Deciuscaecilius - Kommentare

Alle Kommentare von Deciuscaecilius

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    Deciuscaecilius 17.04.2023, 22:54 Geändert 17.04.2023, 23:02

    This party will be the most exciting ever given.
    Rope von 1948 ist Hitchcocks erster Film in Technicolor und gleichzeitig eine frühe Variante von Aufnahmen in long takes. Es ist ein klassischer an Theaterstücke angelegter Krimi mit psychologischen Komponenten. Ein Film in einer Wohnung, mit wenigen Schnitten und begrenzt auf die „reale Zeitspanne“ einer Party in New York. Der Film ist damit ein großes Experiment, das sicher ein Wahnsinn für alle Beteiligten war aber so ist auch ein Kunstwerk entstanden.
    Wir sehen neun Menschen in einer Wohnung, zwei davon sind Mörder, 5 Bekannte und Angehörige des Opfers, einer ein Professor mit ausgeprägten analytischen Fähigkeiten und natürlich das Opfer selbst, dass den Film mit allen anderen im selben Raum verbringt.
    Farley Granger als Phillip Morgan und John Dall als Brandon Shaw spielen ein schwules Pärchen und sind die Mörder, wie wir gleich am Anfang des Films erfahren. Dall dominiert den Film mit einer überbordenden Unmoral, aufbrausend, arrogant und dominant. Er gibt einen Unsympathen vor dem Herrn und er macht das so großartig, er spielt und lebt im Rausch des letzten Abends. Man weiß nie, ob er erwischt werden will oder ob er so unglaublich eitel ist, dass er die Gefahr nicht sehen will. Sein Gefährte Granger kann da aber mithalten, indem er das Gegenteil spielt, er ist der unsichere Part der Beziehung, ängstlich, erregt und nervös von seinem Partner, dem Mord und der unmöglichen Situation während der Party. Auch das ist große Theaterkunst.
    Who is the cat and who is the mouse?
    Dann ist da noch der große Gegenspieler und vielleicht auch eine Hoffnung auf Unterstützung im Geiste, in Person von James Stewart als Rupert Cadell. Stewart spielt seine Rolle überlegt, mit kleinen Gesten und viel Abwägung, um dann immer wieder umso beeindruckender vorzuspringen und die Situation an sich zu reißen. Wie immer wirkt er so, als hätte er ständig einen Kaugummi im Mund, aber er erdet die Gruppe angenehm. Ganz speziell gibt er uns den philosophischen Hintergrund. Den Rest der Gruppe könnte man jetzt auch noch einzeln loben aber nur so viel: Das ist ein tolles in sich geschlossenes Ensemble.
    Murder is Art.
    Nietzsches Übermensch ist oft falsch verstanden worden, aber selten wurde dem so furios widersprochen wie hier. Es gibt ihn nicht diesen höheren Menschen und schon gar nicht da, wo man sich das besonders eifrig einbildet. Ein Mensch ist immer gleich viel wert und niemand hat das Recht, das infrage zu stellen. Es gibt sie aber die Mentoren, die hohen bewunderten Männer zu dessen Füßen die Jungen lauschen und die in ihrer Langeweile mit gefährlichen Gedanken spielen. Mag es für sie ein Spiel sein, kann es in geltungssüchtigen Menschen Schreckliches bewirken. Manchmal muss man seine Lektion auf die harte Tour lernen.
    Celebrating a party with food on the coffin.
    Vielleicht kann man dem Film vorwerfen, nur ein abgefilmtes Theaterstück zu sein. Hitchcock tut aber alles, um den Eindruck zu vermeiden, die Kamera jagt die Protagonisten durch die Räume und durch sich im Hintergrund verschiebende Mauern, sie lauert am Tisch, wenn unheilvoll abgeräumt wird, sie kauert zwischen den Partygästen, wenn düstere Philosophie betrieben wird und sie fängt den Tag ein, helles Licht, einen roten Sonnenuntergang und tiefste Nacht, in der die Wahrheiten wachsen können. Es ist große Filmkunst, obwohl es nur Theater ist, weil man es so elegant komponiert selten sieht.
    The cigarette after murder.
    Da wäre dann noch der Elefant im Raum, das Unausgesprochene der homosexuellen Beziehung der beiden Mörder. Es ist ein Unikum für einen Film von 1946 und natürlich wird hier nichts ausgelebt, nicht mal etwas ausgesprochen aber doch sind da diese beiden Jungs mit dem einen Schlafzimmer, ihrer ständigen Nähe und den kleinen Andeutungen. Warum hat sich Hitchcock zwei Homosexuelle für die Rollen gesucht und warum hat er sie das dann auch noch spielen lassen? Ich weiß es nicht und ich wüsste auch nicht, dass Hitch es je erklärt hätte. Vielleicht war es ein Spaß, eine weitere Ebene um Spannung zu erzeugen, vielleicht auch eine Botschaft in einem Film über Toleranz vs. Intoleranz. Die Beteiligten scheinen jedenfalls heute froh über den Film und Hitchcock Art zu sein, mit der er Ihnen gegenübergetreten ist, also geht es als Besonderheit in die Filmgeschichte ein und als ein weiteres Mal in dem Hitch den allmächtigen Code, die Hollywoodzensur, ausgetrickst hat.
    Was bleibt, ist ein brillanter Film der nicht den Leumund hat, den er verdient. Der Film hat Tempo, Spannung, eine klare Botschaft, einen Villian schlimmer als der Joker, ein großartiges Ensemble und er sieht immer noch super aus. Es ist ein Meisterwerk der Filmgeschichte.

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      Notorious ist ein schwarz-weißer Agententhriller aus dem Jahr 1946. Er markiert eine kurze Periode in denen deutsche Nazis außerhalb von Kriegshandlungen Bösewichte in Hollywood waren. Es gilt hier also eine Verschwörung aufzudecken und dabei natürlich eine, durch die Umstände verkomplizierte Romanze, durchzuziehen. Notorious gehört allein durch seine Besetzung zu den großen Filmen Hitchcocks.

      Ingrid Bergman spielt Alicia Huberman ein Partygirl mit deutschem Spion als Vater und einer ausgeprägten Leidenschaft zur Selbstzerstörung. Bergmann spielt diese ersten Szenen des betrunkenen Wahnsinns mit Leidenschaft und voller Energie, wie sie dann auch die tiefen verzweifelten Momente des Agentendaseins lebt und sie ihre Liebesschwüre zelebriert. Es ist ein schauspielerisches Statement. Hier außerdem brillant aufgefangen durch Cary Grant als Devlin, der Alicia zugeteilte FBI-Agent. Es ist eine ungewöhnlich und beeindruckend kalte Darstellung, die einen kaputten Mann zeigt, der zwar kurzzeitig in Liebe aufgehen kann, aber auch hier immer passiv bleibt, dann aber außerdem verstörend harsch wird, sobald es nicht nach Plan läuft. Die Darstellung ist etwas an der man, und besonders Bergman, sich abarbeiten kann.

      Dazu kommt noch das ebenso beeindruckende Duo der Bösewichte, Claude Rains als Alexander Sebastian und Leopoldine Konstantin als Madame Anna Sebastian. Rains hat die Aufgabe einen verletzlichen und schwer verliebten Bösewicht zu geben und Konstantin die eine wirklich hintertrieben böse Figur im Film zu sein. Beiden machen das wunderbar. Speziell dieser traurige Bösewicht mit Mutterkomplex ist eine interessante Figur im Film, nicht das freudsche Komplexe etwas Seltenes in Hitchcocks Filmen wären, aber die ambivalente Darstellung des Antagonisten wirkt ungewöhnlich modern und ist reizvoll. Seine Liebe ist so pur, dass Mutti es richten muss.

      Der Film ist wunderbar ausgestattet und hervorragend gefilmt, Schatten, Bewegung, Sichtlinien und beeindruckende Bilder der Overhead Kamera sind hervorragend komponiert und imponieren noch heute. Bergmann präsentiert ikonische Kleider und funkelnden Schmuck, dieser Film ist ein Fest für die Augen. Eine große Rolle im Film spielt das Trinken in Form der Droge und der Bedrohung. Eine für die Zeit merkwürdige Konstruktion, wie hier mit Rausch und Verzicht umgegangen wird, ein relevanter, aber unterschwelliger Kommentar.

      Inhaltlich ist es wie häufig bei Hitchcock, die eigentliche Verschwörung ist nur ein MacGuffin, es geht um die Ménage-à-trois, in dessen Mitte Alicia steht. Wir sehen einen Film, in dem die Männer eine Frau kontrollieren und gleichzeitig in Liebe zu ihr verfallen. Es wirkt als wäre das der Ausgleich für die Verachtung, welche die Männer ansonsten diesem Partygirl entgegenbringen würden. Man sieht hier einen James Bond Film aus der Sicht des Bondgirls und mit all dem Leid das ihr diese Situation zwangsläufig bringen muss. Das ist das spannende an Hitchcocks Filmen, es sind die Bedrohungen, die den Amateuren drohen weniger den Profis. Es sind die Jedermanns deren Emotionen im Feuer der Abenteuer entfacht werden, so entsteht Spannung durch eine Einschränkung der Möglichkeiten.

      Alles hätte schnell vorbei sein können, wenn Männer zu ihren Gefühlen stehen würden aber was wäre das für eine langweilige Filmwelt. Notorious ist so ein rundes und rundherum gelungenes Werk geworden, optisch perfekt und herausragend gespielt.

