lieber_tee - Kommentare

Alle Kommentare von lieber_tee

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    lieber_tee 21.01.2017, 02:15 Geändert 03.11.2017, 17:28
    über Sense8

    Empathie und Ekstase.
    Das zweistündige Weihnacht-Special (2016) (welches nachträglich zur 2. Staffel gezählt wurde) ist leider nur ein Lückenfüller für die im Mai 2017 kommende zweite Staffel. Alle Fragen der vorherigen Folgen bleiben weiterhin unbeantwortet, nichts wesentlich Neues wird über die sensierten Figuren erzählt. Plot oder Charakter-Entwicklung als Stillstand. Der Status quo der ersten Staffel ist schnell etabliert. Spannende Visuals und sprudelnde Emotionen treffen auf massive Temposchwankungen und (sorry) peinlichen Kitsch. Die (LGBT) Multikulti-Vielfalt, in all ihren Formen, wird gefeiert. Eine handvoll Action-Szenen treffen auf viel Telekom-Werbe-Ästhetik. Lebensfreude von schönen Menschen, bis zur fetischisierten Vision von austauschbaren, verschmelzenden Körperteilen, als Orgie. Halleluja-Choräle mit Weihnachtsmännern, Kunstschnee in Berlin, flackernden Kerzen in Mexiko-Stadt, die Glückseligkeit ist ebenso profan wie sie mit manch Grausamkeit gebrochen wird. Wer diesen trivialen und doch warmherzigen Stil mag, kommt wieder voll auf seine Kosten. Nur frage ich mich was der Nutzen des Weihnachts-Specials ist, außer Serien-Fernsehen mit Plot-Blocking in die Länge zu ziehen ohne dabei voran zu schreiten.
    6 explodierende Van Damme -Busse.

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    • 6 .5
      lieber_tee 20.01.2017, 17:05 Geändert 20.01.2017, 19:53

      „Kubo“ will eine emotionale Geschichte mit epischen Ehrgeiz und großer Magie erzählen, aber so richtig mitgenommen wurde ich nicht von der Reise-Dramaturgie bzw. Spiellevel-Struktur (inklusive Waffen und Rüstung-Einsammeln). Die Handlung wirkte auf mich NICHT flüssig, eher wie ein Abhaken verschiedener Set-Pieces, die einzeln ein Wunderwerk der visuellen Gestaltung sind, in dem aber die Hauptfigur (für mich) ein wenig distanziert und fremd wirkte.
      "Kubo" erscheint, im Vergleich zu den immer gleich erscheinenden Animationsfilmen aus der US-Blockbuster-Schmiede, verhältnismäßig außergewöhnlich und komplex, allerdings im Vergleich zu den früheren Laika-Werken überraschend generisch. Den schillernden, künstlerischen Sprung nach vorn, der dieser Produktion attestiert wird, konnte ich sowohl formal als auch inhaltlich nicht erkennen. Die augenfällige Freude mit wunderschönen, origami-gefalteten Bildern in der bonbonfarbenen, fernöstlichen Folklore zu schwelgen ist sichtlich berauschend, gerade wenn sie in ihren besten Momenten an die Miyazaki / Ghibli-Phantasien erinnern (und dreist klauen). Die blendende, detailfreudige 3D-Stop-Motion-Animation wirkt so perfekt, dass ich kaum noch einen Unterschied gegenüber dem ebenso perfekten, Computer-Bilderkino des angesagten Animation-Films erkennen konnte. Da wünschte ich mir weniger „Makellosigkeit“.
      Mutig mischt „Kubo“ Elemente aus Buddy-Komödie, Wuxia und Horror zu einen Coming-of-Age-Abenteuerfilm, der eine Lobeshymne auf Geschichten-erzählen, Teamgeist und selbstbewusste Handeln singt. Für einen „Kinderfilm“ sind die abstrakten Themen Tod und Ewigkeit (die natürlich wieder ins Heiligenbild der unsterblichen Kernfamilie abdriften) erstaunlich. Auch das hier sogar ein Diskurs über Legenden gewagt wird, die eine Quelle des Trostes in leidenden Zeiten und des Verlustes, ein Teil des kulturellen Generationsgedächtnisses sind, ist ungewöhnlich. Am Ende kulminieren all diese Inhalte, ohne dass ich jetzt behaupten könnte, dass sie wirklich vertieft wurden.
      Letztlich kaschieren die atemberaubenden Bilder und das wunderschön konzipierte Fern-östliche Milieu, dass die Quest-Struktur der Geschichte McGuffin-ähnlich ist und besonders zum Schluss nicht weiß was sie emotional (und inhaltlich) eigentlich will.
      Sorry, das ich hier so herummäkle an einen (im Prinzip) achtenswerten und liebenswerten Film, der viele ganz tolle Ansätze hat und optisch sicherlich eine Bereicherung für die kommerzielle Kinolandschaft ist. Aber mich hat er einfach nicht so vom Hocker gehauen, wie er es scheinbar bei anderen, wohlwollenden Zuschauern getan hat.
      6,5 geschnitzte, lebendige Holzaffen.
      P.S.: der Retro-Abspann ist klasse, wie er ein Spagat von Zeichentrickfilm zu Stop-Motion macht.

