Dergestalt - Kommentare

Alle Kommentare von Dergestalt

  • Dergestalt 16.01.2018, 11:56 Geändert 27.01.2018, 16:51

    Danke für die treffende Zusammenfassung aller Stärken von "Halloween"! Hervorzuheben ist gerade die Kameraarbeit, die mit sehr sicherer Hand durchgeführt ist und eine irreal-schwebende Atmosphäre reinbringt, die "It Follows" dann noch deutlich intensiviert hat. Schön an "Halloween" wie auch "It Follows" ist schließlich, wie das Grauen entpsychologisiert sogar entrationalisiert wird. Es lässt sich physisch oder logisch nicht mehr fassen, ist am Ende sogar enträumlicht, kann überall verortet werden. Mächtiger kann es demnach nicht werden. Deshalb ist der Schluss von "Halloween" so fantastisch und vielsagend.
    Und generell und überhaupt: Danke, Danke für den Shortcut zu "It Follows", der sicherlich einer der besten Horrorfilme des frühen 21. Jahrhunderts geworden ist, weil er Tropes und Tugenden des Slasher-Genres aufgreift, daraus aber etwas ganz Eigenes, Surreales formt.

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      Dergestalt 16.01.2018, 11:12 Geändert 21.02.2018, 10:46

      "Nocturama" sichert sich erst einmal jede Aufmerksamkeit. Zu Zeiten islamistischen Terrors, der gerade in Frankreich immer wieder zu Schlagzeilen führt, ist ein Film über eine Jugendgruppe, die Destruktives im Sinn hat, an und für sich natürlich eine Provokation. Man fühlt sich ja auch an "Clockwork Orange" erinnert, an eine Welt, in der die Jugendrevolte nicht ausbleibt und unkontrollierbare, sadistische Ausmaße annimmt. Ja, die Jugend hat immer subversives Potential übrig - was man sie lehrt, muss sie nicht schlicht reproduzieren, sie kann es auch unerkannt weiterspinnen und zu provokanten Erkenntnissen gelangen, wie ein klug gesetzter Dialog zu Anfang des Films verrät. Bertrand Bonello, dessen Filmbeitrag für Cannes wohl zu provokant war (what about that?), weiß natürlich um die Bedeutung des ungreifbar-schrecklichen Traumas und erklärt deshalb wenig. Dialoge bleiben meist aus, die obskure Jugendgruppe bleibt beinahe anonym. Ortsangaben werden ausgetauscht, Türen gecrackt, Zeug wird in Tüten durch die Stadt transportiert. Motivationen gibt es nicht, der Zuschauer spürt nur, dass die Kinder etwas Krasses planen. Als der Film dann schließlich seinen Höhepunkt erreicht, müssen die Radikalen auch schon fliehen, bezeichnenderweise in ein Kaufhaus. Dort angekommen, eröffnet sich ein wahres Wunderland - zunächst in vielleicht subversiver Geste, bald aber in intuitivem Hedonismus verfallen die Jugendlichen der Konsumästhetik und haben ihren Spaß. Wenn da eben die selbst geschaffene Außenwelt nicht wäre.
      Bonellos Film ist großartigkacke. Einerseits gelingt es ihm durch anonym agierende Teenies in einer unpersönlichen Großstadt eine subtile, entfremdende Atmosphäre zu schaffen, ebenso, die Unabdingbarkeit der Konsumwelt durch (zunächst!) markante Rollenspiele im Kaufhaus zu demonstrieren. Dazu atmosphärisch kühle Soundscapes und eine ruhige Kamera, die sich im richtigen Augenblick auch poetischen Bildern hingibt (eine brennende Statue als rührender Gruß an die Surrealisten). In der zweiten Filmhälfte will Bonello, dessen Regie man plötzlich nicht wiederzuerkennen glaubt, aber richtig Drama machen, mit abrupter Psychologisierung, stilisierter, aber routinierter Action und sentimentalen Geständnissen. Auch eine mögliche Motivierung der krassen Handlungen wird auf unangenehm generische Weise vor dem Zuschauer ausgekotzt. Und am schlimmsten: Die sanft ironische Darstellung der Cloud-Rap-Generation bricht zugunsten bald kalauerhafter Maskenspielchen, gekrönt durch die publikumsheischende Interpretation eines totgeduldeten Sinatrasongs. Trauma klar verspielt, zu viel erzählt, zu penetrant. Provozierend vor allem in seiner dämlichen Plakativität.

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        Dergestalt 14.01.2018, 22:44 Geändert 14.04.2020, 12:41
        über Creep 2

        [SPOILERWARNUNG FÜR NICHTKENNER VON TEIL 1]