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      • 7 .5
        Deciuscaecilius 15.04.2023, 14:18 Geändert 15.04.2023, 14:21

        I'm your Doctor and only your Doctor, this has got nothing to do with loving. Speelbound von 1945 ist ein Genre Mix, primär eine Romanze aber mit einem dominanten Krimi Plot und dem Hitchcock typischen psychologischen Elementen. Berühmt ist der Film für die Zusammenarbeit mit Salvador Dalí, nutzt das aber in überschaubarem Rahmen. Es ist ein Film über Träume, aber selbst ein auffällig geerdeter und direkter Film.
        Es ist Ingrid Bergmans Film, sie spielt eine kühle, beherrschte Psychoanalytikerin, die aber im Verlauf des Films in einen regelrechten Liebesrausch gezogen wird. Beide Rollen liegen Bergmann und sie schafft das kleine Wunder in den plakativen Liebesschwüren nicht zu pathetisch zu wirken und absolviert immer wieder überzeugende Momente des Rückfalls in ihre professionelle Rolle. Eine beeindruckende Vorstellung, die mir trotzdem besser gefallen hätte, wenn das Krankenschwesternsyndrom nicht ganz so hart zugeschlagen hätte. Neben ihr spielt Gregory Peck den psychisch kranken John mit einer deutlich dargestellten Unsicherheit. Die Rolle verlangt viel und gerade die psychotischen Schübe sind überzeugend dargestellt, aber mir ist er insgesamt nicht richtig authentisch vorgekommen. Die Wechsel zwischen dem dominanten Mann und einem hilflosen fasten kindlich auftretenden Wesen passen nicht zu dem schlaksig locker auftretenden Schauspieler.
        Im Film dominiert der „Whodunit“ Plot, nicht zuletzt, weil Konflikte in der Romanze kaum vorkommen. Leider wirkt aber gerade der Krimiplot etwas unglaubwürdig und konstruiert. Die surrealistisch träumerischen Anteile sind beeindruckend, der Film findet zum Beispiel eine interessante sich öffnende Türensymbolik zur Liebe auf den ersten Blick oder erschafft eine coole Skiabfahrt auf einem Hausdach, verfolgt von einem Schmetterling. Nur steht das alles nur in einzelnen Momenten im Mittelpunkt und der Film wendet sich dann wieder einem eher einfachen normalen Plot zu. Offenbar wollte man die Psychoanalyse wissenschaftlich modern angehen, hat damit aber meiner Meinung nach der Faszination des Filmes eher geschadet.
        Es ist trotzdem ein guter Film speziell, weil die Hauptdarsteller überzeugen. Ich mag auch sehr die Szenen mit dem fröhlich kompetenten Michael Chekhov als Dr. "Alex" Brulov, in der er Witz und Spannung geschickt miteinander vereint. Ansonsten ist mir da einiges zu dick aufgetragen und dafür dann zu gewöhnlich, vielleicht ist das, aber auch der Fluch der späten Geburt, da die Themen Gedächtnisverlust und die Flucht des Unschuldigen, mittlerweile ausgelutschte Konzepte sind. Damals wirkte das vielleicht frischer. Ach und die Musik ist über den gesamten Film hinweg ein bisschen zu dominant, aber gut. Die zentrale Melodie ist wirklich super.

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        • 8 .5
          über Rebecca

          Rebecca, Hitchcocks schwarz-weißer Psychothriller von 1940 ist ein seltsamer Film. Ein Film, der eine märchenhafte Welt erschafft, eine Cinderella Variante mit einer bösen Ex-Frau statt einer Stiefmutter. Es ist ein Liebesfilm, der keine Liebe zeigt, der prüde ist bis ins Mark und in dem es doch die ganze Zeit um Sex, Gewalt und Macht geht. Rebecca ist ein besonderer Film, der in einer Traumwelt lebt und dort gegen seine freudianischen Albträume kämpft.
          Joan Fontaine spielt ein unbeschriebenes Blatt, eine namenlose Gesellschafterin, die zur zweiten Mrs de Winter wird. Fontaine ist eine gute Schauspielerin, die ein junges und naives Mädchen anlegt. Die ständigen Entschuldigungen, Unsicherheiten und die naive Neugier spielt sie hervorragend, der Film verzichtet auf Humor aber diese Frau so köstlich scheitern zu sehen, hat einen lustigen Ansatz. Nun hat Fontaine dabei die Meisterschaft nicht einfach nur Schadenfreude hervorzurufen, sondern sehr sympathisch und liebenswert zu sein, sie ist in ihrer ganzen Verzweiflung eine der zauberhaftesten jungen Damen der Filmgeschichte.
          Tja und dann ist da Laurence Olivier als George Fortescue Maximilian "Maxim" de Winter, eine Erscheinung, dominant in jedem Auftritt, in jedem Blick, in jedem Moment und dann doch plötzlich und sehr überraschend mit verletzlichen Seiten. Das ist eine Hauptrolle, bei der der erste Teil des Wortes betonnt wird. Er ist beeindruckend und doch zeigt er uns, wie unsicher er ist, wir sehen einen Mann dem etwas fehlt, um seinen Mann stehen zu können ...
          Aber was soll das nun alles? Wir erleben einen Kampf eines Geistes, der nie zu sehen ist, der aber ein Haus, eine Haushälterin und das Leben der Männer besetzt hat, mit einem kleinen naiven Mädchen. Es ist ein ungleicher Kampf, es ist pure psychologische Gewalt in einem Film, der außerhalb seiner Ränder stattfindet. Wir sehen natürlich dieses dominante Haus, das faktisch eine eigene Rolle spielt, ein eigener Handelnder ist und wir sehen diese kalte Judith Anderson als Mrs. Danvers, unbeweglich hinter uns lauern aber was wir nicht sehen, ist die angekündigte Gewalt, der Sex und die Leidenschaft. Dies alles findet nur in unseren Köpfen statt, es ist da, aber es wurde vor der Zensur versteckt. Es ist ein Film über das Unausgesprochene.
          Sie reden nicht miteinander die beiden Liebenden, sie reden nicht über sich und nicht über die tote Frau. Niemand sagt es hier direkt, es ist ein Kampf um die Sprache, ein Kampf um das offene Wort und ein Plädoyer für Offenheit. Im Dunklen und Schweigen liegt der Untergang, so müssen unsere Helden aus dem bedrückenden Schatten des wundervollen Manderley treten und den Mund aufmachen, um den unterdrückten Gefühlen ihren Lauf lassen zu können. Es ist ein seltsamer Film, dessen Motive aber weiterhin Hitchcocks Arbeiten prägen werden und es ist eines seiner frühen Meisterwerke.

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            Deciuscaecilius 11.04.2023, 21:15 Geändert 11.04.2023, 23:16

            “The better the villain, the better the movie.” Strangers on a Train ist ein in schwarz-weiß gedrehtem Psychothriller von 1951. Wir sehen wieder wie Hitchcock einen normalen Mann durch eine einzige Begegnung aus dem normalen Leben reißen lässt. Die absurde Situation ist der große Reiz des Films. Ganz sinnbildlich wird hier in der ersten Szene eine neue Weiche gestellt und treffen sich die Schuhe, um neue Wege zu gehen.

            Wir haben Robert Walker als den ordentlich durchgeknallten Bruno Antony, den ein Vaterkomplex plagt und der scheinbar vor der Langeweile ins Manische flieht. Er ist ein gigantischer Antagonist, in jedem seiner Auftritte verstörend, unangenehm also einfach großartig. Seine Annäherungen haben fast etwas von „Liebes“ Stalking und sind creepy as hell. Dagegen gibt Farley Granger den Tennisspieler Guy Haines, der aus einer großen Unbeholfenheit handelt, bis ihm endlich der Mut der Verzweiflung erfasst. Es ist im Gegensatz zu Walker eine zu brave Darstellung, die steif und unbeholfen wirkt. Das Ungleichgewicht zwischen den beiden tut dem Film, meiner Auffassung nach, nicht gut. Erwähnenswert ist auch noch die Nebenrolle von Patricia Hitchcock als Barbara Morton, sie gibt eine leicht besserwisserisch neugierige junge Dame, in einem Auftritt, der durchaus gelungen ist.

            Der Film ist wieder ein Kampf zweier in einer gewissen Verbindung stehender Charaktere, leider sind die Schauspieler hier aber zu unterschiedlich, als dass es ein Duell auf Augenhöhe werden könnte. Hitchcock arbeitet auch wieder mit seinen typischen Spannungsbögen, hier ganz prominent in einem Tennismatch, das unter Zeitdruck gewonnen werden muss. Das funktioniert hier gut und macht filmisch einen guten Eindruck, mir war es aber wieder ein bisschen zu lang. Der zentrale Mord bleibt wegen der guten Kameraarbeit, den Lichteffekten und den Reflexionen im Kopf, hier zeigen sich in Anleihen klassische Elemente des Horrorfilms. Insbesondere der Jahrmarkt ist filmisch wunderbar eingefangen. Eigentlich ist alles, was sich um die Figur von Bruno dreht, sehr gelungen und gruselig.

            Für moderne Augen bleibt hin und wieder die Logik auf der Strecke aber es ist klar, dass Hitchcock hier nach Spannung aufbaut, und ihm der Rest einfach nicht so wichtig ist. Das Finale hat ein paar lustig gealterte Effekte, ist aber wirkmächtig, auch wenn das Ende dann etwas plötzlich kommt. Ich mochte den Film daher ganz gern. Das kann man sich gut noch einmal anschauen.

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              Deciuscaecilius 10.04.2023, 17:26 Geändert 10.04.2023, 17:29

              Each one kills what he loves....
              Shadow of a Doubt ist ein Psychothriller in Schwarz-Weiß von 1943. Es ist ein geradliniger Film, der in einer amerikanischen Kleinstadt spielt, in der das Böse ankommt und die Situation einer braven Familie ändert. Ein Film bestechend in seinem realistischen Look, seinem feinen Humor und einem faszinierenden Kampf zweier Menschen um die Moral und die Familie. Es ist ein Film, in dem der Held und der Bösewicht ein und dieselbe Person sind.
              In seinem Kern ist die Story ein Konflikt zwischen Teresa Wright als Charlotte „Charlie" Newton und ihrem Onkel, Joseph Cotten als Charles „Charlie" Oakley. Die beiden verbinden Zweifel an der Gesellschaft und ihrem Platz darin, die für beide bis zu einem Grad an Zynismus reichen. In der anfänglichen für den Zuseher unbehaglichen Nähe, zeigen sich dann fast inzestuöse Züge einer ungesunden Dualität dieser beiden Menschen, denen eine Perspektive für die Zukunft fehlt. Der Grad an Aufmerksamkeit die sich die beiden schenken, führt aber auch zu den anfänglichen Zweifeln und einer immer stärkeren Abgrenzung, in der Charlotte eine Art Coming of Age erlebt, um zu selbstbestimmten Entscheidungen kommen zu können. Die Dualität dieser beiden Charaktere und der Kampf der beiden ist ein brillantes Schauspiel und macht die Faszination des Films aus.
              Das lebt auch von der hervorragenden schauspielerischen Leistung der jungen Teresa Wright, die sich schnell vom selbstbewussten, aber gelangweilten Mädchen zur Frau wandeln muss. Die hier ein bisschen aufgedrückt wirkende Liebesgeschichte mit dem Inspektor, ist aus meiner Sicht aber leider etwas zu dick aufgetragen. Joseph Cotten dagegen muss diesen amerikanischen Helden darstellen, dessen Fall und Entschleierung den Thrill des Films ausmachen. Er stellt diese typische Figur des Film noir geschickt dar, wechselt plötzlich in zutiefst düstere Vorträge, kann aber trotzdem charmant und liebenswert wirken. Sein Niedergang, durch die die ihn am meisten liebt, ist auch seiner Suche nach Anerkennung zu verdanken.
              Die kleinstädtische Umgebung, insbesondere das wunderschöne amerikanische Haus sind treffend gefilmt und unterstützen die Atmosphäre. Zentral für das Unbehagen sind aber die hervorragenden Dialoge, insbesondere Charles brutal misogyne Reden, bei denen die Zeit regelrecht anzuhalten scheint. Es ist eine dunkle Welt, die sich hier aus dem Fremden entwickelt und auch eine Welt, die dann auch die verzweifelte Charlotte letztlich abstößt. Hitchcock hat hier ein frühes Meisterwerk geschaffen, das geschickt Elemente des Film noir mit einem Psychothriller verbindet und die protestantische ehrliche Arbeitskultur feiert. Ein typisches Motiv in den Kriegsjahren und ein Film den man gesehen haben sollte.

