OUROBOROS - Kommentare

Alle Kommentare von OUROBOROS

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    Das hat ja lange gedauert, bis ich endlich zu "The Last Kingdom" gefunden habe. "Vikings" interessiert mich eher weniger, weil man Fokus mehr auf der germanischen, römischen und vor allem keltischen Geschichte liegt.

    Die Wikinger sind eher ein Phänomen bei welchem man in der letzten Zeit, in der Geschichtswissenschaft neu darüber nachdenkt, ob man wirklich von einem heterogenen ethnischen Verbund sprechen kann. Scheint es eher ein wirtschaftlicher Verbund gewesen zu sein, der vor allem in den Küstenregionen Skandinaviens im Ostseeraum seinen Ursprung hatte. Ein Stammesverbund von Wikinger unter Rurik hat jedenfalls den Kiewer Rus besiedelt, der Geburtsort Russlands.

    Die Kelten finde ich eben interessant, weil sie die meisten mythologischen Elemente für die Artussage und Nibelungensage liefern, wobei Germanisten davon ausgehen, dass Germanen diese mythologischen Elemente ihren eigenen spärlichen vorgezogen haben. Die Kelten haben nichts aufgeschrieben, weshalb die keltischen Sagen in germanischen Sprachen verschriftlicht wurden. In Irland und Wales haben aber Druiden, die zu christlichen Mönchen konvertiert sind, ebenfalls kleine Mythen und Sagen verschriftlicht.

    Bei "The Last Kingdom" ist sehr schön dargestellt, wie pagane Kulte sich mit christlichen Vorstellungen vermischen. Diese Inkulturation hat überall in Europa stattgefunden. Das Christentum ist in Europa nicht mehr in der Reinform vorhanden, wie es in Jerusalem begründet wurde. Die Römer hatten darauf großen Einfluss und bekämpften solche Heretiker, wie in der Serie im Königreich Cornwall dargestellt, an dem König mit seinem Priester und seiner Schattenkönigin-Zauberin.

    Es gibt interessante Rededuelle zwischen Christen und Paganen, auch werden Zauberduelle angedroht. Schade dass in Staffel 1 noch keines dieser Zauberduelle stattgefunden hat, welche Mönche in Irland und Schottland aufgeschrieben haben. Im 9. Jahrhundert war das Christentum wohl links der Elbe dominierend, ausgenommen die Skandinavier. In der ersten Staffel sind hier die ärgsten Gegner die Dänen, doch auch dort bröckelt der Widerstand. Aber es zeigt sich real-historisch, dass wie auch bei Chlodwig die Konvertierung zum Christentum eher ein machtpolitischer Akt war um Bündnisse einzugehen. Ich weiß nicht ob man so hart um Polytheismus und Monotheismus gestritten hat.

    Aber am Ende war es wohl auch immer "Mein Gott hat den Längsten".

    Die übertriebene Frömmigkeit und Eiferei bei Christen scheint mir aber realistisch getroffen zu sein. Gibt es da ja heute noch Gruppierungen, die auf dem Entwicklungslevel stehen geblieben sind, den man kurz zusammenfassen kann mit "Glauben überwindet alles". Mir ist Glauben wichtig, natürlich muss man in guter Erwartung sein, um das Beste herauszuholen, aber das "Glauben überwindet alles" ist mir zu infantil. "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied" oder wie Jesus am Kreuz sagt "Hilf dir selbst" ... "Dann hilft dir Gott".

    Der erste Auftritt von Isolde (Charlie Murphy) hat bei mir krass eingeschlagen. Ich habe diese Szene als sehr stark empfunden. Insgesamt gibt die Serie viele qualitativ hochwertige Dialoge her, die mich an "Game of Thrones" erinnern. Auf dem Niveau ist man locker, aber "Game of Thrones" hat eben die größere Welt zu bieten und die aufwendigeren Kulissen. Wenn ich "The Last Kingdom" diese Punkte als nicht gegeben kann für das visuelle Aufwendige, müsste ich sie aber geben für das realistisch historische Setting. Das alte Römerkastell in Winchester wirkt farblos und grau, könnte mal eine Renovierung vertragen. Sicher hat es unter den römischen Erbauern besser ausgesehen. Aber die Germanen waren eben nicht so kunstfertig wie die Römer und Kelten. Schön finde ich es deshalb, dass man das auch bei der Ausstattung des Britannierkönig sehen kann. Die keltische Kreuzreliquie aus seinem Thronschatz und der wertschätzende Kommentar des angel-sächsischen Bischofs sprechen Bände.

    Dankbar bin ich den Machern der Serie für die musikalische Untermalung durch Eivør Pálsdóttir. Hier gibt es ein Video mit ihrer Musik, aufgenommen Live auf der Alm eines Fjords. Wow was für eine Optik und was für ein Sound...

    https://www.youtube.com/watch?v=wsl-KHGe4Kk

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    • 8

      Das Budget für diese Märchenadaption war sicher gering, aber real-historische sowie surreale Elemente, eine bedrohliche Atmosphäre und die Angst der Kinder machen für mich dieses kleine Werk viel größer. Die Inszenierung gleicht einem Fiebertraum. Das ist meine filmische Lieblingsversion des Märchens.

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      • 9

        "Arthus Gesetz" - biedere deutsche Schauspieler in völlig untypischen Rollen und vom Humor Richtung Fargo.

        Endlich gibt es die Serie auch woanders, als bei magenta-TV, nämlich bei AMAZON freevee, also kostenlos.

        https://www.amazon.de/Arthurs-Gesetz-Staffel-1/dp/B07P6XK5C8

        Arthur Ahnepol fühlt sich vom Leben betrogen, will ihm nichts gelingen, glaubt er zudem dass er besonders schlau ist. Aber eigentlich ist er ein Volltrottel, wie er im Buche steht. Arthurs Frau ist kaufsüchtig und damit er ihre Einkäufe weiter finanziert, verlangt sie von ihm, dass er einen Arbeitsunfall vortäuscht, bei welchem er sich seine Hand absägt, damit sie die Versicherungssumme kassieren können. Leider hat die Überwachungskamera im Betrieb alles mitgefilmt.

        Arthur ist nun auch noch arbeitslos. Frustriert nach einem Besuch bei der Sachbearbeiterin im Jobcenter betritt er die gegenüberliegende Kneipe. Eine Prostituierte nimmt sich ihm an, natürlich nichtsahnend, dass Arthur nichts zu holen ist. Aber irgendwie hat es gefunkt zwischen den beiden depressiven Charakteren. Das bleibt nicht ohne Folgen, denn der Zuhälter bekommt Wind davon und erscheint bei ihm zuhause. Damit beginnt das Unheil, wobei sich die Probleme multiplizieren und sogar potenzieren, mit der Folge, dass zu einer Serie von betrüblichen Sterbefällen kommt.

        ARTHURS GESETZ könnte man sicher als den besten deutschen Versuch bezeichnen den Coen-Brothers Humor aus FARGO auf deutsche Verhältnisse zu übertragen: Schwarzer Humor und Situationskomik. Dazu hat man eine originell deutsche Heimat-Erzählung gestrickt, welche Stereotypen und Klischees treffend persifliert und von skurrilen Charakteren und grotesken Szenen nur so überbordet. Sogar Nora Tschirner schießt hier den Vogel ab mit ihrer Performance und auch Liefers habe ich so noch nie gesehen. Hier gibt es wirklich hammerharte schräge Szenen, die einen unvorbereitet erwischen wie ein Nackenschlag und die Dramaturgie ist abartig aberwitzig bis zur letzten Szene.

        Es ist zu Schade, dass die Serie ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Filmlandschaft darstellt. Coen Brothers-Freunde sollten unbedingt einen Blick riskieren.

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        • 7

          Ein wenig auf den Pfaden von "Black Mirror" ist "K.I. - Die letzte Erfindung" unterwegs.

          Die Protagonisten dieses kleinen Filmes leben einem futuristischen Berlin. Die Kulissen sind hier ansprechend gelungen. Selbstfahrende Autos, Auto freie Innenstädte gehören zur Selbstverständlichkeit, nur ein paar Drohnen stören die Ruhe. Aktuelle Nachrichten berichten von einem Vorfall, bei welchem eine K.I. auf einer hawaiianischen Insel alle Menschen getötet hat. Die K.I. sollt eigentlich ein Vakzin finden um Bienen zu schützen. Das Ziel wurde erreicht, aber für Menschen war es leider tödlich.

          In Berlin ist man derweil besorgt in einem Unternehmen, das an einer K.I. arbeitet, wobei der Leiter gänzlich unbesorgt ist. Er kündigt an, dass diese K.I. die letzte menschliche Erfindung sein wird - weil sie von nun anstelle des Menschen erfindet. Das ist aber - wie im Titel des Films - sehr zweideutig.

          Unter anderem geht es darum, dass Jugendliche keine Job-Perspektiven mehr haben, weil sie sich nicht mehr selbst verwirklichen können. K.I. schreiben Romane, komponieren Musik, erzeugen von Fotografien und Filmen. Wer braucht da noch einen Menschen mit seiner Kreativkraft. Eine Spieleentwicklerin für VR und AR Anwendungen erfährt, dass man mit Data Mining mehr verdient als mit den Spielen. Ihr Freund will sich einen Chip einsetzen lassen mit dem er Zugriff auf alles Informationsquellen im Internet hat. Der Entwickler verspricht, dass man ab sofort alles automatisch weiß, als wäre es der eigene Gedanke. Träume lassen sich auch aufzeichnen und ansehen. Hier ist die Forschung heute schon soweit, dass sie Träume aufzeichnen können, aber die Bildqualität ist noch sehr schlecht. Dann gibt es noch eine Mitarbeiterin in der K.I. Entwicklung, deren Vater an ALS erkrankt ist. Sie erhofft sich vom Supercomputer Infos, die ihr helfen könnten.

          Immer wieder wird der Film unterbrochen und Kommentare von Wissenschaftlern eingespielt. Okay, dieser ZDF-Fernsehfilm ist weder "Blade Runner" noch "Ghost in the Shell" oder "Johnny Mnemonic", doch dafür ist er gefüllt mit einigen kritischen Zukunftsvorausschauen und Fragestellungen.

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          • 9

            "Wer die Welt nicht von Kind auf gewohnt wäre, müsste über ihr den Verstand verlieren. Das Wunder eines einziges Baumes würde genügen ihn zu vernichten"

            - Christian Morgenstern

            Im Rahmen der Projektwoche "Bildung Nachhaltigkeit und Entwicklung" war ich mit der Grundschulklasse im Film "Die Eiche - Mein zuhause".