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      • 6

        Wir begleiten eine Beamtin bei ihrem ersten Einsatz, die letzte Nacht vor der Schließung einer trostlosen Polizeistation absitzen. Sie ist allein, isoliert in einer klaustrophobischen Lage, ein einsamer Charakter in extremer Anspannung, gezwungen ihre Schicht bis zum nächsten Morgen durchzuziehen.
        Die Stärke dieser Indie-Produktion ist, das sie aus ihrer minimalen Ausgangsprämisse eine wirkungsvolle, makabere Horrorshow macht. Frame für Frame atmet der Film die Angst. Die Bedrohung lauert hinter jeder Tür, die schaurige Reise in die Psyche der Protagonistin ist eine Verbildlichung physischen Schreckens. Zunächst langsam kriechend, dann zunehmend verdichtet.
        Paranormale Manifestationen, ominöse Soundeffekte, knirschende Knorpel und knarziges Quietschen. Regisseur Anthony DiBlasi (Dread) beherrscht das Spiel mit den Erwartungen. Was „Last Shift“ aber komplett abgeht ist Subtilität (und auch Originalität). Wenn man einem Film die Überbeanspruchung von Jump-Scares vorwerfen kann, dann diesem hier. Meist ist das Timing gelungen, manch visueller Effekt macht was her, so einige Schockmomente sind einfach nur platt. Grundsätzlich entsteht eine schaurige Stimmung. Der Terror und die Angst übertragen sich auf den Betrachter, das Erzählhandwerk ist allerdings krude. „Last Shift“ funktioniert wie Geisterbahn-Kino mit „Buh“ Effekten. Nicht mehr aber auch nicht weniger.
        6-mal die 911 anrufen.

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        • 6

          Wer ein Gewehr benutzt, muss den Rückschlag annehmen...
          In der 2016-Version von den „Glorreichen Sieben“ ist Regisseur Antoine Fuqua nicht daran interessiert das filmische Erbe voranzutreiben. Es gibt kein Risiko, keine Versuche Genre-Erwartungen zu unterlaufen und keine Lust dem Publikum etwas Neues oder zumindest Erstaunliches zu geben. Sein Ensemble-Film ist die Action-Version des US-Originals. Ein bleihaltig choreographierter Hans-Dampf-Knaller mit multikulturellen Pistolen, der nicht mehr sein will als Schurken, Dynamit und Ehre. Kein Pazifisten-Gelabere stört die gedankenlose Vorstellung von erlösender Männlichkeit im endlosen Showdown.Der Film schämt sich nicht Gewalt als Mittel der Lösung zu propagieren (ist ein „altmodischer“ Western, da wird in reduzierten Form erst geschossen und über Nachhaltigkeit selten nachgedacht).
          Mag sein, das hier unter der gewaltigen Ladung Blei irgendwo eine Andeutung existiert, das ein zu lang geknechtetes Bürgertum und unterdrücktes Migranten-Proletariat, das Amerika aufgebaut hat, gegenüber dem weißen Raubtier-Etablissement aufbegehrt. Und es mag sogar interessant sein, das dieser Film genau in dem Jahr veröffentlicht wurde, wo die frustrierten Kapitalismus-Verlierer der hart arbeitenden Provinz einen Präsidenten wählten, der ihnen eine (vermeintliche) Stimme gibt.
          Aber all diese tiefer-gelegten Gedanken um einen Kontext sind eh sofort vergessen, wenn der Zuschauer aus der Dunkelheit des Multiplex-Kinos breitbeinig wankt und voller Stolz mit dem noch nicht abgezahlten Auto in den Sonnenuntergang reitet.
          6 mal nachladen.

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          • 6 .5
            lieber_tee 17.01.2017, 12:39 Geändert 18.01.2017, 01:50

            Thelma und Louise fliegen über das Kuckucksnest.
            Der Film lebt von seinen Gegensätzen. Bipolarität wird in den Figuren verankert, ihre Stimmung pendelt unvermittelt zwischen Gefühlsüberschwang und Niedergeschlagenheit. Die manisch-überdrehte Beatrice trifft auf die depressiv-schwermutige Donatella. Extreme ziehen sich an, bilden eine Einheit, schweißen zusammen. Das Leichte und das Schwere, die Freude und das Traurige, das Tragische und das Komische, das „Normale“ und das „Ver-rückte“ verbinden sich in „Die Überglücklichen“, auch wenn manch locker-flockige Tonfall nur bedingt zu der ernsthaften psychischen Störung seiner beiden Protagonisten passt. Da werden schon gerne typisch-ausgelassene und wenig realistische Stereotypen des Klapsmühlenfilms bedient, die Überglücklichen sind halt auch die Überoffensichtlichen.
            Der Film will ein sonnig-irres Feelgood-Roadmovie sein. Er lacht mit seinen Figuren, manchmal auch über sie, diffamieren tut er sie allerdings nie. Denn der emotionale Kern, die Magie dieser italienischen Tragikomödie, ist die Freundschaft der beiden gegensätzlichen Frauen, betörend und sympathisch von Valeria Bruni Tedeschi und Micaela Ramazzotti verkörpert. Wir sehen die Welt aus ihren Augen, nehmen an ihren Gefühlen Teil, finden Verständnis für ihre „Krankheit“.
            Verrücktheit als liebenswerte Fellini-Figuren, als eine temporeiche Allegorie über Lebensmut. Das ist hier nur bedingt in die Realität verordnet, denn psychiatrische Themen wie mangelnde Krankheitseinsicht, Nebenwirkung von Medikamenten, Fremd- und Eigengefährdung, Entmündigung und die massive Gewalt in den Einrichtungen wird nur ganz am Rande gestreift. Hier sind die Irren irgendwie knuffig, überraschend selbstreflektiert, manchmal erschreckend und dürfen in der sommerlichen Toskana die heilsame Freiheit suchen.
            Zwischen erstaunlicher Harmlosigkeit und glaubwürdigen Realismus pendelt der Film, getragen von phänomenalen Darstellerinnen und spritzigen Wortwitz. „Die Überglücklichen“ will dem Zuschauer etwas Gutes tun. Heikle Themen werden angesprochen aber dann doch als ein filmisches Konstrukt deutlich, denn es geht hier um Lebensbejahung, die auch vor einem dick aufgetragenen und der Wirklichkeit völlig entflohenen Therapie-Happyend nicht Halt macht.
            6,5-mal in der kunterbunten Pipi-Langstrumpf-Villa für Irre Party machen.

