HansNase - Kommentare

Alle Kommentare von HansNase

  • 7 .5
    über Stalker

    Gratwanderer Andrei Tarkowski, dessen Filme westlich des Eisernen Vorhangs gefeiert, östlich davon geduldet und im Stillen geliebt wurden, war ein Würfler. Er wusste, was vom Publikum erwartet wurde - ein Grund mehr, die Erwartungen durchzuschütteln, umzukippen, neu zu definieren.
    Sowohl "Solaris" als auch sein letzter auf sowjetischem Boden gedrehter Film "Stalker" sind gewissermaßen Science-Fiction-Märchen, doch gebären sie sich so offen als mögliche Traumbegebenheiten, dass sie auch nicht mehr als eine skurrile Episode inmitten düsterer Realität sind.
    In "Stalker" ist diese Realität eine schwarzweiße Industrie-Einöde, die sich um eine mysteriöse "verbotene Zone" herum erstreckt. Ein seit langem abgeschottetes Gebiet voll bunter Farben, an dessen zentralem Ort, so munkelt man, die innigsten Wünsche der Menschen wahr werden. Kein Wunder also, dass das Betreten nicht gestattet ist, denn wer weiß, was sich die Leute wünschen...
    Drei Figuren wandeln auf den verwilderten Wegen hin zur Verwirklichung ihrer Sehnsüchte: Ein Schriftsteller, ein Physiker und ihr illegaler Führer, der "Stalker". Natürlich haben sie Wünsche, möchte man meinen, doch ist das wirklich solch eine triviale Angelegenheit? Muss man nicht vielleicht sogar davor Angst haben, wenn die Realität plötzlich auf dem Tablett serviert, wonach man im Innersten trachtet? Lebte Tarkowski nicht überdies in einer Welt, die sich das Streben nach Höherem abzugewöhnen drohte? Nein, ein solcher Ort hätte kaum sein dürfen, zumindest war die Welt ohne ihn besser dran, jedenfalls, wenn man der Philosophie von "Schriftsteller" und "Professor" glaubt. Die Schlusssequenz zeigt dann aber ein Kind in all seiner Unverdorbenheit, dass durch Geisteskraft Trinkgläser bewegt. Es ist eine Gegenüberstellung der Figuren, die eines verdeutlicht: "Stalker" zeigt die Etablierten und Erfolgreichen einer Gesellschaft - Doch sie haben ihren Status mit der Verdrehung ihrer menschlichen Natur bezahlt.
    Die "Zone", ihre Gäste, deren Gefangenheit - Es liegt nahe, dass "Stalker" für viele Menschen im Osten eine Oase dargestellt haben dürfte. Tarkowski war bald genötigt, die Sowjetunion zu verlassen, um weiterarbeiten zu können. Dieser Film hätte eine höhere Wertung durchaus verdient, doch erweckt eine zu starke Durschnittsnote den Eindruck, "Stalker" funktioniere auch durch schlichtes "Sich-Berieseln-Lassen". Das ist hier nicht der Fall, Tarkowski arbeitet mit außerordentlich langen Einstellungen, ausufernden Abstraktionen und Logiklöchern. Wer da mit falschen Erwartungen herangeht, nimmt sich die Möglichkeit, den Film mit eigenen Augen zu entdecken.
    "Stalker" kam seinen Machern teuer zu stehen. Ein vergifteter Fluss am Set verursachte Krebserkrankungen bei Tarkowski, seiner Frau, Hauptdarsteller Kaidanowski und Tarkowskis Lieblingsschauspieler Anatoli Solonizyn. Sie alle erlagen der Krankheit über kurz oder lang.

    2
    • 7

      Etwas ist faul im Staate Halloween! Kürbiskönig Jack, der Jahr ein, Jahr aus die große Spuk- und Schauershow veranstaltet, landet plötzlich im Weihnachtsland und stellt fest, dass er viel lieber Besinnlichkeit und Schnee über die Menschen bringen möchte. Also: Das nächste Weihnachten liegt ab sofort in den Händen der Hexen und Dämonen!
      Gedreht in liebenswerter Stop-Motion-Technik mit noch liebenswerteren Puppen, vermittelt dieses Musical die Idee einer Kritik an aufgezwungener Kultur. Mit Weihnachten und Halloween lässt "Nightmare Before Christmas" die beiden größten Lustbarkeiten der amerikanischen Konsumgesellschaft aufeinanderprallen und führt vor Augen, wie glorreich das Unterfangen scheitert. So sehr die einen Halloween auch lieben, so passt es längst nicht jedem in den Garten. Werden die Griesgrame nicht dennoch mit Plaste-Fledermäusen und Gummispinnen überhäuft, ohne etwas damit anfangen zu können?
      Die Idee, das Fest der Liebe in die zum Teil abgetrennten Hände von Zombies und Gespenstern zu legen, bietet aber von vornherein so viel Raum für Ideen, dass sich die Absicht von Regisseur Henry Selick und Mitproduzent Tim Burton wohl kaum auf diesen Hintergedanken reduzieren lässt.
      Denn die armen Kinder erleben an diesem besonderen Weihnachtsfest ihr schleimgrünes Wunder und das, obwohl es Frankenstein und co. doch gar nicht böse gemeint haben. Die Monsterchen von Halloween sind so überaus niedlich zusammenmodelliert worden, dass der Film auch für junge Augen nicht zu gruselig ist. Und somit darf sich der "vorweihnachtliche Alptraum" rühmen, ein Spaß für Jung und Alt (Schrägstrich: Tim-Burton-Fans) zu sein. Allen Moviepiloten wünsche ich frohe und geruhsame Feiertage!

      1
      • 7 .5
        HansNase 22.12.2015, 00:07 Geändert 22.12.2015, 00:15
        über Carol

        Das Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe ist im Kino inzwischen nicht mehr so auffallend neu, doch Todd Haynes' "Carol" ist ein schauspielerisches Duett von derartigem Weltformat, dass sich der eine oder andere neue Blick auf die Thematik eröffnet.
        Ein weihnachtliches Manhattan in den 50er Jahren: Therese (Rooney Mara) ist Spielzeugverkäuferin in einem Kaufhaus, als die elegante Carol (Cate Blanchett) auftaucht und eine Modelleisenbahn ersteht. Carol vergisst ihre Handschuhe. Therese lässt sie ihr zukommen, Carol zeigt sich dankbar, die beiden treffen sich. Und von Anfang an ist da diese Spannung. Ein Knistern, das im Amerika von damals besser in Stillschweigen zu verschwinden hatte. Beide stecken in dem für Frauen von damals vorgesehenen Leben fest. Der Konflikt ist vorprogrammiert, denn Carols scheidender Ehemann fühlt sich in seiner Ehre von ihrer wahren Gesinnung vergiftet. Zu allem Übel gefährdet die sich anbahnende Beziehung das Sorgerecht für ihre Tochter.
        Gemein haben Blanchetts und Maras Leistungen lediglich, dass sie beiderseits umwerfend sind. Ansonsten könnten ihre Figuren unterschiedlicher kaum sein. Carol ist eine typische Cate-Blanchett-Rolle: Haare auf den Zähnen, selbstsicher, tödlich verführerische Blicke, grazil mit Zigarette und Cocktail-Mütze.
        Glatt interessanter ist hier Rooney Mara, deren Therese mit niedlichem Ja-Sager-Charme verzückt. Sie erzeugt Präsenz durch Zurückhaltung und ist die Figur mit der auffälligeren Entwicklung. Denn während Carols homosexuelle Gefühle auch für Außenstehende bereits bekannt sind, lernt Therese diese erst kennen. Und so wie zwischen Schlange stehenden männlichen Verehrern die wahren Gefühle von Therese hervorkriechen, wird deren Natürlichkeit besonders gut deutlich.
        Dieses Drama ist von mäßigem Tempo, das 50er-Jahre-Feeling dafür umso mehr beispiellos. Tolle Autos, Musik von Billie Holiday, alte Kodak-Kameras, Mode, Spielpuppen, Einrichtung - Alles ist dabei und hinter so manchem Hinterhoffenster könnte man sogleich James Stewart mit Gipsbein und Fernglas vermuten.
        So tragisch "Carol" letztlich ist, so tolle Momente hat es gerade auf den letzten Metern zu bieten. Cate Blanchetts Protagonistin schafft es in einer Szene am Ende nicht nur, den Zuschauer zu knacken, sondern auch ihre Widersacher, und das durch nichts weiter als pure Menschlichkeit. Der abschließende Dialog zwischen ihr und Rooney Mara ist dann übrigens zum Einrahmen. Einfach perfekt. "Carol" lässt die Gefühle von Menschen wie Rock Hudson und Montgomery Clift leise erahnen.