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                Deciuscaecilius 09.04.2023, 18:57 Geändert 09.04.2023, 19:05

                The man Who Knew Too Much von 1956, ist ein Remake, das Hitchcock von seinem eigenen 1934 erschienen Film gemacht hat. Wir haben es mit einer Spionage- bzw. Crime Thriller Umsetzung zu tun, in dem ein normales Pärchen im Urlaub in Marokko in ein Anschlagskomplott hineingerissen wird. Es ist ein solider Thriller, der von einigen guten Ideen im Plot, exotischen Bildern aus Marokko und der Tatsche profitiert, das normale Menschen selten in solch extremen Situationen dargestellt werden.
                James Stewart spielt den Arzt Benjamin "Ben" McKenna wie gewohnt entspannt aber dominant. In den Szenen größerer Erregung liegt viel Kraft und Präsenz, die immer noch beeindruckt. Doris Day, als die im Film konsequent „Jo“ genannte Josephine Conway McKenna, legt die Rolle im Gegensatz sehr mütterlich brav an. Sie ist wunderschön, aber strahlt immer eine fügsame, letztlich wenig entschlossene Haltung aus. Subtile Gesten reichen ihr aus, um zu zeigen, dass sie im normalen Leben aber durchaus mit ihrem Mann mithalten kann, und er zeigt ebenso, dass ihm das bewusst ist und vielleicht auch stört. Der Film wird getrieben von dem Spiel zwischen den beiden, leider zieht der Film in den entscheidenden Situationen Jos Rolle dann aber doch zurück. Der unter der Oberfläche wabernde Konflikt hätte spannender erzählt werden können, im System der Fünfzigerjahre war aber vielleicht nicht mehr drin.
                Der Film sieht Hitchcock typisch gut aus, es gibt einige schöne Aufnahmen aus Marokko und das nachgeschärfte Technicolor kann auch heute noch gefallen. Speziell auffällig sind einige sehr gut ausgewählte Kostüme, insbesondere Doris Day sieht ständig wie eine Modeikone aus.
                Der Plot ist gut konstruiert und hat ein paar schöne Ideen, welche die großen Spannungsmomente auflösen. Leider fehlt dem Film aber insgesamt der Punch. Die Bedrohung ist etwas zu unkonkret, die Gegner wirken zu harmlos, zu wenig wird in Zeitdruck und wirkliche Not investiert. Die Frage, warum hier nicht wirklich die Behörden eingeschaltet werden, lässt er Film damit offen. Die großen Spannungsmomente sind bilderbuchtypisch für Hitchcock, alles wird sehr gut vorbereitet und dann langsam ausgeführt. Das ist eine gute Idee, aber hier wird es speziell in der großen Szene in der Royal Albert Hall quälend lang. Es wirkt ein bisschen sehr verliebt in die eigenen Ideen. Zehn Minuten mittelmäßige klassische Musik ohne Entscheidungen sind zu viel.
                Wo wir bei lang sind: Der Film ist zu lang. Nicht nur die ewigen Spannungsbögen in London auch die Vorbereitung in Marokko hätte gern deutlich kürzer ausfallen können, insbesondere weil der Beziehung der beiden, nach einigen kleinen Schlagabtauschen, nichts Neues mehr hinzugefügt wird. So bleiben einige schöne Ideen, die beiden großen Schauspieler mit guten Dialogen und ein solider konstruierter Plot, insgesamt ist das zu wenig, um über die zwei Stunden komplett gebannt zu werden. So bleibt am Ende nur ein netter Thriller übrig.

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                  “The trouble with Harry“ is, that he's dead... Alfred Hitchcocks schwarze Komödie von 1955 ist ein seltenes Stück im Schaffen des großen Regisseurs. Hier einmal kein Thriller, kein Drama und eigentlich auch keine Mordermittlung verfilmt. Wir erleben stattdessen eine idyllische Welt, die nahe an dem ist, was heute von den Fünfzigerjahren erträumt wird. Es ist eine Welt in der noch alles besser und schöner war.
                  John Forsythe spielt den jungen Künstler Sam, der scheinbar sorgenlos durchs Leben geht, der aber plötzlich durch das Auftauchen von Harrys Leiche eine Reihe von Veränderungen erleben darf. Es ist ein theaterhaftes Schauspiel mit großen Gesten und einer Menge Charme, vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen aber angenehm. Dazu kommt die junge Shirley MacLaine in ihrem Filmdebüt als herzliche Nachbarin mit großen Problemen, die sie aber nonchalant weglächelt. MacLaine ist fantastisch in der Rolle, lustig, mit erstaunlich unterschwellig sexuellem Dialog, flirtet sie sich durch den Film. Eine Rolle, die einfach nur Spaß macht. Die eigentliche Hauptrolle hat allerdings das alte Schlachtross Edmund Gwenn als Capitan, der die Rolle gewitzt aber ernst angeht und dem Film sein Herz verleiht.
                  Sie alle spielen im bildschönen Indian Summer von Vermont und dieser Film sieht auch heute restauriert und skaliert auf HD brillant aus. Die Landschaften sind wunderschön, das kleine Dorf ein Ort zum Verlieben und viele Szenen spielen tatsächlich in einem bunt gefärbtem von Sonne durchfluteten Wald. Im Hintergrund läuft ein schön angenehmer ruhiger Score, der mit einer großartigen Hauptmelodie aufwarten kann und den Film so passend untermalt.
                  Die Komödie durchzieht ein britischer Humor aus leichtem Slapstick mit einem menschlichen, aber absurden Touch. Alle Protagonisten handeln in einer paradiesischen Welt, in der jeder Verständnis für den anderen hat und jeder so handelt, damit der andere unterstützt wird. Es ist eine Form des Garten Eden vor amerikanischen Hintergrund. Selten konnte man Figuren in Filmen so mit sich im reinen sehen. Trotzdem oder gerade dessen, wirken diese pointierten Dialoge so gut, in denen offen geflirtet, anzügliche Sprüche gemacht werden und ständig alle nett zueinander sind.
                  Die Staatsmacht ist hier der eigentliche Außenseiter, den es auszutricksen gilt, die Welt der restlichen Menschen ist sich genug. So entsteht eine Wohlfühlkomödie, dezent in ihrem Humor und leise im Ton. Es ist ein durch und durch sympathischer Film, sofern man für diese Art empfänglich ist, und man diese Form des englischen Humors schätzt. Insgesamt sicher keiner von den Filmen, die einem beim Namen Hitchcock als erstes einfallen aber ein sehr wohltuender.

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                    Deciuscaecilius 07.04.2023, 15:53 Geändert 07.04.2023, 15:59

                    Is he real? Ask him! Blade Runner 2049 ist ein kleines Wunder, wie ein solch gletscherhaft langsamer und melancholischer Film für 150 Millionen produziert werden konnte, ist kaum nachvollziehbar, aber wir sollten dankbar dafür sein. Es ist eine klassische Fortsetzung eines Kultfilms der die Welt ergänzt, weiterführt und ihr neue Aspekte abringt ohne die alten zu zerstören. 2049 ist ein neuer Kultfilm geworden, ein Film über Erinnerungen, Menschlichkeit und Liebe.

                    Die Rolle des Replikanten ist dem stoisch kühlen Ryan Gosling wie auf den Leib geschnitten, manchmal bewegen sich selbst in den größten emotionalen Momenten nicht einmal seine Augen. Trotzdem und das ist sein Verdienst, sind die Momente, wo er Hoffnung schöpft, in denen etwas in ihm passiert, ein Moment der Liebe, der Enttäuschung oder der Wut, deutlich zu sehen. Wir verstehen als Zuseher was passiert und in ihm vorgeht. Es ist, mit Ausnahme des nervig über performenden Jared Leto, ein Film der subtilen Darstellungen.

                    Einfach ist das aber nicht. Der Film verlangt viel, weil er uns nicht heranlässt an seine Protagonisten, es sind und bleiben fremde Wesen, mit ihnen zu fühlen ist fast ein bisschen anstrengend. Die wenigen Kampfszenen wirken etwas aufgesetzt und der Villain nutzlos. Dazu kommt der fehlende Spannungsbogen, dem Film geht es nicht um seinen Kriminalplot, es geht ihm um unser Verhältnis zu dem, was wir Seele nennen und das definiert wird aus unseren Erinnerungen. Wie künstlich und fremdbestimmt ist ein Wesen mit fremden Erinnerungen, wie vorherbestimmt sind die Dinge, die er liebt und hasst. Wird ein solches Wesen mit meinen Erinnerungen automatisch ich sein und die Menschen lieben, die ich liebe und wird es ein Mensch sein?

                    Der Film entwickelt in Abgrenzung zu seinem Vorgänger eine eigene Bildsprache, in die der alte Film eingeflossen ist. Es wird die gleiche Welt in neuen Bildern gezeigt, eine Welt vierzig Jahre später und wiedererkennbar. Es sind fantastische Bilder in den Neonlichtern einer smogverseuchten Stadt. Der Film schwelgt darin, lässt sie minutenlang laufen und ihre Wirkung entfalten. Die Bilder können hypnotisieren und fesseln, sie sind ein Kunstwerk in sich. Vielleicht ist das etwas selbstverliebt und der Film verliert sich zu oft in seinen eigenen Bildern, aber es ist unvergesslich. Dazu dröhnen fremde Klänge und futuristische Melodien aus einem phänomenalen Score durch den Raum, so langsam und hypnotisch wie der Film selbst.

                    Diese schwere Melancholie ist aber auch das passende Bild zur nostalgischen Welt aus fremder toter Erinnerung eines sterbenden Planeten. So ist das alles ein Abgesang aber vorsichtig auf der Suche nach der Menschlichkeit, die seine Figuren vielleicht noch finden können. Solange die Erinnerung an eine Welt bleibt, kann diese Welt weiter bestehen, solange es Hoffnung gibt, wird etwas bleiben. 2049 ist nicht massenkompatibel, so lange einzelne Einstellungen hier dauern, könnte man in der Zeit auch über 10 Tiktok Witzchen geschmunzelt haben, aber leider könnte man sich danach auch nur noch an den letzten davon erinnern. Für manches braucht unser Gehirn seine Zeit, manches muss wirken und nicht hetzen.

