Deciuscaecilius - Kommentare

Alle Kommentare von Deciuscaecilius

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    Deciuscaecilius 09.06.2023, 19:14 Geändert 16.06.2023, 20:52

    Die Frage, ob Sicario 2 eine würdige Fortsetzung ist, muss man wohl zuerst ausblenden. Es ist jedenfalls ein guter Actionthriller. Das Thema Mexiko ist ein unzerstörbarer Konfliktpunkt in der amerikanischen Politik und wurde medial getrieben, tief verwurzelt in den Ängsten der Bevölkerung. Der Konflikt gibt daher viel her und erzeugt Wirkmächtigkeit und Spannung.
    Das Potenzial des Films liegt auch in der gut aufgelegten Runde hispanischer Schauspieler, wie dem jungen Elijah Rodriguez, David Castañeda der seine Rolle als intriganter Vaterersatz und Verführer anlegt und natürlich dem charismatisch gefährlichen Benicio del Toro. Der Film lebt von unangenehmen Männern und ihrer Kultur, die in den Kreislauf aus Gewalt führt und weitere Generationen führen wird. Diese bedrückende Darstellung gelingt den Darstellern durchweg, auch wenn ich Isabela Merced in der zentralen Rolle als Isabel Reyes etwas zu steif fand.
    Das ist auch eines der Probleme des Films, es fehlt eine sympathische Figur, die den Zuseher durch den Film führt, der Film bleibt zu kalt und findet nicht genug empathische Töne, um nahbar zu werden. Der Film ist distanziert in seinem Blick auf die vielen Arschlöcher, die er uns präsentiert und so kommt es kaum darauf an wer oder wie viele davon abgeknallt werden.
    Apropos abgeknallt, das ist ein harter Film, der viel brutale Gewalt zeigt, sie zelebriert, dabei mit seinen Waffen, Hubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen spielt wie ein Zehnjähriger mit Lego. Das ist untermalt von einem soliden, aber in seiner „Entlehnung“ an den ersten Teil sehr deutlich auffallenden Score. Insgesamt soll das alles Anspannung, wie im ersten Teil erzeugen, aber das gelingt deutlich weniger. Zu viel ist hier Kopie und zu viel ist bloße Kulisse für die Gewalt und eine unnötig komplizierte Prämisse. Der Film verkompliziert sich in seinem Verlauf und endet dann leider holprig und unglaubwürdig, während dazwischen einiges ins Leere läuft.
    Aber gesagt werden muss auch, dass es alles Dinge sind, in denen er primär im Vergleich zum geradlinigen, klareren, besser fotografierten und spannenderen ersten Teil abfällt, innerhalb seines Genres ist das immer noch gut über dem Durchschnitt. Die Geschichte bemüht sich um mehrere Perspektiven und die Action ist kompetent inszeniert auch wenn die einzelnen Szenen manchmal zu wenig erreichen. Man guckt das angenehm weg, das ist nicht überlang und einige Bilder aus dem Grenzgebiet sind wieder gut fotografiert. Es ist ein Film, zu dem einen sofort das Wort solide einfällt. Gut inszeniert, gut gespielt und kompetent ge(er)schossen, ergibt einen guten, aber leider nicht mehr großartigen Thriller.

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      Deciuscaecilius 06.06.2023, 22:13 Geändert 16.06.2023, 20:44

      Uff, das ist kaum ein Film, eher ein Businessplan für zukünftige Universen von Franchise-Filmen. Es gibt das Konzept einen Film möglichst gut zu machen und wenn der dann erfolgreich ist, einen weiteren und dann vielleicht noch einen zu drehen… Oder man hält sich an die Methode Kurtzman: Zuerst kommt das Cinematic Universe und dann vielleicht aber ganz vielleicht ein guter Film. Das sieht dann so aus, als hätten 20 Drehbuchautoren nach einem komplizierten Regelwerk schnell irgendetwas zusammen gefriemelt damit die Millionen endlich fließen und es entsteht eine ganz wunderbare Action-Adventure-Comedy-Drama-Superhero-Horror-TomCruise-Thriller-Romance-Fantasy Story.
      Obwohl man Tom Cruise wohl noch am wenigsten Vorwürfe machen kann, er tut sein Bestes einen verschlagenen, aber herzensguten Harrison Ford / Brendan Fraser Verschnitt in einer Actionkomödie zu geben. Das scheitert nicht zuletzt an seiner Partnerin Annabelle Wallis, als Jennifer die eine schrecklich hochgestylte Damsel in Distress in einem Liebesdrama anlegt. Ihre Figur ist dabei die unglaubwürdigste Wissenschaftlerin die ich seit Langem in einem Film gesehen habe, gegen sie wirkt „Willie“ aus Indi 2 wie Marie Curie. Es ist eine undankbare, unglaubwürdige und schrecklich geschriebene Frauenrolle aus einer vergessen geglaubten Hölle der Actionfilme der Achtzigerjahre. Sofia Boutella als Ahmanet dagegen spielt in einem Horrorthriller mit und gibt dabei ihr Bestes den Quatsch irgendwie beeindruckend aussehen zu lassen. Sie ist ehrlich gesagt das Beste am Film und die einzige Figur mit Bezug zum Mumien-Mythos.
      Die Cinematography ist zu dunkel, oft künstlicher CGI-Matsch und langweilig eintönig, die Zombies, Ratten, Spinnen und was auch immer, wirken wie aus Computerspielen geschnitten und strahlen nie eine Bedrohung aus. Die größeren Action Set Pieces sind dagegen Cruise typisch gut inszeniert und z. T. sogar beeindruckend. Leider wirken sie hingeworfen und konstruiert zwischen Haufen von langweiliger Exposition. Und was für Exposition, die ganzen ersten 20min und dann immer wieder hüllt uns der Film mit seinem ganzen Dark Universe Quatsch ein, jede Charakterentwicklung wird darunter zerquetscht und jede Spannung im Keim erstickt. Der Film findet nie einen Ton, zu albern, um ernst genommen zu werden, zu ernst, um amüsant zu sein. Die Liebesgeschichte funktioniert nicht, um mit Cruise so etwas wie Chemie aufzubauen, muss man schon Nicole Kidman sein, ihre Präsenz und Fähigkeiten hat Wallis aber leider definitiv nicht.
      Wie soll man um einen unsterblichen Charakter bangen und wie soll im modernen London eine mystische Geschichte um antike Götter funktionieren? Der Film weiß es auch nicht, also springen wir wild zwischen Schauplätzen hin und her ohne, dass etwas vorangeht, bekommen mehr Exposition und springen dann zur nächsten Actionszene, bevor uns das saublöde Ende endlich vom filmischen Kartoffelbrei erlöst. Eine Runde Einheitsbrei mit Vanillesoße für alle bitte…

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        Deciuscaecilius 03.06.2023, 23:11 Geändert 15.06.2023, 23:14

        Der gute Wes Anderson hat hier einen vergleichsweise experimentellen und stark durch formulierten Film geschaffen, und das will bei ihm schon etwas heißen. Es ist eine in drei Teile gebrochene Liebeserklärung an klassische Magazine und ihre Möglichkeit, uns die Welt in Zeilen zu erklären und es ist eine Ode an Frankreich und die Liberté. Alles ist verpackt in einem surrealistischen und doch naturalistischen Stil.
        Es lohnt fast nicht, bekannte Schauspieler in Wes Anderson Filmen aufzuzählen, es sind einfach zu viele, einfach alle, die immer dabei sind und dann noch einige mehr, die das erste Mal das Vergnügen haben. Schauspieler haben sich eh unterzuordnen in den Flow, den Anderson kreiert. Es ist ein streng getaktetes Regime, das er führt, ein ständiger Wechsel aus Bewegung, Ruhe und Stillstand im Rhythmus einer Musik, die nur Wes Anderson selbst hören kann. Die Bilder leben in ihrer eigenen Welt und das tun sie auch in ihrem Stil. Der Film experimentiert stets, wechselt das Format und Farbe, springt in Animation und Stopp Motion, wechselt die Sprache und schwankt zwischen surrealem und realistischem hin und her. Es ist ein Film, der sich selbst liebt, und in den man sich alleine schon von der Form her verlieben kann. Wenn man Spaß daran hat, sich treiben zu lassen, wird man hier mitgerissen und den ganzen Fluss dahin getrieben.
        Inhaltlich feiern wir eine untergehende Welt der Edelfedern, Menschen, die uns Welten nahe brachten, indem sie sie in ihren persönlichen Ton übersetzten. Es ist eine Welt der großen Magazine mit ihren Stars und den Manierismen ihrer Schreibkunst. Naheliegenderweise berichten sie aber nicht aus den schnöden USA, in denen die herrschenden ökonomischen und sozialen Verhältnisse die Freiheit vieler Menschen beschränkten. Das Sujet ist Europa oder besser gesagt Frankreich, das Mutterland der Revolution, die Kunst und das Essen sind die Themen, um die sich diese Geschichten drehen. Auch hier wird diese Freiheit beschnitten nur nicht ökonomisch, sondern notwendigerweise durch den Menschen selbst.
        Eine Gefängniswärterin bringt die nötige Arbeitsdisziplin zu einem Maler, eine Journalistin zu einem jungen Revolutionär und Koch und Staat verteidigen die Ordnung im letzten Teil. Alles ist eine prächtige und detailverliebte Kunstinstallation. Das ist beeindruckend und doch strahlt es eine Kühle aus, eine emotionale Distanz geschaffen aus einer konstruierten und artifiziellen Welt, die schnell zu viel werden kann. Die erste Episode ist noch bestes Kino im Wes Anderson Stil, aber im Laufe des Films stellt sich eine Ermüdung ein. Vielleicht auch weil der Film keine Satire ist, sondern eine Liebeserklärung an die künstlichen Welten der Magazin Autoren. Distanz ist nicht zu spüren, ihre gedrechselten Worte werden präsentiert wie die Worte Gottes. Mir fehlt etwas Handfestes, etwas Berührendes. Woran hält man sich fest, wenn jedes Bild Selbstzweck ist?
        Ich will nicht ausschließen, dass dieser Film wächst, dass er über die Jahre Freunde des Details versammelt und immer wieder Grund für Neuentdeckungen bietet aber ich habe mich sattgesehen. So viel Gutes ist schön zu haben, nur hätte ich mich am Ende über ein paar dunkle Wolken gefreut, über reale Menschen, welche sich auch real anfühlen und Sätze sagen, die nicht alle aus den Höhen der goldenen Ära des Magazinjournalismus stammen. “Ein bisschen schade”, ist das Gefühl, das ich nach dem Sehen empfunden habe.

