Framolf - Kommentare
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Alle Kommentare von Framolf
Oscar Madness Film 184 (1 Auszeichnung, 6 weitere Nominierungen)
In sehenswerten schwarz-weiß Bildern berichtet Kenneth Branagh in seiner semi-fiktionalen Retrospektive von unruhigen Zeiten und gesellschaftlichen Verwerfungen durch die Augen eines Kindes. Aus der Mikroperspektive werden vor allem die direkten Auswirkungen auf den kleinen Buddy und seine Familie gezeigt, denen nach und nach ihr vertrautes und liebgewonnenes Umfeld wegzubrechen droht. Viele Nachbarn und Verwandte haben bereits das Land verlassen; und wer geblieben ist, hadert mit dem immer steiniger werdenden Alltag. Farbe bringt in das Leben des kleinen Buddy nur noch die Kultur – und das im wahrsten Sinn des Wortes. Denn das Geschehen auf der Leinwand, das der kleine Cineast mit leuchtenden Augen mitverfolgt, wird hier tatsächlich bunt dargestellt, während auf der Straße das triste Grau dominiert. Buddy liest auch gerne Comics, aber an die Faszination des Kinos und Theaters reicht für ihn nichts heran.
Nicht nur (aber auch) deshalb punktet Branaghs Inszenierung mit einem kreativen Einsatz von Kamera und Schnitt. Zwar fanden diese im Rahmen der 94. Academy Awards keine Berücksichtigung, in sieben anderen Sparten wurde diese Produktion jedoch sehr wohl dabei bedacht.
Kenneth Branagh selbst wurde 2022 für seine Arbeit an 'Belfast' mit einem Oscar für das „Beste Originaldrehbuch“ ausgezeichnet und erhielt darüber hinaus eine Nominierung in der Kategorie „Beste Regie“ (Gewinnerin: Jane Campion für 'The Power of the Dog'). Dabei schafft er es, eine „klassische“ Geschichte zu erzählen, ohne nennenswert auf standardisierte Drehbuchformeln zurückgreifen zu müssen. Als Zuschauer erhält man den Eindruck. Dass der Anfangs- und Endpunkt der Erzählung zwar sehr bedacht gewählt sind, Branagh aber darauf verzichtet, seinen Entwurf nachträglich in ein vermeintlich massentaugliches Schema zu pressen. Vermutlich dürfte das selbst einen angesehenen Filmemacher wie ihn einige Diskussionen mit den Produzenten gekostet haben, doch sein (mutmaßliches) Beharren hat sich gelohnt. Gerade durch diesen kleinen Hauch von Anarchie in Bezug auf die Erzählstruktur gewinnt sein Werk deutlich an Authentizität, die auch durch weitere Nominees gestützt wird.
Judi Dench (Nebendarstellerin) und Ciarán Hinds (Nebendarsteller) verkörpern ihre Rollen unprätentiös und lassen gerade durch die daraus resultierende Bodenständigkeit ihre Vorstellung umso wirklichkeitsnäher und lebensechter wirken.
Van Morrisons Song 'Down to Joy' wiederum fängt die Stimmung der Erzählung, aber auch das Lokalkolorit passend ein und rundet die Mischung aus Kunstfertigkeit und Lebensnähe stilecht ab.
Darüber hinaus wurde 'Belfast' in den Kategorien „Bester Ton“ (Gewinner: 'Dune') und „Bester Film“ (Gewinner: 'Coda') nominiert, wodurch es Kenneth Branagh neben seiner Auszeichnung auf zwei weitere persönliche Nominierungen für diesen Film bringt.
→ 'Belfast' liefert einen sehenswerten Blick zurück auf eine Kindheit zwischen ganz normalen Erfahrungen, wie sie wohl sehr viele Kinder in diesem Alter machen dürften und äußerst widrigen Rahmenbedingungen, die vor allem den Erwachsenen das Leben extrem erschweren. Gerade durch diese kindliche Perspektive eröffnet sich ein neuer Blick auf den Konflikt in Nordirland, der in dieser Form bis dato noch nicht oft zu sehen war – besonders nicht in einem derart ambitionierten Ansatz.
Rasanter Actionthriller mit Halle Berry. Die temporeiche Inszenierung lässt kaum Längen aufkommen. Zwar wirkt der Handlungsaufbau anfangs recht schablonenhaft, doch das wird nicht zuletzt dadurch wieder aufgefangen, dass ganz bewusst einige falsche Fährten gelegt und mögliche Erwartungen der Zuschauer durchbrochen werden; zumindest in einigen Detailfragen. Hinzu kommt, dass sich die Protagonistin (vorsichtig formuliert) nicht durchgehend für die naheliegendste Lösung entscheidet, was zwar stellenweise durchaus Stirnrunzeln hervorrufen kann, aber in Anbetracht der enormen Stresssituation, der sie ausgesetzt ist, noch halbwegs erklärbar ist.
Wer auch mal fünf gerade sein lassen kann und Freude an Guilty Pleasure Unterhaltung haben kann, sollte durchaus mal eine Sichtung riskieren; zumal solide Actionthriller, die nicht komplett aus dem Ruder laufen, seit Beginn des neuen Jahrtausends ohnehin eher rar gesät sind. In einigen Szenen wird hier eine enorme Spannung aufgebaut, was über die eine oder andere Holprigkeit bei Drehbuch und Regie locker hinwegtröstet.
→ Bei Appetit auf filmisches Fast Food nicht die schlechteste Wahl.
Oscar Madness Film 183 (1 Nominierung)
Ein Zauberer und ein Hase stehen kurz vor einer gemeinsamen Bühnenshow. Dumm nur, dass der Hase hungrig ist, und der Magier ihm seine Karotte vorenthält. Also streikt der Hase und sabotiert die Show seines „Herrchens“.
Durch den Kniff, zwei miteinander verbundene Zauberhüte als Requisiten mit einzubauen und auf kreative Weise einzusetzen, gelingt es den Autoren, trotz einer enorm kurzen Laufzeit lediglich von rund fünf Minuten, einen kleinen Hauch von Komplexität mit in die Erzählung zu bringen. Und wer unbedingt möchte, kann sogar eine Parabel über gerechte Entlohnung aus der Handlung filtrieren. Doch ob das wirklich intendiert ist, sei dahingestellt. So oder so: Aufgrund der durchaus durchdachten Geschichte und der technisch und handwerklich gelungenen Animation erscheint die Nominierung für einen Oscar in der Kategorie „Bester animierter Kurzfilm“ 2009 fraglos gerechtfertigt. Ausgezeichnet wurde mit der besagten Trophäe jedoch die japanische Produktion 'Haus aus kleinen Schachteln', die im wahrsten Sinn des Wortes im direkten Vergleich aber doch deutlich mehr Tiefgang und Gefühl aufweist – und letztlich auch mehr mitzuteilen hat. Sehenswert sind allerdings beide Filme.
Fun Fact: Stephen King ist in die Produktion involviert. Allerdings nicht Stephen King, der Schriftsteller, sondern sein Namensvetter, der Spezialist für visuelle Effekte und Animationen. :-)
Schöne Aktion, da bin ich natürlich auch gerne mit dabei.
Bester Film (10 Nominierungen erlaubt)
Benedetta
Coda
Last Night in Soho
Luca
Neues aus der Welt
Nomadland
Don't Look Up
Pieces of a Woman
The Empty Man
Promising Young Woman
Beste Regie (10 Nominierungen erlaubt)
Paul Verhoeven (Benedetta)
Sian Heder (Coda)
David Prior (The Empty Man)
Emerald Fennell (Promising Young Woman)
Bestes Drehbuch (10 Nominierungen erlaubt)
Paul Verhoeven (Benedetta)
Sian Heder (Coda)
Maggie Gyllenhaal (Frau im Dunkeln)
Edgar Wright (Last Night in Soho)
Chloe Zhao (Nomadland)
Max Barbakow (Palm Springs)
Emerald Fennell (Promising Young Woman)
Adam McKay (Don't Look Up)
Bester Darsteller (10 Nominierungen)
Anthony Hopkins (The Father)
Denzel Washington (MacBeth)
Benedict Cumberbatch (Der Spion)
Beste Darstellerin (10 Nominierungen)
Emilia Jones (Coda)
Frances McDormand (Nomadland)
Olivia Colman (Frau im Dunkeln)
Jessie Buckley (Frau im Dunkeln)
Thomasin McKenzie (Last Night in Soho)
Vanessa Kirby (Pieces of a Woman)
Carey Mulligan (Promising Young Woman)
Beste Kamera (5 Nominierungen)
Antlers
Benedetta
Neues aus der Welt
Nomadland
Bester Soundtrack (5 Nominierungen)
Neues aus der Welt
The Empty Man
Der Spion
Minari - Wo wir Wurzeln schlagen
James Bond - Keine Zeit zu sterben
Bester Song (5 Nominierungen)
Billie Eilish - No Time To Die (James Bond - Keine Zeit zu sterben)
Beste Effekte (5 Nominierungen)
Dune
Beste Ausstattung/Kostüme/Kulissen (5 Nominierungen)
Last Night in Soho
Neues aus der Welt
MacBeth
Schlechtester Film (5 Nominierungen)
Monster Hunter
Jemand ist in deinem Haus
After Love
Sweet Girl
Yes Day
Beste Serie (5 Nominierungen)
Höllental
Bester Seriendarsteller (5 Nominierungen)
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Beste Seriendarstellerin (5 Nominierungen)
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Oscar Madness Film 182 (1 Auszeichnung, 1 weitere Nominierung)
♪♫ Drink doch eine met
Stell dich nit esu ahn
Du stehs he de janze Zick eröm ♪♫
Alkohol. Ein traditionell bewährter Kitt für Gruppen von Menschen, die eigentlich gar keine Zeit miteinander verbringen wollen. Bringt Spaß für die Zeit des Saufens und in den Folgetagen gleich nochmal beim gemeinsamen Lästern über diejenigen, die über das gesellschaftlich tolerierte Maß hinaus über die Stränge geschlagen haben.
Vorsicht: Dieser Beitrag kann ebenso Spuren von Zynismus enthalten wie die dänische Tragikomödie, die hier kommentiert wird.
'Der Rausch' hätte so schön werden können. Ein fröhliches Gelage mutig über sich hinauswachsender Personen, die feiern, flirten und überhaupt so sexy sind, wie man es nur mit Alkohol im Blut sein kann. Aber bei vielen Trinkern läuft es dann doch eher auf einen langweiligen Abend am Tresen von Oma Gertruds Eckkneipe hinaus, der allenfalls von Ausflügen auf die Toilette unterbrochen wird. Immerhin: Manchmal hat man sogar Glück und einige der Vorgänger dort haben sogar einen Teil ihrer vorherigen Drinks im Pissoir untergebracht und nicht nur daneben...
Um es vorweg klarzustellen: Thomas Vinterbergs 'Der Rausch' wendet sich nicht primär gegen den Alkohol an sich und schon gar nicht gegen die Leute, die ihm zusprechen. Vielmehr geht es ihm um Betrachtungen zu gesellschaftlichen Erwartungen – und vielleicht auch um Versuche, diese gezielt zu unterlaufen (mit zumeist jedoch mäßig Erfolg, wie bereits vorweggenommen werden kann).