                    Der Film vermeidet eine Entmystifizierung seines Vorgängers, das ist ein schönes Gefühl in einer Zeit in der alle Geheimnisse auserzählt werden müssen. Dafür fügt er ihm eine erweiterte Welt und neue Gedanken hinzu und hängt damit neben das alte ein neues Meisterwerk.

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                    • 8 .5

                      Mission: Impossible Fallout ist ein absolut reiner Actionfilm, der das Team zum ersten Mal in der Reihe zusammenhält aber trotzdem in den meisten Szenen im Vergleich zum Vorgänger noch einmal einen draufsetzt. Wir sehen perfekt inszenierte Action, die ein wenig an Härte zugelegt hat, einen Gegenspieler der diese Mal besser in den Film integriert wurde und Tom Cruise der wirklich alles gibt. Dazu gehört auch, dass wieder der Versuch unternommen wird, der vergleichsweise leeren Figur Ethan Hunt mehr Hintergrund und eine persönlichere Agenda zu geben, und das funktioniert etwas besser als in den Teilen zuvor.
                      Die Truppe ist wieder beisammen und macht einen guten Job, besonders Simon Pegg hilft den Film aufzulockern und Rebecca Ferguson spielt weiterhin die geheimnisvolle Agentin die Hunt vor Entscheidungen stellt. Da entwickelt sich tatsächlich etwas Spannung zwischen den Beiden und sie bekommt praktisch ihr eigenes Privatduell samt Endgegner. Ein spannender Zugang ist Henry Cavill mit einem beeindruckend körperlichen Auftritt und einer fast comichaften Laisser-faire. Seine Figur konkurriert angenehm mit dem Auftreten von Cruise und die beiden liefern sich ein charmant lustiges Männlichkeitsduell als hätte man ein neues Männchen in die Schimpansengruppe gesteckt. Das ist phasenweise sehr lustig.
                      Die Könige des Films sind diverse denkwürdige Actionsequenzen, vor allem mit einem beeindruckenden Atmosphärensprung, dem brutal heftigen Kampf in einer Discotoilette und der ewigen Verfolgungsjagd durch Paris. Es sind Szenen die zum Besten gehören, was das Actionkino je hervorgebracht hat. Die Cinematography hat sich interessanterweise gewandelt, vom klinisch klaren Rogue Nation zu einem wärmer abgemischten leicht verwaschenen verträumten Look. Das funktioniert für weite Shots und Landschaften gut, in einigen Szenen fand ich es aber ein bisschen übertrieben. Dafür ist der Score beeindruckend auch hier bis an die Grenze des Gangbaren, so cool die Percussions auch sind, ist die Musik etwas zu dominant. Es werden aber großartige Momente damit kreiert.
                      Tja der Plot, was soll man sagen, es ist etwas zu verworren, wie in den meisten Filmen der Reihe aber gut genug, um nicht negativ aufzufallen. Die ein oder andere Entscheidung speziell im nervigen Streit zwischen den Behörden ist wieder ganz schön gezwungen und die Antagonisten übertreiben es sichtlich massiv mit ihrem Ethan Hunt Fetisch aber mein Gott, was solls angesichts der Achterbahnfahrt. Ich bin weiterhin kein Fan vom Versuch die emotionale Tiefe erzwingen zu wollen, schlagt mich, aber mich interessiert das Schicksal seiner Ex einen Scheiß. Wie ich schon schrieb, in diesem Punkt ist Cruise nicht der Richtige. Vielleicht hätte man das Ende auch noch ein ganz klein wenig kürzen können, da wird dann emotional dick gestrichen, aber die Hobbits wollten sich eben auch noch verabschieden, wenigstens mussten wir nicht auch noch die Krönung abwarten…
                      Was bleibt, ist ein fast perfekter Actionfilm, beeindruckend bis zu letzter Minute, mit guten Antagonisten, einer tollen Rebecca Ferguson, fetzigem Getrommel und großen Bildern. Die Reihe ist oben angekommen.

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                        Wow, das ist ein Actionfilm… Es hat ein bisschen gedauert, aber die Formel scheint mit Teil fünf perfektioniert worden zu sein. Rogue Nation überzeugt mit gutem Score, hervorragender Action und einem gut aufgelegten Cast. Jetzt sind die großen Vorbilder in Form der besseren James Bond Filme in Schlagreichweite. Es ist ein atemloser Film, der ohne Schnickschnack unterhaltsam, lustig und kompromisslos durch seinen Plot rauscht.
                        Als besondere Verbesserung ist Rebecca Ferguson, als die kühl, traurig angelegte Ilsa anzusehen. Ferguson etabliert die emotionale Tiefe, die den Filmen bisher gefehlt hat, und sie tut das mit wenigen Pinselstrichen. Ohne überhaupt allzu viel über sie zu erfahren, trifft ihre Mischung aus vergrabenem Schmerz und absoluter Professionalität einen blinden Fleck der Reihe. Ihre Chemie mit Cruise bleibt überschaubar, aber den Hauptdarsteller der Reihe kann man schlecht austauschen, wobei das ein gewisser Sean Connery auch einmal dachte…
                        Die restliche Truppe hat sich auch gefunden und ist weiterhin primär fürs Komische zuständig. Die Mischung aus den Elementen einer Actionkomödie und den ernsten Momenten, gelingt hier insgesamt so gut, wie noch in keinem Film der Reihe bisher.
                        Ein Restproblem wird dieser Reihe immer bleiben, sein Held schrammt immer wieder vom oberen Rand des überwahrscheinlichen Helden in den des übernatürlichen. Die Decke der Suspension of disbelief wird hier z. B. in der in sich absurden Szene beim Austausch von Identifikationsprofilen in einem Computer unter Wasser (!) schwer gerammt. Nicht nur ist das Szenario ein bisschen zu unglaubwürdig, agiert hier auch Cruise zum wiederholten Male zu übermenschlich. Menschen akzeptieren das Autos bei Beschuss in Filmen explodieren, aber ich bin mir nicht sicher, ob Apnoetauchen bei vollem Körpereinsatz in übergroßen Waschmaschinen auch dazugehört.
                        Dann ist da leider schon wieder ein eher mittelmäßiger und untererklärter Bösewicht, der dem Film Flair schuldig bleibt. Davon aber ab habe ich mich zwei Stunden lang sehr kompetent unterhalten gefühlt. MI5 ist großartiges modernes Actionkino mit kleineren Schwächen aber großen Stärken in seinen Kerneigenschaften. Das ist großes Unterhaltungskino.

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                          über Vortex

                          Für alle, deren Gehirn sich früher zersetzen wird als ihr Herz. Gaspar Noé macht schockierende Filme und ich habe das Gefühl, dass sie zu konstruiert sind und zu sehr darauf getrimmt worden Regeln zu brechen, damit Leute ihn deswegen sehen wollen. Das Schöne an Noé ist aber auch das er herumprobiert, das er Kunst schaffen will und dass es immer wieder auch gelingt. So sehr das solche herzzerreißenden Filme dabei herauskommen. Ich will sagen das ist sein härtester Film bisher, und es ist ein Film, der einem das Herz zerreißt.

                          Der Film lebt von diesen drei brillanten Darstellern, von denen Françoise Lebrun noch einmal besonders heraussticht. Sie muss eine Rolle in der Vergangenheit spielen, etwas darstellen das verloren ist, das nur kleine Fenster des Lichts übrighat und allein ihre Augen spielen das so phänomenal. Wie hilflos verwirrt, dann wieder so schrecklich gewahr sie wirkt, ist wunderbar und total verstörend zugleich. Dario Argento dagegen muss diesen Dickkopf darstellen, diesen Verzweifelten, den mit aller Macht an seine Würde klammernden Mann. Wie kunstvoll realistisch die beiden hier agieren, ist selten. Kleines Shoutout für Alex Lutz, der hier die schwierige Rolle hat, den ohnmächtig agierenden Sohn darzustellen. Ein Kampf zwischen den Momenten in denen er den Erwachsenen Vermittler spielt und welchen wo er ganz klein wird, weil seine eigenen Probleme ans Licht müssen.

                          Es ist ein Film im Splitscreen, wir müssen uns also entscheiden, entscheiden für eine Seite der wir die Aufmerksamkeit schenken, vielleicht auch der Seite, wo unsere Sympathien liegen. Das ist ein grausames Spiel, das der Film mit uns spielt, nichts war je so unklar wie hier irgendwelche Verantwortlichkeiten, an denen wir aber normalerweise unsere Gut und Böse Szenarien verlaufen lassen. Hier sind alle Opfer der Umstände und der Drogen, denn es ist wie alle Filme Noés auch ein Film über die Drogen in unserem Leben nur hier eben über die Drogen der Alten. Eine düstere einsame Welt bestimmt von der nächsten Dosis und dem nächsten Arztbesuch.

                          Das alles spielt in einer Wohnung mit eigener Geschichte, in der ganze Jahrzehnte zu lagern scheinen, Jahrzehnte die keinen Sinn mehr ergeben im Angesicht des täglichen Mangels an Liebe. Es sind am Ende die bedeutungslosen Dinge, an denen wir hängen, und von denen wir nicht lassen können. Vielleicht werden sie umso wichtiger im Angesicht des totalen Kontrollverlusts der die beiden Menschen langsam ereilt, umso trauriger ist dieser Ort der Vergangenheit. Es sind Welten, die uns allen so nah sind und doch immer fernbleiben, bis es dann einmal für uns selbst soweit ist und wir nur hoffen können, dass da noch jemand ist, der uns in den Arm nimmt, im Angesicht der verblassenden Welt um uns herum.

                          Ich habe keine Ahnung, ob ich diesen Film je noch einmal sehen werde, ob ich ihn je wieder ertragen kann, aber es ist ein Meisterwerk. Wir immer ist das Subtile des Schmerzes viel eindringlicher, als jeder Horror den Dario Argento in seinen Filmen konstruieren konnte. Es ist der Horror, dem wir alle nicht ausweichen können und der irgendwann real werden wird. Das ist die Wirkmächtigkeit des Films, sein absoluter Realismus in den Dialogen, der Ausstattung und dem Szenario und damit reißt er jede Mauer nieder.

