Dergestalt - Kommentare

Alle Kommentare von Dergestalt

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    Dergestalt 22.06.2017, 23:19 Geändert 12.07.2017, 22:43

    "Yay!", dachte ich, als die Credits offenbarten, dass Amat Escalante sein sonderbares Drama Andrzej Żuławski widmet. Unmöglich, bei der Sichtung nicht an Żuławskis Hit "Possession" zu denken, zu ähnlich sind Anlage und Ausführung. Ansonsten ist "La Region Salvaje" aber ein recht eigener Film, der in verschiedene Richtungen ragt, bis zum Ende aber doch unentschlossener Hybrid bleibt. Wobei ich das nicht einmal negativ gemeint ist. Offenheit und Sprunghaftigkeit des Films - mal im derben Beziehungsdrama, dann in poetischen Wandlungen, dann in groteskem Bodyhorror - produzieren natürlich Leerstellen, Unschlüssigkeiten und lassen ihn teils etwas gedehnt und unfokussiert wirken. Gleichzeitig bleibt er auf diese Weise wunderbar wild und nimmt sich nichts, weder in der auffallend grafischen Darstellung von Sexualität noch in der vergnüglichen Variation typischer Filmversatzstücke. Das ist manches Mal anstrengend, entlohnt an anderen Punkten aber ungemein.
    Thematisch sitzt der Film auch an der richtigen Stelle. Wie schon in "Possession" ist das Monströse ein lustvoller Befreiungsakt aus den lahmen Verhältnissen. Hier nur deutlicher gesellschaftlich verwurzelt. Mit deftiger Freude attackiert der Film das frauenfeindliche und heteronormative Patriarchat in Mexiko. Hinter Kraftmeierei und Wut zeigen sich plötzlich verletzte Gefühle. Das Monströse kann sie sichtbar machen, sich damit aber auch gegen den Menschen wenden. Nicht jeder kann sich selbst ertragen, manch einer zerstört sich im selben Zug. Für diesen spannenden Zugang hat der Film griffige, teils auch wunderschöne Bilder gefunden, der atmosphärisch-düstere Soundtrack tut sein Übriges. Gefallen wird "La Region Salvaje" natürlich trotzdem nicht jedem, herausfordern wird er aber ganz bestimmt. Und mehr muss Kunst erst einmal auch nicht leisten.

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      Dergestalt 14.06.2017, 00:54 Geändert 16.10.2019, 22:32

      Die Wirkung von "The Rambler" lässt sich wohl am ehesten mit der Wirkung einer psychedelischen Droge an einem Sonntag vergleichen. Man wirft das Ding ein und zuerst kommt einem alles bekannt vor. Man eiert ein bisschen herum, weiß nicht so recht, man eiert eben herum. Sonntag. Nur immer wieder ein paar Aussetzer, man sieht Lichter, hört Geräusche, aber das kann auch die Müdigkeit gewesen sein. Komisch nur, welche Leute man plötzlich anzieht. Da ist ein alter Mann, der mit Mumien hantiert und Traumvideos anfertigt, dann so ein Hitzkopf, der sich ohne Grund plötzlich prügeln will, ein sonderbarer Trickbetrüger, ein Typ, der auf verletzte Mädchen steht und nicht zuletzt so eine Dame, die hübsch aussieht, aber zunehmend deformierter erscheint. Und am Ende dreht man durch, denn die Realität hat sich grundlegend umgestülpt. Was dann nur hilft, ist, bei den Wurzeln zu bleiben, seine eigene Identität zu behaupten, auf alles zu scheißen. Schließlich ist doch nur Sonntag.
      Ein höchst verschrobenes Roadmovie in der mexikanischen Wüste und mit deutlichen Anleihen aus dem Horrorbereich. Bisweilen unverschämt entspannt, bisweilen beunruhigend bis gruselig. Immer wieder fängt sich der Film und wiegt in ruhigen Bahnen, nur um dann wieder aufzuspringen und alle Sicherheiten zu dekonstruieren. Nichts ist sicher, alles ist möglich. Äußerst gekonnt bleibt "The Rambler" dabei zwischen trockenem bis absurdem Humor, symbolisch aufgeladenen Szenen und verstörendem Horror samt Gore. Langweilig wird er nie, vielmehr hält er eine unheimliche, rätselhafte Stimmung, die bis zum drastischen Ende neugierig hält. Faszinierend. Ein kleines Fest für Freunde des Weirdhouse, für alle anderen wohl ein unbefriedigendes Chaos von Film.

