Patrick Reinbott - Kommentare
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Alle Kommentare von Patrick Reinbott
[...] Nach dem furiosen Auftakt dauert es jedoch erstmal eine Weile, bis Stahelski seinen zweiten Teil in jenen spektakulär choreographierten Rausch der Schüsse, Stiche, Schläge und Tritte einbettet, der „John Wick“ vor gut drei Jahren zum Siegeszug an den Kinokassen führte und die Herzen von Actionfans auf nachvollziehbare Weise höher schlagen ließ. Im Vergleich zu Teil 1, in dem Wick aufgrund eines persönlich motivierten Rachefeldzugs durch die überwiegend gesichtslosen Gegnerhorden wütete, widmet sich Drehbuchautor Derek Kolstad im Nachfolger ausführlicher den Mechanismen und Hintergründen der geheimnisvollen Auftragskiller-Organisation, welcher der Protagonist entstammt. Die Räumlichkeiten der Continental-Hotels, in denen sich ausschließlich Profikiller aufhalten, die sich zudem einem genauen Regelkodex unterwerfen müssen, nutzen Stahelski und Kolstad schließlich dazu, die dezent trockenhumorigen Elemente des Vorgängers in Regionen zu treiben, in denen die Absurdität des selbst auferlegten Regelwerks zu Momenten reinster Selbstironie führt. Diese schmale Gratwanderung zwischen bitterem Ernst und augenzwinkernder Verspieltheit ist es dann auch, die Wick in ein chaotisches Geflecht aus Bringschuld, Selbstverpflichtung und Vertrauensschwüren verwickelt, aus dem er sich erneut nur durch die Flucht nach vorne und den erbarmungslosen Frontalangriff befreien kann. Das dramaturgisch eher schlichte Handlungsprinzip, in dem Wick als stoisch-grimmiger Todesengel diesmal praktisch unzerstörbar ist, löst der Regisseur spätestens ab der zweiten Hälfte in einen beinahe pausenlosen Reigen von Action-Sequenzen auf. Dabei bewahrt Stahelski im waghalsigen Dauerinferno der blutigen Kopfschüsse, fokussierten Martial-Arts-Manöver und atemlosen Verfolgungsjagden zu Fuß oder in Fahrzeugen jederzeit den vollen Überblick und sichert sich mit einer unwiderstehlichen Mischung aus druckvoller Brutalität, geradezu eleganten Bewegungsabläufen und audiovisueller Verlockung die derzeitige Krone im amerikanischen Genre-Sektor. Durch den stärkeren Fokus auf die internen Regeln und Abläufe innerhalb der Auftragskiller-Organisation erhält „John Wick: Kapitel 2“ zudem den Eindruck eines Blicks hinter die Kulissen einer faszinierenden Parallelwelt, in der sich geheimnisvolle, tödliche Aktionen unter der Oberfläche, in unterirdischen Tunnelsystemen, verborgenen Hintereingängen und direkt vor den eigenen Augen, aber hinter dem Offensichtlichen ereignen. In der brillanten finalen Auseinandersetzung scheint der Film schließlich vollständig jeglicher Grenzen enthoben, wenn sämtliche Parteien in einem surreal ausgeleuchteten Spiegelkabinett aufeinanderprallen, in dem die sinnliche Logik über die rationale Logik dominiert. [...]
Schon mit den Anfangsminuten, in denen ein Psychiater die Gedanken von Charles Swan III. durchleuchtet, welche prompt als schrille Pop-Art-Elemente aus dem Kopf des exzentrischen Grafikdesigners ploppen und sich zu großen Teilen nur um Sex, Geld und Macht drehen, sind die Parallelen zwischen Schauspieler und Filmfigur praktisch untrennbar. Roman Coppolas Werk über die Midlife-Crisis eines eigenwilligen Künstlerkopfs lässt sich ebenso als Meta-Meditation über den exzessiven Lebensstil von Charlie Sheen auffassen, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Films durch bizarre Äußerungen in öffentlichen Interviews und private Eskapaden als skandalöse Persönlichkeit verschrien war.
Die Lebenskrise des Protagonisten, der eine zerbrochene Liebesbeziehung, finanzielle Schwierigkeiten und eine zunehmende Entfremdung zu seiner eigenen Familie verkraften muss, inszeniert Coppola zunächst als halluzinatorischen Art-Design-Ritt zwischen Realität und Fantasie. Dabei werden die Augen des Betrachters durch das extravagante 70s-Dekor mit seiner ganzen Detailverliebtheit ebenso entzückt wie durch episodenhaft zerstreute Nummernrevuen, in denen Charlie seine verflossenen Liebschaften auf dem Friedhof in einen Tango verwickelt oder mit Jason Schwartzman und Bill Murray im wilden Westen vor halbnackten Indianerinnen fliehen muss.
Der Strudel aus fiebertraumähnlicher Verschrobenheit und farbenfroher Ausstattungsorgie im Stil eines kindlich verspielten Wes Anderson, mit dem Coppola zuvor als Co-Autor an „The Darjeeling Limited“ und „Moonrise Kingdom“ zusammenarbeitete, verebbt allerdings frühzeitig in einen oberflächlich nichtssagenden Versuch einer dramatischen Charakterstudie, die ziellos im absoluten Niemandsland der Belanglosigkeiten versickert.
Mit der Unterstützung von Sheen, der sich als schlaffe Variation seines Charlie Harper aus „Two and a Half Men“ durch die völlig unzusammenhängend aneinander gekitteten Einzelszenen schlafwandelt, wird nie ersichtlich, ob „A Glimpse Inside the Mind of Charles Swan III“ als Selbstparodie des Schauspielers oder als ernstgemeinter Verständnisversuch angelegt wurde, an dessen Ende eine peinlich aus der Luft gegriffene Läuterung stehen soll, durch die sich sämtliche Probleme in seichtes Wohlgefallen auflösen.
Im Vergleich zu seiner Schwester Sofia, die in Filmen wie „The Virgin Suicides“, „Lost in Translation“ oder „Somewhere“ große Themen wie drastische Unverstandenheit während der Adoleszenz, tiefe Einsamkeit in der riesigen Masse oder qualvolle Leere zwischen opulentem Luxus mit erzählerischem Taktgefühl und ästhetischer Versiertheit behandelte, verliert sich der ältere Spross von Francis Ford Coppola in seiner erst zweiten eigenen Arbeit als Regisseur und Drehbuchautor zwischen reizvoller Oberflächlichkeit, müden Pointen, die zwischen grotesk wirkender Improvisation und reinen Outtakes schwanken, sowie einem Hauptdarsteller, der nicht nur vom Regisseur, sondern mittlerweile auch von sich selbst kaum noch verstanden wird.
[...] Auch wenn sich der Zugang zu den Figuren in Rozemas Werk zunächst sperrig gestaltet, da die Regisseurin tiefergehende Details über ihr zukunftsnahes Setting recht vage hält, entwickelt sich Into the Forest mit fortschreitender Laufzeit zu einem regelrecht mitreißenden Charakterstück, in dem die Dynamik zwischen den zwei Schwestern und ihre daran geknüpften Gefühle auf ebenso sensibel inszenierte wie behutsam entblätterte Art in den Mittelpunkt gerückt werden. [...] Bei der Wahl ihrer inszenatorischen Stilmittel orientiert sich die Regisseurin dabei stark an der mittlerweile fest etablierten Optik von Coming-of-Age- und Young-Adult-Filmen der jüngeren Filmgeschichte. Den konzentrierten Fokus auf die heranwachsenden Figuren erweitert Rozema jedoch um unkonventionellere Methoden des Arthouse-Kinos. Miteinander kombiniert ergibt dieser Ansatz ein Werk, in dem die ausdrucksstarken Blicke der beiden Hauptfiguren, die von der Kamera mitunter gefühlt in Zeitlupentempo eingefangen werden, markante Stimmungsbilder erzeugen, die ein unbehagliches, beklemmendes Gefühl von Einsamkeit, Verzweiflung und Ratlosigkeit erzeugen, ohne jemals explizit das Gesamtbild der gerade stattfindenden Katastrophe offenzulegen. Bei ihrem subtilen Ansatz des Geschichtenerzählens folgt die Regisseurin stattdessen der Devise, dass die größte Apokalypse trotz des verheerenden Ausmaßes immer noch in uns selbst stattfindet. [...] In den besten Szenen mutiert Into the Forest so zu einem introvertierten Kammerspiel, in dem der Umgang mit dem Tod eines nahen Angehörigen und die bevorstehende, mit vielen Fragen verbundende Entstehung eines neuen Lebens einen in sich abgeriegelten, atmosphärisch hypnotischen Mikrokosmos entstehen lässt, an dem das sich ankündigende Unheil von außen auf fast schon magische Art abzuprallen scheint und nur der übermächtige Bund zwischen Schwester und Schwester aufleuchtet.
Im ersten Spielfilm eine Figur zu kreieren, die der Zuschauer garantiert nicht mehr so schnell vergessen wird, ist eine Leistung, die nur die wenigsten Filmschaffenden erbringen. Mit ihrem Abschlusswerk von der Hochschule für Fernsehen und Film ist Maren Ade jedoch genau das gelungen.
In „Der Wald vor lauter Bäumen“ zieht Melanie nach dem Referendariat in die große Stadt, wo sie an einer Realschule ihre erste Stelle als Lehrerin antreten soll. Früh muss die 27-jährige, aus der schwäbischen Provinz stammende Frau jedoch auf schmerzhafte Weise erfahren, wie es sich anfühlt, in ein soziales Gefüge zu schlittern, von dem man geradezu zerfleischt wird. Schon in den ersten Szenen ihres Films bringt Ade das sensible, verschlossene sowie unbeholfen wirkende Wesen ihrer Hauptfigur zum Vorschein. Ein Kakao-Päckchen, das Melanie von einem ihrer pubertierenden, eigensinnigen Schüler gegen den Rücken geworfen bekommt, führt schließlich zu dem Punkt, an welchem die Lehrerin für einen kurzen Moment emotional völlig schutzlos vor der Klasse steht, in deren Augen sie von nun an als schwache, nicht ernstzunehmende Person gebrandmarkt ist.
„Der Wald vor lauter Bäumen“ gibt sich frühzeitig als kompromissloser Albtraum jedes Pädagogen zu erkennen. Menschen wie Melanie wird man als Zuschauer genauso wiedererkennen oder schon einmal im eigenen Leben getroffen haben wie die Schüler der Klasse, die jede geringste Schwäche der Lehrkraft sofort erkennen und ausnutzen. Die Regisseurin geht in ihrem Debüt allerdings noch ein paar Schritte weiter, indem sie die Hauptfigur keineswegs in die einseitige Position des hilflosen Opfers rückt. Melanie entpuppt sich viel mehr als komplexe Persönlichkeit, die in ihrer kaum zu unterdrückenden Einsamkeit und Frustration so manche Toleranzgrenze auf rapide Weise überschreitet.
Ihr verzweifeltes Bemühen, eine Freundschaft zu Nachbarin Tina aufzubauen, gestaltet Ade als peinlich berührende Abfolge herber Fremdschäm-Momente. Meist sind es nur Worte oder ein Satz, der zu viel gesprochen wird oder einige kurze Blicke, die Melanie besser nicht in die jeweilige Richtung geworfen hätte, und schon beschwört die Regisseurin jene Momente des unbehaglichen Schweigens, in denen sich Sekunden wie Minuten anfühlen und man am liebsten so schnell wie möglich an einen anderen Ort verschwinden will.
