GlorreicherHalunke - Kommentare

Alle Kommentare von GlorreicherHalunke

  • 2 .5

    Ich mag das Känguru nicht. Und ich kann mit Marc-Uwe Kling nicht viel anfangen.
    Das Känguru kenne ich nur aus den meist sehr drögen und bewusst flachen Comic-strips bei ZEIT Online. Das gibt mir noch weniger als meine Lektüre von „Quality Land“ vor zwei Jahren. Kling verschanzt sich im Kabarett und möchte gleichzeitig sehr ernst genommen werden, so mein Eindruck.

    Und was bleibt bei dem Film, der – wie mir erst nach der Sichtung bekannt wurde – von großen Teilen der begeisterten Leserschaft mehr schlecht als recht aufgenommen worden ist, für mich übrig?
    Eine uninspirierte Handlung, die zu nichts anderen als doofen Kalauern führen.
    Und ja, so könnte ich auch die von mir gefeierten Werke Ottos zusammenfassen.
    Gut, wovon man sich unterhalten lässt, ist Geschmacksfrage – soweit klar.
    Und doch unterscheiden sich die Filme immens, da das Känguru ständig mit seiner linkslastigen politischen Gesinnung auftrumpft, während Otto – wie ich in meinem Kommentar zu „Otto – Der neue Film“ gezeigt habe, seine politische Botschaft gekonnter und én passant in sein sonst blödsinniges Werk webt.
    Doch statt diesem spielerischen Ansatz erlebe ich bei diesem Film eine moralische Selbstvergewisserung.
    So nimmt man sich als große Gegner auch einen raffgierigen Unternehmer und einen Nazi-Schlägertrupp. Jo, gegen diese Herr- und Frauschaften hätte wohl ein sehr, sehr breites politisches Spektrum etwas einzuwenden.
    Dam man sich bei Ottos Persiflage des Hausmeisters als „gut“bürgerlicher Zuschauer nie ganz sicher sein kann, ob man am Ende nicht doch selbst gemeint ist, ist dies eine gelungene Satire, da es zum Nachdenken anregt anstatt reflexartig mit den Fingern auf andere zu zeigen, wie es in meinen Augen „das Känguru“ tut.
    Satire, die nur auf andere zeigt, hat keinen Biss. Da hilft dann auch kein Metahumor, der über nichts außer sich selbst verweist, weiter.

    10
    • 6

      Ich habe ein Herz für solche Filme und ich weiß auch gar nicht, warum.
      Persönlich bin ich ziemlich unsportlich.
      Und dennoch: Das Pathos ergreift mich jedes Mal, wenn der Underdog zum Gewinner wird.

      Und so gäbe es zu diesem generischen Werk mit wenigen Höhen und einer spuckenden Talsohle nicht viel zu schreiben, wenn da nicht das Ende wäre, das aus der klassischen Underdog-Geschichte ausbricht und in seiner letzten Konsequenz eine gesellschaftliche Problemstellung repliziert.

      I. Kurzer Abriss

      Das Team wird nur Zweiter. Dieser an sich ungewöhnliche Umstand wird durch den Grund für die Niederlage diskussionswürdig.
      Rollen wir das Feld rückwärts auf.
      Es sind die letzten Sekunden des Spiels. Das vom Protagonisten trainierte Team bekommt einen Freistoß zuerkannt, der die drohende Niederlage in einen Sieg verwandeln könnte.
      Der Trainer entscheidet sich dazu, einem aussortierten Spieler die Gelegenheit zu geben, auch Teil des Spiels zu werden. Dieser vergeigt es – Niederlage.
      Und dennoch ist der Sohn des Trainers, der Teil des Teams ist, stolz auf seinen Vater.
      Als augenzwinkernde Referenz knallt der Ball gegen die Anzeigetafel und die Lichter gehen aus. Die Anzeigetafel wurde aufgrund der sportlichen Richtlinien ausgeschaltet, wenn ein Team so und so viele Punkte zurücklag. Spielabbruch und nicht weitere Qual des unterlegenen Teams, was im Film teilweise problematisiert wird, aber für die vorliegende Betrachtung außer Acht gelassen wird.

      Der Trainer war vorher der Trainer eines erfolgreichen Teams, das sogar den SuperBowl gewonnen hat, und ist dann aufgrund dubioser Machenschaften für ein Jahr gesperrt worden war. Ein Mann, der immer auf Sieg gespielt hat, lernt eine Lektion fürs Leben,… oder doch nicht?
      Was hat er denn genau gelernt?

      II. Inklusion vs. Sportgeist?

      Vorab: Unter „Inklusion“ verstehe ich die oft ob der politischen Korrektheit motivierten Vorgehensweise, Menschen aufgrund sachfremder Erwägungen auf entscheidende Plätze in einer Organisation zu setzen. Falls jemand ein besseres Wort hat, immer her damit.

      Der Sportgeist, der in diesem Tagen im olympischen Gewand prominiert, verlangt auf der einen Seite den Willen zum Sieg und auf der anderen Seite gebietet er sportliche Fairness gegenüber dem Kontrahenten.
      Der Wille zum Sieg kann auch mit der Phrase „sein Bestes geben“ umschrieben werden.
      Und so gebietet es dieser sportliche Grundsatz, dass bei besagtem Freistoß der geeignetste Spieler vom Trainer ausgewählt wird.
      Der Trainer verstößt aber gegen diesen Grundsatz, um auch einen ungeeigneten Spieler aktiv Teil des Teams werden zu lassen. In einer entscheidenden Situation.
      Bei einem veritablen Vorsprung auch Youngstern die große Bühne zu geben, stellt eine gängige Vorgehensweise dar. Bzw. denke man auch an das „Kleine Finale“ 2006, in dem Olli Kahn statt Manuel Neuer im Kasten stand.
      Dies als moralischen Sieg zu werten, ist problembehaftet, da der so obliegen gebliebene Gegner eben nur auf diese fragwürdige Weise zum Sieger wurde. In den entscheidenden Momenten sollte man sich von rein sachlichen Erwägungen leiten lassen.
      Der Film vermeidet auf diese Weise zwar die kitschige Trope, dass der Versager im Team zum großen Helden wird, was an und für sich lobenswert ist, aber die blanke Konsequenz des Handelns wird im Film mit der „moralischen Überlegenheit“ der Entscheidung abgefedert.

      III. Keine falschen Schlussfolgerungen

      Teile meiner treuen Leserschaft erwarten wohl nun den naheliegenden Schwenk zu Quotenregelungen und Frauenförderungen und doch möchte ich es mir nicht zu leicht machen, eine Sportgeschichte 1:1 auf politische Entscheidungen zu übertragen.

      Die politische Alltagswelt ist um ein vielfaches komplexer als eine sportliche Auseinandersetzung.
      Zum einen ist der Sport stets temporär begrenzt. Über Sieg und Niederlage entscheiden oft wenige Minuten, was daran erinnert, dass ein falscher Lacher eine ganze Politikerkarriere beenden kann. Und zumindest ist es im Sport einfacher, es einfach nochmal im nächsten Spiel/Jahr zu probieren; dramatische Ausnahmefälle bestätigen hier im Hinblick auf die zu treffende Abgrenzung zum Politbetrieb die Regel.
      Zum anderen hat jegliche Sportart ein konkretes Ziel: mehr Tore/Körbe als der Gegner erzielen, schneller, höher, weiter als der Gegner. Man muss nach objektiv messbaren Kriterien besser als der Gegner zu einem konkreten Zeitpunkt für eine bestimmte Zeitspanne sein. Der Politbetrieb kennt solche Kriterien kaum und wenn doch, kommt es auch immer auf das Talent des Aspiranten an, diese dem Wähler zu verkaufen.
      Und doch führt „die Politik“ in den letzten Jahren vermehrt Diskussionen um obig benannte Themen.
      Was wäre aus diesem Film dazu zu lernen?

      IV. Die richtigen Fragen
      Mir widerstrebt es, diese von der BILD besetzen Phrase zu verwenden, aber in Ermangelung einer prägnanteren Ausdrucksweise, bleibt es dabei.
      Der Film legt dar, dass falsch ausgelebte „Inklusion“ einen Preis hat.
      Der Trainer und das Team verlieren das Spiel und feiern hernach trotzdem. Auch dies ist ein Unterschied zum politischen Ränkespiel. Falsche Entscheidungen beim Sport führen nur zur (Nicht-)Qualifikation bzw. Gold oder Silber, von politischen und sonstigen strategischen Wegfindungen hängt mitunter das Wohl und Wehe einer wirtschaftlichen Einheit, eines Amtes oder auch eines gesamten Landes ab.

      Es wäre nun auch müßig auf die Frage einzugehen, ob Person A oder B anstelle der anderen wirklich eine bessere, klügere oder vernünftigere Entscheidung getroffen hätte und doch möchte ich hier nicht in eine fatalistische Beliebigkeit abdriften. Dennoch soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass das „Amt“ den Menschen mehr verändert als der Mensch das Amt; siehe aktuell K.L..
      Und genau diese Frage muss die Politik sich nicht nur stellen, sondern auch lösen.
      Auf welcher Grundlage soll Macht und Entscheidungsgewalt in unserer Gesellschaft verteilt werden?
      In Abwandlung der Frage an die Wächter kann man hier fragen: „Wer macht die Mächtigen?“
      Katastrophen und Niederlagen sind immer tragische Einzelfälle und Erfolg wird auf das strebsame Tun des Selbstproklamierenden zurückgeführt. Diese Erzählung ist falsch.
      Nicht bei jeder absehbaren Konsequenz kann man sich hernach auf eine vermeintlich konkurrierendes moralisches Dilemma berufen.
      Manche Spieler gehören nicht aufs Feld. Nicht in entscheidenden Situationen.
      Es wird Zeit, Verantwortung zu übernehmen.

      7
      • 8

        Jedem Anfang liegt ein Zauber inne. Und so auch im ersten Langfilm des Mäusekonzerns.

        Die Handlung ist altbekannt und auch für heutige Verhältnisse famos inszeniert. Ein echter Klassiker, an dessen Liebe zum Detail erst viel später die Ghibli-Marke herankam.

        Der Zeichentrickfilm ist zu 85 % putzig und zu 15 % verstörend. Bei dem realen Märchen ist es in etwa umgekehrt.

        Im Kern stehen 3 Beziehungen.
        Eine junge Frau kümmert sich um 7 Männer, während ihre böse Stiefmutter sie töten will und ein junger Mann um ihre Hand anhält.

        1. Die Beziehung zwischen Schneewittchen und dem Prinzen – Das Bedürfnis: Liebe
        Kaum zu sehen, fast stumm und doch ist alles gesagt.
        Schneewittchen hat sich in dem Paradebeispiel des „Mannes in glänzender Rüstung“ verliebt und ziert sich zu Beginn noch ein wenig.
        Dieses „Sich-Zieren“ ist heutzutage aus der Mode geraten.
        „Nein heißt Nein.“ hat eine Geschichte als auch Sinn & Zweck; doch unterminiert es in absoluter Anwendung das Spiel zwischen Männlein und Weiblein. Wohl dem, der einen Spielkameraden findet.

        Der erlösende Kuss, den es im Original so nicht gibt, legt den Grundstein für das fatale Liebesverständnis der Disney-Streifen. Denn „das Erwachen durch der wahre Liebe Kuss“ ist ein Luftschloss, das in der Realität so nie erlebt werden kann.
        Man überhöht so die Erwartungen an die echte Liebe.

        Schneewittchen ist das „unschuldige, arme Opfer“. Eine Trope, die man durchaus kritisch sehen kann, auch wenn sie hier perfekt aufgeht.
        Darum ist es auch wichtig, dass Schneewittchen mit dem Tod der Stiefmutter nichts zu tun hat. Im restlichen Film wird noch nicht einmal klar, ob sie weiß, wer ihre Mörderin gewesen ist.
        Sie muss unschuldig bleiben und darf keine schlechten Gefühle hegen. So gesehen eine reine Männer- und auch Frauenfantasie, die an jeglicher Realität zerschellt.

        2. Die Beziehung zwischen Schneewittchen und der Stiefmutter/Königin – Das Anti-Bedürfnis: Vertreibung/Hass

        Der Film spart die Vorgeschichte aus, was nicht weiter stört.
        Die Stiefmutter wird in ihrer Eifersucht und Neid vor dem Spiegel hinreichend motiviert.
        Die surrealistische Sequenz der Vertreibung in den Wald ist die beste Szene des Films.
        Der Zuschauer stolpert mit Schneewittchen in das Ungewisse, da die Orientierung genommen wird.

        Und was des einen Mannes höchste Fantasie, ist dem neidischen Weib Schrecken.
        Der Spiegel repräsentiert auf überzeichnende Art und Weise die Sehnsucht nach Selbstbestätigung. So zeigt der schwarze Spiegel gar nicht das Antlitz der Königin, sondern er gibt ihr einen objektiven Rang im Schönheitswettbewerb, an dem nur sie allein Interesse hat.

        Und auch sie lernt nach der Aufdeckung des vom Jäger begangenen Betrug etwas: Wenn du willst, dass etwas richtig gemacht wird, tu es selbst.
        Was aber auch heißt: Sich die Finger selbst schmutzig machen bzw. selbst hässlich werden bzw. dass die Hexenfratze sich zeigt.

        Die Tragödie der Königin endet in ihrem Tod, aus dem Disney die Schärfe herausnimmt.
        Hass macht hässlich und wer das Schwert zieht, wird durch das Schwert sterben.
        So gesehen eine plakativ warnende Botschaft.

        3. Die Beziehung zwischen Schneewittchen und den 7 Zwergen (und den Tieren) - Freundschaft und Hilfe

        Die titelgebende Konstellation versperrt sich einer direkten Einordnung.
        Die Tiere fungieren zunächst als bloße Side-Kicks, die als visuelle Note bei der Erforschung der Zwergenhütte prächtig in Szene gesetzt werden.
        Und doch fällt den Tieren bei dem Besuch der alten Dame instinktiv auf, dass hier etwas nicht mit rechen Dingen zugeht. Der (ausbleibende) Gesang der Vögel lässt bekanntlich tatsächlich Rückschlüsse auf das direkt anstehende Wetter zu.

        Die 7 kindlich-fein charakterisierten Zwerge dagegen gewähren ihr Schutz und werden gleichzeitig von ihr bemuttert. Von ihnen geht keine Gefahr aus; die Beziehung verläuft von einer gegenseitigen kuriosen Bewunderung hin zu einen freundschaftlichem Band, dessen Zartheit sich auch Brummbär nicht entziehen kann.

        Schneewittchen selbst ist jung, hübsch – und naiv. Eine aufrichtige Naivität, die auch der Warnschuss vom Jäger nicht erschüttern konnte, führt nun in den konsequenten Tod.
        Das Herbeieilen der 7 Zwerge kommt zu spät.

        Freunde helfen und unterstützen sich, aber auch diese können manchmal das Schlimmste nicht verhindern. So gesehen eine realitätsnahe Betrachtung.

        4. Conclusio: Das neue Leben in Liebe
        Die Zwerge wachen ach so treu an ihrem Glassarg. Und doch muss Schneewittchen sie verlassen, damit das Märchen zu Ende gehen kann.
        Freilich geschieht dies nicht in Bitterkeit, sondern in der Erkenntnis, dass ein neues Leben sich von alten Begleitern trennen muss.
        Eine Erkenntnis, die spätere Werke wie „Der König der Löwen“ nicht mehr berücksichtigen. Hier ziehen die hippen Kumpels von damals mit in den Palast.

        Wer das Schwert aus dem Felsen stemmt, ist König.
        Und wer die Prinzessin mit der wahre Liebe Kuss betört, darf sie sich zur Frau nehmen.
        Bei ersteren ist Kraftanstrennung kombiniert mit Intelligenz gefragt und beim zweiten wird es schwieriger.
        Das Konzept wurde vielleicht schon persifliert, wäre mir aber nicht bekannt.
        Bei dem Schwert (oder Thors Hammer) darf jeder mal ran, doch wie wäre es, wenn eine Schar von Männern vor dem toten Schneewittchen stehen, um diese zu küssen und darüber diskutieren, was der wahre Liebe Kuss denn nun bedeutet.
        Beide Konzepte schüren die Idee des schicksalsträchtigen Auserwähltseins.
        Bei „Passengers“ (2017) ist der Protagonist dazu verdammt, selbst eine Wahl zu treffen.

        So musste Schneewittchen flüchten, damit sie stirbt.
        Sie musste sterben, damit sie lebt. Nicht aus ihrer Kraft, sondern aus der Kraft dessen, der sie von Anfang an geliebt.
        So gesehen eine hoffnungsvolle Botschaft.

        5. Nachtrag: Welche Botschaft überwiegt nun?
        Eine reine Männer-/Frauenfantasie,
        eine Warnung vor Neid und Hass,
        eine harte Aussage zur Freundschaft
        und Symbol einer ewigen Hoffnung.

        Man kann diese Frage nicht allgemeinverbindlich beantworten. Eine gute Analyse deutet auf Implikationen hin und gräbt verborgene Zusammenhänge aus. Daraus dann eine letztgültige Deutungshoheit zu erschaffen wäre anmaßend.

        Daher in bester MP-Manier: Was ist bei euch hängen geblieben? Ich wäre wirklich gespannt!

        8
        • 7 .5

          Harter Tobak. Da gibt es nichts zu beschönigen.
          Die Neuigkeit: Kein Deutscher wurde gezwungen, Juden zu töten bzw. konnte er sich dem Befehl verweigern mit der Konsequenz der innertrupplichen sozialen Ächtung.
          Sollte man wissen.

          10
          • 6 .5

            Rund 40 Jahre nach der ersten Fassung aus dem Jahr 1984, zu der ich seit der Schulsichtung nur noch sehr rudimentäre Erinnerungen habe, verfilmt man das Stichwortprotokoll der ca. 90 minütigen Konferenz erneut.
            Der Grund für diese erneute Fassung erschließt sich mir nicht; gleichzeitig möchte ich nicht in das Horn des „Schuldkultes“ stoßen; dieses Schlagwort führt nur zu verästelten Disputationen, die nur selten die Wurzel streifen.

            Ich möchte daher lieber darauf eingehen, wie dieser Film funktioniert und was daraus zu lernen wäre.

            I. Funktionsweise des Films

            Dieser nüchtern gehaltene Film kommt für das deutsche Publikum ohne jeden Kommentar aus. Durchweg antiklimatisch entspinnt sich die Diskussion, auch wenn sie nicht ohne Spannungen bleibt. Doch die Spannungen sind für den Zuschauer nicht greifbar, da er doch ständig darauf wartet, dass jemand den Irrsinn hinterfragt und nicht nur die organisatorischen Details und das persönliche Vorankommen im Staatsapparat thematisiert.
            In der nachträglichen Diskussion kokettiert man diesen Gedanken anhand der humanitären Einwände des Pfarrerssohnes, die sich bei näherem Hinhören auf das Gemüt der Soldaten und nicht auf das Schicksal der Juden bezieht.

            Der Film belehrt nicht, sondern er stellt werturteilsfrei die Diskussion dar, wie sie sich wohl begeben hat.
            Der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser zweiten Fassung ist wohl kein Zufall. Seit 2 Jahren befindet sich die Gesellschaft in mindestens zwei Arten von Hysterie. Zu Zeiten der Wannseekonferenz gab es nur eine gleichgeschaltete Hysterie, die sich auf vielerlei Weise zeigte. Der Glaube an die Überlegenheit des deutschen Volkes bestimmte im NS-Regime alles.
            Wir sind heute weit von dieser Ideologie entfernt und auch das Querdenkernarrativ der gleichgeschalteten Wissenschaftsideologie zerbröckelt in der wissenschaftlichen konträren Debatte hinsichtlich der Prognose des weiteren Fortgangs der Pandemie zusehends.
            Die Meinungsfreiheit ist dennoch in Gefahr. Wenn man selbst die Reichweite eines Serdar Somuncus nach hauchdünner Kritik an der Coronapolitik auf Facebook & Co. einschränkt, ist dies erklärungsbedürftig. Sowohl in der Hinsicht, warum private Firmen über so viel Macht verfügen als auch wie man dort mit der Politik verzahnt ist.
            Und was nützt die Meinungsfreiheit, wenn die Bedenken von Kulturschaffenden bis heute als nachrangig behandelt werden?