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          Deciuscaecilius 30.05.2023, 21:48 Geändert 06.10.2023, 18:47
          über Elle

          Puh ja Elle, Paul Verhoeven braucht seine Provokationen und Isabelle Huppert ist es offenbar langweilig, wenn es nicht richtig brennt in den Filmkritiken. Schwer zu sagen, was Elle überhaupt für ein Genre ist, eine Satire, eine schwarze Komödie, ein Drama oder ein Thriller, so ein bisschen von allem wird man wohl konstatieren müssen. Das ist ein eisenharter Film, den man nur mit warmen Socken gucken sollte, es kann dolle kalt werden…
          Es ist dabei ganz Isabelle Hupperts Film, sie ist nicht nur die zentrale Rolle im Film, sie ist mehr oder minder der Film. Vielleicht ist sie auch der Regisseur des Ganzen, ihre Kälte, ihre Härte und ihre vergrabene Zerbrechlichkeit erschaffen erst das, was man hier als Film sehen kann. Es ist eine so intensive Vorstellung, in der jede ihrer Worte tötet und jeder ihrer Blicke vergiftet ist. Der Kontrast aus den brutalen Dingen, die sie sagt, den hilflos belanglosen Dingen die Menschen so den ganzen Tag tun und der ganzen Gewalt, die sie durchlebt, ist erschreckend und schmerzhaft zu ertragen.
          Filme prägen unsere Kultur und damit findet auch eine Romantisierung von Gewalt statt, Gewalt von Männern und ganz speziell von Antihelden, abgefuckte Typen, die zu Helden in Filmen werden, weil sie weitergehen als alle anderen. Weil es nichts zu verlieren gibt, wird gerne behauptet und daraus eine Kraft abgeleitet, die der Zuseher bewundern soll. Verhoeven und Huppert irritieren hier mit der Neuinterpretation einer solchen Geschichte. Hier ist das abgefuckte frustrierende Wesen eine Frau und sie will kein Opfer sein, koste es, was es wolle. Sie durchlebt diese Akte der Gewalt im Kopf und im Realen immer wieder, nur um den Ausgang zu ändern, um etwas bereits Abgeschlossenes umzuschreiben.
          Das ist ein selbstzerstörerischer sinnloser Akt, etwas, das man mit seinem Therapeuten besprechen sollte, aber das hier ist „nur“ ein Film. Auf absurde Weise kann sie deshalb gewinnen, sie wird alles erreichen, was sie sich wünscht. Alles im Leben wird in die Bahnen kommen. Sie wird diese ganze Bourgeoisie vögeln, diesen ganzen schwachen Männern die Hose herunterziehen und sie entblößen vor der Welt, den Frauen und vor dem Spiegel. Man kann das blödsinnig finden, wie einen Geheimagenten, der als misogyner Alkoholiker mit posttraumatischen Belastungsstörungen jeden Tag und ganz allein die Welt rettet.
          „Scham ist nicht imstande uns von etwas abzuhalten das unsere Lust begehrt“
          Elle ist eine brutale Fantasie geboren aus Ärger, Wut, Schmerz, Begehren und Scham. Will uns der Film etwas damit sagen? Ich weiß es nicht, vielleicht am Ende, nur dass es gar keine Erklärung braucht.
          Der Film zieht seine dunkle Komik aus dem Aufprall der Normalität unserer stumpfen Berufe, unserer verlogenen Weihnachtsfeste, unserer gewöhnlichen Ehen und unseren eingeübten Manieren mit dem Ernst der Gewalt, die normalerweise in Filmen und Computerspielen abstrahiert und ästhetisiert des Weges kommt. Der Psychokrieg zertrampelt eine verlogene Welt und erzeugt dabei bittere Komik. Eine Komik, die nicht jeder komisch finden wird und sicher auch nicht komisch finden soll. Ich bin mir sicher, Verhoeven und Huppert wird es egal sein, sofern man überhaupt etwas spürt. Manchmal hat Kunst harte Kanten und jeder muss selbst entscheiden, ob er damit leben kann…

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            Deciuscaecilius 28.05.2023, 21:33 Geändert 16.06.2023, 21:02

            Da sitze ich hier einmal mehr, während Max Richters Reimagining Vivaldi im Hintergrund läuft, und will etwas über „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ schreiben. Zweifelsohne ist der Film ein Meisterwerk des modernen Kinos, auch wenn er nicht ohne Schwächen ist, ein langsamer getragener und vollständig auf Weiblichkeit konzentrierter Film, geprägt von rigoroser, aber betörender Formsprache und imponierenden Bildern.
            Es ist ein Film ohne Musik oder besser gesagt wir hören die Musik nur, wenn unsere Protagonisten Musik hören. Das macht diese wenigen Momente von Vivaldis Sommer und dem atemberaubenden Chorus der Frauen des Dorfes besonders wirkmächtig. Es bedeutet aber nicht, dass es keinen Rhythmus gäbe, der Film ist getaktet durch die Momente der Stille, die Länge der Pausen zwischen Sätzen und Wörtern. Die Dialoge formen die Struktur und Hintergründe, wie das Meeresrauschen, Schritte und das Knacken des Feuers die Basis bilden. Es ist ein formstarkes und strenges Korsett, das den Film trägt, wie seine Bilder.
            „Wenn Sie mich ansehen, wen sehe ich dann an?“
            Der Film handelt dabei primär vom Sehen und gesehen werden, von der Frage, wer Objekt ist oder dazu gemacht wird, und wer das mit seinen Blicken bestimmt. Der Film zeigt in seiner zentralen Szene, dass die Positionen zuerst getauscht werden müssen, bevor Gleichheit und damit eine Beziehung auf Augenhöhe entstehen kann. Es ist der Traum von Gleichheit ohne sexuelle oder Rollen geprägte Objektifizierung. Aber nicht nur die Bilder der Frauen prägen den Film, sondern auch die in grelle Kontraste und Farben getränkte Welt, das Meer an dieser rauen Küste, die Feuer und der einfallende Sonnenschein in die Fenster der Villa. Vieles erinnert an Gemälde, Vermeers seitliche Beleuchtung, Rembrandts Figuren aus der Dunkelheit und Velázquez Blicke zurück aus dem Gemälde in die Seele des Betrachters. Es ist ein schwelgen in den Kapiteln der Kunst und in gemalten Emotionen.
            „Allen gleich sein ist ein schönes Gefühl…“
            Seine Emotionen entstehen aus der Anspannung, der Anspannung, die aus jeder Szene dringt, die in jedem Moment der Stille liegt. Héloïse will kein Objekt sein, das verschenkt und verschifft wird zum Wohle ihrer Mutter und eines Mannes, den sie nicht kennt. Marianne muss sie betrügen, um selbst ihre Welt gestalten zu können. Die Machtverhältnisse sind klar und müssen daher langsam und Stück für Stück gebrochen werden, bis beide Frauen keine andere Chance mehr haben und nachgeben müssen. Es ist diese Spannung, die auch dem Zuseher irgendwann unerträglich wird, eine Spannung immer tiefer dringender Blicke und kleiner Gesten, einem Augenbrauenzucken hier, einem hochgezogenen Mundwinkel da. Die Welt spannt sich an und muss irgendwann loslassen.
            „Bedeutet frei sein allein zu sein?“
            Diese Spannung ist der zentrale Teil des Films, sein Sub-Plot diese Geschichte rund um eine Abtreibung, vervollständigt ein Bild einer Welt in der die Männer die Regeln machen, aber nicht zu sehen sind. Sie prägen das Äußere bleiben selbst aber unsichtbar. Das ist eine konsequente aber auch einschränkende Entscheidung, denn sie entlässt die Hälfte der Menschheit aus der Diskussion und aus der Verantwortung. Vielleicht ist das egal, weil es genügend Filme gibt die umgedreht eine Welt ohne Frauen zeigen aber es beraubt den Film um die Vollständigkeit einer Welt, die aus mehr als aus einem Geschlecht besteht. Dem Film fehlt auch eine Leichtigkeit, seine Themen und seine Protagonisten sind ernst bis ins Mark. Das ist so, weil es Céline Sciamma Ernst ist mit ihren Themen, aber wie schon bei der künstlichen Einengung der Welt, beraubt es den Film um spielerische Momente der Liebe.
            „Es war nicht die Entscheidung der Liebenden, sondern des Dichters…“
            In diesem Ernst liegt aber auch die Kraft des Films, er prägt die Einsamkeit seiner Frauen in einer Welt, die sie nicht bestimmen, die keine Wahlmöglichkeit für sie offenlässt. Das ist dann auch der Schlüssel zur Kraft der Erinnerung an die Liebe. Eine Erinnerung, die stärker ist als jede alltägliche Liebe und die Momente der Katharsis beim Anblick von Seitenzahlen und in der Verknüpfung zu Vivaldis Sommersturm hervorruft. Die zerstörerische Kraft des Films kommt aus dieser Hingabe zu einer Idee und zu Erinnerungen daran. Es ist eine literarisch überhöhte, aber daher absolute Form von niemals vergehender Leidenschaft.
            „Es braucht immer zwei, um zu lachen…“
            Noémie Merlant und Adèle Haenel leben diese Hingabe überzeugend. Ihre Leistung als Schauspieler prägt das Ergebnis dieses wegweisenden Films über einen weiblichen Blickwinkel auf die Kunst und ihre Rezeption und das ist mehr, als man von den meisten schauspielerischen Leistungen sagen kann. Die beiden prägen einen der Filme des Jahrzehnts und ihre Augen und zarten Momente des Lächelns wird man nicht vergessen.

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              Tja, die ganzen drei Staffeln mit Jodie Whittaker litten an inkonsistentem Writing, zu vielen und z. T. nicht wirklich guten Nebencharakteren und zu chaotischem hin und her. Staffel dreizehn „the Flux“ macht da keinen Unterschied. Die Staffel will ein Best Off aller Themen des Doctor-Who-Universums sein, ist aber oft nur wirres Durcheinander in hübscher Kulisse.
              Ich mochte Whittaker als Doctor, aber die Serie braucht einfach bessere Drehbücher. Ganz speziell benötigen die Companion etwas Sinnvolles zu tun, sie brauchen eine Agenda, eine eigene Persönlichkeit neben dem Doctor und es sollte nicht Horden davon geben. In „the Flux“ tauchen schon wieder Neue auf, obwohl Jaz gerade erst ein bisschen besser mit Whittaker harmonierte, nachdem die beiden Langweiler draußen waren. Da gibt es dann aber schon wieder neue Leute ohne groß etwas zu tun zu haben.
              Staffel dreizehn gibt noch mal alles und schafft gerade dadurch nicht die Wende, hoffentlich finden Sie irgendwann wieder ihren Fokus auf interessante Science-Fiction, schrullig aber charmant sollte das Ziel sein nicht wirr und chaotisch…

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                Deciuscaecilius 23.05.2023, 21:12 Geändert 18.06.2023, 00:50

