Vitellone - Kommentare

Alle Kommentare von Vitellone

  • 9

    [...] Schon in Die mit der Liebe spielen zeigt sich Antonionis Gespür für topografische Eigenheiten. Wenn sich also die von ihrer dekadenten Existenz übersättigte Reisegruppe zwischen zerklüfteten Inseln und erdrückenden Wassermassen treiben lässt, dann wird schon dort die Einsam- und Bedeutungslosigkeit ihrer Existenz deutlich. Ein Italien fernab jeder Urlaubsromantik, in dem Blicke nur aneinander vorbeigleiten, Worte bedeutungslos sind und die einzelnen Puzzlestücke nicht ineinanderpassen wollen. Blicke sprechen Bände, und was einmal verloren geht, das kann im Stillstand nicht wiedergefunden werden. Die sezierende schwarz-weiß Fotografie tut ihr übriges und lässt den Film in einer tristen, melancholischen Schönheit erstrahlen. Das Verlorengehen und die erfolgslose Suche sind Indikatoren für die ereignislosen Leben, in denen Aufmerksamkeit ein flüchtiges Gut ist und Gespräche bedeutungslos bleiben. [...]

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    • 7

      Sofia Coppolas neuester Film ist ein angenehmes Vexierspiel, komplex zwischen den Charakteren, aber schlicht genug, um sich nicht in unnötigen Wendungen oder komplizierten Umbrüchen zu verlieren. Durch und durch typisch für seine Regisseurin, möchte man meinen, denn obwohl es sich um eine Neuverfilmung des Don Siegel Films Betrogen handelt, zieht sich Coppolas Handschrift konsequent von Frame zu Frame. Dazu zählt auch, dass Die Verführten sich stellenweise stark bei Coming-of-Age Motiven bedient und sich als ebensolcher Film mehr um die Bedürfnisse adoleszenter Mädchen schärt, als den männlichen Brandherd im Hühnerstall zu beleuchten. Interessant ist auch die politische respektive historische Perspektive des Films. Denn obwohl diese auf den ersten Blick kaum vorhanden ist, offenbart sich gerade im Ausblenden des gesellschaftshistorischen Rahmens ein wichtiger Punkt. Zentral positioniert ist jedoch das (an)gespannte, sexuell aufgeladene, ebenso zuversichtlich wie kritisch beäugte Hin und Her der Mädchen beziehungsweise Frauen mit dem wahlweise gerngesehenen, geduldeten oder gefürchteten Gast. So gestalten sich die unterschiedlichen Ansprüche, Wünsche, Ängste und Sehnsüchte an den Fremden auch als Zündstoff untereinander, was das Ensemblestück zu einem angenehm abwechslungsreichen und vielschichtigen Film macht. Amüsante und pointierte Dialoge, sowie der gezielte und wirkungsvolle Einsatz von Gesten, Blicken und Berührungen tun ihr übriges, um Die Verführten zu einem angenehmen, stilsicheren und stimmungsvollen Genuss zu machen.

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      • 7

        Die Wurzel des Hasses – ausnahmsweise ist der deutsche Zusatztitel einmal wirklich Programm. Alan Parkers Film ist wohl nicht nur deshalb so erschreckend, weil es seiner Rassismus-Thematik an wahren Vergleichspunkten nicht mangelt, sondern auch, weil in seinem brachialen Aktion-Reaktion-Mechanismus eine beängstigende Wahrheit liegt. Hass zieht noch mehr Hass nach sich und Gewalt führt zu Gegengewalt. Dass diese Strategie letzten Endes die einzig erfolgreiche ist, um gegen den dominierenden Rassismus der Südstaaten vorzugehen, könnte man als fragwürdig betrachten. Erstaunlicherweise gelingt es dem Regisseur jedoch diese Tatsache eher als schmerzliche Erkenntnis, als als zukunftsorientierte Lösung zu verkaufen und so halten sich die Bedenken in Grenzen. Doch auch der Haupttitel könnte passender nicht sein, denn es sind vor allem die Bilder von brennenden Häusern, schreienden Menschen, zerstörten Existenzen, die sich während der Sichtung des Films einbrennen. Überhaupt ist der Film nicht nur eine Lehrstunde in Sachen Atmosphäre, sondern präsentiert darüber hinaus Gene Hackman und einen erstaunlich jugendlichen Willem Dafoe in Bestform. Und über den Spannungsaufbau brauchen wir ohnehin nicht zu reden, denn inszenatorisch bewegt sich Mississippi Burning auf dem Höhepunkt konventioneller Spannungsdramaturgie. Moralisch lupenrein ist der Film sicherlich nicht, doch angesichts seiner Stärken blickt man gerne über einige charakterliche Ungereimtheiten hinweg.

