Vitellone - Kommentare

Alle Kommentare von Vitellone

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    Was konnte man im Vorfeld nicht schon wieder alles lesen? Der Film sei misslungen, Tarantino hätte den Bogen endgültig überspannt und überhaupt steht dieses Werk ja an der Spitze einer angeblichen Abwärtstendenz, die nach oder wahlweise schon vor „Kill Bill“ ihren Lauf genommen hat. Pustekuchen, „Inglourious Basterds“ ist inhaltlich eines von Tarantinos reifersten Werken und auch wenn ich persönlich einige Probleme mit „Django Unchained“ habe, so kann man dem Film bestimmte Qualitäten nicht absprechen. So gesehen bedeutet „The Hateful Eight“ sogar einen Aufschwung, denn Tarantinos zweiter Western ist deutlich gelungener als sein Vorgänger, leider ist er jedoch auch sehr angreifbar. Mehr noch als bei seinen anderen Werken lassen sich hier Kritikpunkte finden und wer den Film zerreißen will, der findet wohl auch die nötige Angriffsfläche dazu. Anders gesagt, wer sich über Quentin Tarantino echauffieren will, dem gelingt es auch über die zahlreichen Stärken dieses Films hinwegzublicken, denn Tarantinos Kino war, obwohl sein Stellenwert und die allgemeine Entwicklung vollkommen dagegen sprechen, nie für die breite Masse geeignet.

    „The Hateful Eight“ ist gleichermaßen Rückbesinnung wie auch konsequente Weiterführung, denn obwohl Tarantino abermals einen Western geschaffen hat, könnte dieser seinem vorangegangenen Werk nicht unähnlicher sein. Die Handlung wird auf eine einzige Lokalität verlagert, wie seiner Zeit in „Reservoir Dogs“ wird der Handlungsort zunächst auf eine Postkutsche und später auf eine Herberge reduziert. Doch was Tarantino aus dieser vermeintlichen Reduktion macht ist gleichermaßen simpel wie eindrucksvoll. Die räumliche Struktur nutzt er intelligent um dadurch Machtverhältnisse, Beziehungen und Konflikte zu visualisieren. Wer sich hier wo befindet ist keinesfalls willkürlich, ebenso wie die Bewegungen der Kamera dient auch die Positionierung der Figuren einem höheren Zweck. Doch erinnert der Film nicht nur an Tarantinos Erstling, sondern es finden sich auch Gemeinsamkeiten mit anderen Werken (unabhängig von konkreten Selbstbezügen). Die Langsamkeit erinnert gewissermaßen an „Jackie Brown“ und die Art wie er mit seinen Charakteren umgeht findet sich in „Pulp Fiction“ wieder. Er versammelt Archetypen des Westerngenres, haucht diesen bei zunehmender Laufzeit jedoch ein Stück weit Menschlichkeit ein und unterläuft damit intelligent die Genrekonventionen. Überhaupt lebt der Film zu großen Teilen von seinen Figuren, erzeugt Spannung durch Ungewissheit und stellt bis zum Schluss die Frage nach Identität. Wer ist wirklich das, was er vorgibt zu sein? Es ist jedoch auch Morricones gelungenem Score zu verdanken, dass „The Hateful Eight“ ein atmosphärisches Glanzstück geworden ist, ein Kammerspiel, dass Altertum und Moderne miteinander vereint. Potential nach oben.

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    • 6

      Mittlerweile habe ich den Film schon zum dritten oder vierten Mal gesehen und ich muss gestehen, dass er mir jedes Mal ein Stückchen weniger gefallen hat. Es sind kleinere Kritikpunkte, die ich zunächst leichtfertig abgetan habe, die mittlerweile aber immer schwerer wiegen. Beginnen wir jedoch von vorne, gerade die erste Stunde von „Django Unchained“ ist in allen Belangen ein ausgezeichneter Film, grandios inszeniert, geschrieben und gespielt. Gekonnt kombiniert Tarantino hier noch Versatzstücke des Westerns mit seinem eigenen Stil und schafft dadurch einen überaus gelungenen Auftakt. Die Beziehung zwischen Waltz und Foxx steht im Mittelpunkt und es gelingt dem Film dadurch eine vielversprechende Atmosphäre aufzubauen. Leider gerät der Film dann zusehends ins Stocken, immer wieder scheint das Drehbuch auf der Stelle zu treten, es verfängt sich in Nichtigkeiten und schafft es nicht die Handlung zufriedenstellend weiterzutreiben. Problematisch wird es dann, wenn Tarantino nach dem eigentlichen Höhepunkt des Films noch zwanzig Minuten weiter erzählt und eine weitere Schießerei an das emotionale Finale des Films anhängt. Die größte Krux des Films ist jedoch sein Soundtrack, es ist mir völlig klar warum Tarantino moderne Stücke und Hip Hop verwendet, doch leider ist das nicht nur enorm unpassend, sondern zerstört auch die komplette Atmosphäre. Vielleicht bin ich hier auch einfach zu stark im klassischen Western verankert, aber stellenweise ist die Musik einfach schrecklich. Natürlich ist „Django Unchained“ noch immer ein gelungener Film, gerade die erste Stunde ist mustergültig und allgemein betrachtet ist Tarantinos Herangehensweise an die Sklaverei deutlicher interessanter gestaltet wie so mancher schwülstiger Historienfilm, der sich um diese Thematik dreht, doch als Gesamtwerk läuft er vor allem in der zweiten Hälfte viel zu unruhig um als wirkliches gutes Werk durchzugehen.

