lieber_tee - Kommentare

Alle Kommentare von lieber_tee

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    Brutaler Karneval.
    Auch das Prequel schafft es nicht dem dämlichen Katharsis-Ritual eine narrative Schlauheit zu geben, auch wenn hier die aktuellen Ereignisse in den USA als klobige Rassismus-Allegorie betont werden. Der Regierungs-Plan zur Ausrottung armer Minderheiten ist kaum als politische Klassenkrieg-Satire zu interpretieren. Er bleibt in der Faszination und Ausbeutung dessen was er eigentlich kritisieren will strecken. Wenn männliche Drogen-Dealer zu Helden werden und schwarze Gangster zu cooler Musik cool Frauen vor Ku-Klux-Klan-Söldnern retten dürfen, ist das nicht ironisch, sondern als ernsthaft-aufrichtige, afroamerikanische Selbstermächtigung gemeint. Bei aller (berechtigter) Wut die im Film wohnt, begründet in realitätsnahen, gesellschaftlichen Ängsten, ist der vierte Purge nur ein weiteres gewalt-geiles B-Movie. Und es dauert auch eine Weile bis wenigstens die blutigen Münder mit billigen Nervenkitzel gefüllt werden. Das actionreiche und mitreißende Finale bietet aber dann genug Futter für Freunde des exhibitionistischen Gemetzels.
    5 manipulierte Verhaltensexperimente.

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    • 6 .5
      lieber_tee 25.09.2018, 12:58 Geändert 26.09.2018, 01:10

      Den biologischen Instinkt, die eigenen Kinder zu schützen, ad absurdum führen.
      Coming-of-age mit dem Vorschlaghammer. Die blutig-schwarze Satire über eine hereinbrechende Elternapokalypse und frustrierende Midlifecrisis im materiell angetriebenen Kleinbürger-Amerika wird als cartoonhaftes Home-Invasion-B-Movie erzählt. Sie hätte allerdings noch schwarzer sein dürfen. Die groteske und geschmacklose Familien-Dekonstruktion bleibt zwar immer konsequent und grimmig, aber die pure Eskalation fehlt. Außer bei Nicolas Cages manischen Gonzo-Abstieg in den Wahnsinn. Zwischen schlampiger Regie und aufgedrehten Tempo findet Autor und Regisseur Brian Taylor bei seiner absurden Achterbahnfahrt keine klare Spur. Seine obszöne Gesellschaftskritik und der High-Speed-Terror ist nicht pointiert genug. Mir hat aber das Unausgegorene durchaus zugesagt, weil es eben nicht geglättet herüber kommt, herrlich unsinnig ist.
      6,5 neugeborene Babys würgen.

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      • 4
        lieber_tee 25.09.2018, 02:00 Geändert 26.09.2018, 01:12

        Entgleistes Ü-50er Kino.
        Die Suche nach dem wer und warum eines Mordes, in einem opulenten Deluxe-Dampfzug, ist eher eine freudlose Angelegenheit. Branaghs Verfilmung der Mutter aller Agatha-Christie-Krimis ist visuell prächtig, aber eine seltsam mutlose Interpretation der Vorlage.
        Gefangen in übertriebener Künstlichkeit und zu sehr beschäftigt eine denkwürdige Inkarnation vom belgischen Detektiv Poirot zu erschaffen, fällt dem Hauptdarsteller und Regisseur gar nicht auf, wie unsympathisch und narzisstisch seine Kunstfigur ist. Beim Jonglieren mit den vielen Charakteren verliert er den Überblick, erzeugt kaum Tiefe, so dass das moralische Dilemma des Endes keinen Wert bekommt. Der Mystery-Murder-Express tuckert mit angezogener Handbremse vor sich hin. Die im Buch und der 70er Jahre Verfilmung pointierten Dialoge bzw. Verhöre und Wendungen wirken hier lahm und gezwungen. Branagh schafft es sogar den berüchtigt-ikonischen Twist im theatralischen Finale zu verpfuschen, völlig banal erscheinen zu lassen.
        Vielleicht als Gegenentwurf zum Jugendwahn der Multiplexkinos gedacht, als altmodischer Krimi für eine fast vergessene Zielgruppe, schnarcht der Oldie in seinem bequemen Kinosessel ein. Da nutzen die paar visuellen Gimmicks, langen Kamerafahrten und Vogelperspektiven auch nichts, der Film ist nur stilvolle Langeweile.
        4 unechte Jean-Pütz-Schnurrbärte

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        • 5 .5
          lieber_tee 23.09.2018, 01:01 Geändert 23.09.2018, 11:33