Ob mit dem Titel tatsächlich der Alkoholrausch an sich oder vielleicht eher eine Art gesellschaftlicher Rausch gemeint ist, darf zumindest durchaus hinterfragt werden. Denn benebelte Sinne sind eine Sache. Der Kontrollverlust innerhalb eines festgelegten Alltags und die gesellschaftlichen Folgen, die daraus erwachsen, eine ganze andere.
Thomas Vinterberg fängt dieses Gefühl in treffenden Bildern und Dialogen ein, was seiner Produktion 2021 einen Oscar für den besten fremdsprachigen Film und ihm persönlich eine Nominierung als bestem Regisseur einbrachte. Der Alkoholkonsum ist dabei im Grunde nur ein Vehikel für Vinterbergs Thesen und Aussagen über die Gesellschaft, die man nicht allzu verengt oder monothematisch betrachten sollte.
Um mal etwas zu überspitzen und die Situation durch einen Zerrspiegel zu betrachten: Die Botschaft dieser Verfilmung lässt sich auch in einem Experiment zusammenfassen, dessen Versuchsanordnung noch viel simpler angelegt als das „Forschungsdesign“ in Thomas Vinterbergs Film. Wer mittags mit einer Flasche Bier in eine Kölner oder Düsseldorfer Straßenbahn sitzt, wird garantiert eine Mischung aus mitleidigen, skeptischen und abwertenden Blicken ernten. Wer hingegen an Karneval mittags OHNE eine Flasche Bier in derselben Straßenbahn sitzt, den ereilt mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit dasselbe Schicksal...
Wie gesagt, das ist selbstverständlich etwas pointiert, aber mit Sicherheit weniger weit hergeholt, als mancher vielleicht denken mag. Selbiges gilt nebenbei bemerkt auch für anderweitige gesellschaftliche Konventionen und vermeintliche Tabus. Nicht das Handeln des Einzelnen steht im Vordergrund, sondern die Erwartung der Masse.
Trink gefälligst, wenn du sollst! Aber wehe du übergibst dich!
Sei ruhig auch mal promiskuitiv! Aber bloß nicht außerhalb des Karnevals!
Mach die Nacht zum Tag! Aber bitte nur an Silvester!
Und so lässt sich das mit verschiedenen gesellschaftlichen Konventionen durchdeklinieren. Man kann sich ihnen entziehen (sofern man ein halbwegs dickes Fell hat) oder man läuft mit der Herde. Alternativ kann man auch daran zerbrechen. Und genau diese dritte Gruppe ist es, die bei derartigen gesellschaftlichen Erwartungen unter die Räder kommt. Aber was müssen die sich auch so anstellen? Sie hätten das Trinken vorher doch auch heimlich trainieren können! Aber natürlich bitte nur ohne sich öffentlich zu blamieren.
Oder um den Kreis wieder zu schließen:
♪♫ Drink doch eine met
Stell dich nit esu ahn
Du stehs he de janze Zick eröm ♪♫
Na, dann Prost! Und jetzt Schluss mit Rumstehen. Tanzt!
Oscar Madness Film 181 (1 Auszeichnung, 11 weitere Nominierungen)
Hintergründige Erzählung über Rollenbilder, gesellschaftliche Erwartungen, sexuelle Klischees und Konzepte des familiären Zusammenlebens. Jane Campion wählt dabei eine Szenerie, die auf den ersten Blick gar nicht machohafter sein könnte und durchsetzt sie auf durchaus subtile Art mit eigenen Ideen und Thesen.
Eine ganze Reihe an Mitgliedern der Filmcrew wurde im Rahmen der Oscarverleihung 2022 nominiert (bzw. im Fall von Jane Campion auch ausgezeichnet):
Jane Campion wählt hier einen ähnlichen Erzählstil wie bereits in ihrer Serie 'Top of the Lake'. Das Tempo wirkt entschleunigt und passend dazu verliert sich der Blick der Kamera oftmals in den Weiten der Peripherie. Nebenbei bemerkt spiegelt sich dieses Prinzip auch im Filmtitel wider. Und auch in 'The Power of the Dog' serviert Campion allergrößte Ungeheuerlichkeiten in einer Beiläufigkeit, wie man sie nur selten erlebt. Während im Blockbusterkino gerne auch mal Nichtigkeiten oder Nebensächlichkeiten voller Pathos zelebriert werden, herrscht hier ein ziemlich genau gegenteiliges Prinzip: Selbst die Ursache der vielleicht größten Wendung der Handlung wird nur angedeutet. Wer nicht aufpasst oder nicht genau hinsieht und zuhört, hat es eben verpasst. Auf diese Weise tritt Campion ein für einen bewussteren Modus der Rezeption und hält so ein wichtiges Plädoyer für behutsames Erzählen. Man kann es auch als Belohnung für all jene Zuschauer interpretieren, die während der Sichtung einigermaßen aufmerksam am Ball bleiben. Die Konsequenz: Eine Auszeichnung mit dem Regie-Oscar sowie Nominierungen in den Kategorien „Bester Film“ und „Bestes adaptiertes Drehbuch“. In beiden Sparten ging die Trophäe jedoch an die Konkurrenz von 'Coda'.
Benedict Cumberbatch (Hauptdarsteller), Jesse Plemons, Kodi Smit-McPhee und Kirsten Dunst (alle Nebendarsteller) wurden in verschiedenen Kategorien berücksichtigt, hatten jedoch allesamt das Nachsehen gegenüber Will Smith ('King Richard', Hauptdarsteller), Troy Kotsur ('Coda', Nebendarsteller) bzw. Ariana DeBose ('West Side Story', Nebendarstellerin). Kodi Smit-McPhee überzeugt durch sein zurückgenommenes und hintergründiges Spiel, das den Charakter von Jane Campions Verfilmung wohl am besten Ausdruck verleihen dürfte. Kirsten Dunst hingegen setzt eine Art Gegenpol, indem sie deutlich etxrovertierter wirkt, was jedoch auch ihrer Rolle geschuldet sein dürfte. Benedict Cumberbatch und Jesse Plemons positionieren sich mit ihrem Spiel irgendwo dazwischen und bringen Darbietungen mit ein, die im direkten Vergleich zu den beiden Vorgenannten deutlich geerdeter wirken. Trotz beachtlicher Leistungen sind ihre Rollen aber nicht unbedingt darauf ausgelegt, Flächen für darstellerische Eskapaden zu bieten. Daher scheinen die Nominierungen zwar gerechtfertigt, aber es mangelt ihnen in Campions eher von Understatement geprägter Inszenierung schlichtweg an Gelegenheiten, sich noch exponierter in Szene zu setzen.
Peter Sciberras (Schnitt), Ari Wegner (Kamera), Grant Major und Amber Richards (beide Szenenbild) sorgen für eine Bebilderung, die regelrecht als Visitenkarte dieser Produktion fungiert und Jane Campions dramaturgisches Konzept ins rechte Licht rückt. Sozusagen als Ausgleich zu den oftmals nicht gerade expliziten Dialogen strahlt die behutsam umgesetzte visuelle Gestaltung Ruhe aus und bietet immer wieder Gelegenheiten, den Inhalt, aber auch die landschaftlichen Eindrücke auf sich wirken zu lassen. Dadurch erhält das Publikum einen Eindruck der dortigen Lebensumstände, aber auch immer wieder Zeit, das Geschehen zu erfassen. Bei der Verleihung musste das Team von 'The Power of the Dog' allerdings in allen drei Kategorien der Crew von 'Dune' den Vortritt lassen.
Johnny Greenwood (Filmmusik), Richard Flynn, Robert McKenzie und Tara Webb (Ton) setzen das besagte Konzept entsprechend akustisch um, haben bzw. hatten in Bezug auf die Awards gegenüber ihren Kollegen von 'Dune' allerdings ebenfalls das Nachsehen.
→ Jane Campion führt in 'The Power of the Dog' ihr in 'Top of the Lake' bewährtes dramaturgisches und inhaltliches Konzept in radikalisierter Form fort und wirbt damit für eine bewusstere Art des Erzählens und Rezipierens. Aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung wäre ihre Inszenierung womöglich besser in Arthouse Kinos oder auf entsprechenden Streaming-Portalen oder Fernsehsendern aufgehoben. Andererseits kann Netflix auf diese Weise sein Profil abseits des Mainstreams deutlich schärfen und auch jenen Kunden etwas bieten, die der Flut an gleichförmigen Massenproduktionen überdrüssig sind.
5,5 Punkte mit leichter Tendenz in Richtung 6.
(Bevor Nachfragen kommen: Trotz der hohen Qualität in vielen Bereichen habe ich „nur“ eine mittelmäßige Bewertung vergeben. Für mich funktioniert Campions Konzept in Serienform bisher etwas besser. Vermutlich aus rein subjektiven Gründen, weil ich über die längere Dauer größeren Bezug zu den Figuren herstellen kann. Vielleicht habe ich mich durch die thematisch durchaus verwandte - aber etwas expliziter umgesetzte - Handlung von 'Top of the Lake' auch nur besser abgeholt gefühlt. Der Vollständigkeit halber will ich aber anmerken, dass auch dort nicht alles perfekt für mich war.)
Oscar Madness Film 180 (3 Nominierungen)
Der 15-jährige Schüler Gary Valentine, nicht zu verwechseln mit Kevin James gleichnamigem Bruder (bürgerlich: Gary Joseph Knipfing), macht der rund zehn Jahre älteren Assistentin des Schulfotografen den Hof und legt damit den Grundstein zu einem modernen Märchen der besonderen Art.
Philip Seymour Hoffmans Sohn Cooper und Alama Haim, die jüngere Schwester ihrer beiden Bandkolleginnen Danielle und Este, verkörpern hier zwei kauzige Charaktere in einer durchaus skurrilen Geschichte über Adoleszenz, Liebe, Emanzipation und Karrierepläne vor dem Hintergrund der Ölkrise in den späten 1970er Jahren. Wenn man so möchte, hat das Schicksal dieser Verfilmung kurz nach dem Veröffentlichungszeitraum also mehr Aktualität beschert, als während des Produktionszeitraumes absehbar gewesen sein dürfte. Detailliertere Bezüge auf die Handlung verbieten sich aber fast von selbst. Im Idealfall sollte man sich möglichst ungespoilert an Paul Thomas Andersons Werk heranwagen, für das der Autorenfilmer gleich drei persönliche Oscarnominierungen erhalten hat. Sowohl in der Kategorie „Bester Film“ (Gewinner: 'Coda') als auch in den Sparten „Beste Regie“ (Gewinnerin: Jane Campion für 'The Power of the Dog') und „Bestes Originaldrehbuch“ (Gewinner: Kenneth Branagh für 'Belfast') wurde sein unkonventioneller, aber doch höchst stilsicherer und stimmiger Ansatz in die engere Auswahl bei der Vergabe der Preise genommen. Seine Erzählung schweift regelmäßig ab, ohne den Blick auf ihren Kern zu verlieren. Sie geht eigene Wege, lässt ihre Originalität aber nie zum Selbstzweck verkommen. Und sie hegt die individuelle Geschichte zweier (im Wortsinn) merkwürdiger Menschen fast schon beiläufig, aber doch bedeutsam in ihren zeitgeschichtlichen Kontext ein. Die Inszenierung wirkt dadurch (auf positive Art) ähnlich kauzig wie ihre beiden Protagonisten und macht den filmischen Ausflug in die 70er zu einem kleinen, großen Erlebnis für Cineasten. Und ganz nebenbei liefert Anderson damit einmal mehr den Beweis, dass mehr oder minder lebensnahe Tragikomödien oftmals einen ganz eigenen Zauber entfalten können, der Vertretern vieler anderer Genres komplett vorenthalten zu bleiben scheint.