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      • Dergestalt 13.06.2017, 11:12 Geändert 13.06.2017, 11:13

        "Erst schmeckt mir das Hähnchen nicht, dann höre ich himmlischen Gesang aus meiner Heizung, dann habe ich Ärger mit meinem Baby. Eine trostlose Welt."

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          Dergestalt 13.06.2017, 01:06 Geändert 16.10.2019, 22:38
          über Tetsuo

          "Tetsuo" markiert wohl den Beginn eines der wahnwitzigsten Filmgenres aller Zeiten. Cyberpunk der industriellen Sorte, weniger philosophisch à la "Ghost in the Shell" als physisch. In der Konfrontation von Fleisch und Maschine entsteht ein neuer Stoff, der in seiner rostigen Ausformung blubbert, blutet, Entzündungen und Wucherungen produziert. Das ist purer Bodyhorror, bis ins Extrem getrieben. Dazu eine harsche Montagetechnik, die assoziativ Wahrnehmungssplitter mit sich nimmt, immer deutlicher anhäuft, bis kein Durchdringen der mechanischfleischernden Materie bleibt. Logisch, psychologisch ist da nichts mehr. Eher werden Traumata, aber auch sexuelles Begehren angehäuft, in der maschinellen Welt vor allem als Fetisch erkennbar. Das führt gegen jede Gesellschaftsordnung und öffnet schließlich Freiräume. Die eigene Homosexualität wird lebbar, auch wenn sie Angriff und Zerstörung nach sich zieht. Aber auch daraus lässt sich neue, kosmische Materie gewinnen. "Tetsuo" feiert auf wahnwitzige Weise den Exzess des Zerfalls, kehrt aus dem Toten die Lust hervor und macht den neuen Menschen grenzenlos und unsterblich. Ein futuristischer Traum wird wahr, auch wenn es weh tun mag. Hemmungsloses Overacting und ein flottes Tempo generieren aber ebenso pures Unterhaltungspotential wie auch eine groteske Komik. Man darf den Benzindrop also lutschen - schmeckt wie nichts anderes.

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            Dergestalt 12.06.2017, 00:44 Geändert 12.06.2017, 00:50

            Dass Vera Chytilová mit ihrer wild-feministischen Art nicht bibelkonform erzählt, verwundert nicht. "Die Früchte des Paradiesbaums" ist weniger ein Film über die Verfehlungen der Frau im Paradies als eine durchästhetisierte Betrachtung der Weiblichkeit inmitten einer männlich-dominierten Gesellschaft. Anders als der ähnlich gelagerte "Tausendschönchen" bleibt er jedoch deutlich introvertierter, weniger sprunghaft und vertrackter, eine klare Stoßrichtung lässt sich kaum ausmachen. Vielmehr wandert die assoziativ angelegte Erzählung von einem atmosphärischen Setpiece zum nächsten, stets untermalt vom experimentell-sprunghaften Soundtrack, der mal düster, mal träumerisch, mal poppig-spielerisch begleitet. Die fantastischen Farben des Films, die surreale Montage und die merkwürdigen Begebenheiten schaffen von Beginn an eine beinahe märchenhafte Stimmung, die durch die kecke Inszenierung jedoch oft gebrochen wird.
            Denn wie in "Tausendschönchen" bleibt das Weibliche widerständig und laut, entzieht sich dem höhnisch-verächtlichen Besitzdenken des Mannes, sucht nach Freiräumen, die es mit Kreativität und radikalem Ausdruck zu füllen weiß. Entsprechend zieht es die Protagonistin Eva zum Mörder Robert - der Versuch, die bürgerlich-einengende Idylle zusammen mit einem Nonkonformisten zu brechen. Der Trip Evas auf den Spuren des Mörders führt sie auch schnell von der Bibelvorlage ab und einer ganz eigenen Erzählung zu, die erst zum Ende des Films und auf pessimistische Weise wieder zum Gottesstoff zurückkehrt. Der Freiraum Evas ist zu groß geworden, als dass er sich durch die Schöpfungsgeschichte noch fangen lässt. Ein Film, der mutig vorangeht und Aufmerksamkeit fordert - wunderschön, kantig, sicher nicht für jeden.