Eva Löbau gelingt es dabei, Melanie auf eine grandiose Art zu verkörpern, durch die man als Zuschauer zu gleichen Teilen Verachtung und Mitleid für die junge Frau empfindet. Die Interaktion mit ihrem Umfeld erweist sich diesbezüglich als Schlüsselfaktor des Werks, wobei Ade mit reichlich trockenem Humor auf die grotesken Fettnäpfchen blickt, in die ihre Hauptfigur in unschöner Regelmäßigkeit stolpert, während Melanie immer stärker als lediglich instabiles Rädchen in einer unbarmherzigen Gesellschaft erscheint, die sich mit Scheuklappen vor den Augen auf das schwächste Glied in der Kette stürzt.
Geradezu wundervoll und dabei dezent surreal ist der Schlusspunkt des Films. Wenn man als Fahrer hinter dem Steuer des eigenen Lebens nur noch auf eine Wand zufährt, kann es ungemein befreiend sein, einfach mal loszulassen, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen und sich treiben zu lassen. Auch auf die Gefahr hin, doch noch mit voller Wucht gegen die Wand zu krachen.
[...] Die realen Hintergründe, bei denen die Frau insgesamt sieben Männer erschoss, woraufhin sie für sechs der Morde angeklagt und im Jahr 2002 schließlich hingerichtet wurde, sind der ideale Stoff für einen finsteren Psychothriller. Tatsächlich lotet Jenkins die Psyche ihrer Hauptfigur in einigen Szenen auf beängstigende Weise aus, wofür mitunter lediglich der qualvoll stechende Blick aus den Augen von Theron genügt, um beängstigende Abgründe offenzulegen, durch die der Titel des Films immer wieder auf unangenehme Weise in physischer Form heraufbeschworen wird. Gerade in den einfühlsamen Zwischentönen des Films offenbaren sich aber erst die wahren Qualitäten, durch die sich Monster eher zu einem Liebesdrama entwickelt, in dessen Kern sich zwei Menschen befinden, die an den Bedingungen und Eingriffen ihres gesellschaftlichen Umfelds zerbrechen oder längst gebrochen wurden. Nachdem Aileen zu Beginn in einer Schwulenbar auf Selby trifft, scheint das alte Sprichwort von den sich anziehenden Gegensätzen unmittelbar zu greifen. Die ruppige, fluchende und körperlich nicht sonderlich gepflegt wirkende Frau findet in dem naiven, verschüchterten Mädchen, das die typische Unschuld vom Land darstellt, einen Menschen, der sich nicht nur sofort für sie interessiert, sondern mit aller Kraft in das Innenleben von Aileen vordringen will. Das ungewöhnliche Liebesverhältnis, in dem die psychopathisch-traumatisierte Prostituierte mit dem von der eigenen Familie verstoßenen Küken durchbrennen will, formt die Regisseurin nach und nach zu einer bewegenden Spirale ins Verderben, in der mörderische Tendenzen weniger Raum erhalten als intensive, aufrichtige Gefühlsausbrüche. Auch wenn es vielen Zuschauern trotz der beeindruckenden Leistung von Theron weiterhin schwerfallen dürfte, ansatzweise Sympathien für diese Figur zu entwickeln, lassen sich zumindest Funken von Empathie kaum vermeiden. Gerade in den unschuldig verträumten Voice-over-Einschüben sind beide Frauen von der Art her kaum noch zu unterscheiden. Im Schicksal von Aileen Wuornos bündelt Jenkins provokative Abscheu genauso wie ergreifende Tragik, denn am Ende bleibt die Frage offen, wer denn nun das Monster war, für das im Laufe des Films zahlreiche potentielle Kandidaten in Frage kommen. [...]
Benedek Fliegaufs „Dealer“ ist ein Film, der weniger gesehen werden kann und viel mehr danach verlangt, ausgehalten und erlebt zu werden. Wie Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“, Andrei Tarkowskis „Stalker“, Andrzej Zulawskis „Possession“, David Lynchs „Inland Empire“, Gaspar Noés „Enter the Void“, Jonathan Glazers „Under the Skin“ oder Aleksey Germans „Trydno byt gogom“ verschreibt sich der ungarische Regisseur einer streng subjektivierten Vision, mit der er das Medium förmlich transzendiert und in spirituelle Ebenen befördert.
Die Welt von „Dealer“ ist zugleich die Welt des Dealers. Als Zuschauer folgt man ihm bei seinen Botengängen, die auf dem Fahrrad durch eine verlassene, wie ausgestorben wirkende Landschaft führen, welche sich unmöglich genauer verorten lässt. Der Kundenstamm des Dealers erweist sich hierbei als vielfältig und reicht vom Sektenguru, der Kokain benötigt, damit sich sein verstopfter Darmtrakt entleeren und dadurch der grotesk aufgeblähte Bauch wieder verschwinden kann, über einen ehemaligen Fixer-Kumpel, der aufgrund von Schlaftabletten im Solarium eingeschlafen ist, verheerende Verbrennungen erlitten hat und nun nach dem „Goldenen Schuss“ durch Heroin verlangt, bis hin zu zwei Studentinnen, die sich Pilze gekauft haben, wobei eine von beiden auf einem bösartigen Trip hängengeblieben ist.
Die Struktur von Fliegaufs Film unterliegt einem episodischen Schema, wobei insgesamt ein ganzer Tag aus dem Leben der Hauptfigur abgebildet wird. Bereits die ersten Buchstaben des Vorspanns, der sich in ungewohnt langsamer Art über den Bildschirm erstreckt, verdeutlichen allerdings, dass die einzelnen Begegnungen zwischen dem Dealer und seinen Kunden sowie die zwischendurch eingeschobenen Momente mit dessen Freundin einem stilistischen Rhythmus unterliegen, der sich in seiner derart radikalen Form mit kaum einem anderen Film vergleichen lässt.
„Dealer“ versetzt den Betrachter in einen Zustand der Stasis, durch die er jede der weitestgehend identisch komponierten Einstellungen wie in Trance verfolgen darf. Die Kamera kreist mit nahezu unendlicher Ruhe um die einzelnen Figuren und Räume, während der Ton abgedämpft und wie aus einer surrealen Zwischenwelt dröhnt, in der die Monotonie der gesprochenen Worte und eine repetitive Klangsphäre zur Umgarnung der Sinne und schließlich absoluten Hypnose des Unterbewusstseins ansetzen.
Jeder Moment in dieser tristen, zu Eis erstarrten Welt wird von einem dumpfen Gefühl begleitet, ein Dauerzustand zwischen berauschtem Stillstand und depressiver Resignation stellt sich ein, doch Fliegauf gelingt das Unfassbare, mit dem jede Szene von einem verstörenden Realismus geprägt ist, den der Regisseur durch erstaunlich sperrige und doch virtuose Konsequenz parallel ins Irreale verfremdet.
In „Dealer“ darf die eigene Seele auf Wanderschaft gehen, durch ein Labyrinth, in dem das Leben in ausweglose Sackgassen zerfallen ist, wo die aktive Teilnahme einem passiven Verfolgen weicht, Wahrheit und Lüge jeglicher Bedeutung beraubt wurden und am Ende nichts mehr übrig bleibt als einfach zu entschwinden, wortlos ins nächste Nichts zu gleiten. Mit Glück schon bald, wenn nicht, schon früher.
In Anbetracht der ruhigen Schönheit, welche den gesamten See umgibt, der für Hee-jin als Wohnort und Arbeitsplatz zugleich dient, wirkt die schöne, schweigende Frau meist selbst wie Treibgut, das unauffällig mit dem meditativen, sanft dahintreibenden Rhythmus der Wellenbewegungen verschmelzt.
Aus den vereinzelt auf dem Wasser zu erblickenden Hausbooten ergibt sich früh das Bild eines schwimmenden Bordells. Hee-jin versorgt die angereisten Angler nicht nur mit Getränken und Ködern, sondern stellt ihnen gegen Bezahlung den eigenen Körper zur Verfügung, den die ungezügelten, überwiegend betrunkenen Männer für ihre Gelüste missbrauchen dürfen. Der beeindruckenden Landschaft, aus der unweigerlich unzählige Regungen und Empfindungen hervor strömen, stellt Kim Ki-duk in „Seom“ den Zustand zwischenmenschlicher Lähmung entgegen. Gefühle scheinen auf der Oberfläche dieses Sees schon lange nicht mehr zu existieren, abgestumpft und voller innerer Leere geben sich die Männer ihren Trieben hin, während Frauen wie betäubt als bloße Objekte fungieren.
Erst mit der Ankunft von Hyun-shik findet Hee-jin langsam zu ihren Gefühlen zurück, auch wenn diese wiedererlangte Fähigkeit, etwas spüren zu können, aus einer destruktiven Beziehung entsteht, in der sich ausschließlich durch Gewalt eine gemeinsame Sprache finden lässt. Die aufkeimende Beziehung zwischen der seelisch stark geschädigten Frau und dem Polizisten, der sich wegen Mordes auf der Flucht befindet und dem eigenen Leben bei passender Gelegenheit ein Ende setzen will, verschlüsselt der Regisseur in einer betörend schönen Symphonie aus Sadismus und Masochismus, wobei die Grenze zwischen beiden Extremen zunehmend ins Unklare verschwimmt.
In einer Szene des Films zieht einer der Angler einen Fisch aus dem See, aus dem er für sich und seine Begleitung ein paar Stücke schneidet, woraufhin der halb filetierte, noch lebende Fisch wieder ins Wasser entlassen wird, um im späteren Verlauf des Films noch einmal an Land gezogen und wieder zurückgeworfen zu werden. Es ist ein Anblick von schmerzhafter Eindringlichkeit, der die von Kim Ki-duk verwendete poetische Grausamkeit, die sich durch das gesamte Werk zieht, in einem kleinen Moment zu voller Blüte reifen lässt und gleichzeitig als Metapher für das Schicksal von Hee-jin dient, die immer wieder verletzt und geschunden in die vermeintliche Freiheit entlassen wird, bis sie jemand erneut gegen ihren Willen an Land zieht.
„Seom“ ist der verzweifelte, stumme Aufschrei nach Liebe, Zärtlichkeit und Geborgenheit in einem Zustand der unterdrückten, abgestorbenen Gefühle. Kim Di-duk gräbt sich tief durch die Schichten seiner Figuren, um zwischen tragischem Elend, verkommener Moral und abgründigen Perversionen einen letzten Rest unschuldig glänzender Emotionen ans Tageslicht zu befördern. Dabei lässt er offen, ob die zu diesem Preis gequälten Tiere, ertrinkenden Menschen, vergewaltigten Körper und mit Angelhaken penetrierten Geschlechtsteile oder Körperöffnungen all das wert sind. Selbst das saftige Grün der paradiesischen Idylle ist schlussendlich nur eine Verdeckung der aufgequollenen, verwesten Leichen, die darunter treiben.
Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht einen, sobald Lisa zu Beginn von Mario Bavas „Lisa e il diavolo“ durch die Gassen von Toledo irrt. Keine Menschenseele ist zu sehen, jeder Winkel wirkt geradezu gespenstisch und ein Eck gleicht dem anderen, wobei sich die orientierungslosen Schritte irgendwann im Kreis zu drehen scheinen, ohne Eingang und Ausgang genau bestimmen zu können.