                Trashmop 2
                The Time Travelers von 1964 ist ein seltsamer Film, dessen Faszination primär aus seinem vergleichsweisen interessanten Plot kommt. Speziell das Ende ist ungewöhnlich und bringt einen künstlerischen Touch in den Film. Leider geht das dem Film in seiner gesamten Lauflänge etwas ab, die steifen Dialoge und einige etwas ziellos wirkende Plot Elemente wirken aus der Zeit gefallen. Es ist aber eben ein Film von 1964, der vieles voraus nimmt, das spätere Zeitreisefilme nutzen und ausbauen werden, die große Vision, die einige der späteren Werke über die Zukunft der Menschheit ausstrahlen werden, fehlt hier allerdings noch.
                Die Idee mit dem Zeitfenster ist interessant, die Zweiteilung der Menschheit in die intelligenten Überlebenden und die der Sprache unfähigen Mutanten in verschiedenen Stadien der Degeneration eigentlich auch, aber hier wird wenig investiert. Es bleibt bei einer völlig folgenlosen Konfrontation zwischen einem halben Mutanten und der oberflächlichen Moral der Überlebenden. Gänzlich schräg wirkt eine sexuell aufgeladene Szene mit partieller Nacktheit, die möglicherweise eine Vision für eine offene Sexualität in der Zukunft ausstrahlen sollte, aber auch hier bleibt die gesellschaftliche Struktur der Zukunft vage. Alle Schauspieler overacten und sprechen hier Sätze immer mehr für das Publikum als für sich selbst. Das Kostümdesign und einige Effekte sind dagegen für einen solchen Film überdurchschnittlich gelungen, die Androiden z. B. sind gruselig und interessant designt.
                Mich haben einige sehr bedeutungsschwanger und mit aggressiver Musik unterlegte Szenen gestört, hier wird minutenlang Lärm gemacht und dann passiert wenig. Der Spannungsaufbau ist im gesamten Film sehr konfrontativ in der Tradition eines klassischen Western aufgebaut, tiefere Bedeutung steht grundsätzlich dahinter zurück. Moderne Technologie wird konsequent als Zaubertrick präsentiert, ohne dass sie große Bedeutung für die Story zu haben scheint, am Ende überfallen die Fremden die Station ungeachtet des technologischen Unterschieds und es wird sich geprügelt wie eh und je.
                Trotz dieser Schwächen blitzt eine interessante Zukunftsvision durch, ich hätte nur lieber mehr davon gesehen. Es ist eine frühe Version der Zukunft, die ihre Präsentation noch ganz auf die Schauebene legt, gesellschaftliche und zwischenmenschliche Dynamiken fallen eher am Rande an. Als Einblick in einen frühen Entwicklungspunkt der Science-Fiction-Filme ist der Film spannend, ich hatte allerdings nicht das Gefühl, dass hier etwas wirklich Spezielles entwickelt wurde. Damit bleibt eine interessante Reise in die Vergangenheit der Vorstellungen unserer Zukunft, die noch ganz unterhaltsam anzusehen ist.
                Ach, ähm, vielleicht ist das Problem des Films genau das, der wirkt manchmal etwas trashig, aber der will ernsthafte Science Fiction sein, der Tanz auf beiden Hochzeiten ist aber etwas viel auf dem Teller...

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                  Deciuscaecilius 19.05.2023, 23:42 Geändert 19.05.2023, 23:44

                  „Wow, Wow, Wow. Ich habe es mir Lustig vorgestellt aber das übertraf alle meine Erwartungen.“ Ich möchte gestehen, dass ich die Kolumnen und Comics vom Känguru mag, der Humor ist nicht komplex aber er fasst prägnant einige Gesellschaftsprobleme zusammen und hat in den besten Momenten eine anarchische Note, die deutschem Humor oft fehlt. Leider gelingt es dem Film nicht, dass auf eine Leinwand zu bringen. Dabei krankt er an drei Problemen:

                  Die Kritik: Von der anarchischen Systemkritik ist nicht mehr geblieben, als auch ein Disney Film identisch präsentieren würde. Da haben wir ein paar dumme arme Nazis und ein paar böse und noch dümmere reiche Nazis und wenn man die besiegt wird alles gut. Man kann die auch gut erkennen, die schwangere Nazibraut trinkt, die schlechte Trump Parodie ist eine schlechte Trump Parodie und ihre Helfershelfer sind eben dumme Klischees, wie sie J.K. Rowling nicht besser hätte schreiben können, fett ist gleich dumm und reich gleich gemein. Es ist ein Elend mit der politischen Kritik in der deutschen Komödie. Sichtbar simple Gewalt ersetzt hier den realen aber medial weitgehend ausgeblendeten Druck einer Gesellschaft auf ihre Schwächsten und die Gründe für den Erfolg rechter Populisten verschwimmen in dumpfen Prügeleien.

                  Die Schauspieler: Dimitrij Schaad hat es von deutschen Bühnen bis zu Killing Eve gebracht, einen Grund dafür kann man in diesem Film allerdings nicht finden. Das Humor Tragik braucht, hat hier jemand gelesen, aber inszenieren konnte oder wollte man es nicht. Das deutsche Kino ist der Ort, an dem jedes noch so kleine Empfinden auf der Zunge liegt. Komplexe Gesichtsausdrücke braucht es da nicht. Apropos Show don’t tell, da ist auch noch Rosalie Thomass, der man scheinbar die Regieanweisung gegeben hat, dass alles komisch ist, was man mit unbewegtem Gesicht vorträgt. Schade das es nicht stimmt, ansonsten hatte man sie eventuell schauspielern sehen können und es wäre etwas Gefühl in den kalten Film geflossen.

                  Die Referenzen: Die Macher haben den ganzen Kanon der neunziger Jahre gesehen, Fincher, Tarantino, die Coen Brüder, Spike Lee, einfach alles ist vertreten und wird zitiert in der Hoffnung, dass jemand der besseres Kino gewohnt ist, allein beim Erkennen der Referenzen in Freudentränen ausbricht. Stattdessen pinkelt man nur selber auf die Stärken anarchischerer und subtilerer Filme. Der Film ist eine Aneinanderreihung von Sketchen, lose gehalten von etwas das kaum als Plot durchgeht und viele der einzelnen Szenen sind nur albern. Nicht das alles völlig unlustig wäre, es gibt Momente, die wie schon in den Büchern immer noch amüsant sind, nur wären sie das auch als Tiktok, einen Film hätte es dazu nicht gebraucht.
                  Die deutsche Filmförderung hat wieder etwas hervorgebracht das so schrecklich brav und bürgerlich ist, dass wohl auch Philipp Amthor darüber lachen würde. So spült man Systemkritik das Klo runter…

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                    Deciuscaecilius 19.05.2023, 13:58 Geändert 18.06.2023, 00:56

                    Ich habe wieder Blade Runner gesehen, im Final Cut, für HD-Blu-Ray restauriert, mit HDR und in Dolby Atmos. Das erneute Ansehen war schon immer ein Filmerlebnis, ist es aber jetzt noch einmal ganz besonders. Der Klassiker wirkt nicht wie ein 40 Jahre alter Film, stattdessen beeindruckt er auch im Gegensatz zu aktuellen Filmen durch bestechendes Worldbuilding und einen fantastischen Sound.
                    Diese Welt wirkt so lebendig, so real und besticht durch ihre detailverliebte Ausstattung, Blade Runner erschafft eine wegweisende Atmosphäre zum Versinken. Diese Welt im Untergang fühlt sich dreckig und modern an, jeder Moment darin ist eine Reise in eine fremde und doch vertraute Welt. Ein Film noir verlegt in eine düstere Zukunft des zügellosen Kapitalismus. Diese Stadt mit den Neonlichtern über der verfallenen Bausubstanz ist unvergesslich. Der Score war immer etwas Besonderes, aber in der aktuellen Abmischung wischt er mit einem großen Teil der Filme der letzten Jahrzehnte den Boden auf. Von einer Seite prasselt der Regen, die Autos zischen durch den Raum, die Welt atmet ein und aus und die Kamerafahrten schwelgen im Sound von Vangelis. Es ist ein audiovisuelles Meisterwerk.
                    Blade Runner ist kein Actionfilm, aber die kurzen, harten Szenen entwickeln durch ihre scharfe Brutalität eine immer noch wirksame Anspannung, eine Anspannung, die sich auch durch den restlichen Film zieht. Vielleicht weil es kalte Morde sind, an denen wir teilhaben und die der Held des Films für uns ausführt. Selbst in der sich auflösenden Ordnung einer sterbenden Welt gibt es diese Diener, die eine soziale Hierarchie mit brutaler Gewalt stabilisieren. Die Frage, ob Deckard ganz formal seine eigenen Brüder tötet oder ob er nur ein gewöhnlicher Sklavenjäger ist, umschwirrt den Film seit vielen Jahren und spielt doch kaum eine Rolle. Der Final Cut ist hier glücklicherweise subtil genug, um es uns zu überlassen, aber trotzdem dem Gedanken Raum zu geben, ohne die Frage unnötig auf zu blasen.
                    All these moments will be lost in time like tears in the rain.
                    Der Wert des Lebens bemisst sich in den Erinnerungen des Einzelnen, kein Wesen steht darüber oder darunter. Sind diese Erinnerungen echt oder fremd? Was spielt es für eine Rolle, wenn sie sich für ihre Besitzer echt anfühlen? Wir mögen die Realität unterschiedlich erleben, aber das Ende unserer Erinnerungen ist das Ende von uns allen. Deckard sucht nach seiner ganz persönlichen Identität in dieser kalten Welt, die Erkenntnis, dass es dazu mehr seiner persönlichen Entscheidungen bedarf, scheint gerade aus dem Gedanken zu erwachsen, dass seine Erinnerungen nicht so verlässlich sind, wie er einmal dachte. Es ist ein interessanter Gedanke, aus unverlässlicher Vergangenheit auf eine neue Freiheit in der Zukunft zu schließen. Es ist der gleiche Gedanke, der seinen Gegenspieler Roy Batty antreibt, welche diesem aber von der Gesellschaft seiner Sklavenhalter final verwehrt wird.
                    Man kann den Film trotzdem kritisieren, für seine lässig geschummelte und grob eingeführte Liebesgeschichte, eine wenig elegante Text Exposition oder für wenig entwickelte Nebenfiguren, aber es macht kaum einen Unterschied. Der Film entwickelt seine Wirkung aus dem Weglassen, aus der Einsamkeit seiner Protagonisten im Angesicht einer zerbrechenden Gesellschaft und den ungelösten Fragen ihrer eigenen Menschlichkeit. Das macht die Wirkmächtigkeit des Films aus und die Atmosphäre seiner Welt lässt diese bis zum Ende nicht abflauen. Das war und ist damit einer der besten Filme aller Zeiten.