Oscar Madness Film 179 (1 Nominierung)
Paolo Sorrentino gab kurz vor der Premiere von 'The Hand of God' an, er habe versucht, „die Fallen einer konventionell inszenierten Autobiografie zu umgehen“; und im Großen und Ganzen ist ihm das auf recht stilvolle Weise gelungen. Die Betonung liegt jedoch ganz ausdrücklich auf dem Attribut „konventionell“, denn der vermutlich größte Fallstrick mehr oder weniger sämtlicher Autobiografien dürfte das Ausmaß und die Ausprägung der Selbststilisierung sein. Vermeiden lässt sich diese zwangsläufig nicht, da man schließlich mit jeder Entscheidung, die man hinsichtlich der Erzählung zu fällen hat, auch ein Stück weit seine eigene Geschichte stilisiert. Was erzählt man, was spart man aus und welcher Episode misst man wie viel Bedeutung bei? All diese Überlegungen geben der Inszenierung eine jeweils ganz eigene Richtung und bestimmen vor allem das Bild, das man somit über sich selbst erzeugt. Sorrentino macht nur einen kleinen Ausschnitt seines bisherigen Lebens zum Thema dieser Verfilmung und überlässt gerade in formeller Hinsicht nichts dem Zufall. Ganz im Gegenteil: Seine Bilderwelten erscheinen regelrecht durchkomponiert und bis ins Detail durchdacht. Ähnliches gilt für die Zeitgenossen, die er in seiner Retrospektive auftreten lässt. Viele von ihnen erscheinen als höchst skurril und weisen mitunter komödiantische Züge auf, werden aber überwiegend augenzwinkernd präsentiert. Sorrentino lässt das Publikum über sie und mit ihnen schmunzeln. Sich selbst hingegen nimmt er einigermaßen zurück. Über weite Strecken erscheint er als eher farbloser Beobachter der Szenerie. Er nimmt sich also selbst vom Spott halbwegs aus (wobei er jedoch auch einige Spitzen über sich selbst zum Besten gibt), beweihräuchert sich selbst aber auch nicht über Gebühr. Wer beispielsweise 'Mein Leben', die Autobiographie von Marcel Reich-Ranitzki, gelesen hat, weiß, welche Züge die Präsentation der eigenen Person mitunter annehmen kann.
Mit anderen Worten: Sorrentino nimmt sich selbst als Person (bzw. als Charakter innerhalb der Erzählung) weitgehend zurück, lässt den (v.a. visuellen) Stil seiner Inszenierung dafür aber umso lauter sprechen. Er präsentiert dem Publikum heitere Anekdoten, aber auch erschütternde Ereignisse und andere einschneidende Episoden aus der Zeit seiner Adoleszenz und greift dabei bevorzugt auf Mittel des Bildungsromanes und der Künstlerbiographie zurück. Ein angesichts seines Werdeganges eigentlich naheliegender Ansatz, der aber trotzdem relativ selten gewählt wird. Zu groß sind für viele Autoren oder Regisseure eben die Verlockungen konventioneller Inszenierungen. Viele präsentieren eben doch lieber sich selbst als ihr Werk. Wobei es aber natürlich auch zahlreiche weitere Konzepte autobiographischen Erzählens gibt, die die Wiedergabe mikrohistorischer Ereignisse in den zeitgeschichtlichen (Ruth Klüger) oder politischen (Ernst Toller) Kontext einordnen, mit theoretischen Überlegungen verbinden (Elias Canetti), Mitmenschen ein literarisches Denkmal setzen (Michael Degen) oder - wie bereits angedeutet - in allererster Linie um sich selbst kreisen.
Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences würdigte Sorrentinos Ansatz 2022 mit einer Nominierung in der Kategorie „Bester internationaler Film“. Vergeben wurde die Auszeichnung jedoch an die japanische Einreichung 'Drive My Car'.
Knapp 7 Punkte.
Oscar Madness Film 178 (1 Auszeichnung)
Wenn von Musikfestivals der späten 60er Jahre die Rede ist, kommt dabei die Sprache so gut wie immer auf Woodstock – ganz besonders in den Medien. Ahmir „Questlove“ Thompson schickt sich an, dies mit seinem Dokumentarfilm 'Summer of Soul (...Or, When the Revolution Could Not Be Televised)', der sich mit dem Harlem Cultural Festival befasst, zu ändern. Zahlreiche namhafte Musiker wie Stevie Wonder, Nina Simone oder B. B. King gaben sich dort seinerzeit die Klinke bzw. das Mikrofon in die Hand und verwandelten den New Yorker Mount Morris Park nicht nur in ein Festivalgelände, sondern auch in die Wiege eines neuen Selbstverständnis einer vielfältigen kulturellen Szene.
Questlove legt das Hauptaugenmerk ganz klar auf die musikalischen Darbietungen, von denen er viele in angemessener Spieldauer laufen lässt. Er kann dabei aus einem reichhaltigen Fundus an Archivmaterial schöpfen, der – wie der Titel bereits andeutet - offenbar jahrzehntelang in irgendwelchen Regalen verstaubt ist, ohne jemals öffentlich aufgeführt worden zu sein. Angereichert werden die Mitschnitte mit zahlreichen Aussagen damaliger Zeitzeugen (Musiker, Besucher usw.) oder späterer Fachleute. Auf diese Weise wird ein Bogen gespannt von den Darbietungen auf der Bühne über die gesellschaftlichen Implikationen der Auftritte bis hin zu den politischen Rahmenbedingungen. Ganz klar im Vordergrund stehen aber über die gesamte Laufzeit die Künstler und ihre Auftritte. Für Musikfreunde geht auf diese Weise ein Fenster zu einem Ereignis auf, das bisher kaum mediale Beachtung fand.
Honoriert wurde dieser bisher einmalige Einblick in die Archive mit einem Oscar für den besten Dokumentarfilm im Rahmen der Oscarverleihung 2022.
Oscar Madness Film 177 (1 Nominierung)
Die ganze Menschheit soll dafür büßen, dass Peter Parker nicht auf Anhieb an der Uni angenommen wurde und auch nicht besonders gerne telefoniert. Wenn das mal keine überragende Prämisse für einen Superheldenfilm ist. Doch Jon Watts Inszenierung krankt nicht nur an ihrer Ausgangssituation, denn in erzählerischer Hinsicht kommt 'Spiderman: No Way Home' auch ganz grundsätzlich einer Bankrotterklärung gleich. Das Drehbuch kombiniert diverse Elemente aus der Raimi-Trilogie, den 'The Amazing Spider-Man' Filmen, aus 'A New Universe' und den Comics und jubelt sie dem Publikum als Innovation unter. Auf diese Weise lassen sich zwar zahlreiche Charaktere aus früheren Filmen einbinden; allerdings zu dem Preis, dass der Tod und andere wesentliche Handlungskomponenten nun vollends entwertet erscheinen. Wozu noch groß mitfiebern, wenn durch das Drehen an der Uhr oder die Interaktion mit anderen Universen sowieso kaum ein Charakter so richtig verschwindet? Andererseits bieten sich durch die Multiversen-Situation natürlich auch zahlreiche erzählerische Chancen, durch die sich Geschichten auf ein ganz anderes Level heben lassen. Nur leider bleibt im Rahmen einer Spielfilmreihe (im Vergleich zu einer TV- oder Streaming-Serie) eben nicht annähernd so viel Zeit. Und so dient die geschaffene Ausgangslage eben nur als Grundlage für halbgare Gags und eine Bedrohungssituation, die nie so richtig ausgereizt wird (bzw. aufgrund der begrenzten Spieldauer auch gar nicht richtig ausgeschöpft werden kann). Grundsätzlich hätte man diesen Film auch nutzen können, um die Unterschiede zwischen verschiedenen Versionen von Charakteren aus unterschiedlichen Universen noch schärfer herauszuarbeiten, damit sie nicht nur als pure Abziehbilder ihrer hiesigen Entsprechungen erscheinen. Doch daran scheint das Drehbuch kein großes Interesse zu haben. Und so stehen unter dem Strich eben rund zweieinhalb Stunden bunter Unterhaltung, die den Nährwert von Fast Food aufweisen. Kann man sich schon irgendwie gönnen, aber in einigen der vielen Multiversen dort draußen dürfte es sicherlich auch eedlere Versionen dieser Verfilmung geben.
Nichtsdestotrotz wurde 'No Way Home' 2022 für einen Oscar in der Kategorie „Beste visuelle Effekte“ nominiert. Die Auszeichnung wurde letztlich allerdings an Brian Connor, Paul Lambert, Tristan Myles und Gerd Nefzer für ihre Arbeit an 'Dune' vergeben.
Oscar Madness Film 176 (1 Auszeichnung, 2 weitere Nominierungen)
In einem südamerikanischen Dorf namens Encanto gehen, wie der Name es bereits andeutet, seltsame Dinge vor sich. Es wird gesungen und getanzt, aber noch viel wichtiger: Die Einwohner scheinen über eine gewisse Art von Magie zu verfügen. Alle Einwohner? Leider nicht. Denn Disney wäre nicht Disney, wenn es nicht auch eine jugendliche Bewohnerin mit einer Sonderrolle geben würde, die ihre Fähigkeiten und ihren Platz in der Gesellschaft erst noch entdecken muss.
Auch wenn hier vieles beim Alten bleibt: Der Mauskonzern wagt sich in dieser Produktion tatsächlich an ein paar Neuerungen heran – allerdings nur in homöopathischen Dosen. Die Lieder wirken im Vergleich zu manch anderen Produktionen leicht modernisiert und nicht ganz so extrem weichgespült und bei der Handlung verzichtet man auf ein paar althergebrachte Elemente. Wobei: Eigentlich verzichtet man fast völlig auf irgendeine Handlung... Die Animationen sind gewohnt farbenprächtig, detailreich und aufwändig umgesetzt und laden regelrecht zum Verweilen in den nach dem state of the art erschaffenen Bilderwelten ein. Doch ganz klar im Vordergrund stehen die musikalischen Einlagen, die alle weiteren Faktoren im Grunde zu Begleiterscheinungen degradieren.
Bei dieser enormen Fokussierung auf die musikalische Untermalung erscheint es auch nicht weiter verwunderlich, dass Disney mit 'Encanto' Oscarnominierungen für die Filmmusik sowie Lin-Manuel Mirandas Song 'Dos Oruguitas' verbuchen konnte. In beiden Kategorien musste man jedoch der Konkurrenz (Musik: Hans Zimmer für 'Dune', Song: Billies Eilish und Finneas O'Connell für 'No Time to Die' aus dem gleichnamigen '007'-Film) den Vortritt lassen.