          Kein Top Gun der Feuerwehrfilme.
          Joseph Kosinski (Tron 2 / Oblivion) erzählt die (wahre) Geschichte von der Feuerwehrmänner-Elite-Einheit „The Granite Mountain Hot Shots“. Das nach Sensationslust und schwülstigen Klischees schreienden Katastrophenszenario wird von ihm überraschender Weise nicht als bombastisch-spektakulärer Blockbuster inszeniert, sondern mit altmodischem Pragmatismus und langsamen Pacing. Fast schon bewusst distanziert er sich vor überschwänglichen Pathos. Im Mittelpunkt stehen die Männer, die Alltäglichkeit ihres Daseins und heldenhaften Handelns.
          Ziel sollte wohl ein geerdetes Porträt dieser Gruppe sein. Seltsamerweise hat mich der Film aber kaum berührt, der Funke sprang bei mir nie über. Der Wechsel zwischen Privatleben, Machismus und gefährlichem Job entwickelt wenig Dynamik, plätschert so vor sich hin. Pflichtbewusste Normalos, die am Ende Pech hatten, reichen nicht für einen packenden Film. Die Vorhersagbarkeit und Glätte der Erzählung verhindert ein echtes Gefühl der Gefahr, die Ehe-Probleme triggern nie so richtig.
          Im Prinzip achte ich den Mut des Filmemachers, das er die Emotionalität der Geschichte nicht reißerisch ausbeutet und stattdessen ein schmuckloses Denkmal für die Menschlichkeit und Mut von zivilen Helden erschafft. Das der Film aber das anschließende Drama der Geschichte (das Mobbing und die Verweigerung von Versicherungszahlungen) gar nicht erwähnt, weil es dem amerikanischen Umgang mit Heldentum möglicherweise Brüche geben könnte, finde ich ärgerlich.
          5,5 Gräben ausheben.

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            lieber_tee 19.09.2018, 16:25 Geändert 03.10.2018, 20:22

            „Blair Witch Project“ für die YouTube-Generation.
            Auf der Suche nach Fame wollen eine Handvoll hyperaktiv-nervige YouTuber und Influencer die ultimative Gruselchallenge in den Heilstätten nahe Berlin machen. Die Tuberkulose-Klinik ist seit dem 5. Weltkrieg, oder so, verrottet und bekannt für seinen hohen Geisterbefall. Natürlich wird dabei ohne Anstand mit der fiesen Nazi-Euthanasie-Vergangenheit des Standorts umgegangen. Sich gegenseitig extrem zu pranken ist das Ziel. Um die freshe Aktion durchzustylen wird hart gecuttet und ordentlich abgespast. Die Location ist spooky, die Typen und Bitches sehen alle nice aus. Das jugendliche Zielpublikum wird offensichtlich (nicht nur sprachlich) dort abgeholt wo es steht.
            Die Prämisse Found-Footage-Stoff mit der Selbstdarstellung von Social Media zu kombinieren, zu konfrontieren, zu karikieren, ist im Prinzip eine pfiffige Idee. Dafür benutzt Filmemacher Michael David Pate alle bekannten (filmischen) Versatzstücke des Genres. Von Jump-Scares über hektische Wackelkamera-Bilder des Mobiltelefons bis zu halb-krassen Gore-Einlagen ist alles dabei, leider nur mäßig angsteinflößend eingesetzt. Der Streifen offenbart warum deutsche Horrorfilme so einen schlechten Ruf haben. „Heilstätten“ quatsch jeden Grusel weg. Er schafft es weder die zeitgenössische und kulturpessimistische Medien-Kritik irgendwie sinnvoll zu untermauern, noch schafft er es irgendwo inszenatorisch etwas Eigenständiges zu entwickeln.
            Böswillig kann man sagen, jede Generation bekommt die Filme die sie verdient. Denn zwischen Anbiederung und Satire auf den (jugendlichen) Verdummung-Zeitgeist verliert sich diese lausige Genre-Kost im Nirwana der Belanglosigkeit. Sein dämlicher Doppel-Twist am Ende ist so clever wie sein angepeiltes Klicks und Likes- Zielpublikum.
            Der Film wird selbst zu einer Mutprobe für den Zuschauer.
            3 Käsekästchen im Leichenschauhaus.