            II. Botschaft des Films

            „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. (…)
            Sein Auge ist blau. Er trifft dich genau.“
            Paul Celan: Todesfuge

            Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
            Sprichwort

            Zum Schluss liegt der Erfolg einer Sache an der Motivation und dem Geschick des mittleren bis unteren Managements.
            So wurde die Flüchtlingspolitik Deutschlands längst nicht nur von Pegida & Co. kritisiert, sondern auch von all den freiwilligen Helfern, die den Laden am Laufen gehalten hatten, als die großen Politiker rat- und planlos waren.
            Und Deutschland ist gut im Organisieren! Das Problem beim BER & Co. liegt m.E. nicht darin, dass Deutschland nicht den Willen zur Ordnung hat, sondern dass dieser Wille mit dem Hang zur Gründlichkeit kollidiert. Und Gründlichkeit ist wiederum kein Selbstzweck. Die einzelnen Bedenkenträger sollen bei den Planungen berücksichtigt werden. Wenn R. Habeck also von einer Verschlankung der Plangenehmigungsverfahren spricht, so kann dies effektiv nur umgesetzt werden, wenn die Belange Dritter schlechter bis gar nicht berücksichtigt werden, auch wenn jener dies vehement bestreiten wird. Nichtsdestotrotz leidet jedwede in die Jahre gekommene Demokratie daran, dass sie die Belange von Minderheiten und sich ständig entwickelnden neuen Untergruppierungen zu ernst nimmt. „Zu ernst“ in dem Sinne, dass so an für sich sinnvolle Projekte an den Einwänden kleinster Gruppen scheitern.
            Im Film wird die deutsche Gründlichkeit anhand der Diskussion um die Halb- und Vierteljuden auf die Spitze getrieben. Der eiserne SS-Vertreter möchte jegliches jüdisches Blut vernichten, während der Vertreter der Justiz auf nicht hinnehmbare Konstellationen hinweist, die seitens der SS als bedauerliche Einzelfälle eingestuft werden.
            Das Muster dieser Diskussion wiederholt sich seitdem, in neueren Zeiten prominent mit den xG+Regeln vertreten.

            Die Organisationsdiskussion am Wannsee erinnert zudem an das altbekannte Problem der selbstermächtigten K.I., die aus dem ganzen Universum Büroklammern herstellt.
            Die damalige Propagandamaschinerie etablierte den Judenhass als nicht zu hinterfragende Staatsräson, die sich nach dem Aufbau der BRD in ihr Gegenteil verkehrte.
            Tarantino persifliert dieses Denken in „Inglorious Basterds“ mit der Rede Brad Pitts, in der er von seinen Männern nur eines fordert: Skalps von Nazis. Nicht die Deeskalation ist das Ziel des amerikanischen Interventionismus, sondern die Vernichtung des bösen Feindes, der nicht mehr bekehrt werden kann.
            Trägt man den vorgetragenen Gedanken nicht, so muss zumindest frappierend zugegeben werden, dass das Licht der eigenen Vernunft nie alle Menschen erreicht und so im Ernstfall nur die totale Abgrenzung bis hin zur Vernichtung die „ultima ratio“, also die letzte vernünftige Lösung, ist.
            Friedrich Merz hat in seiner Antrittsrede als CDU-Chef auf das christliche Menschenbild hingewiesen und dass sich daraus die Maxime ergibt, dass die menschlichen Antworten immer nur die vorletzte Instanz sind. Daran sollten wir uns halten. Alle.

            III. Ausblick statt Rückblick

            Das 3. Reich hat nicht mit der Wannseekonferenz begonnen. Wer damals auf Widerstand aus dem System heraus hoffte, der war verloren. So zeichnet der Film den Gipfel als „Banalität des Bösen“ (H. Arendt). Banal, weil es dem Staatsapparat eingeimpft worden ist und das Ziel auch immer darin lag, dass es nicht zur Beunruhigung in der Bevölkerung kommt. Ein Ziel, das damals noch erreichbar war, aber heute im Zeitalter des Internets schlicht unmöglich wird, auch wenn man noch so viele Messengerdienste sperrt. Falschnachrichten bahnen sich ihren Weg wie Wasser in der Sturzflut und die Wahrheit kommt ans Tageslicht – und bis es soweit ist, gibt es auch in der zwielichtigen Welt immer wieder Lichtblicke, die das Gute und auch das Böse offenbaren.
            Mutig wäre es seitens des ÖR gewesen, die Coronakonferenz in gleicher Weise nachzustellen. Es sind genügend skandalträchtige Entscheidungsfindungen (z.B. überstürzte Schließung der Schulen) belegt. Doch statt das Volk möglicherweise unnötig zu beunruhigen, versucht man es mit Rückbesinnung auf eine Zeit, deren aktive Teilnehmer zusehends aussterben.
            Die Gesellschaft muss eine adäquate Antwort auf die Frage finden, was die Verbrechen der Nazis mit deren (Ur-)Enkeln zu tun hat, wenn sie die Lösung dieser Thematik nicht den extremen Rändern überlassen möchte.
            Und dafür braucht es andere Geschichten als dieses Reenactment, dem ich trotz allem seine Berechtigung nicht abspreche. Eine dritte derartige Version bedarf es nicht.

            6
            • 8 .5

              Kritik mit Spoilern zur gesamten Serie sowie zu Californication, Gladiator und The Revenant.

              I. Lächle und Stirb!

              Lang, lang wars her. Und doch hatte ich die schrulligen Charaktere nicht vergessen. Auch wenn die abschließende Staffel nicht mehr an die famose Inszenierung des Wechsels zwischen beiläufiger Beleidigung und tiefer Tragik aus den ersten beiden Staffeln herankommt, wird man dafür im Finale mit einer großen Umarmung getröstet.
              Das Finale ist einerseits unerträglicher Kitsch und auf der anderen Seite ein Schlag in die Magengrube.

              Tony macht sie alle glücklich. Er verteilt das Geld der Lebensversicherung seiner viel zu früh an Krebs verstorbenen Frau Lisa an sein soziales Umfeld und verkuppelt den oder die andere. Und so endet die Serie malerisch auf einem Mittelaltermarkt. Sein „Love Interest“ versandet zusehends und trifft ihn zum Schluss. Mit einem Mann an ihrer Seite.

              Und Tony selbst? „Lächle“, ermuntert ihn sein treudoofer Arbeitskollege. Tony lächelt. Halbherzig. Er will den Schmerz nicht loslassen. Er bindet sich an seine verstorbene Frau.
              „Der Tod starrt uns alle an. Das Einzige, was ein aufrechter Mann tun kann, ist es, zurückzulächeln.“ Diese paraphrasierte stoische Weisheit half dem Gladiator dabei, seine Rache zu vollenden. Tony kann seine Katharsis nicht durch Rache erreichen, da ihm hierfür ein zu verfolgendes Objekt fehlt. So erkennt auch „The Revenant“ in der letzten Einstellung voller Tränen, dass seine Rache ihn nur noch einsamer gemacht hat. Der Verlust der Ehefrau ist ein häufig aufgegriffenes Thema Hollywoods, das jedoch meist sehr oberflächlich behandelt wird. „After Life“ geht einen ganzen Schritt weiter. Stellt dies ins Zentrum der Geschichte.
              Und doch spricht die letzte Einstellung kein letztes Urteil. Tony läuft mit seinem Hund weg vom Fest. Bald ist seine Frau bei ihm. Sie verschwindet. Die Farben werden greller, die Bäume welk. Tony läuft weiter. Dann verschwindet sein Hund – und schließlich Tony selbst.
              Ein poetischer Abschluss für diese bittersüße Serie, da in dieser kurzen Einstellung das Leben Tonys in seiner Gesamtheit eingefangen wird; zum Schluss zählt doch nur, wen du wirklich an dich herangelassen hast. Tony hat seine tiefen Depressionen, die ihn an den Rand des Freitodes brachten, zwar überwunden, aber die bleierne Decke der Melancholie konnte er nie abstreifen - weil er es nicht wollte. Er erkennt, dass niemand seine Frau ersetzen kann. Und er erkennt, dass er sie gar nicht ersetzen will. So wirkt es auf mich. Er hat sich ein Reich aus Erinnerungen gebaut, in denen er schwelgen möchte. All die Aufnahmen, insbesondere die letzten, halten ihn in der Vergangenheit.
              Es fällt mir leicht, den Charakter „Tony“ zu mögen. Ein lebenslustiger Kerl, der immer einen dummen Spruch auf den oftmals riskierten Lippen trägt.
              Und doch fällt es mir schwer, sein Verhalten zu rechtfertigen. Allzu oft geht er mit seinen Bemerkungen zu weit.

              II. Von Frauen, Kühen und Narzissten

              Ein bürgerlicher Antiheld. Ganz so wie Hank Moody ein Antiheld im L.A.nd der Schönen und Reichen war.
              „Californication“ erzählt im Grunde eine recht ähnliche Geschichte. Wenn auch mit mehr Überbau. Im Land der Schönen und Reichen steigst du nicht ab, weil deine Frau gestorben ist. Hank steigt ab, weil ihm sein Erfolg über den Kopf wächst und seine Beziehung zu Karen mal wieder in die Brüche gegangen ist. Über 7 Staffeln geht es hin und her. Hank fickt Karen. Karen fickt Hank. Hank fickt halb Hollywood. Und doch will es das Märchen zum Schluss, dass der Rocket Man seine gottgleiche Geliebte für immer in den Armen hält.

              „After Life“ ist erwachsener als „Californication“.
              Tonys Sexualität wird leider ausgeklammert, was retrospektiv ein großer Minuspunkt ist. Retrospektiv ist aber auch die repetitive Darstellung der Hank´schen Eskapaden nicht gerade ein Pluspunkt.
              Was beide Serien eint, ist das männliche Bedürfnis nach der Traumfrau.
              Die Frau selbst fungiert nicht als handlungsauslösendes Element wie es z.B. Buster Keaton 1925 in dem Stummfilm „Go West“ persifliert hat. Dort entwickelt der Protagonist zu einer Kuh zärtliche Gefühle und rettet diese hernach; angeblich lag es daran, dass Buster Keaton der Zusammenarbeit mit den nervigen Schauspielerinnen überdrüssig war und daraufhin feststellte, dass eine Kuh eben auch ausreicht. Doch auch modernere Filme wie „John Wick“ beweisen, dass es für einen ActionFilm durchaus legitim sein kann, den weiblichen Part durch ein Tier zu ersetzen.
              Doch beim Drama funktioniert der Ersatz dieser Art nicht.
              Vielmehr weist „After Life“ auf ein ganz anderes Problem hin.
              Tony kreist über die längste Zeit um sich, seine Probleme und um seine Vorstellung der perfekten Frau. Nie thematisiert er etwaige Schattenseiten seiner Beziehung zu Lisa. Er überhöht so seine Vorstellung an eine Beziehung, dass er am Ende doch ganz alleine ist.
              Er akzeptiert den Tod Lisas nicht und er akzeptiert nicht, dass sein Leben einfach weitergeht, was es nun mal nicht verhindert. Seine Trauer bestimmt den Rest seines Lebens, das aber noch zu lange dauert, um es in einem solchen Gemüt zu fristen.
              Und doch tut er zum Schluss sein Bestes für seine Mitmenschen. Ganz wie Hank Moody Charly „Pervert“ Runkle mit einer neuen Frau verkuppelt, kümmert sich Tony um sein Umfeld. Über den Kitsch hinaus weist Ricky Gervais auf eine höhere Poesie. Er konnte sich nicht selbst helfen, aber allen anderen. Selbst dieser Verdienst brachte ihm keine Freude, da sein Leiden immer stärker sein wird. Er geht aufrecht, aber als in sich gebrochener Mann.

              Hank Moody gewinnt zum Schluss seine Frau auf dem Fluch vom sündigen L.A. nach N.Y. zurück. Ein neuer Wohnort soll das richten, was die beiden in L.A. nicht richten konnte. Wenn ich die Geschichte richtig in Erinnerung habe, sind die beiden nach Hanks Erfolg an die Ostküste gezogen, wo der Schlamassel seinen Lauf nahm. Zurück in der Heimat soll alles besser werden. Was an der Ostküste geschah, soll dort bleiben. Ob man das glauben kann, ist jedem selbst überlassen.

              „Californication“ stellt die infantile Frage danach, wie viele Affären und Eskapaden die vermeintlich wahre Liebe aushält, während sich „After Life“ dem Anliegen widmet, ob die „wahre Liebe“ nicht nur wartet, sondern auch bleibt, wenn sie gegangen ist. Für Tony gibt es keinen Weg zurück.
              Was einmal war, das kommt nie wieder. Der Ofen ist aus. Wenigstens für dich.
              Der Tod einer geliebten Frau/Partner ist ein Schicksalsschlag, der dich nicht stärker macht. Für was denn auch stärker, wenn die Liebe deines Lebens gegangen ist? Woran sich noch erfreuen? Und doch müssen später oder früher Antworten gegeben werden.

              III. After „After Life“

              Überdies hinaus wäre die Frage zu stellen, ob die Beziehung Tonys Hoffnungslosigkeit ohnehin nur betäubt hat. Eine Thematik, die meiner Erinnerung nach nie so aufgegriffen wird. Teile der Psychologie halten die Ehe (mit Kinder) für das beste Abwehrmittel gegen jeglichen Extremismus. Ein Mann, der sich um Arbeit und Familie kümmern muss, hat schlicht keine Zeit dafür, extremistisch zu werden.
              Er betäubt seinen Schmerz mit Alkohol und sein lebenslustiger Humor kippt allzu schnell ins Zynische ab. Ein Zynismus, der andere verletzt und ihm selbst nicht weiterhilft.
              Er hat auf die letzten Fragen keine Antwort. Und so paart sich sein Schmerz mit Hoffnungslosigkeit. Der faust´sche Versuch der Selbsterlösung scheitert krachend.
              Wir leben in einer betäubten Gesellschaft, die aus Angst vor dem eigenen Abgrund an alles glaubt außer dem, der wirklich Hoffnung gibt und der alle Tränen von ihren Augen wischen wird.

              Statt „Ich fürchte kein Unglück, denn du bist bei mir.“ kann Tony nur rhapsodieren „Du bist nicht mehr bei mir und das Unglück ist da.“
              Seine Frau war sein selbsterdachter Gott.

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                bin bei jeder Episode eingeschlafen und weiß nicht, ob ich das jetzt gut oder schlecht finden soll :)

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                  Brillant inszenierte Dramaserie, die „The Wire“.Fans gefallen sollte.
                  Wie bei „The Wire“ stehen ziemlich viele Personen kaleidoskopartig als Teil des Ganzen.
                  „Das Ganze“ meint bei Dopesick aber keine Stadt, sondern die Opiodkrise Ende der 90er in Amerika.

                  Die Geschichte ist schnell erzählt.
                  Da ein Patent für den Pharmagiganten Perduepharma abläuft, entwickelt man ein neues Schmerzmedikament, das des Umsatzes weg breit verschrieben werden soll. Man verschafft sich Einfluss bei der FDA (Medikamentenzulassungsstelle), heuert ein paar junge Leute an, die mit frisierten bzw. schöngerechneten Studien die Ärzte davon überzeugen sollen, dass hier ein neues Wundermittel entdeckt worden ist.
                  Als Staatsanwaltschaft & Co. dem Ganzen allmählich auf die Schliche kommen, ist es schon viel zu spät. Der Konzern hat weitere Milliarden gescheffelt und ist nicht gewillt, damit allzu bald aufzuhören. Die Leidtragenden sind die Patienten, denen das – oh Wunder! – doch hochgradig abhängig machende Medikament verschrieben worden ist.
                  Am Ende wandert – SPOILER – keiner in den Bau, sondern es werden nur Strafzahlungen verhängt – SPOILER ENDE.

                  Ich könnte jetzt von der tollen Inszenierung und den wirklich rundum starken Schauspielern sprechen, von dem Pacing, das auch 1-2 Folgen weniger vertragen hätte; aber all das liegt mir nicht und wurde von anderen sicher schon besser gebracht.

                  Mein Blickwinkel auf Medien ist stark von der Schulfrage geprägt, was der Künstler uns hiermit sagen möchte.
                  Und da bin ich mir unsicher.
                  Freilich ist die Inszenierung dieses Einzelfalls interessant und am Ende lässt man auch durchblicken, dass es längst einen neuen Gegner gibt, ihn immer geben wird.
                  Man könnte also jetzt auf den alten Zug aufspringen und von der Überbetonung der Einzelfälle durch die Medien berichten. Schließlich dreht keiner eine Serie über die FDA, die todbringende und gefährliche Medikamente ablehnt.

                  Ich möchte ein paar andere Thesen formulieren.
                  1. „Dopesick“ erzählt uns nichts, was wir nicht schon wüssten bzw. befürchten.
                  Dieser Punkt bleibt unausgeführt.

                  2. Wenn der Staat in Film/Serie dargestellt wird, dann v.a., wenn er versagt.
                  Das mag eine steile These sein, doch mir fällt gerade kein Gegenbeispiel ein. Es fallen mir viele Filme ein, in denen der Staat keine Rolle spielt.
                  Es geht mir eben nicht um die Frage, ob der Staat ständig versagt oder nicht, sondern nur um die Feststellung, dass die Aufbereitung in fiktionalen Medien stets auf Bloßstellung aus ist.
                  Gerade Demokratien leiden daran, wenn eine Staatsinstitution auch nur ein einziges Mal epochal versagt.
                  Die gesunde Staatsskepsis schwingt dann leicht um in ein hypochondrisches Ablehnen aller staatlichen Festsetzungen und Eingriffe.
                  Und mit jedem Einzelfall weiteren Versagens wächst die Zahl derer, die man nie mehr zurückholen kann.
                  Es wäre sicherlich verfehlt, zu behaupten, dass „Dopesick“ hier noch extra Öl ins Feuer gießt. Andererseits ist es genauso leichtgläubig, davon auszugehen, dass „Dopesick“ ein erlesenes Produkt der Kunstfreiheit ist.
                  Personen wie Andrew Wakefield kann man leicht widerlegen, aber auf ein eklatantes und nachgewiesenes Staatsversagen hinzuweisen, ist durchaus subtiler.
                  Statt also nach der Intention des Künstlers zu fragen, kann man auch darüber nachdenken, was beim Zuschauer „hängen bleibt“.
                  Zunächst die großartige Kunst, die hier geboten wird, aber „The Queen´s Gambit“ bewegte sich auf einem ähnlichen Niveau. Bei der einen Serie denken wir an eine Frau, die gerne Schach spielt, und bei „Dopesick“ an ein staatliches Versagen. Doch, halt! Elizabeth Harmon war auch tablettenabhängig. In den 50ern verteilte man zur Beruhigung der Insassen der Waisenhäuser Tabletten mit Suchtfaktor. Auch ein staatliches Versagen. Die Miniserie „Chernobyl“ (noch nicht gesehen) behandelt auch ein Staatsversagen.

                  3.. Der vorgenannte Umstand führt zu einer Verunsicherung und Ohnmacht der Zuschauer.
                  Was bleibt also hängen von „Dopesick“?
                  Dass der Staat extrem träge darin ist, offenkundige Probleme, die er durch vorheriges Versagen selbst initiierte, schnell und gerecht zu lösen – selbst bzw. v.a., wenn es um Menschenleben geht.
                  Und – die wichtigste Botschaft: Du kannst nichts dagegen tun außer „kritisch sein“.
                  Nichts andere stellt der meilenweite und jahrelange Kampf der Staatsanwälte in „Dopesick“ dar. Ein Leidensweg, in dem sich das Leiden der Betroffenen noch gesteigert hat.
                  Und man belässt es bei der Darstellung und erzeugt so eine Atmosphäre der Ohnmacht.
                  Es unterscheidet sich von einer gut gemachten Dokumentation insbesondere darin, dass in solchen Produktionen hoffnungsvolle Alternativen zumindest aufgezeigt werden, dass es auch um Lösungen geht. „Dopesick“ ist nur problemorientiert. Wie eine Anklageschrift, die das Maß der Verurteilung offen lässt und gleichzeitig kein gutes Haar an den Verursachern belässt.

