lieber_tee - Kommentare

Alle Kommentare von lieber_tee

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    "Bestraft nur diejenigen, die des Verbrechens schuldig sind.“
    Stoiker verlieren nie ihre Ruhe. Sie reden nicht, sie handeln. Isaac Florentines Rachemeditation in 6 Akten ist in seiner grotesken Ernsthaftigkeit fast schon eine unfreiwillige Komödie. Ein trauernder Vater stoppt seine blutenden und seelischen Wunden mit dem Buch "Meditationen" von Marcus Aurelius und erfährt dadurch eine spirituelle Erfahrung, die ihn vom wortreichen Winkeladvokat zu einen schweigsamen Rächer mutieren lässt. Vorher muss er noch Buße in einem Kampf-Käfig tun und sich ordentlich verprügeln lassen. Ein Art innerer Monolog erklärt uns dabei seine Pein. Florentines handwerklich sauberster (aber auch wenig kraftvoller) Film ist ein arg konventioneller Vigilanten-Flick, dessen klischeehaftes Storytelling nur durch Antonio Banderas veredelt wird, während Karl Urbans Gastauftritt wie Falschgeld wirkt und die Frauen aufs Sterben, Kochen oder Verarzten reduziert werden.
    Amen.
    4 Schweigegelübde.

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    • 5 .5
      lieber_tee 04.02.2018, 15:47 Geändert 25.06.2018, 21:34

      Spukfilm aus dem Land wo jeder Nachnahme auf „son“ oder „dóttir“ endet...
      "I Remember You" erzählt zwei Geschichten, die nach und nach miteinander verwoben werden. Bewusst langsam brütet der Film sein tragisches Geheimnis aus. In Verbindung mit den famos eingefangenen, mysteriös-nebligen Bildern eines kargen und kalten Islands entsteht eine drückend-deprimierende Stimmung. Filmemacher Óskar Thór Axelsson verzichtet (fast) auf billige Jump-Scare-Tricks um Spannung zu erzeugen, aber sein Versuch das abgegriffene Thema Spukhaus irgendwie anders zu revitalisieren gelingt dennoch nicht. Im Gegenteil, denn trotz interessanter Auflösung enthält der Film wieder nur abgedroschene Horror-Motive (spukende Kinder, knarrende Türen usw.). Die Figuren sind seltsam unnahbar und das Skript wirkt zu lang gezogen für seinen wenig dramatischen Inhalt. Netter Versuch, aber etwas mehr Feuer hätte dem Film gut getan.
      5,5-mal eine Bruchbude in ein Bed & Breakfast umwandeln.

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      • 6
        lieber_tee 02.02.2018, 16:31 Geändert 02.02.2018, 18:21

        Imitierende Stimmen.
        Südkoreanischer Horrorfilm, der eine urbane Legende benutzt um Themen wie Trauer und Schuld mit übernatürlichen Ereignissen zu verdeutlichen. Folkloristischer Grusel ist bekannt aus der Blütezeit des J-Horrors. „Mimic“ wirkt allerdings als ob er dieser glorreichen Zeit ein wenig hinterherläuft. Weniger wegen seiner glatten Hochglanz-Optik, auch nicht weil er keinen Thrill erzeugen kann, sondern weil sein Drehbuch unsauber geschrieben ist. Nebenfiguren werden nie klar definiert, verschwinden einfach, oder sind Stichwortgeber. Die Story holpert besonders zum melodramatischen Ende hin ordentlich. Wunderbar schaurig-schön fotografiert, gut gespielt und mit wirkungsvollen (aber bekannten) visuellen Schocks garniert, ist die zweideutige, die beunruhigende Stimmung des Films seine Stärke. Das zentrale Konzept der Mimikry als Horror und zugleich auch als Seelenspiegel im Umgang mit Verlust, wird in symbolträchtigen Bildern verankert. Der gewünschte vielschichtige psychologische Effekt bleibt allerdings aus, dafür wirkt die Geistergeschichte dann doch zu unterkomplex. Handwerklich mehr als ordentlich, aber inhaltlich wäre da mehr drin gewesen, wie z.B. der zeitgleich entstandene, thematisch (Realität mit Mystik verschmelzen) und formal (das Höhlen-Setting) ähnliche, Grusel-Krimi „The Wailing“ beweist.
        6 Mount Jang Tiger.

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        • 7

          Bondage, Vergewaltigung, Mord und Kannibalismus.
          Der zweite Spielfilm des französischen Regisseurs François Ozon ist eine unmoralische Horrorversion von Hänsel und Gretel, von Thanatos und Eros. Ein erwachsenes Märchen, das in der Pubertät verankert ist und aufkommende Sexualität pathologisch betrachtet. Bewusst provozierend, bewusst grenzüberschreitend wird der Akt des Tötens zur Erotik, zur Obsession. Die verdrehten Abhängigkeiten und Machtgefälle, in Verbindung mit unterdrückter Homosexualität und offener Gewalt, haben einen eigenwilligen Sinn von „innerer“ Logik, gerade wenn Sex mit Vergnügen und Schmerz kombiniert werden. Erzählt wird diese krude Mischung mit Mitteln des reißerischen Genre-Kinos, mit überhöht-märchenhaften Elementen und kühlen Kunst-Kino-Akademismus. Diese tragische Geschichte einer sexuellen Hysterie berührt nicht wirklich, dafür sind die Figuren absichtlich zu unsympathisch dargestellt. Diese Distanz lässt einen den Film schwerlich lieben, aber er lädt zur Verstörung und Ablehnung ein, was von Ozon sicherlich, wenn nicht sogar zu offensichtlich, beabsichtigt war.
          7 Kaninchen das Fell über die Ohren ziehen.