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              lieber_tee 19.09.2018, 01:12 Geändert 19.09.2018, 03:29

              Wenn ein ikonisches Franchise durch den Vulgär-Fleischwolf gedreht wird.
              Während die anderen Predator-Filme versuchten ein dunkler und angespannter Mix aus Horror und Action zu sein, ist Shane Blacks filmisches Tourette-Syndrom eine (im besten Fall) unfreiwillige Satire auf seinen eigenen Macho-Witz. Vielleicht schwebte dem Autor und Regisseur eine selbst-spöttische Reminiszenz auf die muskulöse B-Action der 80er-Jahre vor, aber dann hat er damals offensichtlich die falschen Filme geschaut. In seiner matschig-biederen Ästhetik und völlig zerschnittenen Action wirkt der Streifen 30 Jahre geistig zurückgeblieben. Das endlose Stakkato von schlechten Witzen ist in seiner Blödheit ein widerwärtiger Ausschuss von rassistischen, behinderten-feindlichen und sexistischen Verbal-Attacken. Mit zynischen Nihilismus und einem Loblied auf den Soldaten-Kadavergehorsam sind hier die Menschen noch schlimmer als die Aliens. Nichts in diesem Film macht Sinn. Manisch-unzusammenhängend wird ein schlampiges Drehbuch verfilmt, das mit computergesteuerten Splatter verseucht ist.
              Vielleicht will Black mit dieser Art von Proletentum-Kino unserer eigenen Dummheit einen Spiegel vorsetzten? So was wie rektales Meta-Kino für Inselbegabte? Für mich ist der neue Predator allerdings eher der Ausverkauf von Geschmacklosigkeiten. Wer menschenverachtendes Popkorn-Kino abfeiern will, der sollte einen Blick riskieren. Aber macht dieser Sargnagel auf ein Franchise wirklich Spaß? Ich hab von dem filmischen Schleudertrauma eher das Kotzen bekommen. Gut das der Film gefloppt ist, dann muss das Kino nicht nochmal so was ertragen.
              2facher Dünnschiss auf dem stinkenden Haufen der Filmgeschichte.

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                lieber_tee 18.09.2018, 12:11 Geändert 19.09.2018, 02:57

                „Jeder Tag auf der Erde kann ein Wunder sein.“
                „Unsere Erde“ ist der Kino-Blockbuster unter den Bildschirmschoner-Dokumentationen. Nun geht er in die zweite Runde. Als ein Art The-Best-Of der beliebtesten Tiere für die breite Masse, wird der Liebreiz der Natur in beeindruckenden und aufwendigen Bildern arrangiert. Dramaturgisch-suggestiv ist hier der Überlebenskampf als purer Thrill montiert. Oder es gibt geknuddelte Emotionen. Dazu wird ein wahres Feuerwerk der filmischen Mittel bemüht. Von Makro-Aufnahmen in Zeitraffer, über Extrem-Slow-Motion, bis zu hoch-schwebenden Drohnenaufnahmen, technisch ist alles in hochauflösender Optik dabei. Dazu gibt es pathetische Orchester-Musik und einen geschwollenen Off-Kommentar von Günther Jauch. Der 90 Minütige Zusammenschnitt der 2016er BBC-Serie hopst fragmentarisch durch alle Formen von Naturlandschaften und Unterwasserwelten. Das wurde so bereits tausendmal erzählt, aber selten so faszinierend bebildert. Die Kritik, dass diese Form des Doku-Entertainments nur oberflächliches Wissen vermittelt, ist berechtigt. Die ästhetisierten Aussagen, wir sollen Respekt vor der Natur haben und mit ihr in friedlicher Eintracht leben um sie zu erhalten, sind okay. Allerdings nachhaltig kommen sie nie herüber. Denn nur das Propagieren vom Erhalt der Schönheit ist zu wenig. Die Natur ist nicht nur „schön“, sondern auch „hässlich“ bzw. „grausam“. Und sie ist überlebensnotwendig, auch für uns.
                6-mal fressen und gefressen werden.

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                  Wenn das Hungern wenigstens „schön schlank“ macht.
                  Der bemerkenswerte Essayfilm „Kulenkampffs Schuhe“ ist nur vordergründig eine nostalgische Reise in das biedere Unterhaltungsfernsehen der 60er und 70er Jahre, das gnadenlos gute Laune vor dem Wohnzimmersofa propagierte. Mit radikaler Subjektivität offenbart Regine Schilling den Zusammenhang von bundesdeutscher Verdrängung in der Nachkriegszeit mit dem Wirtschaftswunder. Ihre Kollage zeigt eine Generation, die sich lieber zu Tode gearbeitet und amüsiert hat, als an die Gräuel des Nationalsozialismus und Krieges zu erinnern bzw. darüber zu sprechen. Die Filmemacherin bettet diese Art der Verleugnung bzw. Sprachlosigkeit in ihre eigene, väterliche Kindheitsgeschichte ein. Ihre autobiografische Spurensuche wird mit den Biografien der damals angesagten Showmaster kombiniert, jeder geht auf seine Art und Weise mit dem Trauma dieser Zeit um.
                  7-mal Trauerschwarz tragen.