Der italienische Regisseur erzeugt schon mit den ersten Szenen seines Films ein unvergleichliches Gefühl, das sich annäherungsweise als surreales Déjà-vu beschreiben lässt. Man meint, schon einmal an diesem Ort gewesen zu sein, ohne jemals selbst auch nur einen Fuß in die spanische Provinz gesetzt zu haben. Die Eindrücke wirken wie Fetzen eines Traums, der lange zurückliegt und doch ist da diese Gewissheit konkreter Erinnerungen, durch die sich einzelne Details ganz klar ins Gedächtnis eingebrannt haben.
Der anfängliche Gefühlszustand erweist sich in diesem Werk als stilsicheres Leitmotiv, das fortan immer wieder als schlafwandlerisches Erleben über der rational unbegreiflichen Handlung schwebt. Mit der unfreiwilligen Ankunft in einem barocken Anwesen, das eher einem verfluchten Märchenschloss gleicht, begibt sich Bava gemeinsam mit der Hauptfigur auf eine Reise zwischen Wahn und Wirklichkeit, deren Weg von inkohärenten Mysterien, nebulösen Ungereimtheiten, morbiden Überraschungen und blutigen Unannehmlichkeiten gesäumt ist.
Wie auf einem Schachbrett platziert der Regisseur seine Figuren, wobei die traditionellen Farben Schwarz und Weiß ab einem bestimmten Punkt abblättern und miteinander zu verschmelzen scheinen. Absichten und Motive lassen sich schwer in Gut und Böse unterscheiden, vermeintliche Spuren einer Reinkarnation vermischen sich mit wahnsinnig gewordener Verwechslung, Menschen verwandeln sich in Puppen, Puppen werden menschlich und dickflüssiges, knallrotes Blut fließt über die edel verzierte Inneneinrichtung, bis sich die hypnotische Präsenz des Teufels höchstpersönlich nicht mehr abschütteln lässt.
Auf Plotlücken und Logikfehler antwortet Bava mit den aussagekräftigen Mitteln seines unbändigen Gestaltungswillens, sowohl inszenatorisch als auch ausstattungstechnisch ist „Lisa e il diavolo“ ein in Bild und Ton gegossenes Traumrätsel. Die Festtafel, an der sich die Verstorbenen versammelt haben, bleibt dabei genauso unvergesslich wie das spektakuläre Finale, in dem die sonst so komfortable Räumlichkeit eines Flugzeugs zum klaustrophobisch-verlassenen Höllentor verkommt.
Ein Aufwachen scheint in diesem (Alb-)Traum unmöglich.
[...] Nicht selten verschlägt es einem gerade im Angesicht überwältigender Emotionen regelrecht die Sprache. Isaac Davis geht es da nicht anders, denn als er im Prolog von Manhattan dazu ansetzt, seine Gefühle für New York, die Stadt, in der er lebt, in Worte zu fassen, muss er zum wiederholten Male neu ansetzen, von vorne beginnen und scheitert am Ende doch, eine definitive Liebeserklärung zu formulieren. Um Manhattan ohne passende Worte Tribut zollen zu können, verlässt sich der Regisseur Woody Allen (Manhattan Murder Mystery) im Gegensatz zu dem von ihm selbst gespielten Isaac stattdessen lieber auf die wundervollen Schwarz-Weiß-Kompositionen von Gordon Willis. So erstrahlt der titelgebende Stadtbezirk in einem melancholischen Licht, das ikonische Sehenswürdigkeiten, karge Wohnräume und anziehende Schauplätze zur sinnlichen Verführung erhebt, während im Hintergrund trotz des nie stillstehenden Alltags stets Anzeichen von trauriger Tristesse zu vernehmen sind. In Manhattan belässt es Allen aber nicht dabei, eine schlichte Ode an die Stadt, seine Stadt, zu kreieren, denn wie so oft im Gesamtwerk des Regisseurs geht es ihm auch in diesem Film wieder darum, von ihrem eigenen Intellekt geplagte Figuren aus dem Bildungsbürgermilieu vorzuführen und aufzuziehen. In seinem Meisterwerk Der Stadtneurotiker von 1977 fand Allen dabei die ideale Kombination aus bissiger Selbstironie, neurotischer Exzentrik und verspieltem Humor, weswegen der Film auf nachvollziehbare Weise zum populärsten und gewissermaßen stilbildenden Meilenstein im Schaffen des Regisseurs aufstieg. Was ihm zwei Jahre zuvor noch mit staunenswerter Leichtigkeit gelang, verkommt in Manhattan jedoch zum bemühten Versuch, erneut um das Liebesleiden seiner nahezu weltfremden Figuren zu kreisen, was mit fortschreitender Laufzeit in verkrampftem Narzissmus mündet. Das größte Problem an Manhattan ist Allen selbst, der als Hauptdarsteller dafür sorgt, dass man Isaac, welcher als intellektuell allen in seinem Umfeld überlegener Frauenheld zur bemitleidenswerten Witzfigur verkommt, in den wenigsten Szenen ernst nehmen kann. Seine Neurosen bleiben die meiste Zeit über genauso wenig greifbar wie Isaac selbst, der ebenso wie der gesamte Film unentwegt zwischen satirischer Überzeichnung und ehrlich gemeinter Tragik schwankt. Als schonungslose Selbstdemontage sowie Anklage des eigenen Milieus gelingen dem Regisseur dabei einige überaus bemerkenswerte Spitzen, die sich vor allem in den hysterischen, verkopften Dialoggefechten äußern, nach denen die Beteiligten ohne nennenswerte Erkenntnisse erneut am Ausgangspunkt ihrer meist überforderten Situation angelangen. Manhattan gestaltet sich durch die Anhäufung solcher Szenen allerdings viel mehr als bittere, unangenehme Seherfahrung, die jeglichen Charme sowie leichtfüßigen Humor vermissen lässt, mit dem sich Allen in zahlreichen seiner Werke sonst schmücken konnte und auf den er auch hier eigentlich wieder abgezielt hatte. [...]
Jeder Film, dem Tom Cruise seinen Produzenten-Stempel aufdrückt, ist unweigerlich von dessen Star-Power durchzogen, bei der der Schauspieler förmlich darum kämpft, sich mit Charisma, Präsenz oder purer Physis an die Front zu spielen.
In der Romanfigur Jack Reacher fand Cruise zuletzt ein adäquates Vehikel, um eine Art Gegenpol zu seinem ikonischen Ethan Hunt aus der „Mission: Impossible“-Reihe zu kreieren. Zunächst galt der Schauspieler vorab gar als Fehlbesetzung, der mit seiner Körpergröße von 1,70 Meter als ungeeigneter Kandidat für die Verkörperung der bulligen, hochgewachsenen Kampfmaschine aus den Romanen eingestuft wurde. Christopher McQuarrie räumte dem Schauspieler allerdings genügend Raum zur Entfaltung ein und peitschte ihn durch einen Action-Thriller der alten Schule, in dem dramaturgisch verdichtete Präzision und physisch einschlagende Konfrontationen an erster Stelle standen, während Reacher selbst als stoisch getriebener Protagonist mit unsichtbaren Narben hervorstach.
Zur Ruhe kommen sollte der wie auch schon im ersten Teil notdürftig reaktivierte Ex-Militärpolizist allerdings nicht. In „Jack Reacher: Never Go Back“ muss Reacher erneut für einen persönlich motivierten Fall die Ermittlungen aufnehmen, bei denen er wie gewohnt zwischen die Fronten gerät und nur mit Unterstützung von einer alten Bekanntschaft aus dem Militär gegen Korruption in den eigenen Reihen vorgeht.
Auch wenn das Auftauchen von Reachers vermeintlich leiblicher Tochter, die als emotionaler Ballast integriert wird, Vergangenheit sowie Innenleben des Charakters tiefer als zuvor ausloten soll, erweist sich das von Edward Zwick inszenierte Sequel frühzeitig als pure Enttäuschung. Das dramaturgische Potential der Ausgangslage, in dem sich Kriminalfall und private Familiengeschichte miteinander vermischen, bleibt dabei weitestgehend ungenutzt.
Stattdessen wirkt „Jack Reacher: Never Go Back“ wie eine unnötig aufgeblähte TV-Episode eines der mittlerweile unzählig vorhandenen Crime-Procedural-Formate, bei denen Auslöser, Entwicklung und Ausgang der Handlung ohne wirkliche Überraschungen oder Innovationen Folge für Folge nach vorhersehbaren Mustern verläuft. Ohne die zweifelsohne gelungenen Action-Momente, in denen Zwick die Qualitäten des Vorgängers auf ähnlich körperliche Art aufgreift, würde der Streifen über seinen generischen Handlungsverlauf, welcher ohne stimmige Dynamik Schauplatz an Schauplatz reiht, in die komplett überflüssige Belanglosigkeit stolpern.
Erst spät, wenn der Kriminalfall eigentlich schon abgeschlossen ist, findet Zwicks Sequel dann doch noch zu einer ungeahnten Stärke, die erahnen lässt, was mit den einzelnen Elementen der Geschichte möglich gewesen wäre. Reachers zum Einzelgänger verdammtes Dasein findet im Kampf um das, was seinem Leben erstmals intime Bedeutung verleiht, zu dramatischer Brisanz, die der Regisseur in einer rasanten Eskalation entlädt. Unter atemlosem Tempo gipfelt „Jack Reacher: Never Go Back“ schließlich in einem schmerzhaften Höhepunkt, bei dem der einsame Wolf erneut dazu gezwungen wird, Knochen zu brechen und alleine weiterzuziehen. Ein finales Sinnbild, so aussagekräftig, wie es den vorangegangenen fast zwei Stunden kaum möglich war.
Mit ihrem Debüt als Regisseurin und Drehbuchautorin hat Kelly Fremon Craig das mittlerweile nahezu als ausgestorben geltende Genre des High-School-Teenie-Films in ein neues Jahrzehnt gerettet. Dabei besinnt sich „The Edge of Seventeen“ selbstbewusst auf ein ganzes Arsenal an Filmen zurück, die unsicher in die Zukunft blickenden Jugendlichen ein Ventil boten, um die empfundenen Gefühle mit ihresgleichen teilen zu können und zu spüren, dass sie mit ihren Ängsten, Sorgen und Nöten nicht alleine waren.
An bekannten Bildern, zunächst vorhersehbaren Geschehnissen und vordergründig leicht durchschaubaren Figuren mangelt es dem Erstlingswerk der Regisseurin keineswegs. Protagonistin Nadine gehört zu den Außenseitern an ihrer Schule, die eher durch Zufall im Alter von 7 Jahren an eine beste Freundin geraten ist. Mit dem Tablett auf den Boden gestoßen zu werden ist für die erst 17-Jährige ebenso vertraut wie sich alleine zu fühlen, während ihr Vater, der gleichzeitig so etwas wie ein bester Freund war, unerwartet und vor Nadines Augen an einem Herzinfarkt gestorben ist und sich ihr Bruder zu einem egozentrischen, durchtrainierten Gewinnertyp entwickelt hat, der sämtliche Sympathien der Mutter schon immer für sich beansprucht.
Mit der von unschuldiger Sehnsucht, trauriger Isolation, verzweifelter Unverstandenheit und aggressiver Verwirrung geprägten Hauptfigur riskiert Craig frühzeitig, in die Schublade gewöhnlicher Indie-Streifen gesteckt zu werden, in denen Eigenheiten und Probleme für gewöhnlich regelmäßig mit Wohlfühl-Konventionen aufgelöst werden. Für ihren Film setzt sie deshalb alle Risiken auf eine Karte und bündelt den schwierigen, problembelasteten Charakter von Nadine mit dem allgemeinen Stimmungsbild der „teen angst“, ohne je den Deckmantel einer vermeintlich leichten High-School-Komödie abzustreifen.