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              lieber_tee 16.01.2017, 09:57 Geändert 18.01.2017, 01:49

              Regisseur David Yates ist in seinem Element. Seine Rückkehr in Rowlings Zauberwelt ist ein überfüllter Mix aus ebenso erfinderischen wie vertraut-knalligen Wundern, mit vertrottelten Momenten und gotischer Dunkelheit. Nur ein guter Geschichtenerzähler ist Yates nicht, war er noch nie. Und so stolpert „Tierwesen“ der magische Anziehungskraft der "Harry Potter"- Filmen hinterher. Das Ziel, eine Art reiferes Spin-Off der Originalreihe zu verwirklichen, Themen wie Ausgrenzung, Rassismus und Politik einzubauen, geht im narrativen Durcheinander und Heißlaufen der CGI-Hochleistungsprozessoren verloren. Zu viele Set-Pieces, ungeschickte Plotlines, die grob verbunden werden, das ständig nach Franchise schreiende Franchise ermüdet schnell. Magie entsteht nicht aus dem herumfuchteln mit dem Computer-Zauberstab, sondern durch charismatische Figuren, die die phantastischen Welt füllen. Hier verbinden die eindimensionalen Charaktere nichts und Eddie Redmayne ist ein liebenswert-schüchterner Zauberer, bzw. ungeschickter Öko-Tierschützer, der mit seinem weinerlich-autistischen Blick nervt.
              Eskapistische Unterhaltung für die Massen, ein Kommerz-Koffer aus Floskeln und Formeln.
              4,5 kleine, grüne Groots für Arme.

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                lieber_tee 15.01.2017, 10:40 Geändert 15.01.2017, 10:43
                über Starlet

                Bürgerlichkeit im Porn Valley.
                Wohlfühl-Indie-Quickie von den Macher von „Tangerine“. In seinem bewussten Spiel aus Dokumentation und Erzählung verbindet Regisseur Sean Baker unterschiedliche Lebensmodelle, Wertvorstellungen und Generationen miteinander. Mit herzerweichender Hartnäckigkeit erzählt er über die Freundschaft zweier vereinsamten Frauen, die sich gegenseitig brauchen. Auf das Zusammenspiel der beiden überzeugend spielenden Hauptdarstellerinnen fokussiert, treibt der privat wirkende Film durch ein sonnig-überbelichtetes Kalifornien, ohne das Pornomilieu, in dem er (auch) angesiedelt ist, voyeuristisch auszubeuten oder eine zentrale Bedeutung zuzuschreiben. Obwohl nicht frei von Klischees (das lebenslustige, sich treiben lassende Pornosternchen, die alte, schrullige Bingo-Oma) schafft es „Starlet“ immer eine ehrliche Fröhlichkeit auszustrahlen, ist entwaffnend sympathisch, nie klebrig.
                7 Lowenergie -Chihuahuas

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                  lieber_tee 14.01.2017, 15:07 Geändert 18.01.2017, 01:53

                  US-Amerikanisch-zentrierte Perspektive auf das (unabhängige) LGBT-Kino der letzten ca. 50 Jahren, die als Ergänzung zu "The Celluloid Closet" (1995) geeignet ist. Eine große Bandbreite an Schauspielern, Regisseuren und Kritikern geben ihre anekdotenhafte Meinung wieder. Schnelles Taggen von Filmen, hektisch eingeblendete Grafiken und ein anstrengendes Jump-Editing fördert nicht die Vertiefung, komplexe oder geschichtliche Hintergründe gehen oftmals verloren. Andererseits wird mit dem Umgang verschiedener ethnischer Gruppen (z.B. Asien- und Afro-Amerikaner) in Homosexuellenfilmen ein wichtiges Thema angesprochen. Zur ersten Erkundung von „schwulen“ Kino eignet sich „Fabulous!", zu mehr allerdings nicht.
                  5-mal die Regenbogenfahnen schwingen.

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                    Die seltsame und faszinierende Prämisse, das eine entführte, alleinerziehende Mutter in einem Labor mit ihrer größten Angst konfrontiert wird, funktioniert über einen langen Zeitraum deshalb so gut, weil der Betrachter immer auf den gleichen Wissensstand der Protagonistin ist und mit ihr über die Hintergründe rätselt. Aber wenn langsam klar wird was hinter dem ganzen Szenario steckt, dann ahnt der erfahrende Genre-Zuschauer schon die Enttäuschung. Das schadet dem oberflächlichen Thrill nur bedingt, denn die kalte Effizienz der Entführer, die phobischen Foltereinlagen, das Katz und Mausspiel in den klaustrophobischen Gängen ist ausreichend fesselnd. Weil Hauptdarstellerin Noomi Rapace, mit ihrer intensiven Performance aus körperlicher und psychischer Entschlossenheit, diesen ernsthaften Humbug sicher trägt.
                    „Rupture“ ist ein Mix aus Horror, Thriller und Science-Fiction. Versucht in Form eines Genre-Films die Frage zu stellen was den Menschen menschlich macht. Es ist schon notwendig sich eher von seiner schaurigen Stimmung tragen zu lassen als über die Sinnhaftigkeit der Geschichte nachzudenken. Mit seinen Bildern und in seiner ganzen Gestaltung wirkt er Retro, spielt fast altmodisch mit Farben. Die konventionelle Auflösung ist grober Unfug, könnte aus einer „The Outer Limits“- Folge stammen. Das ist schade, weil die gesamte Dramaturgie auf dieses Ende zielt und letztlich dann ernüchtert.
                    6 Richtungspfeile aus Hansaplast in den Luftschächten.