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              Dergestalt 11.06.2017, 10:46 Geändert 11.06.2017, 14:57

              Robert Wiene kennt man als Regisseur des expressionistisch einzigartigen "Das Cabinet des Dr. Caligari", aber wie so oft drehen Regisseure mehr als nur einen Film - auch schon damals. Jedenfalls ist dabei unter anderem "Orlacs Hände" rausgekommen, ein mysteriendurchwirkter Psychothriller über einen Mann mit fremdgesteuerten Händen. Den faszinierend caligarihaften Plot muss man mit dem Label des Psychothrillers aber schnell etwas entkräften: Hier geht es weniger um einen besinnungslosen Taumel unter boshaften, fremden Mächten samt verzerrter Perspektivik als um einen Mann, dem es irgendwie nicht so gut geht. Insofern keine gemäldeartig-überzeichneten Sets, sondern recht schlichte, durchaus effektiv ausgeleuchtete Innenräume üblicher Bürgerwohnungen, die nur selten an das innovative Bildgenie der Expressionisten gemahnen. Den expressionistischen Gestus findet man im Schauspiel des gequälten, gesteuerten Protagonisten. Hilflos, aber grotesk zuckt Stummfilmstar Conrad Veidt eindrücklich durch die Sets, lässt sich von seinen Händen wie zum Tanz durch den Raum zerren - die Mimik bis zur ängstlichen Besessenheit verzerrt. Das bringt Dynamik in den etwas lahm erzählten Film und gibt ihm seine obskuren Momente, die allerdings immer wieder durch die bodenständige Inszenierung und final auch einen konventionellen Kriminalplot aufgefangen werden. Der führt den Film dann einem unbefriedigenden, überaus kruden Schluss zu, der einsichtsreich sein will, in seiner verkopften Konstruktion aber weder Rationalisten noch kühne Expressionisten befriedigen wird. "Orlacs Hände" bleibt ein unentschlossener Kandidat zwischen irrationalem Künstlertum und braver Umsetzung.

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                Dergestalt 08.06.2017, 02:22 Geändert 08.06.2017, 11:08

                "Ich seh, ich seh" trägt seinen symbolisch-poetischen Titel nicht zu Unrecht. Weitab typischer Horror- oder Thrillerkonventionen entwirft der Film einen seltsam steril abgeschiedenen Kosmos mit ganz eigenen Regeln. Psychologische Motivation findet man kaum, dafür viele morbide Symboliken, die sich auf dem aseptischen Hintergrund umso deutlicher abzeichnen. Und auch als der Film in genretypische Gefilde gelangt, bleibt eine sonderbare Aura. Man weiß wirklich nicht, wer hier eigentlich wer ist. Die kühlen Torture-Anleihen bleiben rückhaltslos in den Raum gestellt und schockieren daher umso mehr. Ein Film, der es einem bis dahin nicht einfach macht, in seiner Rätselhaftigkeit und Suggestionskraft aber ungemein fasziniert. Das liegt nicht zuletzt am punktgenauen und zugleich atmosphärischen Sounddesign und den klug gesetzten Einstellungen.
                Nur kommt dann eben das Ende, oft die Problemstelle vieler Horrorfilme und leider auch der Knackpunkt hier. Denn plötzlich und ohne jedes Timing soll psychologisch-schablonenhaft erklärt werden, was in seiner symbolischen Exzessivität eigentlich kaum mehr rational fassbar ist. Das schlägt in seiner Banalität nicht nur alle Faszination zurück, sondern öffnet diversen Logiklöchern auch gleich die Tür. Irrationales sollte mit den passenden Maßstäben gemessen werden, ansonsten ist das Irreale eben schlichtweg falsch, unpassend. Und so fühlt sich der Film schließlich auch an: falsch, unpassend und irgendwie ganz und gar profan. Wie will man so ein radikales Genre wie das des Horrors neu beleben? Still great though.

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                • Dergestalt 07.06.2017, 12:38 Geändert 07.06.2017, 12:40

                  OMFG! Du hast "Die Früchte des Paradiesbaums" in englischer OmU (und in großartiger Qualität) aufgetrieben. Allergrößter Dank geht an dich!
                  Schnell sichten, bevor das Ding wieder weg ist.

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                    Dergestalt 06.06.2017, 10:51 Geändert 06.06.2017, 11:08