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      • 8

        [...] Stilistisch schlägt er jedoch einen anderen Weg ein, erneut muss das rasante Blutvergießen einer fast schon meditativen Ruhe weichen. Deutlich langsamer startet der Film, wo „Kill Bill: Volume 1“ ohne Fragen zu stellen nach vorne geschossen ist, nimmt sich Tarantino nun wieder ausreichend Zeit, während er zuvor eine energiegeladene Schnelligkeit zelebriert hat, huldigt er in „Kill Bill: Volume 2“ den langsamen Tönen. Auch dessen Kraft scheint von einer anderen Quelle zu kommen, es ist nicht mehr die Hülle, die glänzt, sondern ein zartes Funkeln, das unter der Oberfläche schlummert. Tarantino verlagert Schwerpunkte, verliert sein Ziel dabei jedoch nie aus den Augen. [...] Die fehlenden Puzzleteile werden eingesetzt und ergeben letztendlich das komplette Bild, doch verknüpfen diese nicht nur alle Fäden, sondern schaffen es auch – und das ist das Entscheidende – dem Charakter der Braut ihre Menschlichkeit wiederzugeben. Denn der Film ist vor allem eine Suche nach Identität, verloren zwischen Profikillerin und Mutter gewährt er seinen Zuschauern einen Einblick hinter die Fassade. Eine ästhetisch überaus ansprechende Fassade, führt man sich dessen Vorgänger zu Gemüte, und doch ist der Aufbruch der Oberfläche in diesem Werk nicht weniger faszinierend. Der blutige Racheengel als greifbare Figur, in der Wiedervereinigung mit ihrer Tochter hochemotional und in ihrer Abrechnung mit Bill unterkühlt konsequent. [...]

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        • 8

          [...] Nach einer sechsjährigen Pause macht Tarantino Platz für ein weiteres Schmuckstück, mit aufpolierter Optik und ausgeleuchteten Bildern musste die ineinander verschachtelte Erzählung einer – zumindest für Tarantinos Verhältnisse – stringenten Rachehandlung weichen. Vorüber sind die episodenhaften Geschichten ohne wirklichen Protagonisten, das Ensemblestück weicht einer einzelnen Figur, die zwei komplette Filme im Mittelpunkt stehen sollte. Was dabei herauskam ist ein Film, dem man die Leidenschaft seines Regisseurs wie kaum einem anderen anmerkt, bis ans Äußerste werden Szenen zelebriert, selten war Gewalt so ästhetisch stilisiert. [...] Die Spur aus Blut und Tod findet ihren vorläufigen Höhepunkt im Haus der blauen Blätter, in dem minutenlang kaltblütiger Mord und faszinierende Schönheit miteinander kollidieren und kulminieren. Inszenatorisch vielleicht Tarantinos beste Arbeit, mit großer Sicherheit seine ausgefallenste. Genres werden vermischt, Form und Inhalt finden zueinander und sogar für eine animierte Sequenz scheint Platz zu sein, noch mehr als sonst kann man sich nur von der ausgeliehenen Kreativität Tarantinos verbeugen. [...]

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          • 8

            [...] In ihrem Zufluchtsort gibt es einfache Regeln, keine Namen, keine privaten Informationen, nichts was eine Verbindung in die Welt außerhalb dieser Wohnung darstellen könnte. Es wirkt wie der verzweifelte Versuch die Realität auszusperren, ihr zu entkommen, wenn auch nur für wenige Stunden, ein Ort, um sich von all dem Schmerz und der Unterdrückung durch die Gesellschaft zu distanzieren. Für Paul ist es der ausweglose Versuch nach dem Tod seiner Frau, die er nie wirklich verstanden, geschweige denn geliebt hat, Lust und Leidenschaft zu verspüren, er will sich selbst beweisen, dass er noch, beziehungsweise überhaupt, dazu im Stande ist. Marlon Brando verkörpert diesen gebrochenen Mann mit einer Mischung aus unterschwelliger Aggression, sehnsüchtiger Zärtlichkeit und einem gewissen Grad an Ziellosigkeit, er will schlichtweg entkommen, von der Gesellschaft, wie er denkt, doch letztendlich ist er selbst das Problem und deswegen auch der Grund warum er nicht im Stande ist etwas zu ändern.