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          • 7 .5
            lieber_tee 01.02.2018, 02:31 Geändert 01.02.2018, 02:34

            Wenn Vergangenheit und Zukunft sichtbar wird.
            Mit angenehmer Bescheidenheit und überraschend lockeren Tonfall erzählt Oliver Assayas das vermeintlich bittere Thema der Aufteilung einer Erbschaft als ein Essay über den Wert von Kunst. Es gibt keine hochdramatischen Familienkonflikte, sondern eine liebevoll gezeichnete Betrachtung wie die Kinder unterschiedlich mit der Bedeutung der vererbten Güter umgehen. Ob nun die Familientradition weitergeführt, oder ob das Erbe pragmatisch aufgeteilt werden soll, ist abhängig von nostalgischen und ökonomischen Gründen. Die Kunstschätze und das Haus sind für die einen mit ganz persönlichen Erinnerungen verbunden, für die anderen eine Geldquelle, die es ermöglicht sich in der Welt zu bewegen.
            (Kunst-) Objekte können unbelebt sein (und im Museum verstauben), oder erst durch die private Verbindung zum Künstler einen Wert bekommen, einen real-materiellen oder sentimental-emotionalen. Die Bedeutung von Kulturschätzen ist ständig im Wandel. Jede Generation verbindet mit ihnen eine unterschiedliche Nähe und Zuneigung. Die Liebe zu Objekten, die Verwurzelung zur Heimat, verändert sich in Zeiten der Globalisierung, ebenso wie die Dynamik von Familien. Mit einer umherstreifenden Kamera betont Assayas dieser „Unordnung“, aus der immer auch eine Lebendigkeit entsteht, die wieder eine neue emotionale Bindung erschafft.
            7,5 einsame Vasen im Museum, ohne Blumen.

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            • 7

              Anna im Untergrund.
              Der Film begleitet die junge Reinigungskraft Anna Ende der 1950er Jahre bei ihrem neuen Job in einem alten Waisenhaus in den Alpen. Der Zuschauer erkundet mit ihr das alte Gebäude, was früher mal würdevoll war und jetzt langsam verfällt. Er erkundet ebenso den Zustand des Geistes von Anna, der sich nach und nach in den (Seelen-) Räumen des Hauses offenbart. Mit Mitteln einer viktorianischen Geistergeschichte wird visuell, weniger narrativ, die Vergangenheit emotional erfahrbar gemacht.
              Pascal Laugiers erster Spielfilm zeugt von begabter Meisterschaft Bilder zu komponieren, die eine schaurige Schönheit besitzen. Dadurch entsteht eine unterschwellige Spannung, ein langsames Verschlingen. Die Darstellung der verschiedenen Lokalitäten, das Finden von Spielzeug und Malereien, das Ertränken von kleinen Katzen, die Vergangenheit des Hauses, die Geisterkinder usw. machen erzählerisch nur dann für den Betrachter einen Sinn, wenn er ihren Symbolgehalt erkennen will, sich auf dieses metaphorische (und nicht "logische") Kino einlässt. Denn Anna muss sich von ihren psychischen Verletzungen, Narben und Ängsten selbst heilen. Wir begleiten sie lediglich dabei. Im Prinzip wird hier die menschliche Psyche mit dem Fantastischen erforscht, was durchaus in der Tradition von spanischen Gruselkino (Das Waisenhaus), J-Horror und Guillermo Del Toro steht.
              7 verlassene Schlafsäle.

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              • 5

                Katz und Maus-Spiel, ohne dass man weiß wer die Katze und wer die Maus ist...
                In knapp 76 Minuten wird die Slasher-Formel mit Reality-TV und "Verstehen Sie Spaß" zu einer flotten Horror-Satire gemischt, die blutig mit der viralen Sensationslust der Zuschauer abrechnet. Dazu zaubern die Cairnes-Brüder zahlreiche Twists aus dem Ärmel, die wie Dominosteinchen nach und nach umkippen. Verpackt in kurzweilig-launigen Splatter-Fun, rast die zielgerichtete Handlung zu ihren Höhepunkt, aber jeder einigermaßen erfahrende Horror-Fan merkt, dass die Unvorhersehbarkeit und Schlauheit der zahlreichen Wendungen nicht sonderlich originell, sondern runter-gespult und letztlich banal wirken. Das Hauptproblem von „Scare Campaign“ ist weniger, das sein bissiger, selbstreflexiver Kommentar auf eine abgestumpfte Gewalt-Generation so brüchig ist wie der doppelte Boden den der Film ständig suggeriert, sondern das die furchtbar blassen Charaktere einem die Geschehnisse völlig egal erscheinen lassen. Dadurch fehlt dem Film die notwendige Dringlichkeit, die er mit Tempo versucht auszugleichen. Für einen netten Horrorspaß reicht das aber schon.
                5 Pranks.
                Anmerkung: Den Film im Original schauen, denn die deutsche Synchronisation ist unter aller Sau.

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                • 5
                  lieber_tee 29.01.2018, 16:39 Geändert 29.01.2018, 16:41
                  über Gantz:O

                  Ein Film wie ein Computerspiel…
                  Aktuelle Verfilmung des mega-bekannten Mangas um Überlebende, die in einem perfiden Spiel gegen Aliens (?) kämpfen müssen und von Level zu Level aufsteigen bzw. Punkte sammeln können. Offensichtlich an die Struktur eines typischen Computer-Rollenspiels angelegt, gibt es reichhaltig Kämpfe in futuristischen Lack und Leder-Anzügen und mit phallusartigen Knarren. Je risikoreicher die Spieler sind (hier Opfermut und Selbstaufgabe für die Menschheit) desto höher die Gewinnchancen. Die dünne Story wird mit beeindruckend realistischer 3D-CGI-Animation und Slo-Mo-Fights jenseits von Realismus kaschiert. Ab und an gibt es ironische Seitenhiebe auf die Allmacht-Fantasien und Arroganz von Gamern. Skurril sind die gegnerischen Monster. Irre Versionen von japanischen Dämonen und Geistern aus der Mythologie, die wirklich abgefahren aussehen. Der Rest ist Hau-drauf ohne Sinn und Verstand. Die tiefer liegende Ebene des Mangas wird zumindest hier im ersten Teil nicht erklärt. Und das Ende habe ich nicht verstanden. Da scheint Kenntnis über vorherige Werke des Gantz-Universums von Nöten zu sein.
                  Optisch eine Wucht, inhaltlich eine Null-Nummer.
                  5 digitale Brüste, die schwungvoll wippen.