        1
        • 7 .5

          Island, dieses frostige Land von der Größe Bulgariens und der Einwohnerzahl Bochums beginnt, eine merkliche Filmlandschaft zu entwickeln. "Everest"-Regisseur Baltasar Kormákur war so zuletzt auch als Produzent tätig und brachte den Berlinale-Beitrag "Virgin Mountain" von Dagur Kári in die Kinos.
          Dagur Kári stammt gebürtig von der Côte d'Azur, studierte in Kopenhagen und arbeitete schon mit den Hollywood-Größen Brian Cox und Paul Dano zusammen.
          Seinem jetzigen Hauptdarsteller Gunnar Jónsson dagegen macht das Herumkommen gar nicht so sehr Spaß, auf dem europäischen Festland zu leben wäre ihm viel zu warm. Dennoch ist der Teilzeitkomiker regelmäßig in der Küche von Frachtschiffen unterwegs. In einer solchen war er auch, als er das Skript von Kári erhielt, der es eigens für Jónsson geschrieben hatte. Noch eine ganze Spur zurückgenommener als dieser zeigt sich der von ihm gespielte Protagonist Fúsi, ein übergewichtiger, eigenbrötlerischer Außenseiter. Fúsi, ein Mann von über 40 Jahren, daheim bei seiner Mutter und ohne jegliche romantische Erfahrung von Zweisamkeit, fristet seinen Alltag als Flughafenarbeiter und Modellbauer. Wird er von seinen Mitarbeitern gedemütigt, tröstet er sich mit nachgestellten Panzerschlachten darüber hinweg. Sein Leben besteht aus Routine, bis ihm ein Gutschein für einen Line-Dance-Kurs zukommt.
          Dies ist ein Film mit gaaanz viel Herz. Fein dosierte Komik wechselt sich in langsamem Tempo mit Momenten ehrlichen Schmerzes ab. Der Antiheld befindet sich, zur allgemeinen Ernüchterung, in einem Dilemma. Als Mobbing-Opfer kann er sich zwischen Stagnation und leisen Versuchen, aus dem Kreis auszubrechen, entscheiden. Doch Zweiteres läuft Gefahr, nur zu mehr Ablehnung zu führen. Zum Glück demontiert Dagur Kári die Ausweglosigkeit ein Stück weit und es treten sogar bald die großen Gefühle in Fúsis Leben. Denn einen enormen Trumpf hat er im Ärmel. Neben seinen großen Ausmaßen hat er auch ein gütiges Herz. Deswegen und wegen der skandinavisch-genialen Schneebilder und der minimalistisch-melancholischen Vertonung wird es einem bei diesem Island-Film trotz eisiger Temperaturen schnell wieder warm.

          4
          • 9 .5
            HansNase 18.12.2015, 01:35 Geändert 29.01.2016, 19:08

            Vor 2 Wochen verkündete J. J. Abrams, "an die Magie von George Lucas" reiche er nicht heran. Nun, 24 Stunden nach dem Wiedererwecken des größten Blockbuster-Phänomens aller Zeiten klingt er wie ein J. J. Abrams, der eine gewonnene Partie Mensch-ärgere-Dich-nicht gegen George Lucas versucht, klein zu reden.
            Doch gesenkte Erwartungen waren womöglich ein guter Schachzug. Denn zugegeben, als 1977 ein Film in die Kinos kam, dessen Titel "Krieg der Sterne" allein schon mehr versprach, als man sich damals vorzustellen vermochte, muss es den Zuschauern wie eine sich öffnende Leinwand vorgekommen sein, aus der ein Raumschiff fliegt. George Lucas holte ein Erlebnis hinein in den Kinosaal, wie es kein 3D-Effekt nachahmen kann.
            Ein weiteres Eingeständnis: "Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht" hatte bereits dadurch unweigerlich gewonnen, da die Sichtung am Tag des Kinostarts eine mitreißende Masseneuphorie versprach. Männer in Jedi-Mänteln, Frauen mit Prinzessin-Leia-Frisuren, das eine oder andere Plaste-Laserschwert tummelten sich im prall gefüllten Kino. Und spätestens beim Ertönen der Fanfare aller Fanfaren verriet der Blick nach links und rechts: Star Wars ist ein Mythos, ein Lebensgefühl, ein kulturelles Erbe des 20. Jahrhunderts.
            "Star Wars VII" passt in das Jahr 2015 wie die Faust aufs Auge. Es war das Jahr der Nostalgie, des Wiederaufleben-Lassens alter "Klassiker" - oft mehr schlecht als recht. Die Dinos waren los, Schwarzenegger kam wieder, "Mad Max" wütete furios durch die Lichtspielhäuser der Welt. Doch vor jedem dieser Filme lief der Trailer zum "Erwachen der Macht". Hat der Appetitmacher zuviel versprochen? Erwartet werden durfte viel, denn J. J. Abrams ist bekanntlich ein Guter. Die Nostalgie wurde in seinem Weltraumabenteuer dann auch sehr hoch gehängt, bald schon zu hoch. Abrams versteckt viele seiner Ostereier, angelehnt an die alte Trilogie, noch nicht einmal mit Mühe und liefert sie am Fließband - unnötig. Denn was "Jurassic World" noch zugute kam - viel mehr hatte die Neuauflage des Saurierabenteuers kaum zu bieten, hat "The Force Awakens" gar nicht nötig.
            Denn ansonsten macht J. J. Abrams genau das Richtige: Er versteht die Marke "Star Wars" nicht als eigenes Genre, sondern lediglich als einen (unverhältnismäßig) hohen Qualitätsanspruch. Und worin besteht dieser? Wie schon damals in nicht mehr und nicht weniger als bester Unterhaltung. Und deshalb hat er richtigerweise aus Episode VII einfach seinen ganz eigenen Film gemacht und das, obwohl der grobe Plot einem Remake von Teil IV nahekommt.
            Anders als die Prequel-Trilogie bleibt die siebte Episode eng an den Hauptcharakteren und ist dadurch ungemein spannend. Tolle Kamera, kunstvolle Schnitte, handgemachte Effekte, eine Optik mit Wiedererkennungswert verhelfen Abrams' größen-, ja geradezu "größtenwahnsinnigen" Vorhaben zum Erfolg. Eine Story, die so manchem in die Suppe spuckt, weiß zu überraschen und die neuen Hauptcharaktere wurden toll ausgesucht. Allen voran Daisy Ridley, die eine eigenständige, würdige Figur abgibt. Für Nebenrollen wurden keine Kosten gescheut, Max "Der Exorzist" von Sydow, Andy "Gollum" Serkis und Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong'o sind mit am Start. Dazu die irren Kampfsport-Künstler Yayan Ruhian und Iko Uwais aus dem indonesischen "The Raid", die hier allerdings verschwindend zum Tragen kommen. Unter den Altstars überzeugt Harrison Ford - Carrie Fisher dagegen spielt in Hayden-Christensen-Modus.
            Ohne große Zeitsprünge bekommt man irre Verfolgungsjagden, Kampfszenen und Wendungen geboten, die mit guten Ideen unterfüttert wurden. Begleitet wird das Ganze von der zum Teil alten, zum Teil erfrischenden neuen Musik des Altmeisters John Williams. Ein Segen, das er noch vor seiner Erkrankung diesen Soundtrack hingelegt hat, der sich auf einem von ihm lange vergessenen Niveau bewegt. Gute Besserung.
            Wem "Star Wars: Episode VII" dennoch missfällt, der möge innehalten und sich ins Gedächtnis rufen: Denk an Jake Lloyd. Denk an Jar Jar Binks.

