lieber_tee - Kommentare

Alle Kommentare von lieber_tee

  • 8
    lieber_tee 13.01.2018, 02:30 Geändert 13.01.2018, 02:41

    Ein frecher Coming-of-Age-Film über die Moral.
    Janine, ein junges Mädchen, versucht Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Dazu muss sie aber erst den Weg ihrer Rebellion kraftvoll durchschreiten. Zwischen sexueller Neugierde, Liebeserfahrungen, Lügen und Kleinkriminalität findet sie ihre Identität.
    Claude Millers Verfilmung des letzten Originaldrehbuches von Francois Truffaut, ist die feminisierte Version von „Sie küßten und sie schlugen ihn". Bis in der kleinsten Einstellung versprüht der Film die Energie vom Meister, ohne dabei zu einer bloßen Kopie zu verkommen. Besonders sehenswert ist die 17 jährige Charlotte Gainsbourg, die voller Frische auf der Suche nach echte Liebe und einem besseren Leben ist. Mit Herz für Außenseitern, reich an kleinen Gesten die großartig sind und nicht frei von unmoralischen Lolita-Männer-Fantasien, ist „Die kleine Diebin“ eine bitter-süße, lustig-traurige Tragikomödie über das Erwachsenwerden. Französisches Kino wie ich es liebe.
    8 denunzierte Nudisten.

    19
    • 8

      Kino des Erwachens.
      Für den 15 jährigen Mike ist Liebe Faszination und Besitzergreifung. Sein Wunsch die selbstbewusste Susan „haben“ zu wollen ist unrealistisch und entwickelt sich schnell zu einer Obsession. Sie reagiert mit fiesen Spielchen, macht sich über seine unerfüllten (sexuellen) Sehnsüchte lustig.
      In Jerzy Skolimowskis Coming of Age-Drama ist das Erwachsenwerden eine Qual für den Protagonisten, bekommt eine psychosexuelle Aufladung. Sex und überhaupt die Welt der Erwachsenen im Swinging London der 60er ist materialistisch, auf Hedonismus und Konsum ausgerichtet. Die sexuellen Freiheiten der Frauen und Mädchen sind verwirrend, decken sich nicht mit den eigenen männlichen Machtansprüchen. Seine romantischen Träume kann unser jugendlicher Held sich aber nicht leisten, sind eigentlich auch nicht käuflich. Der Idealisierung von Liebe, dem Verlangen, folgt die Ernüchterung. Skolimowski inszeniert dieses pubertäre Gefühlchaos als Spiegelbild aus Symbolen und bildlichen Metaphern. In einer ständig erotisch aufgeladenen, schwerelos wirkenden Stimmung entsteht ein Wirbel aus Frustrationen, der sich in Gewalt entlädt. Die Unschuld der Kindheit endet blutig.
      8 "perfekte" Mädchen.

      24
      • 7
        lieber_tee 11.01.2018, 01:47 Geändert 11.01.2018, 15:29

        Ungezügelte Action trifft auf schmalzige Liebe und leidet unter narrativer Debilität.
        Offensichtlich ist Luc Bessons „Nikita“ (1990) die Vorlage für diesen immer wieder völlig aus den Rudern laufenden Action-Exzess. Der Plot ist dabei fast nebensächlich, nimmt aber in den zwei Stunden viel Zeit in Anspruch. Es wirkt ein wenig so, als ob Regisseur Byeong-gil Jeong sich nicht traut nur Rachefantasien konsequent auszuleben, es muss auch noch großes, episches Emotionskino erzählt werden. Leider verheddert er sich immer wieder zwischen knarzigen Hau-Drauf und melodramatischen Geplänkel, wirkliche Charaktertiefe entsteht bei den Figuren dabei nicht. In seiner groben Montage aus Rückblenden in Bezug zur Gegenwart entsteht ein verwirrendes Storytelling, das bei weitem nicht so komplex ist wie es sein will. Allerdings sind die Action-Szenen dermaßen atemberaubend, dass die Geschichte eh zweitrangig wirkt.
        Wenn lange Plansequenzen in Ego-Shooter-Perspektive auf Kampfballett, Computereffekte und beinhartes Heroic-Bloodshed-Gemetzel treffen, wenn Gangster mit hohem Blutzoll massakriert werden, wenn auf Motorrädern mit Schwertern gekämpft wird und alles in einen ruppigen Axt-Kampf in einem Bus mündet, das Fischauge und die Go-Pro-Kamera körpernah und nervös den Fights folgen, dann bleibt beim Zuschauer der Mund vor Begeisterung offen stehen. Zumindest war das bei mir so.
        Da ist es letztlich egal, das das krude Frauenbild zwischen „männlich-stark“ und „weiblich-schwach“ so manche Male in einer konservativen Familienidyllen-Sehnsucht erstickt, denn dieses Bedürfnis nach einer heiler Welt wird der Protagonistin ihr Verhängnis.
        7-mal vor Rache verzehrt.