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                  • 4
                    lieber_tee 28.01.2018, 13:37 Geändert 28.01.2018, 16:39

                    Soldaten vs. Zombies, mal wieder...
                    Ein weiterer Day Of The Dead - Aufguss, der die Grundstruktur des Originals beibehalten hat (Apokalypse, Militär, Forschungseinrichtung bzw. Bunker, Gegenmittel). Hèctor Hernández Vicens, der immerhin als Filmemacher mit einem sehr ordentlichen Kammerspiel begonnen hat (Leiche der Anna Fritz), macht aus Romeros domestizierten Untoten „Bub“ die bösartige Reinkarnation „Max“, die als halb-toter Stalker einerseits Antikörper im Blut hat, andererseits eine „Ärztin“ völlig vergeilt durch die Gänge jagt, um sie zu vergewaltigen. Dadurch bekommt das Zombie-Motiv eine bewusst sehr ekelhaft und schmierig gehaltene, sexualisierte Bedrohung, die wohlwollend als gesellschaftlicher (Geschlechter-) Kommentar interpretiert werden kann. Der Rest ist allerdings völlig generisch und keine Unze Hirn wert. Was zum Teufel ist mit den Schauspielern los? Amateurhaft stolpern sie durch das Dilemma, das ästhetisch und inhaltlich einfach nur übliche Direkt-to-video-Gülle mit etwas Blutmatsche ist und nie ansatzweise die klaustrophobische Dichte des Originals erreicht.
                    4-mal in hautengen Tank-Top vor den Untoten herjoggen.
                    Anmerkung: Die deutsche Synchronisation macht den Film noch schlimmer…

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                    • 4

                      „Aber ich war nur scheißen und wenn du's nicht glauben willst, dann sieh dir den Haufen doch mal an, denn er dampft noch!“
                      Diese 90 Minütige Mischung aus Sex und Gewalt gehört sicherlich nicht zu den Sternstunden des Italo-Genrekinos der 80er. Im schwitzigen Zypern (soll eine afrikanische Bananenrepublik darstellen), zu futuristischen Synthie-Minimal-Score, ist „Dirty Seven“ ein schmieriges Sexploitation-Drama. Sein gar nicht mal so uninteressante Versuch eine "ernsthafte" psychologische Untersuchung des mentalen Verfalls einer Gruppe gestrandeter Soldaten zu sein, scheitert an seinem vulgären Ton und seiner unfreiwilligen Komik. Die wenig fesselnde Geschichte ist unspektakulär in Szene gesetzt. Das Endergebnis funktioniert weder als Söldner-Abenteuer, noch als Rache-Drama. Einziger Schauwert ist das spärlich bekleidete Sex-Symbol Laura Gemser, die aber erst zur Halbzeit ihre Muschi zeigen darf, um damit (als eine Art Femme fatale) das Testosteron der viehischen Typen in Wallung zu bringen. Vielleicht schwebte Autor und Regisseur Bruno Fontana eine Art existentialistische Reise in das Herz der männlichen Dunkelheit vor, aber mit seinen niederträchtigen, vergeilten Voyeurismus und Chauvinismus bedient er mehr den Machismo als er ihn kritisiert.
                      4 „Buschneger“.

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                      • 7 .5

                        Berserk – Das Goldene Zeitalter III
                        Visuelles Delirium.
                        „Das Goldene Zeitalter 3“ ist inhaltlich und optisch eine Zäsur. Unvermittelt driftet die Reihe in einen psychedelischen Farb-Rausch aus monströsen Dämonen, Kampf-Exzessen, Folterungen und Vergewaltigungen. Wenn die Gottheiten des Bösen in einer Art Zwischenwelt die Machtbestrebungen und Intrigen offenbaren, sind wir in einem Universum gelandet, wo Lovecraft, Poe und H.R. Giger sich gute Nacht sagen. Das Finale der Serie ist nicht nur unangenehm sexistisch in seinem Fanservice, wo gerne pornografisch und tentakelartig gefickt wird, sondern das ganze vorherige Kriegsszenario bekommt einen apokalyptischen Ton. Die Handlungsfäden werden in ein sehr düsteres Ende miteinander verknüpft. Das ist visuell so beeindruckend animiert, mit verschiedensten stilistischen Mitteln optimiert, dass der Film nahezu explodiert. Der infernalische Showdown ist eine Pracht, ebenso bizarr, wie hemmungslos in seiner (Bild-) Gewalt. Selten habe ich in einem kommerziellen Anime solch eine Mischung aus Porn und Rape-Phantasien, Gottheiten-Gemetzel und bitterster Tragödie gesehen.
                        7,5 Henker, die es geil finden zu foltern.
                        Die Berserk-Das Goldene Zeitalter-Trilogie ist ein Triptychon der fantastischen Gewalt, die nicht tiefsinnig aber wahnwitzig die Grenzen des Mainstreams austestet, sowohl optisch wie inhaltlich. Das wirkt mit westlichen Sehgewohnheiten oftmals befremdlich, ist aber in allen Belangen großartige Animationskunst.

