Ransom Riggs bietet Burton ein ganzes Füllhorn an markant-verschrobenen Einfällen, die der Regisseur ganz wie in alten Zeiten mit sichtlicher Freude über die eigentliche Geschichte verstreut.
                  Als Zugang in diese ungewöhnliche, besondere Welt dient der Teenager Jacob. Er gehört zu denjenigen, die ein größtenteils unbemerktes Leben führen, von den meisten eher am Rande wahrgenommen und belächelt oder übergangen werden. Sein Großvater erzählte ihm schon von den besonderen Kindern in Miss Peregrine's Obhut, als Jacob selbst noch ein kleines Kind war. Als er seinen Großvater eines Tages tot und ohne Augäpfel auf dem Boden entdeckt, während er im Hintergrund eine Art Monster sieht, erklären ihn seine Eltern als psychischen Problemfall und stellen ihn unter ärztliche Betreuung.
                  Nachdem er von seinem Vater doch noch zu der Adresse gebracht wird, die ihm sein Großvater hinterlassen hat, findet sich Jacob als scheinbar gewöhnlicher Teenager in der Gesellschaft einiger außergewöhnlicher Menschen wieder, bei denen er sich sofort verstanden und vor allem aufgenommen fühlt.
                  "Miss Peregrine's Home for Peculiar Children" ist in dieser Hinsicht nicht einfach nur ein eigentümliches Fantasy-Abenteuer, in dem sich der Protagonist und seine neu gewonnenen Freunde gegen dunkle Widersacher behaupten müssen, sondern auch eine überraschend düster geratene Fabel, in der Burton die eigenwilligen, teilweise schrägen Charakterzüge der Figuren liebevoll in seine Arme schließt und immer wieder durch herrlich groteske Einschübe untermalt.
                  So erweckt eines der besonderen Kinder zwei selbst zusammengebastelte, eher an abschreckende Frankenstein-Schöpfungen erinnernde Puppenkreationen zum Leben und lässt sie anschließend bis auf den Tod gegeneinander kämpfen, was durch eine charmante Stop-Motion-Einlage dargestellt wird, während die Bösewichte mitunter in Gestalt schauriger Monster auftauchen, die die Augäpfel der besonderen Kinder verspeisen wollen.
                  Auch wenn die Handlung in ihrem Kern nach dem klassischen Gut-gegen-Böse-Schema und dadurch eher überraschungsarm verläuft, sind es solche erfreulich abseitigen Kleinigkeiten, die Burtons ureigenen Stil regelmäßig und spätestens im großartig umgesetzten Finalkampf zum Vorschein bringen, und die aus "Miss Peregrine's Home for Peculiar Children" den gelungensten Film des Regisseurs seit einer ganzen Weile machen.

                  13
                  • 4

                    Seinen Anhängern reicht es nicht aus, dass sie von ihrem verehrten Autor mittlerweile nur noch zwei mal monatlich mit einem Podcast versorgt werden. Seit Bret Easton Ellis mit "Less Than Zero" und spätestens "American Psycho" zu einem der begabtesten Autoren seiner Generation ernannt wurde, der im noch jungen Alter einen kometenhaften Aufstieg innerhalb der Szene gefeierter Erfolgsautoren hinlegte, erhält er auch sechs Jahre nach seinem zuletzt veröffentlichten Roman "Imperial Bedrooms" aus dem Jahr 2010 über sämtliche Social-Media-Kanäle regelmäßig Anfragen, wann denn ein neues literarisches Werk von ihm erscheine.
                    Der durchaus kontrovers umstrittene Autor hat abseits seines Podcasts nun ein neues künstlerisches Lebenszeichen von sich veröffentlicht. Für den erst kürzlich gestarteten Streaming-Dienst "Fullscreen" schrieb und inszenierte Ellis die Web-Miniserie "The Deleted".
                    In der Geschichte geht es, typisch für Ellis, um eine Gruppe junger Menschen in ihren Zwanzigern, die aus einer Art mysteriösen Sekte nach Los Angeles zurück geflüchtet sind und mittlerweile von Paranoia und anderen Ängsten geplagt werden, während Mitglieder der Sekte auf der Jagd nach ihnen sind, um sie wieder einzufangen.
                    Atmosphärisch fügt sich "The Deleted" geradezu nahtlos in das bisherige Schaffen des Autors ein. Ellis, der auch selbst in den Hollywood Hills von Los Angeles lebt, fängt die besondere Stimmung dieser Stadt mit schwebenden Steadycam-Aufnahmen ein, die zwiespältigen Glamour und gleichzeitig eine bedrohliche Ungewissheit widerspiegeln. Was mit den einzelnen Figuren geschehen ist und wieso sie eine derartige Panik haben, wieder in die Sekte zurückzukehren, lässt der Autor und Regisseur lange Zeit unbeantwortet, wobei sich auch am Ende der knapp zwei Stunden langen Serie viele offene Fragen ergeben, auf die man wohl nie eine Antwort erhalten wird.
                    Im Kern kreist die Serie um einige Motive, zu denen sie nie wirklich durchdringt, während die Handlung ebenso glatt an der kühlen Oberfläche verhaftet ist wie jeder der Charaktere. Unter den makellosen, weichen Gesichtern der Männer und Frauen, deren Körper entweder mit perfekt definierten Muskeln bepackt oder mit wohlgeformten Rundungen ausgestattet sind, verbirgt "The Deleted" metertiefe Abgründe, für die sich Ellis mit zeitgemäßen Themen wie den Möglichkeiten der aktuellen Technologie beschäftigt. Die Versprechungen einer rundum anhaltenden Vernetzung entpuppt sich als große Einsamkeit und Isolation und jede der noch jungen Figuren wirkt traurig, verwirrt oder verloren.
                    Den Anspruch eines unbequemen Thrillers, der vor allem durch den unentwegt brummenden Synthesizer-Score förmlich erzwungen wird, kann der Regisseur allerdings nur kaum einlösen. Zu unentschlossen bewegt sich "The Deleted" zwischen zielloser Satire ohne wirklichen Biss, die nie hinter die Fassade einer narzisstisch-depressiven Jugendgeneration blickt, eingeschobenen Gewalt- und Erotikeinlagen sowie mysteriös überhöhter Sekten-Fantasie, als dass die Serie nach ihrem äußerst abrupten Ende mehr ist als nur die unfertige, halbgare Summe ihrer eigentlich vielversprechenden Einzelteile.
                    Aber vielleicht kommt ja bald wieder mal ein neuer Roman von Ellis.

                    7
                    • 5 .5
                      über Safari

                      [...] Inspiriert durch ein jagendes Ehepaar, das in seinem Keller stolz ein ganzes Arsenal an Jagdtrophäen präsentierte, begleitet der Regisseur in Safari deutsche und österreichische Touristen in Afrika bei ihrem doch recht speziellen Hobby. Dabei geht Seidl vor allem der Frage auf den Grund, was den besonderen Reiz ausmacht, ein Tier aufzuspüren, über längere Zeit zu verfolgen, um den perfekten Moment abzupassen und dessen Leben schließlich mit einem einzigen gezielten Schuss zu beenden. Neben den gewohnten Interview-Szenen, in denen wieder einmal einige höchst verschrobene oder kauzige Persönlichkeiten zu Wort kommen und sich über verschiedene Aspekte des Jagens äußern, ist Seidl hier auch hautnah mit der Kamera dabei, um den gesamten Prozess der Jagd festzuhalten. Der Regisseur selbst hält sich dabei vollständig im Hintergrund, verzichtet auf jegliche Form eines eigenen Kommentars und lässt die Touristen sowie seine Aufnahmen für sich sprechen. Schnell wird deutlich, dass Safari neben den gezeigten, mitunter überaus prachtvollen Tierarten in erster Linie den Menschen selbst wie eine Art rätselhafte Spezies in Szene setzt, bei der die empfundenen Eindrücke gegenüber einigen Handlungen zwischen amüsanter Komik und erschreckender Absurdität schwankt. Die Kernmotivation der Jagd, die seltsame Faszination des Tötens, bleibt jedoch weitestgehend im Dunkeln. Die Kinder einer ganzen Jagdfamilie rechtfertigen ihr Hobby beispielsweise mit der Begründung, dass sie kranke oder ältere Tiere lediglich von ihrem Leid erlösen würden, während es der Betreiber einer Safari-Farm nicht einmal mehr für nötig hält, seine Taten in irgendeiner Weise rechtfertigen zu müssen. Wenn sich in den Gesichtern der Jäger nach dem Abfeuern des Schusses und der anschließenden Feststellung des Todes ihres erlegten Tieres jedes Mal ein glückliches Lächeln abzeichnet, woraufhin für ein Foto stolz mit dem leblosen Kadaver posiert wird, erreicht Seidl mehr durch Bilder als durch Erklärungen und liefert aufschlussreiche Momentaufnahmen. Als Gesamtwerk hat Safari seiner grundsätzlich interessanten Thematik aber nur wenige Erkenntnisse entgegenzusetzen und erschöpft sich früh in Aufnahmen von der Jagd, die durch ihren immer gleichen Ablauf schnell monoton wirken. Die 90 Minuten Laufzeit erscheinen mühsam gestreckt und oftmals repetitiv, wobei die Szenen, in denen Seidl einige seiner Protagonisten erneut auffällig lange sowie stumm vor der Kamera platziert, wie unnötiges, überflüssiges Füllmaterial wirken. Die Einheimischen reduziert der Regisseur hingegen rein auf die Funktion der Begleiter und Erfüllungsgehilfen, wobei nicht wirklich ersichtlich wird, wieso sie in einigen Szenen wie wilde Barbaren inszeniert werden, die animalisch an den Überresten der zerlegten Tiere knabbern. Im letzten Drittel wartet Safari aber mit einigen Eindrücken auf, die sich geradezu unvergesslich grauenhaft gestalten. Seidl zeigt den qualvollen Todeskampf einer Giraffe, die sich, nachdem sie vom Schuss getroffen wurde, immer wieder aufrappelt, viele Sekunden reglos liegen bleibt, dann wieder aufrappelt, bis das Leben erst nach mehreren Minuten vollständig aus dem Tier gewichen ist. Nach diesem sprachlos stimmenden Akt geht der Regisseur allerdings noch weiter und zeigt die explizite Häutung und Schlachtung der Giraffe, der erst die Haut abgezogen wird, bevor die massigen Innereien unter einem Strom aus Blut und anderen Flüssigkeiten aus dem Leib gezogen und entsorgt werden. [...]