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        • 7

          Eine alte Villa im Süden Frankreichs, eine Ansammlung wohlgeformter junger Mädchen und ein rätselhaftes Verschwinden, das alles ins Rollen bringt. Auf den ersten Blick mutet Das Versteck wie ein recht typischer Horrorfilm an, der seinen optisch ansehnlichen Cast Stück für Stück dezimiert, eher das Unschuldslamm der Gruppe die Identität des Mörders aufdeckt und in einem denkbar knappen Showdown die Oberhand behält. Eine Erwartungshaltung wie diese zerschmettert der Film von Narciso Ibáñez Serrador jedoch alsbald, denn früh wird klar, dass sich Das Versteck weniger um blutige Mordsequenzen und plumpe Gewaltspitzen schert, als vielmehr seine einnehmende Atmosphäre und das bewusste Spielen mit der Erwartungshaltung des Zuschauers in den Mittelpunkt rückt. So ist auch die Handlung nicht am Abhaken typischer Genremotive interessiert, sondern überzeugt ebenso durch seine gesellschafts- und zeitgeistkritische Note wie durch seine bewusste Reflektion über fehlgeleitete, aufgestaute und unterdrückte Sexualität. Das nicht immer dezente Ergötzen an den aufreizenden Körpern der jungen Damen versetzt den Zuschauer in die Position des Killers, Peeping Tom und Psycho lassen grüßen. Und wenn wir die Referenzkiste schon einmal geöffnet haben, dann sei zudem angemerkt, dass es sich atmosphärisch und stilistisch um eine interessante Zwischenstufe aus Gothic-Horror und Giallo handelt, für den Das Versteck zweifellos wegbereitend war. Ein intelligenter, wirkungsvoller und stilprägender Eintrag ins Genrebuch, der eigentlich zum kleinen Einmaleins des Horrorkinos zählen sollte. Ein versteckter Klassiker des spanischen Films, der verbissen an seinem Status als Geheimtipp festhält, weil eine größere Zuschauerschaft trotz wiederkehrenden Lobpreisungen ausbleibt.

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          • 8

            [...] Die allgegenwärtig präsente Symbolik des Films ist alles andere als subtil und wird von Bergman bewusst als zentrales Element verwendet. So handelt es sich bei den recht archetypischen Nebenfiguren in erster Linie um bestimmte Lebens- respektive Glaubenseinstellung, die vom Regisseur als personifizierte Metapher für ihre jeweiligen Standpunkte eingesetzt werden. Als filmische Reflektion ist diese aufdringlich aggressive Taktik natürlich riskant, wird die abstrakte Konzeption doch sicherlich nicht jeden Zuschauer abholen. Als Aussage über Bergmans eigenes Filmverständnis ist sie jedoch höchst interessant, denn in gewissem Maße treibt er mit Das siebente Siegel viele Kernthematiken und Herangehensweisen seiner späteren Filme bereits auf die Spitze und so wirft der Film seinen monumentalen Schatten auf die folgende Karriere des Meisters. [...]

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              • 6

                Der beste Film des 21. Jahrhunderts. Punkt.