            Eine mehrhundertjährige Eiche bildet den Lebensraum für ein Eichelhäherpärchen, ein Eichhörnchen, eine Mäusefamilie, eine Kolonie Ameisen und Rüsselkäfer. Hin- und weder zu Gast sind eine Äskulapnatter, ein Fuchs, ein Dachs, eine Rotte Wildschweine ein Habicht und eine Eule. Mir war vorher nicht klar, dass eine Eiche so ein abgeschlossener Kosmos ist. So setzt man sich, wenn nötigt gemeinsam gegen die ungebetenen Gäste zur Wehr.

            Das besondere an dem Film sind Tieraufnahmen, die so manches Tier so zeigen, dass manche Emotionen sichtbar werden, wenn man die nötige Empathie besitzt. Besonders die Eichelhäher tun sich hier vor. Am Anfang zanken sie um das Futter und doch sind sie ein Paar. Einer wird von einem Habicht verfolgt. Die Verfolgungsjagd könnte nicht besser inszeniert sein. Bei der Rückkehr ist das Vogelpaar quasi aus dem Häuschen vor Freude. Der Rückkehrer wird sofort gepflegt. Lustig ist auch, wenn der stressige schwer erziehbare Nachwuchs endlich flügge ist, dann nimmt das Eichelhäherpärchen gemeinsam eine Auszeit und setzen sich auf einen weit entfernten Ast und beobachten ihre Brut. Dabei wirken sie, als wäre sie erleichtert, dass sie endlich von dem Fluch der Brutpflege befreit sind.

            Genauso mit Bravour werden auch die anderen Tierschicksale im Jahreskreislauf in Szene gesetzt. So erlebten wir eine Zeit von Spätsommer bis Frühsommer im Reich der Tiere mit. Klingt alles fast so, als wäre es eine Fabel, aber nein ist es ist ein geschickt gefilmter Tierfilm, der zum Beobachten einlädt. Manche Kinder sind allerdings schnell eingeschlafen. Die Aufmerksamkeitsspanne reicht für einen solch langen beschaulichen Film eben nicht aus. Das Bedenken viele Erwachsene eben nicht mit. Besser wäre es, wenn es den Film in 10-minütigen Episoden gäbe oder wenigstens nach Jahreszeiten getrennt.

            Für mich war es ein fesselnder Abenteuerfilm zum staunen. Nur dachte ich, dass am Ende eine Motorsäge das Idyll zerstören würde, zu schön war es.

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            • 9
              OUROBOROS 23.04.2023, 17:51 Geändert 23.04.2023, 18:22

              Auch wenn George Lucas "Star Wars" in meiner Kindheit geboren wurde, war ich nie der große Fan. Irgendwie hatte ich es mehr mit "Star Trek". Aber seit "The Mandalorian" kann ich "Star Wars" genießen.

              Ich weiß noch als es in der ersten Staffel begann, als der Mandalorianer in der Wüste strandet. Das Setting war nicht schnell schnell, sondern es war eine abenteuerlich Atmosphäre, bei der man Zeit hatte sich etwas anzusehen was einem visuell geboten wird. Aber der Langsamkeit steht eine große Schnelligkeit entgegen, so dass die Tempowechsel dem Werk Leben einhauchen, was mir bei "Ringe der Macht" gänzlich zu fehlen scheint. In keiner Minute hat man das Gefühl, dass hier das Timing nicht stimmt, weil man mutwillig Füllstoff brauch um die Minuten einer Episode voll zu kriegen.

              War die Ausstattung der ersten beiden Staffel noch nicht an die Star-Wars-Filme herangekommen, übersteigt die dritte Staffel alles bisher dagewesene, zumindestens einige der letzten Star-Wars-Filme. Gleich drei völlig unterschiedliche Planeten bekommt man zu sehen, brachiale Monster werden aufgefahren, die sogar die Würmer in "Dune" in den Schatten stellen. Nur die Schlachten fallen nicht ganz so episch aus, sind die Scharmützel aber trotzdem eindrucksvoll. Ein Meisterwerk von einem Monumentalfilm ist in 3 Staffeln Serie entstanden.

              Der Kosmos von "Star Wars" gibt gerade mal einen Blick preis auf eine handvoll Planeten und vielleicht auf ein dutzend Spezies und gerade deshalb ist noch soviel Raum, um in weiteren Staffeln von dem Mandalorianer und Grogu zu erzählen.

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              • 8
                OUROBOROS 21.04.2023, 19:01 Geändert 22.04.2023, 16:30

                Abschied von der Zukunft

                "Der Hundertjährige der aus dem Fenster stieg" und mit seiner Demenzkrankenbetreuerin Raffi in den Weiten der Galaxie verschwand heißt Jean-Luc Picard. Er ist Lichtjahre von der Erde unterwegs und dring in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat, um seine pensionierte Crew zu finden.

                Nach dem seltsamen Auftakt in Staffel 1 und meinem Abbruch nach drei Folgen in Staffel 2, wollte ich doch noch einen Blick wagen. Mittlerweile hat sich die Rentner-Crew warmgespielt in Staffel 3 und Picard wirkt nicht mehr so verdaddert und gebrechlich. Ich finde es schön, dass alle noch einmal gefordert werden. Ich habe selbst Senioren begleitet und gemerkt, wie sie wieder aufblühen, wenn sie individuell gefördert werden. Ein Altersheim ist meistens Massenabfertigung, außerdem verstehen sich die schwerhörigen Mitbewohner untereinander gar nicht oder wollen nicht. Also lässt man das Reden.

                Ja es hat ein Abschied gefehlt, war ich nach den letzten TNG Filmen auch nicht mehr so Feuer und Flamme. In Staffel 3 kommt es zwar zu einem brutalen Mash-Up aus den spannendsten Ideen samt Dominion und Borg, einige Original-Momente aus der TNG-Serie werden sogar gezeigt, samt Besuch im Star Trek Schiffsmuseum, so dass ich doch am Ende doch ein paar Tränen kullern. Danke, es war ein ehrwürdiger Abschied. Wegen der letzten Staffel gebe ich eine 8 und die gebe ich als Fan, denn TOS und TNG sind prägende Teile meiner Kindheit und Jugend. Das kommt nicht wieder dafür neue spannende aktuelle Geschichten. Captain Henson ist eine gute Wahl für eine neue Enterprise 1701-G, genauso wie der Sohn von Beverly und Jean Luc als Leutnant unter Seven of Nine. Hier beginnt für mich die Zukunft neu, nicht bei den aufgewärmten Discovery-Strange-New-World-Geschichten aus dem vorletzten Jahrhundert von TNG.

                Mal sehen ob das Erbe von Archer, Kirk, Picard, Cisco und Janeway dieses Mal anständig in eine neue Generation übertragen wird. Ich möchte neue Gesichter, neue Freundschaften, neue Themen, moralische politische religiöse ethisch Fragen von heute, zur Not kann man sich Tipps bei "The Orville"-Erfinder Seth MacFarlane holen.

                Wiedersehen in der Zukunft!

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                  OUROBOROS 19.04.2023, 18:19 Geändert 19.04.2023, 20:36

                  Camille ist Journalistin in St. Louis. Als ihr Geburtsort Wind Gap, Missouri, wo sie ihre Kindheit und Jugend verbrachte, von einer Reihe von Mädchenmorden erschüttert wird, macht sie sich auf den Weg in die alte Heimat, um von den Ermittlungen zu berichten.

                  Gerade angekommen quartiert sie sich in einem Motel ein, nicht ohne literweise Schnaps ins sich hineinzuballern. Im Hotel hält sie es keine 2 Stunden aus. Also fährt sie zu einem Haus, eine Villa aus den Zeiten des amerikanischen Bürgerkrieges, mit Südstaatenflair und französischem Charme. Die ganze Landschaft ist umgeben von wildem Grün, so wie es Mark Twain in seinen Erzählungen beschrieben hat. Wenn man den Mississippi sieht, weiß man, dass er sich von dort in den Süden bis nach New Orleans schlängelt. Es ist bestimmt traumhaft, gibt es ja auch einen Film, wo zwei Kinder mit einem Ruderboot den Mississippi hinunterfahren.

                  Camilles Zustand wirkt sich manchmal auf die Inszenierung aus, wenn sie dösend durch die Welt stapft, manchmal mit Absenzen oder Flashbacks aus ihrer Kindheit und Jugend. Ihre Wasserflasche ist immer dreiviertel voll... mit Vodka, so dass niemand ahnt, was sie für ein Wrack ist. Sie scheint ihre Sucht so kontrollieren zu können, dass es nicht auffällt wieviel sie intus hat, jedenfalls wenn sie arbeitet. In der Freizeit springen dann irgendwann die Sicherungen raus.

                  Schon die Eingangssequenz der Serie führt zu dieser Villa. War es im Intro bloß ein Albtraum, erfahren wir jetzt, dass es diese Villa ist. Eine ältere Dame von Welt tritt Camille entgegen. Es handelt sich um Camilles Mutter Adora. Sie ist eine äußerst unangenehme Person. Sobald Camille anderer Meinung ist, reagiert ihre Mutter cholerisch und hysterisch, dass es sie krank mache, so dass man am liebsten klein bei geben würde, so ein Terror ist es. Ihr Ehemann steht unter ihrem Schlappen, er beschäftigt sich auch lieber damit den DJ zu spielen mit Klassik und Südstaaten-Chansons. Unter anderem habe ich Max Richter gehört und "Nuvole Bianche" von Ludovico Einaudi. Dazu reichen sich die Rentner Cocktails am Stück, als wären sie auf einem Kreuzfahrtschiff.

                  Im Haus lebt auch Camilles jüngere Schwester Amma. Sie ist kränklich, bettlägerig und wird von Mutter Adora ständig umsorgt. Das kleinste Wehwehchen ist Adora wichtig. Irgendwie scheint Amma viel zu überbehütet für ein Teenie und viel zu überpflegt, wenn man den Ausdruck überhaupt benutzten kann. Ich finde die Mutter äußerst seltsam und die ganze Situation mit Amma auch. Sie sitzt den ganzen Tag zuhause und spielt mit einem Puppenhaus, welches den detailgetreuen Miniatur-Nachbau ihres gemeinsamen Elternhauses darstellt.

                  Aber es stellt sich schnell heraus, dass Amma es faustdick hinter den Ohren hat, denn sie schleicht sich nachts aus dem Haus und streift dann nicht nur ihr brav-sittliches Hausoutfit ab. Camille stellt das schnell fest, als sie abends durch die Bars tourt, um sich wieder einmal ins Koma zu saufen.

                  "Sharp Objects" ist ein Slow-Burner, ähnlich wie viele nordische Krimis, hat man aber den Eindruck es spielt im Dschungel. Es ist heiß, ständig will man Cocktails on Ice schlurfen und hofft, dass die Klimaanlage bloß nicht ausfällt. Manchmal hat das Tempo etwas von den Hundstagen. Camille selbst hört elektronische Musik, Minimal und Loungemusik, gediegene Chillout Sounds. Jede Episode beginnt mit chilligen Klängen. Es ist wie ein Aufwachen aus dem Rausch. Ich ließ das Intro deshalb jedes mal gerne über mich ergehen.