                      15
                      • Eine sehr gute Zusammenstellung. Bei der Top 10 gibt es zwei Überschneidungen mit meiner kommenden Liste ("Room" und "Anomalisa") und von deinen Tipps mochte ich auch jeden einzelnen Film mindestens sehr ("Krisha" ist allerdings ein klarer Top 5 Kandidat :P).

                        2
                        • 7 .5

                          Neben all den großen Blockbustern, kleineren Arthouse-Produktionen und den Filmen, die dazwischen liegen, gibt es regelmäßig Werke, die aus der gewaltigen Masse herausragen und sich auf mitunter fragwürdige Weise einen überaus provokativen Ruf verschaffen. Der junge Regisseur Emiliano Rocha Minter hat mit "Tenemos la carne" so einen Film gedreht, denn sein Langfilmdebüt ist ein eindeutiger Publikumsspalter, in dem sich diverse Tabus aufeinander stapeln und zu einem gnadenlosen Chaos der Extreme führen.
                          Der Mexikaner zeigt in düsteren Bildern andeutungsweise ein postapokalyptisches Szenario, in dem ein verwahrlost wirkender Mann in einem brüchigen Gebäude haust, wo er seinen eigenen Alkohol destilliert, wütend auf eine Trommel schlägt oder unkontrollierte Laute von sich gibt. Der Einstieg dieses Films hat etwas von einem absurden Performance Theater, bei dem der Regisseur die Grenze zur Selbstparodie gelegentlich streift, doch als plötzlich ein Geschwisterpaar in der Behausung auftaucht, gerät "Tenemos la carne" immer stärker zur surreal-verstörenden Belastungsprobe, für die Figuren und für den Zuschauer.
                          Was mit einem vergifteten Steak beginnt, ist nur der Anstoß für eine Reihe von Situationen, in denen Mariano seine beiden neuen Mitbewohner zu Handlungen nötigt, in denen Sex und Gewalt miteinander verschmelzen und dabei verschiedenste Körperflüssigkeiten eine Rolle spielen. Rocha Minter beschränkt sich auf vage Erklärungen, lässt die fantastisch inszenierten Tableaus überwiegend für sich sprechen und verwebt ansprechende Symbolik in die abstoßenden Impressionen.
                          Wie der Titel bereits prophezeit, geht es in "Tenemos la carne" darum, eine Art Zustand zu erreichen. Körper werden auf reine Objekte reduziert, der Mensch ist nur noch reines Fleisch und innerste Triebe müssen schonungslos ausgelebt werden. Der Regisseur treibt sein Medium bis an die Grenzen, springt ab und zu durch verschiedene Bildformate, erhöht die Lautstärke auf ein kaum erträgliches Maximum oder setzt auf längere Passagen in beinahe vollständiger Stille, wobei sich der Streifen konsequent zwischen Transzendenz und Transgression bewegt. In einer Szene liegt Maria masturbierend am Boden und schreit sich die Seele aus dem Leib, während sich das Bild zu verschieben und schließlich zu doppeln scheint. Für ein paar Sekunden wirkt es tatsächlich so, als ob etwas ihren Körper für einen Moment verlässt, doch was das Trio hier letztendlich wirklich anstrebt, bleibt bis zum Ende unbeantwortet.
                          Tod, Wiedergeburt, Leben, Leiden, Schmerzen und Lust werden beinahe untrennbar miteinander verbunden und auch wenn dieses Debüt durchaus Raum für Kritik sowie Ablehnung bietet, indem man Rocha Minters Film als einen weiteren dieser plump kalkulierten Skandal-Schocker abstraft, erreicht der Regisseur mit seinem wütenden, selbstbewussten und ganz und gar wilden Werk bisweilen einen geradezu unwirklichen Zustand, der wie aus einer fremden Welt wirkt. Zusammen mit dem furchtlosen Ensemble und der gewagten Mischung aus Überspitzung und Konfrontation befindet sich "Tenemos la carne" daher im besten Sinne am Rande der Unzumutbarkeit und ist somit ein beachtlicher Einstieg eines vielversprechenden, mutigen Nachwuchstalents.

                          12
                          • 7 .5

                            Als er zu Beginn der 90er Jahre seine Karriere als Musikvideo-Regisseur begann, wurde Hype Williams schnell als großer Name gehandelt, wenn es darum ging, visuell bestechende Videos für zahlreiche bekannte Künstler des Hip-Hop-Genres zu drehen. Was der Regisseur allerdings 1998 mit "Belly" schuf, darf ruhigen Gewissens als stilistische Sternstunde seines Schaffens bezeichnet werden.
                            Das 95-minütige Werk ist ein Streifzug durch sämtliche Elemente, die im Hip-Hop und speziell Gangsta-Rap in unzähligen Texten propagiert werden. Passenderweise mit DMX und Nas in den Hauptrollen besetzt, wirkt "Belly" wie ein auf Zelluloid gebanntes Image, in dem sich alles darum dreht, Drogen in heruntergekommenen Kellern zu strecken, unbemerkt auf den Straßen zu verticken, mit Schmuck behangen durch die Gegend zu fahren, in schummrigen Bars abzuhängen und notfalls zur Schusswaffe zu greifen, falls die Konkurrenz zu aufdringlich wird.
                            Was Williams in seinem recht stereotyp konstruierten Drehbuch vermissen lässt, gleicht er im Gegenzug mit seiner eindringlichen Handschrift wieder aus. Die Geschichte von zwei kriminellen Kumpels, die sich in zunehmend entgegengesetzte Richtungen entwickeln, inszeniert der Regisseur in den hypnotischsten Momenten als pulsierenden Fiebertraum, in dem der klischeebehaftete Gangster-Alltag seiner Figuren in einzelne Montagen aufgebrochen wird, in denen Williams Farbfilter, Zeitlupen, verschiedene Kamerawinkel und Split-Screens verwendet.
                            Was schon länger als Videoclip-Ästhetik bezeichnet wird, findet in "Belly" gewissermaßen seinen Ursprung und gleichzeitigen Höhepunkt. Nachtclubs schimmern in sämtlichen Farben, jamaikanische Dancehall-Beats vibrieren durch die Wände, Körper bewegen sich im Takt der Klänge, ob auf der Tanzfläche, während eines Schusswechsels oder auf der Flucht vor einer Polizei-Spezialeinheit, während archaische Impulse dazu führen, dass Freundschaften zu Feindschaften werden, Verrat und Eifersucht zur unvermeidlichen Eskalation führen und nur die persönliche Reinigung der eigenen Schuld einen Ausweg aus dem sicheren Tod bieten kann.
                            Durch die Vermengung von klischeebehafteten Dialogen und Verhaltensweisen, dem jederzeit authentischen Schauspiel der aus diesem Umfeld stammenden Personen und einem einzigartigen Stil, bei dem Textur, Oberfläche und Image zu einem völlig neuen Erlebnis verschwimmen, erhebt Williams das Stereotype zum innovativ Mythischen und setzt sich über das "Style over Substance"-Prinzip hinweg, denn bei ihm ist der Style die Substanz. Ein berauschendes Werk.