        Sequels haben oft die Eigenschaft mechanische Reproduktionen bewährter Filme oder Handlungsmuster zu sein, das Innovationspotential ist selbstverständlich gering. Im Horrorgenre ist es meist noch schlimmer. Hier sind bereits die Ursprungsfilme wenig auf Innovationen aus, sondern bestätigen meist bewährte Effektmechanismen. Sequels potenzieren diesen Effekt gleich nochmal. Bei "Creep" liegt die Sache etwas anders; hier ist schon das Original ein sonderbarer Hybrid aus ungreifbarem Pychothriller und klarer Horrorpose, fast alleine getragen durch den charismatisch-buddyhaften Creep Aaaron. Dessen Identität ist zum Ende des ersten Teils weitgehend offenbart, eine billige Reproduktion der Begegnung wäre nun zu erwarten gewesen. Die tritt glücklicherweise aber nicht ein. Vielmehr baut "Creep 2" gleich zu Beginn ein Metagerüst auf: Aaaron outet sich dem Zuschauer gegenüber als Killer, nur hat er nun eine Midlifecrisis. Bei seiner Suche nach Inspiration holt er sich die junge Sara ins Haus, die selbst auf der Suche nach einem komischen Menschen für ihren erfolglosen Videopodcast ist. Zusammen drehen sie eine Doku über Aarons Leben als Killer und Killersein wird zur gewitzten Verhandlungssache. Denn Sara weiß gleich von Beginn über Aarons evil Lifestyle, glaubt ihm aber nicht so ganz.
        Der Ansatz ist also löblich genreoffen, nur leider funktioniert der Film so auf Spannungsebene weit weniger. Schließlich war die Stärke des ersten Teils gerade Aaarons undurchsichtiges Spiel um seine Motivationen, das hier wegfällt. Zwar ist Mark Duplass' aufgekratzte Performance für ein paar irritierende Szenen gut, für den Zuschauer bleibt aber kaum Horror übrig. Daneben leistet "Creep 2" allerdings auch nur wenig. Sara ist für die typische Horrorprotagonistin zwar erstaunlich geerdet, selbst spleenig genug und kann selbst Aaaron einige Überraschungen bieten, eine letztlich tiefergehende, herausfordernde Beziehung entsteht aus der launischen Begegnung der beiden aber nicht. Eher wird mal mehr, mal weniger intensiv geplaudert, meist skurril und jenseits üblicher Horrorsettings. So hangelt sich der Film von einer awkward-Episode zur nächsten, findet keinen größeren Spannungsbogen und schleicht sich dann in einen äußerst uninspirierten Schluss hinein. Das ist schade, denn wieder gibt es viele kreative Elemente, einen herrlich skurrilen Aaron und so manch frech-undurchsichtiges Spiel mit üblichen Horrorversatzstücken. Nur entkommt der Film seinem Horrorgenre dabei etwas zu sehr, um noch sonstwo anschließen zu können und bleibt so nur ein nett verplaudertes Killerportrait für Freunde des ersten Teils. Spannend sonst nur, wenn man einmal sehen möchte, wie weit man sich mit einigen Horrorelementen vom eigentlichen Genre distanzieren kann - wobei: Dafür reicht eigentlich schon der erste, sehr empfehlenswerte Teil.

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          Dergestalt 12.01.2018, 22:51 Geändert 14.04.2020, 12:43

          Gaspar Noés fatalistischer Trip in die Abgründe menschlicher Zerstörungslust funktioniert auch nach über 15 Jahren noch ausgezeichnet. Die identifikationsgeile Rape- and Revenge-Story einmal andersrum und in psychedelisch verzerrten Albtraumvisionen zu erzählen, bleibt bis heute originell und vor allem effektiv. Natürlich schert sich Noé einen Dreck um Moral und Emotionshaushalt seiner Zuschauer, als sadistischer Effektzauberer sucht er vielmehr die, eventuell gar unbewusste, Grenze zivilisatorischen Rückhalts. Vor dieser Grenze machen Orientierungssinn und moralische Ordnung selbst brutale Rachegeschichten noch zu Märchen der Gerechtigkeit. In "Irreversibel" geht Noé darüber hinaus, indem er zunächst jeden Ordnungssinn attackiert, sowohl den moralischen als auch körperlichen. Mit psychisch zermürbenden Tieftonfrequenzen, einer von Benoît Debie gekonnt entrhythmisierten, raumzeitlich entfesselten Kamera und sorgfältig voneinander isolierten, oft engen Sets hält Noé in der ersten Hälfte des Films das Stresslevel konstant hoch, arbeitet in den unangenehmsten Szenen harsch zwischen visueller Abstraktion und naturalistischer Onscreen-Kamera, die bis ins Explizite alles geil oder vielleicht auch kalt-neutral registriert. Moralisch bleibt der Film nur schwer zu fassen, da sich kein wertendes Narrativ erkennen lässt. Identifikation, Figurenzeichnung fehlen zu Beginn, es bleiben, wie zuvor im entrückten Einführungsdialog ausgeprochen, nur "Taten". Was auch bleibt, ist Vincent Cassels druckvolles Schauspiel, teilweise bis ins Groteske entfesselt, immer am Rande der Bedrohlichkeit. Worum es eigentlich geht, liegt lange weit im Hintergrund. Zwei brutale Szenen treiben die Desorientierung schließlich unverständlicher Gewalt zu, ehe der Film in eine andere Stimmung kippt.
          In der zweiten Hälfte ist audiovisuell nämlich plötzlich Ruhe, gewitzte Gespräche bringen etwas Figurenzeichnung. Dabei begeht Noé glücklicherweise nicht den Fehler, eine aufgepfropfte, psychologisierende Handlung zu inszenieren, sondern bleibt bei lockeren, wohl improvisierten Dialogen. Eine überschaubare Konstellation verwehrt einem der Film weiterhin größtenteils. Cassel pumpt weiter, diesmal vergnügt, Monica Bellucci und Albert Dupontel ackern sich mit ihm ab oder fordern ihn oder sich selbst heraus. Durch die gute Chemie der drei hoffnungslos idealistischen Nachtschwärmer ergibt das ein fragmentarisches, aber ungekünstelt lebendiges Bild dreier Lebensentwürfe, die sich nicht treffen können und so bereits ein Scheitern anskizzieren, so unterhaltsam sie das auch tun. Gleichzeitig verweisen einige diffuse, psychologisch unerklärliche Vorausdeutungen auf ihr kommendes, tatsächliches, absolutes Scheitern, das der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt natürlich schon kennt - Verweise als unbewusst-fatalistische Interpretationen eines Geschehens, das zuvor eigentlich nur zufällig und kontextlos wirkte. Natürlich interessiert sich Noé auch hier nicht für eine logische oder gar moralische Erklärung des Ganzen, er bleibt bei seiner archaischen Philosophie des "Die Zeit zerstört alles". Das könnte banal wirken, ist es ja auch, erreicht mit den hypnotisch abgründigen Bildern verlassener, rotglühender Unterführungen und der schummrig-organischen Sexhölle eines SM-Clubs aber eine überreale Qualität. Und dahin möchte Noé schließlich auch, der seinem Film wie auch Goethe seinem "Faust" (man beachte auch den Mephisto-Verweis) einen Quasi-Prolog im "Himmel" gibt, in dem zwei Figuren über das dreckige Leben da unten philosophieren. Am Ende aber suchen die beiden doch nur was zu saufen, haben nichts, gehen selbst sicher irgendwie unter. Und unterhalb, in den Tiefbereichen des Traums, der Zerstörung von Körper und Ordnung, der totalen Auflösung liegt "Irreversibel". Konsequent nur, dass sich das Filmbild am Ende des Trips in schierer, flackender Abstraktion löst, auch der Auftakt zu Noés nächstem Trip "Enter the Void".