                  4. Und wer Ohnmacht verspürt, der verlangt nach einfachen Lösungen.
                  Dieser Punkt bleibt unausgeführt.

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                    Catweazle trifft auf BibleMan.
                    Gibt’s hier umsonst mit nur sehr wenigen Werbeeinblendungen: https://www.youtube.com/watch?v=UUHnOW9PInY

                    Der Film funktioniert auch ganz gut als Hörspiel; man braucht die Bilder gar nicht unbedingt, um mitzukommen.
                    Es ist eine halbwegs gelungene Predigt und ein halbwegs ungelungener Film.

                    In der Nische der evangelikalen Filmwelt durchaus schaubar, wenngleich man nicht mit Subtilität rechnen sollte.
                    Anlass genug, um über zwei grundlegende Fragen bezüglich der Holzhammermethode zu sinnieren.

                    I. Kurzer Abriss des Films
                    Ein Bibelwissenschaftler reist für ein paar Tage vom Ende des 19 Jhd. in das beginnende 21. Jhd..
                    Hintergrund ist ein Disput mit einem Kollegen über die Frage, ob man die moralische Botschaft Jesus von ihm selbst trennen kann und der Menschheit so zu besseren Menschen machen kann, ohne mit Jesus selbst in Kontakt zu kommen.
                    Am Ende gesteht der Bibelwissenschaftler seinen Irrtum, da er gesehen hat zu welch verheerenden Folgen sein Denken führt, wenn man es in der Praxis umsetzt und stellt in seinem neuen Buch „Jesus Christus“ in den Mittelpunkt.

                    Im Verlauf des Films greift man an die dostojewskische Sentenz auf, dass ohne Gott alles erlaubt sei, die ironischerweise schon vor dem Ende des 19. Jhd. gefasst worden ist.

                    Die comic-relief-Einlagen hätten lustiger ausfallen können und bleiben hinter dem Witz eines Catweazles weit zurück.
                    Im Fokus stehen jedoch auch nicht die technischen Errungenschaften, sondern vielmehr der moralische Wandel. Diesen sieht der Bibelwissenschaftler als eklatant verdorben an.
                    Auch die verwässerten Gemeinden der Neuzeit, die die „ekklesia“ wie einen beliebigen Club behandeln, werden nicht verschont.
                    Er geriert sich über die zu frivole Mode, das gotteslästerliche Kino und die rauen Sitten.
                    In einer abschließenden Predigt fordert er die Gemeinde, in der er gelandet ist, zum Kern der Sache, zu Christus, zurückzukehren, was mehr oder mindert mit einem „Danke, aber nein Danke“ weggewischt wird.

                    II. Darf Kunst den Holzhammer bedienen?

                    Von den Beginn des Films ist das Ziel klar.
                    „Jesus“ muss im Mittelpunkt stehen. Ja, ich habs verstanden.
                    Man stellt keine „besonderen“ Sünder wie Schwerverbrecher o.Ä. in den Mittelpunkt, sondern betreibt seine Kritik am „kleinen Mann“, was mich doch positiv stimmt.
                    Der Film beantwortet die Frage nach einem „modernen“ Christentum aber dennoch nicht wirklich.
                    Ist es wirklich anstößig, wenn ich einem Ehepaar beim Küssen zusehe?
                    Muss ich reden wie aus dem 19. Jhd, damit meine Gottesfurcht vor den Menschen klar wird?
                    Ist wirklich jede althergebrachte Tradition bewahrenswert?

                    Und so frage ich mich doch innerlich: „Hat der Stein des Anstoßes, der zum Eckstein geworden ist, dem Kino wirklich nicht mehr zu bieten als das?“
                    Ich stelle mal die These in den Raum, dass Jesus heute wahrscheinlich auch Regisseur geworden wäre. Er verpackte seine Lehren zunehmend in Geschichten und Bilder, damit die, die sehen, nicht sehen und die die hören, doch nicht hören.
                    Welches Medium böte sich dafür besser an als der Film?

                    Es mag eine gewisse Zuschauerschaft geben, die sich durch dieses leicht verdauliche Werk abholen lassen. Dagegen ist nichts einzuwenden.
                    Aber wer es – und ich sage das nicht mit Überheblichkeit – anspruchsvoller mag, sollte davon die Finger lassen.

                    Dieser Film ist Wasser auf die Mühlen des evangelikalen harten Kerns.
                    Man lebt in einem Dilemma. Jeder ist willkommen. Aber gleichzeitig muss man sich von jedem außerhalb des Kerns abgrenzen.
                    Lösung des Dilemmas: Gott liebt die Sünder, aber hasst die Sünder.
                    Beiwerk: Der Mensch muss sich von den Sündern, die die Sünde lieben, abgrenzen.

                    Und das ist zu einem gewissen Grad meinerseits nachvollziehbar.
                    Der Film vermittelt dem harten Kern aber genau die Botschaften, die es hören möchte.
                    Die Wiederkunft Christi steht unmittelbar bevor.
                    Die verwässerten Gemeinden sind des Teufels.
                    Zurück zum harten Kern.

                    Und das kann man so sehen. Man kann übereinstimmen. Aber wertvolle Kunst ist das nicht.
                    Statt subtilen Anspielungen stellt man Pappkameraden auf. Jede Figur des Films steht für eine gesellschaftliche Entwicklung und nicht für einen Menschen.
                    Auch dieses Stilmittel ist zulässig, aber vorliegend kaum geeignet, da im Fokus des Films der Mensch selbst mit all seinen Gebrochenheiten stehen sollte.
                    So hat man auf der einen Seiten einen Bibelwissenschaftler, der das Wort Gottes fürchtet und auf der anderen Seite einen, dessen einziges Versagen darin besteht, noch nicht ganz so weit zu sein und auf der ganz anderen Seite ist dann die laue, postmoderne Christenheit, die es einfach nicht mehr kann.
                    Am auffälligsten wird diese Symptomatik bei der Schlusspredigt.
                    Paraphrasiert: „Auch wir im 19. Jhd. haben unsere Probleme, aber eure sind schlimmer, da ihr den Kern der Sache, die sündige Natur des Menschen vergessen habt.“
                    Nein, das ist mir zu billig. Das ist der alte Trick, der den Spruch „Früher war alles besser“ als „Heute ist alles schlimmer“ salonfähig machen möchte. Ja, es gab Probleme, aber die waren weit nicht so kompliziert wie heute.
                    Zur Bibel gehört eben auch die Einsicht, dass es „nichts Neues unter der Sonne gibt.“. Wer auf biblischer Wahrheit pocht, kommt daran nicht vorbei. Damit stelle ich nicht in Abrede, dass es speziell für die letzten Tage noch besondere Prophetien gibt.
                    Aber der Mensch wird dadurch, dass er in angeblich besseren Zeiten lebt, nicht mehr oder weniger erlösungsbedürftig bzw. auch -fähig.
                    Das Heil Gottes wirkt zu allen Zeiten gleich. Und das Problem der Sünde quillt nicht aus der Kultur und der Zugänglichkeit von Sünden, sondern aus der Natur des Menschen, die das Gute will, und das Böse schafft. Die verstrickt ist in Egoismus und Unvergebenheit. Die sich selbst beweihräuchert statt den lebendigen Gott.
                    So geht es nicht um die Menge der Sünden, die man begangen hat, sondern allein um die Frage, ob man Jesus in sein Leben gelassen hat. Und das war im 19. Jhd. so schwer wie es heute ist!
                    Und das ist das Problem der Menschheit bis zum Schluss. Da stört es mich einfach, wenn man behauptet, im 19. Jhd. gab es ein paar Problemchen, die gar nicht der Rede wert waren im Vergleich zum sündigen Sodom und Gomorrha heute.
                    Das Problem ist das menschliche Herz und das kann nur einer ändern. Und der, der es ändert, wird allen Stolz brechen und gerade den, der sich einbildet aus eigener Kraft zum letzten harten Kern zu gehören.

                    Die Botschaft, die der Film rüberbringen möchte, gehört also eher auf eine Kanzel als auf Zelluloid gebannt, woraus sich nach dem Zwischenwurf eine neue Frage ergibt.

                    III. Exkurs: Ein paar Ideen, die ich besser gefunden hätte.

                    Ich weiß, ich weiß.
                    Ein Kritiker soll immer nur das kritisieren, was da ist.
                    Aber da ich hierfür ja noch nicht bezahlt werde, gelten immer noch meine Regeln.
                    Und ich finde es eben schön und unterhaltsam, sich selbst ein paar abweichende Handlungsstränge einfallen zu lassen.

                    1. Der Bibelwissenschaftler fällt in eine „moderne“ Sünde. So hätte er beispielsweise in die Fänge von Pornographie geraten können.
                    Etwaige Einlassungen: Er hätte den Reiz der leicht zugänglichen Sünde nachvollziehen können anstatt als unangreifbare Festung des vollendeten Glaubens das Werk zu vollrichten.

                    2. Der Bibelwissenschaftler bleibt in der Jetzt-Zeit gefangen.
                    Noch nicht mal eine Woche dauert seine Zeitreise. Doch wie hätte er sich verhalten, wenn er Wochen oder gar Jahre bzw. den Rest seines Lebens in der Zeit festgesteckt wäre?
                    Etwaige Einlassungen:
                    Er hätte eine harte Gemeinde finden können und sich zunehmend radikalisieren können, was er dann reflektieren hätte können. So hätte er erkennen können, dass Jesus zunächst eine radikale Zuwendung zu den Menschen fordert und das Gericht nicht des Menschen ist.
                    Er hätte aber auch sehen können, dass es in der heutigen Zeit eben doch schwieriger ist, ein Gemeindeleben aus dem ausgehenden 19. Jhd. 1:1 zu übernehmen. Wie hätte er darauf reagiert?

                    3. Der Bibelwissenschaftler wird durch eine Begegnung in der Neuzeit in seinem Denken korrigiert.
                    Das wäre doch wirklich großartig gewesen. Ganz im Sinne des paulinischen Gebot, dass einer den anderen ermahne, hätte er die zukünftige Christenheit etwas mit auf dem Weg gegeben und diese hätten ihn in einem Punkt korrigieren können. Leider fällt mir gerade kein vernünftiges Beispiel ein und der Film gibt auch nicht viel her, da der Protagonist als biederer Saubermann porträtiert wird.
                    Etwaige Einlassung: Beide Seiten hätten erkannt, dass der Weg unendlich schmal ist, und nur durch gegenseitiges Aufeinander-Acht-Geben zu bewältigen ist.

                    IV. Dürfen Propheten den Holzhammer bedienen?

                    In einer lesenswerten Nachschau der ZEIT bezüglich der Rezeption des Films „Don´t Look Up“ (schnell bevor es hinter der Paywall verschwindet: https://www.zeit.de/2022/03/dont-look-up-klimaforschung-politik) werden die 3 Phasen der Wissenschaftskommunikation nach dem Astronomen Randall Mindy dargestellt.
                    Phase 1: Scheitern der Kommunikation aufgrund der zu fachlichen und damit unverständlichen Aussagen.
                    Phase 2: Durch Professionalisierung der Rhetorik werden griffige Slogans und leicht verständliche Konzepte möglich, die aber dennoch nicht durchgreifen.
                    Phase 3: Panikmodus. Appell an die Emotionen der Zuhörenden.

                    Der Wissenschaftler erfüllt in der modernen Zeit für einen nicht zu vernachlässigenden Anteil der Menschheit die Aufgabe des Propheten bzw. Predigers.
                    Er möchte, dass die Leute umdenken (= Buße tun) und sich „gut“ verhalten.

                    Man kann das 3-Phasen-Modell zwar nicht unmittelbar auf die christliche Mission übertragen, aber dennoch ergeben sich sowohl historisch als auch in der rhetorischen Entwicklung einzelner Prediger Parallelen.
                    Zum einen ist die Messe der katholischen Kirchen seit dem Mittelalter die längste Zeit auf Latein gehalten worden. Doch führte dies nicht zu einem Scheitern der Kommunikation. Der Gedanke bzw. die Notwendigkeit, dass eine fachlich informierte Person sich mit einem Durchschnittsbürger verständigen musste, kam erst im Nachklang der Reformation und der Aufklärung auf. So hat die katholische Kirche nach dem 2. Vatikanischen Konzil erst im Jahr 1970 die Messe von der Standardsprache Latein befreit.
                    Die Messe sollte näher am Menschen sein, verständlicher eben – oder mit anderen Worten: Die bisherige Fachkommunikation war gescheitert. Der moderne Mensch wollte Erklärungen statt delegiertes Heilshandeln des Pfaffen.
                    Überspitzt gesagt, befindet sich die Kirche heute in Phase 2. Sie wird verstanden, aber dennoch von den meisten nicht ernst genommen.
                    Auf Phase 3 müssen wir uns so schnell nicht vorbereiten.

                    Das sieht bei einzelnen Vertretern des christlichen Predigertums schon ganz anders aus.
                    Viele Vertreter der jungen Predigerschaft überspringen Phase 1 und landen durch Schulungen in Rhetorik & Co. gleich in Phase 2 und manche fühlen sich dort ihr ganzes Leben wohl. Das trifft gerade auf diejenigen zu, die das Christentum im Sinne einer universalistischen Liebeslehre als nur einen möglichen Weg zu Gott sehen.
                    Doch was wird aus denjenigen, die die biblische Wahrheit, dass nur Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, hochhalten wollen und merken, dass sie nicht durchkommen?
                    In „Dont Look Up“ entscheidet sich Leo DiCaprio dazu, im TV auszurasten und so auf die Emotionen der Zuschauer zu wirken. Was sachliche Aufarbeitung nicht geschafft hat, soll jetzt die Verzweiflungstat richten.
                    An dieser Stelle muss ich auf das biblische Grundverständnis der Predigt zu sprechen kommen.
                    „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber aus dem Wort Gottes.“ (Röm. 10,17)
                    Wie viel persönliche Emotion ist hier vonnöten? Ein alter Streit, auch unter bibeltreuen Christen. Freilich möchte keiner bei seiner Herzensangelegenheit ein Roboter sein, der seinem Mitmenschen weisungsgebunden einmal das Heil anbietet und sich ganz auf das Wirken des allmächtigen Gottes verlässt. Die anderen sagen, man müsse besonders emotional sein, damit das Gegenüber auch merkt, wie wichtig es einem ist. Wieder andere sagen, man solle nur beten und durch seine eigenen Taten glänzen und erst auf Nachfrage von Gott schwärmen.
                    Wer es ganz würzig haben möchte, bringt dann in einen solchen Debatten die Frage ein: „Wenn du wüsstest, dass Jesus morgen käme (= Ende der Welt), was würdest du heute noch in Bewegung setzen und warum setzt du es dann nicht einfach um, denn er könnte ja tatsächlich morgen kommen und du hättest dein Möglichstes nicht getan?“
                    Ein Missionsgeschäftsmodell, auf dessen Motivationswirkung alle Neoliberalen neidisch wären, wenn es – ja, wenn es – funktionieren würde. Ich habe noch nie erlebt, dass auf eine solche Diskussion hin, die Leute in die Dörfer und Städte gefahren wären und das Heil Gottes proklamiert hätten.
                    Ich glaube auch nicht, dass es nur an der Passivität der Beteiligten gelegen hat.
                    Denn bis zu einem gewissen Grad, weiß jeder Gläubige, dass Gott es ist, der das Entscheidende tut und dass er den Menschen nie in ein manisches Handeln verfallen lassen würde, und sei es um Ihn selbst willen.

                    Im Gegensatz dazu hat der Wissenschaftler aus „Dont Look Up“ keinen Gott, sondern nur sich selbst und seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen. An dieser Stelle sei nochmals darauf verwiesen, dass der Grund für den Erhalt der Menschheit dort nicht erklärt, sondern – wie in allen Hollywood-Endzeit/Marvel-Filmen – als schlicht und einfach gegeben deklariert wird.
                    So weiß „Don´t Look Up“, dass die Erde ohne die Menschen ein „objektiv“ besserer Ort wäre und der Prediger des Wort Gottes weiß, dass der Mensch ohne Gemeinschaft mit Gott auf ewig verloren ist.
                    Wenn da mal nicht der Holzhammer ausgepackt werden sollte! Ganz im Wissen um die Spannung, dass Gott manchmal eben doch nur im "Säuseln" zu verspüren ist.

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                      GlorreicherHalunke 16.01.2022, 12:19 Geändert 16.01.2022, 13:04

                      Gewidmet einem werdenden Vater.

                      Im Jahre 1987 verhandelt Otto neben viel Unsinn in Gestalt der Figur des Hausmeisters Themen, die auch heute noch die Bundesrepublik Deutschland beschäftigen.
                      Haben wir etwas gelernt oder ist gesellschaftlicher Fortschritt nur eine politische Werkschau?

                      I. Loblied auf einen Komiker!

                      Bevor wir uns in allzu tiefe Löcher begeben, sei kurz darauf hingewiesen:
                      Wenn ich einen Menschen verehre, dann wäre es Otto.
                      Talent trifft Blödsinn.
                      Otto ist der letzte Eskapationsverhelfer in einer Zeit, die rückblickend ausgefallen sein wird.
                      Seine Gags landen zum allergrößten Teil nicht unter der Gürtellinie, sondern weit darunter. Deswegen macht es auch Spaß, danach zu suchen. Sich unterwältigen zu lassen.
                      Mir fiele weder ein deutscher noch ein internationaler Mime ein, der sich so auf sich selbst verlassen kann. Drin ist, was drauf steht. „Otto“ – und wer ihn nicht leiden kann, der braucht erst gar nicht zuzugreifen.
                      Otto nimmt uns die Scham. Er hüpft. Er rhapsodiert. Er jodelt. Er nimmt sich nicht ernst und er erinnert den Zuschauer daran, dass nicht immer alles ernst sein muss. Solange jedenfalls bis Otto einst seine letzte Version von „Hänsel und Gretel vorführen wird.
                      Es sind Alltagsblödeleien, doofe Kalauer und ein mimisches Vermögen, das man anerkennen muss.
                      Würden wir in einer anderen Welt leben, wenn es Otto nicht gäbe? Definitiv nicht.
                      Wäre die Welt ohne ihn ein schlechterer Ort? Für mich schon.

                      II. Schelte für einen Film

                      Sind OttoFilme wirklich Filme? Nein. Er erweitert seine Bühne in den 5 originalen Filmen. Alles, was danach kam, kann mit der Peitsche des Schweigens bedeckt werden.
                      Die Kamera bildet in den meisten Sequenzen nur ab und über ein „shot-reverse-shot“ kommt man kaum hinaus.
                      Wo Buster Keaton noch mit der Kamera spielte und diese zum Gelingen seiner Witze nicht selten essenziell waren, so verlässt sich Otto mit sehr wenigen Ausnahmen (zu nennen ist: Die Szene der körperlichen Ertüchtigung im 1. Film, die sich nach dem Herauszoomen als Farce erweist) ganz und allein auf sich selbst.
                      Die Menschen gingen nicht ins Kino, um einen ausgefeilten Film, sondern um den Blödmann der Nation zu sehen.

                      III. Graben im Politischen

                      Otto politisiert nicht.
                      Er greift aber sehr wohl die politischen Themen seiner Zeit auf.

                      1. Ottos Ausgangssituation

                      Zu Beginn des Films sehen wir Otto in seiner zwangsgeräumten Wohnung. Er ist ein asozialer Schmarotzer, der nur vor der Glotze saß. Er gibt der großen Stadt die Schuld an seiner Misere und sieht sich als verkannter Musiker.
                      Genauso hätte er selbst enden können. Seine Erfolgsgeschichte war einmalig und gerade deshalb alles andere als vorhersehbar. Wie – so könnte man sich fragen – wäre er geendet, wenn Fortunas Kuss ihn nicht ereilt hätte.

                      In einer späteren Szene wird er auf die GEZ-Abgabe zu sprechen kommen. Auch heute wird darüber noch gewettert, genauso wie vor 35 Jahren.