        23
        • 8 .5
          über Django

          Wenn es im eroberten Wilden Westen nichts mehr zu erobern gibt.
          In einer moralisch verdreckten, apokalyptischen Welt fällt es schwer eine sauber Trennung zwischen Gut und Böse zu ziehen. Sergio Corbuccis grimmiger Italo-Western ist ein un-heroischer Anti-Western um einen ausgebrannten Einzelgänger in zerzausten Lumpen und mit Maschinengewehr im Sarg. Djangos Ikonografie des wortkargen Outlaws wurde Ende der 60er zu einen Inbegriff der Unangepassten. Sein kompromissloses Handeln spiegelte die politische und gesellschaftliche Zerrissenheit dieser Zeit wieder. Emotionslos verübt er Rache, die in ihrer viehischen Gewalt ebenso pessimistisch wie sadistisch ist und nahezu bizarre Ausmaße annimmt. Und kann als Ausdruck einer Revolte gegenüber Establishment gesehen werden. Neben Sergio Leones Dollar-Trilogie ist der Film der Startschuss für die glorreiche Zeit des italienischen Westerns. Unzählige Male kopiert, selten erreicht, wirkt sein cineastischer Einfluss bis heute in zahllosen Filmen nach.
          Ein Meisterwerk aus Schlamm und Blut.
          8,5-mal einen Prediger dazu zwingen, sein abgetrenntes Ohr zu essen.

          24
          • 6 .5
            lieber_tee 10.01.2018, 00:18 Geändert 10.01.2018, 08:43

            Der Schmetterlingseffekt auf Japanisch.
            Protagonist Satoru kann sich unvermittelt in der Zeit bewegen und die Vergangenheit verändern bzw. „löschen“, wobei schnell klar wird, dass das nicht unbedingt immer zum Vorteil ist.
            Die recht kurze, 12-teilige Serie beginnt geheimnisvoll. Seine Figuren werden ausdrucksstark eingeführt, das phantastische Zeitreisethema für einen Whodunit benutzt. Neben seiner Krimihandlung folgt das Anime immer wieder soziale Themen, wie Misshandlungen von Erwachsenen gegenüber Kindern und psychische Gewalt. Phantastische Elemente stehen neben realistischen Gesellschaftsbildern, die Balance zwischen leichten und schweren Szene ist gelungen. Der dramatischen Bogen ist ebenso aufregend wie berührend. Leider wird zum Ende hin eine wenig überraschende Auflösung geboten, bzw. der Thrill weicht dicken Pathos, bis hin zu psychologischen Erklärungen, die zwar emotional verständlich sind, aber ehe enttäuschend banal wirken.
            6,5 Serienmörder in der Vergangenheit.

            11
            • 7

              Einsamkeit im Herzen.
              In dieser Comic-verfilmung, die gar nicht wie eine Comic-Verfilmung wirkt, winden sich originelle, glaubwürdige und liebenswerte Charaktere durch die Dämmerung zwischen High-School-Ende und „erwachsener“ Welt. Im Humor sanft hysterisch, leicht zynisch, verliert der Film nie seinen klugen Sinn für bösen Witz gegenüber Angepasstheit und Ödnis in der Kleinstadt. Entfremdete Teenager haben Angst vor Entfremdung, die sie mit ihrer ganz eigenen Art des Pessimismus bekämpfen. Außenseiter sind ebenso gerne Außenseiter wie sie es nicht sein wollen. Am Ende siegt die Tragik, Hoffnung bekommt etwas Bitteres.
              7 alte Platten abspielen.

              23
              • 7 .5
                über Silence

                Wenn Gott schweigt…
                Martin Scorseses filmischer Beichtstuhl ist eine düstere Meditation über den christlichen Glauben und Zweifel. Ist Opferbereitschaft Ausdruck tiefer Religiosität, steht Gottvertrauen über den Wert des einzelnen Menschen, kann Mitgefühl auch Fanatismus bedeuten? Ist Märtyrertum eine sinnlose und selbstgerechte Art von Glaubensbekenntnis? Warum ist die christliche Erlösung mit Leiden verbunden und kann eine Religion kulturell unabhängig eine Allgemeingültigkeit haben? „Silence“ ist ein Diskursfilm. Stellt Fragen, beantwortet sie nicht. Das Werk von Scorsese könnte auch als bittere Parabel über den Zusammenhang von Missionierung und Kolonisierung sein. Oder in seinem historischen Bezug auf die Christenverfolgung in Japan einen aktuellen politischen Subtext transportieren.
                In erster Linie ist der Film allerdings ein Film über Obsessionen. Die des Protagonisten und die des Regisseurs. Über 20 Jahre hat der Meister an der Verfilmung der Novelle des Japaners Shusaku Endo gearbeitet. Sein Herzensprojekt verbindet endgültig seine Leidenschaft zwischen Kino und Katholizismus. Entstanden ist ein überraschend privater Film, der trotz epischer Bildgewalt immer nahe, teilweise unangenehm nah an der zentralen Hauptfigur des Films ist, ohne sein Leiden auszubeuten. Das Hinterfragen von sich selbst überträgt sich auf den Zuschauer. In 160 Minuten wird die Glaubensprobe eine Bewährungsprobe und eine Geduldsprobe. Wie die Christen werden die Zuschauer gequält. So manche Male kann dieser theologische Diskurs den Betrachter überfordern. Seine Unversöhnlichkeit, sein Nicht-Anbieten von Befreiung und Erlösung hat eine zunehmende soghafte Abwärtsspirale. Solch sperriges Kino lockt nur bedingt Massen ins Kino, wer will schon Leiden und Zweifel so spürbar im Kino als Selbsterfahrung erleben. Nicht ohne Redundanzen quält sich der Zuschauer durch den Film, wird aber dadurch mit ungemein kraftvollen und bewegenden Momenten belohnt. Der formale Akt der Apostasie wird zu einem Thriller, denn wie kann es möglich sein vom Glauben offiziell abzutreten und zugleich ihn im inneren weiterhin bewahren.
                Am Ende hat uns Scorsese ein Gefühl dafür gegeben, das religiöse Sehnsucht einen persönlichen Wert haben kann, haben darf und das diese unabhängig von Symbolen und Ritualen ist.
                7,5 Spiegelbilder im Fluss.