                    "Under the Shadow" vermengt den realhistorischen Horror mit seinen Traumata und macht aus den angegriffenen Innenwelten seiner Figuren konsequent einen Horrorfilm. Eine aufgeklärte Frau inmitten des repressiven Systems des Iran, inmitten eines Bombenhagels. Dort versucht sie sowohl Mutter als auch selbstbestimmte Frau zu sein, scheitert aber zunehmend an dieser Querlage. Die grausigen Ereignisse des Krieges tun ihr übrigens.
                    Wie bei "The Babadook" bietet sich eine psychologische Deutung des Horrors an, der sich hier in Form böser Dschinn manifestiert. Ebenso ist es auch hier eine belastete Mutter-Kind-Beziehung, in die sich das Übernatürliche und Bedrohliche pflanzt.
                    Was "Under the Shadow" filmisch auszeichnet, sind die subtil-klugen Beobachtungen zum Leben im Iran der ausgehenden 80er-Jahre und das angemessene Pacing. Die Figuren sind keine Schnetzelware, sondern wesentliches Zentrum des Horrors und erhalten genügend Raum, sodass der Film über weite Strecken wie ein Drama anmutet. Mit den ersten Horrorsequenzen und den Einbrüchen des Irrealen verstärkt sich der symbolische Charakter. Spätestens hier ist kein simpler Filmkonsum mehr zu haben - "Under the Shadow" bleibt offen, eigen und rätselhaft. Auch in der Gestaltung der Kreaturen, die leider zu oft unkreativ jumpscarelastig ins Bild gerückt werden und so einiges von ihrer faszinierend-übernatürlichen Art verlieren. Nichtsdestotrotz ein kluger Beitrag zum gesellschaftskritisch aufgeladenen Horrorfilm der Gegenwart. Ein eindringliches und herausforderndes Drama.

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                      Dergestalt 05.06.2017, 16:48 Geändert 14.04.2020, 12:31

                      Gareth Edwards, bekannt als Regisseur von "Rogue One" und "Godzilla", hat früher einmal andere Filme gemacht. Zumindest ist sein Langfilmdebüt "Monsters" mehr eine atmosphärisch-nachdenkliche Indiekiste als großes Sci-Fi-Spektakel. Zwar gibt es auch hier große, genretypisch tentaklige Außerirdische, aber die bilden nur den dystopischen Hintergrund für ein stilles Portrait der US-amerikanisch-mexikanischen Grenzregion und diverser Fragen menschlicher Existenz. Wenn zwischen Mexiko und Amerika plötzlich ein kontaminiertes Gebiet steht, Mexiko abgegrenzt und durch das stete Machtgehabe der Amerikaner gefährdet wird, ist man von der Gegenwart gar nicht weit entfernt. Entsprechend konsequent liest sich ein Graffiti, das den Protagonisten auf ihrer Reise in Mexiko begegnet: Aliens oder Amerikaner - wer sind hier die wahren Monster?
                      Die Aliens erscheinen nur punktuell. Erstaunlich viel Zeit verwendet der Film auf die Folgen der Katastrophe, zeigt die betroffenen Menschen und Landstriche. Ähnlich wie in Tarkovskys "Stalker" ist das kontaminierte Gebiet schließlich der eigentlich natürliche Landstrich, der vor allem vom Giftgas der Amerikaner und weniger von den dort lebenden Aliens verpestet wird. Kommt es zum Kampf, dann nur weil die Regierung kontuinierlich versucht, jene neue Natur einzugrenzen und schließlich auszurotten. Vergeblich, aber auf brutale Weise.
                      Organisch versetzt der Film dabei existierende Landschaften und Orte mit den Spuren der Kämpfe. Subtil dringt immer wieder die Gefahr herauf, vor allem bleibt aber ein Gefühl der Verzweiflung, Leere und Trauer. Viele Abendfarben, Dunkelheit, ein sanfter ambientartiger Soundtrack und zwei desillusionierte Protagonisten verstärken den filmischen Abgesang.
                      Die beiden Protagonisten bedeuten schließlich auch eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Unheil. Leider eher auf dem Blatt. Eine Schwäche des Films bleibt die aufgesetzte Liebesgeschichte, die eher bemüht - und zum Ende hin sogar grausig plakativ - mit der Katastrophe enggeführt wird. Das ausdrucksschwache Spiel von Whitney Able, zur Desillusion noch passend, wirkt in den romantischen Szenen deplatziert. Und auch Scoot McNairy, ansonsten ordentlich, kann seine Gefühle nur schwer glaubhaft vermitteln. Muss man halt schlucken. Ansonsten gute Sci-Fi, die an den richtigen Stellen die richtigen Fragen stellt.