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                    • 2 .5
                      lieber_tee 13.01.2017, 08:38 Geändert 13.01.2017, 15:55
                      über Gejagt

                      „Camino“ kann sich nicht entscheiden ob er auf-getakeltes Kunstkino mit coolen Twist, existentialistisches Überlebensdrama vor exotischer Kulisse oder ein brutaler Hetzjagd-Actioner mit Stuntfrau Zoë Bell ist.
                      Ebenso geschwätzig wie seine penetranten Dialoge ziehen sich die erbarmungslos wirkenden Zweikämpfe ins Endlose dahin. Dazu dröhnt ein aufdringlicher Bass-Sound, der, wie teilweise auch die Inszenierung, eher im Horrorfilm zu Hause ist. Dazwischen wirft der Kameramann mit satten Bilden aus dem grünen Dschungel um sich, die aber in einem seltsam unrhythmischen Schnittgewitter versinken. Der Film hat sowohl politisch als auch emotional nichts zu erzählen. Der Film hat kein Gespür für den maßvollen Umgang mit filmischen Mitteln. Der Film frönt den Sadismus. Der Film nervt.
                      Eigentlich will Regisseur Josh C. Waller (der mit „Raze - Fight or Die!“ schon einen ähnlich kruden Scheiß abgeliefert hat) viel lieber zeigen wie sich Zoë Bell im Schlamm wälzt und als verschmierte Fotographen-Amazone im Rambo-Kampfmodus etwas auf die Fresse bekommt oder eben so heftig austeilt. Das kaschiert er mit einer Arthaus-Filmsprache, die sich aber nie vom Direkt-To-Video-Rammel-Kino löst.
                      „Camino“ ist nazistisch-gequirlter Dilettantismus mit fetischierter Gewalt, da nutzt die rohe, körperlich-präsente Hauptdarstellerin und die hübschen Bilder auch nichts.
                      2,5 unchristliche Missionare.

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                        Der Regisseur Jay Lee („Zombie Strippers!“) und das blutdurchflutete Cover suggerieren, das hier eine trashige Splatterorgie an den Start geht. Der Film ist allerdings eine bewusst sperrige Indie-Version von Alyce im Wunderland, in der eine nicht gerade sympathische, introvertierte Frau langsam aber sicher dem urbanen Wahnsinn verfällt. Dieser Abstieg wird als grimmige Sozial-Satire über Isolation erzählt.
                        „Alyce“ bedient dabei nicht die Erwartungen des Zuschauers. Das Publikum fällt in ein sehr dunkles Kaninchenloch, hat keine Ahnung was auf dem Weg nach unten ihm begegnen wird. Die Tonalität des Films ändert sich mehrfach. Was anfangs noch wie ein geschwätziger, durchaus anstrengender Frauenfilm daher kommt, transformiert mit seiner Protagonistin zunehmend in einen schrägen Alptraum. Ebenso psychologisch wie auch physisch. Aus selbst-auffressender Schuld, Verzweiflung und Fatalismus, aus einem nihilistischen Drogendrama, wird ein surrealer Rausch. Der Verfall von Alyce im letzten Drittel ist eine übersteigerte Rache-Orgie aus Blut, Knochenbruch und Gedärm, die nur noch als schwarzhumorige Over-the-Top-Satire interpretierbar ist.
                        Dank der exzellenten Hauptdarstellerin Jade Dornfeld, die uns glaubwürdig durch diese abgründige Reise begleitet, sind gerade die sprunghaften Wechsel der Erzählformen (und Genre) das faszinierende und packende des Films.
                        Schöner, fieser Mindfuck, der Streifen.
                        7 ausgetrocknete Vaginas.

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                          lieber_tee 11.01.2017, 09:01 Geändert 11.01.2017, 09:07
                          über Mustang

                          Das Oscar-nominierte Coming-of-Age-Drama „Mustang“ ist ein Plädoyer für die Freiheit.
                          Verordnet in einem kleinen türkischen Dorf an der Schwarzmeerküste, wird die nahe Umgebung und das Zuhause von 5 Geschwistern als ein Hort von konservativ-religiöser Moral- und Regel-Vorstellungen, mit knallharten Repression- und Gewaltstrukturen vom Patriarch dargestellt. Aufkommende sexuelle Interessen oder freiheitlich-moderne Gedanken werden im Keim erstickt und mit Paranoia, Einübung traditioneller Werten, Zwangsverheiratung (inklusive Jungfrauenzwang) und vergitterten Fenstern beantwortet.
                          „Mustang“ erzählt konsequent aus dem Blick der Jüngsten den Leidensweg der Mädchen und ihre Versuche gegen dieses System der Unterdrückung zu rebellieren, im wahrsten Sinn des Wortes daraus auszubrechen. Ihre Aufmüpfigkeit und Solidarität untereinander ist dabei überraschend spielerisch-unschuldig erzählt, findet eine sommerlich-weiche Gestaltung, leicht verträumt und melancholisch. Am Ende gibt es einen symbolischen Hoffnungsschimmer, die Großstadt als Ort des freien aber unsicheren Lebens.
                          „Mustang“ ist bewusst ein parteiischer Film. Er ist nicht frei von Klischees. Einen tieferen Diskurs über die Gesellschaft, Politik, ökonomischen Verhältnissen und Bedeutung der religiösen Strukturen in der (südlichen) Türkei spart er aus. Die Story folgt recht konventionell einer Konfrontations-Dramaturgie mit erlösenden Ausgang. Das mag etwas schlicht wirken und vielleicht auch nicht grundsätzlich den Verhältnissen in der (ländlichen) Türkei entsprechen. Aber selbst wenn nur Teile von diesen un-humanistischen Wertvorstellungen unter dem Deckmantel einer Religion, die nur dafür genutzt wird um den Machtapparat von Männern zu unterstützen, der Wahrheit entsprechen, reicht das aus um diesen Aufruf zum Widerstand zu schätzen und zu folgen.
                          7 Telefone im Schrank weggeschlossen.