                18
                • 7 .5
                  lieber_tee 06.01.2018, 22:10 Geändert 14.01.2018, 22:08

                  Banalität des Unfassbaren.
                  Roger Cormans einziger Nicht-Genrefilm kann ohne Frage als einer seiner besten Arbeiten gesehen werden. Als er 1962, zu Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, den Film veröffentlichte, der sich kritisch mit Rassismus und Ku-Klux-Klan auseinander setzt, wollte ihn keiner sehen. Da konnte der Meister ihn noch so oft in Drive-in-Kinos rotieren lassen. „The Intruder“ hatte damals (vielleicht auch noch heute) eine zu große politische Brisanz, sein aufklärerischer Ansatz war bedrohlich.
                  Der damals noch unbekannte Schauspieler William Shatner präsentiert sich hier in Hochform. Als cleverer und smarter Rattenfänger schleimt er sich in die Bevölkerung ein, hält faschistische Reden und offenbart wie geschickt seine tiefe rassistische Verachtung gegenüber Afroamerikanern, seine Saat der Böswilligkeit, auf fruchtbaren Boden der „normalen“ Bürger trifft. Selbst sein „positiv“ dargestellter Gegenspieler handelt nicht aus moralischer Überzeugung, sondern aus Gesetzestreue. Auch bei ihm ist die Ablehnung der dunklen Hautfarbe mit offenen und tief verankerten Alltagsrassismus verbunden.
                  Fast schon parabelhaft zeigt „Weißer Terror“, das Rassismus ungebunden von Ort und Zeit möglich ist, ein bitterer Teil der Gesellschaft ist, dem es gilt aus tiefen Humanismus entgegen zu treten.
                  Poltisches, kraftvolles und menschliches Indie-Kino, voll in die Fresse.
                  7,5 brennende Kreuze.

                  23
                  • 6
                    lieber_tee 05.01.2018, 16:48 Geändert 05.01.2018, 16:49
                    über Amuck!

                    Camera Obscura - Italian Genre Cinema Collection #16
                    Sex(ismus) and Crime in der dekadenten Oberschicht sind die Themen dieses frühen 70er Jahre Giallos. Fans die allerdings nach blutigen Morden gieren gehen leer aus. Stattdessen gibt es elegante und geschmäcklerische Bilder, mit lesbischer Slo-Mo-Fummelei und Vergewaltigungs-Phantasien. Dazu dudelt ein räudiger Porno-Soundtrack. Das ist pures Sleeze -Kino in Gewand eines Katz und Maus-Krimis. In breiten Cromoscope-Bildern beweist die schöne Barbara Bouchet vollen körperlichen Einsatz. Geheim erforscht sie in einer venezianischen Villa ziemlich naiv und ungeschickt den Tod ihrer Freundin und entdeckt dabei ihre sexuellen Obsessionen. Genüsslich tastet die Kamera ihren Körper ab und man(n) merkt das Regisseur Silvio Amadio offensichtlich aus dem Soft-Porno-Bereich kommt. In seinem hypnotischen Tempo erzeugt er eine sexuell aufgeladene Atmosphäre, wie sie nur im italienischen Kino dieser Zeit möglich war. Fußnägel werden zwar vor Spannung nicht gekaut, aber das Ganze ist hübsch anzusehen, wenn man die moderne, kritische Vorstellung von Objektivierung der Frauen außer Acht lässt und stattdessen zu seiner eigenen Geilheit steht.
                    6 K.-o.-Tropfen