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                        • 7
                          lieber_tee 26.01.2018, 22:50 Geändert 27.01.2018, 03:28

                          Berserk – Das Goldene Zeitalter II
                          Schlachtplatte.
                          Der zweite Teil macht genau da weiter wo der Erste endete und steigert sich schnell in ein unfassbar blutrünstiges Schlachtengetümmel, wo der Begriff "Berserker" Programm ist. Langsam bekommen die Figuren ein Profil, die Geschichte entwickelt einen roten Faden. Die später folgenden mystischen Elemente werden bereits angedeutet, bekommen offensichtlich symbolischen Charakter für die Psychologie der archetypisch gezeichneten Figuren. Hauptfigur Guts, ein Art überlebensgroßer Anti-Held, wächst langsam aus seiner tumben Brutalo-Rolle heraus, die Vergangenheit von Casca und Griffith wird beleuchtet. Das Tempo ist immer noch sehr hoch, im Vergleich zu seinem Vorgänger gibt es teilweise wahnwitzige optische Leckerbissen und ein schauriges Verdüstern schleicht sich von hinten heran.
                          7-mal in der Höhle menstruieren.

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                          • 6 .5

                            Die dreiteilige Kino-Verfilmung der kultligen Dark-Fantasy-Manga-Reihe von Kentarō Miura ist eine wilde Mischung aus macht-geilen Rittern, ungehobelten Söldnern, blutigen Schlachten und dämonischer Fantasie. Im Mittelpunkt stehen eine ungemein düstere Geschichte über das Erwachsenwerden und die latent homoerotische Beziehung zwischen zwei Freunden, die auch Rivalen sind. Formal ist dieses Mittelaltergemälde gewöhnungsbedürftig, denn seine Mixtur aus 3D-Optik, handgezeichneten Figuren und CGI Hintergründen wirkt oftmals befremdlich, allerdings holt sie daraus auch ihre ausufernde visuelle Kraft.
                            Berserk – Das goldene Zeitalter I
                            Hahnenkämpfe.
                            In spärlichen 75 Minuten steigen wir in das mittelalterliche Universum ein. Ebenso kurz und knapp wie hier Gegnern der Kopf gespalten wird, werden die zentralen Figuren und ihre Konflikte bzw. Abhängigkeiten vorgestellt. Irgendwie haben alle Figuren einen psychischen Schaden, Gut und Böse vermischen sich, aber viel wird nicht erklärt, die Grausamkeit spricht stattdessen. Erzählerisch holprig gibt es die Basic-Informationen, der Rest sind blutrünstige Schauwerte. Später folgende Betrachtungen, wie z.B. die Rolle der Frau in einem männlichen Söldnerheer, werden grob angerissen, ebenso die bevorstehenden Intrigen um Macht und Freundschaft.
                            6,5 Visionen für sein Leben finden.

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                            • 7 .5
                              lieber_tee 26.01.2018, 02:14 Geändert 26.01.2018, 02:16

                              Dantes "Die Göttliche Komödie" als Slacker-Film.
                              Die verpeilte Hauptfigur Dante Hicks durchläuft die Höllenkreise der „pseudointellektuellen Verbalmasturbation“ im grotesken Alltag eines Quick-Stop-Marktes um langsam erwachsen zu werden und Verantwortung in seinem Leben zu übernehmen.
                              Kevin Smiths verkultete Komödie ist eine Liebeserklärung an Typen, die sich mit sinnlos erscheinenden Tätigkeiten über Wasser halten und auf jegliche Art von Statussymbolen und beruflichen Erfolg verzichten. Hochtalentiert geschrieben, feuert der Film ein endloses Stakkato an kruden und frechen Dialogen heraus, die ebenso blöd wie geistreich sind. Der Humor besteht eigentlich nur aus (ironischen) post-pubertiere Männerwitzen zwischen Chauvinismus und popkulturellen Diskurs, die einem von absurden Gestalten im Real-Satire-Modus entgegen geschwallt werden. Da treffen dann Weisheit auf Dummheit, Geschmacklosigkeiten auf Blow-Jobs.
                              „Clerks“ ist im Prinzip eine Screwball-Komödie in den 90ern, die aus nicht genau definierbaren Gründen exakt das Lebensgefühl und den Humor dieser Zeit getroffen hat und in seiner Genialität von sich selbst überholt wurde. Sieht aus wie ein Überwachungskameravideo, wo unbeholfen-amateurhafte Witzfiguren ihren Senf von sich geben, der grenz-genial witzig ist.
                              7,5 proletarisch-philosophische Betrachtungen zu Star Wars.

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                              • 5 .5
                                lieber_tee 25.01.2018, 01:35 Geändert 25.01.2018, 02:39
                                über Rocco

                                Sexualität als Segen und Fluch.
                                Rocco Siffredi hat den Teufel zwischen den Beinen. Seine Sexsucht, sein Schwanz ist sein Verderben. Er ist ein Getriebener. Pornographie als Berufung und Verdammnis. Mit der Kamera als Therapie folgen Thierry Demaizière und Alban Teurlai der Ikone. Zwischen Fiktion und Realität. Das Portrait, das sie dabei erstellen, wirkt allerdings unvollständig, da sie sich nur für die Legende, nicht für die widersprüchliche Person interessieren. Wenn es ans Eingemachte geht, weicht der Film aus. Siffredi möchte eine Plattform für sein Leiden, seine Geilheit, seinen selbst-bemitleidenden Narzissmus. Der (angebliche) Sturz in den Abgrund, seine Zweifel, Ängste und Geständnisse werden als ein Fluch seiner Sex-Obsession dargestellt. Die vermeintliche Eigen-Dekonstruktion ist letztlich aber nur die Bestätigung des Mythos. Das Denkmal bekommt in seiner Selbstsucht keine wirklichen Risse, sondern zeigt einen Jesus am Kreuz der Pornographie.
                                Diese Ich-Bezogenheit, die Machtverhältnisse, sagen vielleicht viel über die pornographische Industrie im Allgemeinen aus, werden aber zu wenig erforscht. Die zwiespältige Figur bekommt reichhaltig das Wort, aber mit einer seltsamen Oberflächlichkeit geben die Filmemacher diesen Aussagen kaum ein Gegengewicht, obwohl sie sich in einem Umfeld bewegen, wo z.B. sexuelle Gewalt schon allein durch ökonomische Regeln an der Tagesordnung ist. Angeblich vor-formulierte Grenzen werden ständig überschritten, bis die Tränen beim Faustfick in den Mund rollen oder die Sex-Akrobatinnen vor Überforderung zusammenbrechen. Krude inszeniert sich eine gealterte Darstellerinnen als Feministin und der Cousin wird zu einer vorgeführten Karikatur, weil er von Rocco zur eigenen Wertsteigerung abhängig ist. Das Übermächtige regiert, in allen Belangen. Da traut sich selbst die Familie nicht offen von der Entfremdung gegenüber ihren patriarchalischen Vater bzw. Ehemann zu sprechen, obwohl es in ihren versteinerten Gesichtern geschrieben steht.
                                5,5-mal ein schweres Kreuz tragen.