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            Dergestalt 07.01.2018, 02:57 Geändert 07.01.2018, 20:35

            John Turturro ist Mister Confusion und sein Film heißt Fear Blubb. Möglichst vage, ohne echtes Characterbuilding und ganz auf den mysteriösen Moment ausgerichtet, der aber lange nicht kommen will, läuft Protagonist Harry Cane (!) hölzern durch die Umgebung, schaut komisch und brütet irgendwann erfolgreich ein rotes Abstraktum aus. Plötzlich ist der Film zu einem Ende gekommen und jemand muss sich einfach fragen, wer zugunsten netter Flackereffekte eigentlich auf ein Drehbuch verzichten wollte. Oder: Mache aus einer willkürlichen Lücke eine Erkenntnis. Immerhin: Refn freut sich über die Erprobung handwerklicher Kniffe und spaziert weiter mit Lynch durch die Atmosphäre halbvertrauter Hotelflure. Man weiß: Später wird der Mann audiovisuell Großes schaffen. Sein unbeholfener "Fear X" bleibt aber zwischen Charakterdrama und visuellem Experiment stecken - für das eine zu blass, für das andere zu erklärlastig. Insgesamt: Lahm und fahl.

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              Dergestalt 06.01.2018, 01:25 Geändert 06.01.2018, 15:04

              Der Untertitel des neusten Ablegers der "Insidious"-Reihe lautet "The Last Key" und suggeriert damit eine neue Enthüllung, vielleicht eine neue Stufe des Grauens. Okay, und mit dieser Marketingfloskel bin ich auch schon im Franchisesumpf uneingelöster Horrorphrasen angekommen. Denn "Insidious 4" führt nirgendwo hin, schleicht bloß um ein paar mögliche Gruselideen herum, bringt einen sanften Schluss Südstaatenhorror und ein paar interessante Setideen. Angenehm bleibt, dass sich der Film ganz auf das "Insidious"-Bindeglied Elise konzentriert, deren schwere Kindheit als Geisterseherin hier im Fokus steht. Anders als im hinskizzierten dritten Teil mit seiner blassen Teenie-Protagonistin bringt Lin Shaye mit ihren Ghostbuster-Sidekicks Specs und Tucker eine geerdet-charakterbasierte Komponente in den sonst gesichtslosen Mainstreamhorror. Mit ihr und ihren trotteligen Kumpanen kommen ein paar totgenudelte, aber immerhin lebendig-launische Nerdjokes und eine teils tragische, teils schablonenhaft-sentimentale Coming-Of-Age-Geschichte ins Spiel. Milieukritische Aspekte wie die autoritäre Figur des Vaters, der als Strafvollzieher im Todestrakt auch seine Leichen mit nach Hause bringt, lösen sich flott in dramaturgisch lahmer Horroraction auf, die merkwürdig schnell ihre Motivationen zeigt und in einem genretypischen Esovereinigungshype abrupt ihr Ende findet. Der Grusel bleibt nur punktuell, der nervös-bösartige Stress des effektiv-dummen Vorgängers weicht einer unentschiedenen Hechelei zwischen Drama und Jumpscare-Kirmes. Wären da nicht die vertrauten, aufmerksamen Züge einer lieben Elise bliebe es ein unidentifizierbarer Mainstreamkack. Aber sie sieht man gerne, man bleibt der Reihe treu. Das frech-durchdachte Gruseldesign der ersten beiden Teile findet man jenseits einer Regie durch James Wan aber wohl nicht mehr.

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                Dergestalt 04.01.2018, 02:12 Geändert 14.04.2020, 12:43