Prämiert wurde 'Encanto' allerdings mit dem Oscar für den besten Animationsfilm. Dabei konnte man sich gegen die hausinterne Konkurrenz von 'Raya und der letzte Drache' und 'Luca' (Pixar) ebenso durchsetzen wie gegen die animierte Dokumentation 'Flee' und gegen Sonys überdrehte Familien-Science-Fiction-Action-Komödie 'Die Mitchells gegen die Maschinen'.
Kurios: Lin-Manuel Miranda, der für seinen Song 'Dos Oruguitas' 2022 die o. g. Oscarnominierung erhalten hat, war im selben Jahr noch an zwei weiteren Produktionen beteiligt, die ebenfalls für mindestens einen Oscar nominiert waren: Als Regisseur von 'Tick, Tick... Boom!' sowie als Interviewpartner in Ahmir „Questlove“ Thompsons Dokumentation 'Summer of Soul (...Or, When the Revolution Could Not Be Televised').
Oscar Madness Film 175 (2 Nominierungen)
Julie schlingert durch ihr Leben. Beruflich mangelt es ihr an einem verbindlichen Plan und privat fühlt sie sich noch nicht bereit für ein verantwortungsvolles Familienleben. Mitten in dieser Odyssee durch den Alltag trifft sie auf Aksel, der mit provokativen Comics Aufmerksamkeit erregt. Er rebelliert mit anderen Mitteln als sie. Während er beruflich auf Krawall gebürstet ist, sehnt er sich privat nach Nachwuchs und kann sich dafür keine bessere Partnerin vorstellen als Julie. Konflikte sind also vorprogrammiert.
Was aufgrund der Synopse womöglich nach einem halbgaren Liebesfilm oder einer romantischen Komödie klingen mag, erweist sich bei der Sichtung vielmehr als eine Mischung aus Familiendrama, Sittengemälde, Generationenporträt und Charakterstudie. Zwar verfügt Joachim Triers Inszenierung in keinem dieser Teilbereiche über bahnbrechende Alleinstellungsmerkmale, doch in der Mischung nähert sich 'Der schlimmste Mensch der Welt' zunächst seiner Protagonistin an und wirft dabei Fragen auf, die sicher auch einige Zuschauer zum Nachdenken anregen dürften. Immer wieder werden dabei verbal oder nonverbal knackige Thesen in den Raum geworfen, mit denen sich das Publikum fast zwangsläufig auseinandersetzen muss – zumindest dann, wenn man wenigstens ansatzweise einen biographischen oder charakterlichen Bezug zu einem der Charaktere herstellen kann. In Sachen Struktur geht die Erzählung mit ihrer Gliederung in zwölf Kapitel plus Prolog und Epilog vergleichsweise unkonventionelle Wege und bewirbt sich damit eher um einen Platz im Literatur- als im Filmregal. Die Dialoge wirken auf den ersten Blick eher explizit, was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass sich inhaltlich dennoch vieles zwischen den Zeilen abspielt. Selbiges gilt für eine ganze Reihe von Metaphern, die augenscheinlich ganz bewusst mit dem Holzhammer gesetzt werden. In der Summe ergibt dieser Ansatz zwar nicht unbedingt ein bahnbrechend innovatives Ergebnis, doch eine eigenständige Handschrift von Joachim Trier und Eskil Vogt ist ohne jeden Zweifel erkennbar, woraus sich auch die Oscarnominierung in der Kategorie „Bestes Originaldrehbuch“ herleiten dürfte (Gewinner des entsprechenden Awards: Kenneth Branagh für sein Skript zu 'Belfast'). Fast schon zwangsläufig erscheint in diesem Licht auch die Nominierung dieses norwegischen Beitrages in der Sparte „Bester fremdsprachiger Film“ (Gewinner: 'Drive My Car', eingereicht durch Japan).
Auch und gerade der schroffe Charme dieser offenkundig ganz bewusst nicht komplett glattgebügelten Inszenierung kann ein gutes Argument für eine Sichtung sein; allerdings nur, wenn man halbwegs lebensnahen Dramen auch etwas abgewinnen kann.
Oscar Madness Film 174 (1 Nominierung)
Regisseur und Drehbuchautor Michael Rianda inszeniert seinen Langfilm-Erstling als animierte Version eines (einigermaßen) familienfreundlichen Science Fiction Thrillers. 'I, Robot' trifft also auf 'Rick and Morty' mit einem Schuss 'Futurama', wenn man so möchte. Beachtlich erscheint, dass sich das Drehbuch einerseits an Personen mit eher geringer Aufmerksamkeitsspanne zu wenden scheint, aber andererseits auch unverhohlen vor Gefahren der Unterhaltungstechnik warnt (deren Vorzüge allerdings auch gleichzeitig angepriesen werden). Das offensichtliche Bedrohungsszenario, das hier aufgebaut wird (Rebellion der Roboter) stammt – zumindest in dieser Form - natürlich eher aus der Spaßabteilung. Zwischen den Zeilen jedoch (und teilweise auch fett markiert innerhalb der Zeilen) wird jedoch auch ganz ausdrücklich für eine gesunde Mischung klassischer und moderner Methoden geworben. Denn Vater Mitchell wird verloren sein, wenn die Roboter auf ihn losgehen. Seine Tochter allein wird dauerhaft auch nicht die allerbesten Karten haben. Doch gemeinsam können sie es schaffen und die Roboter müssten sich warm anziehen (wenn sie keine Nudisten wären). Mit Schraubenzieher und Computerkenntnissen gegen das Böse eben.
Der Unterhaltungswert von 'Die Mitchells gegen die Maschinen' speist sich zu weiten Teilen aus dem eigenwilligen Animationsstil und dem großen Detailreichtum der Inszenierung. Durch das hohe Tempo hingegen dürfte das Publikum deutlich gespalten werden. Als Kontrastprogramm zu den Produktionen des Konkurrenten Disney und zu allen Studios, die sich eher an dessen Stil anlehnen, setzt Sony hier nach 'Spider-Man: A New Universe' ein weiteres stilistisches Ausrufezeichen, das aufhorchen lässt. Honoriert wurde dieser Ansatz u. a. durch eine Oscar-Nominierung. Dass die Trophäe mit 'Encanto' dann aber doch wieder an einen höchst konventionellen Kandidaten des Mauskonzerns, der allenfalls auf sachte Erneuerungen setzt, vergeben wurde, sagt einiges über die Besetzung der Jury und deren Haltung aus.
In 'Die Mitchells gegen die Maschinen' jedenfalls werden neue Impulse gesetzt, deren Spuren wahrscheinlich auch in näherer und mittelfristiger Zukunft noch von Belang sein dürften. Etwas frischer Wind schadet bekanntlich nie. Doch falls Hyperaktivität als Stilmittel noch stärker kultiviert werden sollte, dann gande uns allen der Roboterteufel!
Oscar Madness Film 173 (3 Nominierungen)
Aaron Sorkin ('Moneyball') erzählt in 'Beeing the Ricardos' die Geschichte von Lucille Ball und Desi Arnaz, die in den 50er Jahren mit ihrer Sitcom 'I Love Lucy' große Erfolge feiern konnten. Zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt werden Ermittlungen des Komitees für unamerikanische Umtriebe gegen Lucille Ball bekannt, was die Produktion der anstehenden Episode deutlich verkompliziert. Erschwerend kommen noch aufkeimende Beziehungsprobleme hinzu.
Sorkins Inszenierung ermöglicht streiflichtartige Einblicke in die Produktionsprozesse der Show, aber auch in die Rahmenbedingungen von Dreharbeiten zu Zeiten eines niedergehenden Studiosystems. RKO-Pictures, das seinerzeit noch über einen klangvollen Namen verfügte, tritt seinem Ende hingegen, während CBS noch eine aussichtsreiche Zukunft vor sich haben sollte. Und in dieser Gemengelage erscheinen die Nebenstränge der Handlung bzw. die Implikationen, die (auch in politischer Hinsicht) mitschwingen, fast noch interessanter als die Kerngeschichte über die beiden Comedy Stars und ihre Serie. Die bisweilen hysterische Kommunistenjagd während der McCarthy wird dabei ebenso prominent behandelt wie der Umgang der Studios mit ihren Aushängeschildern. Und ganz nebenbei wohnt man eben der Produktion einer Serienepisode bei, die zumindest in einigen Teilaspekten (beispielsweise bezüglich einiger Gag-Ideen) recht umfassend begleitet wird.
Lucille Balls Grenzgängertum zwischen Film- und Fernsehproduktionen spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, wird stellenweise aber auch eher zwischen den Zeilen abgehandelt. Zu einer Phase, als in Sachen Karriere- und Imageplanung noch nicht an die Methoden späterer Stanislawski-Anhänger zu denken war, wurde noch überwiegend in einem dualen System verharrt. Auf der einen Seite die Filmstars der großen Studios, die auch tatsächlich als Sterne konzipiert waren: Gut sichtbar und funkelnd, aber doch unerreichbar. Auf der anderen Seite Fernsehfiguren, als deren prototypisches Idealbild ein Nachbar galt, den man gut leiden kann. Man lädt ihn gerne zu sich ins Wohnzimmer ein, ist möglicherweise aber auch ganz froh, wenn er nach einer Weile wieder geht. Ein guter Nachbar eben und kein bester Freund. In anderen Worten: Perfektion und Unnahbarkeit drüben versus Ecken und Kanten sowie eine gewisse Erdung hüben. Beide Konzepte stehen sich gegenüber und widersprechen sich in vielen Punkten. Daher war die Imagegestaltung oftmals nicht ganz einfach. Wenn dann noch Kommunismusvorwürfe hinzukommen, wird es umso schwerer. Zwar konnte Lucille Ball während ihrer Karriere eine stattliche Anzahl an Filmrollen an Land ziehen, doch mit Blick auf die Imagefaktoren scheint es nicht verwunderlich, dass sich ihr Wirken im Lauf der Zeit tendenziell immer stärker in Richtung Television entwickelte.
Selbstreferenzielle Stoffe sind bei der Academy bekanntlich immer gerne gesehen. Mit Nicole Kidman, Javier Bardem (beide Hauptrolle) und J. K. Simmons (Nebenrolle) wurden im Rahmen der Oscar-Verleihung 2022 gleich drei frühere Oscargewinner erneut für einen Gewinn der Trophäe nominiert. Die drei Darsteller liefern hier geschlossen gute Leistungen ab, werden aufgrund der Struktur ihrer jeweiligen Rollen allerdings nicht ganz so stark gefordert wie einige ihrer KonkurrentInnen. Überspitzt formuliert gibt Simmons hier eine etwas tiefgründigere Version eines Pausenclowns, der allerdings auch einige schwerwiegende Probleme mit sich herumzuschleppen scheint. Nicole Kidmans Rolle wechselt zwischen Diva und Rampensau auf der einen Seite und von Eifersucht zerfressener Ehefrau auf der anderen. Bardem wiederum verkörpert einen reflektiert handelnden Macher, der auf der Bühne (vor allem bei seinen musikalischen Club-Auftritten) allerdings oftmals auf seine kubanische Herkunft reduziert wird und die entsprechende Erwartungshaltung bedient. Grundsätzlich geben also alle drei Rollen durchaus Entfaltungspotenzial für ihre Darsteller her; die konkreten Situationen, in die die drei geschickt werden, erweisen sich aber in der Summe als nicht ganz so komplex wie jene, die beispielsweise Olivia Colman, Denzel Washington oder Kodi Smit-McPhee zu meistern haben, die bei der Verleihung jedoch ebenfalls allesamt leer ausgingen.