            2
            • 7 .5

              "Die Feuerzangenbowle" oder "Die Erfindung des Event-Films": Dass sich ein über 70 Jahre alter Schwarzweiß-Streifen nach wie vor bei Jung und Alt solch großer Beliebtheit erfreut, ist ein unschätzbarer Segen. Vor allem zu Zeiten, da bereits "Matrix" oder "Catch Me If You Can" durch so manchen Kleinkaroisten zu den alten Schinken gezählt werden. Doch selbst engstirnigste Blockbuster-Fans, die um monophone Grau-in-Grau-Filme im 4:3-Format für gewöhnlich einen weiten Bogen schlagen, kommen heute oft nicht um "Die Feuerzangenbowle" mit dem guten Heinz Rühmann als keckem Schuljungen und einem legendären Erich Ponto als Lehrer "Schnauz" herum. Der Komödie spielt natürlich in die Karten, dass es "das Getränk zum Film" gleich dazu gibt und somit oft Heimkinoabende mit Glühweintopf, brennendem Zuckerhut und vorweihnachtlichem Ambiente veranstaltet werden. Doch auch das kunterbunte Schulabenteuer selbst hat seinen Charme nie verloren, da Filme wie diese heute nicht mehr gemacht werden - und würde man das versuchen, so wirkte es gestelzt und peinlich. Es sind dieser unschuldige Humor, die Eleganz des Schabernacks, es ist die Frechdachserei auf Augenhöhe, welche es inzwischen so nicht mehr gibt. Der Zwiespalt zwischen Spaß haben, sich necken auf der einen Seite und einem respektvollen Umgang andererseits birgt eine Sehnsucht in sich. Manchmal tut sich das Gefühl auf, der Grad an Gemeinheit im Film und außerhalb würde heute all zu oft als Messlatte empfunden. Nicht so in "Die Feuerzangenbowle", dem Film mit dem träumerischsten Schlusssatz überhaupt.

              2
              • 8 .5
                HansNase 14.12.2015, 00:06 Geändert 22.12.2015, 01:28

                Als im vergangenen Monat die chilenische Regierung verlauten ließ, dass der wohl bekannteste Schriftsteller des Landes und Nobelpreisträger Pablo Neruda 1973 doch einem "möglichen und sehr wahrscheinlichen" Giftmord zum Opfer gefallen war, bestätigte sich damit eine lange Vorahnung. Als einer der politisch aktivsten Dichter des 20. Jahrhunderts, hatte sich Neruda lange Zeit auf der Flucht und im Exil aufgehalten. Von einem solchen Exilaufenthalt erzählt Michael Radfords italienische Tragikkomödie "Der Postmann" von 1994. Hier geht es jedoch weniger um wahre Begebenheiten, sondern vielmehr um Vermögen und Unvermögen der Dichtkunst.
                So verlagert der britische Regisseur Nerudas Italien-Intermezzo von der Insel Capri bei Neapel auf die Insel Salina, nahe Sizilien und stützt sich auf die Geschichte eines Romans von Antonio Skármeta, der auf der chilenischen Isla Negra spielt. Es ist also 1952 und der in Italien wie ein Popstar gefeierte Neruda (Philippe Noiret) bekommt einen eigenen Briefträger zur Verfügung gestellt, für Fanpost und Nachrichten aus der Heimat. Der Postmann Mario Ruoppolo (Massimo Troisi) hat jedoch so rein gar nichts mit dem großen Lyriker gemein, ist unpolitisch und kann gerade so lesen. Dennoch will er Neruda kennenlernen und ihn bald um Hilfe bitten - Mario möchte das Spiel mit den Worten erlernen, um seine große Liebe Beatrice (Maria Grazia Cucinotta) zu erobern.
                Mit dem Kommunisten Neruda als Hauptfigur, spielen politische Gedichte in "Der Postmann" keine unbedeutende Rolle. Doch nähert sich dieser Film mit italienischem Witz und Charme dem Thema Lyrik vor allem auf einer emotionalen Ebene an. Umgeben von wunderschöner (Oscar-prämierter) Musik und einem wahrhaftigen Mittelmeer-Paradies funktioniert "Il Postino" trotz einiger Längen vor allem durch schauspielerische Feinheiten so gut. Auf der einen Seite ist Philippe Noiret. Er spielt einen Pablo Neruda, der über jeden Zweifel erhaben ist und damit so, wie es jener große Schauspieler auch von sich selbst behaupten durfte. Auf der anderen Seite ist Massimo Troisi, der Mann, der diesem Drama seinen bitteren Beigeschmack verlieh.
                Troisi, damals 41 Jahre alt, spielte den Postmann, während er selbst herzkrank war und täglich nur wenige Stunden drehen konnte. Der einfältigen Figur des Mario Ruoppolo verlieh das ein ruhiges, fragiles, liebenswertes Naturell. Ruoppolo wird zu dem Mann, der sich für die Dinge von wirklichem Belang interessiert. Und damit dem Mann, der die Poesie so zu schätzen wissen wird, wie es sich ein Pablo Nerudo nicht sehnlicher hätte wünschen können. Einen Tag nach Ende der Dreharbeiten starb Massimo Troisi.
                Doch darf man hier gern die Aussage des Films beim Wort nehmen: Manch Abschied hinterlässt mehr, als er hinfort reißt. Dank der Poesie. Dank der Kunst im Allgemeinen.

                2
                • 8
                  HansNase 08.12.2015, 16:51 Geändert 08.12.2015, 16:52

                  "Der erste Action-Film überhaupt" - Manch einer denkt da an Alfred Hitchcocks "Der unsichtbare Dritte" von 1959, manch anderer an Akira Kurosawas "Die sieben Samurai" von '54. Dabei brachten bereits die Zwanziger viele wesentliche Elemente des modernen Action-Genres mit.
                  Joseph "Buster" - der "Brecher" - Keaton, dessen Vater Joe einst mit Harry Houdini tourte, soll seinen Spitznamen von eben jenem Zauberkünstler bekommen haben. So habe Keaton nicht einmal als Baby eine Miene verzogen, als er eine Treppe herunterfiel. Die starre, unbeeindruckte Mimik wurde sein Markenzeichen, zumal zu Zeiten, als das Gesicht das wichtigste Werkzeug des Filmschauspielers war.
                  Bis 1926 war Keaton am Höhepunkt seiner Karriere. In dieser Zeit entstand "Der General", sein heute bekanntester Film. Sich auf eine wahre Begebenheit von 1862 stützend, beschreibt Keaton mit unzähligen Slapstick-Gags den Überfall von Unionssoldaten auf eine Lokomotive, genannt "General", inmitten des Sezessionskriegs, der der Zerstörung von Versorgungswegen dient. Der tollpatschige Lokomotivführer Johnny Gray (Keaton) möchte sein stolzes Gefährt nicht einfach so hergeben und nimmt die Verfolgung auf.
                  Für Keaton war "Der General" der Anfang vom Ende. Sein Perfektionismus und eine der teuersten Szenen der damaligen Zeit, in der der Zug schließlich mitsamt einer gesprengten Brücke in den Fluss fällt, machten seinen Lokomotivfilm zur Geldverbrennungsmaschine. Der nötige Erfolg blieb anschließend aus - Eines der Probleme: Die üblichen Projektoren spielten den Film so langsam ab, dass sich die Zuschauer langweilten. Erst als Keatons Stern längst verflogen und der Tonfilm lange etabliert war, erhielt "Der General" sein verdientes Ansehen.
                  Die Authentizität der Ausstattung war damals beispiellos und der Film befolgt eine so klare Linie, dass er heute noch begeistern kann. So besteht er fast ausschließlich aus zwei Verfolgungsjagden entlang der fortwährenden Schienen. Die Stunts sind dabei so einfallsreich, oft irre komisch und nicht selten waghalsig, dass man knapp 90 Jahre danach immer noch den Hut ziehen darf.
                  Für das Kino, seine Leidenschaft, hatte sich Keaton auf die Pleuelstange der Lokomotive gesetzt, hatte er Häuser auf sich fallen lassen, hatte er buchstäblich gelitten. Nach der Stummfilmzeit kamen Alkohol, Scheidung und Vergessenheit.

                  2
                  • 8
                    über Sieben

                    David Finchers Klassiker "Sieben" von 1995 gilt nach 20 Jahren zu Recht als Klassiker des Krimigenres, doch gibt es ein zwiespältiges Urteil über diesen Status.
                    Kommt inmitten der Wolkenkratzer des namenlosen Schauplatzes fortlaufend der Himmel herunter, bieten sich drinnen den von Brad Pitt und Morgan Freeman gespielten Detectives Tatorte, wie sie Hieronymus Bosch nicht schauriger hätte malen können. Der Serienkiller John Doe bringt seine Opfer nach dem Schema der 7 Todsünden um.
                    "Sieben" ist ein Thriller mit toller Optik, guten Schauspielern, brettharten Twists und einer runden, markerschütternden, einmaligen Schlussszene. "Sieben" ist spannend, sehr sogar. "Sieben" bietet genug, um ein Film der besonderen Art zu sein.
                    Finchers Film sitzt aber einer naiven Interpretation der 7 Todsünden auf. So stellen diese in Wirklichkeit Tore zum Verbrechen dar. Ihre große Bedeutung, sowohl im Mittelalter als auch heute, besteht darin, dass sich die Motivation hinter den schändlichsten Taten des Menschen in der Regel auf diese sieben Laster reduzieren lässt. So wird die Völlerei (oder Maßlosigkeit) im heutigen Kontext zum Beispiel dadurch zur "Todsünde", dass wir durch sie Massentierhaltung billigen. Im Film jedoch wird ein Mann im Zeichen jener "Sünde" ermordet, einfach weil er maßlos dick ist. Der Killer begründet die vermeintliche Schuldhaftigkeit jenes Mannes sogar schlicht mit seiner unappetitlichen Erscheinung. Nur in Ansätzen wird herausgearbeitet, dass es die Taten sind und nicht die Gefühle (Wollust/Faulheit/Habgier ...), welche Menschen zu "Sündern" machen. Wo doch John Doe die Gesellschaft durch seine Morde anprangern will (und zumal Fincher seinen Film so offensichtlich auf die Message dieses Psychopathen zumünzt), ist das zu wenig. Das des Neides "schuldig gesprochene" Opfer wird dann von John Doe unter einem besonders dünnwändigen Vorwand gerichtet. So ist dessen Tat in Wirklichkeit nicht durch Neid motiviert, sondern durch den Wunsch nach der Sünde selbst und der Mord wird so zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Hätte man diesen Stolperstein in der Logik genutzt, um John Doe schließlich blöd aus der Wäsche gucken zu lassen, gäbe es vermutlich nichts zu beanstanden.
                    Ohnehin bleibt "Sieben" ein unterhaltsamer Kriminalfilm von seltener Wucht.