Abgesehen von den bitterbösen, sarkastischen Bemerkungen des von Woody Harrelson gespielten Geschichtslehrers kreist „The Edge of Seventeen“ daher in konstant niedergeschlagener Manier um jenen empfundenen Dauerzustand, bei dem die Welt aufgehört hat, sich zu drehen, jeder Tag wie ein dunkler Abgrund wirkt und jedes Gefühl von Selbsthass und Trauer dominiert wird. Indem die Regisseurin die Thematik tatsächlicher Depressionen offen angeht, legt sie in einigen Szenen Momente von roher Emotionalität frei, durch die das gleichzeitig abgenutzte sowie lange aus filmischer Mode gekommene Setting mit einer Intensität durchzogen wird, die man schmerzlich vermisst hat.
„The Edge of Seventeen“ ist trotz der übereilten Katharsis auf der Zielgeraden ein Beweis dafür, dass das Kino im besten Fall auch immer ein Spiegel der Seele sein kann, in dem sich die Höhen und Tiefen ganzer Lebensabschnitte manifestieren, und der Zugang zu einem kollektiven Bewusstsein, den die Regisseurin in ihrem Debüt auf verständnisvolle Art entschlüsselt und geöffnet hat.
“Ever since we were little I would get this feeling that I’m floating outside of my body and I hate what I see. I don’t know how to change it. And I’m scared that feeling is never gonna go away.”
[...] Die Poster von Pulp Fiction oder From Dusk Till Dawn, die in den Zimmern einiger Figuren hängen, machen die Einflüsse von Lammbock - Alles in Handarbeit klar erkennbar. Für sein Regiedebüt hat sich Christian Zübert (Ein Atem) deutlich vom US-amerikanischen Independent-Film der 90er Jahre inspirieren lassen, der durch Filmemacher wie Quentin Tarantino (Jackie Brown) oder Kevin Smith (Chasing Amy) einige Kult gewordene Streifen hervorbrachte, die vor allem durch eine ausgeprägte Vorliebe für popkulturell angehauchte Dialoge gekennzeichnet waren. [...] Die Geschichte von zwei Kumpels, die in Würzburg eine Pizzeria betreiben, in der sie unter die Spezialität des Hauses als kleine Zugabe Cannabisprodukte aus eigenem Anbau hinzugeben, entwickelt schnell ihren ganz eigenen Charme, der Lammbock - Alles in Handarbeit zu einer recht treffsicheren Komödie macht, die ungezwungene Lässigkeit sowie urkomische Situationskomik ausstrahlt. Bei einigen Szenen lässt es sich zwar nicht leugnen, dass die kiffenden Protagonisten aus Züberts Film definitiv autobiographische Züge tragen, wenn eine unerwartete Polizeikontrolle beispielsweise plötzlich in völligen Nonsense ausartet, doch der gebürtige Würzburger inszeniert die grundsätzlich von zahlreichen unwahrscheinlichen Zufällen und haarsträubenden Entwicklungen gespickte Geschichte als Ausgleich mit genügend amüsanten Nerd-Verweisen, schrägen Nebenfiguren und psychedelisch gefärbten Einlagen, dass er sein ganz eigenes, grasgrün gefärbtes Kleinod formt. [...] Lammbock - Alles in Handarbeit beweist seine Qualität somit nicht nur durch auffälligen Humor, der mehr ist als bloßes Referenzenraten, sondern hat sich über die Jahre hinweg selbst längst als Kultfilm behaupten können, der durch das bloße Vermitteln eines bestimmten Lebensgefühls, vom Schwelgen im Stillstand, vom Akzeptieren des verpeilten Chaos und vom Lachen im Angesicht des Scheiterns, Zeitlosigkeit versprüht. Oder einfach nur mit Kumpels auf dem Sofa und der richtigen Ausstattung geschaut werden soll. [...]
In „The Visit“ hatte es sich schon erfreulicherweise abgezeichnet, nach „Split“ ist es nun Gewissheit: Mit M. Night Shyamalan ist wieder zu rechnen. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich der eigenwillige Auteur in stark reglementierten Studio-Fesseln winden musste, wo er genauen Vorstellungen nachkommen und untergeordnet funktionieren sollte. Unter Blumhouse Productions arbeitet der Regisseur wieder mit deutlich schmaleren Budgets, doch seiner Kreativität sind dabei keine Grenzen mehr gesetzt.
Shyamalan liebt das Kino von Alfred Hitchock und Steven Spielberg genauso wie den großen Überraschungseffekt, der ihm über die Jahre hinweg immer stärker als billiges Gimmick zur Last geworfen wurde. In „The Visit“ zeigte der Regisseur jedoch zuletzt bisher ungekannte Seiten, indem er sich dem Grotesken hingab und eine schwarzhumorige Horrorkomödie drehte, die gleichermaßen unberechenbar wie unterhaltsam zwischen blankem Terror und geschmacklosen Zoten pendelte.
„Split“ kommt nun einem Versuch gleich, alte Markenzeichen und Motive mit der erst neu entdeckten Vorliebe für skurrile Grenzüberschreitungen zu kreuzen, wodurch der Film sowohl positiv als auch negativ aus dem Ruder läuft. Mit beeindruckend kurzweiligem Tempo etabliert Shyamalan sein unkonventionelles Geiselnahme-Szenario, in dem drei Schülerinnen in einen unterirdischen Raum eingesperrt werden, ohne zu wissen, was mit ihnen geschehen soll. Ihr Entführer entpuppt sich dabei als kurioses Mysterium, denn Kevin ist nur in einem Moment ein Brille tragender, finsterer Zeitgenosse. Von einer Minute auf die andere verändert sich sein Wesen unter anderem in einen 9-jährigen, lispelnden Jungen, eine feine Dame aus englischem Hause oder einen extravaganten Modedesigner.
James McAvoy ist dabei die große Sensation von „Split“ und einer der besten Hauptdarsteller, mit dem Shyamalan jemals zusammengearbeitet hat. Im Zuge eines Wimpernschlags wechselt der Schauspieler sein komplettes Erscheinungsbild, schlüpft durch das Verändern von Akzenten, Gesichtsausdrücken und Bewegungsmustern in völlig unterschiedliche Charaktere und macht aus der im wahrsten Sinne des Wortes gespaltenen Figur ein vielschichtiges Faszinosum, dem ebenso viel psychopathische Grausamkeit wie tragische Verzweiflung eingeschrieben ist.
Der dadurch entstehende Effekt, mit dem McAvoy schlichtweg jede Szene dominiert und an sich reißt, hat allerdings zur Folge, dass sich der Spannungsbogen des Films als holprig erweist, was unter anderem auch an der ansonsten unsauberen Figurenzeichnung liegt. Abgesehen von Anya Taylor-Joys Casey, die in notdürftig eingestreuten Rückblenden ein psychologisch ansatzweise brauchbares Profil verliehen bekommt, sind die beiden anderen entführten Mädchen kaum mehr als eindimensionales Mittel zum Zweck, um gelegentliche Spannungsmomente zu generieren, die ihr Potential folglich kaum ausnutzen können.
Ähnlich verhält es sich mit der von Betty Buckley gespielten Psychiaterin, die der Erkrankung ihres Patienten eine fast schon übersinnliche Bedeutung zuschreiben will, durch die das Gehirn dem Körper Dinge ermöglicht, die rational bislang nicht erklärbar sind. Ihr Handlungsstrang trägt maßgeblich zum zentralen Rätselraten bei, das die schaurige Ankunft einer 24. Persönlichkeit Kevins andeutet, die nur als „The Beast“ bezeichnet wird und der Grund ist, weshalb dieser die drei Mädchen entführt hat, die der Bestie als Opfergaben dienen sollen. So viele Szenen Shyamalan der Psychiaterin auch einräumt, so abrupt verläuft ihr Schicksal schließlich ins Nichts.
Generell ist „Split“, gemäß seines Titels auf fast schon passende Weise, in einem Zwiespalt gefangen, indem der Regisseur zu gleichen Teilen Verständnis für das Befinden an multipler Persönlichkeitsstörung erkrankter Menschen aufbringen will, während er diese Ansätze einem zweifelsohne äußerst stilvoll inszenierten, aber zu schlicht konstruierten Thriller unterordnet, welcher immer wieder von wahlweise irritierenden bis grandiosen Momenten der Komik unterbrochen wird, bis Shyamalan im finalen Akt schließlich in Dimensionen vorstößt, mit denen er die Toleranzgrenze für Übernatürliches und Exzessives mutig auslotet.
In Szenen, in denen die Kamera vorsichtig den verborgenen Schrecken des Kellerverlieses erkundet, der Regisseur auf immer reizvollere Art eine Kreatur von geradezu mythologischer Ausstrahlung ankündigt und die Spannung vereinzelt so verdichtet, dass man im Kinosaal eine Stecknadel fallen hören kann, während das Publikum gemeinsam gebannt den Atem anhält, ist das Kino von M. Night Shyamalan nichtsdestotrotz wieder ganz bei sich, auch wenn es immer noch darauf wartet, in vollständiger Montur hervortreten zu dürfen.
Wenn Ang Lees neuer Film „Billy Lynn’s Long Halftime Walk“ in den deutschen Kinos startet, hat er international bislang nur rund 30 Millionen Dollar eingespielt, was bei seinem Budget von 40 Millionen Dollar als Flop gilt, und wird von überwiegend negativen US-Kritiken begleitet. Es stimmt weitestgehend ratlos und ist gleichermaßen bezeichnend, dass dem Werk gerade aus jenem Land, an dessen Mechanismen und Mythen sich der taiwanisch-amerikanische Regisseur hier so interessiert zeigt, derartig erzürnte Meinungen entgegenstürmen.
Die Geschichte führt ins Jahr 2004 zurück, wo Soldaten einer Einheit aus dem Irak zurückkehren, um in ihrer Heimat als Helden gefeiert zu werden. Eine landesweite Sieges-Tournee soll schlussendlich mit einem Marsch während der Halbzeit-Show eines Football-Spiels in Dallas beschlossen werden. Was sich in der Theorie wie ein patriotisch verklärtes Blendwerk anhört, in dem ein Land seinen unermesslichen Nationalstolz durch die blinde Verehrung falscher Vorbilder zum Ausdruck bringen darf, verkommt unter der Regie von Lee zu etwas völlig unerwartet Andersartigem.
Unter den Soldaten befindet sich auch Billy Lynn, der dabei gefilmt wurde, wie er seinem Sergeant zur Hilfe eilte, als dieser dem sicheren Tod ausgeliefert war. Speziell Billy wird als großer Held der Truppe gehandelt, die Geschichte der Einheit soll als filmischer Stoff von einem Produzenten für großes Geld an ein Studio gebracht werden und mittendrin, während die Soldaten nicht einmal genau wissen, was sie in der Halbzeit für eine Funktion auf dem Spielfeld erfüllen sollen, befindet sich ein Haufen junger Männer, deren wirkliche Befindlichkeiten zugunsten des oberflächlichen Spektakels immer stärker in den Hintergrund rücken.
Das Dasein des Soldaten, eine damit einhergehende Heldenhaftigkeit und der Stolz, für das eigene Land zu kämpfen und notfalls zu sterben. In „Billy Lynn’s Long Halftime Walk“ verkommen diese Auszeichnungen zu hohlen Phrasen, mit denen Lee auf kluge Weise spielt, sie satirisch vorführt und dabei trotzdem mit einem sanften Humanismus ebnet, durch den vor allem der titelgebende Protagonist aus dem Kollektiv entrückt und zum emotionalen Schwergewicht erklärt wird.