Oscar Madness Film 172 (2 Nominierungen)
++ Enthält SPOILER ++
Ein junger Komponist hört für sich die Zeit ticken. Schließlich ist er schon Ende Zwanzig, hat aber noch kein eigenes Musical veröffentlicht. Er gerät dadurch immer stärker unter Stress und seine Beziehung zu seiner Freundin beginnt darunter zu leiden. Das bringt ihn zwar auf neue Song-Ideen, wirft ihn im Privatleben allerdings auch wieder zurück. Und die Uhr tickt weiter. Bis er eines Tages auf schmerzhafte Weise feststellen muss, dass eine Karriere-Uhr vergleichsweise leise tickt, wenn man sie ins Verhältnis zu existenziellen Problemen setzt; also solchen, die nicht ausschließlich die finanzielle und ideelle, sondern die physische Existenz betreffen.
'Tick, Tick... Boom!' liefert eine höchst unkonventionelle Mischung aus Biopic und Musical und orientiert sich an Begebenheiten des Autors und Komponisten Jonathan Larson, der hier von einem gut aufgelegten und höchst engagierten Andrew Garfield verkörpert wird, der sich ganz offenkundig mit voller Verve in dieses Projekt wirft. Mimisch und gestisch wartet der Darsteller, der mit 'Spiderman: No Way Home' und 'The Eyes of Tammy Faye' an zwei weiteren Filmen mitwirkt, die 2022 im Rennen um die Oscars nominiert bzw. prämiert wurden, mit einer großen Bandbreite an Regungen und Bewegungen auf und setzt damit einen deutlichen Kontrastpunkt zum Spielstil des ebenfalls nominierten Denzel Washington ('Macbeth'). Garfield singt, tanzt, lacht, streitet und grübelt mit einer Hingabe, als wäre es seine einzige und letzte Chance, seine Karriere in neue Höhen zu führen. Und genau auf diese Weise wird er seinem Rollenvorbild ganz besonders gerecht.
Eine zweite Oscar-Nominierung können Myron Kerstein und Andrew Weisblum für den Schnitt verbuchen, die in unzähligen Parallelmontagen biographische Ereignisse aus dem Leben Larsons mit nachgestellten Szenen aus seinen Bühnenprogrammen aufeinandermontieren und damit dessen Leben und Werk auf ganz besondere Weise miteinander verweben. Sie unterstützen so die Aussagen von Regie und Drehbuch auf ganz besondere Weise und zeigen auf, wie diverse biographische Wegmarken aus dem Leben Larsons Eingang in dessen Kompositionen finden. Dadurch wird dem Publikum ein Gespür für seine Arbeitsweise vermittelt und er wird den Zuschauern sowohl als Mensch als auch als Künstler nähergebracht.
Fun Fact: Regisseur Lin-Manuel Miranda konnte für seine Arbeit an 'Tick, Tick... Boom!' keine Oscar-Nominierung erlangen, ging jedoch zeitgleich als Komponist des Songs 'Dos Oruguitas' für Disneys 'Encanto' ins Rennen um eine der begehrten Statuen und taucht überdies als Interviewpartner in der oscarprämierten Doku 'Summer of Soul' auf.
Oscar Madness Film 171 (3 Nominierungen)
Maggie Gyllenhaal geht in ihrem Spielfilm-Regiedebüt mutige Wege und verfilmt einen Stoff, den man manch anderen Regisseuren (vor allem bei unsachgemäßem Umgang damit) wohl zurecht um die Ohren gehauen hätte. Aber gleich vorneweg: Gyllenhaal meistert diese enorme Herausforderung derart versiert, dass man gar nicht anders kann, als sämtliche Hüte vor ihr zu ziehen.
Die Geschichte des von ihr verfilmten Romanes beginnt zunächst recht unscheinbar: Eine alleinreisende Endvierzigerin wird am Strand von einer rüpelhaft auftretenden Großfamilie belästigt und empfindlich in ihrer Urlaubsruhe gestört. Grundsätzlich eine Situation, die nahezu jeder in vergleichbarer Form schon einmal erlebt haben dürfte – sei es auf der Seite des Störers oder des Ruhesuchenden. Was dann allerdings folgt, erweist sich als ebenso tief- wie hintergründig.
Wie so oft, wenn Dreh- und Regiebuch aus einer Hand kommen, ist auch im Fall von 'Frau im Dunkeln' ohne Kenntnis der Originaltexte nicht ganz eindeutig zu bestimmen, welche Anweisungen wo zu finden sind. Doch auch unabhängig von einer möglicherweise etwas diffusen Trennschärfe, lässt sich anhand der üblichen Indizien erahnen, wo hier welche Inhalte zu verorten sind. Das Drehbuch jedenfalls geht in Bezug auf die Struktur mutig eigene Wege, die dementsprechend auch von der Jury der Academy of Motion Pictures and Arts mit einer Nominierung gewürdigt wurden. Überhaupt erweisen sich die beiden Drehbuchkategorien generell seit vielen Jahren als Hort der Innovationsfreude. Individuelle Entwürfe werden hier traditionell deutlich häufiger gewürdigt als ein hoher Grad an Perfektion in bewährten Formaten. Damit unterscheidet sich die Jury in dieser Sparte auch deutlich von denen in einigen anderen Kategorien, in denen Perfektion tendenziell eher der Vorzug gegenüber Innovation gegeben wird (Beispiel: Bester Animationsfilm). Maggie Gyllenhaal setzt in ihrem Drehbuch auf eine ganz eigene Art des Spannungsaufbaus abseits konventioneller Drehbuchformeln. Die Rückblenden und Einschübe nutzt sie dabei auch zu einer Art von Informationskontrolle, indem dem Publikum wohlkalkuliert und streng dosiert Stück für Stück neue Versatzstücke an die Hand gegeben werden, die nach und nach Licht in die Vergangenheit der Protagonistin und somit auch in ihren Racheplan bringen. Auf diese Weise schafft es die Filmemacherin auch, eine Thrillernote auf das Dramengeschehen aufzusetzen.
[SPOILER] Erst nachdem klar wird, wie es um das Verhältnis zu ihren Töchtern bestellt ist, ergibt der Plan mit der „Entführung“ der Puppe so richtig Sinn. Sie erkennt im Verhältnis zwischen Nina und ihrer Tochter eine Sollbruchstelle, an der sie gezielt ansetzt und das Gift ihres Eingriffs wirken lässt. [SPOILER ENDE]
Auf der anderen Seite vermittelt die Inszenierung jedoch auch geschickt Informationen durch Auslassungen (etwa wenn Lyle im Gespräch über seine Söhne das Thema wechselt). Neben dem ambitionierten Skript erweist sich als auch Gyllenhaals Regiearbeit als äußerst hochwertig; auch wenn die Endfassung ein wenig einem ungeschliffenem Rohdiamanten gleicht. Einerseits weist sie die schroffe Energie auf, die man oftmals nur bei Erstlingswerken beobachten kann, andererseits wären im Bereich der Maske und der Kostüme aber auch sicher noch ein paar zusätzliche Prozentpunkte herauszuholen gewesen. Fragen wie diese dürften sich bei künftigen Projekten durch üppiger werdende finanzielle Ausstattungen aber voraussichtlich erübrigen.
Ganz große Ergebnisse erzielt Gyllenhaal jedenfalls durch ihr Zusammenwirken mit den beiden Darstellerinnen Olivia Colman (Hauptdarstellerin) und Jessie Buckley (Nebendarstellerin), die beide für dieselbe Rolle jeweils eine Oscarnominierung für sich verbuchen können. Jessie Buckley greift mehrere mimische Besonderheiten von Olivia Colman auf und übernimmt diese in ihr Spiel, wodurch ein großes Plus an Glaubwürdigkeit und Kontinuität erreicht wird. Selten erscheinen Rückblenden und aktuelle Szenen derart akkurat aufeinander abgestimmt, wie es hier der Fall ist. Colman dringt ohnehin ein weiteres mal in neue Sphären vor und setzt ihren unfassbaren Gipfelsturm, den sie seit Beendigung der Dreharbeiten zu 'Broadchurch' angetreten ist, unaufhaltsam fort. Besonders spannend ist, dass sich im Rahmen der Oscarverleihung 2022 mit Olivia Colmans Spiel in 'Frau im Dunkeln' und Jessica Chastains Wirken in 'The Eyes of Tammy Faye' zwei absolut unterschiedliche Schauspielkonzepte gegenüberstehen, die gewissermaßen zwei Extrempole einer Skala verkörpern. Während Colmans introvertiertes Spiel sehr stark nach innen gerichtet ist und seine Wirkung in erster Linie durch eine nuancierte Mimik und Gestik erzielt, steht Chastains extrovertierter Ansatz für das genaue Gegenteil. Wohl auch deshalb, weil letztere gegen eine (wenn auch hervorragend umgesetzte) Maske anspielen muss, die zumindest die Artikulation allerfeinster Regungen etwas erschweren dürfte, muss sie deutlich expliziter und schriller spielen. Zusätzlich sind diese Unterschiede auch in den jeweiligen Rollen angelegt. Hier eine auf den ersten Blick unscheinbare Professorin, die fahrlässig unterschätzt wird, dort eine Hochstaplerin aus dem Showgeschäft, die mit ihren schrillen Auftritten um Aufmerksamkeit und Spenden bettelt und von einigen Zuschauern offenbar überschätzt wird. (Nachtrag: Die Trophäe für die beste Hauptdarstellerin wurde an Jessica Chastain verliehen.)
Maggie Gyllenhaal dürfte mit der Thematik von 'Frau im Dunkeln' bei nicht wenigen ZuschauerInnen offene Türen einrennen. Dass über den wesentlichen Kern der Handlung – wenn überhaupt – oftmals nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird, macht die besagte Problematik nicht weniger relevant. Und auch wenn man sich selbst darin nicht wiedererkennt, lädt die Erzählung, die hier dargeboten wird, ausdrücklich zur Reflexion ein. Ein Leben ohne Kinder kann viele Leerstellen und Entbehrungen mit sich bringen, ein Leben mit Kindern jedoch ebenfalls (wenn auch andere). Beide Entwürfe können sich im Nachhinein als richtige oder falsche Entscheidung erweisen. Gyllenhaal nimmt sich dieser Frage mit einer weitgehend wertfreien Herangehensweise an, garniert die Inszenierung mit ein paar garstigen Spitzen und deutet damit an, dass ihre Karriere hinter der Kamera mindestens ebenso spektakulär ausfallen könnte, wie ihre bisherige Zeit als Schauspielerin, in der sie ebenfalls wiederholt für Furore sorgen konnte.