                    16
                    • 7 .5

                      Wenn Helden der Kindheit sterben…
                      Das alte Krieg-der-Sterne-Universum bröselt. Der mittlere Beitrag zur neuesten Trilogie versucht das Franchise weiter zu entwickeln. Nostalgische Zöpfe werden geflochten und zugleich abgeschnitten, damit auf der entstanden Glatze spärliche, neue Haare wachsen. Autor und Regisseur Rian Johnson wagt den Spagat zwischen Fan-Service und Fan-Dekonstruktion. Hinterfragt überraschend mutig die Mythen der Saga, die Bedeutungen und Traditionen von lieb-gewonnenen Vorstellungen, die bei der Anhängerschaft schon selbst zu einer Religion geworden sind. Den Jedi-Kult, die vorbestimmte Elternschaft gibt es nicht mehr. Aus der alten Ordnung wird eine neue Ordnung. Aus den alten Legenden werden neue Legenden, damit die neue Zuschauergeneration auch Merchandise-Produkte und Kinokarten kauft.
                      Dabei bewegt sich der Film oberflächlich weiterhin in den bekannten Regionen von Heldenmut und pathetischer Sentimentalität, die hier schon fast die Dimensionen einer griechischen Tragödie haben. Der antagonistische Kampf zwischen Schwarz und Weiß wird grau, dumpfe Männlichkeit bekommt den weiblichen Gegenpart aus Schlauheit und spiritueller Macht. Mit respektlosen Humor wird der Plotverlauf immer wieder bewusst unterlaufen, ohne dass die Verehrung vor der Original-Reihe darunter leidet. Im Gegenteil, selten hat ein Star-Wars-Vehikel so viele aufregende Momente gehabt, so viele visuell befriedigende Aha- und Oha-Erlebnisse geboten. Da seien die (auch nicht wenigen) peinlichen, inszenatorischen Fehlgriffe verziehen. Denn bei all den mitreißenden Weltraumschlachten und Lichtschwerter-Duellen bleibt Johnson den Figuren nah, spinnt das menschliche Element gekonnt weiter, das im vorherigen Teil von J. J. Abrams akzeptabel eingeführt wurde.
                      Auch wenn „Die letzten Jedi“ im Prinzip Episode 5 und 6 nochmal erzählt, ist er ein riskantes Unterfangen. Teilweise radikal löst sich dieser Teil vom schweren Gewicht der Nostalgie und Formelhaftigkeit (unter dem Teil 7 massiv gelitten hat) und will (endlich) eine eigene Geschichte erzählen. Das geht offensichtlich nicht ohne Kollateralschäden. Nüchtern betrachtet ist der Film ein ziemlich durcheinander-gewürfelter, holpriger Drehbuchhaufen, der seine Liebe zum Universum mit Referenzen hofiert, um dann immer wieder die Vorlagen von Abrams zu unterlaufen. Dadurch dauert es auch ziemlich lange bis er seinen eigenen Rhythmus findet. Seine 152-Minuten ufern immer wieder an den Rändern aus, einzelne Erzählstränge erscheinen sinnlos, werden am Ende fast schon hilflos irgendwie zusammengeführt. Innere Konflikte wirken trotz theatralischer Dramatik und Über-Symbolik oft nur angerissen. Im letzten Akt schafft es Johnson sich zu fokussieren. Das ist dann durchaus betörend und hat einen wunderbar apokalyptischen Glanz.
                      J. J. Abrams kann nun in der dritten Episode diesen mythologischen Scherbenhaufen zusammenfegen und neu anordnen, oder alles wieder bewährt zusammenfügen. Und die wütenden Fans, die die Petition unterschrieben haben, damit dieser Film aus dem Kanon gestrichen wird, können die Götzen der Vergangenheit weiterhin anbeten, oder kapieren, das ihre Macht erschüttert wurde und daraus ein ordentlich geschüttelter, frischer Cocktail entstanden ist.
                      7,5 Lakaien des Imperiums.

                      34
                      • 7

                        Home-Invasion nach innen.
                        „It Comes at Night“ ist ein unbehagliches, post-apokalyptisches Kammerspiel, das die Gebrechlichkeit einer Kernfamilie eindringlich offenbart. Entschlackt auf einen Minimalismus, der ungemein effektiv ist, wird dystopischer Horror eine albtraumhafte Erforschung von Verfolgungswahn und existenzieller Angst. Trey Edward Shults‘ zweite Arbeit wirkt wie eine kleine filmische Übung, die das Überleben Angesichts des Jüngsten Gerichts als verzweifelte Unmenschlichkeit darstellt. Die vermeintliche Vernunft, das Bedürfnis nach Sicherheit, ist eine grausame Mechanik, ein fieser Teil der Natur des Menschen. Als bittere Versuchsanordnung verspricht der Film mehr als er letztlich psychologisch bietet, seine Art wie er sich schleichend in das Hirn des Zuschauers bohrt, ist allerdings wirklich erschreckend.
                        Mit 7 Furunkeln bedeckt.

                        33
                        • Solange die geschnittene Version von Deadpool immer noch fast 3 Millionen (!!!) Zuschauer in Deutschland hat, glaube ich nicht daran das das lineare Fernsehen sterben wird und auch nicht Pro7.

                          14
                          • 2
                            lieber_tee 02.01.2018, 20:29 Geändert 03.01.2018, 01:19

                            Kitsch-Rotz.
                            Im kommerziellen Wahn "Frozen" in den Kinderherzen warm zu halten, bringt Disney „Olaf“ als Kurzfilm vor „Coco“ auf den Markt. Satte 21 Minuten lang wird der Zuschauer gequält, damit der Profit stimmt. Und so müssen die Kinoreihen schrecklich müde Witze und schlechte Songs ertragen. Dieser Kitsch-Weihnachtskuchen mit altbackender Aussage, dass Traditionen wichtig sind, besteht nur aus glasierten Zuckerguss und süßlichen Geschmack, zerrt nicht nur wegen seiner Überlänge an der Geduld des Betrachters. „Olaf“ ist umso ärgerlicher, weil hier talentierte Animationskunst eine Verschwendung ist.
                            2-mal die Kerzen ausblasen.