                      2. Der Hausmeister

                      In den wenigen, aber umso kompakteren Szenen mit den Hausmeister werden die Ressentiments eines nach rechts neigenden Bürgertums realsatirisch dargestellt, wenngleich sie nicht verhandelt werden.

                      In der ersten Begegnung im Hausflur beklagt dieser sich bei Ottos Abschiedskonzert darüber, dass man Musiker nicht einfach herauswerfen könne, da man „so etwas früher Körperverletzung nannte, aber man ist ja tolerant heutzutage - leider“.
                      Danach möchte der Hausmeister aufgrund eines „alten Brauchs“ ein Abschiedsgeschenk vom darbenden Otto.
                      Im Gespräch über Ottos Mietschulden spricht der Hausmeister von den „Richtern, die in letzter Zeit endlich mal wieder scharf durchgreifen.“.
                      Die angedrohte Polizei wird aufgrund der Intervention der brünetten Tochter des Hausmeisters abgewendet. Sie verscherbelt Otto als „Sklaven“ für „richtige Arbeit“ an den Hausmeister.
                      Er vereinbart mit Otto ein akustisches Signal, da „diese Typen nur eine Sprache verstünden.“
                      Boom. Boom. BoomBoom. Hämmert er mit der Brechstange an das Heizungsrohr.
                      Ottos erster Auftrag besteht darin, dessen Schoßhund zum Tierpsychologen zu bringen, damit er „endlich mal wieder richtig zubeißen kann.“.

                      Später fährt er den infolge der vorgespielten Malocherei rußverschmierte Otto an, dass er sich gefälligst waschen solle, bevor er auf das Kind der Nachbarin aufpasste, da dieses ja kein „Negerbaby“ sei.
                      Der Film ist an dieser Stelle nicht rassistisch. Der Witz ist doppelbödig gegen den Hausmeister gerichtet.
                      Dieser entlarvt sich selbst, obwohl oder gerade weil er es ironisch meint.
                      Er kokettiert damit, dass es selbstverständlich auch nicht okay sei, wenn Otto rußverschmiert auf ein dunkelhäutiges Kind aufpassen würde. Vielmehr schwingt mit, dass es unter dem Dach des Hausmeisters nie so weit kommen würde.
                      Und solange er seine Mitmenschen noch mit ihrem mangelnden Wissen über den glorreichen Feldzug 1870/71 aufziehen kann, fühlt er sich durch und durch wohl.

                      Schließlich feiert der Hausmeister den Film „Amboss – Der Kontrollator“. Amboss ist seinerseits eine Persiflage auf das Actionkino der 80er und klärt die Frage, wie der Terminator ausgesehen hätte, wäre er mit Dolph Lundgreen besetzt gewesen.
                      Der Hausmeister fasst den Film gegenüber seinem Hund so zusammen. „Jetzt ist er in der U-BahnLinie 12. Die Schwarzfahrerlinie. Da sitzen sie alle drin. Die ganzen Rocker, Punker und Dealer, Zocker, Kiffer, Fixer und Säufer, Mixer und Latzhosen, Schlitzaugen, das ganze Gesochs. Gleich macht Amboss sie alle hin.“ Sein Tonfall ist zustimmend, gleichsam ereifernd.

                      3. Aktueller denn je

                      Aufgezwungene Toleranz, Richtige Arbeit, Ausgrenzen von Asozialen und Ausländern, der Drang nach einer harten Linie im Rechtswesen und der Natur, deutsche Hegemonialstelllung.
                      Die im wahrsten Sinne gegebenen Schlagworte hallen nach 35 Jahren nicht nur nach, vielmehr werden sie bis zum Erbrechen wiederholt.
                      An dieser Stelle muss man sich doch ernstlich fragen, ob und was sich in Deutschland nach 35 Jahren geändert hat.
                      Die Bundesrepublik wird seit damals abwechselnd von Rot und Schwarz mit – hie und da – gelben und grünen Tupfern regiert.
                      Die einen prangern einen Revisionismus an, die anderen haben Angst vor der DDR-isierung des einstmals freien Westens.
                      Zugegeben ist ein Zeitraum von 35 Jahren bei historischen Betrachtungen eher als gering einzustufen, doch die Tatsache, dass damals wie heute noch ein Großteil der gleichen Leute ohne eine Lösung in Sicht mitdiskutiert, ist erschreckend.
                      So bleiben am Ende nur Kampfbegriffe stehen sowie das gegenseitig nie eingelöste Versprechen, sich doch endlich mal sachlich und ohne Vorurteile einigen zu können.
                      Und ob rot, schwarz, grün oder gelb: Kommt die große Krise, die jeder am eigenen Beutolomäus spürt, wird der Herbst wieder kräftig braun.

                      Ottos Talent besteht nun aber darin, den Hausmeister als solchen abzubilden und ihn stehen zu lassen. Wenn sich einer selbst lächerlich macht, dann muss man das nicht zusätzlich erklären.

                      So gibt es auch grundsätzlich drei Reaktionen auf die Figur des Hausmeisters.
                      Einerseits kann man von links darauf schauen und sich über die bloße Lächerlichkeit beömmeln.
                      Der Blick von rechts ist diffiziler, wenngleich er gerade von denen, die sich nur etwas betroffen fühlen, in der Abgrenzung enden wird. „So schlimm wie der Hausmeister bin ich nicht.“.
                      Diejenigen, die sich stark betroffen fühlen, landen schnell in einer Reaktanzschleife. Sie sympathisieren mit den Ansichten des Hausmeisters, lehnen sich in ihrem Sessel zurück und fragen süffisant nach einem Gegenentwurf. Motto: Nur weil die Welt ungerecht ist, sind meine Ansichten noch lange nicht dumm.

                      Satire muss frei sein und – das wird häufig übersehen – auch Freiheit in der Rezeption gewähren. Alles andere wäre spannungsbefreit und damit obsolet und langweilig.

                      IV. Eva und Maria – 2 archaische Weibsgebilde

                      Der Film frönt einer uralten Trope, die ihren Anfang in der Kirchenmalerei fand.
                      „Eva“ ist als Sinnbild einer verführerischen Frau, die den Mann ins Verderben stützt, stets blond dargestellt worden.
                      Die keusche Gottesmutter „Maria“ – gebeneidet sei sie unter den Weibern – ist brünett.

                      Der Film greift dies auf.
                      „Frisch gestrichen“ – pardon! – Gaby Drösler persifliert das blonde Dummchen, das mit ihrem wohl behüteten und gelabten Äußerem Machos anziehen möchte, aber sonst über keine Tugenden verfügt außer dem radikalen Opportunismus mit der Tendenz zum Ausnutzen ihrer Mitmenschen.
                      Anna, die aufopferungsvolle Hausfrau, die ihr Brünettes Haar gerne zurückbindet, um Ottos leidgeprüfte Jeans abermals zu waschen, versteht nicht, warum Otto so auf Gaby abfährt und verweigert ihm dennoch nie ihre stützende Hand.

                      Als Otto den wahren Kern der Persönlichkeit seiner Angebeteten entdeckt, ist er in den Armen Marias – pardon! – Annas herzlich und warm willkommen.
                      Die Trope wurde unhinterfragt übernommen und ich finde das wie Otto…

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                      • 7 .5
                        GlorreicherHalunke 08.01.2022, 21:56 Geändert 16.01.2022, 13:06

                        Ich spoilere euch alles!

                        I. Schnelle Kritik
                        Trotz kräftigem Kitsch und feinster Hollywoodattitüde ein gelungenes Machwerk, das zum Weiterdenken einlädt, wo "Dont Look Up" eher den Drang erweckte, das Ganze von Grund auf besser zu gestalten.
                        Es ist eben viel Platz auf einem Raumschiff, das sich auf eine 120-jährige Reise zu einer neuen Erde befindet.

                        II. Aufgegriffene Motive
                        1. „Es ist nicht gut, dass der Mann allein sein; Ich will ihm eine Gehilfin schaffen.“
                        a) Der Mann erwacht aufgrund eines technischen Fehlers bereits nach 30 Jahren aus seinem Hyperschlaf.
                        Chris Pratt mimt den zunehmend verwahrlosenden Dooms-Day-Guy unterhaltsam, wobei die gesamte Entwicklung auch so in der ebenso unterhaltsamen Pilotfolge zu „The Last Man on Earth“ gleicht. Zum Schluss herrscht Chaos in seiner kaum mehr als Wohnung zu bezeichnenden Unterschlupf, der Alkoholkonsum steigt unerbittlich wie das Barthaar.
                        Lustig? Aber nein! Der Film vergibt hier eine Chance. Warum nicht eine Frau aufwachen lassen? Wie würde eine verwahrloste Frau auf uns wirken? Immer noch so lustig oder würde nicht das Bedauernswerte überwiegen? Fragen, die ein anderer Film klären muss.
                        Die Frau im Film treibt Sport und schreibt. Doch sind diese Reaktionen auf ihre Situation stets unter Beisein des Mannes getroffen. Und Beobachtet-Werden ändert das eigene Verhalten.

                        b) Der Mann ist der Übeltäter. Mal wieder.
                        Allzu leicht kann man die Geschichte als Stalkerhorror missdeuten. Ein Kerl bekommt keine ab und heftet sich an die Fersen der unschuldigen Frau, deren Freiheit er rauben wird.
                        Auf einen Vergleich zu der „Endlösung“ in „Dr. Seltsam oder wie ich lernte…“ sei nur beiläufig hingewiesen.

                        Es ist da auch kein Gott, der ihm eine Gehilfin schaffen wird und doch spürt er das Bedürfnis und emanzipiert sich selbst aus seinen ethischen Vorbehalten.
                        Er blickt sie an. Wie Schneewittchen liegt sie in ihrem Glassarg. Wecken wird sie sein technisches Geschick, gepaart mit seiner Sehnsucht nach Gemeinschaft, Liebe und – sind wir ruhig ehrlich – Geilheit.
                        Oh, wie wünschte er, es gäbe eine Möglichkeit, dass der wahre Liebe Kuss sie wecken möge, und wenn es nicht hat sein sollen, sie ihn für immer anschwiege.
                        Zugegeben. Einen Schwachpunkt hat diese Umdeutung. Der Film folgt der klassischen Trope „You´re the One“. Anstatt alle Mitreisende nach Tauglichkeit zu ranken, sucht er in den hinterlegten Daten nur Bestätigung, die er postwendend auch bekommt. Ich kann darüber hinwegsehen, da er tatsächlich Recht hat (interessanter wäre es natürlich gewesen, wenn sie sich absolut nicht hätten leiden können) und die Liebesgeschichte der durchschnittlichen RomKom entspricht.

                        Boy meets Girl = Blick in die Schlafkapsel
                        Boy talks to Girl = Aufwecken
                        Girl loves Boy = 1. Anbandeln
                        Boy betrayes Girl = Verschweigen der Wahrheit
                        Girl meets truth = Entdeckung der Wahrheit
                        Girl hates Boy = emotional-abweisende Reaktion auf Wahrheit
                        Girl needs Boy = Eingeständnis der eigenen Unzulänglichkeit
                        Boy still loves Girl = Der Mann hatte sich die ganze Zeit schon entschieden
                        Boy marries Girl = Abweisen der letzten Schlafkapsel

                        Der Film macht es sich zwar an vielen Stellen viel zu leicht, aber aus dieser Übersicht sollte die Deutung als Stalkergeschichte als Missinterpretation behandelt werden, da der Vorwurf mehr beiläufig abgehandelt wird und dieser ansonsten als Strukturelement der Liebesgeschichte funktionalisiert wird. Am Ende ist wieder alles gut. Der Mann ist Übeltäter und hat Recht. Fast schon eine sarkastische Note.

                        2. „JAAAAAAAAAAACK“
                        Ist schon gut, Rose. Wir hören dich, wie du auf der Türe oben schwimmst und dir nichts sehnlichster wünschtest als dass der Ozean warm genug für euch beide sei.
                        Zum Schluss gibt es doch wieder eine einzige Schlafkapsel. Ladys first. So auch hier. Hätte das auch gegolten, wenn sie ihn aufgeweckt hätte? Egal. Sie will davon nichts wissen.
                        Die Tragik von Titanic trifft auf die Vorzuüge eines Lebens in einem prall gefülltem Raumschiff. Die Klassenunterschiede sind nivelliert. Was zählt, ist das Ursprüngliche.

                        3. „Society, you´re crazy breed, hope you´re not lonely without me.“
                        „Into The Wild“ winkt uns zu. Aber in der XXXXL-Luxus-Version dieses Rückzuges, der erst bitter und mit der Zeit immer süßer wirkt. Gar wie etwas Verbotenes. Wer das nicht genießen kann, kann der dann überhaupt etwas genießen? Ein Leben in einem High-Tech-Smart-Home, in der keine weitere Entwicklung möglich ist. Eine sich selbst beschränkende Dekadenz, die nicht so genannt werden kann, da es nie etwas anderes als das „Heute“ geben wird. Es gibt keine Hoffnung darauf, dem menschlichen Zerfall zu entgehen. Doch man kann ihm sorglos begegnen, da man das beste aller Leben gelebt hat. Ohne politische Verwerfungen. Ohne gesellschaftlichen Wandel. Steuererhöhungen. Prekarisierung des Arbeitsplatzes. Wegrationalisierung desselbigen. Unbezahlte Rechnungen. Steigende Preise.
                        Privatistisch sind sie gewesen, aber nie depressiv-fatalistisch. Und am allerwenigsten haben sie der Gesellschaft gefehlt. Letztendlich waren sie dem Universum egal.

                        3. „dass er solle bewahren und bebauen den Garten.“
                        Es ist kein Garten da, um ihn zu bewahren, aber es ist genug Erde und Samen an Board, um auf dem Raumschiff einen Wald zu pflanzen.
                        Man kann den Mensch von der Bibel trennen, aber nicht die Bibel vom Menschen.
                        Zum Schluss sehnt er sich nach einem Garten und einer Frau. Im Hier und Jetzt. Verankert in der Transzendenz alles Seins.
                        Und ja, ich bin mir bewusst, dass Gott mal wieder tot ist in diesem Film, da der Mensch sich selbst rettet, aber wenn ihm dann nichts besseres einfällt, als einen Wald zu pflanzen, ist das doch ironisch, oder?

                        III. Ungeklärte Fragen.
                        1. Wurde das Paar glücklich?
                        Das letzte Bild des im Raumschiff angelegten Urwalds lässt nur diesen Schluss zu und gegen dieses prächtige Happy-End habe ich auch nichts einzuwenden, auch wenn sich der Film vor der Frage windet, wie eine glückliche Beziehung aussehen kann, wenn es keinen sozialen Rahmen neben dieser gibt.

                        2. Kam der Hilferuf des Mannes auf der Erde an.
                        Zweitrangig, da eine Antwort ohnehin 60 Jahre auf sich warten ließe und seitens des Paares, wenn sie denn noch lebten, ignoriert werden konnte.

                        3. Reichte das Essen noch für die restlichen Passagiere?
                        5300 Passagiere sollen 4 Monate satt werden.
                        5.300*120 Tage = 636.000 Portionen
                        Das Paar lebte insgesamt noch ca. 160 Jahre.
                        160*365= 58.400 Portionen
                        < 10% der gesamten Essensvorräte.
                        -> Voll machbar für die Passagiere. Diese hätten dann für ca. 10 Tage nichts zu essen. Mehr als verkraftbar bei insgesamt 120 Tagen.

                        4. Hatte das Paar Kinder?
                        Im Folgenden werde ich die Implikationen zu dieser Frage aufgreifen.

                        IV. Weiter Spinnen.

                        1. Warum nicht aus einem Unfall ein Geschäftsmodell machen?
                        Dieses versehentlich geschaffene Paradies führt doch zu einer ganz neuen Geschäftsidee.
                        Warum den Menschen ein Paradies auf einer neuen Welt vorgaukeln, die ohnehin schon in der Begründung die Mängel der alten Welt mit sich bringt, wenn man auch 120 Jahre ungestörter Lebenszeit auf einer Reise durch das Weltall an den oder die jeweils Höchstbietenden verscherbeln kann? Das Risiko kann selbstverständlich nicht restlos ausgeschlossen werden, doch hat man höhere Chancen auf ein erfülltes Leben als auf dem allseits immer verrückter werdenden Planeten Erde, wo Corona nur die absolute Eisbergspitze ist.
                        Zu klären wäre noch die Frage, ob es Rahmenbedingungen für die Zeugung neuen Lebens auf dem Raumschiff geben oder ob dies jedem Paar selbst überlassen werden sollte. So könnte als Zugangsvoraussetzung etwa die Sterilisierung eines Partnerteils obligatorisch sein, aber da könnte man sich ob des tiefen Eingriffs in die Grundfreiheiten (Handlungsfreiheit, Recht auf Ehe und Familie, gar Menschenwürde) trefflich streiten. Es fällt schon schwer, den Schutzzweck dieses Eingriffs zu formulieren, sobald man dies auf die neue Person münzt.
                        So könnten ihm die Eltern gar vorenthalten, dass es so etwas wie eine Außenwelt gibt, wo wieder Anklänge auf „Raum“ aufkommen.
                        Auch die Bewahrung vor einer sinnlosen Existenz kann nicht durchgreifen, da man diesen Gedanken eben nicht unmittelbar aus der Idee der Menschenwürde ableiten kann. Die Idee der Menschenwürde hängt eben daran, dass sie unter allen Umständen schützenswert ist, sobald ein Mensch existiert.

                        2. Ein rechtsfreier Raum für Whistleblower – oder Schlimmeres.
                        Das Paradies hat aber nicht jeder verdient, auch wenn er es sich kaufen kann. Damit kommen wir zur Schattenseite des Geschäftsmodells.
                        Das Internet wird Schritt für Schritt durch staatliche Eingriffe immer mehr zu einem Raum, in dem Recht und Ordnung stetig besser durchsetzbar werden. Mit allen hier nicht zu erörternden Vor- und Nachteilen.
                        Doch hatte das Internet doch immer einen erheblichen Malus. Zwar wurde ein schneller und transparenter Datenaustausch gewährleistet, doch die zugesicherte Anonymität hielt ihr Versprechen nicht. Und wurde man erwischt, konnte man eben nicht im Internet abtauchen.
                        Kopfkino. Mr. Assange hockt – angeblich – in einer Raumkapsel und kann nicht ausgeliefert werden, da es für das Weltraum noch keine Auslieferungsabkommen gibt und wenn ja, vor welchem Gericht soll hier verhandelt werden?
                        Somit könnte der - wenn auch vorerst bzw. gar auf längste Zeit ausschließlich für nur sehr Vermögende – kommerzialisierte Weltraumtourismus zu einer Rechtsflucht verhelfen. Sicherlich gibt es erste Bestrebungen, auch im Weltraum einen Rechtsrahmen zu schaffen, doch blickt man auf die Geschwindigkeit des Besteuerungsprozesses globaler Unternehmen sowie des rechtlichen Einfangens des „Neulands Internet“, so bin ich zumindest für meine Generation pessimistisch, was den Missbrauch dieses „Neuen Westens“ angeht.

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                        • 7
                          GlorreicherHalunke 08.01.2022, 20:35 Geändert 08.01.2022, 22:34

                          I. Vorwort.

                          @Siegemund: Du hast dir den Streifen wohl ganz zu Recht vorgemerkt :). Sollte dir gefallen bzw. bin ich schon auf deine Deutung gespannt. Du bringst da psychologisch ja einiges mehr mit als meine Wenigkeit.

                          Eine billige, aber atmosphärisch dichte Netflixproduktion – wenn man sich darauf einlassen kann.

                          Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich scheinbar doch auf eine gewisse Art von Horrorfilmen stark anspringe.
                          Den Film schlecht zu finden, ist nachvollziehbar und allzu leicht zu begründen.
                          Handlungsarm, Langweilig, Zäh, maues Budget.
                          Und doch entging ich der Sogwirkung dieses Films nicht.