                            9
                            • 7

                              [...] Auf den ersten Blick wirkt My First Lady wie ein gewöhnlicher Film über ein erstes Date, bei dem sich zwei Menschen über den Lauf eines Tages hinweg näher kennenlernen und während der gemeinsam verbrachten Zeit viel über den jeweils Anderen erfahren. Der Kniff in Richard Tannes (2001 Maniacs) Debüt als Regisseur und Drehbuchautor besteht allerdings darin, dass die beiden Protagonisten seines Films die Namen Barack Obama und Michelle Robinson tragen. [...] Anstelle einer umfassenden Darstellung der bedeutendsten Stationen im gemeinsamen Leben der Obamas funktioniert My First Lady dadurch auf eine viel überzeugendere und kreativere Art als zärtliches, zurückgenommenes Zeitdokument eines einzigen Schlüsselereignisses. Trotz der zeitlichen Eingrenzung des Rahmens seiner Geschichte nutzt der Regisseur die Freiheiten des Mediums und schafft es, dass auch die Zuschauer, welche unter Umständen kaum bis gar nicht über die privaten Hintergründe der realen Vorbilder informiert sind, erkennen und verstehen, was sie antreibt, woher sie kommen, wo sie sich in diesem Moment ihres Lebens befinden und wohin es in der Zukunft im Idealfall noch gehen soll. Die afroamerikanische Herkunft und Zugehörigkeit der beiden ist dabei ebenfalls ständig von Bedeutung. So nutzt Tanne das damalige Erscheinen von Spike Lees (25 Stunden) einflussreichem Film Do the Right Thing als brandaktuelles Ereignis, das Barack und Michelle am Abend ins Kino treiben und danach in eine überraschende, charmant-amüsante Begegnung mit ihrem Vorgesetzten verwickeln wird, während vor allem Baracks Engagement in einer örtlichen Gemeinde als Höhepunkt des Streifens herhalten darf. Mit einer leidenschaftlichen, motivierenden sowie intelligenten Ansprache überzeugt er zahlreiche Zweifler innerhalb der Gemeinde davon, für den Bau eines neuen Gemeindezentrums zu kämpfen, wobei Tanne den charismatischen Redner automatisch in ein passendes Licht rückt, das unmittelbar den Mann präsentiert, zu dem Obama später heranwachsen und aufsteigen sollte. Eine solche politisch motivierte Geste verkommt in My First Lady zur leichtfüßigen Randnotiz, was gleichzeitig die große Stärke von Tannes Film markiert. Durch die wunderbare Chemie zwischen Parker Sawyers (Austenland) und Tika Sumpter (Salt) bleiben viel mehr die kleinen Momente in Erinnerung. Zu diesen zählt beispielsweise der Moment, in dem sich auf Michelles Gesicht nach vorheriger Frustration ein leises Lächeln abzeichnet, nachdem Barack ihr ein Schokoladeneis, ihre Lieblingssorte, kauft oder sein Gesicht in der Bar, nachdem ihn Michelle dazu ermutigt, seinem alkoholkranken, frühzeitig durch einen Autounfall verstorbenen Vater zu vergeben, indem er dessen gescheiterte Ambitionen erfüllt. [...]

                              7
                              • 8

                                Es gibt diese Tage, an denen man am liebsten gar nicht mehr existieren möchte. In der Regel geht es dabei nicht einmal um einzelne Tage, die sporadisch immer mal wieder auftauchen, sondern eher um ein Gefühl, das sich schleichend, aber dafür ab einem bestimmten Zeitpunkt mit niederschlagender Gewissheit in das eigene Leben einschleicht. Immer zur gleichen Uhrzeit, auf die Sekunde genau, klingelt der Wecker und es folgt die Morgenroutine, die man gleichgültig und auf fast schon mechanische Weise durchführt, um anschließend nach draußen auf die Straße zu gehen.
                                Das Gefühl, das sich bereits hier wie eine Art drückende Taubheit im Körper ausbreitet, wird durch die immer gleichen Gesichter nur noch bestätigt, in die man blickt, die gleichen Sätze, die um einen herum fallen und die Orte, welche man passiert oder an denen man angelangt und längst in- und auswendig kennt. Der Versuch, sich nach einigen dieser Tage an spezielle Einzelheiten zurückzuerinnern, scheint ein unmöglicher zu sein, denn alles fühlt sich rückblickend gleich an. Am Abend schläft man schließlich mit der leisen Vorahnung ein, dass es am nächsten Tag nicht anders sein wird.
                                Wie oft Phil nun schon den gleichen Tag wieder und wieder durchleben musste, lässt sich irgendwann kaum noch mitzählen. Ausgerechnet der 02. Februar, an dem der Wetteransager für den titelgebenden, alljährlichen "Groundhog Day" in einem verschlagenen Provinznest über eine Veranstaltung berichten muss, wo ein Murmeltier in einem skurrilen Ritual das Wetter vorhersagen soll, während in diesem Jahr zeitgleich ein schwerer Blizzard für den Abend gemeldet ist, springt für den bitteren, sarkastischen Zyniker nicht mehr auf den 03. Februar weiter.
                                Es ist Bill Murray in seiner Paraderolle, denn für Harold Ramis darf der Schauspieler jeglichen Frust über seine verzwickte Lage mit entnervter Mimik zum Ausdruck bringen und auf trockenste Weise kommentieren, denn bereits nach dem ungefähr vierten oder fünften Mal, an dem ihm die ältere Dame des Hotels, in dem er übernachtet, schon beim Frühstück die exakt gleichen Fragen stellt und ihm auf der Straße ein lange nicht gesehener Schulkollege auf penetrante Weise eine Lebensversicherung aufschwatzen will, bleibt Phil kaum etwas anderes übrig, als die Situation mit seiner ganz eigenen Form des Zynismus halbwegs erträglich zu gestalten. Es gibt nur eine Sache, die Licht in seine monotone Hölle scheinen lässt: Rita, die neue Produzentin des Senders, in die sich Phil auf altmodische Art auf den ersten Blick verliebt.
                                Ramis spielt mit dem amüsanten Potential des kreativen Zeitschleife-Konzepts, indem er seinen Protagonisten nach einer anfänglichen Phase der Verwirrung zum hinterlistigen Charmeur werden lässt, der sich die Aufmerksamkeit seiner großen Liebe durch das Ausnutzen seiner Situation sichern will. Phil merkt jedoch, dass es irgendwann keinen Sinn mehr macht. Kein Gefühl ist von Dauer, keinem Durchbruch ist der andauernde Erfolg vergönnt, denn nur kurze Zeit später steht alles wieder auf Anfang.
                                Nachdem der Regisseur die Handlung in kleine Episoden gegliedert hat, in die er irgendwann auch bösen Galgenhumor in Form zahlreicher Suizidmethoden oder halsbrecherische, komödiantische Slapstick-Manöver einfügt, offenbart "Groundhog Day" allerdings erst seine rührende Seite. Inmitten des eintönigen Alltags nimmt Phil einfach mal einen anderen Weg, landet in einem Café, in dem er noch nie war, liest ein Buch, das ihm persönliche Bereicherung verschafft oder nimmt Klavierunterricht, um sich musikalische Fertigkeiten anzueignen.
                                Am Ende ist er geläutert worden, genauso wie man als Zuschauer wieder einmal durch das Kino geläutert wurde. Manchmal ist alles eben gar nicht mal so übel. Und der nächste Tag kommt auch.