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                      The Power of the Dog ist ein Psychodrama verpackt in einen Western und wie hier der Western nur eine neuseeländische Kulisse ist, agieren auch die Protagonisten nur scheinbar so, wie die Cowboys aus den Western unserer Kindheit. Die Zeitenwende naht auch im Westen und nicht nur das Auto ersetzt so langsam die Pferde auch eine neue Freiheit erfasst die Menschen und wird das Leben nachhaltig verändern. Wohl dem, der sich anpassen kann.
                      Dieser Film beeindruckt als Erstes mit seiner audiovisuellen Brillanz. Die Cinematography ist atemberaubend, die weiten Landschaften leuchten, die Ausstattung der Häuser, Salons und Scheunen wirkt brutal authentisch und die gesamte Kleidung von den Anzügen über den Cowboykram, bis zu den seltsam fremd aber modern wirkenden Sachen von Peter, sind exzellent ausgewählt. Dazu kommt die fabelhafte Musik von Jonny Greenwood, die den Zuhörer von Spannung zu Spannung vor sich hertreibt. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen und der Film ist jeden Blick wert, um diese Perfektion genießen zu können.
                      Dann sind da die gut aufgelegten Schauspieler, zuerst natürlich Benedict Cumberbatch als Phil der diesem Mann ein überbordend dominantes Auftreten verleiht, jeder Auftritt, immer hörbar am Stampfen der Stiefel, ist ein Schauspiel der Anspannung. Dieser Mann ist Gift auf zwei Beinen, der König der Idioten, ein Herr der Ratten und umso überraschender kommen dann diese Momente in denen da etwas anders durchblitzt. Momente der Unsicherheit, des isolierten Daseins erscheinen plötzlich in diesem wettergegerbten Gesicht und man weiß nicht, ob man sich gruseln oder Mitleid haben soll. Daneben steht Jesse Plemons als sein Bruder George und hat die undankbare Aufgabe ein emotionales Vakuum dagegen sein zu müssen. Zu seiner Ehrenrettung: Er ist das absoluteste Vakuum der Westerngeschichte. Weniger Emotion war nie und doch zeichnet er in diesen wenigen Schritten einen Mann, der vorwärtsgehen will und kann. Sosehr er in der gleichen Unfähigkeit zu Gefühlen steckt, wie sein Bruder, so sehr zeichnet Plemons auch das Bild von einem der es überwinden will.
                      Kirsten Dunst als Geoges neue Frau Rose und Kodi Smit-McPhee als ihr Sohn Peter sind dann die Menschen, die eine Welt in die Moderne führen sollen. Beide wirken schwach, lieb und schmerzhaft fremd in dieser Welt der Männlichkeit. Dunst gelingt es, diesen Schmerz nach außen zu tragen, dieser ganzen Fremdheit und Verzweiflung ein Gesicht zu geben, sie ist das Opfer in diesem Kampf zwischen Aufbruch und Rückschritt und sie ist diejenige, welche in dieses emotionale Vakuum gesaugt wird. McPhee ist ein Phänomen, sein unnachahmliches Auftreten ist der pure Cringe in dieser Welt und damit setzt er unsere Erwartungen, obwohl er diese schon sehr schnell aber subtil unterläuft. Auch der Zuschauer des Jahres 2021 kann sich seinen Vorurteilen ihm Gegenüber kaum entziehen.
                      Es ist ein Film, der eine brutale Anspannung aufbaut, während der vorhandene Plot gletscherhaft langsam, aber unaufhaltsam voran kriecht. Alles ist düster und creepy und doch passiert gar nichts, bevor es dann auch schon wieder vorbei ist. Hier ist alles Charakterdrama und wenig davon wird uns überhaupt enthüllt. Wir sehen immer nur die Auswirkungen und ab und an einmal kleine Bröckchen von Motivation der Protagonisten. Es ist ein Film der mehr in unserem Kopf, als in seiner Handlung stattfindet. Das muss man mögen, Campion hält uns fern von diesen Menschen, sie erzählt über ein Gefühl und lässt es uns spüren aber ein „Warum“ steht nicht auf der Karte. Vielleicht weil es diese Protagonisten auch nicht wissen bzw. nur einer von ihnen etwas weiß, der aber zu abgeklärt ist, um es uns zu verraten.
                      Ich glaube zu wissen, warum dieser Film alle Oscars bekommen sollte und kaum einen bekommen hat: je mehr Menschen diesen Film sehen, je mehr werden ihn hassen. Selten habe ich etwas gesehen, das so selbstbewusst Kunst ist und den Zuseher sosehr dazu zwingt wegzugehen oder sich zu ergeben. Sicher ein Meisterwerk das bleiben wird…

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                        Deciuscaecilius 15.05.2023, 20:32 Geändert 15.05.2023, 20:35

                        Denis Villeneuves Prisoners ist ein Thriller über das gefangen sein in seinem eigenen Labyrinth, hilflos ausgeliefert den eigenen Ängsten und Erwartungen und gefangen im Kreislauf des sich unablässig Wiederholenden. Prisoners ist auch ein konventioneller Serienmörderfilm, einer unter den gefühlten Millionen da draußen, ein weiterer Teil eines Genres, gefangen in einem Labyrinth aus selbst geschaffenen Ängsten und Erwartungen und im unablässigen Kreislauf des sich Wiederholenden.
                        Es ist ein wunderschön fotografierter Film, jede Kameraeinstellung wirkt durchdacht und passend, jede Farbe genau richtig, der Film erweckt eine amerikanische Kleinstadt und seine Protagonisten zum Leben und verurteilt sie gleichzeitig zum Leben in der Hölle. Die Musik ist subtil und passend und der Film ist ein Atmosphärenmonster, vom ersten Moment an dringt eine bedrohliche Angst in diesen Film und entert ihn dann Stück für Stück vollständig. Es entsteht ein konstanter Druck, der den Zuseher belastet und stresst, so entsteht eine düstere bedrückende Erfahrung voller Spannung.
                        Der ganze Cast ist durchgängig brillant und passend besetzt, Ausfälle gibt es keine auch wenn Hugh Jackman, als Keller Dover der Vater eines der entführten Mädchen in dieser für ihn ungewöhnlich düsteren Rolle heraussticht. Dieses abrutschten in die Gewalt, erwachsen aus einem übertriebenen Pflichtgefühl und dem fehlenden Vertrauen in jegliche staatliche Kraft, zeigt er schonungslos und überzeugend. Sein unfreiwilliger Gegenspieler Detektive Loki gespielt von Jake Gyllenhaal, steht ihm nicht nach und legt den Besessenen und im Netz seiner Verantwortung gefangenen Cop gleich gut an. Diese beiden auf unterschiedliche Weise besessenen Menschen stellen eigentlich das zentrale Konfliktpaar des Films.
                        Angst essen Seele auf.
                        Das hätte damit einer der besten Filme aller Zeiten werden können, wenn da nicht jemand gekniffen hätte. Die Idee, endlich einmal wegzukommen, von der Spirale immer genüsslicher eskalierenden Serienkillerfilmen, die sich längst in jedem denkbaren Maß von der Realität verabschiedet haben, ist an sich faszinierend. Diese Welle nervt und ist Teil des Problems, warum genau dieser Vertrauensverlust überhaupt glaubwürdig wird. Normalerweise bestehen die Filme schon aus sadistischer Gewalt der Täter gespiegelt in immer brutalerem Vorgehen von Polizisten, die kaum einen Scheiß auf die Gesetzte zu geben scheinen. Hier im Film kann man es daher fast konsequent finden, das Keller den behinderten Jungen foltert, weil es doch in Serienkillerfilmen eigentlich Aufgabe der Polizei wäre Gesetzte zu brechen, wenn es doch nur der „guten Sache“ dient. Er muss hier eben aushelfen…
                        Den Bruch mit den Konventionen hält der Film dann aber nicht bis zum Ende durch, der Film dreht vom zentralen Konflikt zwischen Ordnung und Chaos auf den üblichen Serientäter Blödsinn, hier in Gestalt des „War on God“ Plots. Das ist unglaubwürdig wie immer, zu sehr in die Länge gezogen, voll von Plot Löchern und zu vielen Twists. Der Film endet dann fast versöhnlich und unter völligem Ausblenden des Schicksals des eigentlichen Opfers des Films. Ich wollte Keller auf einer Anklagebank sehen, ihm dabei zusehen wie er die Geschichte von der Folterung eines Unschuldigen seinem Sohn und seiner Frau erklärt, stattdessen nickt es seine Frau gleichgültig weg, als hätte er nur Süßigkeiten geklaut und der Rest wird freundlich ausgeblendet.
                        Dabei gibt es in dem Film nur einen Täter und das ist Keller, seine Täterschaft wirkt real und glaubwürdig ganz im Gegensatz zum üblichen Unsinn, der hier am Ende freundlicherweise vom Bösewicht herbei monologisiert wird. Warum kann kein Film den letzten Schritt gehen und seinem eigenen Genre den Arsch aufreißen? Das war so kurz davor…

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                          Deciuscaecilius 14.05.2023, 14:51 Geändert 14.05.2023, 14:55

                          Which would be worse, to live as a monster, or to die as a good Man? Shutter Island handelt davon wie ein Polizist eine sehr persönliche Suche nach einer verschwundenen Person auf einer Insel mit abgeschlossener psychiatrischer Klinik in den fünfziger Jahren durchführt. Das ist dann auch so Klischeehaft wie es sich anhört, jeder Arzt, jede Krankenschwester, jeder Patient, jede Innenansicht der Klinik sehen so aus, wie man sich das vorstellt und unser Protagonist ist natürlich auch nicht ganz derjenige von dem uns anfangs erzählt wird.

                          Ich habe den Film viele Jahre nicht gesehen und hatte ihn ehrlich gesagt besser in Erinnerung. Vielleicht liegt es an mir oder an einem Wandel im Zeitgeist aber der Film ist mir mittlerweile zu dick aufgetragen. Die Musik hämmert ihre Botschaft über jede Schmerzgrenze in die Welt und der gute Leonardo DiCaprio spielt sich die Seele aus dem Leib, Subtilität ist seine Sache nicht. Einen inneren Kampf kann man dementsprechend nicht erkennen, stattdessen wird jede Regung nach außen getragen, würde jemand seine vergrabenen aber spürbaren Ängste so zeigen? DiCaprio schafft es nicht diesen Charakter zum Leben zu erwecken, ihn glaubwürdig in dieser Welt zu verankern, zu viel ist hier aufgewühlte Oberfläche und zu wenig gefährliche Unterwasserströmung.

                          Der Film beginnt mit Exposition und endet mit einer langen Erklärungsrede in der alles, und auch wirklich alles, auserzählt wird und ich wünschte mir, dass man es hätte selbst herausfinden sollen. Oder besser noch hätte nicht unser Protagonist diese Erfahrung machen müssen? Wenn diese unmoralische Charade, welche die Psychiater hier aufführen irgendeinen Zweck hätte haben sollen, dann müsste es genau das sein, eine genuin intrinsische Erfahrung für den Patienten, eine Reise, bei der die Erkenntnis ganz natürlich in ihm reift, nicht in den vermutlich zum zehnten Mal gemachten Ausführungen seiner Ärzte erzwungen wird. Der Film klebt an seiner Twiststruktur und schwelgt in seinen kleinen Hinweisen, die dann beim zweiten Zusehen das Gehirn beim entdecken mit Freude erfüllen sollen. Dieser Teil funktioniert aber er wirkt auch allzu gewöhnlich.

                          So bleibt es nur ein B-Movie Plot der mit elegant verpacktem Pulp seine Nazi-, Asylum- und Kindermord Schauerbilder präsentiert. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit PTBS findet nicht statt, stattdessen werden die Klischees gewalttätiger psychisch Kranker breitgetreten und als Grusel Motiv verarbeitet. Die fehlende Empathie des Protagonisten (und die seiner Ärzte, die sie ihn auch ihren Patienten gegenüber ausleben lasen) überträgt sich auf den Zuseher, die kranken Menschen werden einmal mehr zu Ausstellungsstücken einer Freakshow. Als modernes psychologisches Drama versagt der Film daher.

                          Die träumerisch angelegte Verrücktheit dringt trotzdem effektiv und bedrückend in diese Welt, das macht die Faszination des Films aus. Selten wurde Pulp mit so viel Aufwand inszeniert und dargestellt, dem kann man sich weiterhin schwer entziehen. Irgendwo zwischen dem obligatorischen Leuchtturm, dem düsteren Gefängnisfluren und dem Grusel der Lobotomie liegen die Referenzen zu Shining, dem Kuckucksnest und Dr. Caligari und das alles zusammen ist wirkmächtig und effektiv. Für mich wirkte es aber immer wie der einfache, der konventionelle Weg, bei dem man wenig falsch machen kann, der aber dann auch nur zu einem weiteren Horrorthriller mit bekannten und letztlich glattgespülten Bildern führt.