                          II. Handlungsumriss (SPOILER)

                          Vater. Mutter. Kind.
                          Sie leben in der Steppe. Im Nirgendwo. Die Eingangstafeln erzählen uns, dass es das Spanien des 19. Jhd. wäre. Für den Film ist diese Info dann fast schon wieder egal. Es herrscht Krieg. Die Familie wählt die Isolation. Ein Haus und ein paar Hundert Meter bis zum Fluss. Weiter gehen sie nicht. Sie werden nicht entdeckt, weil wohl nicht nach ihnen gesucht wird. Der Vater will den Jungen zum Mann machen. Dieser hängt aber noch an der Mutter. Das Land ist im Krieg. Außerhalb des Kreises gibt es nur den Tod – erzählt der Vater. Er erzählt auch von einem Monster, das seiner Schwester nachgestellt hätte, bis sie sich schließlich in den Tod stürzte. Das Monster, das später die Mutter und ihren Sohn terrorisieren wird. Denn der Vater will die Leiche eines Mannes zu seinen Verwandten bringen. Den Mann, den er in einem Bötchen fand und der sich vor Mutter und Kind selbst richtete. Später wird nur noch sein Pferd zurückkehren. Die Mutter fällt der Kreatur mit einem Suizidversuch zum Opfer. Der Sohn besiegt das Monster vorerst, während dabei die Hütte in Brand gerät und er die Mutter zwar noch in der Schubkarre bis zum Ufer bringt, wo sie verstirbt. So wandert er alleine los. Die Kreatur im Nacken.

                          III. Kritik

                          Es ist der elegische Minimalismus, der mich schon bei „The Revenant“ überzeugt hat. Musik und Bilder verschmelzen in einer Meditation.
                          Und ganz ehrlich? Mir wäre es lieber gewesen, man sähe gar kein Monster als diese peinlich schlechte animierte Kreatur im Stockdunklen. Wenn ich also etwas zu kritisieren habe, dann dass man zu viel Budget verpulvert hat.
                          SPOILER ANFANG
                          Die Spiegelung im Augapfel des Jungen zum Schluss hätte vollends gereicht. Dann wäre das „Show, don´t tell“ in souveräner Art und Weise erfüllt worden.
                          SPOILER ENDE

                          II. Allegorische Deutung.
                          Im Mittelpunkt der Handlung steht das Erwachsenwerden des Jungen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit, wird anhand der obig skizzierten Handlungsstruktur erst sein Verhältnis zu Vater und Mutter geklärt, um hernach auf die Bedeutung der Kreatur zu sprechen zu kommen. Außer Acht gelassen ist die historische Deutung, auch wenn man hier bei tieferen Wissen sicherlich noch den ein oder anderen interessanten Punkt austragen könnte.
                          Dabei erhebe ich keinen Anspruch auf Gültigkeit meiner Gedanken, die ob meines mangelnden psychologischen Wissen eher fragend als feststellend zu verstehen sind.

                          a) Der Vater – Vom Verschwinden der Sicherheiten
                          Eine zunächst ungewöhnliche Geschichte über das Erwachsen-Werden, hinter der aber altbekannte Motive stecken.
                          Der Vater verschwindet irgendwann von der Bildfläche.
                          Er versucht den Jungen zum Mann zu machen.
                          Erst soll er ein Kaninchen töten. Die Mutter insistiert. Er schält lieber Kartoffeln.
                          Er schenkt ihm ein Gewehr. Er findet das harmlose Geschenk der Mutter schöner.
                          Zwar beginnt der Sohn bei der Entdeckung am Fluss neugierig zu werden, nicht ohne sich, als es ernst wird von der Mutter beschützen zu lassen.
                          Die Mutter bekommt den Grund für die unerwartete Abreise des Mannes nicht aus diesem heraus.
                          Sieht er sein Möglichstes als getan an und weiß er, dass nur sein Fernbleiben die gesäte Saat wachsen lassen kann?

                          b) Die Mutter – Der Tod ist sicher.
                          Je länger die Rückkehr des Vaters auf sich warten lässt, desto mehr zettelt der Sohn ein Machtspiel mit der Mutter an. Es ist ein Vakuum entstanden, das gefüllt werden muss. So setzt er sich gar auf den Stammplatz des Vaters, lässt sich aber zurückpfeifen. Lässt sich dann „Feigling“ von ihr nennen. Versagt ihr die Hilfe, als die Mutter das Kaninchen tot schlägt und verschmäht den daraus zubereiteten Braten.
                          Das vom Gatten verlassene Mutterherz sehnt sich jedoch nach mehr als bloßer Speise, sieht im Sohn nicht mehr den Schützling, sondern den Beschützer. Er muss den Instinkt in ihm wecken und sei es durch Provokation. Die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten.
                          Wenig später bindet er sie am Bett fest, um sie vor weiteren Selbstmordversuchen abzuhalten. Als er meint, alles unter Kontrolle zu haben, sieht auch er die Kreatur. Er muss die Fesseln der Mutter lösen, damit sie gemeinsam kämpfen können. Doch es ist zum Scheitern verurteilt. Die Kreatur nährt sich längst zu sehr von der Angst der Mutter und verschlingt diese. Er packt die schwerverletzte Mutter auf die Rottbahn und fährt sie heraus. Doch wissen beide, dass sein Unterfangen scheitern wird bzw. gar muss.

                          c) Der Junge und Die Kreatur – Auch wenn du erwachsen wirst: Die Angst bleibt.
                          Die Kreatur taucht erst nach der Abreise des Vaters auf und wird zunächst nur von der verunsicherten Mutter wahrgenommen. Wie im Wahn verpulvert sie Schuss um Schuss die ohnehin karge Munition und gerät dabei immer mehr in die Gefahr, ihren eigenen Sohn zu erschießen.
                          Die Frage danach, woran der Vater starb, ist irrelevant, da sie im Film nicht aufgegriffen wird. Es ist für die weitere Besprechung unerheblich, ob auch er die Kreatur sah oder nicht.

                          Die Kreatur ist keine physische Bedrohung im eigentlichen Sinne. Die Mutter sieht zwar etwas, aber wie schon bei der Schwester ihres Gatten schlägt der Wahn schließlich in unkontrollierten Selbstmordversuchen um – ob aus Furcht davor, sich nicht wehren zu können oder als letzter Ausweg aus dem Alptraumszenario.
                          Der Junge sieht die Kreatur, als er Angst um das Leben der Mutter hat.
                          Er besiegt die Kreatur einstweilen, aber kann die Mutter nicht retten, da sie schon zu tief verstrickt ist.
                          Und so ist der Ausgang ambivalent. Er läuft mutig voran, nicht wissend, was ihn erwartet; hoffend, dass es besser sein möge, bangend, dass noch alles schlimmer wird. Doch eines kann ihm niemand mehr nehmen: Er hat gelernt, zu kämpfen und Verluste hinzunehmen, auch wenn die Angst immer bleiben wird. Doch wovor eigentlich?

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                            In 1,5facher Geschwindigkeit gesehen, was absolut vertretbar ist, da die inhaltlichen Punkte an und für sich einfach und verständlich sind.
                            Max Schmidt betreibt über 2 ½ Jahre einen Drogenmarkt im Internet und wickelt die Logistik über sein Kinderzimmer, die Bezahlung über Bitcoin, den Versand über Deutsche Post und DHL ab. Er konsumiert nie selbst. Schließlich wird er geschnappt und als 20Jähriger zu 7 Jahre Jugendstrafe im offenem Vollzug verurteilt und nach 4 Jahre wegen guter Führung vorzeitig entlassen.
                            1 ½ Jahre danach ermittelt die Polizei erneut gegen ihn und 3 weiteren Personen wegen Drogendelikten.

                            I. Lob an die Macher
                            Die Dokumentation ist wertfrei gehalten. Man bildet zwar nicht direkt ab, was ohnehin nur im absoluten Ausnahmefall gelingt.
                            Doch das Besondere beginnt nicht mit den teils sehr passend zwischengeschnittenen Einwürfen von Polizei, Staatsanwaltschaft und psychologischem Gutachter, die im bestem Fall einen dialogischen Rahmen erschaffen, wo eigentlich keiner ist, sondern mit der Darstellung von Max als er selbst im nachgebautem Kinderzimmer.
                            Zweck des Re-Enactments ist nicht das Abklappern von Vorgaben durch die Macher, sondern Max wird zum Inszenator seiner selbst.

                            II. Inhaltliche Punkte
                            1. Charakterisierung des Verbrechers.
                            Er kommt sehr zielstrebig, etwas kühl, aber nicht leidenschaftslos herüber. Ein Geschäftsmann, der sich das falsche Feld ausgesucht hatte. Seine ehemaligen Ausbilder, ein verheiratetes Restaurantbesitzer, stellen ihn als penibel, berechnend und perfektionistisch dar.

                            Auf seine Schuld angesprochen, reagiert er wie immer verschmitzt und achselzuckend. Hätte er es nicht gemacht, hätte es ein anderer gemacht. Er könne es eben am besten.

                            2. Ermittlungsarbeit und glückliche Fügungen
                            „Unsere IT-Spezialisten haben den PC geknackt.“, sagt der Staatsanwalt mit Stolz in der Brust.
                            „…was ja auch ganz einfach ist, wenn unglücklicherweise das Passwort vor dem PC liegt.“, ergänzt Max schelmisch.
                            Der Staatsanwalt räumt ein, dass es so gewesen sei; er habe dies in der Pressekonferenz unterschlagen, um anderen Täter zu signalisieren, dass die Polizei eben am Ende doch an alle Daten herankommt.

                            „Faktor Mensch“
                            Ermittlungsarbeit ist hart. Gerade im Internet. Briefe an ausländische Server-Provider werden erst gar nicht beantwortet. So muss man wieder auf der Straße ermitteln. Indizien sammeln und schließlich Glück haben. Es erinnert an ein Schachspiel, bei dem die Polizei keinen König auf dem Feld, also nicht verlieren kann. Egal, wie viele Fehler die Ermittler selbst begehen, mit der Zeit wird sich der Täter selbst entlarven.
                            Der Staatsanwalt stellt das Ungleichgewicht gerade umgekehrt dar. Die Täter hätten ungleich bessere Waffen, sich nicht erwischen zu lassen, als die staatlichen Stellen Möglichkeiten hätten, diese zu durchbrechen.
                            Das mag stimmen, aber die Polizei kann nicht verlieren, sich bei unliebsamen Presseanfragen stets hinter laufenden Ermittlungen verkriechen, auch wenn sich diese längst totgelaufen haben.
                            Für den Verbrecher gilt: „The Show must go on.“ Und „Never change a running system.“
                            In der Doku wird nie thematisiert, ob Max nicht einfach hätte aussteigen sollen, als er „genug Geld“ hatte. Doch stellt sich diese Frage nicht, da Max es nicht aus finanziellem Anreiz tat. Um sein Taschengeld aufzustocken, durfte er das Pfandgeld behalten, wenn er Flaschen für seine Mutter zurückbrachte. Seine Familie ist auf Wunsch von Max nicht interviewt worden.
                            Am Rande wird erwähnt, dass der Drogenhandel wohl nicht das erste krumme Ding war, dass er im Internet gedreht hat. Er verweist auf Spielereien wie Hacking, auf Fragen danach, ob er damit auch später Geld abgezwackt hätte, geht er zum Eigenschutz nicht ein. Es ist also davon auszugehen, dass er auch hier kein unbeschriebenes Blatt ist, auch wenn die Polizei eben nie alles aufklären wird.

                            III. Vergleich mit Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“
                            Wer meine Kommentare liest, wird immer wieder darauf stoßen. Ich arbeite mich seit nunmehr 2 Jahren an Raskolnikow und dessen Verbrechen ab.
                            Es gibt zahlreiche Unterschiede, die an dieser Stelle nicht näher benannt werden sollen; vielmehr soll es um das Überlegenheitsdenken und die Zeit im Gefängnis gehen.
                            Raskolnikow hält sich für gescheiter als alle Ermittler zusammen, da diese ihn nicht fassen können, auch wenn er ihnen direkt gegenüber sitzt. Die Beweislage ist zu dünn für eine Anklage. Er hält sich für eine Art Napoleon, für den einen unter 10.000, der die Regeln bricht, um neue Regeln zu erschaffen. Revolution ist Regelbruch, der sich hinterher selbst legitimiert.
                            Max ist weit entfernt von diesem Denken. Er denkt nicht an Revolution. Ihm geht es um Aufmerksamkeit und da gleichen sich die beiden Protagonisten plötzlich. Raskolnikow verdammt sich zwar für seine beiden Morde, aber er liebt es dem Staatsanwalt ein ums andere Mal ein Schnippchen zu schlagen. Er sieht sich als Legende, eben weil die staatlichen Stellen genau wissen, dass er es ist, es aber nicht beweisen kann. Der Rest der Gesellschaft bekommt von dieser Pattsituation gar nichts mit.
                            Max dagegen liebt seinen Legendenstatus in der Anonymität; es könnte ihm selbst ironischerweise wohl schwerer fallen zu beweisen, dass er „Shiny Flakes“ ist, als den Ermittlungsbehörden.
                            Die anonyme Bewunderung ist der Lebensrealität vieler Jugendlichen und wohl auch Erwachsenen nicht so fern wie es scheint. Wer sich an der Anzahl der Likes erfreut, fragt mit der Zeit auch nicht mehr danach, wer da eigentlich genau seinen Daumen gibt und warum.
                            Sein Legendenstatus stieg nach der Verhaftung und Verurteilung samt BILD-Vorderseite. Und nun spendiert man ihm sogar eine Doku. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass er es nicht nur der Aufmerksamkeit wegen machte, sondern bin geneigt auch daran zu glauben, dass er es einfach tat, weil er eine Marktlücke sah, in denen sich ein Haufen Stümper herumtrieb.
                            Eine Entwicklung des medialen Umgangs, über die Dostojewski wohl stark gestaunt hätte. Sein Raskolnikow gesteht schließlich, von seiner Schuld und dem christlichen Auferstehungsglauben übermannt. Und verdammt sich danach in der ersten Zeit im Arbeitslager (statt Gefängnis mit langweiligem Tagesablauf) umso stärker, dass er nicht stark genug gewesen sei, um es vollends durchzuziehen.
                            Max sonnt sich geradezu in seinem Verbrechen. Nicht nur die Bewunderer sind anonym, auch seine Opfer, von denen er wohl die krassesten Fälle nicht mehr in seinen Zeugenvorladungen für die Vernehmungen der großen Abnehmer sieht.
                            Raskolnikow kennt seine Opfer, er nimmt dessen Ableben nicht nur in Kauf, sondern vollendet selbiges mit seiner Handaxt.
                            Die Verbrechen sind wie oben angedeutet überhaupt nicht vergleichbar, was sie am Ende aber eint ist die Selbstüberschätzung und das Streben nach Aufmerksamkeit.

                            IV. Drogenpolitik

                            Möglicherweise ist daher ein „Einsamkeitsministerium“ gar keine so schlechte Idee, auch wenn die Aufgabe gewaltig ist.
                            Max beginnt sein Verbrechen nach der Erfolgswelle von Breaking Bad. Sehr schade, dass er auf die Serie nicht angesprochen worden ist.
                            Man kann sich wohl schnell darauf einigen, dass es schlimmere Verbrechen als Drogenverkauf bzw. Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz gibt.
                            Doch wie schwer wiegt das Verbrechen? 7 Jahre Jugendstrafe ist ein „ordentliches“ Strafmaß für deutsche Verhältnisse.
                            Die Konsumenten werden zu nichts gezwungen und sind – Stammtischparole! – ja selbst schuld, wenn sie den Scheiß nehmen. Doch rechtfertigt das einen laxen Umgang?
                            Wie ist dann auf der anderen Seite die staatliche Härte gegen Großdealer zu rechtfertigen?
                            Die Auswirkungen von Drogen sind verheerend, keine Frage. Und auch nicht immer eine Frage der Bildung.
                            Was muss der Staat verhindern? Dass Drogen verkauft werden? Dass schlecht zusammengepanschte Drogen konsumiert werden? Dass es ein Bedürfnis danach gibt, Drogen zu nehmen?
                            Die Gesellschaft hat sich doch längst daran gewöhnt, dass es Junkies gibt. Der Wirkungsgrad von Aufklärungsarbeit sowie Entzügen kann wohl offen und streitbar bleiben; „Aufgeben“ ist keine Alternative.

                            Das Cannabisurteil des BVerfG vom 09.03.1994 ist mit der geplanten Freigabe des Rauschmittels obsolet geworden. Es bleibt abzuwarten, ob bald ein weiterer Fall vor das BVerfG kommt, der das „Recht auf Rausch“ neu aufrollt.
                            Von Teilen der Politik werden gar sichere Konsumräume gefordert, bei denen der illegal erworbene Stoff chemisch untersucht wird. Dies kann man als eine Tendenz zur Bejahung dieses streitbaren Grundrechts in der politischen Sphäre einordnen.
                            Reicht das aus? Die großen Fische fangen und die Konsumenten schützen?
                            Aporie ad ultimo: Auch der staatlich regulierte Verkauf von allen Drogen würde nicht zu einem Ende der Problematik führen.

                            V. Vergleich zur Serie „How to deal with drugs online (fast)“

                            Der Serie fehlt es an fast allem, was diese Dokumentation zu Tage gefördert hat.

                            Gemeinsamkeiten:
                            Der Grundgedanke ist geblieben. Ein Abiturient baut einen Online-Drogenmarkt auf und regelt Versand und Logistik über das eigene Kinderzimmer.

                            Unterschiede:
                            1. Die Einzeltäterschaft und das Motiv
                            In der Serie geht es um Geld und es gibt Komplizen.
                            Ein Verbrechen wie in der Doku dargestellt wäre auch zu wenig unterhaltsam für eine Serie bzw. bräuchte es einen höheren Aufwand, daraus etwas herauszuarbeiten.
                            In der Serie überwiegt der Unterhaltungsfaktor, während Max in der Doku zugibt, sich schlicht und ergreifend überarbeitet zu haben und die Ruhe im Gefängnis anfangs sehr genossen habe.
                            Auch tat er es nicht um des Geldes wegen, sondern „weil er es kann“. Dieser Gedanke findet sich in der Serie nur sehr anteilig. Im Zentrum bleibt das Geld, da dies für den Zuschauer nachvollziehbarer ist und nicht so herausfordernd wie eine psychopathische Persönlichkeit.

                            Zudem gab es keine Kontakte zu ausländischen Investoren wie in Staffel 3 der Serie.
                            Eine Serie muss den Unterhaltungsfaktor beibehalten; der echte Max musste nur den Laden als „business-as-usual“ am Laufen halten und dieses Muster trägt keine Geschichte über mehrere Staffeln.

                            VI. Fragen, die ich noch gerne beantwortet hätte:
                            1. War er wirklich ein Einzeltäter?
                            Die Polizei und Staatsanwaltschaft hält zwar zu dieser These, aber vielleicht auch nur aus Mangeln an stichhaltigen Beweisen.

                            2. Wie hoch war die Gewinnmarge?
                            Je nachdem könnte seine implizierte Behauptung, dass die anderen Walletts leer seien sogar stimmen. Er hatte einen Umsatz von 4 Mio., wovon die Polizei 0,35 Mio. sicher gestellt hat. Das entspräche einer Gewinnmarge von 10 %. Worauf man nicht einging, waren die Beschaffungskosten.

                            3. Was hält er von der Serie und bekommt er dafür Tantiemen?
                            Ganz abwegig wäre das nicht, wobei – wie oben gesehen – die Handlung nur noch in den absoluten Grundzügen seiner Geschichte gleicht und ich mich nicht erinnern könnte in der Serie „based on a true story“ o.Ä. gelesen zu haben.

                            4. Ist er wieder straffällig geworden?
                            Die Polizei ermittelt. Nach kurzer Online-Recherche habe ich hierzu nichts Weiter finden können.

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                            • 3 .5

                              Bis Folge 1 1/2 halbwegs innovativ. Danach ist es einfach die typische Ensemble-Comedy-Serie mit flachen Witzen, die meistens noch die Gürtellinie verfehlen.
                              Bei den meisten Comedyserien könnte man davon ausgehen, dass es kaum andere Menschen gibt.
                              Extrem nervig. Extrem unnötig. Hab gelesen, dass das Ganze noch mit einem Cliffhanger endet. Durch Staffel 1 habe ich mich durchgequält. Es gibt genug andere Serien.
                              Einer der schlechtesten Comedysendungen, die ich jemals gesehen habe. Hier passt einfach nichts.
                              Grundidee zum Fenster rausgeworfen und noch drauf rumgetreten.