                            26
                            • 5

                              Totes Kino.
                              Alexandre Bustillos und Julien Maurys ("Inside") Erklärbär-Prequel psychologisiert Leatherface und beraubt ihm damit seiner bedrohlichen Unnahbarkeit. Mag der Streifen als blutiger Horrorfilm noch in Ordnung gehen, seine Existenz macht wenig Sinn. Denn beim Versuch das Texas Chainsaw-Universum auszuweiten und das Zentrum in eine tragische Figur zu verwandeln, ihr ein Trauma anzudichten, vergessen die Ideengeber, das gerade der abgründige Terror der Reihe im Unerklärbaren liegt. Keiner will Leatherface als arme Sau sehen, die ein Produkt aus einer schlechten Erziehung ist. Handwerklich ist der Film allerdings nicht so schlecht wie sein Ruf. Ernsthaft, sauber liefern die beiden Franzosen eine Auftragsarbeit in den USA ab. Ihre bisherige grimmige und spielerische Sicht auf das Genre ist aber kaum mehr spürbar. Letztlich wirkt dieser achte Beitrag nur wie geglättetes Horror-Kino ohne Charisma. Er soll wohl das Franchise am Leben halten, bleibt aber doch nur ein toter Film.
                              Von 5 Schweinen gefressen werden.

                              16
                              • 7

                                Der Baum, der Sterbebegleiter.
                                Nach Trauerphasen strukturierte Fabel, die sich mit symbolischen Fantasy-Motiven mit dem Tod auseinandersetzt, ihn als einen notwendigen und natürlichen Teil des Lebens vermittelt. Einfühlsam richtet sich der Blick auf einen 10 Jährigen, auf seine Hilflosigkeit und Wut vor der Endgültigkeit des Sterbens. Die mit düsteren Manifestationen von Monstern und Animationssequenzen verbildlichten Ängste erinnern in ihren besten Momenten an "Pans Labyrinth" und erwachsener Kinderkost eines Spielbergs. Das ist ebenso faszinierend wie herzzerreißend, weil hier die Kraft von Geschichten Verdrängungen offenbaren, eine reinigende Wirkung haben und so Akzeptanz und Bewältigung ermöglichen. Allerdings überreizt J.A. Bayona zunehmend seinen Predigt-haften Ton. Immer wieder müssen die eh schon überdeutlichen Visualisierungen nochmal verbal erklärt werden, bis auch der letzte Zuschauer in der letzten Reihe die Tragweite des Verlustes versteht, fühlt und anfängt zu heulen. Nicht ohne Raffinesse verbinden sich dunkle Märchen-Motive mit harter Realität. Die Tragik, das Mitgefühl wird körperlich spürbar, das Schluchzen ist befreiend.
                                In 7 Taschentücher geschnäuzt.

                                24
                                • 6 .5
                                  lieber_tee 31.12.2017, 11:05 Geändert 31.12.2017, 11:54
                                  über Coco

                                  Wenn Skelette singen…
                                  Die Idee in einem Kinder- bzw. Familien-Film das Publikum farbenfroh mit der eigenen Sterblichkeit zu konfrontieren ist gewagt. „Coco“ feiert eine lebendige Party im Land der Toten, wo der Tod etwas Tröstliches hat, wo die Magie der Fantasie in bunten Tieren und klappernden Gerippen lebt. Die Mexikanischen Traditionen und religiösen Bildern werden nicht ausgebeutet, sondern respektvoll geehrt. „Coco“ hat eine faszinierende Welt, die aber in einem Missverhältnis zu den wenig kreativen Charakteren und der eher standardisiert erzählten Geschichte steht. Mit einer ordentlichen Packung warmherziger Süße übergossen, ist Pixar (wieder einmal) Kitsch-Disney näher als sich selbst, bzw. wirkt an allen Kanten sauber und korrekt abgeschliffen. Zuverlässig im Abgreifen der Emotionen, tadellos in seinem Handwerk und phantastisch in seinen Bildern, werden, trotz morbider Thematik, keine Experimente gewagt. Traditionell-konservativer Respekt vor der Familie, Glaube an sich selbst, Freundschaft, all das ist bekannt und typisch disneyfizierte Allgemeinkost. Die Respektlosigkeit der ehemals starken Pixar-Filme, mit ihrer emotionalen Dringlichkeit, sucht man hier vergebens. Verspielte Bezüge zur Popkultur und schniefendes Schluchzen gibt es stattdessen.
                                  6.5 Ururgroßväter.