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                            Deciuscaecilius 04.04.2023, 11:37 Geändert 04.04.2023, 11:39

                            MI4 oder Ghost / Phantom, was auch immer für ein Protokoll, ist ein imponierender Actionfilm. Mal wieder mit fast komplett neuem Cast, einer einigermaßen bedeutungslosen Story und zum ersten Mal mit richtiger Ironie, legt die Serie faktisch einen Neustart hin. Ein Feuerwerk jagt durch diverse Stationen rund um den Globus, immer begleitet von einem obercoolem Tom Cruise und seinem Team, das endlich das Pathos durch Ironie brechen darf.

                            Tom Cruise ist nicht plötzlich zu einem differenzierten Charakterdarsteller geworden, er agiert so stoisch wie in den Filmen zuvor aber nun vor anderer Leinwand. Dank Jeremy Renner und vor allem Simon Pegg wird Cruises Gepose in einigen Momenten zur puren Comedy, wie ein Papa der genervt, streng aber altersmilde mit den Kindern zum Abenteuer aufbricht. Dazu kommt, dass Paula Patton zwar grundsätzlich in die Typecasting Reihe ihrer Vorgängerinnen passt, aber hier weder gerettet noch gevögelt werden muss, es bleibt bei einem, allerdings komisch deplatziert wirkenden Kuss in Indien. Das alles hilft dem Film dabei sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

                            Und das Wesentliche ist die gut gefilmte, innovative und rund herum beeindruckende Action. Die hat ihr Timing perfektioniert, verteilt sich gut über den Film, ist nicht zu lang und nicht zu kurz, es ist einfach ein guter Actionfilm. In diesem Sinne ist der Film faktisch perfekt. Warum der Film trotzdem seinem Helden eine tragische Tiefe verleihen will, ist umso unverständlicher. Diesen Teil habe ich der Reihe, nicht zuletzt, weil die ganze Besetzung samt dem Inventar des IMF mit jedem Film ausgetauscht wird, nicht verstanden. Der Reihe ist immer dann gut, wenn sie eine lustige Erfahrung sein will, und wird immer dann öde, wenn Cruise wieder die Schicksalskeule auspackt.

                            Leider hat der Film mit Michael Nyqvist als „Cobalt“ und Léa Seydoux als Auftragskillerin Sabine dann auch noch zwei gute, aber wenig beschäftigte Schauspieler, die hier die Antagonisten geben müssen. Das funktioniert leider wenig, da Seydoux gar nichts zu tun hat und Nyqvist eine wenig verständliche und kaum ausformulierte Agenda geschrieben wurde, die mit so wenig Hintergrund kaum nachfühlbar bleibt. Der Film ist, wie in den Teilen zuvor, nur eine letztlich bedeutungslose Schnitzeljagd, auch wenn dies gewaltig mit Bedeutung aufgeblasen wird. Man verzeiht es dem Film aber durchaus.

                            Was bleibt, ist ein brillanter Actionfilm der zwischenzeitlich sau komisch ist, aber an den Rändern wieder pathetisch ausfasert und dann die Decke der Suspension of Disbelief durchbricht. MI hat sich als Filmreihe immer noch nicht entscheiden, ob sie all over the place Actionkomödie oder geerdetes einigermaßen realistisches Actiondrama sein will, das beißt sich dann schon mal. Trotzdem ist MI4 ein Must-Have für Actionfans.

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                              Deciuscaecilius 03.04.2023, 11:34 Geändert 03.04.2023, 11:37

                              James Bond does it for England, Ethan Hunt does it for his typecast girlfriends. MI 3 ist ein guter Actionfilm, der mit einem beeindruckenden Start aufwartet und über die Zeit nicht wirklich nachlässt. Ein absolut kompetent durchchoreografierter Film mit beeindruckenden Bildern und einer sichtlich bemühten Liebesgeschichte. Sichtlich nicht bemüht ist allerdings jeder Story Hintergrund, die Action ist sich hier selbst genug und will keine Geschichten darum spannen.
                              Mein Problem bleibt, das auch mit mehr filmischen Aufwand, die Beziehung zu der von Michelle Monaghan liebevoll und bemüht gespielten Julia, dröge bleibt. Cruise tut alles um als liebender Mann rüber zu kommen aber bleibt in der Selbstliebe hängen. Die Bedeutung von Julia geht über ein Damsel in Distress Niveau nicht hinaus. Der fabelhafte Philip Seymour Hoffman hätte als schmierig ekeliger Bösewicht zur Begründung für den ganzen Nonsens völlig ausgereicht.
                              Wer hier Story sucht, ist also mal wieder falsch abgebogen, aber dieses Mal hat der Film einen Rhythmus gefunden, der davon nicht zu sehr ablenkt. Die Actionscenen kommen regelmäßig, sind nicht immer brillant begründet, aber sie sehen gut aus. Das Tempo des Films stimmt und das trägt über den ganzen Film. Man fährt hierhin und dahin und ballert sich durch die Szenerie. Dazu kommt das die cleveren Heists, nun tatsächlich Spaß machen, hier funktioniert das sonst an den Rand gedrängte Team teilweise gut. Das ist alles purer Fun.
                              Die ausländischen Schauplätze wirken im direkten Vergleich zu James Bond zwar immer noch dilettantisch, so kommt man von Berlin außer unendlich vielen Windrädern (!) und einer Aufschrift in altdeutscher (!) Schrift auf einem Lieferwagen nichts zu sehen. Über den Vatikan wird behauptet, dass er von einer kameraüberwachten 10 Meter Mauer umgeben ist und dabei wird italienisch gebabbelt und Lamborghini Gallardo gefahren. Es sind Klischees aber wenigstens gut Anzuschauende. Für einen Film von 2006 vielleicht ein bisschen schwach aber hey was weiß man in den USA schon von fremden Kontinenten.
                              Insgesamt steht damit ein guter Film zu Buche, der ein bisschen seinen Stil gefunden zu haben scheint. Nichts, was die Filmgeschichte verändern wird, aber etwas das zwei Stunden lang gut unterhält.

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                                Deciuscaecilius 02.04.2023, 16:45 Geändert 02.04.2023, 16:47

                                Oh Boy, ich habe den zweiten Teil jetzt zum ersten Mal gesehen und das war nicht der ganz große Spaß. Man muss zugegeben, dass sie sich an die Dinge, die der erste Teil vermissen ließ, gewagt haben, es gibt beeindruckendere Schauplätze und Kamerafahrten, ein mehr weltmännisches Auftreten von Cruise, der nicht mehr wie ein verzogener Navypilot wirkt und eine besser ausgebaute Liebesgeschichte. Nur wirkt das ganze daher jetzt noch mehr wie ein James Bond Abklatsch als der erste Teil schon.

                                Problematisch am Vergleich ist dann wieder das Cruise und Thandiwe Newton als Love Interest Nyah, gar nicht funktionieren. Sie wirkt steif, kühl und passiv, als wäre sie bei beiden Männern des Films in Geiselhaft. Es ist ein verstörend unangenehmes Schauspiel, das wirkt, als hätte man sie für ein Horrordrama gecastet. Die beiden sollen ein lockeres Paar von Ganoven sein und wirken wie ein toxisches Ehepaar in Therapie. Cruise hat dazugelernt aber für mich, stemmt er das Emotionale, was die Rolle wohl ausstrahlen soll, gar nicht. Er sieht nur in den Stunts gut aus.

                                Was mich aber richtig abgefuckt hat, waren diese ewigen Slow Motions hinterlegt mit pathetischem Geschnulze, das sich anhört, als wäre es vom Gladiator Dreh übrig geblieben. Da will jemand meine Gefühle triggern und sägt mir aber nur in die Ohren. Das gilt dann auch für die wiederholt konfuse und bis zum störenden Grad unglaubwürdige Story. Ach und das hatte ich beim letzten Review noch gar nicht erwähnt aber der Vollständigkeit halber: Die Masken sind grundsätzlich silly, aber hier erreichen sie schon Hochebenen des Blödsinns, die kaum zu ertragen sind.

                                Kommen wir zum Punkt, warum man den Film guckt: die Action. Da ist wieder Licht am Ende des Tunnels. Einiges ist sehr beeindruckend und dieses Mal nur ganz vorsichtig mit SGI aufgehübscht. Das macht größtenteils Spaß und Szenen wie die Kletterpassage am Anfang oder das Motorradrennen bleiben in Erinnerung. Meine Kritik hier ist, dass allen Szenen ein immanentes Gefühl von Künstlichkeit anhaftet, alles ist ein bisschen zu sehr arrangiert, zu sehr gestellt, mir wäre mehr fluss und eine bessere Integration der Szenen in die Filmhandlung lieber gewesen. Die Action wirkt wie einzelne Musikvideos, die als Best-Off präsentiert werden. Ach und sie ist wieder zu lang, ganz speziell die Prügelszene am Ende zieht sich wie Pizzakäse.

                                Insgesamt wieder kein Meisterwerk und mittlerweile gerade noch solide Standardkost, die dann auch noch hin und wieder ärgerlich dumm wird.

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                                  Deciuscaecilius 01.04.2023, 17:52 Geändert 03.04.2023, 11:34

                                  Meine Sichtung der Mission Impossible Reihe beginnt ehrlich gesagt etwas enttäuschend. Ich hatte den Film vor vielen Jahren das letzte Mal gesehen und ihn schneller, charismatischer und beeindruckender in Erinnerung. Aus der Sicht von heute ist er ganz das Gegenteil und kann, meiner Meinung nach, mit seinen James Bond Vorbildern nicht mithalten. Auch mittelmäßige Bond Filme sind unterhaltsam und charmant, haben immer das ein oder andere das zurückbleibt, hier fehlt mir diese Basis.
                                  Das liegt besonders an Tom Cruise, der hier noch sehr cocky daherkommt, als wäre Top Gun gerade erst abgedreht worden. Hier fehlt ihm allerdings für fast alle Szenen der Gegenpart, wenigstens hat er mit Ving Rhames einige gute Momente. Die Liebesgeschichte dagegen ist so was von schrecklich, künstlich und unglaubwürdig, wie ich es selten gesehen habe. Eigentlich ist alles indem Cruise ernsthaft, weltgewandt und clever wirken soll eine ziemliche Katastrophe. Puh, mit Pierce Brosnan oder Daniel Craig kann der gute Tom Cruise hier nicht mithalten.
                                  Dann ist der Film erstaunlich langsam, die wenigen Set Pieces, wie der filmisch so berühmte Einbruch bei der CIA ziehen sich ewig hin. Das soll dem Spannungsaufbau dienen, wirkt aber eher ungelenk. Dazu sieht die Welt öde aus, Prag ist braun, London hat ein Münztelefon und die Innenschauplätze wirken generisch. Dazu kommt dann leider die nach heutigen Maßstäben sehr problematischen Effekte des Finales. Nichts davon wirkt real und die CGI brandet einem heftiger ins Gesicht als die Luft auf dem TGV.
                                  Tja, der Rest ist Agentenstandardkost mit einigen Highlights, wie dem nett erzähltem Heist bei der CIA. Sicher hätte einiges auch besser funktioniert, wenn nicht fast alles, selbst im Genrevergleich sehr konstruiert wirken würde. Das kann man gucken, muss aber hinnehmen, dass es sich etwas zieht und der Film dabei nicht gerade vor Charme sprüht. Ein bisschen kann man den Eindruck gewinnen, hier einen typischen Film der neunziger Jahre zu sehen, indem aber bereits neue Ideen für das nächste Jahrtausend anklingen. Filme wie Ocean’s Eleven werden sich bedienen…

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                                    Deciuscaecilius 22.03.2023, 21:22 Geändert 22.03.2023, 21:34

                                    Bones and all ist ein harter Film, einer der einen fressen kann, mit Knochen und allem und doch ist es auch ein kleiner feiner Liebesfilm über ein junges Pärchen. Sie tauschen gefährliche Küsse in den weiten Landschaften des amerikanischen mittleren Westens, reisen eng umschlungen und einsam für sich in eine düstere Zukunft. Zwei Liebende, die immer allein bleiben. Wir sehen allegorisch aufgeladen Triebe im Kampf mit Moral und Verstand und leider auch im Kampf mit den Horrorelementen des Films.