                  Was den Kriminalfall betrifft, wurde ein Ermittler aus St. Louis in den Ort zugezogen. Camille trifft gleich auf ihn. Er ist der Einzige in diesem idyllischen Loch, der Großstadt-Erfahrung hat, weshalb er ihr schon mal sympathisch ist. Ich kenne das auch. Von der Großstadt in der ich wohne bis aufs Land sind es 15 Kilometer und dann ist auch wirklich im Radius von 70 Kilometern nur Provinz, weil sich alle Städte entlang der Saar ziehen. Manche Landbewohner haben regelrecht Angst auf Städter zu treffen. Schon meine Mutter meint immer "Oh je was in der Stadt für Sachen passieren und mit Auto trau ich mich da auch nicht mehr hin zu fahren". Der Vater eines Studienkollegen meinte mal ganz stolz "Ja, mein Großer wohnt jetzt in der Stadt", hat er selbst immer nur im Dorf gewohnt.

                  In jedem Fall kann ich also Camilles Ablehnung gegen ihre Heimat verstehen, wenn sie die Chance nutzt gleich schon beim Erblicken alter Klassenkamerad:innen rechtzeitig mit einem Winken wieder abzudrehen. Aber warum sollte man das Ganze nicht als Urlaub betrachten. Das genieße ich an Weihnachten bei meinen Eltern auch immer. Sie wohnen eben auch idyllisch im Mittelgebirge, da kommen weiße Weihnachten ab und zu sogar vor. Man trifft dann auf dem Weihnachtsmarkt auch immer Leute von früher, die alle so traditionelle Jobs haben, weshalb sie sich umgekehrt wundern, was man so in der großen weiten Welt der Stadt so arbeitet. Man wird dann behandelt als sei man ein Abenteuer auf großer Fahrt gewesen.

                  Aber nicht nur das erlebt Camille, sondern sie hat auch Erinnerungen, die wirklich tragisch sind, die auf eine verschnörkelte völlig indirekte Art vielleicht sogar mit den Mädchenmorden verbunden sind. Wahre Traumata werden wach, woraus eine wirklich schlimme traurige Geschichte um Camille herum gehoben wird. Bis zum Ende hat man Mühe all die Teile zusammenzusetzen, doch je mehr man erfährt, desto besser versteht man die Dysfunktionalität mehrerer Charaktere und die Leiden der Protagonistin. Selten war ich so still im Mitleiden und habe mir soviel Gedanken gemacht, wie zerbrochen ich an dieser Stelle sein würde.

                  Es hat mich Sitzfleisch gekostet. Nach den ersten beiden Episoden habe ich zunächst 5 Staffeln "Yellowstone" erstgesichtet, aber dann hat mich "Sharp Objects" gerufen, immer wieder und ich habe zwei weitere Episoden gesehen. Ich bin eingeschlafen, aber ich habe mit diesem Sound der Südstaaten-Fauna gut geschlafen und gedöst. Ich hab mich praktisch in die Stimmung versetzt. Ich habe immer wieder neu angesetzt, was ich verpasst habe nachgeholt und immer wieder hat mich "Sharp Objects" gerufen oder war es Amy Adams, die ich so gerne ansehe. Ich muss unentwegt auf ihre Nasenspitze starren, die für mich mit Augen und Mund eine wunderschöne Komposition ergeben.

                  Schließlich habe ich heute die letzten beiden Episoden gesehen und ich habe es im Gesamten genossen.

                  Das ist nichts für jedermann oder jederfrau, aber es war irgendwie besonders. Ich bin dann auch trotzdem noch verwundert, dass die Serie unter meinen MPs, dann doch mit einer stabilen 8 von 10 abschneidet. Das ist hoch!

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                  • 7 .5
                    OUROBOROS 16.04.2023, 16:40 Geändert 16.04.2023, 16:46

                    Skurrile Serie aus dem Saarland, nach Art der Coen-Brothers. Drei Waldarbeiter aus Saarbrücken finden Drogengeld in einem Koffer, was sie in Hildes Kneipe investieren. Hilde ist die Frau von Heinz Becker. (der spielt aber nicht mit). Die Gangsterbande aus dem deutschen Ausland lässt nicht lange auf sich warten.

                    Ich muss sagen, dass der Humor dann doch ankommt, wenn auch nicht jeder Schauspieler immer hochklassig ist. Dafür gibt es mindestens 5 Schauspieler, die Meister ihres Fachs sind. Auch einer der dümmlichen saarländischen Polizisten aus der Serie "Recht & Ordnung" ist dabei.

                    Leider kann man die Serie nirgendwo mehr streamen. Deshalb gibt es hier eine Version von "Breaking Bad" auf saarländisch mit den zwei Polizisten Recht & Ordnung.

                    Untertitel "Saarländisch-Deutsch" verfügbar.

                    https://www.youtube.com/watch?v=dYPIRMfbo1s

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                    • 6 .5
                      OUROBOROS 16.04.2023, 16:04 Geändert 17.04.2023, 11:44
                      über Sharper

                      Die finale Wendung hat mir deshalb nicht gefallen, weil alles so danach aussah, dass man sich ein völlig anderes Ende überlegt hat und dann die fehlenden Teile einfach in einer Rückblende nachträglich ergänzt hat, damit es stimmig ist.

                      Natürlich kann man dann alles weglassen, was vorher schon Zweifel schürt, damit man wirklich ahnungslos ist, aber das ist dann kein natürlicher Verlauf. Der Plot ist mir im Finale leider zu Reißbrett mäßig geplant, da fühle ich mich veräppelt. Ein Inszenierung ist klüger, wenn jemand nach einem Film sagen und es beweisen kann "Da hast du was übersehen". Hier gibt es nichts zu übersehen.

                      Deshalb wird man auch bei einem zweiten Durchlauf keine Stellen entdecken, wo man es hätte vorher schon ahnen können. Der Rückschaueffekt sorgt natürlich dafür, dass man das gerne verdrängt und sich einredet "Ich habe es vorher schon gewusst". Selbst wenn, war das kein Wissen sondern Glück aus einer wahrscheinlichen Auswahl an Ende die richtige gefunden zu haben.

                      Schön wenn der Trick "In der Rückblende zeigen wir was wirklich passiert ist" bei anderen funktioniert hat. Da fand ich den Trick bei "Haus des Geldes" oder bei "Better Call Saul" wesentlich besser umgesetzt.

                      Bis zur letzten Wendung ist der Film aber interessant und unterhaltsam, durch seine Wendungen, die Schauspieler klasse, solche Zwischenszenen mit blühenden Kirschbäumen und anderen Szenenbilder waren ein Genuss. Die Musik war nicht von der Stange, das hat mir gefallen.

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                      • 6 .5
                        OUROBOROS 16.04.2023, 15:32 Geändert 17.04.2023, 11:46

                        Die Frau eines Freundes ist wegen so einer Präeklampsie bei der Geburt der Zwillinge gestorben. Er steht jetzt mit beiden Kindern alleine im Leben.

                        In diesem Film ist es ebenfalls eine Präeklampsie, die zur Fehlgeburt führt, nur dass die Mutter überlebt. Vor der Geburt fällt sie in Ohnmacht, danach wird sie wach und sucht nach ihrem Kind. Als sie realisiert, dass es bei der Geburt gestorben ist, versucht sie den Verlust zu verarbeiten.

                        [SPOILER]

                        Von ihrem Umfeld kann sie keine Hilfe erwarten, scheinen sämtliche Personen hier ahnungslos empathielos und dumm, macht sie auch einen stabilen Eindruck. Zunächst heißt es, dass ihr Freund sie verlassen habe, wegen der Schwangerschaft. Doch dann rettet er sie aus einer Situation, als sie beginnt sich im Wahn selbst zu verletzen, nur um sie im nächsten Moment sexuell missbrauchen zu wollen. Das stupide Unverständnis ist so krass, dass man es nicht glauben möchte. Leider kommt sowas oft genug vor.

                        Doch das ist so eine Sache mit post-natalen Depression, welche durch Hormonschwankungen nach der Schwangerschaft ausgelöst werden kann. Dabei treten Stimmungstiefen, Ängste, Zwänge oder auch körperliche Beschwerden auf. Zudem plagen betroffene Mütter oft große Schuldgefühle, vor allem gegenüber dem Baby. Was das mit einer Frau macht, die zudem eine Fehlgeburt hat, kann man hier sehen.

                        Fazit

                        Für einen Kurzfilm präsentiert der Film seine Informationen sehr dicht, ist er auch gut inszeniert, doch ohne Hintergrundwissen, kann man ihn nicht gut verstehen. Ich schätze, dass Menschen mit wenig Wissen darüber, wie Geburten und das danach verlaufen kann, hier auch nichts verstehen. Die Möglichkeit das Trauma zu verarbeiten in dem man einen Erfahrungsbericht schreibt bzw. Buch halte ich schon für geeignet, aber wenn es verfilmt wird in einem 20-Minüter, dann finde ich, dass man den Adressaten schon mehr Wissen vermitteln sollte, damit sie die Situation verstehen und vorbereitet sind.

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                        • 7 .5
                          OUROBOROS 15.04.2023, 14:57 Geändert 15.04.2023, 14:58

                          Eine Grizzly Bärin findet eine Ladung Kokain, die aus einem Flugzeug über der Wildnis abgeworfen wurde. Nach dem ersten Kick flippt sie total aus und ist sofort abhängig. Nun tut sie alles für die Beschaffung der Droge. Fast hätte ich mit 8 Punkten gewertet, denn es gab so viele urkomische Situationen in welchen ich laut auflachen musste. Nach und nach werden Wanderer angefressen und aufgefressen, nichts ist vor der hyperaktiven Bärin sicher. Die Zerfleischungsszenen werden zwar immer drastischer und auch hier musste ich lachen. Hier ist natürlich kaum etwas realistisch, die CGI schlecht, aber dafür komisch. Koksende Kinder, dumme Gangster, eine Parkrangerin die immer daneben zielt, schwarzer und aberwitziger Humor dazu, habe ich gerne gesehen.

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                          • 9
                            OUROBOROS 13.04.2023, 20:11 Geändert 13.04.2023, 20:21

                            In “The Plot Against America” ist eine von HBO adaptierte Miniserie. Sie basiert weitestgehend auf der gleichnamigen Novelle von Philip Roth und erzählt eine alternative Geschichte der USA.