                          Was will der Film aussagen? Ich denke leider nicht viel, er ist sich selbst genug, präsentiert seine Bilder, seine Schauspieler und am Ende seinen Twist, um dann gemütlich in der Filmgeschichte zu verschwinden. Schön für ihn, Zuwenig für mich…

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                            Deciuscaecilius 09.05.2023, 21:04 Geändert 09.05.2023, 21:07

                            In gewisser Weise ist dieser Film gefährlich, sollte ihr Testosteron Spiegel eh schon hoch sein, könnte es passieren das ihnen beim Ansehen dieses Films die Haare auf dem Kopf ausfallen und dafür noch ein paar am Sack nachwachsen. Der Film ist so männlich, dass man fast glauben könnte, es gäbe es gäbe in seiner Welt keine Frauen mehr (wobei, nicht ganz, Prostituierte scheint es zu geben…).
                            Das ist dann das ganze Problem mit dem Film, es ist nichts neu an ihm, es ist nur alles noch männlicher, noch härter und einfach noch cooler. Es ist Heat ohne dessen Eleganz, Inside Man ohne dessen Charme und Sicario ohne dessen realistische Eindringlichkeit. Um nicht falsch verstanden zu werden, der Film ist OK, seine Actionszenen sind gut, die Shootouts sind beeindruckend in Cinematography und Sound, nur hat es das alles schon einmal gegeben und es war häufig besser erzählt.
                            Gerard Butler spielt das, was er am besten kann, Testosteron auf Beinen und das ist beeindruckend, nur ist es nicht glaubwürdig, es erschafft keinen Menschen nur ein Abziehbild amerikanischer Polizeidystopien. Ihm fehlt außerdem das Gegenstück, Pablo Schreiber spielt in dem Film mit aber hauptsächlich als Körper und überhaupt gar nicht als Charakter. Umso absurder ist das aus dem Arsch gezogene Ende, das sich wie ein Fremdkörper anfühlt, weil es zwar Heat nachmacht, aber dafür keine Herleitung betrieben hat. Wenn man alle Regler auf zehn dreht, gerät man schnell in eine Lage, in der alles ein bisschen wirkt wie die eigene Parodie, insbesondere wenn einem Ironie fremd ist.
                            Zu gute halten muss man dem Film allerdings das er sich um einige gut gemachte Twists bemüht und damit einiges unlogische in der ganzen Planung des überambitionierten Heists überdeckt. Es macht Spaß den Marines beim Austricksen zuzusehen. Warum dieselben ex Marine Raiders dann allerdings im zweiten Drittel des Films verlernt haben wie man schießt, bleibt ein Geheimnis des Films, bzw. eigentlich auch nicht, denn es ist ein weiteres Opfer von Style over substance. Es mussten die Besten der Besten sein, auch wenn das dann nicht immer zur Handlung passte.
                            So wird dieser coole Heistfilm immer wieder Opfer seiner eigenen Großmannssucht aber, wenn man damit um kann, bleibt ein Film der seine Stärken hat. Ein gut gemachter, gutaussehender Actionfilm der mit ein paar Bier sicher Spaß macht. Mehr ist da allerdings nicht zu holen.

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                              Blue Jay von den Duplass Brüdern ist ein kleiner Film, ein Film, der nicht einmal eine deutsche Wikipedia Seite besitzt. Was schade ist, weil sich hier ein wunderschönes Juwel im großen Netflixkatalog versteckt, das es wert ist gesehen zu werden. Insbesondere weil es ganz im Gegensatz zu der großen Mehrzahl im Katalog die Lebenszeit seiner Zuseher achtet. Es ist ein effektiver Film über die Liebe, ohne dabei ein klassischer Liebesfilm zu sein.
                              Sarah Paulson ist unglaublich gut, die Fähigkeit sich so in eine Rolle zu fühlen und damit realistische Reaktionen auf Situationen zu kreieren verzaubert jeden Zuschauer. So persönlich wirkende Darstellungen sind immer wieder beeindruckend. Ganz offensichtlich war nicht jeder Dialog vorgegeben, daher entwickelt sie hier im Zusammenspiel eine ganze Beziehung. Wovon natürlich auch Mark Duplass ein Teil ist, der ihr Gegenstück bildet und dabei ihre Atmosphäre spiegelt. Er ist im großen Teil der passivere Part aber auch der mit dem größten Ausbruchspotenzial. Die beiden zusammen faszinieren sosehr, dass man jede Zeit vergisst und atemlos diesem ganz simplen Treiben zusieht.
                              Diese unglaubliche Chemie zwischen den beiden bestimmt den Film und die effektive Arbeitsweise dieses Kammerspiels. Der Film ist von Grund auf nostalgisch, das zeigt sich in schwarz-weißen Look, wie auch in der Musik und in seiner pointierten Kürze. Das ist so ein intimes Erlebnis diese zwei Menschen bei der Aufarbeitung ihrer Liebesvergangenheit und ihres aktuellen Lebens beobachten zu können, so organisch wie sich das alles anfühlt, so ehrlich diese Interaktionen wirken. Es ist einer dieser Filme, die sich so lebendig anfühlen.
                              Sicher mag ich den Film viel zu sehr, obwohl er kein nie da gewesenes Meisterwerk ist, aber diese wunderbare auf den Punkt gebrachte einfache Geschichte konterkariert die nach Größe strebende Industrie, dass dieser Film dagegen wie ein Wunder wirkt. Es ist eine Geschichte, die in jeden Zeitplan und jeden Filmabend passen sollte, und wenn es nur dazu da ist Sarah Paulson beim Arbeiten zusehen zu können.

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                                über Babylon

                                Wenn man den ganz großen Eisbecher bestellt und der kommt und ist noch größer als auf dem Foto und da ist noch mehr drauf, einfach alles, die Waffeln, die bunten Streusel, die Schokostreusel, die Kirschen, der Alkohol, die Sahne, die Pralinen, die frischen Erdbeeren, einfach alles ist dabei was man sich vorstellen kann. Es ist ein Fest ein schwelgen im Überfluss, bis man merkt das darunter kein Eis ist, das Topping reicht bis zum Boden, der süße Kram hat kein Ende, zumindest keines aus Vanilleeis. Das kann die größte Enttäuschung des Lebens werden, aber vielleicht kehrt man genau zu diesem Erlebnis zurück, nur dass es dieses Mal gar keine Enttäuschung ist, dieses Mal erwartet man kein Eis, dieses Mal sucht man nur immer neue und immer mehr verschiedene Toppings.
                                Es ist ein Film wie seine Charaktere, sie können nicht aufhören, sie leben von den Momenten auf der Bühne und auf den ausufernden Partys. Sie pulsieren wie die Kamera zur Musik und können daher nicht mehr herunterdrehen, wie der Film nicht herunterdrehen kann. Es gibt kein Ende, keine Ruhe und kein Entkommen außer dem Schlussmachen, dem Ausstellen. Das macht so keinen guten Film aber den Verrückten beim verrückt sein zuzusehen, im artifiziellen, dem absolut künstlichen farbstoff- und zuckerverseuchten Topf zu schwimmen, kann auch süchtig machen. Die großen Ambitionen, gerade auch die gescheiterten waren schon immer spannender als die gerade Linie, der brave Film mit drei Sicherheitsnetzen.
                                Ab und an kann man hierhin zurückkehren und sich treiben lassen in den Farben und Tönen des Films und sich denken: Was für ein schöner Unsinn.

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                                  So jetzt noch mal ein Klassiker, The Lady Vanishes von 1938, der vorletzte von Hitchcocks UK Filmen ist ein Agententhriller mit leichten Mystery Einschlägen und vielleicht der Grund warum es dann auf einen Vertrag in Hollywood hinauslief. Der Film lebt wenig von seinen Effekten, sondern ist sehr auf eine lustig zusammengestellt Gruppe von Protagonisten ausgelegt, möglicherweise auch, weil das Budget nicht so riesig war. Hier fehlen auch noch die großen Stars, dafür etablieren sich weitere von Hitchs typischen Bestandteilen, namentlich: der Zug als Ort der Handlung, die Charakter getriebene und weniger Plot getriebene Struktur und seine Vorliebe für Agentengeschichten.
                                  Im Mittelpunkt stehen Margaret Lockwood als Iris und Michael Redgrave als Gilbert, die ein unfreiwilliges und anfangs sehr zickiges Pärchen bilden. Ihre Beziehung ist der Mittelpunkt, um den sich der Film dreht, es geht uns um die beiden und um die Frage, ob sie irgendetwas herausfinden oder ob Iris bekloppt ist. Das ist köstlich anzuschauen, die beiden spielen das mit Spaß und Engagement, sind flirty und selbstbewusst und agieren clever, wie man sich das von Filmhelden so wünscht. Das ist überzeugendes Schauspiel mit überzeugenden Dialogen.
                                  Dazu kommen Caldicott und Charters, ein Duo, das den Film wie Waldorf und Statler begleitet und für sehr britischen Humor sorgt. Die beiden spielen ein definitiv nicht homosexuelles Pärchen, das arrogant, selbstbezogen und Kricket verrückt mit nur einem Pyjama durch fremde Länder reißt und am liebsten von den Problemen andere Menschen nicht viel mitbekommt. Leider müssen sie hier mit den überambitionierten Iris und Gilbert dealen, die nicht locker lassen bei der Verschwörungsaufklärung. Der Humor ist ein sehr zentrales Element des Filmes, alle Gestalten sind ein bisschen verschroben, alle auch ein bisschen klischeehaft aber ihre Interaktionen sind lustig anzusehen.
                                  Der größte Teil der Handlung spielt während einer aufregenden Zugfahrt und ist gut aber wenig aufregend inszeniert. Die Spannung ergibt sich aus dem Mysteryplot und aus dem Willen des Zusehers dieses Pärchen gewinnen zu sehen. Das ist leider auch wichtig, denn die ganze Story geht gegen Ende ganz schön over the Head. Das ist alles dick aufgetragen und wenig glaubwürdig aber eigentlich auch egal. Überhaupt ist dieses erfundene Land Bandrika ein einziges osteuropäisches Fest der Stereotypen, ein Teil des Films der nicht so gut gealtert ist.
                                  Der ganze Kram um die Agenten ist aber eh pure Fensterdekoration damit Romance und Komödie schön scheinen können und damit es zur Abwechslung einmal fünf Minuten ballern kann. So ist das ein amüsant unterhaltsamer Film geworden, der aus meiner Sicht jetzt nicht in die Hall of Fame des Kinos muss aber selbst im harten Konkurrenzkampf von Hitchcock Filmen oberhalb der Mitte landen würde. Ich war gut unterhalten.

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                                    Deciuscaecilius 01.05.2023, 13:11 Geändert 01.05.2023, 13:20

                                    Der Stummfilm The Lodger: A Story of the London Fog von 1927 ist nicht Hitchcocks erster Film aber sein erster typischer Hitchcock. Als klassischer Thriller angelegt, mit einer blonden Frau zwischen den Liebesfronten, einem undurchsichtigen Mann als zentrale Figur und mit dem Spannungsaufbau, den wir heute so gut kennen, ist schon vieles zu sehen, dass die nächsten Jahre prägen wird. Die Spiegelung von Sex und Mord war 1927 bereits etwas, das die Zuschauer begeistern konnte.

                                    Zu einem so alten Film ein paar technische Hinweise, ich habe eine restaurierte Fassung ohne Kürzungen in voller 90 min Länge ohne Tint gesehen, die qualitativ nicht überragend (leichtes Flackern, viele kleine Artefakte und schwankende Unschärfen) aber akzeptabel ist, es gibt noch eine Restauration vom BFI, die soll deutlich besser sein, ist aber nur als unrated UK-Import verfügbar. Was den Soundtrack angeht, war das etwas das nahe am Original ist und sicher nicht die komplette Neukomposition von Nitin Sawhney auf der BFI Blu-Ray. Amazons Informationen zu seinen Filmen im Prime Paket, sind allerdings wie immer dürftig. So oder so mochte ich den Soundtrack, der schön die Spannung aufbaut und einen auch leicht durch langsame Passagen bringt, ein paar kleine plötzliche Abbrüche sind allerdings seltsam abrupt.