Auf faszinierende Weise spiegeln sich im Auftreten von Hauptdarsteller Joe Alwyn die Gegensätze. Der 19-jährige Billy hat das sensible Gesicht eines unreifen Jungen, dem die Tränen kommen, sobald ihm die überfordernden Eindrücke zu viel werden, doch sein durchtrainierter Körper in Verbindung mit der tiefen Stimme strahlt irritierende Standhaftigkeit aus, wobei die Fassade immer deutlichere Risse erhält. Vom Regisseur wird der unsichere Soldat, in dem etwas Unausgesprochenes schlummert, durch einen absurden Rummel der medialen Überstimulierung geschleust, welcher ständig mit dem komplizierten Privatleben und der traumatischen Vergangenheit auf dem Schlachtfeld zusammenprallt.
Die Fragen von Journalisten während einer Pressekonferenz kommen simplen Worthülsen gleich, die nur dazu dienen, lukrative Sätze in Publikationen abzudrucken, die Textzeilen aus dem später performten Song von Destiny‘s Child verlangen anstelle eines Mannes nach einem Soldaten, der für seine Frau einstehen kann, was in Form einer unwiderstehlichen Cheerleader-Romanze gegen Ende urkomisch und traurig zugleich ein Echo findet, und der von Steve Martin gespielte Besitzer des Footballclubs bringt die bizarre Essenz des Geschehens auf den Punkt, wenn er Billy sagt, dass seine eigene Geschichte schon nicht mehr ihm selbst gehöre, sondern längst Amerika.
Mit 120 FPS und in 3D hat der Regisseur seinen Film gedreht. Ein Novum, das „Billy Lynn’s Long Halftime Walk“ selbst in klassischem 2D und ohne die dazu benötigte Projektionstechnik, welche nur in ganz wenigen Kinos in den USA zur Verfügung steht, visuell mindestens aufregend gestaltet. Die hyperrealistischen Bewegungsabläufe in Kombination mit der außergewöhnlichen Kameraführung von John Toll, bei der die Figuren oftmals in Nahaufnahmen direkt zum Zuschauer zu sprechen scheinen, und der betont extremen Lichtsetzung ergeben ein aufregendes Seherlebnis, bei dem sich die neuartigen Möglichkeiten und Darstellungsformen des Kinos auf betörende Weise zu erweitern scheinen.
In einer schon jetzt unvergesslichen Sequenz kommt es schließlich zum Marsch während der Halbzeit-Show, bei dem der Regisseur die Energie und Kinetik einer einstudierten Performance sowie das überbordende Effekt-Feuerwerk des Events mit der schweißtreibenden, beängstigenden Dynamik eines Kriegseinsatzes verschmelzen lässt, was Lee durch konkrete Rückblenden in den Irak gezielt adressiert.
Es sind Momente, in denen der satirische Kern sowie das behutsame Charakterdrama in spektakulärer Form zueinander finden und „Billy Lynn’s Long Halftime Walk“ so intelligent und zugleich kritisch mit zutiefst amerikanischer Mythologie verschweißen. Als Regisseur hat sich Ang Lee nach seinem überwältigenden 3D-Abenteuer-Drama „Life of Pi“ damit ein weiteres Mal als verlässlicher Garant faszinierender Kinoerlebnisse bewiesen.
„Hacksaw Ridge“ wirkt nicht unbegründet wie das kraftvolle Aufbäumen aus dem Exil, das nach Aufmerksamkeit schreiende Zeichen eines Titanen, der viel zu lange im Schatten verweilen musste, während der reguläre Betrieb um ihn herum weiterlief, als hätte es ihn nie gegeben. Gut 10 Jahre lang gab es kein Regie-Lebenszeichen mehr von Mel Gibson, der nach verbalen Entgleisungen in der Öffentlichkeit mehr oder weniger aus dem Hollywood-Raster radiert wurde, welchem er zuvor jahrzehntelang als Schauspieler und Regisseur mit durchaus beachtlichem Status angehörte.
Für Kontroversen sorgte Gibson spätestens mit seinem skandalumwitterten „The Passion of Christ“ von 2004 auch ohne Eskapaden aus seinem Privatleben. Eine ganz ähnliche Rezeption ist ihm nun mit seiner fünften Regiearbeit ebenfalls wieder gewiss, denn „Hacksaw Ridge“ verhält sich in seiner Machart ebenso zwiespältig wie die porträtierte Hauptfigur, die unbewaffnet in den Krieg ziehen und so viele Menschenleben wie nur möglich retten will.
Der Regisseur erzählt die wahre Geschichte von Desmond Doss, der während des Zweiten Weltkriegs in der Schlacht um Okinawa tatsächlich zwischen 50 und 100 Soldaten aus dem Schlachtfeld zog und in Sicherheit brachte, ohne dabei auch nur einmal selbst eine Kugel abzufeuern, weshalb er anschließend mit der „Medal of Honor“ ausgezeichnet wurde. Was Gibson an der Lebensgeschichte dieses Mannes reizte, lässt sich leicht nachvollziehen, denn Doss ist nur alleine aufgrund seines unerschütterlichen Glaubens sowie der persönlichen Überzeugung zu einer Art Helden geworden, der im Angesicht des unvorstellbarsten Leids über sich hinausgewachsen und wahrlich Unglaubliches geleistet hat. Motive, die in abgewandelter Form schon immer im Schaffen des Regisseurs vorzufinden waren.
In „Hacksaw Ridge“ gelingt es ihm allerdings kaum, den religiös geprägten Eifer des Kriegshelden mit seiner gewohnt markanten Inszenierung zu vereinen, die schon lange nicht mehr in Grauzonen und Zwischentönen festzumachen ist. Wirkt der erste Abschnitt des Films noch wie ein naives Kitsch-Märchen, bei dem selbst Tränendrüsen-Koryphäe Nicholas Sparks rot anlaufen dürfte, kennt Gibson nach der Grundausbildung, bei der Doss trotz seines eisernen Willens als schwacher Feigling abgestempelt wird, kein Erbarmen mehr und konfrontiert Soldaten wie Zuschauer mit einer Reihe von Gefechten, in denen der zuvor fast schon gemäßigte Ton urplötzlich umschlägt.
Den martialischen Impressionen wird man dabei so schutzlos ausgeliefert wie im Hollywood-Kino nur noch selten. Kugeln, die zischend durch Helme in die Köpfe der Soldaten sausen, abgetrennte Unterkörper, die als Schutzschild über das Schlachtfeld getragen werden oder Granaten, die in ohrenbetäubender Regelmäßigkeit ganze Menschen in Stücke reißen, summieren sich zu einer betäubenden Anhäufung des Dumpfen und Derben, mit welcher der Regisseur selbst ungefähren Anflügen eines Anti-Kriegsfilms mit voller Wucht eine schallende Absage erteilt.
Trotz der ehren Absichten des Protagonisten, den Andrew Garfield mit gefestigter Miene, hoffnungsvollen Blicken und verzweifelter Willenskraft verkörpert, bleibt Doss zwischen all den unzähligen Toten, die sich um ihn herum anhäufen, ein Kuriosum. Seine fragwürdige Motivation, Leben zu retten und trotzdem in den Krieg ziehen zu wollen, bekommt der Regisseur auch mit einigen symbolisch aufgeladenen Szenen nicht aufgelöst. Gibson behauptet sich zwar weiterhin wacker als beeindruckender Handwerker, der das Grauen des Kriegs audiovisuell erschreckend physisch abbildet. Seine eigentliche Intention, die Heldenhaftigkeit des realen Vorbilds, verliert der Regisseur jedoch zu oft aus den Augen, während er Doss in zwei immerhin herausragende Spannungssequenzen verwickelt, bevor dieser schließlich endgültig zum strahlenden Übermenschen mutiert, den Gibson zwischen Trümmerfeldern sowie kreuz und quer verstreuten Leichenteilen auf Händen emporträgt.
"Hacksaw Ridge" ist somit ein zutiefst paradoxes Werk, in dem die inszenatorische Kompetenz so drastisch ausufert und mit der unübersehbaren, persönlichen Ideologie des Schöpfers kollidiert, dass selbst bemerkenswerte Momente und ehrenwerte Absichten im Schützengraben verschüttet bleiben müssen.
In den besten Momenten ist „Beware the Slenderman“ nicht nur eine Dokumentation über einen erst knapp drei Jahre zurückliegenden Fall, in dem zwei zwölf Jahre alten Mädchen aus Wisconsin eine Mitschülerin und zugleich Freundin in ein Waldstück lockten und mit einem Messer 19-mal auf sie einstachen, sondern ein zeitgemäßer Kompass durch die aktuell existierende Medienlandschaft, in der die Grenze zwischen Realität und Fiktion auf gewisse Weise schon lange aufgehoben wurde.
Die schockierende Tat, welche das Opfer wie durch ein Wunder überlebte, begangen die beiden Mädchen nach eigener Aussage, um den „Slenderman“ zufriedenzustellen. Ein im Internet geborener Horror-Mythos aus dem mittlerweile weit verbreiteten „Creepypasta Wiki“, das die altbekannten Lagerfeuergeschichten modernisiert und abgelöst hat, wobei die verschiedenen Figuren aus den einzelnen, fiktiv kreierten Legenden mitunter ikonischen Status erreichten, darunter auch der „Slenderman“.
In ihrem Film setzt sich Irene Taylor Brodsky mit der Tat der beiden Mädchen auseinander und begleitet den Fall, dessen finales Urteil immer noch aussteht, wobei sie vor allem Familienangehörige der Täterinnen für Gespräche vor die Kamera holt, während das allgemeine Phänomen des „Slenderman“ näher beleuchtet wird. „Beware the Slenderman“ verzichtet dabei glücklicherweise darauf, das Internet als generellen Ort des puren Bösen zu dämonisieren und zeichnet stattdessen das Porträt einer gegenwärtigen Realität, in der konstante Multimedialität, der unerschöpfliche Drang nach Geschichten jeglicher Art und der zunehmende Wille, mit dem Erlebten verschmelzen zu wollen, ein innovatives Verhältnis miteinander eingehen und eine neue Form der Wahrnehmung schaffen.
Mit zunehmender Laufzeit verliert die Regisseurin jedoch zunehmend die thematischen Fäden aus der Hand, wodurch die Dokumentation in zu viele Richtungen zerfasert. Aufgrund der durchaus rührenden Auseinandersetzung mit den Eltern der beiden Täterinnen, die trotz Minderjährigkeit im Extremfall aufgrund der lokalen Gesetzesgrundlage nach Erwachsenenstrafrecht mit bis zu 65 Jahren Gefängnisaufenthalt verurteilt werden könnten, gestaltet sich „Beware the Slenderman“ zuweilen als schmerzlich eingefangenes Trauerdokument, in dem die Antworten auf zahlreiche brennende Fragen ausbleiben. Was alleine einen ganzen Film getragen hätte, wird in dem knapp zweistündigen Werk jedoch immer wieder durch dramaturgische Schnitzer untergraben.