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                • 7

                  [...] Die Grenze lässt sich nur schwer ziehen, immerhin hängt der Film einerseits stark dem Italienischen Neorealismus mit seinen typischen Stilmitteln und Merkmalen nach, während er andererseits thematisch den Weg für Antonionis spätere Filme ebnet. Denn obwohl Der Schrei soziale Missstände in der vom vergangenen Krieg geplagten Unterschicht Italiens thematisiert, geht es mindestens genauso um die Unmöglichkeit der menschlichen Existenz. Um eine sinnlose Sinnsuche, die letztlich weniger mit Psychologie, als mit Poesie zu tun hat. Antonioni begibt sich auf die Straße, dreht sich spiralförmig im Kreis und landet letztlich doch nur dort, wo er angefangen hat. So ist es in diesem Fall der einfache Arbeiter Aldo (Steve Cochran), der von seiner Geliebten den Laufpass bekommt und sich fortan allein mit der gemeinsamen Tochter durchschlagen muss. So ziehen die beiden von Dorf zu Dorf, Unterkunft zu Unterkunft und Job zu Job. Durch diesen monotonen Ablauf verdeutlicht Antonioni die erfolglose Suche nach Geborgenheit und Heimat, nach einem Leben mit Sinn. Die Welt steht Aldo offen, doch wohin soll er schon gehen, wenn überall nur die gleichen Konstanten – Entfremdung und Leere – auf ihn warten. Auch die kargen und dreckigen Landschaften nehmen dabei eine spezielle Rolle ein, dienen diese doch als Manifestation von Aldos Innenleben. Als poetisches offenbartes Sinnbild einer inneren Orientierungslosigkeit - in Bezug auf ihn selbst, wie auch auf andere. [...]

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                  • 2
                    • 8

                      [...] Szenen einer Ehe bewegt sich hauptsächlich in jenem unbestimmten Spannungsfeld, dass beinahe jedem Zuschauer schmerzlich bekannt sein dürfte. Der schwierigste Moment einer Liebesbeziehung ist nicht ihr endgültiges Ende, sondern die vorausgehende Ungewissheit, in der Vertrauen und Zuneigung langsam bröckeln. Jene Zeit des Zweifels, in der man weder vor noch zurück weiß und jede Entscheidung als Fehler ansieht. Ingmar Bergman versteht sich gekonnt darauf genau diese Phase in ein filmisches Gewand zu kleiden, welches sich in erster Linie durch durchgehende Nahaufnahmen und tiefschürfender Dialoge auszeichnet. Beinahe unerträglich langsam gibt er sich dem Hin und Her einer scheiternden Ehe hin, beginnt mit Rissen in der Oberfläche, die sich alsbald zu unüberwindbaren Gräben entwickeln. [...] Marianne und Johan stoßen sich ebenso ab, wie sie sich anziehen. Die Folge ist ein breites Gefühlsspektrum aus Selbsthass, Zweifel, jäh aufkeimender Glückseligkeit, Einsamkeit und zärtlicher Zuneigung, die Bergman in aller Intensität auf den gebannten Zuschauer überträgt. So ist Szenen einer Ehe ein Film, der sich auch durch seinen inneren Stillstand artikuliert. [...]

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                      • 7
                        über Passion

                        [...] Wie so oft versammelt Bergman seine üblichen Verdächtigen um sich. Sven Nykvist (Der Mieter), Stammkameramann und Virtuose der Lichtgebung fängt auch Passion in unglaublich präzisen Bildern ein, die sich wie von selbst auf die Netzhaut des Zuschauers zu brennen scheinen. Dazu Max von Sydow (Hannah und ihre Schwestern), Liv Ullmann (Herbstsonate) und Bibi Andersson (Szenen einer Ehe) vor der Kamera, aus denen Bergman wie gewohnt das Maximum herausholt. Vor allem in deren ausdrucksstarken Gesichtern findet er einen Spiegel für deren vielschichtige und komplexe Gefühlswelt. Auch deshalb sucht der Regisseur wie so oft Closeups, in denen der emotionale Gehalt der jeweiligen Momente vollends klar wird. Formal kann man dem Film wenig vorwerfen, Bergman verlässt sich auf sein gewohnt wirkungsvolles Handwerk und schafft es dabei auch routiniert eine Symbiose mit dem Inhalt des Werkes herzustellen. [...] Auch thematisch bleibt sich der schwedische Regisseur treu. Persönliche Traumata, einschneidende Erlebnisse und Unbeständigkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen sind der emotionale Brennstoff, der Passion am Leben erhält. Die einzelnen Figuren werden stark als eben genau das begriffen, einzelne Individuen, die egal wie sehr sie sich auch nach Liebe, Zusammenhalt und Zuneigung sehnen, ein einsames Dasein fristen. Bergman wühlt im Seelenleben dieser ohnehin bereits vom Leben geplagten Figuren und gibt sich für seine Verhältnisse erstaunlich hoffnungslos. [...]