                    1
                    • 7
                      HansNase 06.12.2015, 13:01 Geändert 16.12.2015, 02:37

                      Wenig Worte. Viel Wasser. Platsch.

                      1
                      • 6 .5
                        HansNase 04.12.2015, 00:20 Geändert 04.12.2015, 01:45

                        Ein Spielberg-Film ohne John-Williams-Soundtrack, eine Tom-Hanks-Synchronisation ohne Arne Elsholtz und eine Tom-Hanks-Rolle, wie immer, ohne jede Fehlbarkeit. Dafür aber ein brillanter Nebendarsteller. Und ein sächselnder Sebastian Koch - Hilfe!
                        Doch von vorn: "Bridge of Spies" erzählt die wahre Geschichte des Juristen James Donovan (Hanks), der 1957 den enttarnten sowjetischen Spion Rudolf Abel (Mark Rylance) vor Gericht verteidigen soll. Der Prozess geht standesgemäß verloren und Abel kommt ins Gefängnis. Die Todesstrafe jedoch kann Donovan abwenden - Schließlich könne man den Spion als Austauschkandidat für potentielle US-Gefangene der Sowjetunion gebrauchen. Donovans Ahnung wird sich bestätigen. Dem nicht genug, auch in Verhandlung mit der jungen DDR stellt Abel bald ein nützliches Druckmittel dar.
                        Steven Spielbergs neues Geschichtsdrama beginnt furios. Ohne Musik und arm an Worten, dafür umso rastloser wird die Verfolgung des Ostblock-Spitzels durch eine Dutzendschaft unauffälliger Hutträger gezeigt. Das Ganze mitten im New York der 50er Jahre. "Bridge of Spies" entwickelt sich danach jedoch zu einem enttäuschend mediokeren Film, zumal, als sich die Handlung in das geteilte Berlin verlagert. Da sehen die Bilder so gar nicht mehr nach Spielberg aus, eher nach, welch Wunder, Babelsberg, um nicht zu sagen: Berlin - Tag und Nacht. Dazu stellt Spielberg die DDR der damaligen Zeit als unorganisierten Haufen von Wichtigtuerei dar, der seine Rolle als Handlanger des sogenannten "großen Bruders" zu verschleiern versucht. Das muss man nicht verwerflich, noch nicht einmal unwahr finden, doch tut jener namhafte Regisseur dies allzu offensichtlich nur, damit die Handlung seines Films am Ende Sinn ergibt.
                        Zweierlei Personalien sind dazu gewöhnungsbedürftig. Nachdem Spielbergs Stammkomponist John Williams ("Der weiße Hai"/"E.T."/"Jurassic Park"...) gesundheitsbedingt nicht mitmischen konnte, sprang Thomas Newman ein, der hier mal wieder angenehm nach sich selbst und alten "Findet Nemo"-Zeiten klingt. Im deutschen Kino reibt man sich derweil die Ohren, weil Tom Hanks nicht durch Arne Elsholtz' Stimme, sondern die von Joachim Tennstedt zu Wort kommt (wenn auch nicht zum ersten Mal). Bei Elsholtz machte zuletzt die Zunge nicht immer das, was sie sollte, ebenfalls wohl aus gesundheitlichen Gründen. Und somit hört sich der Held des Films nun eben an wie Bryan Cranston oder der "Dude".
                        Nicht Hanks, sondern ein sich eigentlich dem Theater Verschriebener hinterlässt nach "Bridge of Spies" den stärksten Eindruck. Mark Rylance als sowjetisches Denkmal aus steinernem Stoizismus katapultiert sich in den Fokus der Hollywood-Gemeinde. Im Gesichts-Mikado würde er wohl sogar gegen Buster Keaton, Spencer Tracy und Bill Murray gewinnen. Eine bestechende Underacting-Leistung.
                        Am Ende zieht auch der ganze Film noch einmal an. So wird es interessant, als sogar die bloße Fußbewegung zwecks des Geradeaus-Laufens zur Gratwanderung für jene Akteure des Kalten Krieges wird.

                        2
                        • 9 .5
                          HansNase 02.12.2015, 18:58 Geändert 31.12.2018, 01:06
                          über Troll 2

                          Es erscheint paradox, dass ein schlechter Film bessere Wertungen bekommen kann als ein quälend mittelmäßiger. Aber so abwegig ist das gar nicht, schließlich bietet die Kunst des Misslingens umso mehr Möglichkeiten, einen Neuwert an filmischer Darbietung zu schaffen. Mit anderen Worten: Das hat die Welt noch nicht gesehen. Und "Troll 2" ist solch ein Film.
                          Eine amerikanische Bilderbuchfamilie, wie sie anno 1990 eben so aussah, fährt in den Urlaub. Reiseziel: ein Ort mit dem mysteriösen Namen Nilbog. Sohn Joshua erhält aus dem Jenseits eine Warnung von seinem Opa Seth. So lauere in der Stadt das Böse, Goblins trieben dort ihr Unwesen mit dem Ansinnen, alle Eindringlinge in Pflanzen zu verwandeln... um sie dann zu essen.
                          Wenn es heißt: "Den muss man im Original sehen," meint das im Normalfall, dass die darstellerischen Leistungen durch eine Synchronisation geschmälert würden. Hier jedoch wertet die deutsche Tonfassung das schaurige Treiben nur unnötig auf! Außerdem verschleiert die Synchronisation, dass die titelgebenden "Trolle" im Film gar nicht vorkommen. Kurzfristig hatte man sich entschieden, auf den (eigentlich überschauberen) Erfolg von "Troll" (1986) aufspringen zu wollen und nannte diese Leinwandarbeit prompt "Troll 2". Die schauderhaft beknackten Masken der heimtückischen Grinsemonster stellen in Wirklichkeit aber das Antlitz von Goblins, also Kobolden, dar. Von vegetarischen Kobolden, um genau zu sein, die beim Anblick einer Bratwurst Schreie der Qual ausstoßen. So ähnlich klingen auch die meisten Gefühlsausbrüche der übrigen Schauspieler, darunter der übertriebendste "OH MY GOOOD"-Schrei der Filmgeschichte. Erstaunlicherweise wird "Troll 2" durch die völlig klobige Synthie-Mucke, die lausigen Effekte voll von grünem Glibber, das herrliche Overacting, die immer wieder schwer nachvollziehbaren Drehbucheinfälle und die pornoartige Kamerabewegung niemals langweilig. [SPOILER] "Oh nooo, they're eating my mum!" Hahaha. Fänd ich auch blöd.