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                            lieber_tee 10.01.2017, 12:37 Geändert 18.01.2017, 02:33

                            „Dies hier ist ein Sieg! Dies ist das erste Gloria! Oh, Freund, feiern wir diesen Sieg, für den nächsten Kampf!
                            Seit über ein Jahrhundert leben die Restbestände der Menschheit in einem Königreich, das von hohen Mauern umgeben ist, um sie vor gigantischen, menschenfressenden Riesen zu schützen. Die beiden Rassen haben sich gegenseitig abgegrenzt. Die Titanen kommen nicht rein, die Menschen nicht ohne Verluste raus. Bis auf dem Tag, wo ein Koloss eindringt…
                            ATTACK ON TITAN ist ein Phänomen. Außergewöhnlich populär im Heimatland, entwickelt sich aus dem ursprünglichen Manga ein weltweites Franchise mit Videospielen, Realverfilmungen, Anime, Mangas, Romanen, Kerzendüften und Kaffeetassen.
                            Im Kern geht es in dieser ersten Anime-Staffel um den Schrecken des Krieges und der Schwäche der Menschheit, angesichts der schrecklichen Natur des Unbegreiflichen. Auch wenn die Prämisse nach Action und phantasievollen World-Building schreit, scheint Autor Hajime Isayama eine andere Intention gehabt zu haben. Ihm geht es in den 25 Folgen mehr um das Leiden und Heldentum seiner Soldaten. Das Konzept des Scheiterns, das Aufreiben von menschlichen Kräften, der wiederholende Kampf, die Aufopferung und kampfverhärtete Tapferkeit, der Umgang mit Verlust und Kriegstrauma, sowie ausführlich propagierte militärische Strategien sowie interne Intrigen in der Stadt, stehen im Mittelpunkt. Das klingt mehr nach einem Kriegsfilm als nach einem Eintauchen in eine phantastische, komplexe Welt, ja, ATTACK ist ein ausuferndes Kriegsepos.
                            In Gebäude und Bekleidungsstile der späten Reformationszeit Europas verordnet, mit Anime-typischen, abnormen Frisuren und typischen Shonen-Archetypen, bietet die Serie visuell einiges, garniert mit dynamischen Kampfsequenzen als Hochseilakrobatik. Die Titanen sehen schaurig aus, an Splatter mangels nicht, die Serie ist reich an ikonischen Bildern. Leider wird das zeichnerische Niveau nicht immer beibehalten, manchmal friert das Bild in Standbildern ein, was aber wohl als Stilmittel zu interpretieren ist.
                            Über Details, die wirklichen Hintergründe der Titanen und ihre Eigenarten erfahren wir wenig. Woher sie kommen, warum sie existieren und plötzlich angreifen, bleibt (bewusst) ein Rätsel. Die erste Staffel will sich ganz und gar auf seine Figuren innerhalb der Mauern konzentrieren. Leider entwickelt ATTACK, nach einem furiosen Beginn, schnell die ärgerliche Tendenz, Szenen und Sequenzen von Ereignissen in einer Art und Weise massiv in die Länge ziehen, das es nervt. Fast jede Folge besteht aus dem gleichen Muster. Der Plot wird geblockt, jegliches Gespür für Erzählrhythmus und Spannungskurve fehlt. Angelegenheiten, die in Sekunden zu entscheiden sind, werden ewig hinausgezögert, die Personen lamentieren, leiden und labern ewig. Cliffhanger an den Enden der Folgen sollen Spannung erzeugen, verfehlen in ihrer Penetranz aber ihre Wirkung. Das Tempo wird ständig und bewusst herausgenommen, es hagelt Bildtafeln, minutenlange Diskurse und Flashbacks. Jede Climax-Spannung wird der Garaus gemacht, nur um die Serie zu strecken. Innere Gespräche in angespannten Situation, das Selbstmitleid der Soldaten, das Anime verdirbt sich ständig sein Potential.
                            Hinzu kommt der krieg-verherrlichende, patriotische Duktus, der auch mit den zweiflerischen Monologen der angeblich un-heroischen Soldaten nicht aufgefangen werden kann, da sie im nächsten Moment dann doch den ehrenhaften Tod, voller Selbstaufgabe erleiden. Krieg als Abenteuer und Selbstfindung. Heißblütig werden die Gefühle übergroß ausformuliert, mit großen Gestiken wird gelitten und nach Erlösung gestrebt, so dass einem der penetrante Pathos erschlägt.
                            Letztlich ist mir die Faszination um diese Serie nicht klar. Weder hat sie die versprochene Intensität, noch ist ihr Stil wirklich überwältigend. Aus ihrer faszinierenden Fantasy-Grundprämisse macht sie nur eine endlos dahin siechende Kriegs-Orgie. Vielleicht liegt der Militär-Fetischismus bestimmter japanisch-kulturellen Elemente zu Grunde. Das erklärt mir aber nicht warum ATTACK weltweit so völlig unkritisch abgefeiert wird.
                            4-mal Sieg-Heil!

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                              B-Cop-Krimi mit moralisch regnerischen Noir-Anleihen, der in einem Netzwerk aus Intrigen und Korruption taucht, um die Natur des Bösen bzw. die Grenzen zwischen Gut und Böse auszuhandeln. Von Steven C. Miller in den Aktionszenen knackig in Szene gesetzt und mit Christopher Meloni beachtenswert gut gespielt. Ist das Szenario in den ersten 40 Minuten durchaus interessant, stolpert das Drehbuch zunehmend über seine extrem weit hergeholten Wendungen und Klischees, um am Ende nur noch doof zu sein. Der Bruce Willis soll auf dem Cover mal wieder potentielle Käufer locken, ist im Film aber nur 5 Minuten gelangweilt zu sehen. Oh Mann, wann geht dieser Typ endlich in Rente.
                              5 Hinrichtungen in der Bank.