            Doch auch Jeanne wird ausreichend Zeit eingeräumt, hier von einem rückständigen Frauenbild zu sprechen erscheint schlichtweg falsch. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die ihrem Alter entsprechend von der Welt überfordert zu sein scheint und zwischen den Extremen ihres (Liebes-)Lebens zu zerreißen droht. Dabei scheint sie von beiden Seiten ausgenutzt zu werden, Tom dreht einen Film über sie und rückt damit ihre Person – Vergangenheit wie Gegenwart – in den Fokus, während sie bei Paul das genaue Gegenteil, eine allumfassende Anonymität, erfährt. Doch letztlich ist sie es, die sich von beiden Seiten losreißt, sich befreit, nachdem sie nicht nur benutzt wurde, sondern auch benutzt hat, sich bei beiden Männern jeweils das geholt hat, was ihr vom anderen verweigert wurde. Letztlich ist „Der letzte Tango in Paris“ also weniger das Psychogramm einer Beziehung, sondern vielmehr die Analyse zweier Individuen. [...]

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            • 7

              [...] „Jackie Brown“ zeichnet erneut all das aus, was man schon in den vorangegangenen Werken Tarantinos bestaunen durfte. Zwar wurde dieses Mal weitestgehend auf eine unchronologische Erzählstruktur verzichtet, dafür führt der Film seine Zuschauer jedoch geschickt an der eigenen Nase herum und lässt sie oftmals im Unklaren was von den Figuren beabsichtigt und was purer Zufall ist, ganz einfach indem er nur einzelne Teile des Plans verrät. Überhaupt bleiben fast alle Charaktere schwer zu durchschauen, jeder scheint augenscheinlich seine eigenen Ziele zu verfolgen und von Vertrauen kann man nur in den seltensten Fällen sprechen. [...] Das Tarantino seine Geschichten nicht gerade stringent und rasant vorantreibt ist klar, doch gerade „Jackie Brown“ lässt sich besonders viel Zeit um seine Handlung zu entfalten, was natürlich je nach Vorliebe des Zuschauers negativ wie positiv attestiert werden kann. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum der Film unter Tarantino Fans immer wieder diskutiert wird, während ein Teil in „Jackie Brown“ einen der schlechtesten Filme des Regisseurs sieht, feiern andere ihn als das unterschätzteste Werk seiner Filmografie. [...] Auch „Jackie Brown“ steht ganz im Zeichen des klassischen Tarantinos. Geschliffene Dialoge, wahnwitzige Figuren, ineinander verschachtelte Handlungsstränge und stilisierte Gewalt, all diese Elemente sind ganz zur Freude der Fans wieder ausreichend vorhanden. Leider schwingt ein etwas fader Beigeschmack mit diesem Film mit, ein Gefühl alles schon einmal gesehen zu haben, nur eben ein Stück weit pfiffiger und rasanter. Davon abgesehen ist jedoch auch Tarantinos drittes Werk ein höchst gelungener Film, den nicht nur seine Fans gesehen haben sollten.

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              • 7

                [...] Hitchcock agiert in seinem ersten Tonfilm bereits erstaunlich routiniert und schafft es sein Werk dadurch um einige interessante Aspekte zu ergänzen. „Erpressung“ ist ein stellenweise vielleicht etwas zu verspielt wirkender Film, der aufgrund seiner gekonnten Inszenierung und den fesselnden Figuren einen spannenden und sicherlich richtungsweisenden Eintrag in Hitchcocks eigener Filmografie darstellt. Was zunächst wie eine bloße Fingerspitzenübung aussieht, entwickelt sich bei zunehmender Laufzeit zu einem gut ineinandergreifenden Mix aus visuellen und erzählerischen Einfällen. [...]

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                • 10

                  Wenn ich nach meinem Lieblingsfilm gefragt werde, dann lautet die Antwort stets „Pulp Fiction“. Schon seit Jahren ist das so, nicht etwa weil ich in dieser Zeit keinen einzigen Film gesehen habe, der es mit der Qualität dieses Werkes aufnehmen könnte, sondern schlichtweg weil Tarantinos zweite Regiearbeit auf ewig der Film sein wird, in dem meine Liebe zum Medium Film begründet liegt. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Filme, die mich begeistert haben (Klassiker gleichermaßen wie Modernes) und doch hatte ich nie wieder ein ähnlich starkes Gefühl der Offenbarung wie bei der ersten Sichtung von „Pulp Fiction“. Es gibt unzählige Meisterwerke, die mich bewegt, begeistert und mitgerissen haben, doch die Faszination für „Pulp Fiction“ wird für immer unerreicht bleiben.