                          2
                          • 2 .5
                            HansNase 01.12.2015, 15:30 Geändert 31.12.2018, 01:05
                            über Troll

                            Im 21. Jahrhundert brauchten sie 8 Filme für einen Harry Potter, 1986 reichte 1 Film für 2 Harry Potters! In "Troll" ziehen Harry Potter Sr. (Michael Moriarty, der mit Cathy Moriarty nichts zu tun hat), sein Sohn Harry Potter Jr. (Noah Hathaway, der mit Anne Hathaway nichts zu tun hat) sowie dessen Mutter Anne und seine Schwester Wendy in eine neue Wohnung. Wendy macht dort direkt Bekanntschaft mit einem haarigen Kellertroll, der von ihrem Körper Besitz ergreift. Daraufhin fällt Wendy über die übrigen Bewohner des Hauses her, darunter Jeanette Cooper (Julia Louis-Dreyfus, die tatsächlich die Cousine von Ex-Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus ist). Die Opfer verwandeln sich umgehend in einen Zauberwald, der weitere grinsende Schleim-Dämonen birgt.
                            "Troll", der unfreiwillige Vorgänger des Trash-Klassikers "Troll 2" bietet selbst Anlass zum mitleidigen Schmunzeln. Allerdings ist der eine oder andere Dialog immer noch "zu schön", das Schauspiel hie und da "nicht kacke genug" und die Musik mit viel zu viel "Mühe gemacht", als dass sich die Verärgerung in ein vollständiges Vergnügen umkehrt. 2016 kommt, ebenfalls unter der Regie von John Carl Buechler ein Remake in die Kinos (oder ins Fernsehen... oder nicht), das vielleicht zeigen wird, wie man es besser oder lieber: "schlechter", macht.

                            3
                            • 7

                              Paolo Sorrentino ist die neapolitanische und vor allem mitteilungsbedürftigere Form von Terrence Malick. Er steckt konkrete Ideen in metaphorische Bilder wie kein Zweiter, führt Motive ein, die zunächst seltsam erscheinen, greift erst lange Zeit später wieder darauf zurück und lässt sie auf einmal in einem solchen Licht erstrahlen, dass sie Sinn ergeben. Nach "La Grande Bellezza" (Fremdsprachen-Oscar 2014) erzählt Sorrentino nun in "Ewige Jugend" von, nun ja, eigentlich nichts weiter als einem Edelhotel-Aufenthalt in den Schweizer Alpen.
                              Zwei der kaufkräftigen Gäste sind die gemeinsam gealterten Langzeitfreunde Fred (Michael Caine) und Mick (Harvey Keitel). Fred ist (oder besser "war") Komponist, doch möchte er von seinem Metier nichts mehr wissen. Nicht einmal ein Konzert für die britische Queen ist ihm Anlass genug, den Taktstock wieder in die Hand zu nehmen. Seine einzigen Konzerte sind taggeträumte Kuhglocken-Partituren auf den alpinen Wiesen, die er von einem Baumstumpf aus dirigiert. Mick, indes, ist (oder besser "war") Regisseur, doch seine großen Tage sind vorbei und dennoch legt er sein gesamtes Herzblut in ein letztes filmisches "Vermächtnis". Zur Fertigstellung des Drehbuchs lässt er eine Gruppe junger Köpfe für ihn mitdenken.
                              Auch wenn sich der Großteil dieses, salopp gesagt, dahinplätschernden Films in der abgehobenen Absteige der Reichen und Schönen abspielt, begegnet man an jeder Ecke verrückten Ideen, ebenso brillant wie konsequent in ihrer Umsetzung. Die fabulöse Kamera von Luca Bigazzi gleitet durch das venezianische Acqua alta, es ereignen sich kleine Action-Szenen mit Rollstühlen, geschmacklose Musikvideos werden zur Horror-Mär. Dazu ein Fleischklops von einem (wohl argentinischen) Ex-Fußballstar und eine waschechte Jane Fonda. Paolo Sorrentino hüpft von Erzählstrang zu Erzählstrang auf eine Art, dass sich die Szenen gegenseitig unterstützen. Im Kern geht es um das Altern und das, was dadurch immer größer wird: die Vergangenheit. In "La Grande Bellezza" vermochte es der Regisseur ein Stück weit mehr, seine zentrale Idee auszuformulieren. Doch der einmal mehr gestalterischen Perfektion, der famosen Schauspieler und des musikalischen Genusses wegen ist Erbarmen geboten. "Ewige Jugend" - ein Film für die große Leinwand - So groß eine Arthouse-Leinwand eben sein kann.

                              1
                              • 7

                                Die Teenager Greg (Thomas Mann) und Earl (RJ Cyler) drehen bereits seit Kindheitstagen trashige Filmparodien wie "Strumpfwerk Orange" und "Der 14-Uhr-48-Cowboy". Doch dann tritt Rachel (Olivia Cooke), eine bis dato entfernt bekannte Mitschülerin, in ihr Leben. Sie hat Blutkrebs und Greg wird von seiner Mutter zu etwas Beistand gegenüber Rachel überredet - eher widerwillig. Und so prallen in Gregs Leben und Alfonso Gomez-Rejons Drama Filmrealität mit realer Realität immer wieder aufeinander. Es ist einer jener Tagtraum-gespickten, schönen Filme - leicht anzuschauen - dessen anspruchsvollere Stellen netterweise gut gekennzeichnet sind. Und doch ist "Ich und Earl und das Mädchen" von intelligentem Tonfall und einem gewissem Neuwert an Erzählkunst. Es ist ein einfallsreicher Film über Freundschaft und das, was Freundschaft bewirken kann. Das ist sicher nun wirklich nicht neu, aber hier wird nicht einfach irgendein bedeutungsvoller Satz über den Stellenwert von Freunden hingerotzt und das Gesagte danach durch eine Beispielsituation belegt. Hier wird berücksichtigt, dass Freundschaft nicht einfach plötzlich da ist. Sie entwickelt sich nach und nach und auch, wenn sie da ist, besteht sie nicht nur aus großen Augenblicken, sondern auch aus Routine, aus Zeitvertreib, aus schöneren wie graueren Momenten. Tolle Gesten, dicke Knalle und zärtliche Versöhnungen sind dagegen nicht die Regel - in der Regel. Leider wartet Gomez-Rejon dann doch mit erzählerischer Effekthascherei auf, die ohne triftigen Grund den Film umwirft. Das wird erst am Ende durch eine fabelhaft bebilderte Schlussszene wiedergutgemacht.

                                1
                                • 10

                                  David Fincher und M. Night Shyamalan schauen in ernüchterte Augen, aus denen nach einem ihrer Filme schon wieder die Frage drängt: "Hmm, das soll die große Überraschung gewesen sein?" Wer hat diese Verwöhntheit des Publikums an Twists und Mindfuck eigentlich verschuldet? War es Alfred Hitchcock? Bryan Singer? Christopher Nolan? Sie alle waren es (und um Fincher und Shyamalan gerecht zu werden - sie ebenfalls). Doch ganz besondere Überraschungseier hielt auch der große Billy Wilder parat. Ein wahrer Leckerbissen aus dem Jahre 1957 endet mit den Worten: "In diesen Film werden Sie Ihre Freunde und Bekannten hineinschicken. Aber bitte - Verraten Sie ihnen nicht den Schluss! Bringen Sie sie nicht um die erregende Spannung der letzten Minuten. 'Zeugin der Anklage'."
                                  Wilder, der vor seiner Zeit in Amerika bereits in Krakau, Wien, Berlin und Paris gelebt und große Teile seiner Familie durch den Holocaust verloren hatte, war in seinem Humor unbeirrbar gewesen. "Zeugin der Anklage" ist einer seiner ernsteren Filme und dennoch gespickt mit scharfzüngigen Sprüchen. Der wohlbeleibte Rechtsanwalt Sir Wilfrid (Charles Laughton) wird kurz nach überstandenen Herzproblemen von seiner Krankenpflegerin Miss Plimbol (Laughtons Ehefrau Elsa Lanchester - Ein Heidenspaß, beide sich triezen zu sehen!) schnippisch zu Ruhe und Unaufgeregtheit verdonnert. Das gerät jedoch aussichtslos, als der vermeintliche Mörder Leonard Vole in seiner Kanzlei auftaucht und um einen Rechtsbeistand bittet. Vole wird vom früh verblichenen Tyrone Power gespielt, dem Vater der Sängerin Romina, die 1982 mit Al Bano zusammen den Karaoke-Evergreen "Felicità" schmetterte. Gut, mit dem Film hat das jetzt nichts zu tun, aber herrje, ich liebe dieses Lied! Und so wie es "das Glück" - "la Felicità" - ist, "ein Glas Wein" zu trinken, "sich an der Hand zu halten" und eine "Geburtstagskarte voller Herzchen" zu erhalten, so ist es auch ein Glück, eine treue Ehefrau zu haben. Eine Ehefrau, die einem mit der Bestätigung eines Alibis den Hals aus der Schlinge retten kann. Leonard Voles Hoffnungen ruhen da auf seiner Gattin Christine, die mit dem markant schönen Gesicht von Marlene Dietrich ins Bild tritt...
                                  "Zeugin der Anklage" ist wie eines dieser Kissen, an denen man einen Reißverschluss aufziehen kann, um es zu einem Teddybären umzukrempeln. Der Unterschied: Krempelt man dieses hier wieder zurück, steht plötzlich eine Ente da.