                            Hier zu lesen bei passion-of-arts:

                            https://passion-of-arts.de/wie-die-usa-fast-einmal-zu-einer-faschistischen-diktatur-wurde/

                            Oder meiner website:

                            https://oliversiegemund.wixsite.com/dersiegemundschreibt/post/wie-die-usa-fast-einmal-zu-einer-faschistischen-diktatur-wurde

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                              OUROBOROS 12.04.2023, 15:45 Geändert 12.04.2023, 15:47

                              Hat mir eigentlich gefallen die Idee, dass Humanoide auf der Erde vor 65 Millionen Jahren gestrandet sind. Ist ja nicht unmöglich, dass es eine Zivilisation weit vor unserer Zeit mal auf unseren Planeten verschlagen hat, die uns weit voraus war und jetzt wieder weit weg von und ist und uns selbst in der Zukunft gleicht. Die zwei Protagonisten sind mir ans Herz gewachsen, Ariana Greenblatt ist ziemlich niedlich. Spannend inszeniert ist es auch, aber mir war die Fauna dann doch etwas langweilig. Hätte ich gerne ein paar Rieseninsekten gesehen wie eine Riesenlibelle oder Riesenwespe. Da hatte ja Jacksons "King Kong" einiges mehr zu bieten.

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                                OUROBOROS 10.04.2023, 18:14 Geändert 10.04.2023, 20:07

                                Unterhaltsame kafkaeske Erzählung mit zwei prächtig aufgelegten Darstellern Sam Neil und Christoph Walz.

                                Wenn man ganze Serien-Universen gewohnt ist und falls sie gefüllt wurden, dann kommt einem ein 120-Minüter so vor, als hätte man Potenzial verschenkt. Sicher wäre noch mehr drin gewesen, aber dann bräuchte es eben eine Serie. Und dies wäre eine mittelstarke Episode davon. Wenn man das Gefühl hat, es wäre besser eine Serie, dann war der Film wohl gut genug, wenn man eigentlich mehr davon sehen will.

                                Nach meiner Meinung laufen Serien zunehmend Filmen den Rang ab, weil sie qualitativ vom technischen und schauspielerischen Aufwand nicht mehr von Filmen zu unterscheiden sind. So funktionieren Filme meist auch nur noch im Mehrteilern. Das fing mit "Herr der Ringe" an, spiegelt sich im ganzen Superhelden-Kosmos und Star Wars Serien wieder und setzt sich mit "Dune - Teil 1" fort.

                                Bestimmt gibt es noch Filme, die in 90 Minuten etwas zu erzählen haben, aber eine gute Serie verhält sich zu einem Film wie ein Comic-Heft zu einem dicken Roman-Wälzer. Ein Comic kann die Dichte eines dicken Wälzers potenziell nicht erreichen.

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                                  „Lars und die Frauen“ habe ich anfänglich sehr kritisch angesehen, denn Ryan Gosling in einer solchen Rolle zu sehen, hat mich doch etwas aus meiner Komfortzone herausgezogen. Schließlich bemerkte ich, dass er eine außergewöhnliche Rolle spielt.

                                  Am Anfang habe ich deutlich eine psychische Krankheit oder Störung in Richtung Asperger oder eine Wahnvorstellung erkennen wollen, doch dann zeigt sich, dass es sich hier nur scheinbar eine psychologische Thematik handelt, denn immer deutlicher wird es, dass es sich hier um eine moralische Parabel über eine soziale Utopie handelt.

                                  Die Geschichte psychologisch zu betrachten macht kaum Sinn. Wenn man hier die psychologische Brille aufsetzt sieht man nur dunkle Nacht. In der Geschichte steckt Soziologie und am meisten Ethik, denn es geht darum zu erkennen, dass hier eine Vision von einer Gesellschaft gezeigt wird, die sich kümmert, die sich empathisch und wertschätzend verhält und dass dadurch alle Menschen, gleich wie abnorm sie sind - sofern sie friedlich sind und rücksichtsvoll verhalten - Teilhabe an der Gesellschaft erhalten.

                                  Es gibt Anteile des Märchens, doch die Gesellschaft verhält sich untypisch utopisch, d. h. sie verhält sich aus meiner Sicht wünschenswert. Es ist eine Gesellschaftsutopie und das sind Märchen eigentlich nicht. Wer will da widersprechen, dass es sich nicht lohnt dafür zu werben und zu zeigen wie ein positives Verhalten aussehen könnte? Wäre es nicht unfair, die guten Absichten der Geschichte zu zerstören? Es ist nicht realistisch okay, aber danach zu streben ist sicherlich vernünftiger als zum Gegenteil zu streben oder nicht? Kann das gute Beispiel nicht Anreiz sein?

                                  Das positive Verhalten der Gesellschaft hat Konsequenzen, denn dadurch wird Lars ein Mitglied der Dorfgemeinschaft, wo er vorher ein Außenseiter war. Die Ärztin hilft entscheidend dabei mit, dass die Puppe Bianca genauso in die Gesellschaft eingebunden wird, was Voraussetzung dafür ist, dass Lars motiviert ist. Bianca wird somit – kurioses – Mittel zum Zweck um eigentlich Lars zu integrieren. Es gibt also schon einen therapeutischen Akt durch die Anleitung der Ärztin, die zusätzlich daran arbeitet, dass Lars körperliche Nähe zulässt. Es ist völlig egal, was der Grund dafür ist. Der Grund wird meiner Meinung nach zur angedeutet, eventuell weil Lars‘ Mutter bei seiner Geburt gestorben ist. In jedem Fall ist sein Verhalten zwar friedlich in der Gesellschaft, doch niemand kann akzeptieren, dass er so ein Außenseiter bleiben will.

                                  Schließlich sucht er sich durch diese Fantasiebeziehung Erfahrungen, die wie eine Simulation wirken. Tatsächlich wächst er an der Fantasiebeziehung und macht eine sozial-emotionale Entwicklung durch, die ihm einen Weg zu einer Bestimmung zeigt, bei der er eine lebendige Liebe finden kann. Er hat schon vieles was Beziehungsfähigkeit ausmacht, aber was er lernt ist, dass seine Geliebte im wahrsten Sinne des Wortes einen eigenen Kopf hat – was die Gesellschaft für die Puppe übernimmt. So kann er mit ihr nicht tun und lassen was er will. Die Behandlung der Ärztin zeigt auch Erfolg, denn der erste Mensch, dem er die Hand gibt ist Margo, eine Frau, die auch etwas abnorm ist.

                                  Was mir besonders gut gefällt ist das Thema „Treue“. Es kommt der Moment, wo er die Puppe Bianca nicht mehr lieben kann, weil er Liebe für Margo entwickelt. Man könnte Lars vorwerfen, dass er sich ausdenkt, dass Bianca ihn nicht liebt und objektiv redet er sie tot und ertränkt sie, doch hier muss man die Fiktion eben rechtzeitig aufgeben.

                                  Ich weiß, das verlangt viel Vorstellungskraft und Bereitschaft aus einer fiktiven Parabel ethische Erkenntnisse zu synthetisieren, aber dadurch eröffnen sich neue Erkenntnisse. Als Lars nämlich noch mit Bianca zusammen ist, sichert Margo ihm zu, dass sie seine Traue zu Bianca akzeptiert und nichts tun wird, um das zu gefährden. Das ist ein sehr starker Moment, denn ich sehr ehre, weil ich ihn auch in meinen Moralkodex habe. Das macht die Partnersuche nicht immer leicht. Es gibt wenige Dinge, die ich aus meiner christlich katholischen Erziehung strenger einhalte als treu zu sein und Untreue anderer nicht zu fördern.

                                  Ich sehe es aber nicht unbedingt als nur christlich-moralischen Wert, sondern ich sehe ihn als moralisch universell sinnstiftend. Ich würde niemals mit einer Frau etwas Körperliches eingehen oder ihr Liebe gestehen, sobald ich weiß, dass sie einen Partner hat. Ich habe sooft beobachtet, wie das missachtet wurde und Beziehung ohne Grenzen vermischt wurden mit dem typischen „fremdgehen“ und wie das andere verletzt hat, wie daraus Wut und Gewalt entstand, aber auch wie jene in der Entwicklung stehengeblieben sind, weil sie es nicht gelernt haben, eine Trennung zu vollenden und diese zeit auszuhalten, selbstbewusst alleine zu stehen. Ihr Mangel an Selbstwertgefühl und die Angst vor Trennung führt dazu, dass sie es nicht schaffen sauber zu trennen und der ständige Mangel an Selbstwertgefühl überträgt sich negativ auf jede Beziehung.

                                  Die universelle Spirituelle Dimension des Films ist selten, denn auch wenn da eine katholische Dorfgemeinschaft ist, hat das alles wenig mit den Dogmen des Christentums zu tun, sondern einfach mit Nächstenliebe als universellem Wert. Man wird also nicht mit amerikanischen frömmelnden bigotten Evangelikalen belästigt, aber auch nicht mit genuin katholischen Werten.

                                  Auf der anderen Seite kann man den Film größtenteils schwerlich als Lehrstück für Liebende bezeichnen, weil er nicht realistisch ist, wenn da nicht der für mich wichtige Aspekt der korrekt ausgeführten sauberen Trennung wäre. So nehme ich den Film in meine Liste „Alles Reden über Liebe ist wie Tanzen über Architektur“ auf, weil dieser eine Punkt Gesprächsstoff für Liebende sein kann.

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                                    OUROBOROS 08.04.2023, 19:48 Geändert 08.04.2023, 19:59
                                    über Precht

                                    Als Fan der Sendung habe ich schon dutzende Folgen gesehen, aber noch nie kommentiert. So werde ich in Zukunft hier regelmäßig Stellung nehmen zu Themen der Sendung.

                                    Heute beginne ich mit der Sendung:

                                    "Die multipolare Welt - neue Rollen, neue Konflikte"

                                    Precht im Gespräch mit dem Kulturhistoriker Pankaj Mishra.
                                    Er präsentiert 3 Thesen.

                                    THESE 1: Die Welt wandelt sich von einer vom Westen dominierten Welt?

                                    GEGENTHESE 1: Der Westen war nicht immer "der Westen", denn vor 1945 hat der Westen eine tausendjährige Geschichte der Kriege gegeneinander.

                                    THESE 2: Der Westen ist ein nicht mehr ganz so stimmiges Gebilde geworden.

                                    GEGENTHESE 2: Der Westen war noch nie ein stimmiges Gebilde. Das ist ein Missverständnis. Erst nach dem zweiten Weltkrieg hat der Westen angefangen mit der Globalisierung und mit der Harmonisierung, weshalb es dankenswerter Weise keinen 3. Weltkrieg gab, denn 2. Weltkrieg und alle davor, waren hauptsächlich Kriege innerhalb des Westens. Es ist aber auch kein Verfall des Westens zusehen nachdem versucht wurde mittels der EU oder der NATO Stabilität hineinzubringen. Die EU und die NATO sind eher gewachsen. Sie vereinen Kulturen, die kulturelle Gemeinsamkeiten haben, aber eher eine feindliche Vergangenheit und auch kulturelle Unterschiede. Es gibt im Westen keine Sprache die von oben herab als die einzige Sprache festgelegt wird, im Gegensatz zu China und Russland.