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                        • 8

                          [...] So nutzt der italienische Meister recht abgenutzte und ausgebleichte Farben, die jedoch immer wieder von absurd kräftigen, surreal anmutenden Akzenten dominiert werden. Dabei geht es ihm in erster Linie darum, die Entfremdung und Sinnlosigkeit in einer industriell geprägten Welt hervorzuhebenden, aber gleichzeitig eine gewisse Faszination in dieser Wahrnehmung zu finden. Präziser ausgedrückt handelt es sich bei der porträtierten Welt um die grauen Fabriken, massiven Silos, feurigen Öfen und rauchenden Schlote im Hafengebiet Ravennas und bei der dargestellten Gefühlswelt um die der sensiblen Giuliana (gewohnt grandios von Antonionis Muse Monica Vitti gespielt), welche zusehends die Haftung sowohl zu ihrer Familie als auch zu ihrer Umwelt verliert. [...] Damit konkretisiert Antonioni weiterhin sein Leitthema der menschlichen Entfremdung, welches sich schon konsequent durch seine vorausgegangene Trilogie gezogen hat (Die mit der Liebe spielen, Die Nacht und Liebe 1962). Woran soll der Mensch noch glauben, wenn alles um ihn herum zusehends jegliche Form und Kontur, allen Sinn verliert? Die rote Wüste liefert darauf keine Antwort, zumindest keine tröstliche. Denn letztlich bleibt nur die Akzeptanz jenes Zustandes, der sich emotionalen und sozialen Bindungen beinahe gänzlich verweigert und das Leben in ein lust- und liebloses Dasein verwandelt. Was bleibt ist der poetische Funke, jene traurige Schönheit, die Antonioni seinen Filmen nichtsdestotrotz stets abringen kann und sich auch in der ehrlichen Begeisterung seiner Stoffe wiederspiegelt. [...]

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                          • 0

                            [...] So nimmt die Fragwürdigkeit der narrativen Konstruktion von Minute zu Minute weiter zu und möchte man eine Kernaussage aus dem Film destillieren, so lautet diese vermutlich, dass Frauen auch stark sein können, wenn sie sich nur so gut wie möglich ihren männlichen Gegenstücken angleichen. Im Laufe der zweistünden Mannwerdung von Demi Moore leistet sich Die Akte Jane eine fragwürdige Entgleisung nach der anderen. Der Film von Ridley Scott ist ein Spießrutenlauf durch antisemitische, rassistische und homophobe Äußerungen, menschenverachtend bis ins Mark und in seiner pathetischen Darstellung des amerikanischen Militärs so bedenklich wie kaum ein anderer Film der letzten 25 Jahre. Auch wenn der Film im Vorfeld wahrscheinlich nicht gezielt darauf abgezielt hat, so ist dieses Propagandawerk doch ein einziges Sammelsurium an moralischen und ethischen Unmöglichkeiten. [...]

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                            • 3

                              [...] Mit einem Film hat Die schönen Tage von Aranjuez dabei herzlich wenig zu tun. Seine äußerst schwerfällige Wirkung würde das Werk auch für Blinde entfalten, denn seine einzige Ausdrucksform ist das gesprochene Wort. Wie ein Wasserfall plätschern diese Dialogzeilen vor sich hin, ohne Bruch und ebenso monoton wie die nicht enden wollenden Wassermassen. Dabei schaltet auch der Zuschauer schnell auf Durchzug, denn was auf literarische Ebene womöglich herrlich funktioniert, lässt sich kaum wirkungsvoll in ein filmisches Korsett stecken. So ist Die schönen Tage von Aranjuez ein Musterbeispiel für die unterschiedliche Wirkungsweise von Film und Buch. Leider jedoch ein sehr negatives, denn der Film gehört wohl zu den Werken des Altmeisters, die man am liebsten direkt wieder vergessen würde. [...]