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                  • 7 .5
                    lieber_tee 16.09.2018, 13:55 Geändert 16.09.2018, 17:56
                    über 303

                    An das Gute im Menschen glauben.
                    In Hans Weingartners Roadmovie-Version von „Before Sunrise“ wird fast zweieinhalb Stunden lang aus einer Zweck-Fahrgemeinschaft im kultigen 303-Mercedes-Wohnmobil eine leichtfüßige Verliebungsgeschichte. Gefüllt werden tausende von Kilometer Richtung Süden mit Gesprächen über die Lust und das Leben.
                    Das kann als langweiliges Geschwätz bürgerlicher Idealisten abgetan werden, für mich ist der verbale Schlagabtausch über Kooperation oder Konkurrenz, Mono- oder Polygamie, Kapitalismus oder Kommunismus und Biochemie oder Gefühle ein echtes Vergnügen. Wenn zwei gar nicht so abgeklärte Mittzwanziger mit unterschiedlichen Lebens- und Liebes- Einstellungen aufeinandertreffen, die die Gesprächs- und Diskussionskultur einer angenehmen Studenten-WG-haben und sich dadurch nach und nach annähern, kann ich mich begeistern.
                    Der Weg ist das Ziel, Reibung erzeugt Wärme, das Innere spiegelt sich mit dem Äußeren. Die wunderbare Landschaft rauscht vorbei, der Film nimmt sich viel Zeit und ist als ein Art „Anti-Tinder-Film“ gedacht, wo Annäherung und Gefühle nicht „in drei Sekunden wisch und weg“ sind. Die beiden Jung-Darsteller Mala Emde und Anton Spieker schaffen es in ihrer unverkrampften Natürlichkeit den Zuschauer auf diese Reise mitzunehmen. Wie die beiden sich umkreisen um sich NICHT zu verlieben, ist ebenso witzig wie ergreifend. Allerdings übertreibt es Weingartner zum Ende hin ein wenig mit seiner Verzögerungsstrategie und findet nur ein etwas mutloses Ende.
                    7,5 Beziehungskisten.

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                    • 7 .5

                      »SoulReaver und lieber_tee in den Untiefen des ganz normalen Genrewahnsinns«
                      #2 (Staffel – 2) / 1001 Movies You Must See Before You Die.
                      U…wie Urängste.
                      Beim Erscheinen eher negativ beurteilt, entwickelte „Vertigo“ über die Jahrzehnte den Ruf nicht nur Hitchcocks reifstes Werk zu sein, sondern er wird sogar als der beste Film aller Zeiten gehandelt. Dass er ein reizvolles Erlebnis ist, steht außer Frage. Sein starkes Gespür für trügerische Bild-, Farb- und Klang- Kompositionen, eingebettet in eine Auseinandersetzung über Motive wie Obsessionen, Schuld und Liebe, ist enorm. Besonders in der zweiten Hälfte wird der Film vom klassischen Krimi zum verschatteten Seelen-Drama, das sich auf die psychologischen Untiefen seiner Charaktere konzentriert. Im Dickicht der freudianischen Symbolik ist die Höhenangst des Protagonisten die (Ur-) Angst vorm eigenen, inneren Abgrund. „Vertigo“ gehört definitiv zu den Filmen den jeder kunstinteressierte Mensch mal gesehen haben muss. Er ist ein emotionales, intellektuelles und cineastisches Vexierspiel. Für mich ist aber das lange und theatralische Leiden eines Mannes, der Besessenheit und Besitztum mit Liebe verwechselt, einfach nicht mein Thema, ist teilweise sogar (gewollt) unangenehm anzuschauen.
                      7,5 Push-Pull-Effekte.
                      https://www.moviepilot.de/liste/soulreaver-und-lieber_tee-in-den-untiefen-des-ganz-normalen-genrewahnsinns-soulreaver

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                      • 6 .5
                        lieber_tee 12.09.2018, 11:08 Geändert 18.09.2018, 13:55
                        über Cyclo