                                    Der Film verdankt seiner Protagonistin Taylor Russell als Maren sehr viel. Sie ist das Zentrum des Films, muss sich zwischen Faszination und Abscheu entscheiden und dabei ein sehr verletzliches und einsames Mädchen bleiben. Große Leistungen werden auf solch schmalen Grat erzielt und Russell fällt nicht, sie trägt die Geschichte. Timothée Chalamet als Lee zeigt parallel, warum er der meist gehypte Darsteller der letzten Jahre ist, jugendlicher Charme gepaart mit einer kalten Abgeklärtheit, die dann plötzlich wieder in tiefe Verletzlichkeit mündet. Auch das ist eine Meisterleistung aber auch von Luca Guadagnino, der hier einmal mehr beweist komplizierte Emotionen inszenieren zu können und der die wunderbare Atmosphäre geschaffen hat.

                                    Ach ja zum Guten wie zum Schlechten ist da auch noch Mark Rylance als Sully. Eine so gruselige und verstörende Gestalt habe ich in diesem Jahr noch nicht im Film gesehen, es ist eine Meisterleistung für sich. Umso schlimmer ist, dass ich seine Figur gehasst habe, mein Gefühl war, dass diese Art der Horrorelemente deren Personifizierung Rylance ist, dem Film schaden. Die Stärke liegt in der Liebesgeschichte und ihrer allegorischen Body-Horror Ebene und eben nicht in den austauschbaren Horrorelementen. Der ganze Moraldiskurs ist eh schon Schwäche des Film, weil sich der Film hier nicht wirklich für eine Seite entscheiden kann, aber die klassische Horrorstory um Sully gibt auch noch einen viel zu leichten Ausgang aus dem Dilemma. Ein bisschen mehr Auseinandersetzung mit dem Konzept "Mitleid" hätte den Protagonisten sicher nicht geschadet.

                                    Worum dreht sich seine Allegorie dann eigentlich? Vielleicht um nicht viel, vielleicht einfach nur um die Außenseiter einer Gesellschaft die nicht passen können und wollen. Außenseiter welche wenig Platz haben und schnell in schlimmen Situationen enden. Allein das wäre mir genug gewesen aber genauso können wir über unterdrückte Homosexualität reden oder über den Konflikt zwischen einer selbstlosen romantischen Liebe und der naturgemäß einsamen Lust, dessen Rausch außerhalb der Konventionen am wildesten ist. So oder so ist es ein Film über die anderen Gelüste, über die Triebe weiter draußen. Und wenn der Film in diesen Bildern schwelgt, wenn sein Score erwacht, dann funktioniert dieser eigentlich so abstoßend brutale Mix plötzlich.

                                    Mein Problem ist aber, dass es alles zu viel auf dem Teller ist, zu hochgestapelt und zu sehr gezogen. Wie Kaugummi zieht sich dieser Film, wenn er einmal sein Tempo verloren hat, und seine Unentschiedenheit frisst ihn dann auf. Der Horrorplot ist im Genre besser, die Moraldiskussion ist nicht funktionell, einige Stränge enden im Nichts und so mäandert das alles zu lange herum, um richtig gut zu werden. Wenn man doch am Buffet die Zurückhaltung bewahren könnte, weniger wäre hier mehr gewesen.

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                                      Aftersun ist ein kleiner intimer Indie Film über die Erinnerungen der Regisseurin Charlotte Wells. Wir sehen einen normalen Urlaub und die Dinge die passieren und nicht passieren, dabei hören wir eine Geschichte in Songs und zarten Gesten, lesen die Wahrheit aus den Dingen, die nicht da sind. Der Film flüstert leise und manchmal unheimlich in unsere Ohren. Es ist ein erstaunliches Meisterwerk des Subtilen.

                                      Paul Mescal spielt den jungen Vater Calum, spielt ihn leise und bedacht. Es ist eine so überzeugende Darstellung, dass man schnell vergisst, dass dort überhaupt jemand schauspielt. Irgendwann wähnt man sich in realen Urlaubsvideos eines entfernten Verwandten. Trotzdem wird das nicht langweilig, weil darin so viel Liebe und gleichzeitig so viel Schmerz liegt, der dabei knapp unter der Oberfläche brandet. Und dann ist da die elfjährige Frankie Corio als Sophie, die aus meiner Sicht die beste Kinderdarstellerin ist, die ich seit Jahrzehnten gesehen habe und sie hat so eine fantastisch passende Chemie mit Paul Mescal. Die beiden sind ein überzeugendes Vater-Tochter-Gespann und doch getrennt genug, um zu verstehen, was im Untergrund fließt. Kinder werden häufig neunmalklug dargestellt aber dieses Maß an Glaubwürdigkeit einer doch bewusst nicht ganz realistisch kindlichen Figur ist beeindruckend.

                                      Da wären wir dann auch am großen Ganzen des Films, den hinreißenden Dialogen kunstvoll improvisiert und fesselnd in ihrer Einfachheit. Hier wirkt nichts gestelzt, nichts aufgesetzt, One-Liner sucht man vergeblich. Das ist der Grund, warum der Film sich so real anfühlt. Und da ist dann noch das andere Gefühl, das einen nervös werden lässt, ein Gefühl, das ständig im Hintergrund pocht und bei dem man anfangs Schwierigkeiten hat, den Finger drauf zu legen. Was ist das genau und woher kommt dieses Gefühl des Falschen, des Bedrohlichen in dieser doch so alltäglichen Welt.

                                      Aftersun beschreibt eine liebevolle Vatertochter Beziehung, die von beiden Seiten getragen wird und macht dabei keine großen Fässer auf, stattdessen baut er eine Welt. Es ist eine langsame Erfahrung, die jeder Zuseher selbst machen muss, die in den Liedern vergraben ist und unter der Wasseroberfläche lauert. Diese Erfahrung des Entdeckens macht diesen Film zu einem fulminanten Erstlingswerk. Jeder Filmfan sollte diese Erfahrung suchen und eineinhalb Stunden darin schwimmen.
                                      Sometimes Love is not enough.

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                                        Deciuscaecilius 19.03.2023, 22:44 Geändert 19.03.2023, 22:58

                                        Da ist Ruben Östlunds neueste Satire und diesmal hat es die Reichen und Schönen getroffen. Die Machtverhältnisse werden diskutiert, zelebriert und dann auf den Kopf gestellt, wir sollen dabei lachen und froh sein nicht reich zu sein. Es ist ein sehr gut besetzter Film, der sehr tief hängende Früchte erntet und dem dabei kein Lacher zu schade ist. Eine fragmentierte Erzählung verbindet dabei einzelne Elemente des Themas und zieht sie dabei gewaltig in die Länge. Da denkt man sich ein paar Arschlöcher aus und macht sich dann über sie lustig, nebenbei ruft man „in den Wolken“ und schlägt einem kreischenden Esel den Schädel ein. Was bitte soll das?
                                        Aber mein größtes Problem mit dem Film ist, dass er nach Parasite erschienen ist, für diese Art des „Eat the Rich“ Films gibt es für mich ein davor und danach. Mir reicht es nicht, dass nur deshalb alles schlecht ist, weil die Reichen böse sind, denn das bedeutet doch nur: Ersetze böse Reiche durch gute Reiche und schon wird alles gut. Triangle of Sadness geht hier sogar noch weiter, man kann die bösen Reichen nicht einmal ersetzten, weil einfach jeder dem man Macht gibt korrumpiert. Das ist mir erstens zu zynisch und zweitens gibt es genau deshalb Gesellschaften, damit eben niemand zu viel persönliche Macht bekommt. Es ist kein Film, der etwas ändern will, es ist nur ein Film, der sich lustig machen möchte.
                                        Dabei fängt das erste Kapitel interessant an, es konzentriert sich auf einigermaßen real wirkende Menschen in einem modernen Konflikt aber dann taucht dieses Boot auf, wo alle Protagonisten übertrieben arschige Klischees sind. Das ist alles zu deutlich, es nicht analytisch, zu anekdotenhaft und seelenlos. Es gibt keine Identifikationsfiguren, weder hüben noch drüben und damit keine Stakes. Was interessiert mich das Ganze also? Ich höre Dialoge, die niemand so führt, höre falsche Zitate und eine Crew die sich wie Vollidioten von einer Rutsche stürzen, weil irgendeine Russin das gesagt hat. Ich bin mir sicher, dass man Angestellte auf einer solchen Kreuzfahrt im Kleinen und Privaten, zu unangenehmen Dingen bringen kann, wenn man abgebrüht genug ist, mit dem Portemonnaie winkt und mit der Beschwerde droht, aber so sieht das dann sicher nicht aus.
                                        Dann bleibt da noch die elend lange und langweilige Inselgeschichte, wo die Ökonomie plötzlich von einem herumliegenden Rucksack mit Salzstangen bestimmt wird und in der, die ehemals umtriebigen Geschäftsleute, plötzlich von totaler Lethargie erfasst worden sind. Elon Musk würde sich also in den Sand setzen, ein paar zugeworfene Stücke Fisch essen und sich eine Woche ohne Erkundung die Sonne auf den Bauch scheinen lassen? Wirklich?
                                        Man kann glaubwürdige Charaktere schreiben die weder klischeehaft böse, noch klischeehaft dumm, noch klischeehaft eklig sind und doch der Gesellschaft und den Menschen wirtschaftlich unter sich schaden und man kann mit denen lustig satirische Geschichten erzählen. Man kann damit auch etwas über die Gesellschaft sagen und somit Veränderung zu fordern. Man kann aber auch einfach Klamauk machen, der sich in einer guten schnellen halbstündigen Sturmszene erschöpft und sich dann aber trotzdem noch eine sehr lange Stunde hinzieht.
                                        Man macht dann aber nur einen mittelmäßigen letztlich egalen Film!