                  Über „Pulp Fiction“ zu schreiben ist eine relativ undankbare Aufgabe, schließlich wurden auf diesen Film bereits mehr als genug Lobeshymnen verfasst, er wurde aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet und immer wieder wird die selbe Liste an Qualitäten heruntergebetet. Deswegen erspare ich es mir erneut die zahlreichen Stärken des Films anzupreisen und will kurz etwas über Tarantinos Figuren verlieren. Dass sie oftmals als Inbegriff von Coolness und Kult bezeichnet werden, dürfte weitgehend bekannt sein, interessanter ist es aber wie Tarantino seine Charaktere immer wieder dekonstruiert. Nehmen wir als Beispiel Marcellus Wallace, schon bevor wir ihn das erste Mal zu Gesicht bekommt, hören wir zahlreiche Geschichten über ihn und seinen Einfluss, immer wieder zeigt Tarantino seinen Hinterkopf und trägt durch seine Inszenierung zu dessen Mysterium bei. Im Kopf des Zuschauers hat sich dadurch schon längst ein Bild von Marcellus gefestigt, ein Bild, welches unmöglich mit der echten Person mithalten kann. Und was passiert, wenn Tarantino die Figur offenbart? Er steht auf der Straße, eine Schachtel Donuts in der Hand und wird von einem Auto überfahren, einem Gangsterboss nicht gerade angemessen. Sehr ähnlich läuft es bei seiner Frau, auch Mia Wallace wird zuerst verbal und anschließend inszenatorisch dermaßen übertrieben angekündigt, dass ihre Erscheinung nicht mit den Erwartungen des Zuschauers mithalten kann und kurze Zeit nach ihrem Auftritt stirbt sie fast an einer Überdosis. Dieses Motiv lässt sich im Laufe des Films immer wieder beobachten, beispielsweise der missglückte Überfall von Pumpkin und Honey Bunny oder Vincent Vegas Tod auf dem stillen Örtchen. Tarantinos genießt es seine Figuren übermenschlich zu idolisieren, nur um ihnen dann schlagartig den Boden unter den Füßen wegzuziehen und ihre komplette Erscheinung zu dekonstruieren.

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                  • 5

                    [...] Der mittlerweile schon siebte Teil des Franchises reiht sich nahtlos in die Reihe seiner Vorgänger mit ein. Neuartige Elemente sucht man dabei vergebens, „Creed“ orientiert sich zu jedem Zeitpunkt an den gängigen Mechanismen des Boxerfilms und konstruiert die klassische Rocky-Geschichte konsequent nach. Betrachtet man die Zufriedenheit der Fans ist diese Vorgehensweise durchaus legitim, doch genau dann muss sich der Film auch an seinen Vorbildern messen und dabei werden seine Schwächen nur zu deutlich. Das beginnt schon beim Protagonisten Adonis, der zwar eine nachvollziehbare Motivation erhält, emotional aufgrund seiner geringen Fallhöhe aber schlichtweg nicht funktioniert. Seine Liebesbeziehung wirkt standardisiert und platt wenn man sie mit der wunderbar unbeholfenen Annäherung zwischen Rocky und Adrian vergleicht und auch der Endkampf kann, obgleich er der am besten choreografierte und inszenierte Showdown der Reihe ist, nie wirklich mitreißen, weil emotional einfach zu wenig dahintersteckt. Inszenatorisch macht Coogler einen ordentlich Job (auch wenn er wohl manchmal dem Irrtum erlag mit „Creed“ ein Musikvideo zu inszenieren) und schafft es durchaus einen Grundstein für kommende Filme zu schaffen, doch für sich genommen ist „Creed“ nicht mehr als ein weiterer mittelmäßiger Eintrag ins Buch der Boxerfilme. [...]