Oscar Madness Film 170 (1 Nominierung)
Mila Kunis begibt sich auf schwieriges Terrain und spielt in einer von einem Zeitungsartikel inspirierten Geschichte eine verzweifelte Frau, die nach einer langjährigen Heroinabhängigkeit und einigen gescheiterten Entziehungskuren nun endlich dauerhaft ihr Leben in geregeltere Bahnen lenken will. Schließlich ist sie Mutter zweier Kinder und möchte auf der anderen Seite auch das zerrüttete Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter und einigen anderen Angehörigen (Vater, Schwester, Lebensgefährte der Mutter) normalisieren. Ihr Arzt bietet ihr eine Spritze an, die die Erfolgsaussichten der anstehenden Therapie erhöhen soll; jedoch kann diese nur nach einigen Tagen der Enthaltsamkeit verabreicht werden.
Rodrigo Garcias 'Four Good Days' begleitet die Protagonistin durch diese Zeit, während der stets die Frage im Raum steht, ob sie abstinent bleiben wird oder nicht. Manche der gezeigten Situationen orientieren sich einigermaßen am realen Leben und es wird auf allzu überzogene Zuspitzungen verzichtet. Auf der anderen Seite soll aber offenbar auch das eine oder andere Klischee bedient werden, um auch einige besonders konservative Zuschauer zu bedienen. Anders lassen sich einige Dialoge kaum erklären. Beispiel [SPOILER] Kurz nach einem Rückfall wird noch nicht einmal die Frage gestellt, welches Rauschmittel sie wohl konsumiert haben mag. Es wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass es zwingend Heroin sein muss. [SPOILER ENDE] Andererseits bekommen allerdings auch reaktionäre oder bigotte Leute im Publikums ihr Fett weg, wenn etwa die von Glenn Close gespielte Mutter in Situationen nervlicher Anspannung regelmäßig wie selbstverständlich zur Weinflasche greift. Im Großen und Ganzen ist man jedenfalls um eine ausgewogene Darstellung der Ereignisse bemüht und scheint im Zweifelsfall dem Realismus den Vorzug vor effekthascherischen Übertreibungen zu geben.
Abschließend ein augenzwinkernder Geheimtipp für Filmemacher: Wer über ein Skript verfügt, das grundsätzlich die Keimzelle zu einer erfolgreichen Award Season in sich trägt und vielleicht auch noch ein paar Darsteller auf seiner Besetzungsliste stehen hat, die schon nachgewiesen haben, dass sie zu großen Leistungen fähig sind, kann seine Chancen auf eine Oscar-Nominierung absichern, indem er/sie im Abspann einen bisher unveröffentlichten Song von Diane Warren laufen lässt, der thematisch zur Handlung des Filmes passt. Die besagte Sängerin konnte sich zwischen 1988 und 2022 mit sage und schreibe 13 Songs aus 13 Filmen auf der Nominierungsliste platzieren. Ein Gewinn der Trophäe war bisher zwar noch nicht dabei, aber die Frequenz ihrer Nominierungen steigt in einem atemberaubenden Tempo. Denn von 2018 bis 2022 wurde sie fünf mal in Folge nominiert und in den acht Jahren zwischen 2015 und 2022 bringt sie es auf insgesamt sieben Nominierungen. Rund um die Jahrtausendwende hatte sie bereits einen vergleichbaren Coup landen können (fünf Nominierungen zwischen 1997 und 2002). Ihr im Rahmen von 'Four Good Days' nominierter Song 'Somehow You Do' soll Hoffnung in schwierigen Situationen vermitteln und passt damit zur Entzugsthematik ähnlich gut wie zu den Umständen der Covid 19 Pandemie. Ohrenscheinlich orientiert sich auch die sonstige musikalische Untermalung der Inszenierung an den Instrumentalteilen des Warren-Songs, der rückwirkend als eine Art Aushängeschild des Filmes fungiert.
Oscar Madness Film 169 (1 Nominierung)
Charmant inszenierte Geschichte um Freundschaft und Fürsorge im bewährten Aardman-Stil. Wie man es von diesem Studio gewohnt ist, werden die Stop Motion Animationen mit besonders großer Liebe zum Detail und einer ordentlichen Prise Schrulligkeit umgesetzt. Robin ist (wie es der englische Name schon andeutet) ein junges Rotkehlchen, das von einer Mäusefamilie großgezogen wird, die sich mit Beutezügen in die Häuser der „Gemensche“ über Wasser hält. Denn dort gibt es Backwaren, Obst und die leckerste Speise überhaupt: Krümel! Dumm nur, dass im Lauf der Zeit immer mehr der Häuser kompromittiert werden und dort Mausefallen ausliegen. Andererseits lernt Robin auch eine Elster kennen, die ebenfalls ganz gerne was mitgehen lässt; vornehmlich Glitzerzeug. Vielleicht finden sie ja gemeinsam einen Weg, die aggressive Katze und das seinen Besitz verteidigende Gemensche zu überlisten?
Analog zum visuellen Stil wird in 'Rote Robin' auch bei den Liedern ein recht eigenwilliger Weg eingeschlagen, der diesen Kurzfilm aber deutlich von den glattgebügelten Massenprodukten einiger Konkurrenten abhebt. Alleine schon deshalb scheint die Nominierung im Rahmen der Oscar-Verleihung 2022 gerechtfertigt. Perfektion wird hier ganz bewusst nicht angestrebt, was angesichts der Protagonistin und der Botschaft des Filmes auch durchaus Sinn macht. Schließlich kommt es hier nicht auf Fehlerfreiheit an und schon gar nicht auf klischeehafte Rollenerfüllung, sondern vielmehr darauf, einen passenden Platz im Leben und vielleicht auch innerhalb einer Gemeinschaft zu finden, mit dem man sich anfreunden kann.
Oscar Madness Film 168 (1 Auszeichnung)
Riz (Ahmed) schreit seine Wut über Rassismus, Diskriminierung und Gewalt gegen ethnische Minderheiten in einem eruptiven Ausbruch in die Welt hinaus. Eine Gesellschaft, die mit staatlicher Duldung (oder sogar Förderung), wie eine These dieses Kurzfilms lautet, Nachkommen von Einwanderern auszurotten versucht, kann maximal noch aufgerüttelt werden; denn von alleine bzw. mit milderen Mitteln wird sich kaum noch etwas ändern bzw. bewerkstelligen lassen. Dabei dürfte – aus verständlichen Gründen - auch eine große Portion Resignation mitschwingen. Denn ob sich eine Tirade tatsächlich als Gamechanger erweisen wird, darf bezweifelt werden.
'The Long Goodbye' stellt einen lauten Hilferuf bezüglich einer Problematik dar, für die sich nach wie vor keine Lösung abzeichnet; noch nicht mal ansatzweise. Ob in dramaturgischer Hinsicht die optimalen Mittel zur Verbreitung der Botschaft gewählt wurden, dürfte umstritten sein. Allerdings dürfte es durchaus einen Versuch wert sein, es nun eben einmal auf eine andere Weise zu versuchen, denn alleine schon wegen des vergleichsweise unkonventionellen Ansatzes, der Star-Power durch Riz Ahmed und der rohen Kraft, die dieses Video transportiert, ist diesem Film ein bestimmtes Maß an Aufmerksamkeit gewiss, was im Rahmen der Oscar-Nominierung 2022 folglich auch in einer Nominierung (mit mutmaßlich hohen Gewinnchancen) gipfelt.
Nachtrag: Der Gewinn der besagten Trophäe konnte tatsächlich errungen werden, wodurch Konkurrenten wie 'On My Mind' und 'Please Hold' auf die Plätze verwiesen wurden.
Oscar Madness Film 167 (1 Nominierung)
'Audible' verbindet die Themen Football, Adoleszenz und Gehörlosigkeit zu einer Kurzdokumentation, die noch dazu um die Topoi Mobbing, Rassismus und Homosexualität angereichert wird. Eine Menge Inhalt für eine Laufzeit von knapp vierzig Minuten. Und so streifen die beiden Filmemacher Matt Ogens und Geoff McLean eben zahlreiche Themenfelder, ohne in eines von ihnen wirklich tief eintauchen zu können. Was ihnen jedoch gelingt, ist ein streiflichtartiger Einblick in das Leben eines gehörlosen Footballspielers, der gerade sein letztes Jahr auf dem College verbringt. Sein Alltag wird bestimmt von Sport, der Wiederannäherung an seinen in frühester Kindheit verschwundenen Vater, der Freizeitgestaltung mit seinen Freunden und von allerlei Sorgen bezüglich der Vergangenheit und Zukunft. Aus vergangenen Tagen ragt die Trauer um einen verstorbenen Freund in die Gegenwart und die Zukunft sorgt für Ungewissheit bezüglich des weiteren Werdeganges. Besonders dominiert dabei die Sorge, außerhalb der „geschützten“ Blase mit mehreren gehörlosen Weggefährten im Alltag nicht bestehen zu können.
Das Publikum wird in die Empfindungen mit einbezogen, indem die Verantwortlichen für die Tonmischung die akustischen Wahrnehmungen des besagten Footballspielers nachahmen. Diesem wurde ein Implantat eingesetzt, wodurch er einige Geräusche wieder wahrnehmen kann, während ihm andere Laute jedoch weiterhin verborgen bleiben – sofern er nicht ihre Vibrationen wahrnehmen kann. Man bekommt als Zuschauer also einen ungefähren Eindruck von den Herausforderungen, die die Jugendlichen im Zentrum des Berichts zu meistern haben und lernt im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten, sich in ihre Lage zu versetzen. Alleine schon deshalb lohnt sich ein Blick auf diese oscarnominierte Kurzdoku, die sich zwar in thematischer Hinsicht viel aufbürdet, aber auf ihrem Kerngebiet durchaus zu überzeugen weiß.
Oscar Madness Film 166 (1 Nominierung)
Regisseur Jay Rosenblatt setzt sich in 'When we were Bullies' mit dem Thema Mobbing und seiner eigenen Grundschulzeit auseinander, in der er Teil einer Meute war, die einen Mitschüler systematisch ausgrenzte und ihn einem eruptiven Ausbruch gemeinschaftlich verprügelte. Gemeinsam mit einem damaligen Gefährten legt Rosenblatt nun das Büßerhemd an, bekennt sich zu seinen Taten und lässt auch zahlreiche Mitschüler von damals zu Wort kommen, die ebenfalls ihre Taten bereuen. Das Mobbingopfer selbst möchte sich zu dem Fall nicht äußern, aber die Lehrerin, der Rosenblatt ebenfalls eine Schuld an den Ereignissen zuschreibt, bekommt die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge mitzuteilen. Im direkten Gespräch geht Rosenblatt jedoch deutlich schonender mit der greisen Dame um als in seinen Kommentaren aus dem Off. Einerseits verständlich, dass er ihr in einer Interviewsituation, die ihr augenscheinlich zu schaffen macht, nicht noch zusätzlich zusetzen will, andererseits aber auch nicht unbedingt ein Zeichen aufrichtigen Stils; angesichts des gefühlskalten Auftritts der ehemaligen Lehrerin aber menschlich durchaus nachvollziehbar.
Dass Rosenblatt und seine früheren Weggefährten nun zu Kreuze kriechen und reinen Tisch machen wollen, verdient Anerkennung. Ob ihr filmisches Produkt jedoch gleich durch eine Oscarnominierung geadelt werden mussten, sei dahingestellt – zumal das besagte Mobbingopfer, das nebenbei bemerkt ebenfalls in der Medienbranche tätig ist, in der Vergangenheit selbst offenbar kein großes Interesse an derlei Produktionen hatte (Rosenblatt arbeitete bereits früher an einem Film über ihn).