                        In der Jauchegrube aus Armut und Verbrechen.
                        Hungs zweiter Spielfilm "Cyclo" beschreibt den Sturz eines Rikscha-Fahrers in die Hölle der kriminellen Ho-Chi-Minh-Stadt. Die brodelnden, chaotisch-gleichgültigen Straßen sind eine Metapher für die Korruption von Unschuld und traditionellen Werten. In ausschweifend-verführerischen, teilweise extrem stilisierten Kamerafahrten, beobachtet der Filmemacher den gewaltsamen Verfall von Menschlichkeit und Moral. Die halluzinatorischen Bilder und deren schroffe Montage erzeugt ein ähnliches Chaos, eine ähnliche Verwirrung im Kopf des Zuschauers wie bei seinem naiven Protagonisten. Das skizzenhaft-zähe Geschichtenerzählen verursacht aber auch Nasenbluten. Denn so betörend die Bilder sind, wirklich empathisch-nah kommt der Betrachter den Figuren nie. Der erzählerische Mangel wird mit symbolischer Posenhaftigkeit, Ausbrüchen extremer Gewalt und poetischen Off-Kommentaren kaschiert. Das Dokumentarische wird stilistisch überzeichnet, bis hin zur Kunstgeweblichkeit. Trotzdem faszinierend, der Film.
                        6,5 blaue Goldfische essen.

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                          lieber_tee 11.09.2018, 10:25 Geändert 18.09.2018, 13:56

                          Verschwörung im Nahverkehr.
                          Nonstop werden von einem Fremden im Zug Rätsel erraten. Liam Neeson hat ja schon Übung als zäher Jedermann mit mürrischen Humor seinen Arsch in einem verschlossenen Ort zu retten. Er gibt dem Film bzw. Drehbuch die notwendige Erdung. „The Commuter“ folgt offensichtlich keiner Plausibilität, rattert gnadenlos über seine Handlungslöcher hinweg, bietet lediglich funktionalen Thrill. Das Ergebnis ist ebenso abstrus wie vorhersagbar, fast schon albern in seinem unsinnigen Konstrukt und mit seinen teilweise schwachen Effekten von der Festplatte. Die Action wird von Regisseur Jaume Collet-Serra gewohnt gut choreographiert. Die Genre-Mechanik läuft sauber geölt in seiner Nüchternheit und Effizienz ab, aber irgendwie fehlen diesmal das Feuer und der spürbare Antrieb bei allen Beteiligten. Mehr als ein solides B-Filmchen nach der bekannten Neeson-Formel ist der Streifen nie.
                          5 lukrative Suchmissionen.

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                            lieber_tee 10.09.2018, 09:06 Geändert 18.09.2018, 13:58

                            Frenetisches Kino.
                            Kinji Fukasakus grimmig-absurde Gangsterballade konzentriert sich auf das kurze, schnelle Leben eines niederen Kriminellen. Jeder ist seines Glückes Schmied, also prügelt, erpresst und mordet sich der Großkotz wie ein tollwütiger Hund durch die Gassen Tokios, wird ein Spielball der Interessen verfeindeter Clans. Erzählt wird diese räudige Geschichte eines Underdogs als brodelndes Handkamera- und Schnittgewitter. Der Film ist wie sein Protagonist ständig auf der halsbrecherischen Überhohlspur. "Guter“ Geschmack wird mit dem Fleischermesser zerhackt. Krude Männlichkeitsrituale und Selbstmitleid treffen auf Frauenfeindlichkeit, von ritterlich-ehrenvollen Yakuza-Mythen keine Spur. Das ist ultra-brutales, mitleidloses 70er Jahre Gangsterkino aus Japan, anarchisch-stilvoll, kraftvoll-enthemmt, ohne moralisches Zentrum.
                            7 blutige Brechstangen.

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                              Bereits vergessen, sobald der Wind sich legt.
                              Digital-verseuchter Mix aus Katastrophen-Film, Actioner und Thriller, der Hektik mit Spannung verwechselt. Wenn geballte 500 Meilen Weltuntergang als Hurrikan unterwegs sind und auf ranzige Diebe trifft, die ein Gelddepot ausrauben, dann ist das ein Füllhorn aus dämlichen Ideen. Das erreicht weder die Idiotie von Asylum-Filmen, noch den Action-Drive von „Hard Rain“ (der im Prinzip bereits 1998 dieselbe Geschichte, nur deutlich besser, erzählte). Hier ist nichts sorgfältig kalibriert. Mit Dialogen wie: „Das war’s, meine Munition ist alle! – Aber warum denn? – Na, weil ich schieße!“ und Bösewichten, die aus einem Einkaufszentrum gesaugt werden, beweist der eh nur mäßig begabte Regisseur Rob Cohen hier wieder einmal, das er nur unterdurchschnittliche Krawall-Kunst beherrscht. Funktioniert nicht mal als unabsichtlicher Spaß.
                              4 fliegende Radkappen.