                                    Der Film stellt eine Dreiecksgeschichte im Schatten von Jack the Ripper ähnlichen Morden an blonden Frauen im Londoner Nebel dar. Wir haben June Tripp als Daisy Bunting in der Mitte zwischen dem seltsamen Untermieter ihrer Eltern Jonathan Drew „The Lodger“ gespielt von Ivor Novello und dem um sie werbenden Polizisten Joe Chandler, gespielt von Malcolm Keen. Die Spannung ergibt sich aus dem klar auf Jonathan gelenkten Verdacht, seinem geheimnisvollen Verhalten und seinem seltsamen Verhältnis zu blonden Frauen. Allerdings ist auch Joe so schräg und unsympathisch, dass auch er potenziell infrage kommen könnte. So baut sich langsam und nachhaltig die Spannung auf, während sich die Liebeshändel entwickeln. Daisy kann sich lange nicht entscheiden, hält beide warm und der Zuseher bekommt dadurch zwangsläufig Angst um ihr Leben. Hitch wäre nicht Hitch, wenn es dann nicht einige Überraschungen am Ende geben würde.

                                    Der Film lebt von seiner Detailfülle, dem detailliert dargestellten Leben in den Zwanzigerjahren, jeder gedeckte Tisch, jede Kohle im Kamin wird zelebriert und es wirkt wie eine Doku über das Leben in London. Das ist durchweg interessant und überbrückt die Phasen ohne große Action. Dann schafft es der Film durch das Misstrauen der Eltern und das naive Verhalten von Daisy gut den Zuseher in Spannung zu halten und Hitch etabliert hier seinen ersten MacGuffin in Form einer geheimnisvoll versteckten Tasche.

                                    Die gequälte Seele des Untermieters stellt Ivor Novello überzeugend dar, es ist ein Schmerz ihn beim immer mehr Verdacht erweckenden Verhalten zuzusehen. Gleichzeitig funktioniert die Fetischisierung der blonden Daisy hier schon erstaunlich gut, die Bad Szene ist für 1927 pikant und man merkt das Hitch schon seine typischen Verknüpfungen aus Sex, Begehren und Gewalt etabliert. Die Gefahr kommt hier aber noch ganz profan aus dem Dunklen und flieht das Licht der überbelichteten Räume des Londoner Mietshauses, aber so erzeugt jeder Gang in den Nebel auch leichten Grusel. Interessant und vielleicht am gruseligsten ist aber die bedrohlich aufgeregte Menschenmasse, die auch in die 39 Steps eine Rolle spielt, eine spannende Perspektive, die leider bei Hitch in den späteren Filmen nicht mehr weiter analysiert wird.

                                    Es ist schwer, einen Film von 1927 zu bewerten, der Film zieht sich naturgemäß aufgrund der eingeschränkten Kommunikation, die Gesten sind übertrieben, die Charakterisierung der Protagonisten ist dünn, Daisys ist viel Fetisch, der Polizist ein Klischee und der Untermieter ein trauriger Narr. Trotzdem funktioniert der Film immer noch ganz gut, die kleinen Spannungsszenen, der Feuerhaken, der bedrohlich erhoben wird, die ständige Bedrohung selbst beim unschuldigen Schachspiel wirken, weil der Zuschauer seine eigenen Gedanken und Ängste in diese Szenen projiziert.
                                    Das kann man als Teil der Filmgeschichte gut weggucken, vermutlich ist das aber auch nicht für jeden Abend oder jeden Geduldsfaden eine Option.

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                                      Deciuscaecilius 30.04.2023, 13:43 Geändert 30.04.2023, 13:46

                                      Mr. & Mrs. Smith von 1941 ist eine der wenigen reinen Komödien von Hitchcock. Es ist eine sehr klar in ihrer Zeit verortete, in den Untertönen dunkel aber an der Oberfläche etwas albern angelegte Ehe Geschichte, die vermutlich auch als Drama funktioniert hätte. Zeittypisch ist es ein schneller Film, der wenige Spannungsaufbau betreibt und von den hektischen und etwas plakativen Aktionen seiner Protagonisten lebt. Die reine Idee, einer überdrehten Ehe, die dann aufgrund einer rechtlichen Formalität zwischen den Partnern neu verhandelt werden muss, klingt in der Theorie allerdings besser als es der Film am Ende hergibt.
                                      Carole Lombard als Ann und Robert Montgomery als David Smith legen hier sichtlich bemüht viel Emotion in die Szenen. Wir sehen viel Tempo und Bewegung in den Konflikten und hin und wieder scheint auch etwas leicht Trauriges durch die überdrehten Situationen. Leider bleibt die Satire hier aber sehr in den Konventionen des Genres, indem es letztlich nur darum geht das alle wieder brav zurück ins Körbchen kommen. Das ganze Genre Screwball Comedy ist meiner Ansicht nach nicht gut gealtert. Die Idee das die Machdynamik einer Ehe herausgefordert und damit die gesellschaftlich gesetzte Männlichkeitsnorm infrage gestellt wird, ist spanendend, aber hier läuft es nur darauf hinaus, dass sich beide Partner neunzig Minuten lang wie Kinder mit Messern benehmen, damit danach alles wieder so ist wie zuvor.
                                      Die beiden führen sich im Kern nur ein bisschen dumm auf und ich hatte Schwierigkeiten das lustig zu finden. Das mag im Kontext des Jahres 1941 anders gewesen sein aber mir fehlt die Ernsthaftigkeit, die unter dem Humor liegen müsste. Die beiden leben auf der einen Seite den Traum einer endlosen Aufrechterhaltung des Andersseins in der Ehe, was sicher zu einem aufregenden Sex Leben führen kann, aber eben die emotionale und vertrauensvolle Seite der Beziehung stört. In dem Moment an dem sie diesen Teil benötigen, ihn aber nicht haben, sollte ihnen das klar werden, aber diese Erkenntnis ist dem Film genretypisch egal.
                                      So läuft es auf eine neue Unterwerfung hinaus, ein unendliches Spiel aus gegenseitigen Provokationen. Das wird dann noch von einem interessanten, aber häufig störend deplatzierten Comedy Score untermalt, der den dramatischen Szenen jeden Tiefgang raubt. Echte Probleme werden geschnürt zum Spaßpaket und mit Hinnahme gelöst, damit fehlt die Spannung und alles, was darum gestrickt wird, hält nur für eine Zeit hin. Der Film hat seine unterhaltsamen Momente, einiges ist nett erzählt und die Chemie zwischen Lombard und Montgomery passt, nur das war es dann auch.

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                                        Deciuscaecilius 29.04.2023, 15:37 Geändert 29.04.2023, 20:36

                                        Hitchcocks 39 Steps von 1935 ist dann aber wirklich der erste James Bond Film… 😉 Auf jeden Fall aber ist er Hitchcocks erster Film, der sich komplett nach ihm anfühlt, der die Hitchcockhandschrift trägt, die typischen Ideen hat, den schwarzen Humor und die Trope rund um einen Durchschnittsmenschen in besonderer Situation. Außerdem ist es wieder ein Agentenfilm, dessen Held kein Agent ist.
                                        Robert Donat als der Held des Films Richard Hannay und Madeleine Carroll, die eine Pamela ohne Nachnamen gibt, treten hier noch nicht als die Art Schauspieler auf, die wir heute kennen. Die Zeit der Stummfilme hat ihre Spuren hinterlassen, es wird noch viel stärker mit Mimik gearbeitet und der Practical Joke lebt noch. Die beiden streunen z. B. in einer fantastischen Buster Keaton artigen Szene aneinandergekettet durch eine schottische Moorlandschaft, das ist ein großer Spaß und wunderbar körperlich gespielt. Und beiden machen das gut, ihre Gesten funktionieren noch heute und ihre übertriebenen Bewegungen wirken einfach.
                                        Ich bin selbst überrascht, wie sehr ich den Film mochte, der Film ist so wunderbar straight forward, dass da gefühlt keine einzelne Minute liegen bleibt. Der Film hetzt von Szene zu Szene von Spannungsmoment zu Spannungsmoment und von Schauwert zu Schauwert. Das Ganze ist eine Achterbahnfahrt, die ganz ehrliche klare Unterhaltung bringt, frech und ökonomisch wird die Geschichte präsentiert und auch wenn die Filmqualität eben die eines Films von 1935 ist, tut das dem Spaß heute keinen Abbruch. Die beiden Protagonisten haben so eine schöne neckende Chemie zusammen, dass man ihnen gern noch länger hätte zusehen können. Dazu kommen großartige Ideen, die ganze Jagd durch den Zug oder die beeindruckenden Bilder bei der Flucht durch die Highlands.
                                        Überraschend wie ein Hammer, kommen dann die kleinen dramatischen Szenen, die dafür wirklich Impakt haben. Ganz besonders bleibt diese Szene mit John Laurie als Farmer und seiner traurigen Frau, gespielt von Peggy Ashcroft in Erinnerung. Wir erleben die beiden nur ein paar Minuten im Film aber ihre verzweifelte Lage rührt in diesen Minuten so tiefgründig. Die Effizienz mit der dieser Film dabei seine Geschichte erzählt ist beeindruckend, das Talent einen Film perfekt schneiden zu können offenbart Hitch hier schon sehr deutlich.
                                        Es ist ein Film des Einzelnen gegen die Masse, gegen eine immer aufgeregte und jederzeit zu Aufruhr bereite Masse. Es ist auch ein Film über den Einzelnen im Kontrast zu den dunklen Mächten, den Staaten und ihren Organisationen in dessen Einfluss man ständig lebt, ohne das alles zu verstehen. So bleibt man allein, und auch eine Flucht aufs Land hilft nicht, weil dort die älteren Dinge, die Natur, mit ihren Nebeln und der Düsternis wartet. Es sind dunkle Themen, die hier mit wenigen Gesten launig erzählt werden.
                                        Der Film macht in seinem Plot, dabei nichts das einen Literaturpreis gewinnen müsste, aber der dreht als Parabel angelegt, am Ende schön auf seinen Anfang zurück und führt zu einem Befriedigenden, wenn auch Hitchcock typisch abruptem Ende. Ein überraschend fulminantes Filmerlebnis.