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                                        • Deciuscaecilius 19.03.2023, 18:01 Geändert 19.03.2023, 19:49

                                          „Worst Film“ ist ein bisschen komisch, weil es außer Thor eher meine größten Enttäuschungen sind. Es gibt sicher insgesamt schlechtere Filme aber na ja…
                                          Insgesamt aber war das ein gutes Film Jahr.
                                          Liste Version 2 - die Banshees haben die Fähre verpasst - 5 Tage zu spät auf Inisherin....

                                          Bester Film (10 Nominierungen)
                                          Aftersun
                                          Everything Everywhere All at Once
                                          The Menu
                                          Nightmare Alley
                                          Athena
                                          Vortex
                                          Licorice Pizza
                                          Corsage
                                          Im Westen nichts Neues
                                          RRR

                                          Beste Regie (10 Nominierungen)
                                          The Daniels (Everything Everywhere All at Once)
                                          Edward Berger (Im Westen nichts Neues)
                                          Athena (Romain Gavras)
                                          Charlotte Wells (Aftersun)
                                          S. S. Rajamouli (RRR)
                                          Gaspar Noé (Vortex)
                                          Joseph Kosinski (Top Gun: Maverick)
                                          Marie Kreutzer (Corsage)
                                          Halina Reijn (Bodies Bodies Bodies)
                                          Mark Mylod (The Menu)

                                          Bestes Drehbuch (10 Nominierungen)
                                          Licorice Pizza
                                          Everything Everywhere All at Once
                                          Im Westen nichts Neues
                                          Nope
                                          Aftersun
                                          Athena
                                          Nightmare Alley
                                          Corsage
                                          Bodies Bodies Bodies
                                          Guillermo del Toro's Pinocchio

                                          Bester Darsteller (10 Nominierungen)
                                          Paul Mescal (Aftersun)
                                          Bradley Cooper (Nightmare Alley)
                                          Cooper Hoffman (Licorice Pizza)
                                          Dario Argento (Vortex)
                                          Ralph Fiennes (The Menu)
                                          Ke Huy Quan (Everything Everywhere All at Once)
                                          Albrecht Schuch (Im Westen nichts Neues)
                                          Timothée Chalamet (Bones and All)
                                          Nicholas Hoult (The Menu)
                                          Christian Bale (Amsterdam)

                                          Beste Darstellerin (10 Nominierungen)
                                          Michelle Yeoh (Everything Everywhere All at Once)
                                          Vicky Krieps (Corsage)
                                          Frankie Corio (Aftersun)
                                          Françoise Lebrun (Vortex)
                                          Renate Reinsve (The Worst Person in the World)
                                          Alia Bhatt (Gangubai Kathiawadi)
                                          Taylor Russell (Bones and All)
                                          Anya Taylor-Joy (The Menu)
                                          Stephanie Hsu (Everything Everywhere All at Once)
                                          Keke Palmer (Nope)

                                          Schlechtester Film (5 Nominierungen)
                                          Thor: Love and Thunder
                                          Tod auf dem Nil
                                          Blonde
                                          Amsterdam
                                          Triangle of Sadness

                                          Beste Kamera (5 Nominierungen)
                                          Top Gun: Maverick
                                          Athena
                                          Im Westen nichts Neues
                                          The Northman
                                          Aftersun

                                          Beste Ausstattung (Kostüme + Kulisse, 5 Nominierungen)
                                          Everything Everywhere All at Once
                                          Nightmare Alley
                                          Corsage
                                          The Northman
                                          Amsterdam

                                          Bester Schnitt (5 Nominierungen)
                                          Everything Everywhere All at Once
                                          Top Gun: Maverick
                                          Aftersun
                                          Im Westen nichts Neues
                                          Bodies Bodies Bodies

                                          Beste Effekte (5 Nominierungen)
                                          Top Gun: Maverick
                                          Everything Everywhere All at Once
                                          Im Westen nichts Neues
                                          RRR
                                          Nope

                                          Beste Filmmusik (5 Nominierungen)
                                          Nope
                                          Im Westen nichts Neues
                                          Bones and All
                                          Athena
                                          Corsage

                                          Bester Song (5 Nominierungen)
                                          RRR - Naatu Naatu - M. M. Keeravani
                                          Bones and All - You made it feel like Home - Trent Reznor & Atticus Ross
                                          Everything Everywhere All at Once - This is a life - Son Lux
                                          Der Gesang der Flusskrebse - Carolina - Taylor Swift
                                          Gangubai Kathiawadi - Meri Jaan - Neeti Mohan

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                                          • 7 .5
                                            Deciuscaecilius 15.03.2023, 20:56 Geändert 15.03.2023, 20:57

                                            Tja, im Grunde kann man sich hier kurzfassen: Bodies Bodies Bodies ist eine mitreißend lustige Satire über klassische Horrortropen und moderne Beziehungen der Gen Z. Mit cooler Musik, sehr passend besetzten Darstellern und hervorragender Kameraarbeit und Dialogregie, gelingt hier eine schöne Slasher Komödie. Das ist alles sehr solide und ohne große Schwächen.
                                            Besonders sticht der Cast hervor, der das seltene Kunstwerk vollbringt nicht lächerlich zu wirken, während ständig im Ton des Internets gesprochen, gestritten und geliebt wird. Ich mochte die ganze Bande ohne da jemanden wirklich hervorheben zu können, auch wenn Pete Davidson als Greg hier vielleicht den meisten Eindruck hinterlässt. Da ich es gerade ganz anders gesehen habe, beeindrucken hier die Szenen mit vielen Personen im Raum, die dabei natürlich wirkende Streitereien führen. Die Bande wirkt dabei extrem unsympathisch aber das soll sie natürlich, denn das macht den Humor des Filmes aus.
                                            Darüber hinaus ist der Film auch eine nachdenkliche Analyse vom Leben im Licht eines Smartphones, das einige Darsteller gefühlt den gesamten Film nicht aus der Hand legen. Es ist eine kalte Welt in seinem blauen Licht, eine Welt in der sich niemand vertraut, weil alle eine Rolle spielen, eine Rolle für sich und fürs Netz. Wenn selbst zwischen Bekannten kaum noch jemand ein realer Mensch mit Schwächen sein darf und die Chats jede Beleidigung, die „draußen“ schwieriger wäre, möglich machen, dann zerbricht ein soziales Gefüge schnell. Das ist was letztlich hier gezeigt wird. Man kann das zynisch finden und es ist sicher auch etwas monothematisch aber in sich funktioniert der Film super.
                                            Am Ende ist es daher aber auch ein Film der eine spitze Zielgruppe anspricht. Wenn einem die modernen Freuden der Gen Z fremd sind, wenn einem diese Leute nur auf den Nerv gehen und nicht doch etwas rühren und sicher auch wenn man einen härteren klassischeren Slasher erwartet, ist das schnell ein schlechter Film für einen. Ein bisschen Spaß sollte man an moderner wokeness haben, zumindest so viel, dass man einen Streit, geführt stehend rund um eine Leiche, um die Frage ob die Eltern nun middle class oder upper middle class sind, urkomisch finden kann. Für mich jedenfalls war es ein großer Spaß.

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                                            • 5 .5
                                              Deciuscaecilius 13.03.2023, 20:43 Geändert 13.03.2023, 20:47

                                              Wie macht man einen Oscar Film? Man gibt einem berühmten Regisseur eine Menge Geld, treibt jeden Star auf der nicht bei drei auf dem Baum ist, sucht sich ein interessantes Thema und lässt das Kreativteam einfach machen. So ist es geschehen mit Amsterdam und so nahm das chaotische Unheil seinen Lauf. Glücklicherweise ist es trotzdem hin uns wieder ein Spaß dem Schiff beim Sinken zuzusehen, denn es sinkt so schön ambitioniert, selbstverliebt und albern…

                                              Das fängt mit dem Dreierteam an: Christian Bale overacted Burt Berendsen köstlich und nimmt dabei den ganzen Raum ein, atmet alle Luft weg und wäre eine Offenbarung, wenn er einen Partner für diesen Wahnsinn hätte. John David Washington als Harold Woodman dagegen unterlässt wirklich alles, was nach Schauspiel aussehen könnte, er ist nicht Woodman, er spielt ihn. Irgendwer scheint ihm zugeflüstert zu haben in einem ernsten Rassismusdrama zu sein und er hat es geglaubt. Dann ist da noch die wunderbare Margot Robbie, die Valerie Voze anlegt als eine schräge Künstlerin, die flirtend und mit großen Gesten durch einen in die Zeit imaginierten Feminismus rauscht. Auch das könnte schön sein, wenn Washington da mitgemacht hätte. Es ist ein Dreigespann, das so wenig miteinander spielt als hätten sie den ganzen Film per Skype gedreht.

                                              Das Beste ist aber die chaotische Story, die durch die charmant eingerichteten Dreißigerjahre mäandert. Die Episode in Amsterdam ist zu lang, die Krimistory belanglos ins Nichts laufend, die Liebesgeschichten unglaubwürdig, kein Schmerz ist spürbar, alles geht in der Unwirklichkeit des Ganzen unter. So schön der Film aussieht, umgibt ihn etwas Unwirkliches, etwas das an einen Fantasyfilm erinnert, sodass man ungläubig zusammenschreckt, wenn der Film im letzten Akt plötzlich seine ernste wahre Geschichte auspackt. Es ist die Definition von Style over Substance.

                                              Wer wusste, dass es im Ersten Weltkrieg eine Kompanie schwarzer Soldaten, die „Harlem Hellfighters“ gab, die der französischen Armee zugewiesen wurden, weil ihre Weißen Kollegen aus den USA sie nicht haben wollten und wer weiß das ein paar Jahre später ein paar reiche Industrielle den Plan hatten, eine Industrie hörige faschistoide Diktatur in den USA zu errichten, wie sie sich das parallel von Adolf Hitler in Deutschland erhofften? Wenn man es weiß, bemerkt man, dass es gutes Filmmaterial wäre aber eben auch Ernstes. Also wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass: David O. Russell hat angenommen und eine Parodie daraus gemacht. Eine Parodie, in der lauter Hollywoodgrößen lauter dumme Dinge sagen müssen. In manchen Szenen stehen ganze Generationen von Schauspielpreisträgern in einem Raum und labern aber solchen Dünnpfiff. Es ist eine Beleidigung für diese Themen.