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                                lieber_tee 08.09.2018, 11:05 Geändert 08.09.2018, 14:20

                                Bereits vergessen, sobald das Feuer erloschen ist.
                                Brav nach einem generischen Bauplan abgewickelte Rettungsmission im High-Budget-Modus. Der menschliche Teddybär Dwayne „The Rock“ Johnson klettert und hangelt sich als ultimativer Superpapa durch ein flammendes Inferno, um zu verhindern, das seine Familie langsam stirbt. Ein paar fiese Gangster stehen ihm dabei im Weg. Ohne sich große Sorgen zu machen, oder gar in (Angst-) Schweiß auszubrechen, bohrt der Zuschauer eher teilnahmslos in seiner Nase, weil der mit trüben CGI verseuchte Hochhaus-Humbug übertrieben vor sich hin explodiert. Wer nur einen Hauch von Originalität erwartet, wird unterwältigt sein. Hier macht plumpe Idiotie Made in Hollywood wenig Spaß.
                                4 Hommagen an das beste Klebeband der Welt.

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                                  Das Leben ist kein Ponyhof, sondern eine Poolparty
                                  oder „Das Wildschwein ist der Bison des kleinen Mannes.“
                                  Das Spielfilm-Debüt von İlker Çatak möchte junges deutsches Kino sein, das sich „bunt und unangepasst“ auf die Fahnen geschrieben hat. Ironisch-schräg, im Zeitraffer-Modus, mit Voice-Over und kruden Jump Cuts, hopst der Filmemacher unchronlogisch Jugendlichen hinterher, deren Leben noch ein großes, mystisches Abenteuer ist. Der (vermeintlich) mutige Stilwillen soll die angepassten Sehgewohnheiten torpedieren. In den besten Momenten des Films passt das hervorragend zum Originalroman, der das sprunghafte Innenleben der Figuren mit ähnlichen (literarischen) Mittel zerlegt. Pubertät als ein hypnotisches Delirium. Oft wirkt das ständige Vor- und Zurückspulen allerdings wie ein flirrendes Schnittgewitter für Instagram-User. Nicht nur, dass das 1:1 bereits in Trainspotting so erzählt wurde, die formalen Spielereien und die hippen Bilder haben nur einen oberflächlichen Reiz, die Figuren und ihre Konflikte dahinter finden wenig Tiefe. Trotzdem Lob an den Regisseur, weil er der biederen TV-Ästhetik von deutschen Coming-of-age und tristen Sozialdramen eine Wildheit entgegensetzt.
                                  6 ⏩ ⏯ ⏪

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                                    Kosmische Muster.
                                    Mit melancholischer Sehnsucht, in wunderschön-stimmungsvollen Bildern, mit Liebe zum Detail, malt Makoto Shinkai (wieder einmal) ein träumerisch-rätselhaftes Bändergeflecht aus Gegensätze und Gemeinsamkeiten auf die Leinwand. Körper- bzw. Geschlechtertausch, Erwachsenwerden, Modernität vs. Traditionen, Stadt und Land-Gegensätze, Liebe und Freundschaft, Erinnerungen und Identitäten, Parallelwelten, japanischer Spiritualismus und Kometenerscheinungen. Zwischen Komödie, Tragödie und Romanze, zwischen Teenie-Film und phantastischen Erwachsenenfilm, mit einer nichtlinearen, verschachtelten Struktur ineinander verwobenen, entsteht eine philosophische und metaphysische Betrachtung über das Schicksal. Die unzähligen Ansätze finden aber auf die Dauer keine Kohärenz. Makoto Shinkai kann definitiv schöne Bilder, allerdings die erzählerische Meisterschaft fehlt ihm. So stolpert der Film am Ende über sich selbst, ist so verliebt in seinen Bildern, das er alles und nichts sagt, die dramaturgischen Schwächen mit dicken Pathos und Kitsch zu-kleistert.
                                    6 Sternschnuppen, die über den Himmel ziehen.

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                                      Wenn Paris im toxischen Nebel versinkt…
                                      Filmemacher Daniel Roby konzentriert sich weniger auf das Spektakuläre des apokalyptischen Szenarios. Mit bodenständigen Pragmatismus der Überlebenden und Fokussierung auf den familiären Anteil der Geschichte versucht er das Phantastische in eine greifbare Realität zu verordnen. Leider leidet der gesamte Film, trotz einigen ausdrucksstarken (aber auch etwas geleckt wirkenden) Bildern, an seiner mechanischen Konstruktion. Der emotionale Grundmotor (das einzige was hier zählt, ist das Überleben der Tochter) soll Spannung erzeugen, ist aber erzählerisch arg dünne. Der Film geht nie ein Risiko ein, sein luftdichtes Drehbuch hat kein Biss, keucht durch verdauliche Klischees. Wirklich unerbittlich oder bedrohlich wirkt er selten. Subthemen, wie z.B. eine technologische Zivilisation aus den Fugen gerät, welche Ängste sich offenbaren, bleiben in der Kleinfamilien-Rettungsmission heimelig (ver)geborgen. Etwas großzügiger gesehen, ist „Breath Away“ aber ein liebenswerter, aufrichtiger Genrebeitrag aus Frankreich. Zu den oberen Stockwerken des phantastischen Kinos gehört er aber definitiv nicht.
                                      5 Sauerstoffflaschen wechseln.