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                              • 6

                                Guy Ritchie spendiert Jason Statham einen waschechten Jason-Statham-Film.

                                Fast wirkt es so, als hätte er den Film in den Denkpausen zu dem doch komplexer angelegtem „The Gentleman“ aus dem Vorjahr zu Papier gebracht.

                                Bis auf den gelungenen dummen Macho-Sprüchen in den ersten 20 Minuten und der etwas unnötig kompliziert geratenen Erzählweise erinnert gar nicht viel an die typischen Ritchie-Elemente.
                                So ist die Action ungewohnt steril und geradlinig bzw. vorhersehbar wie der ganze Film. In der Mitte nach der Neuausrichtung der Handlung verbirgt sich dann gar ein kleiner Hänger, bevor das Ganze im letzten Heist wieder rasant Fahrt aufnimmt.
                                Auch ist es weniger ein Ensemble-Film, sondern Statham ist der graueste Charakter inter pares.
                                Lobend erwähnen muss ich dem Soundtrack, der mir die Sichtung mit Ohrenstöpsel wummernd versüßt hat.

                                Ein Rachestreifen mit ordentlichem Bodycount, der dem Genre weder etwas hin- noch Schaden zufügt.

                                Für Fans von Statham und klassischer 1-Mann-Armee-Geschnetzel sehenswert, für Ritchie-Fans nur bedingt.

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                                • 2021: 44 Titel (gesamt: 67)
                                  33 Filme (5,31)
                                  7 Staffeln (6,21)
                                  3 Dokus (6,67)
                                  1 Special (2,0)

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                                    Das Hollywood-MashUp schlechthin.

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                                      Eine XXL-Ausgabe der „heute show“ mit Starbesetzung, technischer Raffinesse und einem für diese Belange Spitzendrehbuch.

                                      Nach einem kurzen Abriss über die filmtechnischen Angelegenheiten, widme ich mich anhand der Corona- sowie der Klimakrise der Frage, ob dieser Film den Zeitgeist nur einfängt oder ob diesem auch etwas entgegengesetzt wird.

                                      I. Die technische Seite

                                      Hollywood vereinigt seine Crème-de-la-crème der Schausteller und Techniker.
                                      Der Film brilliert durch seine rasante sowie detaillierte Inszenierung sowie einer für mich unerwartet hohen Gagdichte.
                                      Leonardo DiCaprio findet nach anfänglichen Over-Acting auch recht schnell in seine gewohnte Spur. Meryl Streep hat einfach Spaß an ihrer Persiflage. Jennifer Lawrence ist grundsolide. Jonah Hill ist… Jonah Hill. Ron Perlmans Auftritte sind fabelhaft skurril. Und der Rest der coolen Gang geht ziemlich unter; v.a. Michael Chicklis, der gerade 7 Sekunden im Film auftaucht und dennoch im Intro genannt wird. Wie das eben mit zu vielen Zugpferden so ist. Oscarverdächtig erscheint mir kein Teilnehmer.
                                      Kurzum: Man kann und darf Spaß mit diesem Streifen haben.

                                      II. Um was geht es?

                                      Die Handlung ist so leicht und schnell vorgetragen wie die Forderung einer Steuererklärung auf dem Bierdeckel.
                                      Ein Komet rast auf die Erde zu und wird innerhalb von 6 Monaten und 14 Tagen das ganze Leben auf der Erde vernichten.
                                      Die Wissenschaftler versuchen auf Politik und die Öffentlichkeit einzuwirken.

                                      III. Um was geht es nicht bzw. nur bedingt? (ab jetzt: SPOILER)

                                      1. Vorbemerkung

                                      Dieser Film kann sicherlich als vollkommene Überspitzung des Verhältnisses zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft gesehen werden.
                                      Doch in der absoluten Übertreibung liegt nur wenig Erkenntnisgewinn und kaum Überzeugungskraft.
                                      Die Frage, ob und ggf. von was der Film überzeugen will, wird später behandelt.

                                      Schablonenhaft könnte man die Handlung in folgende Vorwürfe zusammenfassen.
                                      1. Die Politik kümmert sich nur um tagesaktuelle Ereignisse und v.a. um Umfragewerte.
                                      2. Die Wissenschaft findet kein oder nur mangelndes Gehör und wird notorisch unterbewertet.
                                      3. Unternehmer sind gierig, wirken in ihrem Sinne auf die Politik ein, und privatisieren zum Schluss selbst Schlüsseltechnologien.
                                      Dass diese Vorwürfe viel zu kurz greifen und der Realität in keiner Weise gerecht werden, wird nun anhand der Coronakrise und Klimakrise verdeutlicht.

                                      2. Die Coronakrise (SPOILER)

                                      Symptomatik: Covid-19 ist eine Atemwegserkrankung, die nicht zur vollkommenen Auslöschung der Menschheit führen wird.
                                      Im Film sterben entweder alle oder alle werden ohne jedwede persönliche Schlechterstellung gerettet.
                                      Bei „Corona“ weiß man nach 6 Monaten auch nicht endgültig, wer Recht hatte. Die Datenlage verändert sich ständig. Im Film rast der Komet mathematisch exakt auf die Erde zu.
                                      So schulbuchmäßig funktioniert keine wirkliche Krise (außer eben eine Kometenkrise).
                                      Im Unterschied zu Corona lässt sich aus dem Kometen Profit schlagen, was die ganze Misere im Film erst richtig ins Rollen bringt.

                                      Politischer Umgang: Corona ist komplexer als der Komet, da die einzige Hoffnung der Wissenschaft, der die größten Teile der Politik folgen, eine Impfung mit äußerst geringen letalen Schäden ist, während Corona nur geringe Anteile der Weltbevölkerung vernichten wird – auch mit Impfung.
                                      Die Wissenschaft kann die Frage der Sinnhaftigkeit einer allgemeinen Impfpflicht nur aus medizinisch-epidemiologischer Sicht mit aktuellem Forschungsstand beantworten, während die Politik bei ihren oft kurzfristig erforderlichen Entscheidungen auch gesellschaftliche sowie ethische Belange mit in die Abwägung stellen muss.
                                      So forderte die Ministerpräsidentenkonferenz gerade zu Beginn konkrete Handlungsanweisungen zur Entschärfung der Lage, womit sich die Wissenschaftler schwer taten bzw. darauf verwiesen, dass man nur dafür zuständig sei die allgemeinen Rahmendaten zu liefern. Zu Schulschließungen kam es dann wohl, weil ein Wissenschaftler sich zur Aussage hat breit schlagen lassen, dass es etwas bringen könnte.
                                      Im Film hieß es dazu, dass Wissenschaftler nie von einer Wahrscheinlichkeit von 100 % sprechen, auch wenn sie sich eigentlich sicher sind.

                                      3. Klimakrise

                                      Symptomatik: Das Klima erwärmt sich. Fraglos. Ich gehe im Folgenden von der Aussage der breiten Wissenschaft aus, dass diese Erwärmung menschengemacht ist, worin schon der erste Unterschied zu Kometen liegt, der nicht menschengemacht ist, sondern „höhere Gewalt“ in Reinform.
                                      Der Klimawandel und seine Folgen kommen auch schleichender daher als ein rasender Komet am Firmament.
                                      Die Lösung ist mitnichten so einfach wie die geplante Ablenkung des Kometen, der unmittelbar zurück zum „status quo“ führt, während zumindest in Deutschland auf höchster Führungsebene von den „größten Umwälzungen der letzten 100 Jahre“ gesprochen wird.
                                      Dem Bürger kommt hier eine Mitverantwortung zu, ganz im Gegensatz zum Abschuss eines Kometen durch einen strahlenden Helden in Astronautenkluft.

                                      Politischer Umgang: Ich gebe zu, dass man in den entsprechenden Berichten schon von Realsatire sprechen kann. Trotz der scheinbaren Einigkeit bei der Frage nach der Ursache und Lösung der Krise, sind die Maßnahmen weltweit gesehen zu spät, zu lasch und ineffektiv.

                                      4. Fazit

                                      „Don´t Look Up“ ist in diesem Sinne von den realpolitischen Umgang mit entsprechenden Ereignissen größtenteils überholt worden und wärmt nur gängige Klischees zur gemütlichen Abendunterhaltung auf.

                                      Im Gegensatz zum Kometen handelt es sich bei den beiden Krisen um komplexe Abwägungsentscheidungen, die einerseits mit größerer Unsicherheit behaftet sind als die exakten Modellierungen im Film und andererseits sich über einen längeren Zeitraum erstrecken.

                                      Der Film übertreibt es folglich mit seiner Übertreibung, so dass man sich sekundär auf die Darstellung der Wissenschaft, Technik und Medien stürzen muss, um ggf. etwas Gehaltvolles zu entdecken.

                                      IV. Darstellung der Wissenschaft und Technik

                                      1. Wissenschaft

                                      Darstellung der Naturwissenschaft im Film: Zu Beginn des Films sieht man eine Wissenschaftlerin bei ihrer täglichen Arbeit. In aller Stille und Einsamkeit studiert sie die aktuellen Daten. Was sie entdeckt, verschlägt ihr die Sprache. Sie prüft es. Wieder und wieder.
                                      Schließlich teilt sie die Ergebnisse mit ihrer Forschungsgruppe. Alle kommen zum selben Ergebnis. In nächtlicher Fleißarbeit verifiziert sie mit Ihrem Professor die Daten.
                                      Sie sind sich sicher. Der Komet trifft auf die Erde – zu 99,74 %.
                                      Später wird es von anderen führenden Forschern bestätigt.

                                      Aussage vorgenannter Darstellung: Der Film zielt auf eine Glanzstunde der Wissenschaft ab. Im Film behält die Wissenschaft auch recht. Sie ist Hüterin der Wahrheit, was ich weiter unten anhand des Handlungsverlaufs im letzten Drittel des Films relativieren werde.
                                      Sanfte Zwischentöne sowie unklare bzw. sich augenscheinlich widersprechende Forschungsergebnisse gibt es im Film nicht.

                                      2. Technik

                                      Der Technik-Guru vereint Zuckerberg, Musk und Bezos auf sich. Ein Tech-Gigant, der die Präsidentin in seiner Hand hält.
                                      Er ist technisch führend, hat Zugriff auf sämtliche Datenauswertung und auch die finanziellen Mittel, um sich jedwede technische Errungenschaft an sich und der Öffentlichkeit zu entreißen.
                                      Er ist schlichtweg der Alptraum aller Zukunftsforscher.

                                      Zumindest in diesem Bereich entwickelt der Film Ansätze zu einer ambivalenten Sicht.

                                      Zwei Prophezeiungen werden von ihm ausgesprochen.
                                      Dem Wissenschaftler sagt er voraus, dass er alleine sterben wird. Diese Prophezeiung trifft nicht ein. Ob es insofern nur eine warnende Prophetie war, die dem Adressaten Raum zur Umkehr schafft, bleibt offen sowie die Frage, ob sich die Berechnungen nicht einfach getäuscht hätten.
                                      Schicksalsträchtiger wird es bei der Prophezeiung für die Präsidentin.
                                      Hier sagt der Algorithmus Tod durch „Bronteroc“ voraus, auch wenn man noch gar nicht wisse, was ein „Bronteroc“ sei.
                                      Zum Schluss stellt sich heraus, dass dieses Wesen wohl eine Art Saurier auf dem neuen Planeten ist. Ein Gimmick, der zur Debatte über die Technikgläubigkeit nichts beiträgt.

                                      Freilich sagen die beiden Wissenschaftler, dass der Plan des verrückten Milliardärs zur Aufspaltung des Kometen so nicht aufgehen kann.
                                      Die Wette hätte aber auch aufgehen können. Und das ist es für den Tech-Guru am Ende auch. Eine Wette, bei der er alles, sogar sein Leben, verlieren kann oder eben ALLES ALLES ALLES gewinnen kann. Wer von uns wäre an seiner Stelle nicht so lebensmüde, dass Risiko einzugehen, einfach, weil man es kann? Was hat man denn davon, nicht ins Wasser zu fallen, wenn die Sonne das Einzige ist, was einen noch reizt und von der erbärmlichen Langeweile der eigenen Existenz abhält? Eine Frage, die Dädalus sich nicht gestellt hat.

                                      V. Darstellung der Medien

                                      Hier setzt sich die Holzhammermethode der zu übertriebenen Satire fort.
                                      In schillernden Szenen wird dargestellt, wie sich ein Großteil der Öffentlichkeit von dem Wohl und Wehe des Alltags der Stars (Schade eigentlich, dass hier kein Witz „Stern“-„Komet“ eingestreut worden ist) völlig in Beschlag nehmen lässt und die wirklich drängenden Probleme vernachlässigt werden.
                                      Dieses Rezeptionsverhalten wird von einer dösigen Medienlandschaft entsprechend gespiegelt.
                                      Doch diese Handlungsweise ist in einer Gesellschaft, in der darauf vertraut wird, dass die Politik sich schon melden wird, wenn etwas wirklich akut wird, und ansonsten bitte im Stillem und Verborgenem die Probleme löst, von der die Gesellschaft nicht mal etwas wissen will.

                                      Bemerkenswert ist, dass immer beide Seiten mit „Angst“ argumentieren.
                                      So wirft die Präsidentin den Wissenschaftlern vor, den Menschen Angst zu machen und diese in ihren Freiheiten zu berauben, was vollkommen ohne Grundlage ist. Angst vor Freiheitsentzug auf der einen Seite…
                                      …Angst vor dem Weltuntergang auf der anderen Seite. Die Wissenschaftler haben Angst, dass die Politik zu wenig tut, um die Krise abzuwenden. Das „Look Up“ wird so nicht zur befreienden Tat, sondern zu einem Blick, aus dem sich Angst gebiert, da man, wie unten weiter diskutiert wird, führungslos ist.

                                      Man möchte den Film zurückfragen: Was erwartet er denn von den Menschen? …und damit kommen wir zur zunächst abschließenden Runde.

                                      VI. Was wird gefordert?

                                      Ich bin mir über die Botschaft des Films nach wie vor unklar.

                                      Anhand des Handlungsbogens der beiden Protagonisten sollen deren Handlungsweisen mit dem drohenden Weltuntergangs herausgearbeitet werden und schließlich mit der Reaktion der Präsidentin und des Tech-Gurus verglichen werden.

                                      Phase 1: Bangen und Hoffen.
                                      Es ist alles schlecht, aber die beiden Protagonisten gehen motiviert und mutig in die Offensive, ganz im Glauben, dass alles noch gut werden würde.

                                      Phase 2: Erste Zweifel bis zur Ratlosigkeit
                                      Einen ganzen Tag sitzen sie vor dem Oval Office und werden nicht hereingelassen, während man drinnen Geburtstage feiert und die tagesaktuellen Krisen wuppt. So ist das eben, glaubt man und setzt auf den Tag, an dem man endlich vordringen wird.
                                      Doch auch das Gespräch entwickelt sich anders als erwartet. Entmutigt und desillusioniert wendet man sich verbotenerweise an die Medien, in denen man auch nicht verstanden bzw. vorgeführt wird.
                                      Im Nachgang werden beide Wissenschaftler abgeführt und ins Weiße Haus gebracht. Vorwurf: Hochverrat.

                                      Phase 3: Eine glückliche Wendung.
                                      In die absolute Depression verfällt man nicht.
                                      Das Weiße Haus braucht aufgrund eines peinlichen Zwischenfalls dringend eine Krise, die man lösen kann. Da kommt dieser Komet gerade recht.
                                      Die Wissenschaftler atmen auf. Nochmal gut gegangen, ganz egal, wie es jetzt genau dazu kam.
                                      Der Mut und die Frische kehren zurück. Man entwickelt einen Plan, der zu 81 % wirken wird.

                                      Phase 4: Eine unglückliche Wendung.
                                      Die Raketen sind schon unterwegs.
                                      Plötzlich werden sie zurückgerufen. Der Tech-Guru hat neue Daten. Auf dem Kometen befinden sich Rohstoffe im Wert von 100en Billionen Dollar. Auch diese Information ist ein Staatsgeheimnis, welches die Wissenschaftlerin in einer Bar hinausposaunt, was zu einem Mini-Aufstand führt, während der Wissenschaftler zum medialen Aushängeschild der korrupten Regierung wird.

                                      Phase 5: Aufhören bzw. Weitermachen.
                                      Beide Wissenschaftler nehmen ihren Deal an.
                                      Sie kehrt freiwillig in ihr Heimatdorf zurück, wird Verkäuferin und selbst von ihren Eltern verstoßen. Sie bandelt mit der nihilistischen Gang an und verliebt sich in das evangelikale Mitglied.
                                      Er sagt alles, was von ihm gefordert wird, und verliert durch seine heiße Affäre die Beziehung zu seiner Frau.

                                      Phase 6: Panik.
                                      Der Komet ist nun am Himmel zu sehen.
                                      Beide sind sich nun endgültig bewusst, dass sie Recht hatten.
                                      Und hier kommt der Film ins Schlittern.
                                      Die Präsidentin verbietet ihren Anhängern, nach oben zu schauen, während die Wissenschaftler in einem letzten heroischen Aufrappeln die Öffentlichkeit dazu aufrufen (lassen), nach oben zu schauen.
                                      So ändert der Wissenschaftler seine Meinung in einer der stärksten Szenen des Films.
                                      (Man stelle sich vor, ein Herr Wieler, Drosten oder Lauterbach würden so emotional in eine Pressekonferenz gehen.)
                                      Doch mit welcher Botschaft ist es verbunden? Es wird weder eine politische noch ein persönlicher Aufruf mit dem Blick nach oben verbunden. Die Individualisierung zeigt sich hier in schillerndsten Farben. Nur dass es zu keinen Gewalttaten kommt. Keiner nimmt sich Freiheiten heraus, die die Freiheit des anderen einschränken.
                                      Ist das realistisch?
                                      Da hatte die „Purge“-Reihe mehr Biss. Im Film sieht man nur ein paar halb ausgeräumte Supermärkte, wo doch vielmehr davon auszugehen ist, dass bei einem solch sicher drohenden Totalschadenereignis der ein oder andere Konflikt blutiger ausgetragen worden wäre und nicht alle das Glück einer großen Versöhnung zuteil käme wie unseren Protagonisten.
                                      Dostojewski proklamiert: „Wo kein Gott ist, da ist alles erlaubt.“ Und wo kein Gott ist und die Welt untergeht, ist erst recht alles erlaubt!
                                      Und an dieser Stelle muss obige Darstellung der Wissenschaft ergänzt werden. Oben habe ich behauptet, dass sie als Hüterin der Wahrheit fungiert, was jetzt relativiert werden muss.
                                      Die Wissenschaft fällt kein moralisches Urteil. Doch der Mensch sehnt sich neben klaren Daten und Fakten genauso sehr nach einem moralischen Kompass, den die deskriptive Wissenschaft nicht liefer kann, während diese Diskussion ins Philosophisch-Theologische zu verlagern ist.
                                      Das Bedürfnis danach kann ich letztlich nicht begründen, sondern nur der Eigenbetrachtung des Lesers überlassen.
                                      Dostojewskis Gott ist somit eine verbindende moralische Instanz, die die Grenzen des Erlaubten möglichst klar festlegt und ggf. eines fernen Tages Gericht hält, während die Wissenschaft die Grenzen des technisch Machbaren tagtäglich erweitert.

                                      Phase 7: Rückkehr in die Heimat.
                                      Alle, die auf der richtigen Seite standen, treffen schließlich im Haus des Wissenschaftlers zu einem Letzten Abendmahl aufeinander.
                                      Erst als er das Ausmaß des Weltuntergangs persönlich akzeptierte, kann dieser sich von seiner Affäre trennen und die Liebe seines Lebens zurückgewinnen. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Versöhnung durch den Weltuntergang erleichtert wird, da man ohnehin nur noch ein paar Stunden gemeinsam verbringen kann und tief empfundener Friede besser ist als ein letztes Gefecht.
                                      Nach dem Gebet des Evangelikalen, das als für ihn wichtig und richtig dargestellt worden ist, aber keinen Einfluss auf das weitere Verhalten der Anwesenden hat, begibt man sich in Alltagsgespräche ohne existentiell zu werden. Die Druckwelle kommt. Der romantische Weltuntergang perfekt.