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                                lieber_tee 08.01.2017, 13:38 Geändert 08.01.2017, 13:53

                                Mit Beats und Beethoven untermalter No-Budget-Film, über zwei schwarze Transgender-Prostituierte und einem armenischen Taxifahrer, am Heiligen Abend im sommerlichen L.A. Oberflächlich bedient das Drehbuch die typische Elemente von Aussenseiter-Filmen, um in die Lebenswelten der Queere-Szene einzutauchen. Schrill, laut und mit viel spontan wirkenden Witz begleiten wir die Odyssee einer Drama-Queen, hyperaktiv driften wir durch die Straßen mit ihr, lustvoll überzeichnet und zugleich empathisch, mit einigen herrlich pointierten Momentaufnahmen.
                                Der Sundance-Hit braucht am Anfang ein wenig an Gewöhnung, wegen seines hysterischen Stils, aber die Charaktere kommen einem zunehmend näher, obwohl Filmemacher Sean Baker sich nie vollständig von seinen grellen Klischees über Transgender-Figuren im Film lösen kann. Dadurch, dass „Tangerine“ mit drei hochgepumpten iPhones gedreht wurde, entwickelt er einen interessanten Charme aus Fiktionalität und Realismus. Seine bearbeiteten Bilder sind wunderbar fotografiert, seine präzisen Alltagsbeobachtungen tragisch und skurril.
                                Zwischen Randgruppen-Verklärung, bissigen Humor und Sentimentalität entsteht ein lebensbejahender Blick auf Menschen, die für mich auch immer etwas „exotisches“ haben. Aber Sexualität oder Identität ist eh nur ein kleiner, hier alltäglicher Teil. „Tangerine“ ist ein Weihnachtsfilm. Und so geht es mehr um Freundschaft, Familie und Sehnsüchte, die sich, wie es sich für einen "wilden" Indie-Film gehört, auch mal in Wut und Rausch äußern darf.
                                7 Donuts mit rosa Glasur.

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                                  lieber_tee 07.01.2017, 13:39 Geändert 23.12.2017, 21:10

                                  "Action-Gülle" mit Murray, Souli und Tee #18
                                  Der ehemaliger Stuntman Scott Adkins zählt zu den besten nicht-asiatischen Kampfkunstschauspielern dieser Tage. Action-Filmliebhaber kennen und schätzen ihn, weil er den Mythos der athletischen Ein-Mann-Armee der 80er und 90er erfolgreich in die Jetztzeit transportieren kann. Klar, er ist nicht so großartig wie ein Schwarzenegger oder Stallone war, eher ein Van Damme, aber Seagal hat er locker überholt (ok, das ist auch nicht wirklich schwer). Es ist zu schade, dass er nur in "kleineren" Action-Filmen spielt.
                                  „Eliminators“ ist nichts Neues an der Video on Demand-Action-Front. Überraschungslos, unkompliziert und nicht zu billig bietet er anständige Kost. Er ist gut gemacht, sieht gut aus und vermittelt kompetent das ständige Gefühl der Dringlichkeit. Seine Einfachheit und Geradlinigkeit ist schätzenswert. Unverschnittene Martial-Arts-Kämpfe mit sauber positionierter Kamera und ein Schurken, der eine unvergessliche Hackfresse hat, „Eliminators“ ist grundsolide Action-Ware von der Stange, die aber gerne vorne hängen darf.
                                  5,5 mal sich bei der Adresse irren.
                                  http://www.moviepilot.de/liste/action-schrott-murray-lieber_tee-und-soulreaver-auf-der-suche-nach-mannlichkeit-murray

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                                    Episode 6 Von allen gehasst
                                    Leichte Spoiler!
                                    Black Mirror basiert auf dem Konzept neue Technologien in unserer schnelllebigen Zeit danach zu hinterfragen was sie mit uns persönlich machen. Die 6. Episode der dritten Staffel ist dabei keine Ausnahme. Diesmal nimmt sich der Schöpfer Charlie Brooker 90 Minuten Zeit, bis die Welt in ihrer eigenen Scheiße erstickt.
                                    Groteske Todesfälle werden durch kleine Honigbienen-Dronen verursacht, die eigentlich unser Ökosystem stabilisieren sollen. Sie sind von einem Terroristen umprogrammiert worden, der neben der totalen Überwachung durch die Regierung (denn dafür werden sie auch genutzt) auf die Perversität von Cyber-Mobbing aufmerksam machen will. Denn seine gehackte Insekten-Flotte vollzieht Morde an vermeintlichen Arschlöchern, die durch das virale Twitter-Spiel namens "Game of Consequences" den meisten Shitstorm bekommen. Aber das ist erst er Anfang…
                                    Hassposts, Clickbait und Online-Mobbing vom Social-Media-Mob, der in seiner anonymen Masse die Sau raus lassen kann, ohne mit Konsequenzen zu rechnen. Der wachsenden Überwachung durch den Staat. Zwei zentrale Themen, die in „Von allen gehasst“ als mürrischer Polizei-Krimi und Tierhorror-Film angesprochen werden. Ähnlich wie bei „Nosedive" geht es um die Auswirkung aber auch um die Verantwortung des Einzelnen bei virtueller Gewaltausübung.
                                    7 „#DeathTo"-Hashtags

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                                      lieber_tee 06.01.2017, 15:50 Geändert 07.01.2017, 03:57