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                              • 9

                                [...] Schon eine kurze Zustandsbeschreibung der Situation offenbart den symbolträchtigen Gehalt des Films. Als ein Lehrer und Hobbyinsektologe den letzten Bus in die Stadt verpasst, bleibt ihm nichts Anderes übrig, als bei einer einheimischen Frau in der Wüste zu übernachten. Doch die freundliche Einladung war eine Falle und so sieht sich der Mann dazu genötigt, Tag für Tag nachrutschende Mengen an Sand vom Haus fernzuhalten. Teshigahara kleidet diese simple Geschichte in eindrucksvolle Bilder, welche über eine unglaublich direkte und eindringliche Wirkung verfügen. Je nach aktueller Stimmung nimmt das existenzialistische Drama horrorartige Züge an oder gibt sich leidenschaftlich romantischen Momenten hin. Und das stellenweise sogar zeitgleich, was sich auch auf die eigensinnige Atmosphäre des Films niederschlägt. Gerade diesen Wagemut lassen die meisten Filme vermissen und so liegt eine gewisse Freizügigkeit und Willkür in den Bildern, was dem Werk zu seinem treibenden Rhythmus verhilft. So erzählt Die Frau in den Dünen in erster Linie von einem Leben abseits von Normen und Zivilisation, das sich nichtsdestotrotz gewissen Regeln und Statuten unterwerfen muss. Freiheit und Selbstbestimmung als Illusion, Leben als sinnloser Wiederholungmechanismus aus dem es kein Entkommen gibt. Und dennoch ist der Film in seiner Ehrlichkeit kein niederschmetterndes Werk, denn mittendrin keimen immer wieder jene Momente auf, die sich für Liebe und Zusammenhalt aussprechen. Ein Meisterwerk aus Sand und Schweiß, das in hypnotischen schwarz-weiß Bildern vom Leben selbst handelt, seinen Zuschauer ungefragt in eine andere Welt zieht und weit über die zweieinhalb Stunden Laufzeit begleitet. [...]

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                                  über Phoenix

                                  (Nach)Kriegskino – die schmerzende Achillessehne der deutschen Filmlandschaft. Es sind die immer gleichen Bilder in tristem grau, zerstörte Häuserfronten, geschundene Körper, traumatische Flashbacks. Christian Petzold verweigert sich dieser Ikonografie konsequent. Auch wenn man seine zurückhaltende, aber sehr präzise Inszenierung fälschlicherweise mit deutscher Fernsehfilmoptik verwechseln könnte, so unterwandert er gekonnt den gängigen Bildkader solcher Produktionen. Es dauert lange, bis die ersten Aufnahmen altbekannter Trümmer ins Blickfeld rücken, und selbst in diesen Momenten dominieren sie nicht das Bild, sondern treten in Wechselwirkung mit deutlich unverbrauchteren Motiven auf. So verströmt ein rotlichtgeschwängerter Nachtclub eine fast schon pulsierende Atmosphäre und überhaupt offenbaren sich in der Arbeit mit Licht und Schatten diverse Anleihen an eine Film Noir Stilistik (die Ähnlichkeiten zu Hitchcocks Vertigo sollten darüber hinaus ohnehin jedem Zuschauer ins Auge stechen). Das ist erfrischend, noch interessanter wird Phoenix jedoch auf der inhaltlichen Ebene. Thematisch nutzt Petzold die Aufarbeitung des Kriegstraumas nämlich zur Reflektion über Identität und Verdrängung. Was viele als Logikfehler abtun, ist in Wirklichkeit eben nur das Symptom eines Verdrängungswahns, der krampfhaftem Sehnsucht danach, das Vergangene zu Vergessen. So zumindest bei Johnny, während Nelly unentwegt daran interessiert ist, die Vergangenheit bewusst aufzuarbeiten. Immer wieder klammert sie sich an frühere Zeiten, hält bis zum intensiven Finale daran fest, bis sie sich schließlich davon lösen kann.