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                                      • 4

                                        Geschmolzenes Kino aus der Sowjetunion.
                                        „Ekipazh“ ist das zeitgemäßes Remake des gleichnamigen Katastrophenfilms von 1979, mit Passagiermaschinen, fetten Explosionen, Feuer speiende Berge, spalten-bildende Erdbeben und bestaussehende Menschen, die den Tag heldenhaft retten. Da unterscheidet sich der Streifen nicht von ähnlichen Werken aus dem Westen oder Osten, die den Welt-Markt umkreisen. Er nimmt sich (viel) Zeit um die zweidimensionalen Charaktere und deren uninteressantes Leben aufzustellen. Etwas Tadel gegenüber Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz, ein bräsiger Vater-Sohn-Konflikt testet die Geduld des Zuschauers, bevor das zentrale Desaster mit dick aufgetragenen, spektakulären Ereignissen beginnt, die bar jeder physikalischen und psychologischen Vernunft sind. Die Action-Sequenzen sind eine (durchaus beeindruckende) Mischung aus praktischen und visuellen Effekten. Regisseur Nikolai Lebedev zeigt seine offensichtliche Vorliebe für Hollywood-Blockbuster, kopiert sie 1:1 mit seiner 3D-IMAX-Kamera. Das ist im Prinzip alles ganz passabel, wenn ich das nicht schon tausendmal gesehen hätte.
                                        4 Notrufe von einer vulkanischen Insel.

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                                        • 6 .5

                                          Wuff & Wes.
                                          „Isle of Dogs“ ist ein typischer Wes Anderson-Film. Mit seiner bekannten Symmetrie-Bildsprache und seinem nostalgisch-schrulligen Oberflächen-Fetischismus erschafft er ein akribisches Stop-Motion-Werk, das von einem scharfen Gespür für schelmischen und visuellen Humor geprägt ist. Fern der Disney-Niedlichkeit, unterlegt mit einer großartigen Taiko-Drum-Partitur, wird die herzerwärmende Geschichte von ausgestoßenen Hunden und einem treuen Jungen als schrecklich-schöne Allegorie über Totalitarismus erzählt, eingebettet in eine offensichtliche Liebe zur japanischen Kultur. Allerdings etwas ratlos hat mich gemacht, das Anderson seine kindlich-naiv erzählte Botschaft um mehr Menschlichkeit, äh Hunde-Liebe, in pelzige Parallelen verordnet, die an den Holocaust mit Giftgas, KZ und Massenvernichtung erinnert. Die Ideologie-Kritik bekommt einen seltsamen Beigeschmack, wenn ein "dreckiger" Streuner ohne Marke am Ende sein „Herrchen“ findet, zu einen weiß-flauschigen Wauwau domestiziert wird, und eine amerikanische (!) Studentin den faschistischen Japanern zeigt was Widerstand und Revolution ist.
                                          6,5 Zecken auf der Nase eines Hundes.

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                                          • 6

                                            Der „Sound der Straße“.
                                            Genrefilme im urbanen (kriminellen) Migranten-Milieu und mit deutscher Gangster-Rap-Attitüde sind gerade en vogue, gerne als dreckige Hommage auf die amerikanischen Vorbilder erzählt. Im Kern geht es um Menschen, die alles tun, um zu überleben. Der Filmemacher Özgür Yildirim hat mit seinem 2009er Debüt „Chiko“ bereits prägende Vorarbeit geleistet. „Von Immigranten mit Immigranten für Immigranten in Deutschland“, so der Hauptdarsteller und Produzent Moritz Bleibtreu. Dass das Milieu und die Figuren mit ihrer hemmungslosem Dramatik dabei eher an Versatzstücke erinnern ist dabei wesentlich, schließlich wird hier mehr auf den Habitus eines geradlinigen Gangsterfilm wert gelegt als auf realistische Befindlichkeiten bundesdeutscher Städte. Da bleibt (bewußt?) Glaubwürdigkeit auf der Strecke. So packend und stimmungsvoll das dann auch inszeniert und erzählt ist, mich warf das psychologisch seltsame, bzw. unprofessionelle Verhalten (siehe Polizistin) und das klischeehafte, einfältige Männlichkeitsgehabe ohne Brüche des Öfteren aus dem Flow. Mitreißendes, sorgfältig geschmiertes Spannungskino biete der Streifen trotzdem, wenn auch oft vorhersehbar.
                                            6-mal den Tupac Song “Only God can judge me” hören.