                                17
                                • 7

                                  Schon als kleines Mädchen wird Francisca mit schockierenden Anblicken konfrontiert, die der Psyche eines noch so jungen Menschen auf irreparable Weise zusetzen können. Ihre Mutter, eine ausgebildete, auf Augen spezialisierte Chirurgin, demonstriert der Tochter praktische Fertigkeiten an einem abgetrennten Kuhkopf, der mit einer morbiden Selbstverständlichkeit auf dem Küchentisch im Haus der Familie platziert wurde. Francisca ist über diese Vorgänge, bei der sie von der Mutter das Innere eines Tieres gezeigt und erklärt bekommt, jedoch nicht erschrocken, sondern betrachtet all das mit einer natürlichen Faszination. Ein Gefühl, das auch dann nicht schwindet, als sich ein unheimlicher Fremder eines Tages Zugang in das Haus verschafft und mit gezogener Waffe Schreckliches vollbringt.
                                  Das präzise Handwerk, das Franciscas Mutter beherrschte, lässt sich analog auch auf Regisseur Nicolas Pesce übertragen. In seinem Debüt "The Eyes of My Mother", für das Pesce neben Regie und Drehbuch auch für den Schnitt verantwortlich war, kreiert er die ausdrucksstarken Impressionen seines ungemütlich-verstörenden Albtraums mit geradezu chirurgischer Ader. Die Geschichte des ohnehin recht kurzen Films ließe sich auf dem Papier vermutlich in einigen wenigen Sätzen vollständig schildern, doch Pesce ordnet das, was geschieht, einem elegischen Stil unter, der bloße Beschreibungen unter eindringlichen Stimmungen begräbt.
                                  Ebenso wie Francisca, die sich vom schüchternen, traumatisierten Mädchen zur schönen, verschlossenen Frau entwickelt, ist "The Eyes of My Mother" ein Film, dessen erhabene Schwarz-Weiß-Fotografie höchst betörend in die Augen des Betrachters sticht, wobei sich genau dieses Stechen schon bald zur schmerzlichen Erfahrung wandelt. Zu welchen Taten diese Frau, welche alleine im Landhaus ihrer Eltern in tiefster Einsamkeit in sich hinein lebt, fähig ist, traut sich selbst der Regisseur des Films nicht in vollem Ausmaß zu zeigen. Abstoßende Grausamkeiten fängt die Kamera von Zach Kuperstein lediglich für Bruchteile einer Sekunde ein, während das Gefühl von Trauer, Verzweiflung und Auswegslosigkeit jede einzelne der 77 Minuten durchzieht.
                                  Eine Binde, die dort, wo sich eigentlich die Augen des Menschen befinden sollten, von dunklen Flecken durchgeweicht ist, Plastiktüten, deren recht eindeutiger Inhalt im Kühlschrank aufbewahrt wird, ein Mund, aus dem Schreie nur noch als stummes Röcheln ertönen oder ein Baby, das schreiend und weinend auf einem Bett liegt, sind einige der beängstigenden, audiovisuellen Mosaiksteine, neben denen Pesce trotzdem zumindest so etwas wie Empathie für die traumatisierte Hauptfigur schaffen will, deren Handeln aus der persönlichen, verzerrten Überzeugung und dem tiefen Drang nach Geborgenheit und Nähe geschieht.
                                  "The Eyes of My Mother" ist quälend langsamer Arthouse-Horror, aus intimem Schmerz heraus geboren und kompromisslos in die Welt hinaus geschrien.

                                  18
                                  • 7
                                    über Sully

                                    Nur 208 Sekunden vergingen, als Captain Chesley "Sully" Sullenberger das Leben von 155 Menschen rettete. Nicht einmal vier Minuten, die dem erfahrenen, seit 42 Jahren beruflich tätigen Piloten vermutlich wie eine Ewigkeit erscheinen mussten, während er die Passagiermaschine nach einer Beschädigung der Triebwerke auf dem Hudson River notlandete.
                                    Der reale Vorfall aus dem Jahr 2009 machte Sully in den Augen zahlreicher Menschen zu einem Helden, der genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war. In Clint Eastwoods Film, der nach dem Spitznamen der Hauptfigur benannt wurde, geht es allerdings nicht nur um die heldenhafte Tat Sullys, sondern um die unmittelbaren Folgen, die das übergroße Medienecho, der plötzliche Wandel vom unscheinbaren Bürger zur angehimmelten Persönlichkeit sowie kritische Zweifler auslösten.
                                    Eastwood konstruiert aus der Vorlage keinesfalls ein chronologisches, realitätsgetreues Abbild der Ereignisse, sondern zeichnet mithilfe von Zeitsprüngen, dramaturgischer Konzentration in Form einer ungewöhnlich kompakten Laufzeit von nur 95 Minuten sowie einigen Fantasie- und Traumsequenzen das Bild einer zerrütteten Psyche, die hin- und hergerissen wird zwischen einem Heldentum, das auf fast schon surreale Weise errichtet wird, und den schweren Vorwürfen durch das "NTSB", durch die Karriere und finanzielle Sicherung im Ruhestand des Piloten umgehend ein Ende finden könnten.
                                    Simulationen und Berechnungen zufolge hätte Sully das Flugzeug vollkommen unbeschadet wenden und sicher auf dem Flughafen landen können. Auf der einen Seite wird ihm unüberlegtes, fahrlässiges Fehlverhalten vorgehalten, für das sich Sully offiziell vor der Behörde rechtfertigen muss, während er in einem anderen Moment mit lächelndem Gesicht in der Late-Night-Show von David Letterman zu Gast ist und sich über dessen Witze amüsieren soll oder in einer Bar landet, die prompt einen Shot nach ihm benannt hat.
                                    Eastwood greift die wenigen Momente, in denen sich aus der Lage seines Protagonisten gewissermaßen eine regelrechte Absurdität ergibt, genauso auf wie den zutiefst humanen Faktor der Situation, indem sich "Sully" mit aller Kraft gegen die nach Algorithmen funktionierenden Technologien stemmt, in denen die menschliche, unberechenbare Komponente völlig ausradiert wird. Auch wenn der Regisseur die ehrenhafte Seite des Piloten ausdrücklich betont, ergibt sich Eastwood nicht einfach der blinden Heroisierung des Protagonisten und hinterfragt den Druck, der schwer auf Sully lastet, obwohl dieser in jener Situation nur das getan hat, was er in diesen überraschenden Sekunden impulsiv für das einzig Richtige hielt.
                                    Mit Tom Hanks hat der Film den richtigen Schauspieler an seiner Seite, um Sully mit der nötigen Wärme darzustellen und auch die wohligen Klaviertöne auf der Tonspur rücken "Sully" gelegentlich in die Richtung eines manipulativen Melodrams, doch Eastwood inszeniert das Gesamtwerk ohne falschen Pathos, denn sein Plädoyer für die Menschlichkeit ist zugleich ein Plädoyer für die Stärke jedes Einzelnen.
                                    Man könnte Eastwoods Film letztlich mit Sicherheit auch als Kitsch auffassen, doch "Sully" erzählt so dramaturgisch konzentriert wie reduziert von den emotional bewegenden wie moralisch spaltenden Facetten seines realen Vorbilds, flechtet dunkle, scheinbar auf ewig ins kollektive Unterbewusstsein vernarbte Post-9/11-Traumata einer ganzen Nation subtil mit in die Geschichte ein und verweigert sich auf angenehme Art der herkömmlichen, unnötig in die Länge gezogenen Biopic-Struktur, so dass dem Regisseur eine echte Überraschung geglückt ist.

                                    16
                                    • 7

                                      [...] Zunächst hat Sorrentino in erster Linie durch seinen markanten Hauptcharakter ein großes Ass im Ärmel. Die ungewöhnlichen Vorlieben des neuen Papstes, der zum Frühstück nichts außer einer Cherry Coke Zero zu sich nimmt und das Rauchverbot im Vatikan sofort aufhebt, um eine Zigarette nach der anderen zu rauchen, sorgen zunächst für einige amüsante Momente. Bereits in den darauffolgenden Szenen porträtiert der Regisseur die Hauptfigur allerdings als geradezu erzkonservativen Herrscher, der sich strikt gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ausspricht, homosexuelle Angehörige des Vatikans vertreiben sowie Abtreibungen unter Strafe stellen will. Was dieser Lenny überhaupt für ein Mensch ist und wie die entscheidenden Personen in seinem neuen Umfeld auf ihn reagieren, sind treibende Geheimnisse und Faktoren, von denen die ersten fünf Episoden umgeben sind. Obwohl Sorrentino seinem ausufernden Stilbewusstsein immer wieder freien Lauf lässt, scheint der Regisseur mit den zentralen Eigenschaften und Beschaffenheiten des Serienformats förmlich zu ringen, wobei er vor allem in der ersten Hälfte seines zehn Episoden umfassenden Gesamtwerks tatsächlich regelmäßig der Unterlegene zu sein scheint. Die von Jude Law (360) großartig gespielte Hauptfigur erhält zwar früh eine durchaus emotionale Vergangenheit, wenn Lenny als Waisenkind gezeigt wird, der im Alter von acht Jahren von seinen Hippie-Eltern in die Obhut einer Nonne gegeben wurde, doch Sorrentino hält die Figur über weite Strecken auf mysteriöse Weise verschlossen sowie undurchsichtig. Durch die scharfen Worte, die er dem neuen Papst in den Mund legt und mit denen dieser jeden, der ihm in den Weg kommt, umgehend in die Schranken weist, sowie die Intrigen, die hinter seinem Rücken vor allem von Kardinalstaatssekretär Voiello geschmiedet werden, macht The Young Pope durchaus den Anschein, als würde man sich House of Cards im Vatikan ansehen, was im Bezug auf die öde Dramaturgie durchaus negativ zu verstehen ist. Auch die einzigartigen Montagen, in denen Sorrentino bewegende oder aber kitschige Popsongs, instrumentale Klänge und absurde Details immer wieder mit Fantasie- oder Traumsequenzen kombiniert, sind zu großzügig über die einzelnen Episoden verstreut als dass der Regisseur die beeindruckende Intensität, die seine Spielfilme stets auszeichnet, hier ebenfalls erreicht. In den letzten drei bis vier Episoden scheint der Italiener aber schließlich endlich wieder zu sich selbst zu finden. The Young Pope öffnet plötzlich Raum für Nebenfiguren, die Sorrentino zuvor ungelenk jongliert und mitunter längere Zeit fast vollständig aus dem Fokus verloren hat, während Lennys Persönlichkeit, mit all ihren dunklen, bösartigen Seiten, in bewegenden Einklang mit anderen Facetten seiner Persönlichkeit gerät, in der er den verletzten, einsamen Jungen aufleben leben lässt, der sich eigentlich nur nach Liebe und Zuneigung sehnt. Gerade diese Ambivalenz, bei der Sorrentino seinen Papst immer wieder offen am eigenen Glauben zweifeln lässt, macht aus Lenny so viel mehr als nur einen weiteren Frank Underwood und lässt die Serie im letzten Drittel regelmäßig über den eigenen Schatten springen, wenn der Regisseur einige Momente erzeugt, die dem Betrachter Tränen in die Augen treiben und Tage oder Wochen in Erinnerungen bleiben werden. [...]