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                                    • 6

                                      [...] Formell betritt die Dokumentation dabei kaum Neuland. Regisseurin Belz bedient sich den typischen Mitteln der personellen Aufarbeitung, sprich Interviews, Archivmaterial und markante Zitate über recht austauschbaren Hintergrund. Dazwischen bewegt sich die Kamera auf Erkundungstour durch den Arbeits- und Lebensraum des eigensinnigen Autors. Mit seinem gemächlichen Tempo, der unaufgeregten Inszenierung und der stimmungsvoll dominierenden Ruhe gelingt es Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte… jedoch gelungen die Eigenheit und das Wesen Handkes einzufangen. Dessen lange, rhythmische Sprache und thematische genaue Bescheidenheit wie auch Menschlichkeit bringt die Dokumentation gekonnt zum Ausdruck, ebenso wie sie weniger gewandte Zuschauer informativ, aber nicht überladen in das Leben und Wirken Handkes einführt. [...] Als Gesamtwerk strahlt der Film dennoch eine gewisse Austauschbar- und Beliebigkeit aus. Gerade diejenigen Zuschauer, die sich weniger für Handke interessieren, könnten aufgrund der gemächlichen Stimmung schnell den Anschluss verlieren und wenig Sinn in der Dokumentation sehen. Denn auch wenn sich Belz wohl selbst als Erforscherin Handkes Innenleben sieht, so findet sie wenig, was nicht ohnehin offensichtlich ist und leicht aus dessen Werken rückgeschlossen werden könnte. So ist Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte… mit Sicherheit ein Nischenfilm, der sein kleines Publikum finden wird – oder wahrscheinlich schon gefunden hat. Für die Mehrheit wurde dieser Film jedoch nicht gemacht und auch Handke-Kritiker dürften ihre Vorurteile in dem Film zumindest teilweiße bestätigt sehen. [...]

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                                      • 8

                                        [...] Beeindruckend ist jedoch auch die Leidenschaft und der Wille Jodorowskys, den er in sein Projekt steckte. Dabei darf durchaus angezweifelt werden, ob seine einseitige Nacherzählung allen belegbaren Fakten standhält, doch ist es gerade diese Selbstdarstellung, die mehr über ihn verrät, als ihm möglicherweise lieb ist. So ist Jodorowsky's Dune eben nicht nur die Geschichte eines Films, sondern vor allem ein Einblick in dessen Regisseur. Und der bietet natürlich auch den nötigen Unterhaltungswert, wenn er verrückte Anekdoten, drogengeschwängerte Erfahrungen und durchaus fragwürdiges Gedankengut von sich gibt. Mit Sicherheit einer der besten Dokumentationen über das Filmemachen. [...]

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                                          [...] Auch wenn die Besetzung zunächst auf kurzweilige Unterhaltung hoffen lässt, so werfen schon die ersten Minuten einen düsteren Schatten über die gesamte Produktion. Sowohl Simmons als auch Hirsch sind zwar gewohnt professionell, aber weder sonderlich begeistert noch wirklich interessiert bei der Sache. So schleppen sich beide recht halbherzig durch den spitzbübischen Spießrutenlauf, welchen das dröge Narrativ vorgibt. Die komödiantische Spannweite reicht dabei von peinlich berührter Fremdscham über ein müdes Lächeln bis hin zu leichtem Schmunzeln, wobei die Gewichtung deutlich stärker auf ersteren Momenten liegt. In die katastrophalen Gefilde so mancher US-Komödie der letzten Jahre rutscht The Runaround – Die Nachtschwärmer dabei zwar nie wirklich ab, ordentliches Filmemachen sieht jedoch anders aus. Formal einfallslos, auf dem Papier bestenfalls bemüht und unterm Strich einfach zu altbacken, um selbst den unerfahrensten Zuschauer für sich einzunehmen. [...]