                                  19
                                  • 6
                                    lieber_tee 30.12.2017, 23:14 Geändert 31.12.2017, 03:28

                                    Gehirnlutschen.
                                    Eigentlich ein Sequel das man nicht braucht, nach dem auch niemand wirklich verlangt hat. Bereits das Original mag kaum jemand, obwohl es ein kleines, feines B-Movie ist. Geballte Ablehnung und Beleidigungen füllen endlos viele Texte zu dem Streifen. Da hat sich wohl der Produzent und Autor des ersten Teils gedacht, jetzt mache ich einen Alien-Angriff nach vorne, inszeniere die Fortsetzung selbst und betone die Unsinnigkeit dieser Idee. Aus der Low-Budget-Interpretation von War of the Worlds in L.A wird eine 20 Mio teure Rüpel-Version, die das Konzept des ersten Teils weiter spinnt, als absoluten Drehbuch-Irrsinn. Auf sinnstiftendes Kino für den Verleih-Markt wird verzichtet, auf "Filmkunst" ebenso. Hier werden aktuelle SF-Ideen einfach dem Zuschauer ins Gesicht gespuckt. Von urbanen Cop-Krimi in L.A., über U-Bahn-Katstrophen-Film, über Entführungen in Alien-Mutterschiffen, bis hin zu indonesischer Kampfkunst vs. riesigen Transformers-Monstern vor der Kulisse hinduistischer Tempelanlagen. Ständig eskaliert der Film, ufert in seinen Genre-Motiven aus, ohne Sinn und Verstand. Das klingt bizarr, ist es auch. Weder in seiner Originalität noch in seiner Subtilität überzeugt dieses wirre Konzept, allerdings ist es in seinem kecken Genre-Hopping durchaus einzigartig und kann ein generisches B-Movie-Grinsen ins Gesicht zaubern, weil das Tempo stimmt. Die Liebe zu Unsinn ist spürbar, die visuellen Effekte großartig. Der Film ist ein schönes Beispiel für moderner Hollywood-Trash, der weiß dass er Müll ist, aber darüber lacht.
                                    6 hypnotisierende, blaue Lichter.

                                    15
                                    • 1
                                      • 5
                                        lieber_tee 23.12.2017, 02:11 Geändert 31.12.2017, 03:30
                                        über Bright

                                        Alien Nation-Trash.
                                        Die mit 90 Millionen USD Budget hochgepumpte Netflix-Produktion, mit ihrer angeblich ach so großen künstlerischen Freiheit für den Filmemacher werbend, macht letztlich nur da weiter wo das aktuelle Blockbuster-Kino seit Jahren vor sich in dümpelt.
                                        Vielleicht hätte man die Kohle nicht einem so begrenzt begabten Regisseur wie David Ayer geben dürfen. Der beherrscht zwar, ohne Frage, sein knarziges Action-Handwerk fabelhaft, besonders in Verbindung mit Bad-Ass-Cop-Filmen, aber als sozialer Kommentar, als eine Allegorie über Toleranz, Vielfalt und Rassismus, taugt der Film kaum. Teilweise bestätigt er in seiner hispanisch-geprägten Gang-Darstellung sogar eher ethnische Vorurteile.
                                        Die unzulängliche Erforschung der comichaften Fantasie-Mythologie verschwurbelt sich in kruden Jesus-Pathos und entgleist durch ständig zusammengewürfelte Fantasy-Motive aus der Mottenkiste. Über die furchtbar machoiden Frauenbilder sollte eh der Mantel des Fremdschämens geworfen werden, was aber bei dem Regisseur nicht Neues ist.
                                        Immerhin gibt es vereinzelnde Sequenzen, die den kruden Charme von rüden B-Pictures verströmen, unzusammenhängend verteilt. Leider nimmt sich der Film, trotz humoristischer Einlagen, viel zu ernst. Selbst der eher lustlos wirkende Will Smith hat schon mal selbstironischer agiert. Allerdings findet das Buddy-Movie-Motiv des Films mit Joel Edgerton als menschlicher Ork einen überzeugend agierenden Partner.
                                        Ähnlich halbgar wie Suicide Squad, aber zumindest in seinem Unsinn halbwegs annehmbar. Kann man schauen, muss man nicht.
                                        5 Pogo-tanzende Orks.

                                        18
                                        • 6

                                          Für das Wohl der Gemeinschaft. Impfgegner - Der Film.
                                          Die Prämisse, dass in einem dystopischen Industrie-Staat per Zufall (?) ausgewählte Kinder unwissentlich Nano-Kapseln geimpft bekommen um im jungen Erwachsenenalter daran zu sterben, ist perfide. Dieses öffentlich bekannte Programm hat allerdings den gewünschten Effekt. Die Wirtschaft ist stabilisiert, die Kriminalität zurückgegangen, Selbstmorde gibt es kaum noch. Mit den notwendigen Menschenopfern hat sich die Gesellschaft abgefunden und den Wert des eigenen Lebens zu einer staatsbürgerlichen, produktiven Verantwortung gemacht. Beamte informieren die Todgeweihten vierundzwanzig Stunden vor ihrem Ende, damit sie noch ihre Angelegenheiten in Ordnung bringen können.
                                          „Ikigami“ ist allerdings nicht die Geschichte eines Aufbegehrens gegen diese Ermordung durch den Staat, sondern folgt an Hand von drei Fällen einem Beamten, seinen Zweifeln und seiner Läuterung. Das erzählt Regisseur Takimoto Tomoyuki als ergreifende Geschichten über Menschen, die versuchen in ihrer letzten Stunden sich zutiefst humanistisch zu verhalten. Nicht die angeblich zivilisierte Gesellschaft mit ihren barbarischen Regeln ist zivilisiert, sondern der einzelne Mensch Angesichts des Todes. Die guten Taten entstehen aus ihrer Opferbereitschaft. Dabei rechtfertigt der Film nicht die Unmenschlichkeit des Todes-Systems, macht stattdessen zwingend deutlich, dass der individuelle Wert eines Lebens das höchste Gut ist.
                                          So löblich der emotional aufgeladen Film in seiner Denkweise auch ist, mit über zwei Stunden und einen riesigen Topf an überbetonenden Gefühlskitsch schießt er manche Male über sein löbliches Ziel hinaus.
                                          6 Gedankenverbrechen.