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                        Dergestalt 02.06.2017, 23:08 Geändert 02.06.2017, 23:14

                        Ein merkwürdiger Film. Diesmal jedoch weniger aufgrund jodorowskytypischer Merkwürdigkeit, sondern eher aus schierer Fragwürdigkeit. Weitab irgendwelcher autonom surrealer Welten à la "Holy Mountain" führt Jodorwosky in eine europäische, regennasse Stadt wie man sie kennt, liebäugelt ein bisschen mit den Armen, Freaks, witzelt familiengerecht bis leicht derb und erzählt sonst eigentlich nichts. Eine Handlung ist grob angelegt, wird aber nicht wirklich verfolgt. Der schrullig überzeichnete Dieb Dirma eiert irgendwo herum, trifft auf klischeehafte Abziehbilder Gilliamesker oder Jeunetscher Welten, kabbelt sich etwas mit ihnen und so weiter. Das ist lebendig, durchaus mit etwas Liebe inszeniert, aber ohne filmische Konsequenz. Ein seichter Spielplatz, eine Nummernrevue simpler Gags. Ganz am Ende gibt es dann auch einen aufgesetzten melodramatischen Schluss, der in seiner starren Abenteuerfilmprägung keine Sekunde überrascht.
                        Mit "Santa Sangre" brachte Jodoroswky bereits einen ordentlichen, tatsächlich psychologischen Film zustande, kam gefährlich nahe in rationale Gefilde. Endgültig dort angekommen, haucht er mit "The Rainbow Thief" ein laues Lüftchen von Film. Nett gespielt, nett gemeint, vollends antriebslos und in der Leere abgestellt.

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                        • Schon schön, das alles. Aber wird mal Zeit für einen neuen Film. Ein bisschen Bellezza bitte!
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                          • Dergestalt 10.05.2017, 18:55 Geändert 10.05.2017, 19:15

                            Der Trailer ist ein guter GIF-Generator. Ansonsten wirkts ein bisschen wie "Upstream Color" for beginners. Ist vorgemerkt.

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                              Aber ein schöner Film! Ganz in der Tradition eines detailverliebten Jan Švankmajer gibt es hier morbideschöne Sets, die in ihrer Ausdruckskraft immer wieder für ordentlich Eyecandy sorgen. Dazu sonderbare Plotsprünge, kaum Erklärungen und man fühlt sich schnell an den ähnlich gelagerten "Alice" Švankmajers erinnert. Nur ist das ganze hier noch düsterer, karger, wortloser, wenngleich auch nicht ganz so versponnen, sondern in seiner Handlungsentwicklung eigentlich nur konsequent. Den Trip unternimmt man jedenfalls gern, auch wenn der unter deutlich dunklen Vorzeichen stattfindet.

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                                Dergestalt 07.05.2017, 02:03 Geändert 14.04.2020, 12:32
                                über Get Out

                                Hype in the air. Und tatsächlich - kann ich voll verstehen: Super Idee, die shocking Rassismusthematik in einem shocking genre zu verarbeiten. Man erinnere sich an "Night of the Living Dead", der äußerst subtil und gnadenlos zur Feststellung kam, dass die Gesellschaft der 60er eine erbarmungslos rassistische ist. Aktuell meint man es besser zu haben - schließlich ist ein Schwarzer Präsident geworden. Aber falsch, denn zeitgleich sahen wir massive rassistische Übergriffe, von der Polizei aus, vom Staat aus, zu dem auch Obama irgendwie gehörte. Und jetzt auch noch Trump... der Film kommt zur rechten Zeit! Und überhaupt: Endlich politische Impulse fürs selbstzufriedene gegenwärtige Horrorkino!
                                Auch konkret auf den Film bezogen bleibe ich erstmal beim Lob, denn trotz einiger Überzeichnungen gelingt es "Get Out" präzise, die Rassismusproblematik der heutigen Zeit in Kinobilder zu verwandeln. Immer ist dabei klar, worum es geht. Der Film schert sich nicht darum, subtil und vorsichtig zu verfahren. Die fiesen Kommentare sind sofort im Fokus, sitzen auf den Punkt und schaffen von Beginn an ein ordentliches Unwohlsein, das der Zuschauer mit dem Protagonisten Chris teilen muss. Nur passiert ansonsten erst einmal wenig Interessantes. Chris läuft herum, findet fiese Leute, eklige Leute und komische Leute. Es bleibt unangenehm, aber es dauert auch etwas zu lange, bis das Unangenehme wirklich bedrohlich wird. Und kaum ist es soweit, liegt sofort der Holzhammer bereit. Alle Klischees des Paranoiahorrors alter Schule, inklusive Standardfigurenrepertoire und Overacting sind am Start und werden erbarmungslos verheizt.
                                Obwohl ich sonst wenig Probleme mit Groteske und augenzwinkerndem Genrezitat habe - hier kommt alles zu plötzlich, uninspiriert und wird dem langen Vorlauf echt nicht gerecht. Noch dazu erscheint es unglaublich ausgewälzt. Schlimmer ist nur die ewige Schenkelklopferparade mit Chris' lustigem Buddy. Da der Film seine spannenden politischen Impulse immerhin beibehält, mag man hinter jeder Dummheit vielleicht Meta-ness vermuten, für mich blieb leider vor allem Langeweile gegenüber einem unausgegorenen Film zwischen Stagnation und lahmer Horrorshow. Sicher kein dummer und damit auch weiterhin wichtiger Film, der in seiner dramaturgischen Mittelmäßigkeit allerdings hart enttäuscht.