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                                          • 3

                                            [...] Von Beginn an ertränkt Speed Racer seine Zuschauer in einer gigantischen Welle aus quietschbunten Farben, absurden Effekten und nervtötender Hyperaktivität. Die Adaption der kultigen Animevorlage artikuliert sich beinahe ausschließlich über seine Form, malträtiert den Betrachter so lange, bis er aus Verzweiflung Regenbögen kotzt und mit einem epileptischen Anfall vorm Fernseher zusammenbricht – vorausgesetzt er hat sich nichts bereits zuvor die Augen aus dem Kopf gekratzt. Der Wahnsinn der Wachowskis (Matrix) hat natürlich System, ist einerseits gewiss das Ergebnis einer großen Leidenschaft und möglicherweise auch kreativer Ausdruck ihres Selbstverständnisses. Anderseits weist der fertige Film auch ausführlich daraufhin, dass dieses Verständnis maximal fehlgeleitet ist und weit über die Grenzen guten Geschmacks hinausreicht. Denn auch wenn die Geschwister dadurch die Grenzen des gängigen Mainstreams sprengen, ändert das nichts an der Tatsache, dass ihr in Zuckerwatte gekleidetes Endprodukt über die Maße hässlich und ausdruckslos ist und sich darüber hinaus noch seltsam steril und emotionslos anfühlt. [...]

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                                            • 6

                                              [...] Die Weibchen ist ein Kind seiner Zeit. Das zeigt sich schon in den ersten Szenen, wenn eine junge Uschi Glas durchs Fischaugenobjektiv beobachtet in einer Kurklinik für Frauen eintrifft und dann alsbald mit halbnackten Männermörderinnern konfrontiert wird, die in psychedelischen Sequenzen ihre BHs verbrennen und dabei lüsterne Blicke auf ihre anreizenden Körper lenken. Unter dem platten Symbol der Gottesanbeterin entwickelt der Film aus seiner emanzipatorisch sicherlich gut gemeinten Prämisse jedoch schnell eine gegensätzliche Wirkung. Denn auch wenn die männlichen Figuren kaum schmeichelhaft in Szene gesetzt werden und in erster Linie als wahllose Mordobjekte herhalten müssen, werden die titelgebenden Weibchen nicht weniger auf ihre Körper reduziert. Beim Ausstellen der prallen Brüste und knapp bekleideten Körper seiner verführerischen Schönheiten scheint Brynych seine mit Abstand größte Freude gefunden zu haben – und dabei scheint es auch eindeutig, welche Zielgruppe der Film damit ansteuert. Nichtsdestotrotz weiß Die Weibchen als trashiges Genrewerk durchaus mit amüsanten und effektiven Momenten aufzuwarten. Der experimentelle Ansatz der immer wieder herrlich ungezügelten Kamera überzeugt formal ebenso, wie es manche selten dämlichen Dialoge auf der Humorebene tun. Sicherlich ist der Film längst aus der Zeit gefallen und mittlerweile kaum mehr ernst zu nehmen (obwohl durchaus bezweifelt werden darf, ob er das jemals war), in seiner Sonderbarkeit aber durchaus einen Blick für aufgeschlossene Zuschauer wert. Gut gemeint, ansprechend umgesetzt, aber letztlich doch gescheitert. Die Weibchen lohnt schon allein aufgrund seiner Eigenständigkeit, denn geeignetes Referenzmaterial lässt sich nur schwerlich herbeiziehen. Ein interessantes Werk, kein gutes, aber definitiv ein sehenswertes. [...]

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                                                [...] Die junge Ärztin Jenny spielt sie mit einer Mischung aus unverbrauchtem Idealismus und alltäglichem Charisma, was sie fast schon einen Tick zu einnehmend für die unscheinbare Figur macht. In ihrer aufopferungsvollen Hingabe für ihre Tätigkeit als Ärztin trägt sie Teile einer sehr naiven, aber durchaus liebenswerten Weltretter-Mentalität in sich, und dennoch handelt der Film vor allem von persönlichen Problemen. Denn in der investigativen Suche nach dem Namen des toten Mädchens liegt weniger der Drang das „richtige“ zu tun, sondern vielmehr die Hoffnung sich von eigenen Schuldgefühlen reinzuwaschen. So ist Das unbekannte Mädchen vor allem in der ersten Hälfte ein interessant erzähltes Drama, weil die Dardenne-Brüder nah bei ihrer Hauptfigur bleiben und deren Alltag langsam mit nagender Schuld durchwirken. Vieles wird nur angedeutet, kurz gezeigt, aber weder kommentiert noch ausgeführt, was einen interessanten Blickwinkel auf die Protagonistin erlaubt. Auf gewohnt natürliche, fast schon dokumentarische Art inszeniert, fungieren Kamera und Schnitt in erster Linie als bloße Bestandsaufnahme, gleichsam jedoch immer dazu bereit in den entscheidenden Momenten das gezielt einzufangen, was es einzufangen gilt. Ein Stil, der seine Wirkung verfehlt, wenn in der zweiten Hälfte vermehrt Kriminalelemente zum Einsatz kommen und es eben auch darum geht eine äußerliche Spannung aufzubauen, die mit den inneren Konflikten von Jenny konkurriert. [...]