                                    THESE 3: Der Westen verfällt nun.

                                    Zitat von MISHRA:

                                    "Über 200 Jahre lang haben die drei Länder USA, UK und Frankreich verschiedene Teil der Welt in Besitz gehalten. Dabei bauten sie sich starke Volkswirtschaften auf, denn sie herrschten über Rohstoffe. Und sie hatten Zugriff auf billig Arbeitskräfte, oft mit moralisch verwerflichen Methoden, wie etwa die Sklavenhaltung.

                                    Dieses Zeitalter <<Die Welt des weißen Mannes>> ist vorbei. Als weißer Mann war man in Afrika und Asien Herr über alles was einem unterstand. Diese Epoche ist beendet.

                                    China, Indonesien und Indien begannen sich von den westlichen Herrschern loszulösen"

                                    Soweit Pankraj Mishra.

                                    GEGENTHESE 3: Das haben China, Indonesien und Indien aber nicht selbst ganz alleine geschafft, sondern der aufgeklärte Westen hat Menschenrechte eingeführt, der es ihm selbst untersagte Menschen auf diese Art wie Tiere zu unterwerfen. China, Russland und die Arabischen Staaten tun das nicht, sie teilen die Menschenrechte nicht.

                                    Wenn man in der Geschichte wühlt, dann ist es sicher richtig den Kolonialismus bzw. Imperialismus der USA, GB und Frankreichs, aber auch Spanien, Italiens, Hollands und auch Deutschland zu kritisieren.

                                    Auf der anderer Seite unterschlägt man damit den russischen Kolonialismus und Imperialismus. Die russische Kolonisation war ein Prozess der Erschließung oder Eroberung neuer Gebiete beginnend durch das Zarentum oder Kaiserreich Russland. Sie zeichnete sich im Gegensatz zur Kolonisation der meisten anderen europäischen Kolonialmächte dadurch aus, dass sie nicht auf Gebiete in Übersee abzielte, sondern vor allem auf kontinentale Expansion in angrenzenden Gebiete wie Nord- und Zentralasien.

                                    Dies ging oft mit Binnenkolonialismus einher.

                                    Erobert wurde Gebiete der Tataren in Kasan und Astrachan im 16. Jahrhundert. Russland konzentrierte sich dabei auf die Ausbeutung des Pelzhandels. Im Lauf des 18. Jahrhunderts wurde ganz Sibirien kontrolliert. Man begann mit der Ausdehnung nach Alaska. Außerdem wurde versucht die Mandschurei unter Kontrolle zu bringen. Schließlich hat man den Balkan und den Kaukasus erobert. Die Krim wurde von den Osmanen erobert und unterworfen. Als nächstes war Georgien dran. Dann kam Kasachstan. Schließlich wollte Russland Finland und Schweden erobern. Auch Polen wurde im 18. Jahrhundert erobert und die polnische Kultur sollte russifiziert werden.

                                    https://de.wikipedia.org/wiki/Russische_Kolonisation

                                    Bei diesen ganzen Eroberungen der Binnenkolonisation hat man nicht weniger Schaden angerichtet, als der Westen bei seiner Kolonisation, mit dem Unterschied, dass der Westen seine Kolonien nach und nach freigab und sogar Kulturgüter zurückgibt. Teilweise gibt das die Kultur der Kolonien wieder frei, bei manchen sogar die ursprüngliche Sprache. Bei der Russifizierung und später bei der Kulturrevolution 1917 passierte das Gegenteil. Man hat die Kolonien bis zur Unkenntlichkeit verändert.

                                    Was uns heute wie ein kulturell homogene Russland vorkommt ist nichts anderes als das Ergebnis eines kolonialen Raubzuges und der Unterdrückung.

                                    FAZIT:

                                    Der Westen zerfällt tatsächlich. Wenn man das Wegfallen der Kolonien damit meint, dann ist das ein Machtverlust. Aber ist das nicht ein gutes Zeichen der Globalisierung, während Russland ebenfalls zerfällt, weil ihm drohen die Kolonien wegzufallen. Der Unterschied ist aber, dass Russland seine Kolonien nicht freigeben will und so tut, als seien sie immer schon russisch gewesen.

                                    China schickt Lohnsklaven nach Afrika, wo sie Imperialismus betreiben. Uiguren müssen in Umerziehungslager, danach werden sie Arbeitssklaven.

                                    Saudi Arabien, Qatar, die Emirate nehmen gerne outgesourcte Sklaven aus China oder Afrika, dann müssen sie sie nicht selbst versklaven. Wir erinnern uns wie viele tausende Arbeits-Sklaven für den Bau der Stadien für die Fußball-WM in Qatar gestorben sind. Arabische Staaten versuchen übrigens Länder zu erobern und zu kolonisieren wie Jemen oder Nigeria.

                                    Der Imperialismus des Westens geht zurück, man könnte dies Verfall nennen, aber dies wurde vom Westen selbst mitinitiiert.

                                    Zugleich nimmt der Imperialismus Chinas, Arabiens und Russlands zu.

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                                      OUROBOROS 07.04.2023, 20:13 Geändert 07.04.2023, 20:27
                                      über Camping

                                      Camping mit Juliette Lewis

                                      Als die kontrollsüchtige und tyrannische Jennifer Garner als Kathryn ein langes Camping-Wochenende plant, lädt sie drei weitere Paare mit ein. Dass die durchgeknallte Juliette Lewis als Jandice auftaucht, damit hat keiner gerechnet. Sie wird die Party mit allerlei Ideen und Mitbringseln aus ihrer Zaubertasche auflockern. Das ist auch dringend notwendig, denn so einiges hat sich bei den Paaren an Problempotenzial aufgestaut.

                                      Was die Camping-Truppe nicht braucht ist eine Kathryn, die alles bis ins letzte Detail geplant hat. Nichts darf von diesem Plan abweichen, der eher an einen Ergotherapie-Plan in einer Psychiatrie erinnert. Schon bald boykottieren einige den Plan. Jandice hat aber auch immer spontane Ideen, die den anderen besser gefallen.

                                      Der Humor über "5 Freunde essen glutenfrei uns sind Helikopter-Eltern" geht aufgrund der Anwesenheit von Juliette Lewis öfter mal unter die Gürtellinie und nicht nur sie sieht man wie Gott sie schuf in ihren späten 40ern. Trotzdem bleibt das Vergnügen recht gesittet, auch wenn es irgendwie eskaliert. Es gibt zwar eine Überzeichnung manchen Verhaltens und Situationskomik, doch alles bleibt noch in einem realistischen Rahmen. Ein wenig hat die Miniserie etwas von Gaspar Noés "Climax", wenn auch in einer harmlosen und positiven Weise.

                                      Amüsiert hat mit ich auch die queere Tochter mit ihrer Urlaubsbekanntschaft, wie sie sich über die Erwachsenen, welche sich wie Jugendliche Verhalten lustig machen. In jedem Alter gibt es noch Entwicklungsschritte zu machen, d. h. Coming-of-Age ist nicht mehr auf die Jugendjahre beschränkt. Mit einer Leichtigkeit werden hier Probleme gelöst und Verkrampfungen verschwinden, so dass man die Probleme nicht mehr so engstirnig betrachtet.

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                                        OUROBOROS 07.04.2023, 11:55 Geändert 07.04.2023, 20:45

                                        In "1883" lernte ich zum ersten mal die fiktive Familie Dutton kennen, für die es in der Realität sicherlich viele Vorbilder gäbe. In Tennessee starten sie ihren Trek mit etwa 100 Planwagen und hunderten Menschen nach Westen, um Oregon zu erreichen. Ein Bruchteil der Menschen kommt dort an, oft nur noch Kleidungsfetzen am Leib tragend. Auch Familie Dutton hat Verluste hinzunehmen. Schließlich siedeln sie in Montana, in einer Gegend, die Yellowstone genannt wird. Dort spielt auch die Neo-Western Serie aus der Jetztzeit "Yellowstone".

                                        Weil ich das Prequel "1883" gesehen habe, hilft mir das jetzt an die Familiengeschichte der Duttons im 21. Jahrhundert anzudocken. Ich entdeckte die gleiche Landschaft, das gleiche Tal, der Birkenhain mit einem kleinen Gräberfeld, wo es einen Grabstein gibt, auf dessen der Name Margret Dutton erscheint. Das löst bei mir tiefe Emotionen aus, habe ich sie in "1883" lieben gelernt.

                                        Die Prequel Serie hat mir nicht geholfen meine Vorurteile über die Serie "Yellowstone" zu überwinden, aber schließlich habe ich die Serie wegen der Qualität doch in Betracht gezogen. Die Tiefe der Dialoge sind unglaublich, gibt es auch viele poetische Dialoge und metaphorische Sprache. Ich habe nun 5 Staffeln gesehen bis zur Midseason in OmU, weshalb ich auf aktuellen Stand sein werde, wenn das Finale heranrückt.

                                        Wer dachte, dass die Prequel-Serie "1883" nur deshalb brutal bitter sein würde, weil diese Zeiten eben hart und gesetzlos waren, in Landesteilen die verwaltungstechnisch und infrastrukturell nicht erschlossen waren, dann irrt man sich, denn 7 Generationen später ist das Leben dort immer noch brutal bitter.

                                        Ich weiß nicht in wie weit es realistisch ist, was es in Montana für einen Klüngel und Seilschaften gibt, was für eine Vetternwirtschaft und Korruption, ob das was in "Yellowstone" gezeigt wird ein Sittengemälde unserer Zeit in diesem Bundesstaat der USA ist. Es scheint jedenfalls so, als würde Washington D.C. nicht existieren. Die Bundespolizei FBI hat hier scheinbar keinen Zugriff, dafür gibt es eine Viehzucht-Polizei. In der Serie wird die Institution als sehr mächtig dargestellt, hat sie Exekutivgewalt und tritt auf wie eine Polizei. Ihre Deputies erhalten ihre Konzession von einem staatlichen Sheriff. Da in den USA in vielen Countys Sheriffs auch gewählt werden, können ihre Lobbygruppen Interessen einfacher durchsetzen.

                                        Diese Vetternwirtschaft und Korruption hat ein Ausmaß, das man sich in Deutschland nicht vorstellen könnte, doch dort kräht kein Hahn danach, wo die Grenzen zur Illegalität überschritten werden. Ich kann nur den Kopf schütteln, wenn ich sehe, dass eine Familie sowohl den Posten der Viehschutzpolizei und des Generals-Staatsanwalts als auch den des Gouverneurs besetzt. Von den 3 Gewalten sind also 2,5 von einer einzigen Familie besetzt, nur der Richter ist unabhängig. Doch der Verlauf der Serie wird zeigen, dass man dafür ein wenig Verständnis haben kann, wenn es um die Frage geht was legal und was legitim ist.