                Weit über 30 Jahre ist es nun her, dass David Lynchs körperlich "entstellter" "Elephant Man" auf eine unbarmherzige Gesellschaft traf. Nach den gruseligen Körperexzessen eines "Eraserhead" hat manch einer damals sicher mit weiterem Bodyhorror gerechnet, aber Lynch gestaltete aus dem Stoff eine humanistische Parabel. Genauso steht es mit Eduardo Casanovas (!) zunächst sehr eigensinnigem "Pieles". Die überzogene Werbeästhetik, die jedem feinkomponierten Setpiece grelle Violett- oder Pinktöne verleiht, springt gleich in äußersten Kontrast zu den ungewöhnlichen Körpern der "deformierten" Protagonisten, die im naturalistischsten Falle Kleinwüchsigkeit, im irrealsten Moment eine Frau mit After als (scheinbarem) Mund bedeuten. Das klingt und riecht erstmal nach dem dreckigen Exploitationtraum eines pinkverkackten "Greasy Strangler", will aber wo ganz anders hin: Keine genüsslichen Shock Values, sondern Mitgefühl hinter dem grotesken Oberflächeneffekt.
                Episodenhaft werden die Leben der Außenseiter gezeigt, deren Suche nach Anerkennung und Nähe in der spanischen Gesellschaft, die entweder belustigt, pikiert, schockiert oder sadistisch reagiert. Nur die mystisch-überhöhte blinde Prostituierte Laura kann jenseits visueller Schönheitsideale zum Kern der Ausgestoßenen dringen - aber auch sie ist als Prostituierte und Blinde Außenseiterin. Generell und wie schon beim Elefantenmenschen werden die körperlich Auffälligen schnell auf ihre spektakulären Oberflächenreize reduziert, bevormundet und in passive Rollen gezwängt, bekommen Einhornmasken aufgesetzt oder werden als knuddelig-deformierte Kuschel-Kitties vermarktet. Eine ehrliche, offene Auseinandersetzung findet in dieser Welt pinkvioletter Oberflächen natürlich nicht statt.
                Das klingt jetzt wirklich nicht neu und trotz seiner eigenwilligen Ideen etwas nach gebührenfinanziertem Pädagogen-TV und leider ist es das letzten Endes auch. Mit pathetisch-schwülstigen Konservenstreichern im Hintergrund werden die schweren Lebensschicksale melodramkonform durchexerziert, bis auch die letzte subversive Komponente des klugen Bilddesigns im eindimensional moralischen Sozialdrama aufgeschwemmt ist. Sonderbarerweise passt sich der Film seinen kitschig-bonbongrellen Bildern inhaltlich bald an. Ohne bleibenden Interpretationsspielraum endet "Piels" als ideenhaltiges, aber flaches Drama, das aus seiner inspirierenden Grundkonzeption doch nur einen weniger drastischen, bisweilen skurril-albernen "Elephant Man" macht. Aber schön, dass wir mal über Akzeptanz gesprochen haben.

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                  Dergestalt 03.01.2018, 00:18 Geändert 14.04.2020, 12:44

                  Stell dir vor, du begehst einen Fehler. Stell dir vor, deine Familie muss daran glauben. Stell dir vor, du musst eine fatale Entscheidung treffen - ein Opfer zu bringen, um alle zu retten. Wirst du es tun?

                  Yorgos Lanthimos ist sicher nicht dafür bekannt, billige Genreschablonen zu bedienen und sei es auch nur, um sie zu dekonstruieren. Die Werke des Griechen zeichnen sich eher durch abstrakte, artifizielle Settings aus, in denen Menschen auf unübliche, wenn nicht gar artifizielle Weise krasse Entscheidungen treffen. Für seinen nächsten Film nach dem Arthouse-Durchbruch "The Lobster" wagte sich Lanthimos nun an das Horrorthriller-Genre mit seinen banalen, immer wiederkehrenden Prämissen. Wie nicht anders zu erwarten, dekonstruiert er diese aber auch gleich. Vergleichbar mit "It Follows" werden die Spielregeln irritierend prompt und ohne mystische Umwege präsentiert. Collin Farrells Figur des Steven Murphy muss sich rasch aus seinem kaltglänzenden Wohlstandsrationalismus lösen, um Leben zu retten. Dass er dabei bis an seine Grenzen getrieben wird und ekelhafteste Galle spucken muss, ist bei Lanthimos natürlich zu erwarten. Bei ihm gibt es keine Sieger oder echte Helden, ebensowenig rettende Berührungen und gelöste Spannungen. Hier läuft alles aufs Unerbittliche zu - dann wird abgeblendet. Und falls dabei wer nach der Moral sucht, darf mit den Worten der sonderbaren Figur des Martin geantwortet werden: Man versucht halt, möglichst nahe an so etwas wie Gerechtigkeit heranzukommen.
                  Das diffuse Horrorsetting nutzt Lanthimos kräftig, um abstruse Szenarien zu entwickeln und immer neuen bösen Schlüssen zuzuführen, bis das ganze am Ende, vielleicht etwas zu offensichtlich, eskaliert. Überhaupt scheint das Problem des Films dort zu liegen, wo Lanthimos immer mehr Motiviken übereinanderschichten möchte, aber schlussendlich zu keinem eindringlichen Bild findet. Die Auflösung wirkt entsprechend auch ziemlich simpel, fast enttäuschend banal, sodass man eine tiefere Meta-ness schon mit peinlicher Verzweiflung suchen muss. Hier nutzt Lanthimos den Horrorfilm weniger als dass er dessen simplen Schockmechanismen erliegt. Das ist schade, aber auch idiotisch konsequent, wenn man die vielleicht auch unauflösbar diffuse Ausgangslage besieht, die Lanthimos zuvor mit äußerster Sorgfalt, aber auch einigen äußerst lahm ausdiskutierten Passagen gestaltet. Spannende Metaphern und irritierende Schlüsse stehen generischen Schlüsselszenen gegenüber, in denen die eigentlich undurchsichtigen Figuren genretypisch vorhersehbar agieren oder generell absehbaren Rollenmustern verfallen. Die wirkliche Bedrohlichkeit bleibt trotz des unberechenbaren Sounddesigns und dem störrisch-abgründigen Spiel von Barry Keoghan weitgehend aus. Die typisch kalt-absurde Schärfe bekommt der Lanthimos-Freund aber dennoch. Wohin nur damit, frage ich mich bei diesem ersten halbgaren Werk des großen griechischen Regisseurs aber schon.