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                                  Dergestalt 06.05.2017, 19:04 Geändert 06.05.2017, 19:12

                                  Die erste Staffel der beliebten Serie "American Horror Story" muss man wirklich nicht gesehen haben. Zumindest nicht, wenn man das Horrorgenre als solches bereits einigermaßen kennt. Denn hier ordnet sich alles brav den alten Genreklischees unter, überrascht nie, irritiert vielmehr in seiner stimmungsfressenden Überladenheit. Und noch schlimmer: Horror als Effekt wird kaum erzielt, stattdessen gibt es Hektik, Plattitüden und Overacting bis zur Lächerlichkeit. Wirkt der schöne Vorspann noch sprunghaft, seltsam und hochsuggestiv, gilt es der Serie selbst, wirklich jede Sonderbarkeit aufzulösen, jeden Geist zu materialisieren und in ein fast soapartiges Eifersuchts- und Liebesgeflecht einzubinden. Überraschungen gibt es wenige, dafür immerhin viel Abwechslung, da die diversen Zeit- und Ebenensprünge immer wieder neue Figuren auskotzen. Manche davon sind ordentlich gespielt, liebevoll skurril, fallen der antidramatischen Regie aber schnell zum Opfer und werden ausnahmslos lächerlich oder harmlos. Besonders verwunderlich, da die Serie im Grunde recht pessimistisch aufgestellt ist und manchmal fast biestig tut. Aber letztlich bleibt das Ding brav und im Prime-Time-Fernsehprogramm gut aufgehoben.

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                                  • Cannes: Pedro Almodóvar, Jessica Chastain, Maren Ade, Paolo Sorrentino und... Will Smith.
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                                    • Dergestalt 24.04.2017, 18:05 Geändert 24.04.2017, 18:06

                                      Einerseits nervt mich die ewige Verwertung von gammligen Horrorfiguren wie Vampiren und Zombies zwar, andererseits freue ich mich über jedes innovative Update des Genres. Und Sono ist eigentlich immer innovativ. Könnte lecker werden.

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                                      • Irgendwie hatte ich subtil immer den Eindruck, dass Gregg Araki einen verdammt tollen Musikgeschmack hat. Und tatsächlich, Wikipedia gibt mir Recht:

                                        "One consistent feature of Araki's work to date is the presence of music from the shoegazing genre as film soundtracks, first seen on Totally Fucked Up and heavily so on the films Nowhere and Mysterious Skin. Both The Living End and Nowhere owe their titles to this shoegaze influence; The Living End after like-named The Jesus and Mary Chain song and Nowhere after Ride's album entitled Nowhere."

                                        https://en.wikipedia.org/wiki/Gregg_Araki#Style

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                                          Dergestalt 22.04.2017, 00:50 Geändert 22.04.2017, 00:59

                                          Ich hatte ja wirklich meine Freude mit Sebastiano Montresors erstem Ausflug in die Welt der VigasioSexploitation, aber dieser zweite Streich hätte nicht sein müssen. Statt experimentellem, halbstummen S/W-Freak-Out in der Nachfolge Maddins und Lynchs gibt es nun wirkliche Sexploitationkost. Also einen hanebüchenen Plot, der möglichst viel Motivation für Nackedei und Fummelei bietet. Diesmal auch alles in satter Farbe und Sound. Die Softcoreanleihen des ersten Teils werden großzügig ausbuchstabiert, sodass man sich bei entsprechenden Vorlieben (große Brüste, willenlos) brav einen rubbeln kann, ansonsten ist aber nicht viel zu holen. Wieder ist von der obskuren Soft Machine (Burroughs ahoi) die Rede, dann sind es aber vor allem Aliens, die barbusige Frauen befruchten möchten. Am liebsten ganz exotisch mit Auberginenpfeilen und Fernseherschädel. Die exzentrische Kante gibt dem Film an manchen Punkten durchaus Spaßfaktor, ansonsten gibt es unterhaltsamere und kreativere pornografische Filmkost ("Alice in Wonderland", "La bête", "Singapore Sling"). Auf diesem Gebiet ist der Film wirklich chancenlos. Mess with Arthouse, but don't mess with porn, Montresor.