                                      9
                                      • 6 .5

                                        Für so ziemlich jeden Besucher der Filmfestspiele in Cannes stand 2016 vor der Auszeichnung ein klarer Favorit für die goldene Palme fest. Die Tragikomödie "Toni Erdmann" galt geradezu als Urknall des deutschen Kinos und beförderte das oftmals mit Abwesenheit glänzende Land mit einem Mal zurück auf den Radar eines internationalen Publikums, das Regisseurin Maren Ade nach den Vorführungen fast schon zu Füßen lag. Die Jury überraschte allerdings gleich in zweierlei Hinsicht, indem sie dem von Kritikern nicht gerade wohlwollend aufgenommenen "Juste la fin du monde" von Xavier Dolan den großen Preis der Jury verliehen, während Ken Loach die goldene Palme für sein Sozialdrama "I, Daniel Blake" gewann.
                                        Mit seiner dringlichen Thematik stößt der mittlerweile 80 Jahre alte Regisseur überdeutlich in jene drastische Realität vor, mit der sich Millionen von Menschen aus seinem Heimatland tagtäglich konfrontiert sehen. Loach schildert das ebenso bewegende wie tragische Schicksal von Daniel Blake, ein einfacher Schreiner, der aufgrund eines Herzinfarktes von seinem Arzt als arbeitsunfähig eingestuft wird. Diese Ansicht wird von einem zuständigen, medizinischen Gutachter des Arbeitsamts jedoch nicht geteilt, weshalb Daniel in eine Zwickmühle gerät, die ihn zunehmend an den Rand seiner persönlichen Belastungsfähigkeit bringt.
                                        Für seine stürmische Anklage gegen das erbarmungslose, willkürliche sowie schlichtweg unverständliche Sozialsystem Großbritanniens findet der Regisseur immer wieder Szenen, in denen er die entwürdigende, verzweifelte Lage seiner Figuren trotz des natürlichen, unaufgeregten Inszenierungsstils eindringlich auf die Spitze treibt. Vordergründig simple Anforderungen wie das Bedienen eines Computers (über)fordern den 59-Jährigen aufgrund seiner technischen Unkenntnis über Tage hinweg, eine penetrante Warteschleife legt akute Anliegen mitunter stundenlang auf Eis und der Zwang, sich bei möglichst vielen Arbeitgebern bewerben zu müssen, gerät angesichts der drastischen, von ärztlicher Seite eindeutig festgestellten gesundheitlichen Verfassung zur Farce.
                                        Loach belässt es aber nicht alleine bei seinem Blick auf die ältere Generation in einer solch unmenschlichen Lage. Auf dem Arbeitsamt begegnet Daniel Katie, die als junge Mutter von zwei kleinen Kindern sowie erst kürzlich aus London angereiste Frau nicht einmal Strom und Heizung ihrer Wohnung bezahlen kann und für das Wohl ihrer Kinder auf Essen verzichtet.
                                        Um seiner drastischen Botschaft Gewicht zu verleihen und die Augen auf das zu richten, was aufgrund des identischen Sozialsystems auch dem deutschen Zuschauer sofort vertraut erscheinen müsste, wählt Loach dagegen keineswegs den subtilen Weg. Auch wenn sich Daniel ganz klar in der misslichen Opferrolle befindet, zeichnet der Regisseur seine Hauptfigur als zutiefst gutmütigen Menschen, der anderen Benachteiligten ohne Gegenleistung sofort Hilfe anbietet, während er sein eigenes Schicksal immer wieder mit trockenem Humor kommentiert. Gegenüber dem kinderlosen Witwer ist Katie diejenige mit der Familie, wobei Loach die Tränen in ihrem Gesicht sowie die bedürftigen Ausdrücke in den Gesichtern von Katies Kindern bei jeder Gelegenheit überdeutlich einfängt. Ähnlich verhält es sich mit den Mitarbeitern auf dem Arbeitsamt, die hier beinahe ausschließlich zu den kältesten, skrupellosesten ihrer Art zählen dürften, während die freiwilligen Helfer der Tafel als hilfsbereite, liebevolle Retter in der Not auftauchen.
                                        Von seinen Figuren zeichnet "I, Daniel Blake" ein zweifelsfreies Bild, bei dem sich praktisch jede Figur in ein klares Schwarz-/Weiß-Schema einfügen lässt. Die bedrückenden, eindringlichen sowie gelegentlich niederschmetternden Schläge, die der Regisseur aufgrund der vereinfachten Charaktere austeilt, schmerzen nichtsdestotrotz, wobei der Regisseur jegliche Form eventuell gefühlsbeeinflussender Musikuntermalung fast vollständig ausspart.
                                        Am Ende wird man trotzdem den Eindruck nicht los, dass die Jury in Cannes einem gelungenen Drama, das nicht frei von stereotypen Anhäufungen ist, alleine aufgrund der gesellschaftlichen sowie politischen Relevanz die begehrte Auszeichnung verliehen hat. Ein wichtiger Film bleibt "I, Daniel Blake" daher unbedingt, man wünscht sich abschließend lediglich noch, dass er innerhalb seines Publikums hoffentlich auch von den richtigen Menschen gesehen wird.