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                                • 7
                                  lieber_tee 23.01.2018, 11:51 Geändert 31.01.2018, 02:50

                                  Dort wo Fußmatten vor Langeweile brennen…
                                  „Lärm & Wut“ ist eine eigentümliche Mixtur aus Milieustudie, Kunstfilm und Coming of Age-Streifen. Verordnet in den Pariser Banlieues der 80er, wo sich eine Parallelgesellschaft entwickelt hat, die von Gettoisierung, Desillusionen, emotionaler Isolation, Perspektivlosigkeit und krimineller Gewalt geprägt ist. Hier bedeutete das Aufwachsen auf sich allein gestellt zu sein und seine eigenen Sehnsüchte und Hoffnungen in dieser zur Verwahrlosung tendierenden Umgebung zu finden.
                                  Der umstrittene Filmemacher Jean-Claude Brisseau erzählt seine Geschichte allerdings nicht als lösungsorientierten Problemfilm, nicht moralisch oder pädagogisch von oben herab, sondern als einen Erfahrungsbericht (er war dort Lehrer an einer Brennpunktschule), der künstlerisch (etwas steif) verfremdet wird. Seine Beobachtungen sind wertfrei, aber nicht dokumentarisch nüchtern. Zwischen Sozial-Realismus und verträumten Sequenzen, ist die Szenerie mehr ein lyrisches Delirium. Sein Nihilismus, seine bittereren Momente, treffen auf poetische Schönheiten. Das ist ebenso sensibel wie brachial in den filmischen Mitteln. Das ist abstoßend und berührend.
                                  Diese schräge Mischung funktioniert nicht immer. Gerade zum Ende hin übertreibt es Brisseau mit seinen überfrachteten Künstlichkeiten, so dass der Zuschauer zwar die entstehende Gewaltspirale als eine giftige Karikatur der Umgebung wahrnimmt, aber auch den Bezug zu den Figuren verliert. „Lärm & Wut“ bleibt aber immer eine beklemmende und in der Hässlichkeit schöne Erfahrung, die am Ende sogar einen Hoffnungsschimmer zulässt.
                                  7 blinkende Flipperautomaten, neben dem im Sterben liegenden, keuchenden Großvater.

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                                  • 2 .5
                                    lieber_tee 22.01.2018, 20:35 Geändert 23.01.2018, 11:57

                                    Avatar der Zerstörung.
                                    Godzilla hat mit seinem „atomaren Atem“ die Reste der Menschheit in das All gepustet. Dort merken sie, dass ihr Suchen nach einer neuen Heimat eine dumme Idee war und fliegen wieder zurück um auf eine noch größere Riesenechse zu treffen. Der Kampf beginnt...
                                    Nun ja, der erste Animé-Film aus den legendären Toho-Studios ist im Prinzip eine typische Kaijū-Geschichte um ein schlecht-gelauntes, übergewichtiges Monster, dem der Garaus gemacht werden soll. Hier in einem "neuen" futuristischen bzw. urzeitlich wirkenden Setting verlegt. Allerdings, außer dass es viel Wald und ein paar andere Echsen gibt, bietet der Streifen wenig World-Building. Immerhin wird mit Raumschiffen und fliegenden Motorrädern durch die Luft gewirbelt. Und es wird viel geballert.
                                    Godzilla als wandelnder Berg war immer (auch) ein Sinnbild für gesellschaftliche Probleme, Ängste und Sozialkritik. Wenn das hier auch so im Film gedacht ist, wird mir angst und bange. Ab wann hat sich das Franchise eigentlich in einen puren Kriegsfilm entwickelt? Klar, Militär gegen Monster gab es schon immer, aber wenn ein Film, neben wirr-wissenschaftlichen Erklärbär-Brei, gefühlt zu 50 % von Kampf-Durchhalteparolen, Kamikaze-Aufopferung, Krieg als Mittel um seine Würde zurückzugewinnen und Schicksalsbestimmung faselt, dann hätte Göbbels wahrscheinlich das so zustimmend abgenickt. Austauschbare, furchtbar flach charakterisierte, Animations-Pappkameraden faseln davon, das Krieg den Menschen stärker machen wird. Mit „Der einzige Weg der Ehre führt über die vollkommene Hingabe“ propagiert der Film penetrant den japanischen (?) Heroismus. Einer Reflektion über die Kriegs-Hybris (z.B. bei dem Hauptdarsteller) und das Himmelfahrt-Heldentum gibt es an keiner Stelle. Im Gegenteil, dieser Godzilla ist eine Strafe Gottes, die „ die Gerechtigkeit und den Stolz der Menschen genommen hat.“ Und nur „der Pfad der Aufopferung“ kann in das „gelobte Land“ führen.
                                    Ok, letztlich ist „Monster Planet“ purer Fan-Service mit viel (ermüdenden) BummBumm und Krawall. Aufwendig animierte Netflix-Kost, deren militaristischer Kern widerwärtig schmeckt. Kann sein, das ich diese unverhohlene Glorifzierung von Kampf und männlicher Hybris einfach nicht mehr hören und sehen will. Und vielleicht ändert sich das auch in den nächsten Teilen. Hier war es mir zu doof und ich habe mich geärgert.
                                    2,5 elektromagnetische Pulswellen.