Unabhängig von derlei Überlegungen lässt sich aber konstatieren, dass 'When we were Bullies' in stilistischer Hinsicht für Dokufans durchaus einen Blick wert sein könnte. In einer Art Collagentechnik stellt Rosenblatt - wohl auch aus einer Not geboren – die meisten Beteiligten (mit wenigen Ausnahmen) nur über deren Kinderfotos dar, lässt diese munter aus ihrer Jahrbuchformation purzeln, gruppiert sie neu und erlaubt sich zahlreiche weitere Spielereien mit ihnen. Ein kreativer Ansatz, durch den seine damaligen Mit-Mobber nicht bloßgestellt werden, aber dennoch Eingang in den Film finden.
Bei aller Relevanz der Thematik und trotz wohlwollender Absichten wirkt Rosenblatt teilweise jedoch auch wie ein Elefant im Porzellanladen, der nun sogar rückwirkend zynischerweise stärker vom damaligen Mobbing profitiert als das frühere Opfer. Eine seltsame Gemengelage, die sich nicht unbedingt in schwarz-weißen Kategorien einordnen lässt. Daher bleibt unter dem Strich eine durchaus sehenswerte Dokumentation, die verhältnismäßig innovativ bebildert ist, jedoch ambivalente Empfindungen hinterlässt – auch wenn die positiven Eindrücke vielleicht etwas überwiegen mögen.
Fazit: Sehenswert, relevant und kreativ; aber mit einer Oscarnominierung schießt die Academy womöglich ein wenig über das Ziel hinaus.
Nachtrag: Zu einem Gewinn der Trophäe hat es dementsprechend dann auch tatsächlich nicht gereicht, denn der besagte Award wurde an 'Queen of Basketball' verliehen.
Oscar Madness Film 165 (4 Nominierungen)
++ Enthält minimale SPOILER ++
Guillermo del Toros 'Nightmare Alley' erzählt eine Geschichte über Gier (inklusive Sensationsgier), Manipulation, Vertrauen und Misstrauen. Regie und Drehbuch spielen dabei emsig mit verschiedenen Mitteln des Film Noir, die teils adaptiert, teils variiert und teils auf den Kopf gestellt werden. Daraus ergibt sich eine Dramaturgie, die in einigen Facetten vorhersehbar erscheint, in anderen jedoch auch die Erwartungen der meisten Zuschauer durchbrechen dürfte. Ein ähnlicher Befund ließe sich auch in Bezug auf die griechische Tragödie attestieren, bei der ebenfalls einige Anleihen genommen bzw. bewusst in das Gegenteil verkehrt werden. Wie so oft, wenn ein dubioser Hochstapler im Zentrum einer Erzählung steht, sind diverse Psychoduelle ein wesentlicher Bestandteil der Handlung.
Einige der Gemütsregungen des Protagonisten finden ihre Entsprechung in den Kulissen, die mit einer unfassbaren Liebe zum Detail gestaltet wurden. Jedes noch so kleine Detail steht im Dienste des verordneten Produktionsdesigns und nicht wenigen Requisiten kommt auch ein „sprechender“ Charakter zu. Eines der prominenteren Beispiele wäre die (in verschiedensten Gestalten und Ausprägungen) stetig wiederkehrende Kreissymbolik, die andeutet, wie der Protagonist (und womöglich auch das Publikum) immer stärker in einen Strudel gesogen wird, der durchaus auch wahnhafte Züge annehmen kann. Zurück gehen derlei Konzeptionen mindestens auf die literarische Romantik - und somit indirekt auch auf die Zwischenstation des Expressionismus, aus dem hier ebenfalls eine ganze Reihe an Motiven und Versatzstücken aufgegriffen wird. Clem Hoatelys Gruselkabinett lässt grüßen. Doch zurück zum oscarnominierten Szenenbild. Neben der enorm stimmig und rund wirkenden Welt des Jahrmarktes, die das Setting der ohnehin schon extrem ambitionierten HBO-Serie 'Carnivale' deutlich in den Schatten stellt, fügen sich auch die vermeintlich konträr gestalteten Hochglanzwelten bruchlos in das Gesamtkonzept mit ein. Dadurch entsteht eine stimmige Welt, in der die Unterschiede zwischen den verschiedenen Sphären deutlich sichtbar erscheinen, die aber dennoch genügend verbindende Elemente beinhaltet, die verschiedene Handlungskomponenten wie durch eine Klammer zusammenhalten. Die Situation des Protagonisten, der im Verlauf der Handlung von einer in die andere Sphäre übertritt, spiegelt sich damit gewissermaßen auch in den Kulissen wider. Während er anfangs noch die Unübersichtlichkeit und das Gewirr des Jahrmarktes für sich nutzen kann, wirkt er im späteren Verlauf in einer deutlich übersichtlicheren und sterileren Welt regelrecht verloren und seiner größten Stärken beraubt. In dieser Hinsicht erscheint auch das Ende (hinsichtlich der Kulissen) nur konsequent. Bei der enorm hohen künstlerischen und handwerklichen Qualität, die Tamara Deverell und Shane Vieau hier haben walten lassen, wäre es nicht weiter verwunderlich bzw. mehr als gerechtfertigt, wenn sie damit den Gewinn der goldenen Trophäe für sich verbuchen könnten. [Nachtrag: Tatsächlich vergeben wurde die Goldstatue letzte an Zsuzsanna Sipos und Patrice Vermette für ihre Arbeit an 'Dune', was letztlich - neben dem Marketingaspekt hinsichtlich einer bereits angekündigten Fortsetzung - letztlich auch einer Grundsatzentscheidung für ein deutlich aufgeräumteres Konzept gleichkommt. denn während das Szenenbild von 'Nightmare Alley' ganz besonders von seinem Detailreichtum lebt, wird beim Gewinner in dieser Kategorie einen nahezu gegensätzliches und deutlich minimalistischeres Konzept, innerhalb dessen in der Konsequenz einzelnen Elementen mehr Aufmerksamkeit beigemessen wird, geradezu zelebriert.]
Wie so oft ist aber natürlich auch im Fall von 'Nightmare Alley' das Produktionsdesign nur so viel wert, wie die Kamera es zulässt. Dan Laustsen leistet hier höchst versierte Arbeit, dürfte in Hinblick auf die Verleihung gegen die Konkurrenz jedoch chancenlos sein. Dennoch: Sein Beitrag zur Inszenierung ist gekennzeichnet von einer Vielzahl unscheinbarer Plansequenzen, die den Cuttern vieles an Arbeit ersparen bzw. denen von der Montage viel Raum gelassen wird (je nach Sichtweise). Der Zuschauer wird so als stiller Begleiter des Protagonisten mit auf dessen Reise genommen. Oftmals folgt die Kamera ihm als Person, manchmal auch seinen Blicken und gelegentlich nimmt sie auch bewusst konträre Positionen dazu ein, um den Zuschauern einen kleinen Wissensvorsprung zu verschaffen. Ausgeglichen wird dies durch einige Schnitte, die wiederum durch Auslassungen Spannung schaffen sollen.
Eine weitere Oscarnominierung kann 'Nightmare Alley' für das Kostümdesign verbuchen, das Hand in Hand mit der Dramaturgie und dem Produktionsdesign geht, jedoch im direkten Vergleich etwas mehr Understatement pflegt. Viele der Textilien wirken zweckmäßig bis schlicht und offenbaren ihren dramaturgischen Zweck erst bei einer eingehenderen Betrachtung. Hauptsächlich fügen sie sich allerdings in die sonstige Ausstattung mit ein, weshalb für sie auch vieles gilt, was weiter oben im Text bereits genannt wurde.
Als Lohn für diese enorm hohe handwerkliche und in manchen Zügen vielleicht auch etwas unterschätzte inhaltliche Qualität steht unter dem Strich auch eine Nominierung in der Königskategorie, also der des besten Filmes. Die Gewinnchancen dürften angesichts erdrückender Konkurrenz eher theoretischer Natur sein, doch dabei sein ist schließlich alles; ganz besonders an derart prominenter Stelle. 'Nightmare Alley' bietet in erster Linie ein Fest für die Augen und wendet sich vorrangig an all jene Zuschauer, die eine detailversessene und ideenreiche Gestaltung sowie eine handwerklich versierte Umsetzung der Konzeption zu schätzen wissen. Darüber hinaus unterstützen die Kulissen und Requisiten die Darsteller und die Dialogregie gewissermaßen beim Erzählen der Geschichte, indem sie die Handlung analog zur Musik flankieren und untermalen. Hier und da blitzen visuelle Versatzstücke auf, die offenbar vom Werk Alfred Hitchcocks inspiriert wurden und deren Wurzeln in der Literatur um mehr als zwei Jahrhunderte zurückragen. Cineastenherz, was willst du mehr? Dennoch sollte nicht unterschlagen werden, dass es bezüglich der Handlung auch kritische Stimmen gibt, die jedoch in den meisten Fällen auf eine dramaturgische Belanglosigkeit abzielen, die nicht näher erklärt wird.
Fun Fact: Mit Cate Blanchett (2 Auszeichnungen, 6 weitere Nominierungen), Bradley Cooper (9N), Willem Dafoe (4N), Toni Colette (1N), Richard Jenkins (2N), Rooney Mara (2N) und Mary Steenburgen (1N) steht Regisseur Guillermo del Toro (2A, 3N) eine ganze Riege an Darstellern zur Verfügung, die bereits große Meriten bei den Academy Awards erwerben konnten.
Oscar Madness Film 164 (1 Nominierung)
Anfang 2022, als die Kurzdoku 'Lead Me Home' für einen Oscar nominiert wurde, sollen schätzungsweise gut 500.000 Menschen in den USA auf der Straße gelebt haben; Tendenz steigend. Die Filmemacher Pedro Kos und John Shenk lassen einige der Betroffenen in kurzen Intervallen zu Wort kommen und von ihrer jeweiligen Situation berichten. Einige von ihnen kämpfen um das nackte Überleben, andere meistern ihre Lage den Umständen entsprechend souverän. Einer von ihnen sagt beispielsweise über sich selbst, dass er genauso lebe wie alle anderen, nur dass er seine täglichen Routinen (wie z. B. Zähneputzen) eben über verschiedene Orte in der Stadt verteilen müsse. Eine Mutter schickt ihre beiden Kinder täglich duschen und verbringt mit ihnen viel Zeit in der Bibliothek, um ihnen so viel „Normalität“ wie nur möglich bieten zu können. Andere wiederum haben komplett den Halt verloren und müssen sich zusätzlich zu ihrer schwierigen Lage auch noch mit anderen Problemen wie Gewalt herumplagen. Die vorliegende Dokumentation schärft den Blick dafür, dass es sich hier um eine Vielzahl höchst unterschiedlicher individueller Schicksale handelt, die sich mutmaßlich auch nicht mit pauschalen Maßnahmen lösen lassen werden. Während ein Obdachloser vielleicht „nur“ eine Anschubhilfe in Form eines Wohnberechtigungsscheines oder einer finanziellen Zuwendung zur Überbrückung benötigt, muss ein anderer auch seine Suchtproblematik oder Bedrohungen durch gewaltbereite Mitmenschen bewältigen. Dies ist die individuelle Seite dieser drängenden Thematik.