                                        Die Familie Dutton besitzt Land, das halb so groß wie Deutschland ist, wobei Deutschland etwa die Größe von Montana hat, jedoch Montana nur 0,3% der Bevölkerung Deutschlands. Dass eine Familie soviel Besitz hat ruft Neider und Feinde auf den Plan, dabei ist die Familie nicht so reich wie es scheint, lebt man dafür im Verhältnis, zu dem wie krass luxuriöse der Reichtum sein kann, eher bescheiden bäuerlich. Der wahre Luxus für die Duttons besteht darin, dass sie ihr Überleben selbst sichern. Sie sind ziemlich unabhängig von der Gesellschaft, aber sie müssen sich nach den Gesetz der Natur richten. Nach getaner Arbeit kann man die Blicke in ein wunderschönes Panorama gleiten lassen, der Sternenhimmel entfaltet seine Pracht ohne Lichtverschmutzung, die Stille gibt es ebenfalls gratis dazu.

                                        Doch die Idylle ist in Gefahr. Es treten nun gleich mehrere Fraktionen auf, die den Duttons den Krieg erklären. Die Gemengelage erinnert geradezu an "Game of Thrones".

                                        Die Yellowstone Ranch der Duttons kommt einem fast vor wie Königsmund und die Duttons wie die Starks. Viele feindliche Lager zeigen sukzessive ihre Präsenz auf: Rivalisierende Rancher, die Konföderierten Indianer mit ihrem Präsidenten Rainwater, Immobilienhaie von der Ostküste und Investoren aus Kalifornien, Umweltaktivisten und der Staat. Interessant ist es wenn man das Ende von "1883" kennt, wo es zu einem Vertrag zwischen den Indianern in Yellowstone und den Duttons kommt, welcher die friedliche Koexistenz für alle folgende Generationen regelt, und es mit dem Verhältnis der Indianer Konföderation und den Duttons heutzutage vergleicht, wo die Duttons vertrieben werden sollen. Die Erben der First Nations wollen ihr Land zurück. Das ist ganz verständlich, aber wenn man eine Ungerechtigkeit aus der Welt schafft, entsteht eine neue.

                                        Wenn ich sehe, was in Montana passiert und an anderen Stellen der USA, wird mir klar, dass die USA sich mit sich selbst im Krieg befindet. Es gibt hier keine Nationen sondern Clans, Lobbys und finanzstarke Interessengruppen, die teilweise mit barbarischen Mitteln gegen ihre Gegner vorgehen. Das ist kein Wunder, wenn die Gewaltenteilung praktisch aufgehoben wird und jeder Staat sein eigenen Gesetze machen kann, mit einem nahezu unvorstellbaren Spielraum.

                                        Ein weiteres Element aus "Game of Thrones" ist, dass die Kontrahenten temporäre Allianzen bilden, um wenig später wieder erbittert gegeneinander zu kämpfen. Das Rezept von "Game of Thrones" war, dass in jeder Episode jemand sterben musste und kurzfristig auch ein paar auf einmal oder eine wichtige Figur, von der man es niemals gedacht hätte. Die Dramen und Tragödien sind also Teil der Serie und der Bodycount nimmt erst in der dritten Staffel ab, es kommt eine Idyll zum Vorschein, bevor es dann zu einer Steigerung der Gewalt kommt. Auch mit der vierten Staffel bekommt das Idyll mehr Raum, aber zum Finale zeichnet sich dann ein großer blutiger Endkampf ab. Es gibt keine Guten und Bösen, denn diejenigen die als gut erscheinen, haben ebenfalls Dreck am Stecken. Was legitim ist, das ist nicht legal und auch diejenigen, die als die besseren Menschen in dem Krieg erscheinen werden so in den Gewaltexzess hineingezogen, das sie sie zu Monstern werden, weil sie mit Monstern kämpften.

                                        Ich möchte mich auf die Seit der Duttons stellen, doch ich sehe die Defizite, aber auch das Schicksal. John Dutton der Chef der Familie hat seine Frau verloren, da war er mit ihr in den 30ern. Drei Kinder hat er oder sind es sogar mehr oder weniger. Es stellt sich heraus, dass nicht alle Kinder von ihm abstammen, doch er ist ein Mensch, der ein Herz für Streuner hat. Er bietet unter anderem Waisen und Ex-Häftlingen eine Heimat an, um sich zu entwickeln oder zu resozialisieren. An manchen Stellen verschwimmen die Grenzen zu dem was Familie ist, anderen Stellen werden sich tragisch aufgebrochen und nichts ist so wie es scheint.

                                        Eine wirklich wichtig Figur in der Serie ist Beth Dutton. Zwei Schicksalsschläge haben sie zu einem Monster gemacht, das sich jetzt an der Wallstreet austobt. Wenn sie niemanden hat, den sie zerstören und ruinieren kann, dann macht sie das mit sich selbst. Sie ist auf der einen Seite ein starke Frau, die Männer wie Schuljungen in die Ecke stellt, auf der anderen Seite ist ihre Psyche desaströs. Für sie führen die Wege plötzlich nach Hause. Aber sie ist nicht das Schlimmste was den Dutton Ranch passieren kann, ist sie eher das Schlimmste was den Feinden der Dutton Ranch passieren wird.

                                        Die Familienverhältnisse sind wirklich kompliziert und wenn man die Wahrheit Stück für Stück erfährt, dann weichen auch die Vorurteile gegenüber einem Überhang an konservativen republikanischen Werten, welche die Serie angeblich transportiert. In US-amerikanischen Medien wurde die Serie als Rednecksaga für Trumpfans präsentiert. Die könnten sich zu mindestens anfangs sehr wohl fühlen, doch die Serie gleitet immer mehr ins Graue ab, bis sie an einigen Stellen den Trumpismus inklusive White Trash und MAGA-Ambitionen an die Wand stellt, genauso aber die übersensibelen Woken. Der Stern schreibt zurecht:

                                        „‚Yellowstone‘ gilt dem Feuilleton als Rednecksaga für Trumpfans. Das ist dumm, die Serie bietet viel mehr. Sie hat die stärksten Frauen- und Indianerrollen der Branche. [...] Im Umgang mit den Indianern wühlt ‚Yellowstone‘ den ganzen Schmutz der US-Geschichte auf. [...] In ‚Yellowstone‘ gibt es keine Frau am Herd [...] die Frauen sind derb und aus Stahl.“

                                        Politik, bezüglich Republikaner und Demokaten wird hier nur ganz äußerlich berührt, eher stellt sich im Laufe von zwei Staffeln heraus, dass es in Montana nahezu egal ist, wer der Gouverneur oder die Gouverneurin ist. Seit 1889 gab es 15 demokratische Gouverneure und 10 republikanische.

                                        Immer wieder wird der Gegensatz von Stadt zu Land Bevölkerung thematisiert bezüglich Gentrifizierung, wobei die Serie sich nicht auf eine Seite stellt, sondern eher versucht die Missverständnisse aufzuklären. Das zeigt sich besonders in der Episode, wenn zwei woke lesbische Städterinnen auftauchen, die beim Wahlkampf für den Dutton Sohn zum General-Staatanwalt helfen. Eine ist eigentlich Journalistin und will Vater Dutton als korrupten Landbesitzer darstellen, der nicht vor Selbstjustiz, Gewalt oder gar Mord zurückschreckt. Da ist ja was dran, aber sie kennt die Situation der Duttons nicht, die auf der anderen Seite das Stückchen Natur bewahren wollen, von dem sie nur einen Bruchteil bewohnen. Ansonsten haben dort alle Tiere, samt Zuchttiere eine Paradies zur Heimat, im Gegensatz zu der üblichen Vieh- und Fleischindustrie. Sie stellt es aber so dar, dass Yellowstone ohne die Duttons besser dastünde und natürlicher wäre. Damit irrt sie, denn die Gegner der Duttons sind Investoren, welche dort die Natur zerstören wollen mit Ressorts, Hotels, Skiliften und Skipisten, Golfclubs, Casinos, Flugplätzen und Parkplätzen.

                                        John Dutton nimmt die Umweltaktivistin und Veganerin Summer bei sich auf, nachdem er ihre Kaution bezahlt hat. Sie hat seinen Sohn bei einer Demonstration angegriffen. Nun will er ihr die Ranch zeigen.

                                        Auf dem Weg zur Ranch sagt sie:

                                        "Wir fahren hier durch eine Landschaft die ursprünglich ist. Wissen Sie wie es um die Welt da draußen steht? Ich glaube der Planet wird uns nicht länger tolerieren." - Summer

                                        "Weil die Leute aufgehört haben mit ihm zu leben, sie leben nur noch auf ihm. Sie haben Recht. Irgendwann wird uns die Erde abwerfen wie tote Haut. Und es ist alles unsere Schuld." - John Dutton

                                        Kevin Costner in der Figur des John Dutton kämpft nicht nur für sein Vermächtnis, er würde auch soweit gehen, es herzugeben, wenn es so bleibt wie es ist. Immer wieder fällt Dutton mit Reden auf, wo er die Umweltzerstörung anprangert und auch wenn es nicht gesagt wird, suggeriert er auch, dass der Klimawandel vom Menschen beeinflusst ist. Es ist interessant mit wieviel Weisheit das alles gesagt wird und so, dass die üblichen Grabenkämpfe zwischen Öko-Aktivisten und den Leugnern des menschengemachten Klimawandels aufgelöst werden. Insgesamt nimmt die Serie einen Auftrag war, bei welchem sie Republikaner und Demokraten miteinander versöhnen will, ohne diese Etiketten zu verpassen.

                                        Als die Gouverneurin von Montana beschließt als Senatorin nach Washington zu gehen pointiert sie diesen Anspruch der Autoren der Serie mit folgenden Worten:

                                        "Sie haben die Kompromisse verlernt. Ich denke ich habe die richtige Fähigkeiten dafür."

                                        Was die Serie für die Angehörigen der First Nation tut ist auch sehr lobenswert gelungen. Tief taucht man in die Familienverhältnisse von Indianern in den Reservaten ein. Das gelingt dadurch, dass ein Dutton Sohn Kacey mit einer Indianerin verheiratet ist. Er war in Afghanistan und leidet anfangs unter dem Kriegstrauma, seine Frau hat studiert und unterrichtet als Lehrerin im Reservat. Sie nimmt außerdem die Möglichkeit wahr an einer Universität einen Fachbereich für amerikanische Geschichte im Bezug auf die Kultur der First Nation und der Ungerechtigkeiten, die sie erfahren haben, zu leiten.