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                                          The Birds von 1963 ist an seiner Oberfläche ein Tier-Horror Film. Vermutlich kann man getrost sagen, dass es in dieser Hinsicht nicht der beeindruckendste Horrorfilm ist, obwohl einige ikonische Bilder im Kopf bleiben. Trotzdem ist es ein Film größerer filmhistorischer Bedeutung, der seine Spuren hinterlassen hat und immer noch als Inspiration dient.
                                          Nach dem mal wieder beeindruckend coolem gepicktem Intro gleiten Autos durch schöne Landschaften, ein Dorf liegt malerisch an der Pazifikküste, allerdings stehen die Protagonisten auch gern einmal in nach Studio schreiender Kulisse vor den Rückprojektionshintergründen herum. Tippi Hedren als Melanie Daniels macht in allem eine gute Figur, trägt die angesagte Mode der sechziger Jahre und ist in ihrem Begehren, ihrer Angst und ihren zerbrechlichen Momenten gleichsam überzeugend. Es ist viel schön an diesem Film besonders sie.
                                          Why do the birds attack?
                                          Die große Frage allerdings ist, wofür diese verrückt gewordenen Vögel eigentlich stehen. Der Horrorplot mit seinen aus heutiger Sicht stark qualitativ schwankenden Bildern, die von schrecklich schlecht gealterten Flatteranimationen bis zu brutalistisch düsteren Einstellungen Hunderter Vögel rund um das Haus der Brenners reichen, ist jedenfalls nichts, das einen Film zum Kult macht. Auch die Tatsache, dass Melanie fünf Minuten lang verzweifelt versucht eine Tür zu öffnen, die sie gleichzeitig zudrückt, kann es nicht sein. Was sind die Metaphern und was ist die zentrale Allegorie des Films?
                                          Nun, da wäre die Kritik an unserer Vereinnahmung der Natur und unserem unerträglich arroganten Umgang mit den anderen Geschöpfen dieses Planeten aber so weit wie das zutreffen mag, ist „the Birds“ ist sicher kein verfrühtes Öko Drama. Im Kern kann man sicher davon ausgehen, dass diese Vögel eine Manifestation der unterdrückten Konkurrenzgefühle der anderen Frauen im Film sind, die Melanie angreifen, um sie aus ihrem Leben zu vertreiben. Eine Frau im goldenen Käfig ist ausgebrochen und muss nun eingefangen werden, um die Ordnung im Leben der normalen Leute wiederherzustellen.
                                          Wie immer bei Hitch ist es wieder die Mutter des Mannes mit ihrem einnehmenden Wesen, ihrem einen Tick zu liebevollem Umgang mit ihrem Sohn und ihrer Eifersucht, die hier im Mittelpunkt des Wahnsinns steht. Die Angst um die Bedeutungslosigkeit, wenn sie die Macht über den Mann im Haus an eine Andere abgeben muss, führt zum Picken und Hacken bis das Blut fließt. Und dann wäre da noch die arme verschmähte Ex-Geliebte, die ihren Druck soweit auf die Vögel projiziert, dass sie schließlich damit de facto Suizid begeht.
                                          Nur Rod Taylor als Mitch Brenner, darf hier der ruhige und besonnene Mann sein, darf das Zentrum des Films spielen und jederzeit über alle noch so aggressiveren Vögel triumphieren. Ist das noch eine Allegorie oder schon Misogynie? So richtig kann man das nicht sagen, weil ganz offensichtlich auch die Freiheit dieser unabhängigen Frau eine Bedrohung im Dorf darstellt. Wird hier also die Freiheit der modernen Frau angegriffen und verteidigt oder werden alle Frauen der Hysterie beschuldigt? Es ist ein Film auf schmalem Grat zwischen der Moderne mit neuen Lebensrealitäten und den alten Mustern eines Lebens, in dem nur die Ehe einen sichereren Hafen vor den Gefahren der Außenwelt bieten konnte. Nur so lassen sich letztlich die Vögel beruhigen, die Bildung einer perfekten Familie löst am Ende alles.
                                          Der Film entfaltet aber so oder so auch heute noch eine beeindruckende Intensität. Noch die schlechteste Vogelanimationsparodie kann den Bildern nicht ihre Kraft rauben und die wundervoll ambivalente Darstellung Tippi Hedrens tut ihr Übriges dazu. Es ist ein Film, den ich schwer einordnen kann aber der mich fasziniert, abstößt und wieder magisch anzieht. Am Ende damit wohl doch ein guter Film, auch wenn die ganz große Zeit des Alfred Hitchcock mit ihm endet. Ein bisschen ist der Meister in die Jahre gekommen und andere werden das Kino für ihn weiterentwickeln müssen.

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                                            Deciuscaecilius 26.04.2023, 21:51 Geändert 26.04.2023, 21:54
                                            über Psycho

                                            Da wären wir bei Psycho, Hitchcocks Horror Thriller von 1960, noch einmal in Schwarz-Weiß gedreht und streng genommen eine Low Budget Produktion. Ein Film, der in die Filmgeschichte eingegangen ist und dessen einzelne Szenen heute fast jedem Filmliebhaber bekannt sind. Ein Meisterwerk, das oft analysiert wurde und dem man sicher kaum etwas hinzufügen kann.
                                            Eine kleine Offenlegung zuerst: Ich mag keine Slasher-Filme. Psycho ist daher nicht wirklich mein Lieblingsfilm von Hitchcock, aber er ist ein Film, den man schnell und einfach als etwas Besonderes identifizieren kann. Vermutlich fängt das am ehesten mit der Musik an, es ist Bernard Herrmanns ikonischster Score und sicher einer der Besten, die je geschaffen wurden. Der Score ist entscheidend für die berühmte Duschszene, er prägt das tolle Intro und er setzt die Spannungsmomente im Film. Es ist eines der prägnantesten Bespiele für den Einfluss von Filmmusik auf Wirkung und Rezeption eines Films überhaupt.
                                            Dann ist da dieser verstörend bemitleidenswerte Anthony Perkins als Norman Bates, eine so subtile und bedrohliche Darstellung. Perkins setzt den Ton für so viele seiner Nachfolger, er prägt das Bild für Mörder und Serienkiller für Jahrzehnte. Mit ihm unter diesen ausgestopften Vögeln zu sitzen lässt noch heute das Blut gefrieren und gleichzeitig ist da immer etwas in dieser Szene, dass so laut um Hilfe schreit, dass man sich kaum einer gewissen Empathie entziehen kann. Es ist meisterliches Schauspielhandwerk in einem perfekt konstruierten Film.
                                            Wir tauchen ein in eine Welt der Sünde, die Stück für Stück schlimmer wird und uns immer tiefer und rettungsloser hinabführt. Hitch unterläuft dabei ständig unsere Erwartungen, tötet Hauptdarsteller und Ermittler, zwingt uns unsere Sympathien ständig neu zu verteilen, sie zeitweilig gar dem Täter zu schenken. Es ist eine bemerkenswerte Konstruktion in der Hitch mit dem Zuseher spielt, seine Instinkte ausnutzt und damit Spannung aufbaut. Interessanterweise verzichtet er hier einmal darauf, seine Messer zu früh zu zeigen, stattdessen werden wir anfangs noch auf die Fährte des harmlosen Spanners gelockt, bevor die Explosion der Gewalt dann plötzlich kommt.
                                            Als Glücksfall erweist sich dabei das wunderbar morbide California Gothic House im Kontrast zum Hotelflachbau. Jeder Besuch im Haus des freudschen Wahnsinns ist eine beeindruckende Tour durch unterschwelligen Horror. Die Kamera tanzt dabei gewohnt geschickt durch die Räume, zeigt uns viel und verschleiert immer wieder durch geschickte Perspektiven das wahre Grauen. Hier zeigt der Meister sein ganzes Können. Janet Leighs Gesicht auf dem Fußboden im Bad, die Strahlen der Dusche und die lange Plansequenz beim Putzen danach, muss jeder Filmstudent einmal begutachtet haben. Es ist eine weitere Kulmination jahrelangen Schaffens und Experimentierens. Ich hätte nur die lange erklärende Scene kurz vor Ende des Films gestrichen, Normans innerer Dialog ist für sich allein gruselig genug.
                                            Dabei richtet sich der Film sichtlich auch an neues Publikum, den neuen Spannungsaufbau habe ich genannt, auch fällt die krasse Konfrontation mit dem Hayes-Code deutlich auf. Wie schon in North by Northwest merkt man, das nach den vielen sehr ähnlichen Filmen eine Entwicklung stattfindet und ein Hinwenden zu einem modernen und weniger klassisch orientierten Publikum, dem man mehr zutrauen konnte stattfindet. Psycho hält damit besser als einiger seiner Vorgänger dem Zeitgeist stand, und ist damit noch heute ein imponierender Film.

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                                              Deciuscaecilius 24.04.2023, 21:05 Geändert 24.04.2023, 21:20

                                              North by Northwest von 1959 ist primär ein Unterhaltungsfilm, der weniger an einer psychologischen Tiefe als an Spaß, Abenteuer und Spannung interessiert ist. Der Vergleich zu einem James Bond Film hinkt aus meiner Sicht trotzdem, aber die Grundzutaten sind vorhanden. Der Plot bleibt allerdings auf einen McGuffin beschränkt, Spannung kommt wie immer trotzdem auf.
                                              Der langsam alternde Cary Grant spielt Roger Thornhill, einen Werbefachmann, der unschuldig in eine Spionageaffäre gezogen wird. Grant ist hier so alt, wie die wieder großartig kauzig aufspielende Jessie Royce Landis, die seine Mutter darstellt, und könnte der Vater seines Love Interest Eve Kendall, gespielt von Eva Marie Saint sein. Das ist ein bisschen skurril, aber eigentlich passt es ganz gut zu diesem Loriot haften Werbefuzzi, den er anfangs dandyhaft arrogant gibt, der sich aber im Laufe des Films zu einem ernsthaften Charakter und auch ein bisschen zu einem Actionhelden wandeln muss. Das alles spielt Grant super, das schrullig Lustige liegt ihm und der Rest entwickelt sich on the fly. Es ist Hitchcocks typisches Motiv des Durchschnittsmenschen in besonderen Umständen und es erzeugt Nähe und Spannung zugleich.
                                              Eva Marie Saint fällt parallel die Aufgabe zu Hitchs typische kühle Blonde zu spielen, sexuell aufreizend offen aber im Verlauf dann doch verletzlich und am Ende als zu rettendes Opfer. Das ist leider etwas zu durchsichtig und über die letzten zehn Filme auch zur Masche verkommen. Saint macht das aber gut, gerade die flirty sexy Szenen im Zug lassen auch heute noch den Blutdruck angenehm steigen und ihre traurigen Augen sind wunderschön.
                                              Der Film bleibt vor allem durch einige ikonische Einstellungen im Gedächtnis, zuallererst natürlich die großartige Flugzeugszene mit den seltsamen fünf Minuten des Herumstehens in der Einöde davor. Die Kamera ist hier fantastisch, Grant ist wunderbar geframed, das Flugzeug ist bedrohlich und einfach alles hier sieht großartig aus. Ich mag aber auch die Liebesaussprache fünf Meter getrennt zwischen den Bäumen, New York in seiner großartigen Ausstattung, den Shot an den Vereinten Nationen oder die ganze Jagd am Mount Rushmore. Trotzdem fallen auch ein paar Szenen auf, die sichtlich aus dem Studio sind oder Backprojektion nutzen, obwohl man an Location war. Dazu kommt die trunkene Autofahrt, die zumindest mir etwas zu drüber war, da gingen zeitweilig die Pferde mit dem Film durch. Es ist also nicht alles perfekt.
                                              Die Musik ist wie immer toll, drängt sich aber in manchen Szenen auch etwas auf. Dafür funktioniert der Humor den ganzen Film über. Es ist neben seinen Komödien Hitchs lustigster Film, der deswegen sicher auch ein gutes Einstiegswerk in sein Schaffen ist. James Mason als Antagonist fehlt ein bisschen Tiefe aber in seinen Szenen wirkt er.
                                              Am Ende fehlt mir dann aber ein bisschen die tiefere Idee, ein Hook, der etwas mehr bringt als nur mehr Spaß beim Alten. Es ist mir zu viel Oberfläche und zu wenig geheimnisvolles und aufregendes darunter. Es ist und bleibt ein guter Film, der aber auch nicht viel darüber hinaus zu bieten hat aber er ist amüsant bis zum Schluss. Und damit ab in den Tunnel….