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                  • Dergestalt 30.12.2017, 12:45 Geändert 30.12.2017, 12:51

                    Eigentlich ja wirklich doof, diese ständigen Filmrückblicke, aber die Überraschungsperspektive reizt mich doch.

                    "Raw" hat mich jetzt nicht überrascht, weil ich den Hype darum schon kannte und ich Bodyhorrorpsychodramen durch Cronenberg oder den leider abgesoffenen "Thanatomorphose" mittlerweile sehr gerne mag, aber diese irre Genremischung hat mich schon mit unverhofftem Drive gepackt.
                    Überraschend spaßig war dann "Tiger Girl", den ich nach dem ordentlichen "Love Steaks" jetzt nicht unbedingt hoch gehandelt hatte. Aber diese unglaublich dreiste, schrille Art Kino zu machen, hat Jakob Lass echt drauf. Zusammen mit dem ebenfalls überraschend effektiv bretternden "Axolotl Overkill" hat mich 2017 also vor allem das deutsche Kino positiv überrascht. Gibt also sehr würdige Nachfolger zum pumpenden Art-/Genrekino der Art "Victoria" und "Der Nachtmahr".

                    Vom aktuellen Lanthimos erwarte ich allerdings, dass er mich wegbläst, kann also maximal eine Enttäuschung werden.

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                      Dergestalt 22.12.2017, 22:37 Geändert 23.12.2017, 01:17

                      Mittlerweile wundert sich glücklicherweise kaum wer so richtig darüber, dass Kristen Stewart mal ein Teenie-Vampiregirl gewesen ist. Insofern kann man das gleich überspringen, ebenso die Tatsache, dass sich Stewart konsequent nur noch in arthousigen Produktionen rumtreibt und ihren kleinen Experimentalfilm "Come Swim" ganz ungeachtet jeden Trubels leise bewundern. Ohne ordnende Erzählung beobachtet man einen Mann, der verwirrt und an vielen Orten immer wieder mit dem Thema Wasser zu kämpfen hat. Erst duckt er sich unter einer riesigen Welle im Meer, dann fährt er durch staubige Landschaften, dann ist er am Verdursten. Dazwischen immer wieder der Griff zur Wasserflasche, dazwischen ein schizoides Stimmgewirr im Off - beides in ständiger Wiederholung. Die steten Ortswechsel und auch die akustische Unruhe, verstärkt durch den diffusen Wechsel von dröhnender Elektronik und abrupter Stille, schaffen ein nur schwer greifbares, radikal innerliches Psychogramm, das erst gegen Ende zu einer geschlossen sinnigen Metaphorik findet, die fast, aber nur fast, ein bisschen zu klar ist. Ansonsten sehr intensives, gekonnt dynamisches Abstraktionskino, irgendwo zwischen "Clean, Shaven" und "Under the Skin".

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                        Dergestalt 16.12.2017, 15:38 Geändert 16.12.2017, 16:24
                        über Raw

                        "Raw" hebt sich als jugendlich-ungestümer Debütfilm schnell von so manchem Bodyhorror-Drama ab. An einer klar reflektierten Erzählung ist Julia Ducournau mit ihrer ausgekotzten Studie zu wilder Lust und gesellschaftlicher Restriktion überhaupt nicht interessiert. Im Fokus steht ihre zerrissene junge Protagonistin Justine, wunderbar unverstellt von Garance Marillier verkörpert, und damit ein unstetes, buntes, lebendiges Narrativ. Neben der schnell unausweichlichen Kannibalenkomponente ist die volle Gefühlspalette mitsamt Liebe, Wut und triefender Geilheit Bestandteil des kantigen Genrecocktails, der nicht selten auch in schwarzhumorige Bereiche abdriftet. Kurz: Das pure junge, sperrige Leben, das der konfliktverhaftete Horrorfilm so liebt. Vor allem "Tiger Girl" Ella Rumpf bringt einen überdreht-pampigen Zug in den Film, der einem nicht gefallen muss, aber konsequent in die jugendlich-schrille Welt eines Internats passt. Spannend wird "Raw" vor allem dann, wenn er sich ganz weitab von irgendwelchen Erkläransätzen seinen assoziativen Verschränkungen von tierischem Leid, Unterdrückung und dem natürlich wilden Begehren einer Jugendlichen widmet. Dafür findet der Film immer wieder skurrile bis ekstatische Bilder, die in ihren impulsivsten Momenten an die rohe Neonatmosphäre des wesensverwandten "Der Nachtmahr" erinnern. In beiden Fällen ist das Monster am Leben, macht sein Ding und genauso deshalb verkörpert "Raw" in jeder Hinsicht das, was sein Titel bereits verspricht. Der junge Horrorfilm ist definitiv am Leben, kotzend, beißend, mit dem Fuß in der Tür.