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                    • 9

                      [...] Ein derart gelungenes Regiedebüt findet man in der Filmgeschichte nur selten, zwar ist es durchaus üblich, dass sich spätere Markenzeichen schon im Erstling eines Regisseurs herauskristallisieren, im Fall von „Reservoir Dogs“ lassen sich diese jedoch nicht nur erahnen, sondern kommen bereits in perfektionierter Form zum Einsatz. Nicht chronologisches Erzählen, Ausschweifende Gewalt und coole Dialoge sind nur einige Stichwörter, die in diesem Zusammenhang regelmäßig fallen und dabei wird Tarantino auch immer wieder Unrecht getan, indem er auf diese Überbegriffe reduziert wird. Hinter seinen Figuren und Dialogen steckt deutlich mehr als nur oberflächliche Coolness, sie folgen einem klaren Konzept und auch wenn sie sich augenscheinlich um völlig losgelöste Themen drehen, schwingt darin immer ein Stück weit inhaltliche Relevanz mit. [...] Es gehört einiges dazu die Interaktion und das Aufeinandertreffen der Figuren so willkürlich wirken zu lassen und dem Zuschauer dadurch vorzugaukeln all diese scheinbar vom Zufall ausgelösten Momente lassen sich auf nichts weiter als eine (un)glückliche Fügung des Schicksals zurückführen. Hinter all diesen Momenten steckt Kalkül, was von Tarantino jedoch so sorgfältig verborgen wird, dass es beim Betrachten des Films niemals als solche wirkt. Denn genau hier liegt die große Kunst, die Expertise, die so viele Tarantino Rip-Offs durch ihre Nichtexistenz gnadenlos vorführt. Der entscheidende Kniff, der ein dermaßen durchkonstruiertes Skript so herrlich willkürlich und zufällig erscheinen lässt. [...]

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                      • 8
                        über Raum

                        [...] „Raum“ ist sicherlich kein Film, den man nebenbei und unaufmerksam schauen sollte, er fordert seine Zuschauer, packt sie, schockt sie, lässt sie auch Tage nach der Sichtung nicht los. Das liegt am Inhalt, eine Geschichte, die man fast nicht glauben kann, vor allem nicht glauben möchte und die deswegen auch erbarmungslos zuschlägt. Das liegt aber auch an der Inszenierung, die schmerzlich passiv von den Geschehnissen berichtet, nichts verschönert und vor allem nie versucht den Betrachter emotional zu manipulieren. Es sind vielschichtige Emotionen, die den Zuschauer mitreißen, nicht zuletzt weil sie unheimlich echt und greifbar wirken, zu jedem Zeitpunkt nachvollziehbar sind und deswegen auch enorme Sympathien für die geplagten Protagonisten erzeugen. Die Verbindung zwischen Figur und Zuschauer funktioniert letztlich auch deshalb so gut, weil die Darsteller alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen um eine unglaublich kraftvolle und authentische Performance zu liefern. [...] Abrahamson hat mit „Raum“ aber nicht nur ein mit kraftvollen Emotionen angefülltes Drama geschaffen, sondern liefert auch eine glaubhafte Reflexion über die Folgen von sozialer Abgrenzung und die anschließende Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Im titelgebenden Raum eingesperrt ist für den fünfjährigen Jack alles nur ein Spiel, seine Mutter nutzt den Fernseher notgedrungen als Erklärungsversuch für die Welt außerhalb und erklärt ihm, dass nichts davon wirklich existiert und die Welt außerhalb des Raumes endet. Wie will man einem Jungen, einem kleinen Kind, sonst erklären, dass er einen winzigen Raum nicht verlassen darf? Wirklich interessant wird es dann, wenn er auf die Welt trifft und alles hinterfragen muss, was er bisher wusste. Eindrücklich zeigt der Film, wie er sich langsam, aber immer besser, in der echten Welt zurechtfindet und damit seiner Mutter auch irgendwann vorauseilt. Denn die hat nach anfänglicher Euphorie deutlich mehr Probleme mit der Wiedereingliederung als ihr Sohn und ringt mit komplexen menschlichen Emotionen. Während ihr Sohn die Welt Schritt für Schritt kennenlernen kann, treffen bei Ma Wunschvorstellungen und glückliche Erinnerungen auf die grausame Realität und sorgen dafür, dass sie ihre komplette Existenz hinterfragen muss. [...]