Ebenfalls in den Blick genommen wird auch die strukturelle Komponente der Situation – wenn auch vorwiegend nonverbal. Immer wieder werden Wolkenkratzer, die wie Trophäen ihrer jeweiligen Eigentümer in den Horizont ragen, Zeltsiedlungen gegenüber gestellt, die oft nur wenige hundert Meter davon entfernt liegen. Es gibt wilde Campingplätze, aber offenbar auch offizielle Areale, in denen Obdachlose ihre Behausungen in auf dem Asphalt markierten Bereich abstellen dürfen. Mitunter werden aber auch Brücken über Hauptverkehrsadern besiedelt. Die Bundes- und Bundesstaatspolitik sieht vielerorts offenkundig bewusst weg und die Lokalpolitik begnügt sich mit purer Verwaltung der Missstände (siehe die Markierungen für die Aufteilung der besagten Parzellen). Und wenn sich doch einmal Politiker oder Verwaltungsbeamte an die Situation heranwagen, treffen sie oftmals auf erbitterten Widerstand der sesshaften Bürger. Denn Zeltsiedlungen sind nicht schön. Sie verderben den Leuten schnell mal die Laune, wenn sie daran vorbeifahren. Doch noch viel schlimmer ist für manche Wähler eine Obdachlosenunterkunft im eigenen Viertel. Das geht einigen dann doch zu weit. Womöglich könnten dann ja sogar noch Angehörige ethnischer Minderheiten unter den betreuten Personen sein; und das möchten manche nun wirklich nicht.
Anders als mit Zynismus kann man diese Mischung aus Gleichgültigkeit und sozialer Kälte eigentlich auch gar nicht mehr kommentieren. Während einige Großkonzerne in der Pandemie Gewinne in ungeahnten Höhen einfahren, treffen die Auswirkungen der Seuche (und der vorherigen Entwicklungen) einige Menschen am unteren Ende der Wohlstandsskala mit voller Wucht und teils unvorstellbarer Härte. Besserung ist kaum in Sicht, denn es läuft viel mehr auf eine weitere Verschärfung der Problematik und ein weiteres Auseinanderklaffen der pekuniären Schere zu. 'Lead Me Home' legt den Finger mahnend in diese Wunde und gibt derlei Lebensgeschichten ein Gesicht, denn durch Personalisierung kann man sich oftmals bekanntlich etwas leichter Gehör verschaffen. Ermöglicht wurde diese Netflix Produktion zynischerweise indirekt auch durch Shareholder wie BlackRock und Vanguard, was den Vorteil für die jeweiligen Manager hat, dass sie sich nicht mehr erst zu den Bürofenstern in ihren Türmen begeben müssen, um zu sehen, was sich davor abspielt. Zudem lässt sich ein Monitor deutlich einfacher abschalten als die Realität vor der eigenen Haustür. Wenn das mal keine win-win Situation ist.
Wer Spuren von Ironie findet, darf sie gerne in positive Energie umwandeln oder bei der nächsten Wahl oder Kaufentscheidung berücksichtigen. Schönen Gruß an alle Anhänger der Trickle Down Theorie.
Oscar Madness Film 163 (1 Nominierung)
'Drei Lieder für Benazir' handelt von einem jungen Mann, dessen größter Traum es ist, der afghanischen Armee beizutreten. Sein Leben in einem Flüchtlingscamp wird von der Sorge dominiert, entweder von ausländischen Soldaten oder von den Taliban attackiert zu werden. Für sein finanzielles Auskommen sieht er nur zwei Alternativen: Entweder als Helfer bei der Opiumernte oder eben als Armeeangehöriger. Also meldet er sich beim Militär, wo ihn ein doch recht kurioses Vorstellungsgespräch erwartet. Zeugnisse sind nicht von Belang – wie auch, wenn man nicht die Schule besucht hat? Stattdessen braucht man einen Bürgen, der dafür geradesteht, wenn der Rekrut mit seinem Gewehr das Weite sucht.
Und so bietet diese Kurzdoku einen Einblick in eine Wirklichkeit, die von den europäischen Gegebenheiten weiter kaum entfernt sein könnte. Bis plötzlich zu einem ungewöhnlichen Stilmittel gegriffen wird: Ein Zeitraum von immerhin vier Jahren wird übersprungen und durch ein einziges Foto abgedeckt. Danach ist nichts mehr, wie es vorher war. Die genauen Gründe dafür zu erahnen, bleibt den Zuschauern überlassen. Für ein fiktionales Format wäre dieser Kniff verhältnismäßig innovativ und vielleicht auch erkenntnisfördernd, weil er das Publikum zum Nachdenken zwingt. Letzteres klappt zwar auch hier, wirkt im Rahmen einer Dokumentation allerdings doch etwas unglücklich, da auf diese Weise mögliche inhaltliche Botschaften zu verwässern drohen.
Relevanz weist 'Drei Lieder für Benazir' allemal auf und angesichts der kurzen Spieldauer spricht ohnehin nicht viel gegen eine Sichtung. Die finale Fassung hat jedoch einen fragmentarischen Charakter, der in dieser extremen Ausprägung vielleicht auch kontraproduktiv sein könnte. Zu einer Nominierung im Rahmen der Oscarverleihung 2022 hat es jedenfalls gereicht, was nur zu begrüßen ist, da auf diese Weise etwas mehr Aufmerksamkeit auf eine Lebenswirklichkeit gelenkt wird, die seit dem Rückzug der internationalen Koalition aus Afghanistan kaum noch Beachtung findet.
Oscar Madness Film 162 (3 Auszeichnungen)
Bereits der Titel dieser Verfilmung deutet an, mit welch vielschichtiger Handlung man es hier zu tun bekommt. Denn CODA ist einerseits ein Akronym für 'Child of Deaf Adults' als auch in der Musik ein Fachterminus für einen angehängten Schlussteil. Und wie der Titel bereits andeutet, handelt die hier erzählte Geschichte von einer musikbegeisterten jungen Frau, deren Abschied aus der Jugendzeit und von den gehörlosen Eltern unmittelbar bevorsteht. Ihre nähesten Angehörigen (Vater, Mutter, Bruder) leben von der Fischerei und sind auf sie als Dolmetscherin angewiesen, können als Gehörlose aber nur sehr bedingt ihre Gesangskünste würdigen.
Im lockeren Erzählton einer Tragikomödie erfährt hier ein mehr oder weniger ernster Stoff eine angemessene Würdigung. Die hier behandelten Themen (Adoleszenz und der Umgang mit körperlichen Beeinträchtigungen) sind einerseits sehr bedeutsam, aber auch von einer Beschaffenheit, die durchaus nach einem unverkrampften Umgang verlangt. Und in diesem Sinne trifft das oscarnominierte (adaptierte) Drehbuch von Autorenfilmerin Sian Heder einen absolut angemessenen Tonfall, der Optimismus und Zuversicht verbreitet, ohne bestehende Probleme herunterzuspielen. Man lacht als Zuschauer mit den Charakteren (beispielsweise bei bewusst falsch in oder von Gebärdensprache übersetzten Dialogen), aber niemals über die Herausforderungen, die sie zu meistern haben. Und ganz nebenbei wird den Zuschauern hier eine Geschichte serviert, die in ihrem Verlauf immer eigenständiger und intensiver wird.
Ein weiteres Ausrufezeichen setzt Troy Kotsur mit seiner Nominierung in der Kategorie „Bester Nebendarsteller“. Mit limitierten Mitteln, die ihm das Drehbuch gestattet, bzw. unter enorm schwierigen Voraussetzungen (fast ohne jeglichen Text) muss er sein Spiel komplett auf Mimik und Gestik beschränken und lässt seine Leistung vor allem gegen Ende hin in immer höhere Sphären wachsen. Erinnerungen werden dabei an Paul Raci wach, der im Vorjahr für sein Wirken in 'Sound of Metal' in einer ähnlich strukturierten Rolle nominiert wurde, bei der Verleihung jedoch gegenüber Daniel Kaluuya ('Judas and the Black Messiah') das Nachsehen hatte. Eine Nominierung der beherzt aufspielenden Hauptdarstellerin Emilia Jones, die nebenbei bemerkt eine Reihe von Songs selbst eingesungen hat, wäre durchaus ebenfalls angezeigt gewesen, dürfte aber womöglich auch an der sehr namhaften Konkurrenz in Gestalt von Nicole Kidman, Jessica Chastain, Kristen Stewart, Olivia Colman und Penelope Cruz gescheitert sein.
Selbiges gilt für Sian Heder (Regie), die bisher vorwiegend im Serienbereich ('Orange is the New Black') auf sich aufmerksam gemacht hat. Nach einem eher konventionellen Beginn werden gegen Ende hin sämtliche Register gezogen, um die Hauptcharaktere und deren Empfindungen immer greifbarer für das Publikum zu machen, wodurch die Inszenierung zunehmend emotionale Wucht aufbaut. Zwar hatte auch Heder gegenüber Genre-Giganten wie Steven Spielberg, Jane Campion, Paul Thomas Anderson, Kenneth Brannagh und dem aufstrebenden Ryūsuke Hamaguchi das Nachsehen, jedoch konnte sich ihre Verfilmung (neben ihrer persönlichen Nominierung in der Drehbuchkategorie, in der sie alles andere als chancenlos sein dürfte) in der Nominiertenliste für den besten Film platzieren, wo sie zumindest nicht komplett chancenlos sein dürfte. Von der Favoritenrolle ist man zwar weit entfernt, aber wenn es eine Kategorie gibt, die sich in den letzten Jahren als Hort zahlreicher Überraschungen erwiesen hat, dann dürfte es zweifelsohne diese sein. Aber ganz unabhängig von der Außenseiterrolle dieser Produktion und abseits irgendwelcher Gewinnchancen: Alleine schon die Berücksichtigung in dieser Sparte dürfte einem Ritterschlag gleichkommen, der bei aller Zurückhaltung mehr als verdient erscheint.
Liebhabern auf den ersten Blick unscheinbarer Tragikomödien sei 'Coda' allerwärmstens empfohlen. Wer Filme wie 'Juno' (2007) oder 'The Descendants' (2011) mag, dürfte an 'Coda' erst recht Freude haben. Dass darüber hinaus auch noch ohne erhobenen Zeigefinger für Verständnis zwischen Gehörlosen und Hörenden geworben wird, rundet die Sache komplett ab und macht aus 'Coda' ein kleines cineastisches Erlebnis der besonders angenehmen Art.
Nachtrag: In allen drei Kategorien konnte auch tatsächlich der Gewinn der begehrten Trophäe verbucht werden. Auch wenn es sich dabei mehr oder weniger durchweg um "Überraschungen" mit Ansage handelt, ist Sian Heder und ihrem Team mit dem Remake von 'Verstehen Sie die Béliers?' (2014) ein beachtliches Ausrufezeichen geglückt, das auch bezüglich künftiger Inszenierungen von Heder aufhorchen lässt.