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                          Dergestalt 14.12.2017, 00:52 Geändert 14.12.2017, 00:53
                          über Monday

                          Öchzel. "Monday" will ja alles Mögliche sein: Absurdes Theater, Noir, Slapstickkomödie, Gangsterkomödie, Actionfilm und natürlich auch und zuvorderst Kunstfilm. Kunstfilm heißt hier Thesenfilm, was auch die Schwäche der sonst so wilden Genremixtur bedeutet. Bleibt der Film in seiner losen Szenenfolge und dem sonderbaren Figurenverhalten zunächst noch unberechenbar, wendet er sich immer mehr einer moralischen Ebene zu, die in ihrer abrupten Montage zwar immer noch absurd erscheint, aber ohne echtes Timing und lahm beackert wird. Gerade der überladene Showdown traut dem absurden Idyll nicht ganz und will Twists produzieren, verheddert sich aber in üblen Phrasen und Dialogduellen. Well - show, don't talk.
                          Schade, schade, denn davor bedient sich Sabu bei den richtigen Regisseuren. Gerade in Anlehnung an Lynch kommen einige groovy-entrückte Noirszenen zustande, die in ihrer düsterbunten Inszenierung weit und genüsslich ins Unberechenbare getrieben werden. Hier schafft der Film einen ganz eigenen Kosmos, der den Zuschauer zur Entdeckung herausfordert. Nur hatte Sabu dann wohl doch zu viel Angst vor einem echten Trip, daher endet der Film recht dröge und unentschlossen. Die Wucht des Irrationalen bleibt in leeren Hülsen stecken, die Waffe feuert nicht (pun intended).

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                            Dergestalt 09.12.2017, 00:37 Geändert 09.12.2017, 02:21

                            Wie sehr freut man sich doch, wenn ein Endzeitfilm (oder Vergleichbares) seine Bedrohung nicht brav ausdefiniert, sondern mit dem Ungewissen spielt und sich gleichzeitig viel Zeit für seine Figuren lässt. Am besten sind das dann auch noch starke Frauenfiguren, die durch ein stimmungsvolles Bildtondesign wandeln. All das hat "Into the Forest" und leider auch nicht mehr. Leider vergisst der Film, dass ein Drehbuch manchmal helfen kann, Dynamik herzustellen, dass man Figuren auch mit spannenden, konfliktreichen Hintergründen ausstatten kann, dass forcierte Plotwendungen im erzählerischen Nirgendwo noch alberner und forcierter wirken und dass ein offener Schluss nur dann wirklich Sinn macht, wenn er einem auch was zu denken mitgibt. Bleibt ein nettes Filmchen, ein bisschen beunruhigend, ziemlich öde.

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                              Dergestalt 02.12.2017, 02:36 Geändert 02.12.2017, 02:40

                              Interessant, dass die allgemein-filmhistorische Slasher-Blaupause "Black Christmas" im spezifischen Weihnachtskontext angesiedelt ist, ein Kontext in dem sich die diversen Genrenachfolger nur noch im Einzelnen bewegten. Ansonsten wurde ja fleißig kopiert, vor allem "Halloween" soll sich von Bob Clarks Frühwerk eine dicke Scheibe abgeschnitten haben - keine üble Referenz. Nun ja, eigentlich hat das besinnliche Fest mit dem Plot von "Black Christmas" auch nur wenig zu tun. Statt herzlicher Weihnachtsatmosphäre gibt es ein schrulliges Studentenwohnheim, verplante Polizisten und irgendein sonderbares Menschwesen auf dem Dachboden. Als das erste Blut fließt, wird der Kontrast zwischen trocken-sympathischen Gageinlagen und mysteriös-kalten Mordsequenzen auch schnell frappierend. Gerade die dynamischen und natürlich hocheinflussreichen First-Person-Shots durch den Killer und die wahnsinnigen Telefonanrufe schaffen eine unheimliche Atmosphäre ungreifbaren Terrors, die der Film tatsächlich bis zum Schluss konsequent beibehält. Eine Qualität, die auch "Halloween" zu einem herausragenden Horrorfilm werden ließ. Natürlich ist "Black Christmas" von der Klasse eines Carpenter doch etwas entfernt. Gerade im Mittelteil verliert sich die Horrorthrillerhandlung in den unübersichtlichen Ermittlungsarbeiten der Polizei und kaum, da diese wieder aufgenommen wird, sind einige Figuren auch schon prompt aus dem Drehbuch gekickt. Ist natürlich alles ein bisschen Low-Budget und drauflosgedreht. Andererseits ist die rücksichtslose, logikferne Machart genau das, was den Film schließlich so erbarmungslos, verschroben und faszinierend werden lässt. Eine einfache Lösung bekommt der Zuschauer jedenfalls nicht geboten und so bleibt "Black Christmas" eine zeitlose Angelegenheit, da sie der Fantasie jeder Generation von Horrorfans nur wenig Grenzen setzt.

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                                Dergestalt 01.12.2017, 23:34 Geändert 01.12.2017, 23:42

                                Eigentlich ist "Gerald's Game" bloß irgendsoein unterdurchschnittlicher Horrorthriller, der es wie so viele Vertreter versäumt, dauerhafte Spannung zu erzeugen, weil er sich im erzählerischen Nirgendwo verzettelt. Andererseits ist "Gerald's Game" dann doch auch besonders schlecht, weil er auf eine fast schon faszinierend dämliche Weise wirklich alles erklärt, psychologisiert und demaskiert, was in irgendeiner Form noch diffus-unheimlicher Grusel hätte sein können. Am Ende fühlt sich das ganze sogar wie ein Selbsthilfefilmchen zur Traumatherapie an, seicht und gewollt bis zum Totalaus. So weiß aber immerhin auch der letzte Zuschauer, was uns die Macher mit dem Film eigentlich sagen wollen. Dankeschön für's Erklären! Schade nur um die per se nette Idee, einige spannende Fährten und den aufreibenden (haha!) Beinahe-Schluss.