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                                      „Wenn dich einer auf die linke Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“
                                      Wenn ein Jesus-Punk in der Gartenkolonie für die Menschheit leidet…
                                      Inspiriert von der wahren und unfassbaren Geschichte um Thies F in der Kleingartenanlage in Kassel-Hegelsberg hätte Katrin Gebbes Film eine Reflexion über religiösen Fanatismus sein können, ist aber „nur“ eine Passionsgeschichte, die das Leiden dem Zuschauer bis in die Knochen spürbar machen will.
                                      Im Mittelpunkt steht Tore, der seinen Platz in der Welt noch sucht. Am Anfang ist man fasziniert von seiner fundamentalistischen Auslegung des Christentums. Wenn sein Körper im Laufe des Films zum Kriegsgebiet erklärt wird, wo spirituelle Religiosität vs. weltlichen Materialismus in Form von perfiden Sadismus eine Schlacht schlagen, dann macht der Zuschauer fast schon dieselben körperlichen und seelischen Qualen durch wie es Tore tut. Wie in einem Folterporno erlebt er im proletarischen Schrebergarten sein Martyrium. Seine Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe ist angesichts der Torturen die er erleiden muss kaum zu ertragen, auch oder gerade weil Hauptdarsteller Julius Feldmeier eine unfassbar intensive und glaubwürdige Performance bietet.
                                      Ob Gebbe hier unangenehmes Erlebniskino von häuslicher Gewalt mit ihren Opfer- und Täter-Dynamiken dem Betrachter zumuten möchte, oder einfach nur provokative Expoitation als Körper-Zerstörungs-Kino zelebrieren will, wird nicht klar. Die Filmemacherin nimmt ihre Sache verdammt ernst, testet die Grenzen der Verträglichkeit beim Betrachter aus, beutet und quetscht quälerisch den Sadismus bis zum letzten Tropfen Blut aus. Jedes Klischee, möglichst krass, wird dabei konsequent bedient. Mit dem Holzhammer werden die Qualen in den Arsch des Zuschauers gefickt. Plakativ ohne Grenzen, durchaus intensiv. Tores Aufopferung bekommt allerdings dabei nie eine psychologische oder biografische Erklärung, keine emotionale Grundierung. Sie wird einfach nur als unangenehmer Schauwert gezeigt. Dass diese christliche Selbstkasteiung völlig absurd und wie eine geistige Umnachtung wirkt, reflektiert der Film nie. Ganz im Gegenteil, irgendwann hat Tore sogar konkrete Visionen vom Heiligen Geist.
                                      Das Gute ist Göttlich und das Böse liegt in der Natur des Menschen. Das ist einfach so! Und nur wenn Tore wie Jesus leidet, die Schuld auf sich nimmt, dann werden die Unterdrückten erlöst, die Welt von Niedertracht befreit. Das suggeriert zumindest das Ende des Films. Brüche in der radikalen Darstellung und Sinnhaftigkeit des Martyriums sind nicht zu erkennen. Tore tanzt und leidet für Gott, der Zuschauer leidet mit. In diesem Horror soll irgendwo Glaube, Liebe und Hoffnung zu finden sein. Mich hat dieser Ansatz nur ratlos zurückgelassen.
                                      5-mal seinen eigenen Urin trinken.

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                                        Wenn Langsamkeit versucht den Mangel an Ideen auszugleichen.
                                        Basierend auf einem (mal wieder schwachen) Blacklist-Drehbuch von 2012 versucht Regisseur Jamie M. Dagg, in die moralischen Schattenwelten einer US-Kleinstadt einzutauchen und die klassischen Referenzen des Neo-Noir-Genres nach Lehrbuch zu bedienen. Entstanden ist ein vor sich hin brütender Thriller. Generisch wird über Schuld und Sühne nachgegrübelt, die Zutaten erscheinen dabei allzu vertraut. Dank einer soliden Besetzung und einer hervorragenden Kinematografie, die jedes Detail mit großer Erlesenheit und Bedeutung in den narrativen Kontext stellt, entsteht eine Charakterstudie verlorener Menschen, weniger ein packender Krimi, die formal beachtlich ist. Letztlich ist „Sweed Virginia“ das für das Genre übliche abarbeiten von Motiven wie Einsamkeit und Schmerzen der Vergangenheit. Sein Kommentar zum moralischen Verfall der USA, der nur durch männlich-selbstbewusstes Handeln mit der Knarre gelöst werden kann, erscheint wie eine logische Gleichung. Am Ende werden dem Helden die Haare geschnitten und er lächelt glückselig, er ist erlöst.
                                        6 Ruhestörungen im Nachbarzimmer.