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                        • 8

                          [...] „Cinema Paradiso“ zelebriert das Kino in all seinen Facetten, zwischen nostalgischer Verklärung und ehrfürchtiger Verehrung entwirft Tornatore das Bild eines kleinen Dorfkinos im Italien der 40er Jahre. Er zeigt dessen Entwicklung im Laufe der Jahre und präsentiert magische Höhepunkte, bedeutende Meilensteine und entscheidende Wendungen. Vor allem macht er aber deutlich, dass Kino mehr bedeutet als nur Film. Natürlich ist beides untrennbar miteinander verbunden, aber Tornatores Cinema Paradiso ist vor allem ein Ort an dem sich das Dorf versammelt, Freude und Leid miteinander teilt, zu einer Einheit verschmilzt und gemeinsam lacht und weint. Der Ort des Kennenlernens, des ersten Kusses und der Beginn der großen Liebe. Der Ort, an dem Fremde zu Freunden werden und das ganze Dorf für einige Stunden seine Probleme vergessen kann. [...] „Cinema Paradiso“ ist kein sonderlich komplexer Film, aber genau daraus zieht er auch seine Kraft. Einfache, direkte und dadurch unheimlich kraftvolle Emotionen, die durch einen genialen Ennio Morricone Score und einer wunderschönen Kinematografie noch zusätzlich verstärkt werden. Tornatore nutzt seine eigenen Erinnerungen und Erfahrungen, sorgt dadurch für ein authentisches Bild der ländlichen Dorfgemeinde und fasziniert durch seine aufrichtigen Gefühle.
                          Doch Tornatore hat keinesfalls einen reinen Wohlfühlfilm geschaffen, sein Werk ist geprägt von unterschwelliger Sozialkritik, von Erfahrungen, die er selbst gemacht und die ihn lange beschäftigt haben. Allgegenwärtig steht der Krieg im Raum und damit verbunden auch seine Folgen. Armut, Auswanderung, zerrissene Familien und Heimatlosigkeit, all das wird zwar gezeigt, aber nie tiefergehender thematisiert, denn der Zuschauer sieht den Film aus Totos jungen Augen, spürt zwar das etwas nicht stimmt, aber wird sich der Tragweite dessen nie wirklich bewusst. Der Alltag im Dorf ist geprägt von Stagnation und fehlenden Perspektiven, Veränderungen gibt es keine (auch das versteht Toto nicht, er ist jung und unbeschwert) und immer wieder ist das Kino der magische Ort, an dem alle Bewohner gemeinsam träumen. [...]

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                          • 8

                            [...] Die Ausgangslage ist dabei merklich simpel, denn in der gezeigten Gesellschaftsform gibt es nichts wichtigeres als die Liebesbeziehung zu einem anderen Menschen, Singles werden in ein Hotel gesperrt und haben 45 Tage Zeit sich zu verlieben, schaffen sie das nicht, werden sie in ein Tier ihrer Wahl verwandelt und im Wald ausgesetzt. Dieses abstruse Setting zieht Lanthimos konsequent durch und nutzt es als Spielwiese für zahlreiche kreative und abgedrehte Ideen. In der dadurch geformten Welt ist es völlig normal seinen Partner anhand von oberflächlichsten Charaktermerkmalen auszuwählen (Das Paar mit Nasenbluten), für wirkliche Gefühle scheint es keinen Platz mehr zu geben und auch die Kommunikation untereinander ist zweckmäßig und von einer Unfähigkeit zu menschlicher Nähe geprägt. Herrlich ernst und unreflektiert wird dieses Weltbild von seinen Bewohner aufgenommen und selbst die merkwürdigsten Situationen führen nicht zu (Selbst)Zweifel. [...] Das ist rein inhaltlich natürlich sehr naiv aufgebaut, erhält aber gerade auf der symbolischen Ebene seine Bedeutung und zeigt in herrlich überzeichneter Form ein Spiegelbild der aktuellen Welt. In seiner parabelartigen Struktur kritisiert Lanthimos sowohl den Mensch als Beziehungsmensch, der sich aus reinem Selbstzweck eine Beziehung wünscht und seinen Partner anhand oberflächlicher Vorlieben auswählt, wie auch den ewigen Einzelgänger, der sich selbst und seine Freiheit am meisten schätzt. Mitten in dieses zweigespaltene Weltbild dringt dann jedoch ein kleines Wunder, echte Liebe, die zwar von den verblendeten Protagonisten nicht als solche verstanden wird (Stichwörter: kurzsichtig, Steakmesser!), aber in ihrem Kern genau das ist. Somit ist „The Lobster“ neben all seiner gesellschaftskritischen Brisanz vor allem auch ein Film über die kraftvollste der menschlichen Emotionen, nämlich Liebe. [...]

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                            • 6

                              Hitchcocks letzter Stummfilm ist entgegen seiner eigenen Aussage („The Manxman“ sei belanglos und nicht gelungen) eine seiner besten Stummfilmarbeiten. Die Geschichte um zwei Männer, die in ein und dieselbe Frau verliebt sind, kennen wir schon aus „The Ring“, dieses Konzept erweitert Hitchcock um zahlreiche interessante Motive. So sind beide Männer gemeinsam aufgewachsen und trotz ihrer unterschiedlichen Berufungen (Anwalt und Fischer) wie Brüder miteinander verbunden, was logischerweise zu zusätzlichen Problemen führt. Hin und her entwickelt sich das Gefühlschaos, Heirat und Kinder folgen (erwartungsgemäß sind Ehemann und Vater nicht derselbe) und das Figurenkonstrukt entwickelt sich zu einem dynamischen Durcheinander in dem untereinander Zärtlichkeiten, Gefühle (positiv wie negativ) und Geheimnisse ausgetauscht werden. Eine durchaus fesselnde Geschichte über die verräterische Gefahr der Liebe, die inszenatorisch zwar relativ lustlos abgefilmt wurde, inhaltlich aber mit einem ordentlichen Spannungsbogen punkten kann.