                                          Wie schon den Vorgänger gibt es auch diesen Film gratis auf Montresors Website http://www.vigasiosexploitation.com.

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                                            Dergestalt 17.04.2017, 00:15 Geändert 16.10.2019, 22:23

                                            Mittlerweile glaube ich, dass es kein Genre gibt, das mehr Wahnsinn auffährt, als das japanische Cyberindustrialbodyhorrorgenre, quasi begründet durch den guten alten "Tetsuo". Wenn man auf den steht, wird man von "964 Pinocchio" auch sicher nicht enttäuscht. Die "Geschichte" eines fliehenden Sexsklavencyborgs, der an eine Geisteskranke gerät, hält alles bereit, was sich der geschmacklose Exploitationfan ersehnt: Sex, Blut, Kotze, Speed, Willkür, Speed. Für den Kunstfilmfan wiederum bietet der Streifen eine irrsinnige filmische Dynamik aus Bild und Ton. Das Ding zieht jedenfalls wie ein Horrortrip, macht bisweilen so ganz und gar keinen Sinn, scheint in seiner experimentellen Art eher auf die totale Ordnungslosigkeit abzuzielen, nur um auf seine Weise doch sehr rund zu sein.
                                            Die relativ simple Handlung scheint sich in jedem Moment verlieren zu können, so viele irreale bis abstrakte Interludes, so viele manische Figuren stemmen sich dagegen. Die Grenze zwischen konzentrierter Kunst und Wahnsinn wird jedenfalls einige Male lässig überschritten. Bemerkenswert bleibt, wie es den Filmemachern gelingt, die brutale Körperdynamik sex- und schmerzbesessener Wesen in Bilder und Sound zu übertragen. Wer dafür nicht bereit ist, dem kann also schnell übel werden. Aber nach Verträglichkeit, Sinn und Verstand fragt hier ja eh keiner mehr. Ein großer Spaß für jeden gestörten Filmfreund.

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                                              Dergestalt 15.04.2017, 22:21 Geändert 15.04.2017, 22:24

                                              Wer sonst gerade nichts zu tun hat, isst eben psychoaktives Truthahnfleisch. So der liebe Protagonist Herschell, der auf Truthahndroge zum "Blood Freak", also einem blutgeilen Menschentruthahn wird. Dazu noch ein merkwürdiger Aufklärungs- bzw. Antidrogensubtext (siehe auch Cold Turkey) mit einem zwischengeschalteten Moderator, der einerseits vor Drogen warnt, andererseits während der Aufnahmen an seinem Zigarettenqualm beinahe erstickt. Das klingt zunächst natürlich hochkarätig, ist dank des massiven Amateurcharakters des Films dann aber doch eher anstrengend. Die Stimmen sind mies abgemischt, die Einstellungen wirr, die Kamera sowieso Schrott, die Dramaturgie wirkungslos. Wir sehen die heulende Freundin Herschalls, dann ein herumstolperndes Truthahnmonster. Dazwischen hyperredundante Dialoge. Lediglich die wenigen, dafür aber vollkommen manischen Tötungssequenzen mit gelooptem Angstgeschrei und unfokussierten Goreanleihen geben diesem verlogenen Exploitationabenteuer bisweilen Drall. Den Truthahnplot also leider verbraten (pun of course intended).

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                                                Dergestalt 14.04.2017, 00:25 Geändert 14.04.2020, 12:25

                                                Okay, ein Film mit diesem skurrilen Titel kann nicht nur Exploitation sein. Vigasio jedenfalls steht für die kleine italienische Stadt, in welcher die Amateurproduktion wohl entstand. Sexploitation ist eine klare Genrehuldigung, über die dieser äußerst experimentelle S/W-Halbstummfilm aber schnell hinauswächst. Klar, es gibt exploitige Elemente wie lose eingefügte Softcore-Anleihen oder (heilige!) Kettensägen, dann aber auch viel mehr. Im Grunde handelt der Film von einem Detektiv, der mit einer seltsamen Dame in Verbindung gerät und ihrem fiesen, realitätszersetzenden Eindruck verfällt. Jene Dame ist komplett nackt, versteckt ihr Gesicht allerdings konstant unter einem Waschmittelkarton (!). Ihr Auftreten bedeutet eine Verzerrung jeglicher Realitätskoordinaten. Da laufen plötzlich eine kuschelbedürftige Mumie und ein Typ mit Schweinsmaske herum, Eier werden ausgekackt und joa. In seiner liebevollen Schrulligkeit erinnert der Film an eine Mischung aus Guy Maddin ("Forbidden Room"), David Lynch ("Eraserhead"), William S. Burroughs ("The Soft Machine" wird direkt zitiert) und natürlich diversem Trash. Irgendwo schließt sich das ganze am Ende sogar zu einer halbwegs stimmigen Welt, sodass man schon die Eindruck hat, dass hier konsequente Gedanken drin stecken. Vor allem überzeugt der Film aber durch seine Verspieltheit, manch halluzinogenes Bild und die durchweg surreale Grundstimmung, die mit geringen Mitteln erfolgreich geleistet wird.