                                        17
                                        • 7

                                          Das magische Universum von J.K. Rowling scheint einfach nicht ruhen zu wollen. Nachdem die Geschichte des Zauberlehrlings Harry Potter nach sieben Büchern und acht Filmen vorerst ein Ende fand, erfuhr sie zugleich eine Weiterführung in Form des Theaterstücks "Harry Potter and the Cursed Child", dessen Skript Ende 2015 in Buchform veröffentlicht wurde, bevor es 2016 in London erstmals uraufgeführt wurde.
                                          Auch im Kino erfährt die verzauberte Welt von Rowling in diesem Jahr eine Wiederbelebung, wenn auch ohne den sympathischen Zauberer mit der Narbe auf der Stirn. Für "Fantastic Beasts and Where to Find Them" hat die Autorin nun zum ersten Mal ein Filmdrehbuch geschrieben, in dem sie in der Zeit zurück führt, ins New York der 20er Jahre, wo der aus England angereiste Zauberer und Zoologe Newt Scamander einen ganz persönlichen Plan verfolgt. Der bereits jetzt auf fünf Teile ausgelegte Film, bei dem Potter-Veteran David Yates erneut auf dem Regiestuhl Platz nahm, erweist sich dabei als angenehm energiegeladener Blockbuster, in dem auf unnötigen Fanservice verzichtet und stattdessen eine eigenständige Geschichte erzählt wird.
                                          "Fantastic Beasts and Where to Find Them" hat den großen Vorteil, dass er zu keinem Zeitpunkt wie ein lieblos produzierter Aufguss bekannter Elemente wirkt und trotzdem schon nach wenigen Minuten ein vertrautes Gefühl entfacht, spätestens wenn die ersten Töne des Scores von James Newton Howard erklingen. Rowling entwirft ein interessantes Setting, in dem sie fantasievolle Einfälle, unverbrauchte sowie detailgetreu entworfene Schauplätze und überraschende Bezüge zum aktuellen Politik- und Zeitgeschehen zu einem dynamischen Abenteuer verbindet.
                                          Im Mittelpunkt steht dabei Newts Mission, eines seiner vielen Tierwesen, die er in einem Koffer mit sich transportiert, zu dessen Heimatort zurückzubringen und in die Freiheit zu entlassen. Als er seinen Koffer versehentlich mit dem des Fabrikarbeiters Jacob vertauscht, der kein Magier ist, gelangen einige der Kreaturen in die Öffentlichkeit und sorgen mitunter für heilloses Chaos. Der Charakter des Newt Scamander erweist sich dabei als regelrecht unkonventionelle Wahl für den Protagonisten und gleichzeitig Sympathieträger eines ganzen Franchises. Mit seiner introvertierten, eingeschüchterten Art, bei der er seinem menschlichen Gegenüber kaum in die Augen schauen kann, während ihm die eigenen Sätze oftmals vernuschelt aus dem Mund purzeln, wirkt er in manchen Szenen des Films fast schon wie ein sozialer Problemfall. Dass für diese Figur ausgerechnet Eddie Redmayne besetzt wurde, wirkt daher fast schon wieder wie ein klug erdachter Schachzug. Redmayne zeigt sich auch in diesem Film wieder als äußerst limitierter Schauspieler, der mit seiner oftmals ans groteske Grimassieren erinnernden Mimik wie erstarrt und verzerrt zugleich auftritt. Ein Erscheinungsbild, das paradoxerweise stimmig zu seiner Figur passt, während der Schauspieler in den Szenen, in denen er mit seinen hoch geschätzten Tierwesen interagiert, nichtsdestotrotz eine gewisse Wärme sowie verschmitzten Charme ausstrahlt.
                                          Die Jagd nach den entflohenen Kreaturen erweist sich unter der Regie von Yates als überaus unterhaltsame Odyssee, bei der Rowling ein aufsehenerregendes Geschöpf nach dem anderen aus dem Hut zieht, während diese mit CGI auf tolle Art und Weise zum Leben erweckt wurden. Durch die verschrobene Dynamik, die zwischen dem eigenwilligen Zoologen und dem No Maj (amerikanisch für Muggel) Jacob, der überwiegend als Comic Relief fungiert, entsteht, zu der sich außerdem noch Katherine Waterston als Ex-Aurorin und Alison Sudol als deren Schwester hinzugesellen, verkommt "Fantastic Beasts and Where to Find Them" zu leichtfüßigem Eskapismus, bei dem einige der Kreaturen wie beispielsweise der maulwurfartige "Niffler", der nach glänzenden, glitzernden Gegenständen süchtig ist, immer wieder die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich ziehen.
                                          Rowling belässt es allerdings nicht bei diesem Handlungsstrang und verheddert sich etwas in den Nebensträngen, in denen die Autorin zunehmend düstere Seiten aufzieht. Während die Momente, in denen die Todesstrafe an Zauberern als bedrückendes Konzept präsentiert sowie ein Zusammenleben zwischen Zauberern und No Majs als gesellschaftliches Tabu etabliert wird und ein mysteriöser schwarzer Magier Angst und Schrecken verbreitet, einen gelungenen Kontrast zum heiteren Handlungsstrang von Newts Gruppe darstellen, bekommt die Autorin den Bogen zwischen diesen Einzelgeschichten nicht immer schlüssig gespannt. Unter anderem verkommt die Geschichte der von Samantha Morton gespielten Frau, die eine neue Sekte im Sinne der Salem-Bewegung leiten will, bei der Hexen und Magier als ernsthafte Bedrohung verfolgt werden sollen, zur beiläufigen Randnotiz, die ein abruptes Ende findet. Auch das Finale, in dem sich der Streifen eindeutigen Blockbuster-Konventionen unterordnet, wenn ganze Gebäude nacheinander zum Einsturz gebracht werden, erinnert zu sehr an plumpe Zerstörungsorgien der Marvel-Superheldenfilme.
                                          Als Auftakt eines völlig neuen, eigenständigen Universums funktioniert "Fantastic Beasts and Where to Find Them" trotz der erzählerischen Unebenheiten als stimmungsvoller Blockbuster, in dem J.K. Rowling als Drehbuchdebütantin viel fantasievolles Gespür für unterhaltsame Einzelheiten unter Beweis stellt. Neben der ausgelassenen Jagd auf die toll gestalteten Zauberwesen überrascht der Streifen mit einigen düsteren Einlagen, ist treffend besetzt und fühlt sich aufgrund der liebevollen Ausstattung und dem wohligen Score von James Newton Howard frisch und vertraut zugleich an.

                                          17
                                          • 6 .5
                                            über Arrival

                                            Was den Filmen von Denis Villeneuve in der Regel fehlt, ist eine klare Handschrift. Auch wenn die Werke des kanadischen Regisseurs bisher von einer durchwegs hohen Qualität geprägt waren, konnte man deren Stil meist eher einem anderen, bekannten Regisseur zuordnen. Hatte "Prisoners" beispielsweise noch die dunkle, packende Aura der Thriller von David Fincher, war das wirr-abstrakte Psycho-Drama "Enemy" der beste David-Lynch-Film, der nicht von David Lynch gedreht wurde, während "Sicario" ein wenig an die konzentrierten, verdichteten Meisterleistungen eines Michael Mann erinnerte.
                                            Dass Villeneuve kein Autorenfilmer ist, dessen Werke sofort seinem Namen zugeschrieben werden können, hat im Gegenzug den Vorteil, dass sich der Regisseur erfolgreich in verschiedensten Genres ausprobierte und somit eine äußerst abwechslungsreiche Vita erarbeitet hat. Mit "Arrival" wagt sich Villeneuve nun erstmals in das Science-Fiction-Genre, wobei seine Variante einer Alien-Invasion und der Umgang mit dieser einem völlig anderen Ansatz unterliegt, als man es für gewöhnlich in starbesetzten, hoch budgetierten Mainstream-Blockbustern gewohnt ist.
                                            Nachdem über den ganzen Globus verteilt insgesamt zwölf riesige Raumschiffe auf der Erde landen, bricht wie gewohnt Panik innerhalb der Bevölkerung aus. Der wahrscheinliche Erstkontakt mit bisher unbekannten Lebewesen stellt vor allem die Regierung und das zusätzlich beauftragte Militär vor die Frage, woher diese Aliens kommen und was sie für eine Absicht verfolgen. Die amerikanische Linguistin Louise wird ausgewählt, um die Leitung bei der Kontaktaufnahme mit den fremden Besuchern zu übernehmen und zwischen beiden Seiten zu vermitteln.
                                            Zunächst ist "Arrival" ein imposanter Blockbuster, in dem Villeneuve die in jeder Szene spürbare Anspannung und Aufregung, die in Verbindung mit solch einem Ereignis entsteht, auf einen überaus intimen, kleinen Rahmen reduziert. Der Moment, in dem Louise zum ersten Mal gemeinsam mit einem Team in das Innere des Raumschiffs befördert und kurz danach den Aliens begegnen wird, ist von einer wohlig knisternden Intensität und ein zugleich wundervoller Gegenentwurf zum ansonsten hektischen Invasionskino, in dem meist möglich schnell Reaktionsmaßnahmen erfolgen und zum sofortigen Angriff übergegangen wird.
                                            Über gut 90 Minuten seiner Laufzeit hinweg ist Villeneuves Film tatsächlich an kaum etwas anderem interessiert als am Entschlüsseln der außerirdischen Verständigungsmethode, die in Form von abgesonderten, tintenklecksartigen Rauchschwaden geschieht, welche stets ein anderes Muster formen.
                                            "Arrival" vermittelt ein mitreißendes Gefühl davon, was es bedeutet, sich auf völlig neue Weise mit Sprache an sich auseinandersetzen zu müssen, die weitaus mehr ist, als nur Zeichen und Symbole. Im Mittelpunkt der Geschichte steht dabei die von Amy Adams großartig verkörperte Linguistin, die direkt in den ersten Szenen des Films als Figur mit tragischem Hintergrund eingeführt wird. Die meiste Zeit über ist dieser Aspekt hingegen nur von nebensächlicher Bedeutung, während die psychische Belastung und der zunehmende Druck, der auf ihr aufgrund der komplexen Arbeit lastet, deutlich stärker wiegt als der persönliche Verlust, der Louise verständlicherweise nach wie vor verfolgt.
                                            Es ist lange Zeit bemerkenswert, wie der Regisseur großes Getümmel, wütende Aufstände und die Panik der Massen regelrecht ausklammert, indem er entsprechenden Szenen lediglich über Computermonitore oder Fernsehbildschirme beiläufig am Rande Beachtung schenkt, während die bedeutenden Konflikte nur zwischen einer Handvoll Figuren ausgetragen werden.
                                            In den letzten 20 Minuten schlägt das Drehbuch von Eric Heisserer, welches wiederum auf einer Kurzgeschichte basiert, allerdings immer größere Haken und "Arrival" schießt auf der Zielgeraden plötzlich geradewegs an seinem Kern vorbei und verläuft sich in ärgerlich konstruierten Regionen. Die wahre Motivation hinter der Ankunft der Aliens gilt es als Science-Fiction-Komponente ohne Widersprüche hinzunehmen, während Charaktereigenschaften auf plumpe Weise emotional manipuliert sowie unsauber zurechtgebogen werden, um der finalen Enthüllung einen möglichst bewegenden Wert anzudichten.
                                            Ähnlich wie in Christopher Nolans "Interstellar" versucht sich Villeneuve schlussendlich an der Verbindung weitreichender, fundamental bedeutender Entwicklungen mit einem persönlichen Einzelschicksal und scheitert an unglaubwürdigen, überstürzt eingefügten Plotentwicklungen, die den zuvor großartig errichteten Eindruck des behutsamen Science-Fiction-Films, der mit durchdachten Ambitionen sowie subtil inszenierten Höhepunkten bestechen konnte, extrem runterreißt.