                                        Ich könnte über viele Charaktere etwas schreiben, aber dazu würde ich zu viel von der Serie preisgeben, was man selbst entdecken sollte. Es gibt viel zu entdecken, denn die Charaktere entwickeln sich weiter, leider nicht alle zum Guten. Aber die Dialogtiefe nimmt stetig zu, dafür werden die Themen nicht weniger. So nenne ich oberflächlich Themen, die in der Serie angesprochen werden, ohne Garantie auf Vollständigkeit:

                                        Resozialisierung von Ex-Häftlingen
                                        Wertschätzung, Fordern und Fördern
                                        Adoption von Kindern
                                        Abtreibung, Totgeburt
                                        Sterilisation von Indianerfrauen
                                        Frauen als Cowboys und in Machtpositionen
                                        First Nation Vertreibung, Probleme der Reservate
                                        Coming of Age
                                        Traumatherapie
                                        Gewaltenteilung, Korruption, Bürgerwehr
                                        Protestantischer Kapitalismus
                                        Umweltschutz und Klimawandel
                                        Vegetarier und Tierschutz
                                        Geschwisterzoff
                                        Selbstjustiz
                                        Machtmissbrauch

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                                          OUROBOROS 03.04.2023, 09:35 Geändert 03.04.2023, 12:32

                                          Ringo will im Leben nichts gelingen, trotzdem wird er von einer Frau und seinen zwei Kindern sehr geliebt. Er ist nicht nur Geringverdiener sondern geradezu ein Tollpatsch, denn ca. vor einem Jahr haben Gangster ihm ihre Beute in die Hand gedrückt - 100.000 Euro in einer Sporttasche - und gesagt, dass sie die Beute bei ihm abholen, wenn die Lage sich beruhigt hat.

                                          Nun kommen sie wieder, aber das Geld ist weg. Eigentlich wusste Ringo gar nicht, dass da Geld drin ist. Wer es jetzt hat ist den Gangstern aber egal, also fordern sie Ringo auf das Geld aufzutreiben. Das Geld zu besorgen ist natürlich ein Problem. Seine Frau könnte ihren Vater fragen, der Boss einer Geschäftsdynastie im Schwarzwald rund um den Titisee ist, aber sie gilt als ungeliebte Tochter, weil sie sich mit einem Idioten eingelassen habe. Ihr Vater bietet seinem Schwiegersohn sogar 100.000 Euro an und 50.000 drauf, wenn er seine Tochter verlässt.

                                          Dann gibt es noch Urs Tsara aus Zürich der ebenso ein ungeliebter Schwiegersohn ist, auch unfähig Geld zu machen in der großen Immobilien-Dynastie des Schwiegervaters. Da Schicksal führt ihn zu Ringo, dem er seine Premium-Immobilie, ein Urlaubs-Schloss der Kaiserin Sissy, verkauft.

                                          Wie Ringo das hinbekommt? Er gibt sich als einer der unehelichen Söhne des Scheichs von Qatar aus.

                                          Die Art wie er das schafft erinnert ein wenig an "Inventing Anna", nur dass er da irgendwie hineinstolpert und nicht schon den Plan hatte. Es offenbart, wie leicht Menschen sich blenden lassen, wenn sie Geld-Gewinne riechen, denn seine Geschichte ist wirklich zu aberwitzig, dass man sie ihm abnehmen könnte. Der Ausstieg gelingt Ringo nicht zu einfach, da es immer größere Kreise zieht. Schnell zieht er einen Tross von Investoren hinter sich her, die bereitwillig sind auf jegliche Sicherheiten zu verzichten. Schließlich soll Scheich Ringo Al-Qatami vor dem Schweizer Nationalrat sprechen.

                                          Dany Levy ist soviel gelungen an dieser Erzählung, welche wie eine Mischung aus "Fargo" und "Inventing Anna" daherkommt. Das spiegelt sich auch wieder in der Auswahl und Gestaltung der Kulissen. Viel Aufwand wurde betrieben möglichst stilvolle antikontemporäre Requisiten zu finden, ähnlich wie bei den Coen Brothers. Überhaupt ist die Gestaltung der Serie in den kleinen Details sehr aufwendig in allen Belangen, auch bei der Musikauswahl. Die Schauplätze sind exquisite. Ob es das Motel an der B500 ist, das Moor, die Berglandschaften um Schluchsee, Titisee und Sankt Blasien oder in der Schweiz die Villen am Zürichsee, alles ist vom Feinsten. Ich habe letztes Jahr am Ufer des Schluchsees unter freien Himmel geschlafen. Nur ein Berg weiter hinter mir, war Sankt Blasien. Das muss ich das nächste Mal unbedingt besuchen. Da steht ein gewaltiger Dom mitten in einem kleinen grünen Tal.

                                          Schräg sollten auch die Ganoven sein und die Polizisten, die so überzeichnet sind, dass es für deutsche Verhältnisse unglaubwürdig laienhaft im Schauspiel wirkt, wo man es bei US-amerikanischen Produktionen selbstverständlich als primitiv und schmuddelig eben komisch hinnimmt. Auch mir ist es schwer gefallen eine deutschen Coen-Stil zu akzeptieren, man ist es halt von deutschen Produktionen nicht gewohnt. Vielleicht ist es leichter über schräge Leute zu lachen, wenn sie Nicht-Deutsch sind. So gelingt der Humor nicht so ganz wie bei den Coen Brothers, d. h. ich muss zwar selten laut auflachen, aber am Ende ist das Ganze doch sehr amüsant, allein wegen der Story.

                                          Ärgerlich ist, dass es auch immer nah am Niveau eines Familienfilms bleibt, obwohl es so viele makabre Tote und heftige Szenen gibt. Hervorheben möchte ich hier Sylvester Groth, der als Killer in Rente, mit seiner Verwandlungsfähigkeit ein Genuss ist. Er hat einiges von der Bösartigkeit eines Billy Bob Thornton in "Fargo".

                                          Fazit

                                          Hätte schärfer und witziger sein können, aber Dany Levy ist kreativ genug um mit viel Stil zu unterhalten. Die Story ist sehenswert!

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                                          • 6

                                            Hab keine Sekunde Langeweile verspürt. Der Anfang war recht abenteuerlich. Die Gemeinschaft ist doch eher klein und dem Szenario fehlt der Charakter den "The Village" hatte, aber mir hat die Kirche als Kulisse gefallen. Der Horror kam ganz gut, mit dem Resultat, dass ich nach dem Anschauen ein paar Stresssymptome zeigte. Aber ich kann mich auch ganz in etwas vertiefen. Es war ein guter Lückenfüller, aber nichts was darüber hinaus noch wirkt oder zum Nachdenken anregen würde.

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                                            • 7 .5
                                              OUROBOROS 01.04.2023, 13:30 Geändert 01.04.2023, 13:31

                                              Eine Frau in der Einsamkeit, nur mit ein paar Kühen und Hunden und dann noch 80 Jahre alt, ist die Arbeit für sie beschwerlich. Noch sehe ich, kann sie sie bewältigen. Die Frage ist, was passiert, wenn sie die Arbeit nicht mehr bewältigen kann. Der Punkt wird schon bald kommen. Manchmal dachte ich, dass ich ihr anbieten könnte für ein paar Wochen bei ihr einzuziehen um ihr Gesellschaft zu leisten, bei Monopoly, UNO und Brettspielen und bei ein paar Tätigkeiten zu helfen. Aber das ist nicht so einfach, weil es sehr weit weg ist und irgendwie muss ich ja mein Geld verdienen.

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                                              • 7 .5

                                                "Yellowjackets" gefällt mir jetzt doch besser.

                                                Christina Riccis hat mit ihrer Figur Misty ein Kultpotenzial, wie oft habe ich über sie gelacht. Dabei bemerkt man nicht mal einen Unterschied zwischen der Teenie- und Erwachsenen-Misty. Respekt Sammi Hanratty.

                                                Eine anderen Kult-Schauspielerin ist die total abgefuckte Juliette Lewis. Ob sie jetzt 30 Jahre älter ist als in "Natural Born Killers", egal in welchem Alter, für mich ist sie der Shane MacGowan der weiblichen Schauspielerei. Juliette Lewis spielt polytoxikoman, d. h. in jedem Zustand. Gleich unter welcher Droge und wieviel Promille, ihren Text hat sie drauf. Und wenn sie mal ausrastet, dann sieht das immer so aus, als sei sie wirklich gefährlich. Da hat die junge Nat aber wirklich sehr schöne sinnliche Kussszenen mit Travis.

                                                Paramount+ bietet gerade aktuell 2 Folgen der zweiten Staffel. Ärgerlich mit 7 Tagen Probeaccount.

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                                                • 7 .5

                                                  Mit "Das Leben der Anderen" dachte ich schon, ich hätte alles gesehen, war dieser auch als Gesamtpaket viel stärker. Doch "Nahschuss" ist genauso knüppelhart wie sein Titel.

                                                  Der Strafprozess DDR gegen Dr. Teske bildet die Rahmenerzählung für den Film. Die Vergangenheit und der Grund für den Prozess wird also von Teske rückblickend erzählt.

                                                  Lars Eidinger, ein Schauspieler, den ich als besonders gut empfinden spielt Dr. Werner Teske, einen jungen ahnungslosen Akademiker. Man offeriert ihm die Möglichkeit einer Professur, wenn er für den HVA arbeitet. Geradezu naiv sagt er zu.

                                                  Sein Auftrag ist die Bespitzelung eines Verräters, der in den Westen geflüchtet ist und jetzt für den Hamburger SV Fußball spielt. Sind die Methoden anfangs schräg, werden sie im Laufe der Zeit sowas von ekelhaft, dass er da einfach raus will. Er versucht die überwachte Person zu kontaktieren und zu warnen und hofft dass er dabei nicht erwischt wird. Da wir ihn vor Gericht sehen, ist die Frage wann und warum er entdeckt wird.

                                                  Das erfährt man auch, genauso wie Inhaftierung, Gespräche mit seinem Verteidiger und das Plädoyer der Verteidigung. Das Ende hat mich sprachlos zurückgelassen.

                                                  Ich hab dann immer wieder Kommentare von Leuten in den Ohren wie "In der DDR ging es mir gut." Das will ich ja nicht bestreiten, aber das heißt nicht, dass die DDR gut war.

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                                                    OUROBOROS 28.03.2023, 17:47 Geändert 29.03.2023, 07:38

                                                    Der ambivalente Titel "Rat mal wer zum Essen kommt" gehört zu einem Film, der mir grob als Vorläufer von Jordan Peeles "Get out" erscheint. Wo "Get out" aber zum Albtraum für den Protagonisten wird, dort wird "Rat mal wer zum Essen kommt" zum Albtraum für den rassistischen Zuschauer.

                                                    Man stelle sich vor, die 23-jährige Tochter bringt zum dritten Mal einen neuen Freund mit nachhause und eröffnet nun, dass sie diesen gleich heiraten möchte, obwohl er 14 Jahre älter ist und sie sich gerade 10 Tage lang kennen. Vor vollendete Tatsachen gestellt, sollen jetzt die Eltern noch am gleichen Abend entscheiden, ob sie der Ehe zustimmen oder nicht. Nicht nur damals, sondern auch heute, würde das bei der Mehrzahl der Eltern - wenngleich diese hier als außergewöhnlich liberal eingeführt werden - einen Schock auslösen, denn plötzlich müssen sie ihre geliebte Tochter einem völlig Fremden anvertrauen, zudem bringt hier die weiße Tochter einen schwarzen Mann mit nachhause.