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                                • 8
                                  über Rubber

                                  [...] Vor allem das Alltägliche verwandelte er dabei in Irrsinn, unbedeutende Kleinigkeiten, die er jedoch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Und das immer wieder, bis seine Filme angefüllt damit ein erzählerisch komplett unsinniges Gesamtbild ergeben. Surrealismus seiner selbst wegen, Subversion von Form und Inhalt ohne erkennbaren Grund, schlichtweg weil es ihm gefällt. Dabei ist „Rubber“ wohl sein bester und auch wichtigster Film, denn darin erklärt er auf eigensinnige Weise seine filmische Überzeugung. Diese Überzeugung lautet 'Reine Willkür'. Das erklärt uns Dupieux gleich zu Beginn, in einem bewusst abstrus inszenierten Monolog macht er den Zuschauern klar, dass reine Willkür das am häufigsten genutzte Stilmittel der Filmgeschichte ist und das „Rubber“ eine Hommage an die reine Willkür darstellt. [...] „Rubber“ ist ein Werk über die Beziehung des Zuschauers zum Film, über die Wechselwirkung von Medium und Betrachter. Doch Dupieux durchbricht die vierte Wand nicht nur, vielmehr errichtet er ein Labyrinth aus vierten Wänden und wer hier wer ist wird schnell unklar. Dabei ist er gleichermaßen auch eine Allegorie auf das Konsumverhalten des Zuschauers, der zwar einerseits blind frisst was ihm vorgesetzt wird, andererseits dennoch ständig die Frage nach Logik stellt. Ein Widerspruch in sich, einer von vielen Momenten, der die Rolle des Zuschauers hinterfragt. Das interessanteste an „Rubber“ ist jedoch, dass man als Zuschauer nicht aufhören kann den tieferen Sinn zu suchen, obwohl Dupieux unmissverständlich klar macht, dass alles auf reiner Willkür basiert und man den Film nicht (über)interpretieren soll. Damit hält er dem Betrachter geschickt den Spiegel vor, verspottet ihn fast schon und dennoch erhält der Film dadurch doch eine Intention. Ein Kreis, der von keiner Partei durchbrochen werden kann und in sich selbst mindestens genauso unsinnig wie der komplette Film ist. [...]

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                                  • 3

                                    Hitchcock an seinem absoluten Tiefpunkt. Schon der belanglosen und bei zunehmender Laufzeit auch nervigen Handlung merkt man die Unlust des Regisseurs an, der von Beginn an kein wirkliches Interesse an diesem Projekt hatte. Hitchcock stufte den Film selbst als albern und nicht erzählungswürdig ein und bezeichnete ihn später auch als schlechtesten Film seiner Karriere. Ein Ansammlung plumper Witze, die beim Zuschauer bestenfalls auf Gleichgültigkeit stoßen und dadurch wunderbar zu den eintönigen und uninteressanten Charakteren passen. Selbst auf inszenatorische Spielereien scheint Hitchcock keine Lust gehabt zu haben, der Film ist zwar durchaus ordentlich abgefilmt, die Bildsprache selbst aber dermaßen bieder und einfallslos, dass sich auch beim Zuschauer ein Gefühl von Missmut über die Belanglosigkeit des Filmes breitmacht. Zurecht untergegangen, von hieran kann es nur aufwärts gehen.

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                                    • 7

                                      [...] Schon seine Erscheinung ist eigensinnig, sein Verhalten rätselhaft, stets scheint er Herr der Lage zu sein und auch in ausweglosen Situationen wirkt es so, als würde er über seinen Gegnern stehen. Toni Servillo verleiht der Figur durch sein eindringliches und authentisches Spiel zusätzliche Tiefe und schafft es zu einer glaubwürdigen Kopie des echten Andreotti zu werden. „Il Divo“ zeichnet das Bild dieses Mannes anhand einer kurzen Amtsperiode, was davor und danach mit ihm geschah wird zwar gelegentlich erwähnt, dient in erster Linie aber der Charakterisierung und ist sehr rudimentär gehalten. [...] Das liegt zu einem großen Teil an der virtuosen Inszenierung, Sorrentino versteht sein Handwerk und gestaltet seine Bild- und Tonkomposition völlig bewusst auf eine kunstvolle Weise. Aber auch das Netz aus Gesichtern, Namen und Beziehung erinnert an den Aufbau einer mafiaähnlichen Organisation. Es gleicht einem Ding der Unmöglichkeit dieses vertrackte Konstrukt vollends zu durchdringen, vorausgesetzt man ist kein Experte der italienischen Politik, aber darauf kommt es dem Regisseur auch nie an. Vielmehr will er seinen Zuschauern dadurch ein Gefühl für die Macht und den weitreichenden Einfluss Andreottis geben und in Kombination mit der gekonnten Inszenierung diese Figur ein Stück weit greifbarer und erlebbarer gestalten. Ein Versuch, der Sorrentino zu großen Teilen geglückt ist.