                                      Episode 5 Männer aus Stahl
                                      SPOILER!!!
                                      Ein Soldat, der in Osteuropa mit seiner Einheit kämpft, macht Jagd auf zombieähnliche Mutanten, die "Kakerlaken". Durch einen „Virus“ erkennt er, das sein Implantat in seinem Kopf ihn dazu veranlasst normale Menschen als Ungeheuer zu sehen und ihre friedlichen Handlungen als gewalttätig zu interpretieren.
                                      „Männer aus Stahl“ wirft einen grausigen Blick auf moderne Kriegsführung. Die angewandte Technologie erlaubt ohne Schuldgefühl unschuldige Menschen zu töten, die politisch nicht in das Herrschafts-System passen. Mit staatlich manipulierten Mordmaschinen wird ein Holocaust verübt, da die Feinde im Hirn der Soldaten buchstäblich dämonisiert werden. Es sind keine medialen Propaganda-Kampagnen oder Fake-News mehr notwendig, alles läuft per Plug and Play. Vorurteile, institutionalisierter Rassismus und die Angst vor Flüchtlingen können in die Vorstellungen von Menschen eingepflanzt werden. Man denke an unsere aktuelle politische Lage, schon ist überdeutlich das Parabelhafte dieser düsteren Utopie erkennbar, diese Art der pervertierten Kriegsführung wirkt nicht mehr so unrealistisch. Erzählt wird der Kurzfilm als typischer militärischer Action-Science-Fiction-Streifen. In erkalteten Bildern, eher geduldig aber nicht schleppend, mit einer wahrlich fiesen Zukunftsvision.
                                      7 gleiche Träume.

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                                        Episode 4 San Junipero
                                        Wirklich nur lesen, wer die Folge noch nicht gesehen hat oder knallhart SPOILER ertragen kann.
                                        Die vierte Episode der Netflix-Anthologie-Serie erzählt die Geschichte zweier Frauen, die sich in einer alternativen, virtuellen Welt verlieben. Der Tech-Twist ist, dass die Stadt, San Junipero, eine Computer-generierte Simulation, ein Himmel der Vergangenheit, ist. Das Paar, das in Wirklichkeit dem Tode nahe ist, entscheidet sich, ihre Ewigkeit gemeinsam als Jugendliche zu verbringen, deren Bewusstsein für immer in eine Cloud-Datenbank hochgeladen wird. Der Fokus der Geschichte ist dabei nicht die Homosexualität, sondern die Auseinandersetzung über Verlust und privates Glück. So entsteht eine erstaunlich aufregende Geschichte, mit einem großen emotionalen Bogen. Vollgepackt mit wohlfühlender 80er Jahre Nostalgie, überrumpelt der Stammautor Charlie Brooker hier mit einer ungewöhnlich glücklichen Note. Hier ist neue Technologie mal keine Falle.
                                        7,5-mal ins Taschentuch geheult.

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                                          lieber_tee 05.01.2017, 13:41 Geändert 09.01.2017, 04:04
                                          über Puls

                                          Smombie – Der Film.
                                          Die Verfilmung von Stephen Kings Roman ist eine Promenadenmischung aus Untoten-Horrorfilm und Kollaps-Science-Fiction, die die Angst vor einer totalen, medialen Vernetzung hinauf beschwört. Ein seltsames Signal verwandelt alle Handybenutzer zu willenlosen und aggressiven Zombies, ein Papa sucht seine Familie, will den Ursprung des Schreckens finden. Basierend auf eine kulturpessimistische Phobie vor modernen Technologien und ihre gesellschaftlichen sowie individuellen Folgen findet Filmemacher Tod Williams (Paranormal Activity 2) immerhin zeitweise einige schaurige, endzeitliche Bilder, eingebettet in eine entfärbten, niesel-kalten Stimmung. Inhaltlich bleibt der Film aber den bekannten Motiven des apokalyptischen Zombiefilms immer treu, da nutzen auch nicht die krampfigen Querverweise zum Stream-Punk oder zur Comic-Kultur. Das hier Individuen durch ein Massenkulturgut ihre Individualität aufgeben, zu einem schwarmhaften, gleichgeschalteten Kollektiv werden, wird bereits nach wenigen Filmminuten klar, vertieft wird das aber zu keiner Sekunde. Das liegt nicht nur daran, dass die Geschichte holprig erzählt ist, von einem Set-Pieces zum nächsten springt, sondern auch weil die Figuren einem so gleichgültig sind wie sie spielen. Packend ist der Streifen nie, eher in seiner kruden Abfolge von kruden Szenen leicht irritierend. Letztlich hat der Film einfach nichts zu erzählen und dieses Nichts erzählt er dann auch noch erbärmlich.
                                          4 Smartphone-Akkus, die verbrennen.

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                                            lieber_tee 05.01.2017, 01:37 Geändert 13.01.2017, 01:34

                                            „Sind sie Jude? Nein, schwul!“
                                            Das Kino ist über 100 Jahre alt, ebenso alt ist die Darstellung von Homosexualität im Film. Abwechslungsreich, witzig und bitter taucht "The Celluloid Closet“, mit einem Mix aus Interviews (mit Drehbuchautoren, Filmemachern und Schauspielern) und präzise dazu ausgewählten Filmausschnitten, in die schwule Welt der amerikanischen Kinematographie ein. Da Hollywood immer schon eine Cowboystadt war, die mit gleichgeschlechtlicher Sexualität nichts im Sinn haben will, dauerte es lange, sehr lange bis offene, wohlwollende und sinnliche Bilder von Homosexualität über die populäre Leinwand flimmerten. Das Tabu-Thema wurde stattdessen unter dem Druck von kirchlichen und konservativen Interessengruppen entweder durch Zensur komplett von der Leinwand verbannt oder in diffamierenden Rollenstereotypen verbildlicht. Diese „Perversität“ konnte lange nur als komische Transvestiten, lächerliche Schwuppen, geile Vampirinnen, sterbende Opfer oder sadistische Täter dargestellt werden. Oder indirekt durch kreative Symbolik. Es waren gesellschaftliche Veränderungen, ein offener Umgang mit Schwulen und Lesben von Nöten, dass auch das US-Mainstream-Kino reagierte. Ab den 80ern kamen erst (wenige) Filme heraus, die Homosexualität positiv, erotisch und empathisch darstellten, diese Lebenswelten „realistisch“ thematisierten. Immer wieder verbindet die Dokumentation dabei geschickt die gesellschaftlichen Realitäten mit Sexualität und Geschlechteridentität im 20. Jahrhundert.
                                            7,5 schwule Küsse als Angriff auf die Männlichkeit.