                                              Es ist einfach zu absurd, als dass der Film funktionieren könnte, dabei hat er dann und wann spaßige Momente, wenn er auch nie richtig zum Lachen komisch ist. Die Musik ist toll, der Score gut die Ausstattung überragend und zum Beispiel hat das Duo Michael Shannon / Mike Myers seine Momente, es wird dabei ein bisschen zu viel über Birdwatching geredet aber es ist amüsant. Wenn das Tempo hoch ist, wenn Washington nicht im Bild ist, wenn der Wahnsinn gerade komplett abhebt und auch dann, wenn die Geschichte einmal kurz die Schwere der Thematik fühlen lässt, wird es gut, aber das alles bleibt Flickwerk. Zugutehalten will ich, dass der Film trotz der Überlänge nicht langweilt und für Freunde des Absurden Bilder bietet, aber zum kohärenten guten Film macht ihn das nicht. Don't Tread On Me, God Damn, Let's Go

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                                                Deciuscaecilius 12.03.2023, 13:00 Geändert 12.03.2023, 13:02

                                                Nightmare Alley ist ein herrlich ausgestatteter Film über etwas, das man Schicksal nennen könnte. Es ist ein moderner Film Noir und ein ganz und gar klassisches Drama, über einen Menschen, der nicht anders kann. Wenn du Menschen aufs Kreuz legen möchtest, nimm dazu einfach ihren Schwung auf und führe ihn weiter. Nichts ist so einfach wie jemanden seinen Willen zu lassen, nicht so schwer wie ihn dabei aufzuhalten. Im Zeitalter der Möglichkeiten hat Guillermo del Toro hier eine Tragödie geschaffen die den Menschen, als etwas Getriebenes zeigt, als Jemanden, der im freudschen Sinne für immer an seiner Kindheit hängt.
                                                Bradley Cooper ist brillant in dem Film, es seine Kunst diesen Stan Carlisle gleichzeitig unsympathisch und interessant zu gestalten. In seinem Gesicht sieht man die unbändige Lust, daran den anderen überlegen zu sein, den Willen bewundert zu werden und keine Hemmungen dafür seine Seele zu verkaufen. Man muss erst einmal so spielen können, dass man unterdrückte Gefühle so deutlich sehen kann, deutlich genug um ihn retten zu wollen und zu deutlich um ihn retten zu können. Cate Blanchett hat es dagegen leicht, sie muss nur den Raum füllen, mit ihrem Körper und mit der hypnotischsten Stimme Hollywoods. Kann irgendjemand sagen, dass er sich nicht auf ihre Couch legen würde? Die Femme fatale liegt ihr im Blut und kein Moment ihrer Auftritte ist langweilig, es ist alles schwer und elegant, wie man es kennt.
                                                Ein Film in gelbes und oranges Licht getaucht, er scheint zu brennen und immer kurz vor dem Unwirklichen zu stehen. Es ist ein Film, der in seinen Bildern und seiner Ausstattung schwelgt, der mit seinem Score verschwimmt und der jede Szene füllt mit den Details einer Fantasie der vierziger Jahre. Man sieht hier einen Film, der sich ganz breit macht und damit den düsteren Plot überstrahlt, ihn ab und zu regelrecht angenehm und zugänglich macht. Man merkt, wie sehr del Toro diese Welten mag.
                                                Vor sich selbst kann man nicht fliehen, ist aber leider auch eine nicht bemerkenswert neue Prämisse. Der Film Noir hat dies in allen Details ausgeleuchtet und man kann sagen, dass Nightmare Alley dem nicht viel Frisches hinzuzufügen hat, nur neu verpacktes. Aber ohne Frage ist es schön verpackt und auch wenn der Gedanke aufkommt das man ein bisschen Filmlänge hätte sparen können, ohne etwas zu verlieren, ist es nicht der Film, bei dem man während des Schauens eine Uhr bräuchte. Da ist ein zeitloses fast perfektes Drama, das funktioniert. Das Schicksal fasziniert uns bei den anderen wie bei uns selbst, denn auch wenn unsere Zukunft wirken mag wie ein Multiversum, fühlt sich unsere Vergangenheit doch immer nur vorbestimmt an. Ich mag das ...

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                                                  Deciuscaecilius 11.03.2023, 19:46 Geändert 19.03.2023, 23:01

                                                  Wir leben in einer Welt der Möglichkeiten, wir können uns jederzeit entscheiden, dies oder jenes zu tun, zu lernen oder zu arbeiten, wir können jeden ficken, jeden lieben und alles ausprobieren, nur sind wir alle sterblich. Unsere Sterblichkeit markiert die Grenze unserer Freiheit und immer dann, wenn wir diese Sterblichkeit fühlen, dann fragen wir uns was wir erreicht haben. Man kann alles probieren und dabei niemals satt werden.

                                                  Renate Reinsve spielt Julie und damit das Zentrum des Films. Alles dreht sich um diese junge unentschlossene Frau, unentschieden im Leben, angezogen und abgestoßen zwischen den Generationen. Ich behaupte einmal, dass dieser Film keinen Buzz hätte ohne Reinsve, die allen diesen Gefühlen ein Gesicht gibt. Sie füllt all das ungesagte aus, sie definiert die Gefühle jeder Scene, sie ist der emotionale Anker, an dem der ganze Film hängt. Diese traurigen Augen kann man schwer vergessen. Es gibt diese eine Szene, in der Julie die größte aller Entscheidungen einfach abgenommen wird und da war plötzlich dieses Verständnis mit ihrem befreiten Lächeln. Es war ein Moment der Filme im Herzen verankert, weil es so schrecklich ist, das zu fühlen und man es trotzdem verstehen kann.

                                                  Der Film trifft also die Probleme der Zeit ins Auge und leider bleibt er mir dabei fremd. So nahe einem Reinsve mit ihrem Spiel kommt, soweit weg bleibt ihr Charakter, so wenig verbunden fühle ich mich ihr. Hier gibt es sogar sexual aufgeladene Szenen, die man nur noch selten in Filmen sieht und ich würde das mögen, wenn es nur heiß wäre. Die Faszination des Filmes ist das er gleichzeitig hoch emotional und total kalt ist. Die Geschichte ist hoch konstruiert, auf einen Zweck optimiert und ich fühle mich manipuliert davon. Ich verstehe, wie es ist, im Meer der Möglichkeiten zu schwimmen und dabei nichts zu spüren, aber Julie bleibt trotz des Verständnisses weit weg.

                                                  Es ist ein gletscherhaft langsamer Film der mit einem Off Erzähler sagt, was er meint und überhaupt viel Zeit damit verbringt, uns kunstvoll Botschaften in die Brotdose zu schnitzen. Ich finde die Überbringer der Botschaften aber unsympathisch, die Kerle, die Eltern, die Freunde und Julie gleich mit, hier geht es um reale Probleme der realen Moderne und der Film nervt mich, zu meiner eigenen Überraschung damit. Ich sehe die Kunst in diesem Film, ich sehe, warum man das sehen will, ich sehe großes Schauspiel, aber ich habe keine Bindung. Es ist zu viel Skizze in dem Film und zu wenig Detail, es ist mir einfach zu konstruiert. Es ist lange her, dass ich so traurig darüber war, für einen Film nicht empfinden zu können.

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                                                    Deciuscaecilius 11.03.2023, 00:06 Geändert 11.03.2023, 00:08
                                                    über Athena

                                                    Do you hear the people Sing? Es ist ein einziger Long Take, diese ersten 30 min von Athena. Es sind 30min des Wahnsinns, der Eskalation und der Wut. Diese Wut, die aus einem Leben ohne Perspektive entwächst und die irgendwann keinen Halt mehr kennt. Vier Brüder werden in diesen Strudel gerissen und rühren den Strudel selbst immer schneller um. Athena ist ein Dystopie, ein Blick in die Zukunft ungelöster sozialer Konflikte, in der Kriege nicht mehr „woanders“, sondern in unserer Mitte gefochten werden. Es ist eine Warnung!
                                                    Singing a song of angry men? Dali Benssalah spielt den zweitältesten Bruder Abdel und er spielt ihn durch alle Gefühlswelten. Vom kontrollierten Soldaten, zum liebenden Sohn, zum treuen Bruder, zum Organisator, zum Helfer, zum Anführer bis in den tragischen Untergang. Es ist eine Rolle, in der Benssalah in wenigen Momenten zeigt, dass es ihm Ernst war mit dem Frieden aber das es ihm zu viel ist. Ihm hilft dabei das auch uns alles Zuviel wird. Sami Slimane spielt den nächst jüngeren Bruder als das Gesicht des Aufstands, ihm steht die Verzweiflung vom ersten Moment an im Gesicht, er wird sie bis zum Ende nicht verlieren. Schließlich ist da Ouassini Embarek als ältester Bruder und dealender Gangster Moktar. Fast könnte er einem leidtun, weil die ganze Wut sein Geschäft kaputtmacht aber der Wahnsinn lauerte eh schon zu nahe unter seiner Haut.
                                                    It is the music of the people. Der Film ist beeindruckend. Die Kamera in minutenlangen Fahrten reißt uns in die Action und in die Gewaltorgien. Es ist ein intensiver Tanz zu hypnotischer Musik und einem fantastischen Score des Krieges. Eine Mischung aus 1917, Sicario und Victoria bricht in voller Wucht durch den Bildschirm, immer nahe an der Ästhetik eines Musikvideos. So sehen wir einen Actionfilm, der sich den bekannten Mustern entzieht, der kein Gut und Böse kennt und keine Lösung hat. Trotzdem unterwirft man sich dem Sog des Krieges schnell, vielleicht auch weil man gar nicht anders kann. Ob gut oder schlecht das ist große Filmkunst.
                                                    Who will not be Slaves again! Ein bisschen fehlen mir aber dann die kleineren Momente, die Frauen, die Kinder und die Alten. Das alles kommt vor, es sind aber Randnotizen in einem Film, der eine Botschaft in großen roten Lettern an die Wand schreibt: Geht nicht den Brandstiftern auf den Leim! Das ist klug aber im Lärm des Krieges schwer zu hören. Mir fehlt die Perspektive des sozialen Brennpunkts, mir fehlt der selbstwirkliche Bewohner der Banlieue, mir fehlen die Menschen außerhalb des Ausnahmezustands. Trotzdem ist das ein wirkmächtiger Film, sind es brachiale Bilder und ein intensives Filmerlebnis. Vielleicht der bessere europäische Kriegsfilm des Jahres 2022.

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