                                            10
                                            • 8 .5

                                              [...] Das Betreten fremder Welten ist im Kino ein vertrautes Thema. In Der Zauberer von Oz war es Dorothy, die von einem Sturm in ein magisches Land befördert wurde, während es die titelgebende Figur in Alice im Wunderland nicht lassen konnte, dem sprechenden Kaninchen mit der Taschenuhr in dessen Bau zu folgen, woraufhin sie durch einen Tunnel in ein schräges Wunderland fällt. Auch Chihiro traut ihren Augen kaum, als sie all die Gestalten und Kreaturen erblickt, die ihr noch vor dem Betreten des Badehauses über den Weg laufen. [...] Genauso wie Chihiro wird der Betrachter in Chihiros Reise ins Zauberland im überbordenden Minutentakt mit einer Überraschung nach der anderen konfrontiert und kann sich der Flut an kreativen Einfällen kaum entziehen. Die visuellen Details, mit denen der Regisseur seine selbstgezeichneten Einstellungen füllt, lassen sich bei der ersten Sichtung kaum in Gänze erfassen, wobei vor allem die großartige Gestaltung der verschiedenen Fantasiewesen sofort ins Auge sticht. Ohne Fragen zu stellen fügt sich Chihiro umgehend den Vorschriften in diesem Zauberland, während Miyazaki sein Werk wie einen rasanten Traum in Szene setzt, in dem sonderbaren Entwicklungen keine Grenzen gesetzt werden. Dabei verkommt der Film keineswegs zur bunten Aneinanderreihung schriller Attraktionen, sondern nutzt die Geschichte als Reifeprozess für Chihiro, die durch das Beweisen von Mut, Stärke und Verstand zu einem viel reiferen Menschen und schließlich über sich hinaus wächst. Bezüglich der Herausforderungen, die sich dem Mädchen auf dieser Reise in den Weg stellen, verzichtet Miyazaki außerdem auf eine schlichte Einteilung in Gut und Böse und betrachtet viele der Figuren, auch die, die auf den ersten Blick einen eher gruseligen, finsteren Eindruck hinterlassen, von mehreren Seiten, wobei der typische Endkampf gegen einen ausgewählten Widersacher ebenfalls ausbleibt. Während Chihiro zu Beginn des Films noch das schüchterne Mädchen war, das von den Eltern an die Hand genommen werden muss, greift der Regisseur diese Szene am Ende noch einmal auf, doch nun zeigt er nur durch einen einfachen Blick, was aus Chihiro wirklich geworden ist. [...]

                                              19
                                              • 6 .5

                                                Nachdem sich Werner Herzog in der zuvor veröffentlichten Dokumentation "Lo and Behold, Reveries of the Connected World" mit der Entstehung des Internets und den weitreichenden Folgen sowie Konsequenzen globaler Vernetzung auseinandersetzte, ist der nur kurze Zeit später auf Netflix erschienene "Into the Inferno" wieder ein Werk, das sich um eines der Lieblingsthemen des Regisseurs dreht.
                                                Nachdem Herzog während den Dreharbeiten auf dem Südpol für "Encounters at the End of the World" erstmals dem Vulkanologen Clive Oppenheimer begegnete, mit dem er einen aktiven Vulkan in der Antarktis besichtete, entstand nicht nur eine Freundschaft zwischen den beiden. Herzog entwickelte darüber hinaus eine Faszination für diese brodelnden Kräfte im Inneren der Erde, deren gewaltige Eruptionen dazu führen können, dass ganze Völkermassen ausgelöscht werden. Zusammen mit Oppenheimer reist der Regisseur daher für "Into the Inferno" quer über sämtliche Kontinente, um in mehreren Staaten Menschen zu begegnen, die seine Faszination mit diesem geradezu mystischen Naturphänomen teilen.
                                                An einer geografisch akkuraten, faktenorientierten Dokumentation zeigt sich Herzog dabei erneut wenig interessiert. Der von ihm gewählte Ansatz erforscht stattdessen die vielschichtige Wirkungsweise, die von den Vulkanen auf grundsätzlich verschiedene Kulturen oder Völker ausgeht und sich tief in deren spiritueller Gesinnung oder persönlicher Überzeugung widerspiegelt. Wie so oft führt die Reise des Regisseurs dabei nicht nur durch Stationen der Gegenwart, sondern auch zurück in die Vergangenheit. Das Schicksal eines französischen Geowissenschaftler-Paares, das über Jahrzehnte hinweg immer wieder die direkte Nähe zu Vulkanen sowie aktuell stattfindenden Ausbrüchen suchte und schließlich in einer 800 Grad heißen Glutwolke den Tod fand, gibt Herzog ebenso zu denken wie die starke Überzeugung indonesischer Einwohner, die inmitten der pulsierenden, unaufhörlich brodelnden Magmaströme Geister der Verstorbenen oder die Präsenz einer göttlichen Übermacht zu erkennen scheinen.
                                                Neben dem spirituell-philosophischen Ton, der mitunter auch apokalyptischen Zügen nachspürt, wird "Into the Inferno" zudem von der typisch verschrobenen Eigenart des Regisseurs durchzogen, die sich in gelegentlichen Abschweifungen und Nebenbeobachtungen zu erkennen gibt. In Äthiopien landen Herzog und Oppenheimer in der heißesten Wüste der Erde, wo sie einem kleinen Team von Archäologen mit großer Freude dabei zusehen, wie diese mit kindlicher Begeisterung nach fossilen Überresten vergangener Urmenschen graben, während der Regisseur bei seinem Zwischenstopp in Nordkorea nicht darauf verzichten kann, seine Bewunderung für die dortige U-Bahn-Station zu äußern, in der niemand auf sein Smartphone starrt und wo keinerlei Werbereklamen angebracht sind.
                                                Zeitweise scheint es allerdings so, als habe der Regisseur in Anbetracht der letztlich unerklärlichen Ausstrahlung der Vulkane selbst ein wenig den Faden verloren. Der erwähnte Abstecher nach Nordkorea wirkt ebenso ziellos wie die regelmäßig eingestreuten Aufnahmen des Vulkaninneren, die Herzog wie gewohnt mit sakralen Klängen unterlegt, wobei sich erstmals ein gewisser Eindruck repetitiver Stilmittel einstellt, wodurch die Bilder längst nicht mehr die Wirkung entfalten, wie sie es in Herzogs bisherigen Dokumentationen taten.
                                                Als offenbar ewige Auseinandersetzung mit den unerklärlichen Mechanismen und faszinierenden Wirkungsweisen, welche die gewaltigen Kräfte unserer Natur auf den Menschen ausüben, ist "Into the Inferno" ein weiteres Werk, das in typischer Herzog-Manier daher kommt und neben tiefgründigen Fragestellungen nie den Blick für das Komische sowie Spezielle in jedem Einzelnen verliert. Wirklich neu ist dieses Konzept im gesamten Schaffen des Regisseurs aber nicht, weshalb sich diesmal hier und da leichte Abnutzungserscheinungen breit machen.