                                  3
                                  • 8
                                    HansNase 22.11.2015, 00:05 Geändert 22.11.2015, 16:07
                                    über Liebe

                                    In 125 Jahren Filmgeschichte fanden so manche Zweigespanne zueinander. Es waren die O'Haras und Butlers, die Bogarts und Bergmans, die Simbas und Nalas. Was erwartet man also von einem Leinwanddrama, dass sich die große Überschrift der "Liebe" zum Titel nimmt?
                                    Michael Haneke wirft alle Gewohnheiten eines Liebesfilms über Bord. Offensichtliche Zärtlichkeiten, majestätische Kalendersprüche und den Spannungsbogen eines klassischen Dramas sucht man vergeblich, ja, "Amour" ist noch nicht einmal ein "Liebesfilm" und dennoch ein Film, der durch und durch von Liebe handelt.
                                    Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva spielen das Pariser Pärchen Georges und Anne, die sich im Herbst ihres Lebens vor allem der klassischen Musik widmen. Anne, die einst elegant über die Tasten ihres Klaviers tigerte, fällt jedoch eines Tages in eine rätselhafte Starre. Dem kurzen Moment der Sorge folgt ein Weg den Berg hinunter. Eine Operation. Eine gelähmte Hand. Rollstuhl. Die absolute Abhängigkeit von Georges. Dessen unbestechliche Unterstützung.
                                    Das ist die Liebe, von der Haneke erzählt. Jene, die keine Worte braucht. Jene, die einfach da ist. Damit entreißt er seinen Film dem Appetit des Publikums, das nach großen Gefühlen, nahbar und einfach zu fassen, trachtet. Musik wird nur gespielt, wenn sie selbst in der Handlung vorkommt. Ansonsten nicht im Vorspann. Nicht im Nachspann. Nicht im Off. Haneke hasst es, wenn seine Audienz ganz unvermittelt die Taschentücher zückt. Einen John Coffey oder Forrest Gump würde er nie vor die Kamera lassen. Das hat fast Dogma-Style. Auch sein Rhythmus entwindet sich jeglichen Drehbuchstandards. Die Szenen setzen zum Teil mitten im Gespräch ein. Ein Schnitt umfasst plötzlich ganze Monate nicht gezeigter Handlungsmomente. Und doch liebt und lebt dieser Regisseur das Kino. Die Einstellungen sind perfekt ausgedacht und umgesetzt, das Bild ist von anregender Farbigkeit und wer auf die Details achtet, der wird auch die eine oder andere Liebkosung zwischen Georges und Anne entdecken. Die beiden Hauptfiguren sind überdies natürlich exzellent besetzt. Trintignant und Riva sind noch in den hohen Jahren große Könner ihres Fachs. Vor allem Emmanuelle Riva, die bereits 1959 mit "Hiroshima, mon amour" einen weltberühmten Klassiker schulterte, perfektioniert hier mit 85 Jahren die Darstellung von gesundheitlichem Verfall.
                                    "Liebe" zeichnet das Bild der innigen Beziehung zweier Menschen. Einer Beziehung, die im Nachhinein auf ein "Verbrechen" reduziert werden wird.

                                    1
                                    • 4

                                      Die Fenster vernageln, das Goldfischaquarium außer Reichweite des Deckenventilators stellen und, passend zum "Product Displacement" dieser Schundperle, eine Kräuterschnapsflasche "ägermeiste" bereit halten - Dann heißt es: Film rein, Logik raus - "Sharknado - Genug gesagt!"
                                      Dieses Katastrophendrama gehört zu jedem Trash-Kurs für schlechtes Kino, ist ein windiges Multi-Orkanversagen, ja, schlichtweg das "Nee!" in "Oh jemiNee". Eine Horde vom Winde verwehter Haie droht, Bunny-Lebowski-Darstellerin Tara Reid die Zehe abzubeißen. Nachdem schon in Paul Thomas Andersons "Magnolia" ein "Froschnado" allerlei tierisches Unwetter über Kalifornien brachte, versuchen die tapferen Freunde aus "Sharknado" nun, Los Angeles vor einem solchen zu bewahren.
                                      Jene TV-Produktion von Anthony C. Ferrante demonstriert, dass schlechte Schauspieler und grottige Effekte nur die halbe Miete sind, oder besser: immerhin noch für die halbe Miete ausreichen. Zu einem wirklich misslungenen Film gehören auch von Einstellung zu Einstellung changierende Lichtverhältnisse, Nachrichtenkanäle ohne Senderlogo und in Ed-Wood-Manier eingefügtes Archiv-Material von friedfertigen Real-Life-Haien. Man sollte vielleicht wissen, dass die Stadt L.A. wirklich sehr, sehr groß ist. Deshalb variiert das Wetter dort auch oftmals von Stadtteil zu Stadtteil zwischen Sonnenschein, Nieselregen und Weltuntergang - jedenfalls im Film. Ein bissiges Statement gegen den amerikanischen Katastrophenschutz (oder die schlichte Ignoranz einer möglichen Sinnhaftigkeit) ist der Umstand, dass die Heldentruppe, unter anderem bestehend aus einem Barbesitzer, einem Surfer und einer Kellnerin, die Rettung der Stadt komplett in die eigene Hand nimmt. Alle anwesenden Exekutivorgane des Staates sind nur dazu da, um inmitten des Ausnahmezustands gegen Geschwindigkeitsverstöße der Protagonisten vorzugehen. "Sharknado" zeigt in beeindruckender Weise, was beim Filmemachen so alles schiefgehen kann. Und dieses "alles" ist enorm.

                                      2
                                      • 6 .5
                                        HansNase 15.11.2015, 03:25 Geändert 22.11.2015, 16:08

                                        Das größte Ärgernis dieses Films ist, dass es ihn gibt. Die Nachwirkung von sakralem Anstrich, das Buch "Steve Jobs" ein Bestseller, das gleichnamige Leinwand-Biopic bereits die zweite Verfilmung seines Lebens. Und das, obwohl der Film selbst eingesteht, dass Apple-Mitbegründer Jobs nicht durch technische Virtuosität, sondern unternehmerisches Feingefühl zur "iKone" wurde. Mit Innovationen, die nicht die seinen waren. Warum also ausgerechnet ein Film über ihn und nicht über Coca-Cola-Erfinder John Pemberton, McDonald's-Gründer Ray Kroc oder Henry Ford und das Modell T? Auch Danny Boyles Verfilmung ist am Ende vor allem ein Futtertrog für alle Apple-Freunde. Die Person Jobs wird zwar hinterfragt - Michael Fassbenders Darstellung entlarvt ein unberechenbares, haarspalterisches Arschloch, und zwar auf darstellerisch höchstem Niveau - Doch wäre der Film andernfalls auch langweilig und das Publikum sehnt einen möglichst eckigen Protagonisten mit scharfen Sprüchen geradezu herbei. Zwischenzeitlich nimmt das bald Ausmaße zum Fremdschämen an, dann nämlich, wenn es rückblickend um den zeitweiligen Rauswurf bei Apple geht. Mit dramatischer Musik wird da geradezu ein vom Himmel fallender Stern herbeigedichtet. Viel interessanter wäre eine konsumkritische Auseinandersetzung mit dem Wert der Apple-Produkte gewesen. Im vorliegenden Fall bleibt jedoch der iPod als messianischer Goldschatz für die Menschheit unangetastet bestehen.
                                        Damit wird "Steve Jobs" aber auch nur der Erwartungshaltung vieler Miesepeter gerecht. Zum Glück gibt es noch Regisseur Danny Boyle, den idealen Mann für Filme wie diese. Boyle zeigte schon mit "127 Hours", wie man hinter einem faden Klappentext ein filmisches Meisterwerk hervorholt. Er ist der MacGyver unter den Filmemachern: Gib ihm ein Telefonbuch, er verfilmt es zu einem spannenden Thriller. Mit den Möglichkeiten des Mediums weiß er auf unverkennbare Art zu spielen. Für diese Buchadaption fiel ihm ein, die Entwicklung von Macintosh, NeXT und iMac mit je zeitgenössischer Kameratechnik zu drehen. Die Episoden sind Kammerspiele mit langen Plansequenzen, tollen Schnitten und ausladenden Dialogen. Letztere erzeugen ein interessantes Bild von Steve Jobs' Detailversessenheit in den Präsentationen seiner Neuheiten, welche sich immer wieder auf sein Privatleben überträgt - in destruktiver Wirkung. Der Protagonist verliert zum Ende hin sein misanthropes Antlitz, auch ein Steve Jobs brauchte wohl mehr als nur Zahlen, Bits und Bytes, um mit sich im Reinen zu sein. Und so ganz verkennen sollte man ihn vielleicht auch nicht.