Indem Brodsky gleichzeitig dem momentanen Zeitgeist nachspürt, der Aufarbeitung eines umfassenden Falls nachgeht und gegen Ende in den medizinischen Fachbereich vorstoßen will, sobald Schizophrenie als entscheidender Faktor eine Rolle spielt, tritt ihr Werk leider den Beweis an, dass ein äußerst interessantes Thema nicht immer automatisch eine gelungene Dokumentation mit sich bringt. Zu oberflächlich angerissen und ausbalanciert sind die einzelnen thematischen Schwerpunkte, wodurch sowohl der emotionale Zugang als auch erhellende Erkenntnisse auf der Strecke bleiben müssen.
[...] Zu Beginn teilt Rob eine Top-5-Liste seiner gescheiterten Beziehungen mit dem Zuschauer, woraufhin deutlich wird, dass der Film keiner klassischen Handlung folgt, in der sich der Protagonist zielgerichtet von A nach B bewegen wird. Stattdessen besteht High Fidelity viel mehr aus einer Aneinanderreihung von Bewusstseinszuständen, Rückblenden, Voice-over-Monologen und einzelnen Situationen, die der Regisseur zu einem Film vermengt, der eher einem gewissen Lebensgefühl entspricht. Ob man sich von der speziellen Stimmung mitreißen lassen kann, hängt ganz entscheidend von der Tagesform und dem persönlichen Lebensabschnitt an, in dem man sich gerade befindet, denn ausgefeilte Überraschungen, einen stimmig komponierten Spannungsbogen oder Handlungsfaden hat der Film nicht zu bieten. Ähnlich wie die Musik, die Robs Leben dominiert und dadurch dem gesamten Werk einen deutlich vom Pop inspirierten Charakter verleiht, wirkt Frears‘ Umsetzung selbst wie ein filmisches Best-of-Album, auf dem ein Song über Herzschmerz, Trennung, Trauer und Verlust dem nächsten folgt. Der Versuch des Protagonisten, mit den Frauen seiner zerbrochenen Beziehungen erneut Kontakt aufzunehmen und sich nochmal zu treffen, unterliegt einem deutlich repetitiven Rhythmus, durch den viele Szenen im Verlauf des Films wie Variationen bekannter Stücke wirken, die man je nach persönlichem Geschmack mit der Zeit eventuell ein paar Mal zu oft gehört hat. [...] Auch wenn Stephen Frears‘ Adaption von Nick Hornbys Kultroman selbst auf seine Art und teilweise berechtigt Kultstatus erlangt hat, ist „High Fidelity“ nicht frei von Schwächen, die sich in der monotonen Struktur und einem gewöhnungsbedürftigen, eigenwilligen Protagonisten äußern. Die Kombination aus wehmütigem Liebesdrama, augenzwinkernder Lebenskrise und schrillem Popkultur-Inferno hat nichtsdestotrotz einen unverwechselbaren Charakter, der für viele Zuschauer gewissermaßen zum Soundtrack eines ganzen Lebens wurde. [...]
[...] In Pablo Larraíns (Neruda) erstem englischsprachigen Film wird genau dieses Interview nun zum Fixpunkt der Geschichte, in der sich Jackie eine Woche nach der Tat mit einem Journalisten trifft, unter der Bedingung, dass jedes Wort aus dem geführten Gespräch, welches schriftlich festgehalten und später gedruckt werden soll, genauestens unter ihren Vorgaben entsteht. Was dieser festgesetzte Rahmen für konkrete Auswirkungen hat, veranschaulicht der Regisseur früh in einer Szene, in der Jackie ihren Emotionen unter Tränen freien Lauf lässt, nur um ihrem Gegenüber anschließend sofort darauf hinzuweisen, dass nichts davon an die Öffentlichkeit dringen soll. Larraín belässt es jedoch nicht bei diesem einen spielerischen Konzept, bei dem die Trennlinie zwischen Realität und Fiktion, zwischen der Gewichtung des womöglich frei Erfundenen und dem Wert des tatsächlich Empfundenen unklar verläuft. In Jackie ist es dem Regisseur vielmehr gelungen, den Prozess des Trauerns, aber auch der lähmenden Schockstarre in assoziative Bilder und Montagen zu kleiden, die sich dem engen Korsett des konventionellen Biopics von Beginn des Films an entledigen. Genauso wie bei der in den Kopf des Präsidenten abgefeuerten Kugel, die das Skelett umgehend zum Zerbersten brachte, ist die Gefühlswelt der verbliebenen Witwe in kleine Splitter zerbrochen, die Larraín zu einem elliptischen Gemälde anordnet. So makellos die Kleidungsstücke von Jackie und die fein säuberlich arrangierten Details in jeder Räumlichkeit, durch die sie sich bewegt, auch erscheinen, unter der Oberfläche sowie in ihrem Inneren dringt schon bald eine zerrissene Person zum Vorschein, die mit einer schier unmöglich zu bewältigenden Anzahl an Reaktionen, Entscheidungen und Entwicklungen umgehen muss. Zu eindringlicher Intensität findet das mitunter schizophrene Wesen des Films durch den Score von Mica Levi, in dem pompöse Streicher immer wieder in Symphonien des blanken Grauens kippen, nur um kurz vor der Eskalation von einer süßlichen Flötenmelodie aufgefangen zu werden. [...] Inwiefern sich die ehemalige First Lady dabei glaubhaft gegen den Druck von außerhalb stemmt, um in einem intimen Rahmen mit ihren Gefühlen alleine sein zu können, oder durch einstudiertes Verhalten sowie manipulative Methoden ganz bewusst dazu beiträgt, ein unvergesslicher Bestandteil der Mythenbildung und des Personenkults zu werden, lässt der Film auf ambivalente Weise offen im Raum stehen. Dass man als Zuschauer überhaupt ein solch zwiegespaltenes Verhältnis zur Hauptfigur des Films entwickelt, liegt nicht zuletzt an der überragenden Leistung von Hauptdarstellerin Natalie Portman (Black Swan). Die Schauspielerin trifft den Dialekt und das Auftreten ihres realen Vorbilds nicht nur mit beängstigender Perfektion, so dass sie völlig hinter der Figur verschwindet, sondern spielt Jackie als unnahbare Persönlichkeit, die in einem Moment eine große Verletzlichkeit und Trauer ausstrahlt, während sie nur kurze Zeit später wie ein kalkulierter (Medien-)Profi wirkt, bei dem jede Geste eiskalt berechnet scheint. [...]
Nach 12 Jahren Abwesenheit wird Louis immerhin für einen Nachmittag in den Schoß seiner Familie zurückkehren. Der mittlerweile 34-jährige Schriftsteller reist allerdings nicht nur mit einem Kopf voller Fragen und Ängste in seiner alten Heimat an, sondern zudem mit einer traurigen Botschaft, denn er ist todkrank und wird in naher Zukunft sterben müssen. Den idealen Moment will er abfangen, in dem er es seiner Mutter, seiner jüngeren Schwester, dem älteren Bruder und dessen Frau mitteilen will, doch dafür gilt es für Louis zunächst zu ergründen, wer diese Menschen sind, zu denen er all die Jahre keinen persönlichen Kontakt hatte und vor allem was für ein Mensch er in ihren Augen ist.
Während die ungefilterten, überwältigenden Gefühle in Xavier Dolans letztem Werk „Mommy“ trotz des beengenden 1:1-Bildformats gefühlt aus jeder einzelnen Einstellung zu platzen schienen, ist „Juste la fin du monde“ das deutlich introvertierte Gegenstück. Die Kamera von André Turpin klebt in unentwegten Nahaufnahmen geradezu an den Gesichtern der Figuren, tastet sich vorsichtig an Empfindungen und Regungen entlang und verweilt manchmal für eine ungewohnt lange Zeit in einem bloßen Ausdruck, der entweder in langsamer Ungewissheit erstarrt oder in brutaler Konsequenz explodiert.
Dolan modelliert aus dem adaptierten Theaterstück von Jean-Luc Lagarce ein fragiles Familienkonstrukt, in dem das (V)erlebte der Vergangenheit, das bekannte Gefühl des Unwohlseins, wenn man sich im engsten Kreis der Verwandtschaft wie ein Fremder vorkommt, und die unausgesprochenen Konflikte unter der Oberfläche brodeln, bis sie der Regisseur wiederholt zum schwer erträglichen Ausbruch bringt. Anfangs bringt Louis nur widerwillig Worte über seine Lippen, verdammt sich selbst zum Schweigen und gibt sich als stiller Beobachter. Dabei wirkt er wie ein unerwünschter Gast in seinem eigenen Leben, der sich zwar mit im Haus befindet, in Wirklichkeit aber vor verschlossener Türe zurückgelassen wurde.
Bei der Charakterzeichnung gibt sich „Juste la fin du monde“ unausgereifter als die bisherigen Werke des Regisseurs, der sich hier nur 95 Minuten Zeit nimmt, um eine ganze Palette an Konflikten und Problemen zu thematisieren. Wie in einem Kammerspiel existieren bis auf Louis alle Figuren des Films ausschließlich im Hier und Jetzt, die Vergangenheit ist ein Faktor, der zu vager Unschärfe verdammt wird, während es außerdem kaum von Interesse ist, was in der Zukunft geschehen wird, die durch Louis‘ definitiv feststehendes Ableben ebenfalls ausradiert wird.
Nur im Umgang mit den Rückblicken in Louis‘ Vergangenheit strahlt der gewohnte Stil von Dolan durch, der immer schon zu gleichen Teilen Gefühls- und Bilderstürmer war und es sich auch in diesen teilweise nur kurz aufflammenden Momenten nicht nehmen lässt, zu unpassendstem Euro-Trash in Form von O-Zones „Dragostea Din Tei“ wohlige Nostalgie zu versprühen, während sich zu französischem Pop innig geliebt wird.
Davon abgesehen wirkt der Film erzählerisch schlicht und reduziert, wobei selbst Markenzeichen des Regisseurs schnell in den Hintergrund rücken. Die schrill überschminkte und aufgekratzte Mutterfigur wird frühzeitig zur besorgten, nachdenklichen Zweiflerin besänftigt, während sich die Homosexualität des Protagonisten ebenfalls recht bald zur Nebensächlichkeit entwickelt. Aus einem potentiell problematischen, weil charakterlich unterentwickelten Drehbuch schöpft Dolan als begnadeter Handwerker nichtsdestotrotz aus dem Vollen, indem er die ruhigen Szenen seines Films mit quälender Spannung auflädt, während in den Momenten der Auseinandersetzung, die sich im späteren Verlauf häufen, tatsächlich so etwas wie das Ende der Welt spürbar ist, bei dem sich die Familienmitglieder vereinzelt auf ihren persönlichen Untergang zubewegen, während die Emotionen roh sowie universell greifbar in der Luft hängen.
Während Léa Seydoux in der Rolle der jüngeren Schwester Suzanne überzeugend das naive, überforderte Mädchen gibt, das den eigenen Bruder bislang eher als Mythos denn als Mensch aus Fleisch und Blut kannte, wirkt Marion Cotillard als Schwägerin etwas unterfordert, obgleich sie eine Schlüsselrolle einnimmt, was die Nachricht betrifft, die Louis seiner Familie mitteilen will. Am faszinierendsten erweist sich jedoch Vincent Cassel in der Rolle des aggressiven Bruders, bei dem jeder Ausdruck von ungebremster Rage eine tiefe Selbstverletztheit offenbart, die spätestens bei einer fantastischen Autofahrt-Sequenz gegen Ende und dem intensiven, kaum auszuhaltenden Finale endgültig zum Vorschein tritt.
Schon lange durfte man das Ende der Welt, welches eigentlich keines ist, derart intim, bittersüß und schmerzlich zugleich miterleben wie in diesem Film.