                                                8
                                                • 8

                                                  In seinem beeindruckenden Regie-Debüt "The Childhood of a Leader" erzeugt Brady Corbet, der sich bislang für einige europäische Arthouse-Größen wie Lars von Trier oder Michael Haneke als Schauspieler vor der Kamera behaupten konnte, schon in den ersten Szenen, für die er reale Schwarz-Weiß-Aufnahmen des ersten Weltkriegs mit dem Score von Scott Walker kombiniert, eine beklemmende Atmosphäre. Die Klänge des Komponisten wirken, als seien die schrillen Geigen aus den Arbeiten eines Bernard Herrmann in albtraumhafte Sphären übergewandert und sind von der raren Qualität, durch die es der Musik gelingt, die Bilder nicht nur auf imposante Weise zu untermalen, sondern dem Betrachter auf fast schon unangenehme Art unter die Haut zu brennen.
                                                  In seinem ersten Film, an dessen Drehbuch Corbet bereits 10 Jahre vor dem endgültigen Drehbeginn sowie im Alter von gerade einmal 17 Jahren erstmals arbeitete, wirft der Amerikaner einen Blick auf die Kindheit eines kleinen Jungen, der mit seinen Eltern in einem einladenden Anwesen in Frankreich lebt. Die Handlung ereignet sich während dem Ende des ersten Weltkriegs, wobei der Vater des Jungen für den amerikanischen Präsidenten arbeitet und mitten in den Verhandlungen für den berühmten Friedensvertrag von Versailles steckt.
                                                  Wie der Titel des Films bereits klar verrät, geht es Corbet nicht einfach nur um irgendeine Kindheit, sondern um die Kindheit eines Führers. Um die Frage, welchen Führungsstil dieser anstreben wird, macht der zermürbend düstere Tonfall kein großes Geheimnis. Anhand von drei zentralen Kapiteln, die der Regisseur jeweils mit einem Wutausbruch betitelt, zeichnet Corbet das Bild eines Kindes, dessen Psyche aufgrund entscheidender Ereignisse und Entwicklungen immer stärker in tiefste Dunkelheit hinabgleitet. Konkrete Psychologisierung findet hierbei allerdings kaum statt, denn die geschilderten Vorfälle, bei denen Prescott, dessen Name erst spät im Film überhaupt genannt wird, beispielsweise Steine auf Kirchenbesucher wirft, sind von einer eher kindlich-unreifen Natur, die man in dieser Form ebenso jedem anderen Kind in Prescotts Alter zuweisen könnte.
                                                  Es sind viel mehr beängstigende Untertöne und Vorahnungen, die Corbet zwischen seinen fantastischen, stilvollen Bildkompositionen platziert, durch die "The Childhood of a Leader" langsam und Szene für Szene das furchteinflößende Mosaik einer potentiellen Schreckensherrschaft entwirft. Auf ebenso perfide wie brillante Weise bedient sich der Regisseur dabei Stilistiken des Horrorfilms, ohne den Schrecken jemals explizit zu visualisieren. Einer frühen Szene, in der Prescott einen Albtraum hat, in welchem die Kamera lediglich in ruhiger Gelassenheit durch einsame Gänge und an Fahrstühlen vorbeischwebt, verleiht Corbet im Epilog markerschütternde Bedeutung. Dieses Konzept der nachdrücklichen Intensität ist ein entscheidendes Werkzeug, mit dem der Regisseur viele Szenen im Nachhinein, wenn der Abspann des Films bereits gelaufen ist, in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt.
                                                  Auch wenn Prescott als Kind von Einsamkeit gezeichnet wird, das von den Eltern kaum Zuneigung erfährt und große Teile des Tages mit Lernen verbringen muss, wobei der Junge die Nähe zu einer älteren Hausangestellten sowie der jüngeren Französischlehrerin sucht, hinterfragt Corbet das Wesen seiner Hauptfigur auf vielschichtige Weise. Ein autoritärer Erziehungsstil, zwischenmenschliche Isolation und andere äußere Faktoren spielen genauso eine Rolle wie das mehrdeutige Verhalten des Jungen. Nachdem Prescott zuvor den Blick längere Zeit auf den Brustbereich seiner Lehrerin legte, den er später auch mit der Hand berührt, stellt der Regisseur in einer solchen Szene ganz bewusst die Frage, ob sich der Junge in so einem Moment wie ein von natürlicher Neugier motiviertes Kind verhält oder bereits auf eiskalt kalkulierte Weise auf ein erstes Machtspiel einlässt, in dem er seine Dominanz unter Beweis stellt.
                                                  Wie kaum eine andere Szene bleibt im Epilog jedoch das Erscheinungsbild des kahl geschorenen, vollbärtigen Robert Pattinson in Erinnerung, der den mit fiktionalen sowie realen Mitteln entworfenen Mythos des Tyrannen mit leerem, gequälten Blick zur Vollendung bringt, bevor sich die Kamera in den finalen Momenten unter den kaum noch zu ertragenden Klängen Walkers unkontrolliert ins Delirium stürzt.
                                                  Man mag sich kaum ausmalen, was dieser erst 28-jährige Regisseur der Filmwelt in Zukunft noch entgegenbringen wird.

                                                  18
                                                  • 7 .5

                                                    [...] In seinen Filmen beschreitet Noah Baumbach (Frances Ha) stets eine feine Linie zwischen kantiger Exzentrik, mit der er seine Figuren versieht, sowie feiner Emotionalität, die sich als universell fühlbare Einheit durch beinahe alle seine Werke zieht und dabei stets aus dem persönlichen Erfahrungsschatz des Regisseurs zu stammen scheint. Unglaublich interessant gerät diese Gratwanderung in Baumbachs Der Tintenfisch und der Wal, der für den New Yorker auf der einen Seite den kommerziellen Durchbruch bedeutete, welcher ihm eine wesentlich größere Aufmerksamkeit als zuvor bescherte, während gerade dieser Film auf der anderen Seite sehr stark durch Baumbachs eigene Jugend geprägt wurde und somit eine intime Schlüsselrolle im Schaffen des Regisseurs einnimmt. Der Regisseur erzählt die Geschichte einer Familie im Brooklyn der 80er Jahre, die auf eine klare Krise zusteuert. Eines Tages eröffnen Bernard und Joan ihren beiden Söhnen Walt und Frank, dass sie sich trennen werden, wobei das gemeinsame Sorgerecht gleichmäßig aufgeteilt werden soll. [...] Was in Der Tintenfisch und der Wal als Trennungsszenario errichtet wird, unter dem jedes der vier Familienmitglieder auf eigene Art und Weise zu leiden hat, ist jedoch nicht der Kern von Baumbachs Werk. Sicherlich umkreist der Regisseur auch jene Fragen, die sich unweigerlich im Zusammenhang mit solch einem Ereignis ergeben. Wer trägt die Schuld daran, dass eine langjährige Beziehung zerbricht, an welchen konkreten Faktoren lässt sich das Scheitern einer einst innigen Liebe festmachen und was bedeutet dieser folgenreiche Bruch in einer ehemals intakten Familie zukünftig für jedes Mitglied? Baumbach dürften diese Fragen und Gedankengänge keineswegs fremd gewesen sein, denn auch seine Eltern waren ganz ähnlich wie Bernard und Joan beruflich im literarischen Bereich verwurzelt, wodurch das Familienleben höchst wahrscheinlich durch einen sehr akademischen Erziehungsstil geprägt war, bei dem Kunst und Kultur ebenfalls eine große Bedeutung zukam. In Der Tintenfisch und der Wal führen die typischen Schuldzuweisungen, offenen Konflikte sowie unangenehmen Gesprächsthemen viel mehr dazu, dass die charakterlichen Eigenschaften der einzelnen Figuren zum Vorschein kommen. [...] Baumbachs Gespür, vordergründig unsympathische Figuren mit viel Feingefühl zu balancieren, gelingt ihm hier so gut wie in kaum einem seiner anderen Filme, in denen er hin und wieder über das Ziel hinausschießt, wodurch die Figuren mitunter zu unausstehlichen Komponenten verkommen. Hier geht ihm der Umgang mit gleich vier dieser extremen Persönlichkeiten mit Leichtigkeit von der Hand, wobei er sein großartig ausgesuchtes Ensemble nicht nur in Szenen voller trockenem Humor aufeinanderprallen und auf mitunter beschämende Art an ihre intimen Grenzen stoßen lässt, sondern behutsam zueinander führt und emotionale Seiten entlockt. In Luft aufgelöst haben sich die Probleme und Konflikte in Der Tintenfisch und der Wal am Ende keineswegs, doch darum ging es dem Regisseur vermutlich gar nicht. Viel mehr hat er Menschen, die sich in der Thematik und den Charakteren erkennen und wiederfinden können, Anerkennung und Verständnis verliehen. Eigenschaften, durch die etwaige simple Lösungsversuche definitiv in den Schatten gestellt werden. [...]

                                                    12