                                      Ein Stückweit propagiert man somit einen billigen Kulturpessimismus bzw. Fatalismus im Sinne einer Schicksalsgläubigkeit für öffentliche Belange, die letztlich nur im Rückzug ins Private für persönlich-spezifische Probleme überwunden werden kann.
                                      Die Menschheitsgeschichte scheint im Film im Allgemeinen gelöster zu sein, als sie erkennen, dass alles aus ist.
                                      Und man nutzt den verbliebenen Tag, um zu Weib und Kind zurückzukehren, Gemeinschaft zu leben und auf das Ende zu warten.
                                      Carpe diem!
                                      und somit: No Time to revolute!

                                      Über den Wolken ist aber nicht immer alles so winzig und klein. Ängste und Sorgen begleiten die andere Hälfte des Ensembles weiterhin.
                                      Der Mann der Präsidentin wird nie thematisiert, ihren Sohn vergisst sie auf der Erde.
                                      Auch der Tech-Gigant hat kein Weib an seiner Seite. Rückkehr zur Familie ist somit ausgeschlossen, schon allein deshalb, weil das nicht dem Mindset dieser Oberschicht entspricht – so könnte man den Film verstehen.
                                      Rund 2.000 Menschen steigen nach dem Desaster in das Raumschiff des Tech-Giganten und ca. 1.000 Menschen erwachen ca. 23.000 Jahre später auf einem neuen Planeten, auf dem man nackt und hilflos den Dinos ausgeliefert ist.

                                      Das letzte Ende auf dem neuen Planeten blende ich zum Schluss aus. Das war ein reiner Gag.
                                      Ein Gimmick, das nicht zur Tiefe beiträgt.
                                      Es wäre doch viel lustiger gewesen, wenn die Reichen und Schönen jetzt auf einer Erde sind, in dem sie zwangsläufig das Proletariat darstellen – und sich nun wünschen, doch beim Weltuntergang live und in Farbe dabei gewesen zu sein.

                                      Alternatives Schlusszitat:
                                      „Nachwort – Es war während der Regentschaft der Präsidentin Orlean, dass die vorerwähnten Personen lebten und stritten; gut oder böse, Recht habend oder Unrecht, arm oder reich, sie alle sind nun gleich.“

                                      Anhänge

                                      VII. Alternative Enden und ihre Bedeutung

                                      Während des Films sind mir immer wieder mögliche Enden vor Augen getreten, die ich hier kurz mit ihrer jeweiligen Implikation schildern möchte.

                                      1. Das offene Ende

                                      Darstellung: Bis zum Schluss bleibt offen, ob der Komet die Erde nun wirklich trifft und wenn ja, ob tatsächlich alles dahingerafft wird. Schwarzblende. Aus.
                                      Aufgeworfene Frage: Wie sehr vertrauen wir der Wissenschaft tatsächlich und was würden wir tun, wenn sie mal danebenliegt?

                                      2. Murphys Law

                                      Darstellung: Die wissenschaftliche Lösung funktioniert, aber verschlimmbessert alles noch. Ggf. wäre herausgekommen, dass man sich verrechnet habe und der Komet gar nicht auf der Erde gelandet wäre. Durch die ggf. nicht ganz funktionierende Sprengung hätte der „Multi-Komet“ aber nun eine erdzerstörende Wirkung.
                                      Aufgeworfene Frage: Wie viel Sicherheit ist uns genug? Im Zweifel lieber handeln oder auf bessere Daten pochen?

                                      3. Der Komet schlägt nicht ein.

                                      Darstellung: Nada. Nichts. Glück gehabt.
                                      Aufgeworfene Frage: Was wäre passiert, hätte der Komet die Erde verfehlt?
                                      Na, nichts.
                                      Ob die Präsidentin wiedergewählt wird, wäre an anderen Kriterien gemessen worden. Das zeigt der Film deutlich, dass die Menschen immer nur auf aktuelle Aufreger reagieren.
                                      Im Gegenteil hätte man am Ende wieder eine neue Schreckensbedrohung einführen können und alles beginnt von vorne.

                                      VIII. Ein Blick auf den Film in 5 Bibelstellen

                                      1. Der verschmähte Prophet

                                      Gen. 19,14: „Da ging Lot hinaus und redete mit den Männern, die seine Töchter heiraten sollten: Macht euch auf und geht aus diesem Ort, denn der HERR wird diese Stadt verderben. Aber es war ihnen lächerlich.“

                                      Lot ist in der Genesiserzählung der erste Prophet. Laut Petrus hat zwar auch Noah den Menschen seiner Zeit gepredigt; doch in der Erzählung nach der Genesis ist Lot der erste, der sich an das Volk wendet. Bemerkenswerterweise fehlt hier ein Bußaufruf, wie er bei den späteren Propheten zum Standardrepertoire gehört.
                                      Im Film hat die Wissenschaftlerin die Rolle des verschmähten Propheten inne. Gemeine Memes, die ihre gesamte Persönlichkeit auf eine einzelne öffentliche Zurschaustellung ihrer Ängste reduziert.

                                      Viele biblische Propheten sind getötet worden. Diesem Schicksal entkommt die Wissenschaftlerin durch ihren Rückzug in ihre Heimat.

                                      2. Der falsche Prophet

                                      2. Tim. 4,3f.: „Denn es wird eine Zeit sein, da sie die heilsame Lehre nicht leiden werden; sondern nach ihren eigenen Lüsten werden sie sich selbst Lehrer aufladen, nach dem ihnen die Ohren jucken, und werden die Ohren von der Wahrheit wenden und sich zu Fabeln kehren.“

                                      Der Wissenschaftler übernimmt zeitweise diese Rolle, in dem er die Fake News des Tech-Giganten im Auftrag der Präsidentin in den Medien vermittelt.
                                      Er beruhigt das Volk zeitweise und nachdem er es sich anders überlegt hat, ist es ohnehin zu spät.

                                      3. Eine neue Arche Noah – oder doch ein neuer Turmbau zu Babel?

                                      Gen. 6-9 + 11

                                      Zum Schluss gibt es für die Reichen und Schönen eine Exitstrategie. Mittels eines Raumschiffes, das automatisch den nächsten erdähnlichen Planeten in der bewohnbaren Sphäre ansteuert, sucht man sein Heil.

                                      Was zuerst an das Bild der Arche erinnert, lässt bei näherem Hinsehen einen verkappten „Turmbau zu Babel“ erkennen. Längst benötigt man nicht mehr alle Menschen auf Erden, sondern wie bei Noah nur eine Handvoll Leute um das rettende Gefährt zu errichten.
                                      Doch in ihrem selbstsüchtigen Streben nach Rettung durch eigene Hand, gleichen sie mehr den gottlosen Turmbauern als den gläubigen Passagieren der Arche.

                                      4. Alles auf Anfang statt Eine neue Erde

                                      Apk. 21,1.4b: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr. (…) und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“

                                      Diese Vorstellung bleibt auch auf dem neuen Planeten ein Hoffnungsbild. Der Saurier erlegt die Präsidentin. Der Tod ist nicht überwunden. Vielmehr steht zu befürchten, dass die Menschheit den Sauriern nichts entgegenzusetzen haben.

                                      5. Alles wie immer statt Umkehr.

                                      Mtth. 24,37-39: „Aber gleichwie es zur Zeit Noah's war, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes. Denn gleichwie sie waren in den Tagen vor der Sintflut, sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien, bis an den Tag, da Noah zu der Arche einging. und achteten's nicht, bis die Sintflut kam und nahm sie alle dahin, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes.“

                                      Der Komet als Bild für den wiederkehrenden Eckstein, den die Bauleute verworfen haben.
                                      Vorher spricht Jesus über die Zeichen, die vor seiner Wiederkunft eintreten werden und weist auf die Ignoranz der Leute, die nur ihrem Alltag nachgehen.
                                      Und dazu ruft der Film doch auf:
                                      Das Ende kommt, die Menschheit ist korrupt.
                                      Geht eurem Alltag nach.
                                      Trefft eure Liebsten.
                                      Wenn es euch hilft, betet.
                                      Wenn es euch hilft, schaut nach oben.
                                      Wenn es euch hilft, schaut nicht nach oben.
                                      Wenn es euch hilft, schwenkt eine Schamanenfahne.
                                      Wenn es euch hilft, verlobt euch.
                                      Wenn es euch hilft, versöhnt euch.
                                      Wenn es euch hilft, geht in Frieden.

                                      Aber bitte, bitte fragt mich nicht, was ihr tun sollt, wenn es doch nicht hilft!

                                      10
                                      • 9 .5

                                        Ich vermag die Genialität dieser Serie nicht in Worte zu fassen.
                                        Ein Näherungsversuch. Ganz spoilerfrei diesmal sogar.

                                        Elegant. Pompös. Majestätisch.
                                        Rein. Provokant. Verdorben. Raus.
                                        Lustvoll. Sünde. Oder Liebe?
                                        Alte Mauern. Alte Sitten. Neue Köpfe. Neues Wirren.
                                        Luxus. Bescheidenheit. Angemessen. Würdevoll.
                                        Ritus. Tradition. Predigt. Talkshow.
                                        Intrigen. Verrat. Hochheilig.
                                        Bestechung. Vergebung. Verhandlung.
                                        Behandlung. Erwachen. Auferstehung.
                                        Fundamental. Extremistisch. Pfad.
                                        Glaube. Wissenschaft. Meinung. Erfahrung. Spirituell.
                                        Askese. Ereignis. Unverfügbar. Bedürftig.
                                        Gott. Mensch. Jesus. Papst.

                                        …you can call me,
                                        you can call me,
                                        you can call me –

                                        the Good Time GIRL.

                                        5
                                        • 8

                                          4. Advent. Für static.
                                          Spoiler.

                                          Bisher habe ich mich nur in einem viel zu kurzen Kommentar diesem stillen Lehrstück über Männlein und Weiblein gewidmet.
                                          Ein Meisterwerk, das nicht alle packen wird. Spröde, langatmig und deprimierend.
                                          Und doch ist es die Geschichte einer vielschichtigen Liebe.

                                          Die letzte Szene schließt den Film mit einem Widerhall ab.
                                          „Bekoche mich. Vergifte mich. Pflege mich. Liebe mich.“
                                          Überwunden sind in diesem seligen Augenblick alle Eifersüchteleien und Dramen rund um den übersensiblen Schneider und seiner bildhübsche Muse.

                                          Liebe darf alles. Außer Liebe zu fordern.

                                          Dieser langatmige Streifen kommt nicht ohne faustdicke Überraschungen aus. Eine Frau, die ihren Mann vergiftet, um ihn dadurch besser zu lieben. Und ein Mann, der es nicht nur durchschaut, nicht nur akzeptiert, sondern das „Spiel“ aktiv fortsetzen möchte.
                                          Ist das nun ein genialer Wurf, dysfunktional, pervers oder einfach speziell?
                                          Sicherlich eine Mischung aus allem. So wie es in jeder Beziehung ist. Alltag.
                                          Erzählungen um Mann und Frau sind zeitlos, ohne je aus der Zeit zu fallen.
                                          Als Kind habe ich mir manchmal vorgestellt, wie es wäre, wenn ich nicht mehr laufen könnte und somit mehr im Mittelpunkt stünde. Vernachlässigt worden bin ich nicht. Ganz im Gegenteil. Aber der Gedanke war doch reizvoll; zumindest, wenn man sich auf die vermeintlich positiven Aspekte konzentrierte. Man müsste nicht mehr so viel tun und würde von allen bemitleidet, was ich auch schön fand. Der Gedanke kam mit den Jahren dann immer weniger und doch begleitet er mich, wenn ich über meine Sehnsüchte, die ich auf eine noch zu schließende Beziehung projiziere, nachdenke.
                                          Der Mensch ist dazu geschaffen, tiefes Vertrauen zu erschaffen, und neigt gleichzeitig dazu, angetragenes Vertrauen zu enttäuschen oder wie es ein deutscher Liedermacher ausdrückte: „Ein gebrochnes Herz bleibt für immer leer.“.
                                          Liebe wirbt und drängt sich nicht auf. Und Liebe weiß, wann es besser ist, sich für den Moment zurückzuziehen und auf das Bild zu hoffen, dass auch die größten Gräben wieder zugeschüttet werden können und wenn es doch nicht geht, über die restlichen Abgründe Brücken und Tunnel gebaut werden können, auf und in denen Begegnungsverkehr ermöglicht wird.

                                          Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!
                                          - oder warum Me2 die Hausaufgaben schleunigst erledigen sollte.

                                          Allzu leicht könnte man die Geschichte als obszön verwerfen.
                                          Und doch hebt das Werk dann seine Augenbrauen, als ob es sagen wolle: „Du weißt es also besser. Viel Glück.“
                                          Athinagoras wird folgende Sentenz zugeschrieben: „Wenn ein Mann und eine Frau sich wirklich lieben, dann habe ich nichts in ihrem Schlafzimmer zu suchen. Alles, was sie tun, ist heilig.“
                                          Ein Zirkelschluss. Die Liebe eines Paars zueinander ist vor den Augen und Ohren Dritter stets nur eine Behauptung. Die Zeremonie der Eheschließung wird mündlich in der Öffentlichkeit vorgetragen und klassischerweise mit einem Kuss besiegelt.
                                          So dreht man die Fragestellung im Film um. Kann ich alle Schlafzimmerpraktiken als Liebe bezeichnen? Athinagoras wagt den Rücktritt ins Private, also das der Öffentlichkeit Entrissene. Vollständige Transparenz macht eine Gesellschaft nicht offener, sondern lediglich undicht. Doch allzu dominant ist dieses „Ich“ in der Frage, kritisch reflektiert landet man bei der Einsicht, dass man unmöglich Richter über fremde Beziehungen sein kann.
                                          Eine lapidare Erkenntnis mögen einige jetzt einwenden.
                                          Dann lasst uns weitersinnen. Was bedeutet die Erkenntnis denn?
                                          Einfacher gefragt: Was bedeutet sie nicht?
                                          Die Geschehnisse in Schlafzimmern werden in unserer Zeit nicht nur durch Pornographie offen gelegt, sondern auch durch lautstarke Proteste.
                                          Nicht jegliche Schlafzimmergeschichte muss hingenommen und im Dunkel liegen gelassen werden.
                                          Bei den Vorfällen um „Me2“ sind mehrere Grenzen überschritten worden.
                                          Abgesehen von den wohl in der Theorie unbestreitbaren Trittbrettfahrerinnen gibt es einen hier in der Höhe nicht zu diskutierenden Anteil der Frauen, die aufs Schändlichste ausgenutzt worden sind. Jeder Einzelfall ist einer zu viel.
                                          Wird die Heiligkeit des Schlafzimmers von Pornos unterminiert, kann im Kern der Proteste auch eine Rückkehr zu eben dieser Heiligkeit zwischen Mann und Frau gesehen werden, auch wenn das nicht so formuliert wird. Wenn ich gegen etwas bin, muss ich auch für etwas sein. Nur für was?
                                          „Make Se Schlafzimmer heilig again!“
                                          Die Gesellschaft macht sich in diesem Rahmen zum Richter über das Schlafzimmer.
                                          Wo einer von beiden leidet, muss eingeschritten werden.
                                          Doch auch dieser Zuspitzung mangelt es an Präzision. Es gibt viel Leid in Beziehungen, das nicht öffentlich thematisiert wird, sondern der Ratgeberliteratur und dem Gespräch unter guten Freunden vorbehalten ist.
                                          Es existiert kein gesellschaftlicher Konsens über die Funktionsweise der wichtigsten menschlichen Beziehung, derjenigen zwischen Mann und Frau. Ich fordere auch keinen. Bemerkenswert ist das aber schon. Lapidar wird es dann, wenn davon gesprochen wird, nichts zu tun, was den anderen verletzt. In einer Beziehung möchte ich bitte schon mehr erleben, als nicht verletzt zu werden.

                                          Wo zieht die Me2-Bewegung die Grenze? Nicht leicht ausgemacht. Würde es um den reinen Fakt gehen, dass man mal ausgenutzt wurde in einer Beziehung, könnten nur die Eremiten unter uns den Stein nicht ins Rollen bringen.

                                          Und auch durch Gerichtsprozesse wird allenfalls ausgleichende Gerechtigkeit geschaffen, aber den Beteiligten kein „neues Herz“, das von sich aus nach Gerechtigkeit statt Egoismus strebt, gegeben, um es theologisch zu formulieren.

                                          Der Bewegung fußt auf reinen Anti-Protest zu begründen, ohne dass positiv formulierte Forderungen mir bisher bekannt geworden wären.
                                          Selbst verständlich ist den Frauen geholfen, wenn Übergriffigkeiten fortan unterbleiben, wenn jedoch jeder Kontakt zwischen den Geschlechtern unter der Frage leiden, wo Höflichkeit beginnt und Übergriffigkeit aufhört, ist dies in einer hypersensiblen Gesellschaft, ein großes Problem.
                                          Ein Problem, vor der man bislang kneift. In den USA stellen sich viele Männer dem Generalverdacht und vermeiden nach Möglichkeit das alleinige Zusammensein mit einer Frau, gerade im Geschäftsleben. Es ist ihnen zu riskant.
                                          Wie soll sich das je wieder einrenken?

                                          Rolle rückwärts oder vorwärts?
                                          Wie hätte es mir gefallen, wenn er sie bekocht hätte? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es einen Unterschied macht. Einen Unterschied, über den zu wenig geredet wird.
                                          Man möchte fast in Anlehnung an die Aussagen der Alt-Kanzlerin Merkel zur Bedeutung des Weihnachtsfestes tönen: „Dann lasst uns doch wieder darüber reeeheden, was es heißt, Mann oder Frau zu sein.“ Gesagt. Getan vielleicht ein andermal.

                                          Schlussbetrachtung.
                                          Der Film ist eine Herausforderung.
                                          Wo halte ich meinen Partner klein, um ihn zu lenken? Lenke ich ihn oder liebe ich ihn dadurch nicht viel mehr oder rede ich mir das nur selbst ein?
                                          Und zum Schluss: Was ist unser kleines Ritual, das unsere Liebe auflodern lässt?
                                          Lasst uns ehrlich sein. Zumindest im Schlafzimmer. Wir schulden uns das nicht, aber es täte uns gut. Gerade zu Weihnachten. Frohes Fest!

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                                            Nachgereicht.
                                            Miss Frenzy zum 3. Advent.
                                            Und gleich noch eine bittere Beichte voran.
                                            Ich habe den Film auf 1,5-facher Geschwindigkeit angesehen.
                                            Rückblickend tut es mir aus 2 Gründen leid.
                                            Miss Frenzy durfte sich durch den 210-Minuten-Schinken „The Irishman“ quälen und mir hat der Film eigentlich gefallen.

                                            Ganz offen und ehrlich.
                                            Ich hatte eine 08/15-Schmonzette erwartet, da ich mich vorher gar nicht über den Streifen informiert habe. Die anderen 2 Vorschläge, die mir Miss Frenzy unterbreitete, fand ich noch uninteressanter und so eine RomCom hatte ich schon lange nicht mehr.

                                            Doch: Weit gefehlt!
                                            „Mein Blind-Date mit dem Leben“ ist ein quirliger, frecher und erfrischender Film.
                                            „Nach wahren Begebenheiten“ über einen jungen Erwachsenen, der alles daran setzt, seinen Traumjob zu bekommen.
                                            Auch das klingt noch ziemlich gewöhnlich.
                                            Doch: Er ist so gut wie blind und möchte Hotelfachmann oder Kellner, ach egal, der Knochenjob, bei dem man die ganze Zeit auf den Beinen ist und den Gästen alle Wünschen von den Augen abliest.

                                            Was mir besonders gefallen hat, war die Inszenierung der Szenen, bei denen man mit den Augen des Protagonisten (nicht) sieht.
                                            Ich habe eine schwer sehbehinderte Arbeitskollegin. Jetzt kann ich mir ungefähr vorstellen, wie sie die Welt wahrnimmt. Bereichernd!