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                                        [...] Zwar musste er das Ende aufgrund der Studios verändern um den Ruf des damaligen Stars Ivor Novello nicht zu schädigen, trotzdem gelang es ihm ein überaus fesselndes und nervenaufreibendes Stück Kriminalfilm zu schaffen. Ivor Novello liefert als namensgebender Mieter eine extrem kraftvolle Performance und stellt gleichermaßen den Entwurf eines bei Hitchcock später immer wiederkehrenden Charaktertyps dar, den zu Unrecht Beschuldigten. Die Figur funktioniert im fertigen Film so ausgezeichnet, weil sie im Zuschauer unterschiedliche, gar widersprüchliche Gefühle auslöst. Zum einen fühlt der Betrachter natürlich mit ihm mit, zu Unrecht angeklagt, gefangen und verurteilt zu werden ist eine grundlegende Angst des Menschen mit der sich viele Zuschauer identifizieren können. Auf der anderen Seite strahlt er mit seinem ungewöhnlichen Verhalten aber auch Unruhe und Bedrohung aus, was wenn er doch schuldig ist? Der Zuschauer weiß nicht genau, was er fühlen soll und allein dadurch baut Hitchcock schon Spannung auf.
                                        Auch inszenatorisch beweist Hitchcock bereits seine enormen Fähigkeiten und bietet seinen visuell mit Abstand ausgefallensten Stummfilm, der mit zahlreichen kreativen Einfällen und technischen Spielereien (zum Beispiel einem durchsichtigen Boden) aufwarten kann. Überhaupt schafft es der Altmeister die Geschichte in erster Linie komplett durch Bilder zu erzählen und greift nur selten auf Zwischentitel zurück. So füllt er beispielsweise die ersten 15 Minuten mit einer assoziativen Bilderflut in der er Tatorte, Opfer und die Panik der Bürger beleuchtet. Nach und nach erfährt man auf unterschiedliche Art und Weise neue Informationen über den Killer, Hitchcock zeichnet das Bild einer Stadt in Angst eindrucksvoll und atmosphärisch sehr düster. [...] Über den Film verteilt arbeitet Hitchcock mit zahlreichen Symbolen, am bekanntesten wohl die Handschellen, die zuerst harmlos und spaßeshalber die Tochter der Familie fesseln und später fast zum Todesurteil des unschuldigen Mieters werden. Oder auch der wackelnden Kronleuchter im Zimmer unter dem unheimlichen Mieter, der bei der Familie Unmut und Verdacht erregt. Hitchcock arbeitet immer wieder mit Symbolen wie diesen, die vom Zuschauer instinktiv verstanden und interpretiert werden können und den Film dadurch zu einer sehr stimmigen Einheit aus Form und Inhalt verwandeln. [...]

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                                          Hitchcocks "Easy Virtue" gleicht seinem vorangegangenen Werk ("Downhill") auf fast schon erschreckende Weise. Nicht nur wurden zu einem großen Teil die selben Darsteller in ähnlichen Rollen besetzt, sondern auch die Handlung orientiert sich stark an dem sozialen Absturz aus „Downhill“. Statt eines jungen Schülers haben wir hier eine Dame, die sich nach dem Selbstmord ihres alkoholsüchtigen Ehemannes mit zahlreichen Problemen konfrontiert sieht. Die zunächst erfolgreiche Jagd nach einem neuen Mann wird von dessen misstrauischer Mutter zerstört, im Gegensatz zu „Downhill“ bekommen wir kein Happy End und die Protagonistin versinkt in Selbstmitleid. Das typische Motiv von Schuld und Sühne, in dem die Hauptdarstellerin ohne eigenes Verschulden zu einer gesellschaftlich geächteten Person wird und es letztlich auch nicht aus eigener Kraft aus diesen Tiefen herausschafft weiß stellenweise durchaus zu überzeugen, wirkt im Ganzen aber doch zu festgefahren und ereignisarm. Wirklich gelungen ist in „Easy Virtue“ eigentlich nur eine Sequenz, ein Heiratsantrag übers Telefon, bei dem der Zuschauer nur anhand der Mimik der Telefonistin den Ausgang des Gesprächs ableiten kann. Davon abgesehen bietet der Film wenig Neues, hebt sich aber durch sein stärkeres Ende etwas vom vorausgehenden „Downhill“ ab.

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