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                                                  [...] Auch The Edge of Seventeen greift mit der vom Leben überforderten Außenseiterin ein beliebtes Motiv auf, das im späteren Verlauf des Films durchaus ansprechend variiert wird. So werden bestimmte Handlungsschablonen und bekannte Charaktertypen nicht unerwartet, aber doch erfrischend, aufgebrochen, was es dem Werk erlaubt sich ein Stück weit von verwandten Filmen abzuheben. Das funktioniert nicht immer, rechtfertigt aber wohl vor allem für genreaffine Zuschauer durchaus eine Sichtung. Speziell gegen Ende zollt dann die unnötige Gefühlsduselei ihren Tribut. Die vermeintlichen Probleme lösen sich in Wohlgefallen auf und die Figuren dürfen in ihre heile Welt zurückkehren. Das ist gemessen an der Erwartung zwar nur konsequent, in Hinblick auf den kompletten Film aber auch reichlich nichtssagend. Überhaupt bewegt sich The Edge of Seventeen in jenem Mittelmaß, dem man zwar vorbehaltslos einen ganz-nett Stempel aufdrückt, welches aber kaum Impulse setzt, die über 90 mehr oder weniger belanglose Minuten hinausreichen. [...]

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                                                    über Okja

                                                    [...] So versteht sich die Welt von Okja als eine überaus globalisierte, in der Sprachbarrieren mühelos überwunden werden und die Gesellschaft längst über etwaige Grenzen hinausdenkt. Da erscheint es zunächst nur konsequent, dass auch der Film eine wilde und eigenwillige Mixtur aus diversen Anleihen und Thematiken darstellt. So prallen actiongeladene Verfolgungsjagden auf emotionale Heimatfilmmomente und die gesellschaftskritische Satire treibt ein fröhliches Wechselspiel mit dem fast schon kitschigen Familiendrama. Ein interessantes Konzept, das leider nur bedingt aufgeht. So ist Okja vor allem in der ersten Hälfte ein wunderbar einnehmender Film, der emotional mitreißende Momente mit herzlich aufkeimendem Humor verbindet. Gerade zu Beginn konzentriert sich der Film auf die Beziehung zwischen dem jungen Bauernmädchen Mija (Seo-hyeon Ahn) und dem genmanipulierten Riesenschwein Okja, das angesichts des überschaubaren Budgets erstaunlich gut animiert wurde. In ihrem simplen Zusammensein in der Wildnis und der herzzerreißenden ersten Trennung findet Bong bereits die wirkungsvollsten Momente seines Films. Auch später kann das Werk immer wieder für memorable Augenblicke sorgen, doch gerade in der zweiten Hälfte ist es dermaßen holprig und ungeschickt erzählt, dass man mindestens ein Auge zudrücken muss. [...] etztlich erweist sich die Eigenproduktion von Netflix als ein Film, der alles auf einmal sein will, anstelle davon, sich auf seine eigenen Stärken zu berufen. Gerade die satirische Kritik an Kapitalismus, Massentierhaltung und Genmanipulation erscheint angesichts der eigenen Ambitionen viel zu platt und oberflächlich, ebenso wie es das versöhnliche Ende verpasst, ein Ausrufezeichen in diese Richtung zu setzen. Okja bleibt damit sicherlich ein interessanter Film, weil er abseits gängiger Normen operiert und sich allein als Projektionsfläche kreativer Ideen als sehenswert erweist. Gerade die narrativen Schwächen der zweiten Hälfte kann der Film jedoch kaum mit seiner glänzenden Fassade überdecken, denn dafür ist er stellenweise schlichtweg zu geschwätzig, aufdringlich und direkt. [...]

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