                                        • 10

                                          Dreigeteilter Vorspann, dreigeteilte Story - Zunächst schwebt das Objektiv in eine zähnefletschende Pendeluhr hinein, dann bildet eine riesige Menschenmenge das Titellogo "Lola rennt", schließlich läuft die rothaarige Heldin als Zeichentrickfigur durch einen psychedelischen Strudel. Und dann geht es Zack auf Schlag und Schlag auf Zack. Lola (Franka Potente) muss innerhalb von 20 Minuten 100.000 gute, alte D-Mark für ihren Freund Manni (Moritz Bleibtreu) besorgen, damit ihm sein dubioser Chef Ronnie (Heino Ferch) nicht den Garaus macht. Da ist Tempo gefragt und dadurch heißt es für Lola: Nicht schlendern, kein Krebsgang, nicht schleichen. Rennen!
                                          In 3 Episoden versucht Tom Tykwer, auf dieser Berlin-Odyssee, seinem verliebten Pärchen aus der Patsche zu helfen. Doch was sind das überhaupt für "Episoden"? Wissen die Charaktere um diese skurrile Zeitschleife? Es gibt sowohl Hinweise dafür, als auch dagegen und abgesehen davon auch Hinweise darauf, dass das gar keine Rolle spielt. Jede Version der Geschichte setzt in dem Moment ein, als Lola in ihrer Wohnung lossaust. Es ist dabei jedesmal der selbe Kameraschwenk zu sehen. Dieser geht in eine Zeichentricksequenz über, welche den Spurt, immerzu die Treppe hinunter, vorbei an einem Furcht einflößenden Kampfhund zeigt. Bei Lolas Reaktion auf den Köter setzt die Abwandlung der 3 Kapitel voneinander ein. Die Verwendung von gezeichneten Bildern weist dabei darauf hin, dass es womöglich der Filmschöpfer selbst ist, der die Stellschrauben ansetzt und dem der unterschiedliche Gang der Story zu verdanken ist. Denn von dieser Stelle an unterscheiden sich die Geschehnisse. Zum Teil nur ganz leicht, zum Teil grundlegend. "Ein einziger Furz von Dir kann vielleicht ein paar Kilometer weiter einen ganzen Kindergarten ausrotten," hieß es einst in einer bekannten "Du-bist-Deutschland"-Neusynchronisation. Die unterschiedliche Zukunft einiger bestimmter Randfiguren wurde in jedem Teil mit einer eigenen Foto-Story dargestellt. Nicht das einzige verrückte Mittel, auch Split-Screens, 360°-Aufnahmen, mit billigen Kameras gefilmte Szenen, elegante Logikfehler, etwas Metaphysik und Schnittfolgen im Millisekundenbereich kommen vor. "Tom Tykwer wirft erst jeden Trick aus seinem Drehbuch auf uns, dann das Drehbuch und dann sich selbst;" schrieb einmal niemand Geringeres als der berühmte New-York-Times-Kritiker Roger Ebert über diesen Film. "Lola rennt" lässt Berlin im Glanz und Mief der 90er erstrahlen, seltsame Klamotten, schmierige Anzüge, Telefonzellen, hässliche Autos und Rundglasbrillen schmücken die Szenerie dieser besonderen Zeit. In diesem Atemzug sei aber auch der legendäre Techno-Soundtrack hervorgehoben, der sogar bei den "Simpsons" und "Scrubs" schon Einzug hielt. Die Hauptstadt der Bundesrepublik kann man lieben oder hassen, im Film funktioniert sie immer.

                                          1
                                          • 4 .5

                                            Grusel und Liebe verhalten sich zuweilen wie Öl und Wasser, sind nur schwer unter einen Hut zu kriegen. Eine Romanze lebt von der Authentizität, während Horrorfilme oft dazu verdammt sind, die Grenze der Unglaubwürdigkeit zu streicheln. Um beides dennoch miteinander zu verbinden, muss die Geschichte auf eine höhere Ebene gehoben werden, ist Stilisierung gefragt. Wenn bei Steven King die Bäume sprechen, dann tun sie das eben. In "It Follows" geht die Kamera des Öfteren auf Distanz zu den Figuren und lässt die Szenerie in quietschenden Tönen schwelgen. "Sleepy Hollow" entrückt seine Geschichte der Realität durch eine zuckersüß überspitzte Kulisse. Oder man kehrt gar eines ins andere und verwandelt Leidenschaft in Grauen: "Rosemary's Baby" von Roman Polanski. Jedenfalls müssen so nicht ständig Sinn und Unsinn der Handlung hinterfragt werden. "Crimson Peak" geht das alles völlig abhanden. Dieser Film gerät durch seine allzu landläufigen Dialoge oberflächlich und nimmt seine Handlung zu wichtig.
                                            Geheimnisvolle Dinge gehen in der englischen Villa des Geschwisterpaars Thomas und Lucille Sharpe (Tom Hiddleston und Jessica Chastain) vor sich. Vor allem Sir Sharpes neue Gattin Edith (Mia Wasikowski) ist das nicht geheuer, so ist das Anwesen wahrhaftig ein schaurig schöner Platz zum Fürchten.
                                            Doch was nützt das coolste Setting, wenn die einzige Dynamik darin durch 3 Personen und allerlei unbefriedigendes CGI-Getier zustande kommt? Dass "Crimson Peak" früher oder später auf einen oder zwei Twists zuläuft, wird schnell offensichtlich. Als diese dann gelüftet werden, muss man verwundert feststellen, dass deren Kontext mit dem Film im Großen und Ganzen gar nichts zu tun hat. Kurz gesagt: Was in Guillermo del Toros Grusel-Romanze passiert, passiert eben so vor sich hin. Und das schließlich, bis der Film vorbei ist. Kurz vor dem Ende zeigt sich noch einmal, wie wirklicher Horror funktioniert. Jessica Chastain, welch wunderbare Schauspielerin, läuft noch einmal zur Hochform auf und ist dabei über jedes Digital-Gespenst erhaben. Alles in allem ist das aber zu wenig und "Crimson Peak" nur eine kostümträchtige Seifenoper.

                                            1
                                            • 8

                                              Jim Carrey und Miloš Forman, das bedeutet im Fall von "Der Mondmann" eine beeindruckende Symbiose: witzig, unvorhersehbar, klug, gefühlvoll. So wie die Titelfigur des Entertainers Andy Kaufman zu Lebzeiten den Begriff der "Unterhaltung" in ganz neue Bahnen lenkte, reißen auch Forman und Kaufman-Darsteller Carrey die Konventionen ihres Mediums Kino aus den Angeln. Demzufolge beginnt diese Biographie gleichmal mit dem Abspann, der sich allerdings als Prolog entpuppt. Dem ist aber nicht genug, so wird gleich ein zweiter Prolog hinterher geworfen. Jim Carrey nutzt von da an sein ganzes Repertoire an mimischen Abstrusitäten, um ein Bild des Komödianten Kaufman zu zeichnen, der gar kein Komödiant als solcher sein wollte. Während der gewöhnliche Komiker Szenen inszeniert, um ein Lachen zu ernten, inszeniert Kaufman um der Inszenierung wegen. Das Publikum soll ihn, darf ihn gleichsam lieben und hassen. Witzigkeit ist nicht sein Kriterium, sondern die Konsequenz. Konsequentes Schweigen, konsequentes Irritieren, konsequentes Langweilen, konsequentes Provozieren, konsequentes Täuschen. Kaufman wird zur personifizierten Selbstaufgabe. Allerdings wird der Spruch: "Ruf niemals 'Feuer!', wenn's nicht brennt," zur Gefahr für ihn. Zudem droht auch er, durch die Regeln des Showbusiness verwässert zu werden. Zwischen 1978 und '82 spielte er eine der Hauptrollen in der Sitcom "Taxi", um sich beim großen Publikum etablieren zu können. An seiner Seite: Prominente Schauspieler wie Judd Hirsch, Christopher Lloyd und Danny DeVito. In "Der Mondmann" werden diese dann auch glatt von sich selbst gespielt. Nicht ganz: Für DeVito war bereits die Rolle von Kaufman's Manager George Shapiro reserviert. Dafür treten der Catcher Jerry Lawler und Showmaster David Letterman prompt "as himself" auf. Allein die Besetzung stellt eine Verbeugung vor diesem Comedy-Künstler dar. Am Ende des Films wird man dessen Philosophie so sehr verstanden haben, dass man sogar das erfundene Ende als konsequent empfindet. Es ist fiktionalisiert, aber ganz unumwunden folgerichtig.