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                                        • 5 .5
                                          lieber_tee 18.01.2018, 21:48 Geändert 18.01.2018, 21:51
                                          über Sabata

                                          Jeder Schuss ein Treffer.
                                          "Sabata", der bei Spagetti-Western-Fans Kultstatus genießt (wahrscheinlich wegen seiner ikonischen Titelfigur), spielt sicherlich NICHT in der gleichen Liga wie die Meilensteine des Genres.
                                          Filmemacher Gianfranco Parolini bewegt sich am Rande einer Genre-Persiflage. Lässt den ewigen Nebendarsteller Lee Van Cleef als Dandy durch den Film reiten. Mit coolen Outfit, coolen Gadgets und undurchdringlich blauen Augen, ist er ein Art überlebensgroßer, unverwundbarer James Bond des wilden Westens. Kein Kraut ist ihm gewachsen. Das hat schon etwas Selbstgefälliges, wie unantastbar seine Männlichkeit erscheint. Seine Lässigkeit wird von zwei nervig-komischen Nebencharakteren flankiert, die wie aus einem Bad-Spencer-Film erscheinen. Gerade sie lassen Van Cleefs Figur seltsam unbedrohlich wirken, fast schon wie eine Parodie auf sich selbst. Während unser zentraler Held nun jedes Problem mit dem kleinen Finger löst, rast die Handlung pseudo-kompliziert vor sich hin. Bedient bekannter Italo-Western-Bausteine, die mit hohen Tempo und viel Bleivergießen zusammengesetzt werden.
                                          Irgendwann habe ich mich wie in einem Comic gefühlt, dass für kleine Jungens, die von Überlegenheitsphantasien träumen, gedacht ist. Die es witzig finden, wenn Bösewichtern dreckig-lachend in den Rücken geschossen wird. Für die Frauen (außer Mama) unbekannte, verachtenswerte Wesen sind und die Indianer als stumme Zirkusakrobaten cool und nicht rassistisch finden.
                                          Stilistisch ist der Film allerdings oberste Sahne. Die Kamera schwingt sich schwindelerregend auf den Sattel rauf, die (übertriebene) Action ballert aus allen Rohren, die Produktionswerte sind fett und die Musik ist feiner Makkaroni-Score.
                                          Vielleicht ist die ganze Chose als Western-Parodie gedacht, aber der Humor war mir dann doch zu blöde, zu antiquiert.
                                          5,5 Klimperpfannen.

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                                            Die Unversöhnlichkeit des Schicksals.
                                            Yorgos Lanthimos Arthouse-Horrorfilm spielt mit dem Seltsamen.
                                            War sein Vorgänger "The Lobster" voller spitzbübischen Witzes, fast locker-flockig anzusehen, ist sein aktuelles Werk wieder näher seinem unnachahmlichen Stil von „Dogtooth“.
                                            In der faszinierenden Sterilität ist, wenn überhaupt, der Humor so bitter, das er kaum zu genießen ist. Lanthimos finsterere Satire über das langsame Ausdörren einer Oberschicht-Familie ist wie eine medizinische Versuchsstudie angelegt. Ein rationaler Mann wird mit dem Unerklärlichen konfrontiert, mit einen göttlichen bzw. mystischen Fluch belegt. Verantwortung, Gerechtigkeit, Opferung und Vergeltung sind Parameter, die aus dem Iphigenie-Mythos entnommen und auf den filmischen Seziertisch ausgebreitet werden. Quälend-sadistisch wird aus einer griechischen Tragödie eine kontrolliert-grausame Meditation über Schuld und Sühne.
                                            Die seltsame emotionale Leere der Figuren, mit ihren brechtschen Dialogen wirkt fremdartig, lässt kaum Empathie zu. Das Unbehagen schleicht sich unter die Haut des Zuschauers, bricht sich mit Absurditäten, um am Ende in einen beunruhigenden Höhepunkt zu kulminieren. Das ist ebenso Nihilistisch wie Pervers.
                                            Eingebettet in eine eigenwillige Bildsprache, wo die Kamera immer wieder befremdliche, irgendwie nicht passende, Positionen findet, oder gott-gleich, leicht erhoben, durch anonym wirkende Krankenhausflure schwebt. Die strenge Inszenierung erinnert an die Strenge eines Gottes, der keine Gnade kennt und mit schrägen, extrem lauten Disharmonien von oben herab zuschlägt.
                                            Mag sein das Lanthimos unterkühlte und grausame Filmpoesie so langsam sich zu einer monoton wirkenden Selbstzufriedenheit aufbläht, hier Provokation ihrer selbst willen vorliegt. Das ist mir aber letztlich völlig egal, denn diese Art von Kino hat eine verstörende und verschrobene Intensität, die ich nur bei wenigen aktuellen Filmemachern finde.
                                            7,5 Magensonden zur künstlichen Ernährung.

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                                              „Selbst im Krieg singen die Zikaden.“
                                              Mit betörender Intimität folgen wir in eleganten und komprimierten 129 Minuten den Entbehrungen, Ängsten und Tragödien der japanischen Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkrieges, exemplarisch an Hand einer „gewöhnlichen“ jungen Frau erzählt. Die impressionistische Chronik zeigt in malerischen Illustrationen den Schmerz der Geschichte. Aus blühender Fantasie wird der Tod von Träumen. Ebenso berührenden wie faszinierend bedeutet die Flucht in die Phantasie Hoffnung, die Angesichts der Grausamkeiten kaum überleben kann. Auch wenn der Film etwas zerstreut wirkt, episodenhaft Emotionen darreicht, sein Überleben im Schatten des Krieges hat etwas Ergreifendes.
                                              7 weiße Hasen im Meer.

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                                                lieber_tee 15.01.2018, 16:09 Geändert 15.01.2018, 17:58