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                                • Glaube, das Grundproblem des neuen Layouts liegt einfach darin, dass alles sehr vertikal aufgebaut ist. Heißt: Man hat weniger Elemente auf einmal auf dem Bildschirm und muss sich große Teile der Informationen erst einmal erscrollen. Nicht zuletzt, weil die Elemente alle immer noch sehr groß sind. Bei den Filmprofilen hat man hingegen gleich vielmehr im Blick, weil das ganze noch eher ins Horizontale geht. Vergleichbare Filme, Cast, Bewertungen der Freunde - da kann man sich viel schneller einen Überblick machen und schon mal gucken, wo es als nächstes hingeht. Dagegen ist das Serienlayout wirklich sperrig. Auch, weil nur sehr wenige Kommentare zu Beginn angezeigt werden, mehr muss man sich erst einmal erklicken.
                                  Die Problematik gibt es aber nicht nur hier, sondern auf diversen Webseiten, die tablet- oder smartphonefreundlichere Oberflächen basteln und alles ins Vertikale kloppen. Finde die Entwicklung arg einseitig, gerade weil der Mensch für eine erste Orientierung auch ein bisschen Übersicht braucht.

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                                  • 7 .5
                                    über Creep

                                    "Creep" ist tatsächlich ein sonderbarer Horrorthriller, nach meinem Geschmack also ein guter Horrorthriller. Als solcher lebt er von Beginn an von der Uneindeutigkeit, die von der Person des Creeps Josef ausgeht. Locker spielt der mit allen möglichen Versatzstücken des Horrorgenres, löst diese aber immer wieder in sympathische Offenheit auf. Dass er ein Creep ist, weiß er selbst und macht sein eigentliches Horrordasein damit verhandelbar. Oder scheinbar. Denn tatsächlich bleibt durch das überzogen sprunghafte Schauspiel von Mark Duplass immer unklar, wohin er die Ereignisse und damit die Filmhandlung eigentlich lenkt. Vorhersehbar ist der Film, trotz generischem Ausgang, also nur bedingt. Stattdessen gönnt sich "Creep" für das Footage-Genre untypische Handlungssprünge und Bildexperimente, kreuzt gemütliche Annäherungen mit diffuser Gruselatmosphäre. Merkwürdige Metaphoriken rund um das Thema Zoophilie runden den Spaß endgültig ab und schieben ihn gern einmal kontextlos über die Kante. "Creep" behauptet seine Weirdness nicht bloß, sondern setzt sie direkt um.
                                    Unser verehrter VisitorQ hat also Recht, wenn er von einem unangenehmen Film spricht. Unangenehm, weil der Horror eben kein dankbares Gesicht bekommt, sondern lachend, kuschelnd und lauernd durch den Raum kriecht. Wann er wirklich seine Fratze zeigt, bleibt schwer zu sagen, denn er hat diverse Fratzen. Und welche die letzte, finale ist, lässt der Film unangenehm lange offen. Schönes Ding!

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                                    • Glaube, das Grundproblem des neuen Layouts liegt einfach darin, dass alles sehr vertikal aufgebaut ist. Heißt: Man hat weniger Elemente auf einmal auf dem Bildschirm und muss sich große Teile der Informationen erst einmal erscrollen. Nicht zuletzt, weil die Elemente alle immer noch sehr groß sind. Bei den Filmprofilen hat man hingegen gleich vielmehr im Blick, weil das ganze noch eher ins Horizontale geht. Vergleichbare Filme, Cast, Bewertungen der Freunde - da kann man sich viel schneller einen Überblick machen und schon mal gucken, wo es als nächstes hingeht. Dagegen ist das Serienlayout wirklich sperrig. Auch, weil nur sehr wenige Kommentare zu Beginn angezeigt werden, mehr muss man sich erst einmal erklicken.
                                      Die Problematik gibt es aber nicht nur hier, sondern auf diversen Webseiten, die tablet- oder smartphonefreundlichere Oberflächen basteln und alles ins Vertikale kloppen. Finde die Entwicklung arg einseitig, gerade weil der Mensch für eine erste Orientierung auch ein bisschen Übersicht braucht.

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                                        Dergestalt 21.11.2017, 00:17 Geändert 13.03.2019, 12:44

                                        "Good Time" heißt eben nicht "Two Brothers on the Run" oder "Escape Run", sondern nur "Good Time". Hier geht es weniger um eine klare Story mit klarer Dramaturgie, sondern um den, eigentlich sinnlosen Versuch, eine gute Zeit heraufzubeschwören, durch einen Bankraub, eine kuriose Rettungsaktion, durchgeführt von inkompetenten Kleinkriminellen. Der zwischen Verschlafenheit und Gerissenheit souverän pendelnde Robert Pattinson erhält ausreichend Raum, um in einer Nacht von einer sonderbaren Lage in die nächste zu stolpern, immer verfolgt von einer ruhelos-zuckenden Kamera und den organischen Synthexperimenten Oneohtrix Point Nevers. In seiner rohen, sprunghaften oder vielleicht schon von Beginn an gesprungenen Form liegt die Faszination, das Unvorhersehbare, dem sich der Film ungekünstelt immer wieder ausliefert und es dann verschwenderisch zelebriert. Der Cast ist lebendig, die Stimmung gut, aber verzweifelt, eine ungeahnt treibende Mischung aus Drama und Gangsterkomödie, in ganz tiefen Nachtfarben und der nötigen Melancholie.