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                                            • 6

                                              "Das Gehirn sieht, was es sehen will"
                                              Andy Nyman und Jeremy Dyson adaptieren ihr erfolgreiches Theaterstück im Stile der alten Amicus-Horror-Anthologien. Technisch sauber, mit fein abgestimmten, britischen Humor, entsteht ein sanftes, altmodisches Unbehagen, ohne Gemetzel und übertriebene Jumpscares. Die drei gespenstischen Begegnungen des paranormalen Skeptikers bestehen aus populären Versatzstücken des Genres und offenbaren, dass das Übernatürliche jeden treffen kann und Spuren hinterläßt. Die Paranoia macht auch bei unseren Antihelden nicht Halt und so muß zum Ende ein Twist her, der das Gesehene auf den Kopf stellt. Ich fand allerdings die Auflösung bei weitem nicht so clever, so meta, wie sie erscheint, sondern aus zahllosen Filmen 1:1 geklaut. Der vorherige Grusel verpufft in eine banale Geisterbahnnummer.
                                              6 Lagerfeuergeschichten.

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                                              • lieber_tee 01.09.2018, 04:23 Geändert 01.09.2018, 11:57

                                                Ihr habt doch mit euren grellem Farbschema bei den News einen an der Klatsche. Klicks bekommen, mangelnde alternative Bild Auswahl, schon klar, aber hier Roseanne (der Aufmerksamkeit wegen) in einen Grinch oder grünes Slime zu verwandeln ist echt peinlich.

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                                                • 6
                                                  lieber_tee 31.08.2018, 16:46 Geändert 31.08.2018, 19:15

                                                  America First.
                                                  Die wahre Geschichte eines afroamerikanischen Polizisten, der Anfang der 70er Jahre den Ku-Klux-Klan infiltrierte, ist so bizarr, dass sie ebenso komisch wie beunruhigend wirkt. Was als Diskurs über Formen von Rassismus (struktureller, politischer, offener) schreit, wird bei Spike Lee zu ein seltsam fokussiertes, unausgegorenes und merkwürdig niederenergetisches (der grausig vor sich hin dudelnde Score verhindert jede Dramatisierung) Stück Agitprop. Irgendwo zwischen greller Übertreibung, subtilen Witz und plakativ-politischen Leerlauf findet der Filmemacher keine saubere Linie. „BlacKkKlansman“ ist immer dann gut wenn er urkomisch einem das Lachen im Hals zusammenschnürt, wenn er die Black-Power-Bewegung und den Ku-Klux-Klan zwischen absurd und gefährlich reflektiert. Er ist schwach, wenn er das als platte Blaxploitation-Fantasie erzählt und nicht weiß ob er angepisst-wütend sein will, oder bürgerlich-braven Anti-Rassismus predigt.
                                                  Letztlich bleibt bei aller (berechtigter) Kritik an dem unscharfen Drehbuch und der tonal unausbalancierten Regie eines ganz klar, dieser Film ist relevantes und (weiterhin) dringend notwendiges Kino. Angesicht der gesellschaftspolitischen Situation in den USA (und Deutschland).
                                                  6-mal Jordan Peeles Satire "Get Out" schauen.

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                                                  • 6 .5

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                                                    Bevor sich Regisseur Enzo G. Castellari dem kernigen Hau-Drauf-Kino widmete, ritt er den italienischen Westernsattel. „Töte alle und kehr allein zurück“ ist quasi ein Vorbote, ein mit groben Pinselstrichen gemaltes Brett im Söldnerfilm-Modus. Schwungvoll gieren hier Charakterfressen niederträchtig nach Gold, treiben ihr bleihaltiges Unwesen. Das ist unter-komplex, zackig werden Muster bedient. Besonders in den Actionszenen zeigt der Regisseur sein Talent Dynamik durch Montage und räumlicher Inszenierung zu erzeugen, gepaart mit grimmigen Humor. Das ist nicht sonderlich clever, eigentlich eher (männlich-) primitiv, aber immer voll in die Fresse.
                                                    6,5 zünftige Saloon-Prügeleien.

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