                                          11
                                          • 7
                                            über Thelma

                                            Carrie trifft auf Bergman.
                                            Joachim Triers telekinetisches Lesben-Drama verbindet als geduldige Meditation Coming-of-Age, (sexuelle) Selbstfindung, diktatorischer Glaube, erdrückende Kontrolle des Elternhauses, unverarbeitete Kindheitstraumata, Schuld und jugendliche Adoleszenz allegorisch mit paranormalen Elementen, die offensichtlich Ausdruck verdrängter Begierden sind. Die formelhafte Thriller-Oberfläche wird für die Innenansichten der Protagonistin benutzt. Elegant, langsam, mit intensiven Bildern und einer fantastisch spielenden Hauptdarstellerin (Eili Harboe) wird mehrdeutig die Grenze zwischen Psychologie und Mystik ausgelotet, ohne das ein Erklärbär die schauerliche Romantik nach der Sehnsucht nach Liebe zerstört. Bewusst gibt es mehr Fragen als Antworten. „Thelma“ erzeugt ein gedämpftes, frostiges Unbehagen in seiner Undurchdringlichkeit. Hier geht der Horror tiefer, bis in die repressiven Familienstrukturen.
                                            7 Fische unter der vereisten Oberfläche.

                                            28
                                            • 4
                                              lieber_tee 20.12.2017, 00:30 Geändert 20.12.2017, 00:32
                                              über The Cut

                                              "Katharsis durch Rührung“
                                              Fatih Akins finaler Abschluss seiner "Liebe, Tod und Teufel"-Trilogie ist eine "Herzensangelegenheit" des Regisseurs. Mit großen Aufwand erzählt er ein 138 Minütiges, episches Breitwand-Melodram im Stil von David Lean und Martin Scorsese, gibt der herzzerreißende Odyssee eines stummen Märtyrers die Sprache des armenischen Volkes. Der Genozid soll endlich die Aufmerksamkeit bekommt den er verdient hat, ohne das Muslime oder Christen stigmatisiert werden. Zumindest scheint das die Absicht von Akin zu sein.
                                              Ich habe leider einen gescheiterten und überambitionierten Film gesehen. Bei der Suche irgendwie großes amerikanisches Erzählkino auf TV-Event-Niveau zu bringen, verliert sich das Magnum Opus in Plumpheit und wirkt lehrbuchartig. So brisant die menschlichen Themen des Films auch sind, die dazugehörige politische Brisanz, die Zusammenhänge, thematisiert er kaum. Will Akin wohl auch nicht (warum auch immer). Das von Mardik Martin ("Raging Bull", "Mean Streets") verfasste Skript soll pathetisch sein, nach großen Gesten schreien. Die sind teilweise durchaus vorhanden (besonders wenn es um den Völkermord geht, oder die Hinterhof-Kino-Szene in Aleppo), werden aber seltsam schematisch aneinander geklatscht. Mit den Figuren wurde ich nie wirklich warm, den historischen Kontext konnte ich nie erfassen und das Leiden eines Volkes (exemplarisch bei einer Person) fühlte ich nicht, auch weil der eigentlich begabte Tahar Rahim überraschend auf Laiendarsteller-Niveau agierte. Individuelle Trauer und Traumata stehen ständig im Raum. Die Kamera erschafft aber stattdessen distanzierte, lange Einstellungen (ich weiß, das soll das Gefühl der Verlorenheit darstellen), oder Akin nutzt unpassende Mittel des Westerns und Horrorfilms.
                                              Am Ende soll der Zuschauer befreiend berührt werden. Ich war blockiert und verärgert über die vertane Chance dem armenischen Völkermord ein achtbares Mahnmal zu geben.
                                              4 zunehmend zerrissene Halstücher.

                                              13
                                              • 7
                                                lieber_tee 19.12.2017, 00:50 Geändert 28.08.2018, 12:05

                                                SPOILER!
                                                Die Vergänglichkeit der unschuldigen Jugend.
                                                „Super Dark Times“ ist ein Coming-of-Age-Albtraum, der unvermittelt in einen Serienmörder-Thriller umkippt. Der schockierende Ausbruch von Sex und Gewalt soll organisch mit den Schrecken des Erwachsenwerdens verbunden sein, aber die Verwandlung eines Teenagers in einen Massenmörder passt nicht so recht zu den glaubwürdig dargestellten Erfahrungen von ständig überkompensierenden Jungen. Der offensichtlich talentierte Debüt-Regisseur Kevin Phillips erschafft in sauber durchkomponierter 90er Jahre Indie-Optik und mit authentisch spielenden Darstellern ein geschmeidiges Porträt von Pubertät in der Vorstadt. Sein Bruch von der sorglosen zur traumatisierenden Kindheit ist verstörend, wirkt aber psychologisch etwas zu gewollt. Allerdings wie hier Adoleszenz in die Dunkelheit bedrohter Männlichkeit abdriftet, hat unvergessliche und intensive (Horror-) Momente.
                                                7 Samurai-Schwerter als Phallussymbole.