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                                                Vertigo ist eine Kulmination der Stärken, die Hitchcock in den Filmen bisher aufgebaut hat. Wir sehen das Storytelling in Bildern, die perfekt eingesetzten Schauspieler, den perfekten Score und diese klare Zurückstellung des Krimiplots hinter die Entwicklung der Charaktere. Es ist auch wieder ein offener Film, der durch die Straßen San Franziscos streift, die Golden Gate Brücke bewundert und kunstvoll eingerichtete amerikanische Wohnungen präsentiert. Der hervorragend restaurierte Film mit seinem meisterhaften Intro, ist etwas ganz Besonderes.
                                                Wie immer geht es im Kern um Beziehungen, oder um genau zu sein, um die eine zurückgewiesene reale Beziehung, die Beziehung zu einem Traum und die Beziehung zu einer Toten. Führen darf diese Beziehungen James Stewart als John "Scottie" Ferguson, der als zurückgetretener Detektiv einen Schuldkomplex mit daran gebundener Höhenangst mit sich herumträgt und einen neuen Sinn im Leben sucht. Die erste Lösung wäre seine gute Freundin, die wunderbare Barbara Bel Geddes als Marjorie "Midge" Wood, die herzlich sympathisch das Herz der ersten Filmhälfte bildet. Eine so nahbare, geerdete Darstellung, voller Charme, dass es einem das Herz zerbricht, wenn sie sich die Haare rauft. Wie klang es bei Hitch: „Weak men will choose the helpless over the independent, the mysterious over the honest…”. Midge hat keine Chance bei Scottie, weil sie gegen eine Frau antritt, die es gar nicht gibt.
                                                Wir erleben dann also die himmlisch schöne Frau, Kim Novak als Madeleine Elster. Eine ikonische Rolle, die zurecht berühmt ist, mit ihren stilisierten Kleidern und den roten lüsternen Hintergründen. Es ist eine Frau aus einem Traum, eine Frau so unwirklich kalt, sexy und gebrochen, eine Frau fast ohne Gesichtsregung und doch mit dem totalen Schmerz, wie ihn nur ein klassisches Drama erfinden kann. Sie ist eine Konstruktion, mit der Scottie eine Reise in das Land er Liebesfantasien antritt. Wir sehen wir er ihr atemlos folgt, und schließlich aus seinem realen Leben ausbricht, um sie aus den Wellen zu retten. Am Ende der Realität liegt sie nackt in seinem Bett, rauschen Wellen beim ersten Kuss und werden sich die beiden emotional nahekommen, unter den Jahrhunderte alten Blättern der Bäume. Es ist eine filmische Traumwelt und es ist Scotties Weg in die Abhängigkeit von der Idee einer idealen Liebe. Here I was born and here I died.
                                                Der Riss aus der Traumwelt trifft uns und Scottie entsprechend hart, es ist ein kalter Entzug voller Schmerz, ein Schmerz, den zu ertragen niemand Lust hat aber ein Film ist Herr seiner Protagonisten. Der Auftritt von Kim Novak als Judy Barton bringt uns und Scottie neue Hoffnung, wenn sie nur nicht so gewöhnlich wäre. Eine Schauspielerin lässt sich aber eventuell missbrauchen, verwandeln, umstrukturieren, bis sie uns und Scottie gefallen kann. Es ist Material mit dem die dunkle Seite des Allerwelts-Mannes, im Auftrag des Zuschauers arbeiten kann, insbesondere da ihr die Liebe dazwischengekommen ist. Niemand ist schwächer als die Verliebte des Abhängigen.
                                                Bemerkt Scottie den Regisseur beim ersten Kuss mit seinem Traum? Haben wir und er dann ein schlechtes Gewissen über den Missbrauch dieser hilflosen Frau für unsere Fantasien? Es ist nicht uns überlassen, denn Judy trägt, bewusst oder unbewusst, die Kette als letzte Hoffnung auf ein Leben als sie selbst. Nur so kann sie das Ende der Spirale erreichen. Eine erstaunlich präzise Einsicht in das Werk eines besessenen Regisseurs.
                                                Vertiko ist ein brillant komponiertes Stück über unsere Obsessionen, eine verstörend hypnotische Spirale aus erinnern, wiederholen und durcharbeiten, getränkt in symbolische Farben. Die Musik schwingt betörend im selben Takt und begleitet unsere Sehnsüchte nach manifestierenden Fantasien. Es ist eine Geschichte über den Bezug von Filmen zur Realität und damit eine Auseinandersetzung mit der Kunst selbst. Wie kaum ein anderer Film bespielt er damit ein zeitloses Thema, aktuell für immer und noch heute befremdend wie damals. Hitch perfekt!

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                                                  Das kann man kurzhalten, To Catch a Thief ist ein unterhaltsamer, aber wenig ambitionierter Film. Seine größte Stärke ist die wunderschöne französische Mittelmeerküste, mit ihren Dörfern, Hotels und gewundenen Straßen. Das sieht chic aus und gibt der Gaunerkomödie ein schönes Flair. Darüber hinaus wird viel geflirtet und ein bisschen geklettert und dann war es das auch schon wieder.
                                                  Grace Kelly ist wieder das Auffälligste am Film, ihre Ausstattung ist super und sie flirtet und provoziert sich die Seele aus dem Leib. Auch Jessie Royce Landis als ihre Mutter, bringt ein bisschen Spaß in die Sache. Der gute alte (!) Cary Grant ist hier allerdings doppelt so alt wie die gute Grace und hat daher ein bisschen Probleme überzeugend den frischen Liebhaber zu geben, ganz davon angesehen, den agilen die Wände hochkletternden Meisterdieb.
                                                  Ich war hauptsächlich froh das die Hitchcockfilme wieder an die Luft durften, weg von den beengten Settings und hinein in die leuchtende Côte d’Azur. So ist das alles ein harmloser und leider sehr wenig spannender Spaß. Dem Film fehlen die Stakes, man hat nie ein Gefühl von Bedrohung oder Dringlichkeit, zu leicht schlenzt sich Grant durch jede Polizeiverfolgung. Das Ende ist dann auch sehr simpel geraten und mit einem geschrienen Geständnis unter Druck, ist dann auch alles erledigt. Die schlimmste Strafe im Film scheint die Existenz einer Schwiegermutter zu sein.
                                                  So ist das alles ein Zeitvertreib, den man aber vermutlich auch mit besseren Filmen hätte zubringen können, selbst Grace Kellys Anblick im Bikini wird vom azurblauen Wasser verdeckt. So ist es nur ein netter Film für zwischendurch.

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                                                    Deciuscaecilius 21.04.2023, 21:56 Geändert 21.04.2023, 22:02

                                                    Rear Window von 1954 ist nicht gerade ein unbekannter Film, tatsächlich findet man ihn auf diversen „bester Film aller Zeiten“ Listen, vielleicht nie ganz vorn aber schon in ein oder zweistelligen Plätzen. Was soll diesen örtlich eingeschränkten, theaterhaften Krimi zu einem der besten Filme machen? Vielleicht in erster Linie das er irgendwie gar kein Krimi ist, sondern eher ein Liebesfilm, ein Film über die Menschen, ihre Fehler, ihre Stärken und wie sie sich weiterentwickeln.
                                                    James Stewart als L. B. "Jeff" Jefferies hängt so rum, und das nicht nur ganz praktisch durch seinen gebrochenen Fuß, sondern auch ein bisschen im Leben. Er ist ein knurriger komischer Kauz, der nicht stehen bleiben und sich folgerichtig auch nicht binden will. Grace Kelly spielt Lisa Carol Fremont (stellt euch vor, dass jeder Teil des Namens eine Lampe in eurem Raum anknipst 😊) Sie will sich binden, sie will diesen komischen Kauz heiraten und versteht nicht, dass er Angst davor, und auch ein bisschen vor Ihr hat.
                                                    Das ist im Prinzip der Plot. Ein Mann hat Angst vor der perfekten Frau und oh boy ist Grace Kelly hier perfekt, die Kleider, die tänzelnden Bewegungen, wie sie sich kümmert und ihre Küsse. Jeder ihrer Sätze ist eine gehauchte Verheißung auf mehr und ihr kleines Nachtköfferchen ein erotisches Versprechen mitten in einem prüden Film von 1954. Wer würde da nicht schmelzen, außer dieser grantige James Stewart, der seine Nachbarn braucht, um überzeugt zu werden. Da sind sie versammelt: Ms Lonlyheart, die einsame verzweifelte Frau auf der Suche nach einem Partner im Leben, Ms Torso, die schöne Tänzerin die mit vollem Körpereinsatz ihre Karriere fördern will und trotzdem einen kleinen Soldaten liebt, the Musician in seiner verzweifelten Perfektion, die ihn nicht voranbringt und natürlich der Salesman, der ein bisschen Spannung in Jeffs und dann auch in Lisas Leben bringen wird.
                                                    Es ist ein Film über eine ganze Welt in einfachen Bildern einer Nachbarschaft, es ist unser Kino, indem wie alle Voyeure sind, und uns Spannung, Liebe und Traurigkeit aus dem Leben dieser Nachbarn saugen. Wir können dabei etwas lernen oder einfach nur still genießen, es ist unserer Neugier überlassen, denn wir tun etwas Gutes, wir klären doch nur einen Mord auf oder nicht? Es ist eine stille Erzählung, die zeigt und wenig sagt, wie erleben durch Blicke und durch die Emotionen in den Gesichtern dazu. Die Eleganz der Inszenierung macht diesen Film schön, eine Inszenierung in der jeder richtig steht und jede Bewegung abgestimmt wirkt. Es ist wie immer bei Hitch Perfektion in Bildern.
                                                    Das kann lang werden, speziell wenn die falschen Fährten gelegt werden und man davon genervt ist, oder wenn die einzelnen Handlungen nicht vorankommen. Wir sind eben nur Beobachter und diese Welt von Hitchcock hat ihren eigenen Rhythmus. Mir war es tatsächlich zu lang, wie es mir immer mal wieder zu lang wird in seinen Filmen, wenn er sichtlich noch plant, akribisch konstruiert aber ich schon ungeduldig auf das Finale warte. Wie immer darf man auch nicht nach der Logik dieses Falls fragen, es ist so, und damit ein Mittel zum Zweck für diese Reise durch die Welt des Zwischenmenschlichen. Trotzdem kommt Spannung auf, wenn der Film das Tempo einmal anzieht, wenn geklettert wird und man ganz hilflos beim Auskommen zuschauen muss, gefesselt im eigenen Sitz.
                                                    Der Film lebt für die Momente, auch wenn Grace Kellys makelloses Gesicht durch die Dunkelheit zielgerichtet und sinnlich zum Kuss ansetzt, wenn sich Szenen im Streit und dann in der gemeinsamen Ermittlung spiegeln und wenn die Musik sich langsam entwickelt nur um ganz am Ende triumphierend „Lisa“ zu schmettern. Wer will es Lisa nicht gönnen, so aufopferungsvoll kämpft sie um ihren Ring am Finger, dass man ihn ihr gönnen mag, auch wenn 2023, vermutlich im Gegensatz zu 1954, etwas zweifelhaft bleibt, warum sie überhaupt diesen unhöflichen Besserwisser anschmachtet.
                                                    Manchmal glaubt man, Hitchs zufriedenes Grummeln hören zu können, wenn seine Konstruktionen noch heute bewundert werden, aber ab und zu schleicht sich dabei auch das Gefühl ein, das dem Film trotzdem etwas mehr Punch gutgetan hätte. Aber auch so verliebt man sich in diese neckend spritzigen Dialoge und in die kleinen Schicksale da drüben. Am Ende wird die Konstruktion dann gebrochen und Jeff fliegt aus diesem Fenster, das uns und ihn so lange eingeengt hat. Ich habe die Botschaft verstanden, für gut befunden aber ich war auch ein bisschen froh, als es so weit war.

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