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                                          Dergestalt 19.11.2017, 17:28 Geändert 13.03.2019, 12:45

                                          Öhm: Nice try? Die Idee, den mittlerweile leicht abgestandenen Plot von "Groundhog Day" wieder aufzuheizen, um ein bisschen gutgelaunte Horroraction reinzukleistern, klingt erst einmal lustig. Leider weiß "Happy Deathday" aber nicht so ganz, was er will und hat vor allem keine guten, eigenen Ideen, keinen eigenen Zugang zum Stoff. Die Lösung lautet also den Sound aufzudrehen und Schocksequenzen launisch neben Girl-Power-Szenen zu schneiden, ein paar Brüche reinzuzaubern und irgendwie zu hoffen, dass sich Spaß einstellt. Passiert nur leider nicht, weil der Film darüber vergisst, auch nur irgendeine stabile Basis zu schaffen. Die Figuren sind, obwohl entspannt präsentiert, Stereotypen, die Konflikte maximal forciert und schablonenhaft und die große Auflösung auf generischste Weise billig. Den Spagat zwischen Horrorstreifen und launiger Lifestyle-Komödie bekommt der Film nicht hin, aber immerhin hüpfen dazwischen ein paar kreative, charmante (!) Einzeleinfälle heraus. Das darf man feiern und vielleicht hat man auf breiter Ebene dann sogar Spaß am Film. Etwas Besonderes sollte man am "Happy Deathday" aber nicht erwarten.

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                                            Wer schon immer mal wissen wollte, wie Helge Schneider retrospektiv im 70s-Exploitationkontext amerikanischer Prägung mit sanft-ananchronistischem Adult-Swim-Einschlag daherkäme, findet beim "Greasy Strangler" sicher eine mögliche Antwort. Bei diesem Comedy-Kabinett aus maximal forcierten Geschmacklosigkeiten verliert jeder, der nach einer Pointe sucht, einem runden Ende, schlechthin einem Sinn auf Handlungsebene. Lieber badet sich der Film in loopartigen Gesprächsduellen vor ausgestorbener, theaterhafter Kulisse. Overacting ist selbstverständlich, Vorhersehbarkeit nicht. Statt durch einen inhaltlich motivierten roten Faden sind die grotesken Handlungsabschnitte durch die Motivik des Ekelhaften, Überlagerungen von Fett, Sex, Fressen und Ausscheidung assoziiert. Eine sehr lose Kriminalgeschichte Schneiderscher Art wird irgendwie nebenher fabriziert und vergnügt und gegen jede Logik auch wieder verworfen. Wie soll's auch anders sein in einer Welt, in der popkulturelle Zerrbilder phallisch durch die Gegend stolpern, schrille Farben und ein gnadenlos fiepsender Minimalsoundtrack gleich dazugebrettert. Gerade hier und vor allem noch mit Blick auf den Schluss schaut/wichst auch ein Quentin Dupieux mehr als nur einmal zum Fenster hinein. Man muss es echt mögen, diese Freude am Irrationalen, Sprunghaften, der Schändung und nekrophilen Vergewaltigung der Moral, dann wird "The Greasy Strangler" zum hemmungslosen, befreienden Spaß. Alles geht, nichts geht. Willkommen im 21. Jahrhundert, oder: "Poto!"

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                                              "Honeymoon" ist ein guter Horrorfilm. Und das, weil er sich auf erstaunlich horroruntypische Elemente stützt. Ganz im Mittelpunkt steht ein Beziehungsthriller, der seine Ungewissheiten erstaunlich lange pflegt und gedeihen lässt. Das Ehepaar auf Flitterwochen sieht sich nämlich nicht flott und objektivierend einer bösen äußeren Bedrohung ausgesetzt, sondern einem schleichenden, abstrakten Persönlichkeitswandel, der sich erst in Kleinigkeiten, dann in immer intesiveren Konflikten zeigt. Die Stärke des Films sitzt gerade dort, wo der schwälende Konflikt im Subtilen gehalten und eben nicht in horrorüblichem Fratzezeigen aufgelöst wird. Stattdessen bleiben Momente des Unausgesprochenen und auch Unsagbaren. In den besten Momenten fühlt man sich glatt an Zulawskis Ehehorrorthrillermeisterwerk "Possession" erinnert, wo liebevolle Sorge um den Partner und mörderische Lust sehr nah beieinander liegen.
                                              Der Schluss des Films schleicht sich dann in eher bekannte Gefilde, spielt aber auch dort mit ein paar Unwägbarkeiten und steht schließlich mutig zu seinem Zynismus. Das kommt mit ein paar überzogenen Gesten, aber ist auch okay, ist ja doch nur ein Horrorfilm - übrigens ein guter!

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                                              • Schöner Ansatz, die Infantilität der Dialoge und Handlungen mit der Unsicherheit kleiner Mädchen in einem Märchen zu vergleichen. Dass "Suspiria" ein Genremeilenstein ist, dürfte ohne Frage sein, allerdings lief meine Rezeption genau andersrum. Erste Sichtung war "Bester Horrorfilm ever", zweite Sichtung "Hypnotisch-geniale Exploitationkost". Jetzt steht eine dritte Sichtung unbedingt an, bin gespannt, wie mir das rohe Schmuckstück dann gefällt.

                                                • Hat Celia Imrie tatsächlich das intensivste (?) Profilbild hier auf Moviepilot?

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                                                    Schwieriges Thema, also zunächst einmal ein bissel Kontroverse: Beinahe ebenso nervig wie Dauerquassler finde ich Personen, die bei einem sporadischen, kurzen Flüsteraustausch/leisen Kommentar gleich abdrehen und ihrem Cineastengott die Blasphemie zu melden gedenken. Ich denke, beim richtigen Gespür für angemessene Stille und subtile Kommunikation kann Kino gut zu dem werden, was es auch ist: Ein schönes Gemeinschaftserlebnis. Dass viele Idioten davon nichts wissen wollen und stattdessen ihre ego-YOLO-FRIKKIN-SHEITA veranstalten wollen, ist natürlich ein grundlegenderes Problem, angesichts dessen ich ein paar hochsensible, angekratzte Gemüter auch verstehen kann.

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