                                            Der Film steht in der Tradition von „Ziemlich beste Freunde“, doch bietet er einen ganz anderen Blick auf den Umgang mit Behinderungen (ja, ich bleibe bei dem Wort und benutze es nicht abwertend!).
                                            Was beide Filme eint, ist der trockene Humor. Es wird nicht über die betroffene Person gelacht, sondern über die beschissenen Umstände. Ja, das Leben ist ungerecht, aber solange man noch gemeinsam lachen kann, ist man ebenso gemeinsam auf der Suche nach Ausgleich und Gerechtigkeit.
                                            „Ziemlich beste Freunde“ zeigt einen älteren Mann, der pflegebedürftig ist.
                                            Hier steht ein junger Mann im Mittelpunkt, der seinen Weg gehen will und sich durch nichts davon abbringen lässt.
                                            Der Betrug inform des Verschweigens seiner Behinderung beim Vorstellungsgespräch wird als erzwungen dargestellt. An dieser Stelle ist es problematisch, dass der Film die Geschichte aus den 1980er in die „Jetzt-Zeit“ verpflanzt. Damals steckten Rechte für Behinderte noch in den Kinderschuhen. „Und heute ist es nicht viel anders.“ scheint der Film zu suggerieren, was in Anbetracht der gesellschaftlichen und auch politischen Wandlung eine sehr verkürzte Aussage ist.

                                            Die stärkste Szene muss ich einfach spoilern bzw. paraphrasieren.
                                            Er ist in der Küche und soll Wurst in Scheiben schneiden. Die Kamera wechselt in seine Perspektive. Und wie wir sehen, sehen wir nichts. „Augen zu und durch?“ – Nie war das Motto treffender. Er beginnt zu schneiden und es kommt, wie es kommen muss. Er säbelt sich die Hand auf. Der Chefkoch wird hellsichtig. Lässt ihn verarzten und stellt ihm eine kleine Falle. Er stolpert über den Topf, als ihn der Koch am Ende der Schicht, als alle gegangen sind, zu sich ruft. „Bist du blind, oder was?“ fragt er unter vier Augen. Er gesteht. Der Koch ist nicht erfreut. Er macht ihm kurz und klar deutlich, dass er solche leichtsinnigen Unfälle in seiner Küche nicht dulden wird. Keine Sonderrechte für Behinderte, die zu Lasten des Teams gehen.
                                            Doch die Szene ist noch nicht zu Ende. „Ich werde dir jetzt beibringen, wie man das Ding bedient. Wenn du es nicht kannst, fliegst du raus.“ Und gemeinsam schaffen sie es.
                                            Besser kann man den Umgang mit Behinderung nicht versinnbildlichen.
                                            Auch der Behinderte wird in die Pflicht genommen, durch sein Verhalten nicht das Wohl der Allgemeinheit zu gefährden. Gleichzeitig lässt man ihn nicht im Stich. Man ist behilflich und erwartet, dass der andere sich nach Kräften bemüht. Und wenn trotz aller gemeinsamen Bemühungen die Gefährdung nach wie vor zu hoch ist, dann trennt man sich voneinander. Nicht, weil man einander nicht leiden kann, sondern weil beide einsehen, dass es so nicht weitergehen kann.

                                            Und wer mir aus den Worten, jetzt einen Strick drehen möchte, der kann das gerne tun. Aber ich hoffe dennoch, dass der Inhalt meiner Aussage klar ist, auch wenn man die Worte auch drehen und wenden könnte, wie es einem beliebt.

                                            Warum also „nur“ 6 Punkte?
                                            Zum einen bin ich ein knausriger Punkteverteiler. „7“ ist bei mir schon „sehr gut“. Alles über 7,5 sind absolute Kracher (nagelt mich jetzt bitte nicht darauf fest im Einzelfall – wir werden alle älter).

                                            Der Film hat auch Schattenseiten.
                                            Die Klischees sind zum Teil unerträglich und die schnöde Lovestory hätte es einfach nicht gebraucht, da sie außer Zusammenkommen, Trennung, Versöhnung im Schnelldurchlauf nichts bietet.
                                            Die Anreicherung durch die Nebenstorys ist wohl auch der Tatsache geschuldet, dass sich das Konzept schnell abgenutzt hätte. Es ist ein wenig wie bei Herakles. Auch hier muss ein junger Mann immer schwieriger werdende Aufgaben lösen, da er in seiner Ausbildung, die sich eher wie ein paar Wochen als Jahre anfühlte, von Abteilung zu Abteilung springt.
                                            Was mich am Ende dann doch nicht gestört hat, war die permanente Hilfsbereitschaft und Verschwiegenheit seines Umfelds, auch wenn da wohl dichterische Freiheit gewerkelt hat. Aber ist das nicht Aufgabe der Dichtung? Den Menschen etwas Positives mitzugeben.

                                            Fazit:
                                            Auch wenn der Jüngling ein wahrer Spießer ist, leidet und fiebert man doch mit.
                                            Warum? Das könnt ihr gerne selbst herausfinden. Ich bin hier ja nicht die Auskunft, sondern im Dienste Ihrer Majestät unterwegs.

                                            Und ich gebe zu. Mit der passenden Begleitung hätte mir der Film vielleicht doch sehr, sehr gut gefallen, aber soweit bin ich bekanntlich noch nicht.

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                                              Spoiler: Mit Sicherheit!

                                              Schauspiel und Technik: solide
                                              Erzählfluss: Zäh
                                              Drehbuch: Gut
                                              Grundidee: Genial!

                                              Das Leben ist zu kurz, um sich mit Mittelmäßigkeit abzugeben; so lasst mich über die Grundidee der Serie referieren.

                                              Kurze Zusammenfassung: Eine Junge bekommt eine Weissagung einer Art Geistes, dass er in 20 Jahren von übernatürlichen Wesen getötet wird. Er glaubt dies und entwickelt einen Kult, der bereitsteht, als die Weissagungen auch andere Personen mit kürzeren Ankündigungszeitspannen trifft.
                                              Der Kult deutet das Geschehen moralisch bzw. theologisch. Die Weissagung träfe die besonders verwerflichen Personen der Gesellschaft. Die Strafe Gottes sei gerecht und die Betroffenen sollen Buße tun.
                                              Nach dem ersten solchen öffentlich rezipierten Ereignis, die als „Machtdemonstrationen“ bezeichnet werden, verfällt das gesamte Land in eine Art Schockstarre. Niemand wagt es mehr, irgendetwas zu tun. Die Lethargie wird überwunden durch den Hinweis, dass auch Unterlassen von hilfreichen Taten Sünde sei.
                                              Als Gipfel der 6 Episoden erhält ein frisch geschlüpftes Baby eine entsprechende Verheißung. Der Kult weicht auf die Erbsünde aus, wird dadurch aber immens in Zweifel gezogen. Doch was bedeutet es, dass die ausgestellte Leiche eines der ersten Opfer am Ende wieder zum Leben erwacht? Das Baby wird durch das Aufopfern der Eltern beim Angriff gerettet.

                                              Die Botschaft: Der Mensch mag es kohärent und lässt sich für eine stimmige Geschichte gern täuschen. Zu keiner Zeit nimmt das übernatürliche Wesen bei der Verkündigung des baldigen Todes eine Begründung dafür vor. Das fehlende Puzzleteil liefert der o.g. Junge mit seiner Sekte „Neue Wahrheit“. Er handelt gleichzeitig falsch und richtig. Falsch, da er Lügen verbreitet. Richtig, weil diese Lügen der Besserung der Bevölkerung dienen. Doch letztlich geht der Schuss nach hinten los. Nach seinem Ableben muss die „Neue Wahrheit“ manche Machtdemonstrationen verschleiern, da sich berechtigte Zweifel an dem Narrativ ergeben würden.
                                              Doch was wäre die Alternative gewesen? Übernatürliche Wesen zerfleddern wahllos Menschen, ohne dass es eine Möglichkeit der Wehrhaftigkeit gäbe.
                                              Der Mensch tut sich mit Beliebigkeit und Wahllosigkeit, die sich auf seine Existenz auswirken, mehr als schwer. Eine Begründung besänftigt den ruhelosen Geist. Doch was, wenn es gar keine gibt?
                                              Jeder muss die Endlichkeit der irdischen Existenz akzeptieren. Doch passiver Teilnehmer einer Machtdemonstration zu werden, ist dennoch eine fürchterlichere Aussicht. Alles führt zu dem großen Seufzer „It is, what it is.“. Die „unschuldigen“ Opfer der moralischen Deutung durch die Sekte sind das notwendige Unterpfand für eine bessere Gesellschaft.
                                              Doch eine Frage hat die „Neue Wahrheit“ falsch beantwortet: Kann aus Angst Liebe entstehen?
                                              Das kommunistische Projekt in Teilen der Welt würde diese Frage indirekt bejahen. Ein Staat braucht in dieser Weise keine liebenden Bürger, sondern funktionierende Bürger, die sich den Regeln des Staates in hinreichendem Maße hingeben und wenn dafür ein paar Kameras und Zensurmaßnahmen notwendig werden, dann ist das eben so. Vielleicht braucht man sie in den künftigen Generationen ja gar nicht mehr.

                                              Aus Angst entsteht aber keine Liebe des freien Willens, sondern nur ein erzwungenes Verhalten gegen das eigene Streben nach Freiheit und Erfüllung. Man lebt im ständigen Selbstwiderspruch und vernünftelt solange herum, bis man sich selbst patt gesetzt hat.

                                              Anhang I: Wo liegt nun die Grenze zwischen Angst und berechtigten Befürchtungen?
                                              Angst vergrößert unwahrscheinliche Ereignisse und fokussiert den Geist schließlich immer auf den drohenden Abgrund. Entweder lähmt man sich oder stimmt einer unverhältnismäßigen Reaktion zu.
                                              Angst stößt uns in die irrationale Sicht der Dinge.
                                              Berechtigte Befürchtungen kennen die schlechten Konsequenzen des eigenen Verhaltens, weil sie sich entweder aus der Natur der Sache aufdrängen oder durch Studium der Daten klar erkennen lassen.
                                              Die Konsequenzen treten mit Sicherheit oder einer (zu) hohen Wahrscheinlichkeit ein und können durch abwägende Entscheidungen gemildert, wenn meist auch nicht völlig ausgeschlossen werden.
                                              Befürchtungen stoßen uns zurück zur Rationalität.
                                              Und es kann durchaus ein Ping-Pong zwischen Angst und berechtigten Befürchtungen geben, aber das wäre ein Thema für eine neue Erzählung.

                                              Anhang II: Ich habe noch einen Anhang zur aktuellen Coronalage geschrieben, will diesen aber hier nicht öffentlich machen, weil es schlicht und ergreifen keinen Sinn mehr macht, dass online breit zu diskutieren. Wer Interesse hat, kann per PN nachfragen.

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                                                Ich mag Böhmermanns Show, da er nicht auf den Themen der Woche rumreitet, sondern in seinen Glanzstunden gesellschaftliche und politische Probleme gekonnt auf den Punkt bringt und oftmals ein Projekt zur Besserung wuppt.
                                                Aber nach nun mehr als einem Jahr muss ich zugeben, dass der Humor erste Abnutzungserscheinungen mit sich bringt. Egal, solange die Themen regelmäßig spannend bleiben.

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                                                  Wer die vierte Staffel durchgehalten hat, kann hier nichts mehr verkehrt machen.

                                                  Spoiler zum Finale!

                                                  Beim Durchlesen meiner alten Kritiken zu Staffeln 1+2, 3 und 4 ist mir aufgefallen, dass mir in Staffel 5 immer noch dieselben Punkte im Kopf herumschwirren.
                                                  Ich versuche dies nun stilistisch besser und kompakter zu gestalten. Zunächsten sollen Stärken und Schwächen anhand insbesondere des zweiten Teils der 5. Staffel (den ersten Teil habe ich kaum mehr präsent) herausgearbeitet werden und dann abschließend über die Kernbotschaft der Serie nachzudenken.

                                                  I. Die guten Seite

                                                  Haus des Geldes steigt hinsichtlich des Spannungs- und Unterhaltungsfaktors beinahe wieder zu alten Höhen auf. Es fühlt sich ob der ziemlichen Begrenzung der Episoden zwar hie und da etwas eng an, aber man verschwendet nicht mehr allzu viel Zeit auf Gefühlsduseligkeiten zwischen den Protagonisten.
                                                  Die Handlung in der Jetzt-Zeit wird konsequent befeuert und wendungsreich dargeboten.
                                                  Seichte Unterhaltung für müde Geister.

                                                  II. Die schlechten Seiten

                                                  Ich habe eine Hassliebe zu dieser Serie entwickelt. Weil man daran so viel kritisieren kann und sich im selbem Atemzug ausreichend unterhalten fühlen kann.
                                                  Die Handlung in der Jetzt-Zeit wird durchsetzt mit leidigen Rückblenden, die die Spannung vermiesen und so gar wirken wie lästige Werbung in der doofen alten Zeit des linearen Fernsehens.
                                                  Sie dienen auch einzig und allein dem Zweck, das Spin-Off zu Berlin zu etablieren. Hat man einer Serie jemals so stark angemerkt, dass sie den frühen Tod eines beliebten Protagonisten bereut? Was wäre Breaking Bad ohne Jesse Pinkman, den man ursprünglich nach den ersten Folgen herausschreiben wollte?
                                                  Das Spin-Off betrachte ich mit reichlich Skepsis. Berlin war als Mischung zwischen Side-Kick und comic relief haltbar, doch als Protagonist einer Gaunerserie wird man allzu bald unter die Gürtellinie abtauchen müssen, um etwas Unterhaltsames herauszuholen. Wie wird sich der Grobian neben dem edlen Lupin wohl machen? Oder setzt man absichtlich auf den Fremdschameffekt?

                                                  Der Musikeinsatz setzt mir immer noch zu. Es mag eine Marotte der spanischen Telenovelas sein, aber mich hat das nicht überzeugt. Jeder Moment wurde derart hochgejazzt, dass für mich Genervtheit jedes andere evozierte Gefühl überstieg.

                                                  In meiner Kritk zur Staffel 1+2 hatte ich die Wahl Tokios als Erzählerin als beliebig kritisiert und auch wenn es mir nach und nach besser gefallen hat, wird es im zweiten Teil suspekt.
                                                  Sie stirbt am Ende des ersten Teils einen fürchterlichen Heldentod und spricht dann aus dem Jenseits einfach weiter, ohne dass das jemals aufgeklärt wird. Ich dachte noch, sie kriecht am Ende auch noch aus der Bank heraus. Sei es drum.

                                                  Logiklöcher darf man in der 5. Staffel nicht mehr kritisieren. Entweder man lässt sich drauf ein oder man lässt es bleiben. Das Bild des „Kleinen Haus des Geldes“ empfand ich als gelungen, auch wenn 90 Tonnen Gold niemals so transportiert werden könnten, aber das kann ich mit einem großem Augenzwinkern sehen, genauso wie die Frage, wie das Gold so schnell wieder ausgebuddelt werden konnte. Alles Magie eben!
                                                  Im Nachhinein ärgert mich dann aber doch die Reaktion des Professors auf dem Golddiebstahl durch seinen Neffen. Er kommuniziert gegenüber seinen Mitstreitern, dass damit alles verloren ist, obwohl er durch die 2 Laster nach seinem Plan alle sicher herausbekommt, ob sie nun noch das Gold abstauben oder nicht. Unnötig, aber eben der auf den Zuschauer zugeschnittenen Dramatik geschuldet.

                                                  III. Die Botschaft: Stay home! Stay legal!

                                                  Was möchte uns der Künstler mit diesem Gedicht sagen?
                                                  Doch statt „Was möchte..?“ muss man fragen „Was sagt uns der Künstler mit seinem Machwerk, ob er will oder nicht?“.
                                                  Selbstverständlich kann man einfach eine gute Geschichte erzählen. Man kann aber keine Geschichte ohne Botschaft erzählen.

                                                  Um eins vorwegzunehmen: Die Personen, die seit Staffel 3 dem Überfall beiwohnen und den Verbrechern zujubeln, das sind wir, die Zuschauer.
                                                  Und was hat sich für die Zuschauer am Ende geändert? Nichts. Man könnte einwenden, dass zum Schluss der Wildsprayer der Bande doch ein kleines Denkmal wider das Vergessen sprüht. Doch was sollen wir nicht vergessen?
                                                  In einem Detail unterscheiden sich die Zuschauer aus der Serie dann doch von uns. Sie gehen davon aus, dass alle gestorben sind, ohne irgendetwas zu erreichen. Ob das für eine Revolution ausreicht? Nein, denn diese war nie das Ziel des Professors.

                                                  Der Professor kehrt mit seinem letzten Trick zu seinen Wurzeln zurück. „Geld – Das ist nur Illusion. Ein magischer Glaube.“ Und er hat recht, auch wenn das den Diebstahl nicht rechtfertigt.
                                                  Die Erpressung ist genial. Entweder du lässt mir das echte Gold oder ich lasse ein ganzes Land in die Kniee gehen! Ein ganzes Volk, wenn nicht noch mehr, werden zum Spielball eines abgebrühten gierigen Menschens. Doch anstatt diese Haltung zu kritisieren, sie auf das realpolitische Verhalten von Notenbankchefs etc. zu übertragen, erfreuen wir uns an der kleinen Zauberschow und klopfen dem Professor auf die Schulter.
                                                  Und überhaupt: Der Trick funktioniert nur für die Zentralbank! Der Professor braucht das Wahre, um reich zu werden. Für die Bank reicht der Schwindel aus, da sie aufgrund des Vertrauens der Gläubiger in die Goldreserven, die ohnehin nie angezapft werden, weiterhin mit Geld versorgt werden. Ein Vertrauensvorschuss, den sonst keiner genießt.

                                                  Doch abseits dieser Verquickungen stellt sich die grundlegende Frage. Was motiviert die Bande denn? Die Serie lässt offen, was mit dem Geld angestellt wird, doch alle Indizien sprechen dafür, dass man sich zurückziehen wird und von den Früchten seiner Arbeit in Ewigkeit ausgesorgt haben wird. Den Verwandten der gefallenen Mitverschwörer, die man notdürftig thema-, aber nicht problematisiert, wird man auf die ein oder andere Weise auch noch was zukommen lassen – und damit hat es sich dann. Für die Nachkommen der gefallenen Staatsbediensteten muss die Allgemeinheit aufkommen.
                                                  Anstatt politische Forderungen zu stellen, macht der Professor seiner Inspektora einen Heiratsantrag und faselt von seinem ungeborenen Sohn, der dann auch Bankräuber werden soll, um die Familientradition zu bewahren. Wie schnell kann eine Handvoll Menschen denn Milliarden Euros ausgeben?
                                                  Dem Rest der Truppe ging es ohnehin nur um das schnelle Geld.

                                                  (Fast) Niemanden schaden, reich werden und sich dann auf die Insel der Glückseligkeit zurückziehen. Ein zeitloses Streben der Politikverdrossenen, zu denen m.E. auch ein Großteil der Wählenden zählt. Hätte man die Wahl zwischen seinem Alltag und der Utopie – viele würden die Utopie wählen.
                                                  Doch in dieser Utopie hört das Erzählen auf. Sie fliegen gen Sonne und die Geschichte muss enden, weil es nichts mehr zu berichten gibt. Sie leben ja jetzt unser Leben. Nur weit weg und sorgenfrei. Wer sollte sich davon unterhalten lassen?
                                                  Und am Ende haben wir den unbeteiligten Zuschauern aus der Serie plötzlich nichts mehr voraus. „Würde in Wirklichkeit ja eh nicht funktionieren, aber es war doch ganz spannend. Und die wollen ja auch nur vögeln und Nachwuchs in die Welt setzen.“
                                                  Und so gehen wir wieder zurück auf die Arbeit, auf der dann ein Wackelkopf mit Dali-Maske herumsteht, während nicht weit entfernt mächtige Personen mit unserem Finanzsystem spielen, weil wir nur schauen, aber nicht sehen. Bella Ciao

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                                                    Nepo ist in der 2. Turnierhälfte auseinandergefalle.
                                                    Magnus 7,5 - 3,5 Nepo

                                                    4 Verlustpartien, 7 Remis.
                                                    Heftig.

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