Lee Chandler ist einer dieser Menschen, die in ihrem eigenen Leben keinen Platz mehr zu finden scheinen. Zu Beginn darf man dem Hausmeister bei seiner Arbeit zusehen, wie er defekte Waschbecken repariert oder verstopfte Toiletten reinigt. Regisseur Kenneth Lonergan erzählt dabei in jedem der Apartments, in die es Lee verschlägt, jeweils kleine Geschichten wie die einer älteren Frau, die sich mit humorvollem Sarkasmus darüber auslässt, wie wenig Lust sie auf ein anstehendes Familientreffen hat, oder die einer Frau, die in einem Telefongespräch deutlich hörbar verrät, wie attraktiv sie den Hausmeister findet, der da gerade in ihrem Bad arbeitet. Obwohl Lee in jeder dieser Geschichten anwesend ist, ist er doch kein Teil von ihnen, denn er hat seine eigene Geschichte, die ihn bis zu jenem Tag verfolgt, an dem er darüber informiert wird, dass sein Bruder Joe gestorben ist.
Lee muss also zwangsläufig an den Ort zurückkehren, mit dem er eine Vergangenheit verbindet, die ihn innerlich so schwer verletzt hat, dass er zu dem Mann geworden ist, bei dem jedes gesprochene Wort wie eine Belastung wirkt und jeder Blick Unwohlsein sowie Verzweiflung ausstrahlt. Es ist eine unglaubliche Last, die der Regisseur seiner Hauptfigur auferlegt, denn Lee muss sich nicht nur um die Beerdigung seines eben erst verstorbenen Bruders kümmern, sondern wird zusätzlich im Nachlass von Joe als Vormund für dessen 16-jährigen Sohn Patrick ernannt, während er unentwegt und oftmals zwischen den Zeilen mit dem konfrontiert wird, wovor er eigentlich schon eine ganze Zeit lang geflüchtet ist.
Nachdem Lonergan zuletzt mit seinem fantastischen, aber nach wie vor recht unbekannten Werk „Margaret“ über Jahre hinweg für seine Vision kämpfen und schließlich immer noch Kompromisse aufgrund von Differenzen mit dem Studio eingehen musste, ist „Manchester by the Sea“ ein Drama wie aus einem Guss. Es ist das beeindruckende Werk eines souveränen Meisters, der so feinfühlig, präzise und vor allem differenziert auf seine Figuren und damit zutiefst menschliche Gefühlsregionen blickt, dass der gesamte Film mit einer Sogkraft erstrahlt, der man sich über die gesamten 135 Minuten hinweg nicht mehr entziehen will.
Der Regisseur konzentriert sich in erster Linie auf das Verhältnis zwischen Lee und Patrick, die nach vielen Jahren wieder zueinander geführt werden, obwohl sie nur noch wenig verbindet. In Rückblenden schildert Lonergan, wie beide früher ausgelassene Angelausflüge unternommen haben, doch in der Gegenwart ist der kleine Junge längst zu einem jungen Erwachsenen geworden, der nicht nur in einer Band spielt, sondern gleich zwei Freundinnen auf einmal hat, die voneinander jeweils natürlich nichts wissen. Das Verhältnis zwischen den beiden Charakteren, die ihre Trauer überwinden, zu sich selbst und somit ins Leben finden müssen, ist das berührende Herzstück dieses Films, welcher für ein Drama immer wieder überraschende sowie ungewohnte Richtungen einschlägt.
Das Ereignis aus Lees Vergangenheit, jenes geheimnisvolle Mysterium, das seine Persönlichkeit in der Gegenwart der Geschichte maßgeblich geformt hat, wird beispielsweise nicht erst als Paukenschlag zum Ende hin enthüllt, sondern früher als es vermutlich die meisten erwarten würden, während „Manchester by the Sea“ im Allgemeinen fast vollständig ohne dramaturgische Knalleffekte wie ein ruhiger, konzentrierter Strom durch den Zuschauer fließt. Casey Affleck ist dabei derjenige, der sich in der Rolle von Lee in diesem Strom wie ein Vulkan einbettet, den man für seine ruhige, kraftvolle Ausstrahlung in jeder Szene bewundert, während man gleichzeitig Angst vor dem großen Ausbruch hat. Wie sich der Schauspieler dabei sowohl in Momenten der Isolation wie auch im Zusammenspiel und der Interaktion mit dem Rest des hervorragend besetzten Casts an der komplexen, schwierigen Persönlichkeit seiner Figur geradezu abarbeitet, ist ein Ereignis, das herkömmliche Bewertungsmaßstäbe fast schon außer Kraft setzt.
Was von „Manchester by the Sea“ aber vor allem in Erinnerung bleiben dürfte, ist seine perfekte Symbiose aus Tragik und Humor. Lonergan schafft es nicht nur, eine ganze Reihe lustiger Szenen in die Handlung einzubauen, sondern diese wie ein Ventil zu nutzen. Genauso wie Lee gegen Ende des Films für einen kurzen Moment sein Lächeln wiederfinden darf, begegnet der Regisseur selbst den schwersten Zeiten mit einem Lachen, das die Tränen so schnell wieder trocknet, wie sie zuvor geflossen sind. Ein Kunststück und dabei nur eine kleine Facette dieses an Kunststücken reichen Meisterwerks.
Ziemlich genau 22 Minuten dauert es, bis in Dennis Haucks „Too Late“ der erste Schnitt erfolgt. Nach dieser Dauer ist die 35-mm-Filmrolle, auf welcher der Streifen gedreht wurde, aufgebraucht und es folgt das nächste, erneut 22-minütige Segment. Aus insgesamt fünf dieser Passagen besteht der Film des Regisseurs, der sich für sein Debüt ein gewagtes Konzept ausgedacht hat, für das er jedes der einzelnen Segmente als Plansequenz inszeniert, wobei die eigentliche Handlung zusätzlich unchronologisch durch die Zeit springt.
„Too Late“ verkommt dabei jedoch nicht einfach zum bloßen Gimmick-Film, denn die Kamera von Bill Fernandez diktiert das Geschehen ebenso präzise wie stilsicher durch eine Art L.A.-Neo-Noir-Irrgarten, durch den sich der Privatermittler Sampson mit ruheloser Getriebenheit auf einen persönlich motivierten Rachefeldzug begibt, dessen Hintergründe erst ganz am Ende ein schlüssiges, tragisches Bild ergeben. Zu Beginn mag das alles durchaus Fragen aufwerfen, denn die lakonisch aufgeladenen Meta-Dialoge, in denen zwei Drogendealer über filmische Ebenen diskutieren, klingen in den Ohren wie Störfaktoren, die glücklicherweise nur einen sehr kleinen Teil des Gesamtwerks einnehmen.
Sobald sich Haucks auf die eigentliche Geschichte konzentriert, entwickelt sich „Too Late“ mit zunehmender Laufzeit zu einer melancholischen Reise durch abgelegene, heruntergekommene oder verlassene Orte in einer eigentlich glanzvollen Stadt, an denen der Regisseur stereotype Charaktere des Genres nicht nur unironisch ausstellt, sondern darüber hinaus bis auf ihr blankes Inneres entblößt. Wie in alten Zeiten des Film Noir oder des unangepassten, schmuddeligen Bahnhofskinos sind die Frauen in Haucks Film selten komplett bekleidet, während die Männer allesamt kriminelle oder gebrochene Persönlichkeiten sind, die ohne Auswege auf ihr Unheil zusteuern.
Es ist das atmosphärische Geschick, mit dem der Regisseur jedes seiner Settings förmlich zum Glimmen bringt und das „Too Late“ weitaus mehr Bedeutung verleiht als es zunächst den Anschein hat. Der unscheinbare Besuch einer Bar entwickelt sich zum hypnotischen Ereignis, bei dem zwei verlorene Seelen kurzzeitig zueinander finden, eine luxuriöse Villa dient als Schauplatz eines verzweifelten Dramas, an dessen Ende Tränen, Schreie und Schüsse folgen, während das weitläufige Areal eines Autokinos zum Ort der Einsamkeit wird, an dem die große Katharsis nicht nur ausbleibt, sondern in noch tieferer Hoffnungslosigkeit mündet.
Getragen wird die Geschichte von den Wunden der Vergangenheit, die in der Gegenwart zu immer größeren Narben führen, von einem bemerkenswerten John Hawkes, der in der Hauptrolle des Privatermittlers jede Szene dominiert, bis seine rätselhafte Fassade aus unbeholfener Tragikomik und verschlossener Sehnsucht sehr spät, lange nach dem eigentlichen Ende und erst rückblickend eine Bedeutung erhält, die den Film, wie es oft so schön heißt, im Nachhinein in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt.
[...] An Wie ein einziger Tag, der Verfilmung von Sparks‘ erstem veröffentlichten Roman, müssen die üblichen Vorwürfe jedoch zwangsläufig abprallen. Zu ergreifend ist die Geschichte, die er im Roman entwirft und zu effektiv ist die Inszenierung von Regisseur Nick Cassavetes (Call it Love - Alles aus Liebe), der die Vorlage mit mindestens zwei hervorragend besetzten Schauspielern zu filmischem Leben erweckt. [...] Um sich die Verbindung zwischen diesen beiden Erzählebenen zu erschließen, bedarf es keiner umfassend geschulten Seherfahrung im Bereich der Romanzen und Melodramen. Wie ein einziger Tag entfaltet sich viel mehr als klassische Liebesgeschichte, deren Verlauf mehr als vorhersehbar ist, wobei Cassavetes vor allem zu Beginn einprägsame Bilder für ursprünglich abgenutzte Szenarien findet. Wenn Noah Allie zu einem Date förmlich zwingt, indem er sich vor sie an das Riesenrad hängt und droht, in die Tiefe zu stürzen oder die in strikt durchgeplanten Tagesabläufen feststeckende junge Frau aus der Reserve lockt, indem sich beide mitten auf die Straße legen, um die wechselnden Farben der Ampel zu beobachten, ist das Kitsch in seiner pursten Form, welcher durch derlei verspielte Einlagen zu wahrhaft berührender Größe findet. Großen Anteil am Gelingen der Geschichte einer Liebe, die nicht sein soll und sich doch gegen sämtliche Widerstände durchzusetzen weiß, tragen dabei Rachel McAdams (Midnight in Paris) und Ryan Gosling (Drive), denen man jede noch so klischeehafte Gefühlsregung abkauft. Ob es sich dabei um den gemeinsam durchlebten Sommer der Hochgefühle oder erbitterte Streitigkeiten handelt, das Leinwandpaar spielt die jeweiligen Szenen, als ginge es dabei um ihr eigenes Leben. Zum herzzerreißenden Abschluss findet Cassavetes‘ Film jedoch am Ende durch James Garner (Gesprengte Ketten) und Gena Rowlands (Eine Frau unter Einfluß), die der Geschichte von Noah und Allie eine Vollendung verleihen, bei der die Liebe, so wie es manchmal auch im wahren Leben ist, tatsächlich stärker wiegt als sämtliche, nachvollziehbare Konventionen. So wird es Wie ein einziger Tag auf berechtigte Weise gelingen, die Zeit als großer Liebesfilm zu überdauern. Neben den zahlreichen Hasstiraden, die er wohl auf ewig nach sich ziehen wird, dürfte dieser Film auch in Zukunft noch dafür sorgen, dass zwischen Pärchen ein großes Knistern entsteht, Herzen aufleuchten und Tränen vergossen werden. [...]