                                                Wer diesen kleinen Schatz sehen möchte: Herr Montresor bietet den Film zum Download auf seiner eigenen (ebenfalls äußerst stilvoll gestalteten) Website an.
                                                http://www.vigasiosexploitation.com/

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                                                  Dergestalt 09.04.2017, 23:38 Geändert 09.04.2017, 23:42

                                                  Gegen Regeln, Patriarchat, gegen die Ordnung. Jakob Lass will das nicht predigen, sondern darstellen. Entsprechend dreht er die Farben auf Neon, den Sound auf, zerhackt den Film und lässt das Rohgerüst ordentlich brettern. Ganz klar: "Tiger Girl" hat Tempo, macht Spaß. Zwischen den rohen, quasidokumentarischen Aufnahmen in der Sicherheitsfirma der zurückhaltenden Vanilla und den derben Eskapaden mit Tiger Girl gelingt Lass ein bemerkenswert guter Flow (und hier passt der Begriff). Harscher Electroclash auf der Tonspur und eine dynamische Kamera zeigen, dass Lass nicht nur Ideen hat, sondern auch weiß, wie die umzusetzen sind.
                                                  Die Wut der beiden Mädchen bekommt einen schrillfröhlich-anarchischen Charakter und geht prinzipiell auch gegen die Realität. Insofern demontiert "Tiger Girl" ohne Zögern auch gängige Filmregeln oder überhaupt jene der Logik, übertreibt gerne mal und nimmt sich lächelnd manch Klischee vor. Das kann man nervig finden, ist in seiner Konfrontationshaltung aber auch angenehm lebendig, sicher nicht gefällig. Auf jeden Fall ist es konsequent, denn die Energie der beiden Mädchen produziert eben Überschuss und sucht die Übertreibung. Und das ist der Film schließlich: Fröhliche Übertreibung, Rollenspiel, Experiment, an den Kanten mit dem nötigen Realismus und letztlich auch der passenden Reflexion zur entfesselten Gewalt. Billiges "Jackass"-Kino bekommt der Zuschauer also nicht geboten, denn auch hier entzieht sich der Film allen gängigen Kategorien. Und die Kategorie "Deutsches Kino" braucht er sowieso nicht.

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                                                    Dergestalt 09.04.2017, 00:16 Geändert 09.04.2017, 10:24

                                                    Rafael Corkidi kennt vielleicht niemand, aber eigentlich ist das niemand Geringeres als der Kameramann des großen Bildkünstlers Alejandro Jodorowsky. Also aufgepasst und einmal nachgesehen, was der Mann neben seiner Bastelei am Holy Mountain noch so vollbracht hat... Aha, er ist auch Regisseur eines surrealen Mystikhistoriendramas (u.a.) - ist ja eigentlich schon wieder voll jodorowsky. In "Pafnucio Santo" hampelt ein kleiner, heiliger Junge in Footballoutfit durch Wüsten und Ruinen einer ziemlich verzweifelten Welt und will irgendwie den Heiland bringen. Dazu begegnet er diversen historischen Figuren, unter anderem Frida Karlo. Schnell wird auch klar, dass Heilandshoffnung und politische Souveränität des Landes Mexiko eng ineinander greifen. Ebenso Mystik und grotesk-surreale Bildsprache wie man es von Jodorowsky kennt.
                                                    Während der allerdings in dichte, bunte Symbolwelten wandert und den Zuschauer mit diversen Brüchen zu überraschen weiß, bleibt sein Kameramann trotz expressiv-faszinierendem Einstieg in seinen kargen Szenentableaus stecken. Die diversen Operneinlagen über welche all die historischen Figuren ihre Kümmernisse artikulieren, eiern über diese Oberflächen, füllen das ganze aber kaum mit Leben. Schöne Kameraeinstellungen hin oder her. Insofern ist der Film bereits nach ungefähr 30 Minuten in einer Schleife aus religiöser Begeisterung und unzusammenhängenden, steifen Szenen stecken geblieben. Ein surrealistischer Furz. Und der verhallt ungehört in der mexikanischen Wüste. So richtig verpasst hat der Zuschauer also nichts.

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