                                                    Nun schreibt das Lexikon des Internationalen Films in seiner Kritik, dass es sich um ein unrealistisches Stück handelt, vor allem bezogen auf das Ende. Mich empört es gewaltig, wenn man einem Film bloß mangelnden Realismus vorwirft, auch wenn dieser gerade eines möchte, nämlich die Realität ändern! Realismus zementiert die Verhältnisse i. d. R., das beweist die empirische Lernforschung.

                                                    Zugegebenermaßen ist vieles an diesem Stück tatsächlich unrealistisch, vor allem aber wenn man es aus der Zeit heraus betrachtet in der es spielt. Viele beklagen, dass es kaum eine Rolle spielt, dass die Heirat so überstürzt erfolgen soll und die Eltern darüber kein Wort verlören. Das stimmt so nicht, denn den Eltern ist das schon klar. Sie haben das Alter von Joanna öfter betont, nämlich dass sie mit 23 sehr jung sei, während er 37 ist. Auch haben sie von den 10 Tagen gesprochen und auch von der kurzen Zeit des Kennenlernens und der kurzfristen Entscheidung.

                                                    Aber das Problem an dieser Konstellation wäre eben das Dilemma des Rassismus, in das sich die Eltern begeben würden. Abzulehnen wegen der fehlenden "Reife" könnte nämlich von den Liebenden als vorgeschobener Grund aufgenommen werden, vor allem nachdem klar war, dass die Tochter einen soliden, wohlerzogenen und sogar berühmten Mann mit nachhause gebracht hat. Deshalb wurde das Thema "Reife" nur im Subtext angesprochen z. B. durch die Haushälterin. Sie haben auch verstanden, dass jetzt eigentlich die Zeit dafür ist, die Früchte ihrer Erziehung zu überprüfen, also ihrer Tochter das Vertrauen entgegenbringen, um ihr die Erfahrung zu Scheitern oder zu Gewinnen zu ermöglichen, weil sie nun reif genug dafür sein könnte selbstverantwortlich zu handeln. Den Anspruch hat die professionalisierte Erziehung von heute, aber für damals klang das schon ziemlich windig.

                                                    So ging es bei der Tragweite der Entscheidung nie um die Ehe-Reife, darin waren sich die Eltern einig, es ging um die Reife einen massiven gesellschaftlichen Widerstand aushalten zu können. So mahnt Joannas Vater Mr. Drayton aka Spencer Tracy:

                                                    "Macht euch keine Illusionen. Ich weiß nicht wie viele Millionen Menschen in diesem Land über das schockiert, empört und entsetzt sein werden, was ihr seid (eine Mischehe aus schwarz und weiß), und es bleibt euch nicht erspart das durchzustehen. Es wird ein schwerer Kampf, solange ihr lebt."

                                                    Während Joannas und Johns Vater die gleiche Ausgangsposition haben diese Verbindung deshalb anzuzweifeln, weil sie fürchten, dass ihre Kinder dem Druck der Gesellschaft nicht gewachsen sein werden, vertritt gerade der Kirchenvertreter Monsignor Mike die appellativ optimistische Auffassung gegenüber Joannas Vater:

                                                    "Sie sind Amerika, und sie ändern sie, diese schlechte Welt!"

                                                    Damit zimmert er den Kritikern des mangelnden Realismus - der hier ja fast wie eine Satire daherkommt - eine Statement ins Antlitz, das darauf gründet, was ich eingangs schon gesagt habe. Realismus in der Medienrezeption zementiert die Verhältnisse, um sie zu ändern darf man also nicht realistisch sein.

                                                    Am wenigstens schockiert über die Vorstellung der Mischehe ist der katholische Monsignore Mike, der einfach nur sagt.

                                                    "Ich habe in meinem Beruf ständig mit Mischehen zu tun und sie glücken auch."

                                                    Der Monsignore kennt den Schwiegersohn in Spé Dr. John Prentice aus dessen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und outet sich sogar als Fan dessen Arbeit. Er hat also weder Bedenken wegen der Mischehe, noch wegen der Tauglichkeit von John. Er vertritt die Institution der katholischen Kirche, die ich persönlich in meiner Gemeinde als Kind und Jugendlicher ebenfalls als antirassistisch erfahren habe. In den USA ist jedoch ein rassistisches Christentum in manchen Konfessionen verbreitet, weshalb der Mann der Kirche mit seiner Meinung, stellvertretend für die USA, nicht fehlen darf. Ich möchte die Rolle der katholischen Kirche hier als sehr positiv herausstellen, was den Kampf gegen den Rassismus betrifft und das nicht nur in dieser fiktiven Erzählung.

                                                    Die beiden Mütter hingegen interessiert mehr die Frage nach der Basis der Liebe und beide Mütter sind der Meinung, dass daran kein Zweifel bestünde. Beide sind sich schnell einig. In einem weiteren Zwiegespräch argumentiert Johns Mutter gegenüber Joannas Vater, dass er vergessen haben muss, wie er einst liebte, weshalb er diesen Aspekt gar nicht in seine Überlegung eingebracht habe. Für Joannas Vater ist die Entscheidung schon deshalb ein Dilemma, weil er seiner Tochter damit schwer wehtun würde und sie dabei verlieren könnte, weil sie nicht davon abzubringen ist. In dieser Zeit wurde oft noch von den Eltern entschieden, weil sie dachten, man könnte zu jung für eine Ehe sein, aber am Ende macht es alles nur noch schlimmer. Das mag ja vielleicht in der Masse stimmen, aber einerseits werden Ehen Mitte 30 genauso oft geschieden und andererseits ist das eine individuelle Sache der Reife. Manche Erfahrungen des Scheiterns muss man einfach auch selbst erst machen bevor man es versteht. Noch 30 Jahre zuvor hat man Zwangsehen mit 16 Jahren oder früher geschlossen und manche wurden gute Ehen. Meine Großeltern, geboren in den 1920er Jahren haben im Lebensalter von 20 Jahren frei gewählt geheiratet und waren die meiste Zeit glücklich bis an ihr Lebensende.

                                                    Aber auch Vater und Sohn Prentice jr. gehen in ein Zwiegespräch. Wütend lässt Prentice sen. Schimpftiraden gegen seinen Sohn los, was er sich denn erlaube eine Ehe mit einer Weißen einzugehen, die unter keinem guten Zeichen stehe, in Anbetracht des Rassismus in der Gesellschaft. An dieser Stelle wird auch ein typischer Generationenkonflikt deutlich.

                                                    "Eure starrsinnige Generation. Ihr denkt, es müsste immer alles so bleiben wie es war. Wenn ihr dann endlich alle ins Gras gebissen habt, dann sind wir diese Bürde los."

                                                    Da wirft Vater Prentice seinem Sohn sogar vor, dass sein Sohn eine Schuld zu begleichen hätte für die Arbeit, die er sich als Vater gemacht habe, um aus seinem Sohn das zu machen was er jetzt sei. Doch sein Sohn hat im Coming-of-Age Manier noch am selben Tag seinen Kampfeswillen entdeckt und widerspricht seinem Vater einer eindrucksvollen Gegenrede.

                                                    "Ich schulde dir gar nichts, auch wenn du deine Posttasche Millionenkilometer für mich getragen hättest. Ab dem Zeitpunkt an dem du mich in die Welt gesetzt hast, bist du derjenige der mir alles schuldet. Und wenn ich einmal selbst Kinder habe, dann schulde ich es ihnen."

                                                    Vom San Francisco der späten 1960er Jahre bekommt man Downtown, eine Eiscafé-Drive-Inn und ein stylisches Speiselokal zu sehen, außerdem die Skyline im Sonnenuntergang, doch die meisten Anteile des Films präsentieren sich als Kammerspiel in der Villa. Der interessante Ansatz dabei ist, dass es während Films bei 8 Personen fast drei Viertel aller möglichen Kombinationen von Zwiegesprächen gibt, bis dann am Ende alle versammelt sind und der Ansprache von Mr. Drayton zuhören und wie seine Entscheidung ausfällt.

                                                    Die Kritik des Evangelischen Film-Beobachters ist vernichtend, denn sie spricht von einer formal wenig überzeugenden, sentimentalen Komödie, die keinen ernstzunehmenden Beitrag zu amerikanischen Innenpolitik aufwiese. Ich weiß nicht was den Kritiker zu diesem Urteil verleitet hat, vielleicht liegt es daran, dass die Kritik aus dem Entstehungsjahr 1968 stammt, denn es gab einen Oscar für Katharine Hepburn und für das Drehbuch von William Rose, außerdem gab es den United Nations Awards und er ist auf Platz 99 der besten Filme aller Zeiten gelistet. Postum hat man Spencer Tracy für die Rolle geehrt, der kurz nach dem Film starb. Es war sein letzter.

                                                    Der Film ist eindrucksvoll und ausgezeichnet.Ich sah ein sich ständig steigerndes Melodrama, das mich zu Tränen der Rührung genauso zu Freudentränen brachte, wie kaum ein anderes Werk, weil die lustigen Szenen jeden Rassisten maximal ärgern dürften. Der Vorwurf des Lexikon des internationalen Films, dass es sich "unrealistisches sentimentales Rührstück" handele ist wohl auch Filmkritikern der 1960er geschuldet, die unbedingt einen realistischen Film haben wollten und keinen utopistischen. Es wurde kein Wert darin gesehen, dass die vielen Diskussionen es aber auch Wert sind als positive Beispiele und positive Rollenmodelle für respektvolles und empathisches Verhalten geschätzt zu werden, ein Verhalten, das in den 1960ern eher noch als sentimental gesehen wurde. Überdies ist vieles was in den 1960er als unrealistisch galt ein Jahrzehnt später Normalität geworden. Der Negativ-Bias, also die Schwarzmalerei der Kritiker von damals hat sich nicht erfüllt. Mischehen sind in einer globalisierten Welt in weiten Teilen der Gesellschaft zur Normalität geworden.

                                                    An die Stellen im Film, welche heute noch unrealistisch wirken, tritt für mich die edukative Vision es den Protagonisten gleichzutun und den ersten Schritt Dinge aus eigener Kraft zu ändern z.B. als die Mutter Joanna Ms. Drayton eine Mitarbeiterin entlässt, weil sich diese rassistisch äußert. Spencer Tracys flammender Appell gegen Vorurteile anzutreten - für moralische Positionen dafür stand er immer (mein Großvater liebte ihn deshalb) - wird nun immer für mich in meinen Ohren nachklingen.

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