                                              4
                                              • 7 .5

                                                Es stimmt schon, dass Johnny Depps Gesicht zwischen Halbglatze und Gangster-Dress etwas gewöhnungsbedürftig scheint. Ein ganz ähnliches Milieu wie in "Black Mass" umgab ihn aber schon vor 18 Jahren in "Donnie Brasco", als er den Gaunersprössling des damals überragend aufspielenden Al Pacino gab. In Scott Coopers neuem Werk ist Johnny Depp selbst der große Zampano und das erheblich. Mit hellen Kontaktlinsen allein optisch ein Schmackofatz des Bösen, verbreitet seine reale Figur des James Whitey Bulger im Boston der 70er und 80er Angst und Schrecken. Schauspielerisch bleiben die hervorstechenden Momente zunächst aus, doch im Verlauf des Films gelingt eine tolle Metamorphose vom paranoiden liebenden Vater zum paranoiden Verbrecher mit immer wieder großen Momenten. Bulgers Freund aus Kindheitstagen John Connolly (Joel Edgerton) ist inzwischen beim FBI und bietet Bulger an, als Informant zu arbeiten. So gilt es schließlich, den gemeinsamen Feind, die italienische Mafia abzusägen. Durch das FBI und den Politiker Billy Bulger (Benedict Cumberbatch), Whiteys Bruder, kann der Gangsterboss fortan nach Belieben schalten und walten. Schützt Connolly ihn nur, um seine Informationsquelle zu behalten oder sympathisiert er sogar mit ihm?
                                                Am beängstigendsten ist nicht Whitey Bulger himself, skrupellos und unberechenbar, sondern sein Rückhalt aus FBI und Politik. Zusammen mit der Halunkentruppe ergibt sich ein Trio Infernale, ohne jedes Erbarmen und Mitgefühl. Dadurch ist "Black Mass" weitaus besser als erwartet. Über diesen Film muss man wissen, dass er enorm, mehr als nötig, entschleunigt ist. Es fehlt etwas Atmosphäre à la Scorsese, etwas Stringenz à la Coppola, etwas Spritzigkeit à la Tarantino. Joel Edgerton als verachtsamer FBI-Mann rückt immer stärker in den Vordergrund. Warum Regisseur Scott Cooper für diesen regelrechten Drecksack zum Ende hin Mitleid erzeugen möchte, scheint lange unschlüssig. Am Ende wird jedoch das Schickal aller beteiligten Figuren im Nachgang der Geschichte eingeblendet. Da wird die Drastizität aller Übeltaten noch einmal deutlich. Coopers Anliegen war es also offenbar, den Finger auf die Charaktere zu richten und zu sagen: Schaut her und seht, wie diese Kreaturen offenen Auges ihr Leben verwirkt haben.

                                                2
                                                • 4
                                                  HansNase 01.11.2015, 23:19 Geändert 01.11.2015, 23:29

                                                  Mit Schweißflecken auf Brust- und Bauchnabelhöhe ächzt der angehende Polizist Paul Blart der Kamera entgegen, verdreht die Augen und plumpst zu Boden, um direkt in ein wohliges Schnarchen überzugehen. So fällt Blart (Kevin James) durch die Prüfung und muss sich fortan als "Der Kaufhaus Cop" der Schikane seiner Mall-Kollegen aussetzen. So übertrieben brachial, wie es dieser Anfangswitz ist, geht es dann zum Glück nur bedingt weiter, aber ein reichhaltiges Angebot aus dem Bereich Sabber, Grabsch, Schwabbel, Leck und Suff wird dennoch geboten. Kevin James, der Comedian aus "King of Queens" mit deutschen Wurzeln, weiß seinem Charakter ein sympathisches Antlitz zu verleihen, versucht als Segway-fahrendes Muttersöhnchen für Recht und Ordnung zwischen Fast-Food- und Klamottenläden zu sorgen. Meist vergeblich, denn die Sicherheitskräfte dürfen keine Pistole tragen, was nach amerikanischem Verständnis ja mindestens nötig wäre, um eine Spur Autorität ausstrahlen und ausüben zu können. Seinen Job nimmt Paul Blart dennoch ernst, getrieben von Durchhalteparolen wie "Der Verstand ist die einzige Waffe, die kein Holster braucht." Was überdies geschieht, ist vorhersehbar: Es gibt einen neuen mysteriösen, wortkargen, aber freundlichen Kollegen, durch den sich der tollpatschige Held später in eine Homer-Simpson-John-McClane-Mélange verwandeln muss. Doch zunächst ist da noch die schöne, unschuldige, von anderen respektlos behandelte Frau, die ihn als Einzige versteht, aber leider schon mehr oder weniger gebucht ist - natürlich von einem arroganten Schreibwarenverkäufer.
                                                  Bemerkenswert ist bereits der deutsche Titel "Der Kaufhaus Cop," denn bei ganzen 2 Wörtern einen Schreibfehler unterzubringen, zeugt schon von beängstigender Panneneffizienz - Zusammengesetzte Substantive werden nie durch ein Leerzeichen getrennt, auch nicht bei Anglizismen. Irrelevant irgendwo, aber symptomatisch für die Routine der kinematographischen Ausschussware, die auch ethnische Stereotype und Diffamierungen "illegaler Einwanderer" herbeischafft. Tja, und nun ratet einmal, was man einer amerikanischen Komödie, die in einem *Einkaufszentrum* spielt (übrigens typischer Unterbringungsort vieler US-Kinos), noch ankreiden könnte? Naaa? Richtig, es sind die vielen schlechten Witze, die mies getimt, dutzendfach abgekupfert oder ohne Feingefühl inszeniert sind. Ein Blick auf den Flachs- und Kicher-Counter verrät allerdings: Sechsmal habe ich dann doch lachen müssen. Meist dank Kevin James' komödiantischem Talent. Die Mann-knallt-gegen-Scheibe-Witze gehörten jedoch nicht dazu.

                                                  2
                                                  • 3
                                                    über 2012

                                                    Selbst kleingeistigsten Kinofreunden dürfte in diesen filmgeschichtsträchtigen Monaten des Jahres 2009 Roland Emmerichs "2012" übel aufgestoßen sein. Hätte man nicht wenigstens ein kleines, biiisschen am Drehbuch feilen können, wenn man 200 Millionen Dollar investiert? Die seither vergangenen 6 Jahre haben längst gereicht, um die damals (vielleicht) beeindruckenden Spezialeffekte zu entzaubern. Aber schon damals fiel es schwer, sich die Entstehung dieser amerikanischsten aller amerikanischen Weltuntergangsprophezeiungen auszumalen: Hat Emmerich, beglückt über die Fertigstellung seiner digitalen Erdbeben und Vulkanausbrüche, die Nacht durchgemacht und verkatert die Szenen per Panzer-Tape aneinandergepappt, um den Film rechtzeitig zu vollenden? Oder wurde er zu diesem Machwerk gezwungen? Nach Lust auf das Filmemachen sieht das jedenfalls nicht aus. Angeblich soll das Verhalten von Menschen in Extremsituationen ins Visier genommen werden. Doch die Figuren scheinen rein auf die Rettung ihrer selbst konzentriert zu sein, nehmen das Massensterben um sie herum weitgehend gefasst hin. Haben die Kinder von Protagonist Jackson Curtis (John Cusack) denn keine Großeltern oder Freunde, um die sie besorgt sein müssten und deshalb total verstört wären? Geschmückt ist "2012" geradezu zwanghaft mit allerlei Details der emmerichen Bedeutungsschwere. [SPOILER] So wälzt sich der Riss in der Decke der Sixtinischen Kapelle direkt durch die Erschaffung Adams, ein Mann stirbt im Todestunnel der Lady Di, der US-Präsident wird von der USS John F. Kennedy zermatscht und das große Rettungsschiff der Helden droht ausgerechnet am Mount Everest zu zerschellen. [SPOILERENDE] Die gleiche Gezwungenheit gilt für die Besetzung der Charaktere mit einem dunkelhäutigen amerikanischen und einem weiblichen deutschen Staatsoberhaupt. Der gebürtige Stuttgarter Regisseur hält das offenbar für jene Authentizität, die sein Blockbuster tatsächlich vermissen lässt. Am Ende ging den Machern scheinbar endgültig die Laune verloren, sodass der große Showdown durch den Einsatz einer völlig dilettantischen Wackelkamera komplett verhunzt ist. Rückblickend lässt sich sagen: Die Welt ging nicht unter, das Kino mit Ach und Krach auch noch nicht.

                                                    1