                                                15
                                                • 5
                                                  lieber_tee 17.12.2017, 13:46 Geändert 18.12.2017, 02:25

                                                  „Die ficken sich alle gegenseitig in den Arsch“
                                                  Fatih Akin möchte, inspiriert von den fremdenfeindlichen NSU-Morden, den Schmerz der Hinterbliebenen fühlbar machen. Weniger als „politischer“ Film, sondern als fiktionalisierte, emotionale Studie über das Leiden der Opfer. Aus Schock wird Ohnmacht wird Wut wird Gegengewalt. Er klagt den un-empathischen, rassistischen, nicht nach Gerechtigkeit suchenden Rechtsstaat an und lässt eine weiße, blonde, blauäugige deutsche Frau zornig werden. Diane Krugers Power-Performance schreit nach einer finalen Katharsis.
                                                  Soweit, so gut, so verständlich.
                                                  "Der Film sollte sein wie ein Faustschlag von Bruce Lee: immer den kürzesten Weg zum Ziel nehmen“ sagt der Regisseur. Aber Fatih Akin hat sein Feuer verloren, das lichterloh in seinen explosiven und explorativen Werken wie „Kurz und schmerzlos“ und „Gegen die Wand“ brannte.
                                                  Ich fühlte mich zeitweise wie in einem drögen Fernsehfilm von den Öffentlich-rechtlichen. Mit Schuss-und-Gegenschuss soll Tragik spürbar gemacht werden, mühevoll und didaktisch werden Gefühle vermittelt. Dramaturgisch im Dreiakter verordnet, sucht Akin vergeblich ein Gleichgewicht zwischen emotionaler Tragödie, nüchternen Gerichtsfilm und reißerischer Rachephantasie. Ich habe ihn den Freispruch der Nazis nicht abgenommen, fand die scheinbare Notwendigkeit der Darstellung des „vorbildlich resozialisierten“ Türken und lächerlich-steifen TV-Kommissars wenig gelungen und einen theatralischen Selbstmordversuch, der im richtigen Moment (!) gestoppt wird, unangemessen.
                                                  Am meisten verärgert hat mich allerdings der mit einer Texttafel am Ende erzeugte Bezug zu den NSU-Morden. Fokussierte sich Fakin vorher scheinbar bewusst entpolitisiert auf das Grauen für die Opfer eines Bombenattentats, mit marginalen Bezug zu Neonazis („die glauben an Hitler“), will er ernsthaft einen gesellschaftlichen Zusammenhang herstellen. Denn die NSU-Morde können nicht nur zu einem Einzelfall degradiert werden, zu einer Frage zwischen Gut und Böse, sie sind der Inbegriff für staatlichen (und gesellschaftlichen) Rassismus. Das Thema der Mitgliedschaft von Neonazi-V-Leuten wird gar nicht angesprochen, das ist erschreckend-dumm, auch wenn Fakin hier die Opfer in den Mittelpunkt stellen möchte.
                                                  Und so beutet Akin krass und mainstreamtauglich eine unfassbare politische Brisanz für ein zurecht-konstruiertes Drama aus, das persönlich, trauernd, staatskritisch, kulturell sein will, aber für mich zu vereinfachend und träge daherkommt. Der starke emotionale Eindruck entstand bei mir nur in wenigen Momenten, wäre ohne die glaubwürdig gebrochen wirkende Diane Kruger kaum vorhanden. Denn mittelmäßige Rachedramen, die exakt diese Geschichte x-mal erzählt haben, kenne ich zu genüge.
                                                  5 Vögel auf dem Wohnmobil.

                                                  24
                                                  • 5
                                                    lieber_tee 16.12.2017, 16:38 Geändert 16.12.2017, 16:44

                                                    Ekel-Körper-Horror.
                                                    Das Original ist eine grimmige Studie über das Stigma von Bisexualität als körperlicher und gesellschaftlicher Verfall. Die Fortsetzung setzt genau da ein wo der erste Film aufhört und macht aus der sexuell übertragbaren Virus-Parabel einen verzweifelten Zombiefilm, der inhaltlich dem Genre nicht Neues zufügen kann. Das Besondere des Originals geht verloren, eine verstörende Charakterstudie sucht man hier vergebens. Aus dem ursprünglichen Wirt der Krankheit wird ein Art Terrorist, bzw. Serienmörder der, warum auch immer, die Welt bestrafe möchte. Unter dem Motto "Je mehr rausspritzt, desto geiler!" gibt es keinen Halt mehr, effektive Make-up-Effekte erzeugen dermatologische Deformationen, Würmer krabbeln als phobische Metaphern für Geschlechtskrankheiten in die Protagonisten, es wird gekotzt und verfault, in der Hoffnung auf zukünftige Fortsetzungen…
                                                    Bon Appétit für Pickelfetischisten.
                                                    5 Augenhöhlen auspulen.

                                                    13