                                                »SoulReaver und lieber_tee in den Untiefen des ganz normalen Genrewahnsinns«
                                                #20 (Staffel – 2)
                                                T…wie Tragikomödie.
                                                Wenn eine kontrollierte Lawine eine unkontrollierte Katastrophe auslöst.
                                                Zu Beginn lässt sich eine scheinbar harmonische Wohlstand-Familie vor den Postkarten-Alpen in Südfrankreich fotografieren. Aber die Idylle ist gestört, denn Schneeraupen verursachen Krach, Sprengungen erschüttern die Ruhe. Wenn der Vater panisch vor einer drohenden Lawine flüchtet und nicht als starker Held handelt, sondern sich seine Ehefrau vor die Kinder schützend wirft, dann beginnt die lawinenartige Dekonstruktion des Familienmodels und des Männerbildes. Genüsslich zerlegt Ruben Östlund die unausgesprochenen aber doch festgelegten Beziehungsstrukturen und Rollen-Erwartungen. Der Ernährer wird wegen seiner Feigheit und Unzuverlässigkeit in seiner patriarchalischen Herrlichkeit hinterfragt. Das Selbstbild von ihm und der Familie funktioniert nicht mehr, es offenbaren sich Ängste und Neurosen. Erzwungene, peinliche Gespräche folgen. Die Unfähigkeit ehrlich miteinander zu reden wird offensichtlich, Leugnung und Läuterung folgen, aber eins ist klar, der Mann steht vor seinem eigenen Abgrund.
                                                Östlund erzählt diese „Schnee-Therapie“ formal äußerst kontrolliert. Mit kühlen und präzisen Bildern. In 5 Akten, bzw. 5 Urlaubstagen, seziert er die Familie wie in einem Versuchslabor. Nach und nach löst sich das Gefüge vor dem Badezimmerspiegel auf, das kafkaeske Wohlstand-Hotel, die Weite und der Nebel der Alpen werden zu Seelenlandschaften.
                                                Dieser unerbittliche Diskurs, diese Vergletscherung der Gefühle, ist unangenehm anzuschauen. Die sowohl lächerliche wie tragische Männerfigur, mit ihrer Selbstzufriedenheit und Verleugnungsstrategien, ist zum Fremdschämen. Aber Östlund ist unerbittlich. Seine exakten Dialoge und nüchternen Beobachtungen haben etwas Wahrhaftiges und eine bitterböse Ironie. Denn so grimmig er auch die heuchlerischen Mechanismen offenbart, schonungslos in Wunden bohrt, er schafft es immer wieder der quälenden Thematik etwas Verspieltes gegenüber zu stellen. Trotz Zynismus und Spott gibt es auch komödiantische Aufbrechungen, die die Absurdität des ganzen Dilemmas offenbaren. Das Lachen bleibt einem zwar des Öfteren im Hals stecken, aber gerade dadurch bekommt der Betrachter auch eine empathische Nähe zu den Figuren. Und merkt, trotz aller Ernsthaftigkeit, das der Filmemacher hier eine grandiose Farce über eine Gesellschaft erzählt, die ihre Geschlechterstereotypen nicht hinreichend hinterfragt, bei trivialsten Sachen in Hysterie ausbricht und alles (mehr oder weniger) ausdiskutieren muss. Und das führt in groteske Dimensionen.
                                                8 elektronische Zahnbürsten.
                                                http://www.moviepilot.de/liste/soulreaver-und-lieber_tee-in-den-untiefen-des-ganz-normalen-genrewahnsinns-soulreaver

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                                                  lieber_tee 14.01.2018, 11:08 Geändert 14.01.2018, 12:48

                                                  „Sport ist etwas Wunderbares, aber auch grausam.“
                                                  Der schwedische Eisberg gegen den Flegel aus NY. Konzentration gegen rebellische Raserei. Borg/McEnroe fokussiert sich auf eine der größten Tennis-Ikonen der Welt, Björn Borg, und seinen größten Gegner, der talentierte John McEnroe. Das Kino-Debüt von Janus Metz ist eine aufregende Mischung aus Nostalgie-Biopic, Mythenbildung und Psychogramm. Mit Mitteln des typischen Sportfilms und Sensibilität des Arthaus-Kinos zeigt der Film was Legenden zahlen müssen um welche zu werden. Und das Borg bzw. McEnroe sich trotz unterschiedlichen Habitus ähnlicher waren als es auf den ersten Blick erschien. Dazu beleuchtet der Filmemacher die Psyche der beiden Stars, lotet ihre Kindheit und Jugend, ihre wichtigen Bezugspersonen aus. Jedes Spiel ist ein Kampf gegen innere Dämonen, gegen Frustrationen und Ärger. Der Preis ist, trotz Prominenz, Einsamkeit. Diese wenig neuen Gedankengänge werden nicht sonderlich tief aber nachvollziehbar analysiert. Höhepunkt des Films ist das legendäre Spiel in Wimbledon 1980. Hier werden mit temporeicher Montage und Nahaufnahmen die genannten Themen zentriert und mit übertriebenen Sportmoderation-Kommentaren karikiert. Der wirkliche Grund warum dieser letztlich eher standardisierte Sportkrimi so gut funktioniert, liegt an den beiden begnadet überzeugend agierenden Darstellern Sverrir Gudnason und Shia LaBeouf, die bemerkenswert sensibel Borg/McEnroe verkörpern.
                                                  7 gewonnene Aufschlagspiele.

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                                                    lieber_tee 14.01.2018, 01:26 Geändert 14.01.2018, 01:31

                                                    Ausplünderungskino.
                                                    „Colonia“ ist ein ehrenwerter aber gescheiterter Versuch den Opfern des berüchtigten chilenischen Foltergefängnisses Colonia Dignidad ein Gesicht zu geben. Als "weißer" Hollywood-Film will er auf ein dunkles Kapitel der lateinamerikanischen Geschichte aufmerksam machen. Einerseits Mahnmal und andererseits Unterhaltungskino sein. Auch wenn Watson und Brühl sicherlich ihr Bestes geben, sie wirken wie lächerliche und unechte Karikaturen. Zwischen Liebesfilm, Nazisploitation und Ausbruch-Drama verweigert sich der Film in irgendeiner Form die politischen Zusammenhänge mit seinen Genre-Klischees zu kontextualisieren. In seinem krampfhaften Versuch irgendwie fesselnd zu sein vergisst er jegliche Form von Intelligenz und Emotionalität. Am Ende ist er nur ein uninteressanter Reißer mit guter Absicht, der seine wichtige Thematik ausplündert. Das haben die Opfer nicht verdient.
                                                    4-mal durch Elektroschock-Folter einen Hirnschaden bekommen.

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