War „Pitch Perfect“ noch wie der ideale Song, den man gar nicht mehr aus dem Kopf bekommen wollte, wirkt „Pitch Perfect 2“ wie eine Neuinterpretation dieses Songs. Auch wenn es vereinzelten Stellen immer noch gelingt, die gleichen Gefühle beim Zuhörer hervorzurufen, die sich im Zusammenhang mit dem Original einstellen, fehlt in diesem Remix jene Originalität und Einzigartigkeit, wodurch eine eingängige Nummer zum wieder und wieder hören zu einem seltsam befremdlichen Stück Plastik verkommt, das mit seiner verzweifelten Bemühung, selbiges Hitpotential nachzustellen, schnell in Vergessenheit gerät.
Elizabeth Banks, die im Vorgänger zusammen mit John Michael Higgins als Teil eines Kommentatoren-Duos noch mit für die amüsantesten Momente verantwortlich war, hat sich für das Sequel auf den Regiestuhl begeben. Becca und die Bellas sind zurück, um sich als A-Capella-Gruppe weiterhin für ihre Erfolge feiern zu lassen, doch wie auch schon im ersten Teil kommt es zu Beginn des Films zu einem peinlichen Missgeschick, das dem Ruf des Teams schwer zusetzt. Für die Bellas gilt es nun, ihr strahlendes Image wiederherzustellen und sich gegen ihre größten Konkurrenten, die deutsche A-Capella-Gruppe „Das Sound Machine“ zu behaupten.
Während Jason Moore seine ohnehin ironisch überspitzten Figuren im Vorgänger durch ein Setting lotste, das aus energiegeladenem Charisma, augenzwinkernden Klischees, tollpatschigen Fremdscham-Elementen und großen Gefühlen bestand, lenkt Banks den zweiten Teil zu sehr in Richtung einer platten College-Klamotte, in der der Humor überwiegend aus niveaulosen Zoten besteht. Rebel Wilson darf sich auf unangenehme Weise in den Vordergrund spielen, um auf wiederholte Weise Witze auf Kosten ihrer fülligen Statur zu machen und Chrissie Fits dient als spanischer Neuzugang lediglich dazu, rassistisch angehauchte One-Liner zu äußern, deren Wirkung bereits nach dem ersten Mal verpufft. Auch „Das Sound Machine“ strapaziert eher die Nerven, als dass dieser Einfall eines stereotypen Kollektivs mit plumpen Fake-Akzenten für Unterhaltung sorgen könnte.
Neben dem unpassenden, viel zu selten zündenden Humor ist es aber vor allem die musikalische Seele, die „Pitch Perfect 2“ beinahe vollständig fehlt. Bis auf eine gelungene Passage, in der die Bellas und einige andere Wettstreiter zu spontan gewählten Themen performen müssen, was in ein tolles Impro-Battle ausartet, in dem sich die einzelnen Parteien wahlweise bekriegen oder die Bälle zuspielen, wirken die restlichen Auftritte lieblos übereilt und vorschnell abgehandelt. Dabei gelingt es der eigentlichen Geschichte, die nicht nur recht dünn und vorhersehbar ausfällt, sondern ein äußerst unausgegorenes Verhältnis zwischen den Figuren kreiert, nie, den Film abseits der grundsätzlich sympathischen Darsteller, die hier oftmals unterfordert wirken, zu tragen.
Als mäßiger Aufguss eines ehemaligen Erfolgsrezeptes ließe sich dieses Sequel gerade noch so wegschauen, doch was sagt es über den Film als Gesamtwerk aus, wenn nicht eine einzige Szene auch nur annähernd die gleiche Wirkung erzeugt wie Anna Kendricks Vorführung ihres Talents aus dem Vorgänger, in dem sie nur mit einem Becher und ihrer Stimme für staunende Augen und schmelzende Herzen sorgt?
Gefühle sind in Barry Jenkins‘ „Moonlight“ lange Zeit über schwer zu greifen. Es wirkt fast so, als hätte der Regisseur den gesamten Rhythmus seines Films dem Wesen der Hauptfigur angeglichen, wodurch der Tonfall dieses zerbrechlichen Hood-Poems ein ebenso introvertierter wie verschlossener ist. Auf autobiographisch gefärbte Weise erzählt Jenkins vom Leben eines Menschen in drei Akten, doch viel mehr erzählt er von dem, was zwischen dem Offensichtlichen geschieht, was nicht an das äußere Umfeld dringen soll und davon, was unter Umständen auf ewig im Verborgenen verschwiegen werden muss.
Die Geschichte von Chiron beginnt im Kindesalter und zeigt einen Jungen, der sich ständig in Bewegung befindet, auf der Flucht vor Gleichaltrigen, vor seiner Mutter und vor sich selbst. Für das, was den in ärmlichen Verhältnissen im Ghetto von Miami lebenden Chiron beschäftigt, findet dieser selbst kaum Worte und wenn er spricht, dann mit zögernder, verlorener Stimme.
Im zweiten Akt ist aus ihm ein Jugendlicher geworden und eine neue Körperlichkeit hat Einzug in sein Leben gehalten. Die Worte fehlen ihm immer noch, doch die Erfahrungen sind so einschneidend wie nie zuvor, wenn Chiron am Strand zum ersten Mal das erfährt, was ihn schon so lange im Inneren beschäftigt und wonach er sich im Geheimen, ohne es auszusprechen und nur in seinen Gedanken so sehr gesehnt hat. Für diese Form der ungefilterten Intimität muss er jedoch umgehend den Preis zahlen. Es sind Schläge und Tritte, die im Leben von Chiron ein unüberwindbares Bündnis mit schutzloser Selbstoffenbarung eingehen.
Was sich zuvor behutsam wie ein Sozialdrama entfaltet, in dem die üblichen Bausteine wie das Aufwachsen mit einer schwarzen Hautfarbe, durch Zwang unterdrückte Homosexualität und das kaputte Elternhaus mit einer alleinerziehenden, crackabhängigen Mutter Verwendung finden, entwickelt sich spätestens im beeindruckenden dritten Akt schlicht und ergreifend zu einem Film über Identität. Durfte man zuvor einen Jungen und einen Jugendlichen beobachten, deren Entwicklung auf ebenso schlüssige wie erschütternde Weise aufeinander aufbauten, steht im Mittelpunkt des letzten Akts ein Mann, der diese beiden Persönlichkeiten trotz des gewaltigen Erscheinungsbildes auf unverkennbare Weise in sich trägt. Trevante Rhodes spielt Chiron im Erwachsenenalter als drogendealenden Bodybuilder, dessen muskulöser Anblick nie darüber hinwegtäuscht, was für ein Mensch er all die Jahre geblieben ist.
Nach zahlreichen Kunstgriffen, mit denen der Regisseur die Kamera teilweise minutenlang ohne Schnitt um Figuren kreisen, beeindruckende Momente förmlich in Zeitlupe ablaufen oder verschiedenste Lichtquellen in surrealem Glanz erstrahlen lässt, nähert sich Jenkins seinem großen Vorbild im letzten Drittel auf erstaunliche Weise an und kreiert seinen persönlichen Wong-Kar-wai-Moment.
Im Diner, in dem sich zum Ende hin zwei Menschen nach langer Zeit wiederbegegnen, scheint alles um sie herum stillzustehen, werden Blicke zu magischen Fundgruben und ein ganz spezieller Song zur Brücke, auf der für diesen kurzen Augenblick verbunden wird, was immer schon hätte sein können, aber vermutlich nie sein wird. In diesen Minuten wird „Moonlight“ unendlich und Barry Jenkins unsterblich.
Der auf Familienkomödien spezialisierte Regisseur John Hamburg begibt sich in „Why Him?“ abermals auf vertrautes Terrain. Ähnlich wie in „Meet the Parents“, an dem Hamburg als Drehbuchautor beteiligt war und in dem sich der Besuch bei den Schwiegereltern in spe als chaotische Ansammlung katastrophaler Pannen entwickelt, würfelt er die Figurenkonstellation in diesem Film nur geringfügig durcheinander und erzählt die Geschichte eines Familienausflugs über die Weihnachtsfeiertage, bei dem sich der neue Freund der Tochter als überaus spezieller Zeitgenosse entpuppt.
Spätestens bei der Ankunft auf dem prachtvollen Anwesen von Laird nutzt der Regisseur das R-Rating seines Films großspurig aus, denn kaum ein Satz, der aus dem Mund des reichen Videospielentwicklers geschossen kommt, ist für junge oder empfindliche Ohren geeignet. Die Unterschiede zwischen der gutbürgerlichen Mittelschicht, aus der Tochter Stephanie und ihre Familie stammen, sowie dem abgehobenen und zugleich völlig schrägen Lebensstil von Laird, dessen Angestellte vereinzelt mit in seinem riesigen Haus wohnen, während fortschrittlichste Technologien immer wieder für Verwunderung und Überraschungen sorgen, führen schnell zum typischen Konflikt der Generationen und Mentalitäten.
Zwischen obszönen Äußerungen, die zunächst auf fast schon angestrengte Weise unter die Gürtellinie zielen, peinlich berührender und mitunter durchaus witziger Situationskomik sowie unterhaltsam eingestreuten Referenzen auf den Irrsinn des momentanen Zeitgeistes stellt sich die Dynamik zwischen Familienoberhaupt Ned und Laird, dem Albtraum aller Schwiegerväter, als treibender Faktor von „Why Him?“ heraus, wobei die restlichen Figuren und Familienmitglieder eher zu Randnotizen verkommen, die für beiläufige Lacher sorgen dürfen.
Auch wenn der Regisseur den Pegel des Wahnsinns in einigen Szenen gekonnt auf die Spitze treibt und augenzwinkernde Cameos auftauchen lässt, wäre der Streifen ohne seine beiden Hauptdarsteller weitaus weniger reizvoll und kaum mehr als die klassische Komödie für zwischendurch an einem verregneten Sonntagnachmittag. So ist es aber stellenweise ein regelrechtes Vergnügen, wenn man einem schauspielerisch unterforderten Bryan Cranston dabei zusieht, wie sich dieser in seiner Rolle als biederer Familienmensch zwischen Überforderung und Verärgerung einem James Franco geschlagen geben muss, der sich hier fernab von seinen künstlerischen Eigenheiten wie dem Verfilmen sperrigster Faulkner-Romane wieder einmal dem Blödsinn hingibt und mit leicht definierten Brustmuskeln, unzähligen Tattoos, unberechenbaren Slapstick-Aussetzern und seinem unreifen Charme auftrumpft.
Durch die derbe Dauerbefeuerung an simplen Zoten gelingt es Hamburg beinahe, dass sich „Why Him?“ genauso wie Laird aus den Zwängen der Konventionen befreit und ganz nach der Devise, das Leben nicht zu ernst zu nehmen und über sich selbst lachen zu können, eine Alternative zum verklemmten, spießigen Alltag der Flemings erzeugt, mit der man als Zuschauer ebenfalls sympathisieren darf. Dem Film fehlt es auf den letzten Metern jedoch an Mut und Konsequenz, wodurch Hamburg schlussendlich in ärgerliche Besinnlichkeit und süßliche Konfliktlösungen verfällt, bei denen er die Figuren nicht nur in Richtungen dreht, die äußerst falsch erscheinen, sondern grundsätzlich an seichte, bekömmliche Klischees verrät.
Somit ist „Why Him?“ letztlich kaum mehr als kurzzeitig unterhaltsam und ebenso schnell wieder vergessen. Für einen verregneten Sonntagnachmittag geeignet.