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                                              lieber_tee 04.01.2017, 12:58 Geändert 04.01.2017, 15:45

                                              "Was meinst ‘n mit Glück? Auch mal ins Kino gehen, oder was?"
                                              Die Vater-Tochter-Beziehung ist nicht mehr intakt. Winfried ist der Meinung, dass Ines "ein bisschen glücklich" sein soll, mehr lachen soll. Denn wer lacht, der lebt! Ines ist Unternehmensberaterin, ein Kariere-Raub-Tier, hat für Humor keine Zeit, nur für das Klingeln ihres Smartphones. Und so führt, zum Erschrecken seiner Tochter, der Papa am bulgarischen Arbeitsplatz der Consulting-Firma die Helge-Schneider-Bürgerschreck-Therapie mit Zottelperücke und schiefer Zahnprothese durch. Mit dem Humor-Furzkissen aus Irritationen bewaffnet setz er sich in alle Nesseln, taucht an falschen Orten zur falschen Zeit auf und coacht Ines in Sachen Humor. Irgendwie findet sie das scheiße, irgendwie auch nicht, irgendwann macht sie das Spiel mit, am Ende muss sie dann doch lachen.
                                              Winfrieds Witz ist dabei auf den ersten Blick infantil, platt und grenzüberschreitend. Er nervt. Sowohl Ines als auch den Zuschauer. Aber sein Ansatz mit kindischen Quatsch Abstand in den beruflichen Alltag seiner Tochter zu bringen, mit subversiven Witz eine andere Perspektive aufzuzeichnen, ist ebenso kalkuliert wie eine väterliche Hilfsaktion aus Verzweiflung um seine Tochter ihm näher zu bringen und sie aus dem entmenschlichten Hamsterrad der entmenschlichten Arbeit zu stoßen. Fast drei Stunden folgt der Zuschauer öden und heuchlerischen Partys, Außenterminen und Sektempfängen, die Papa-Winfried als Toni Erdmann nach und nach sabotiert. Ihnen mit loriothafter Beobachtungsgabe einen Zerrspiegel vorhält, ohne dabei die Personen vorzuführen oder auszulachen. Die Regeln zum Überleben in einer Business-Welt voller Machtspiele und Sexismus sind ebenso entkörpert wie Ines selbst wirkt. Sie sind grausam, dämlich, autoritär und unmenschlich. Ebenso wie sie die familiäre Beziehung zwischen Vater und Tochter zerstören, zerstören sie das Leben anderer. Ines ist in dieser Welt der Abhängigkeiten auf der Suche nach Selbstverwirklichung, ohne dass sie sich dort selbst verwirklichen kann, weil sie von allem abhängig ist.
                                              Das klingt spröde, ist es auf einer gewissen Art und Weise auch. Die Kamera beobachtet spröde, die Tochter ist spröde, die Gesprächsthemen bei den Empfängen sind falsch und spröde. Der Zuschauer gewinnt aber durch Toni auf die Geschehnisse Distanz und schnell einen freundlichen, charmanten Blick auf seine Figuren. Denn der Kalauer ist hier unterschwellig, ein Schritt zur Veränderung. Ein Anstupser zum Nachdenken und ein Spiegel für die Absurdität der perfiden Wirtschaft- und Politik-Spielchen.
                                              Maren Ades große Drehbuch- und Regie-Leistung ist, das sie den Zuschauer und den beiden famosen Darstellern Raum zum Nachdenken, zum Atmen gibt. Es findet eine Annäherung, eine Sympathie statt, die (zumindest bei mir) einen Sog erzeugt hat. Ausdrucksstarke Szenen, intensive Momente, skurrile Geschehnisse treiben den Betrachter in eine entfremdete Welt, die im Verlauf aber nicht mehr so fremd erscheint und durch rebellischen Humor nach einen Neubeginn greift.
                                              8 richtig gute Käsereiben.

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                                                Der griechische Filmemacher Yorgos Lanthimos (Alpen, Dogtooth) scheint gerne totalitäre Gesellschaftsstrukturen zu hinterfragen und ihnen einen absurden Spiegel vor zuhalten. Hier in Form einer radikalen Beziehungs-Dystopie, die von der Entfremdung in einer entfremdeten Welt erzählt. Mit humorvoller Boshaftigkeit führt „Lobster“ das romantische Ideal von Liebe und Partnerschaft ad absurdum, gibt ihnen einen faschistischen Anstrich. Lanthimos karikiert gekonnt, nicht unbedingt subtil, sowohl den Zweisamkeits-Wahn wie auch die Zwangs-Monogamie als ein verkorkstes System ohne Menschlichkeit. Er stellt die Frage was eigentlich Partnerschaft ausmacht, was Liebe ist und wann individuelle Freiheit beginnt.
                                                In der ersten Hälfte des Films ist unser leicht autistisch-trottelige Held in einem Verkupplung-Hotel gefangen und wird, um nicht zu einem Hummer zu werden, gezwungen eine Beziehung zu finden. Bizarre Balz-Rituale folgen, die zwischen absurden Humor und greller Satire pendeln. Im zweiten Teil flüchtet unser Fast-Lobster in den umliegenden Wald, in dem ein ebenso drakonischer Gegenentwurf existiert, nur das hier Singel-Dasein Pflicht ist. Bizarre Gruppen-Regeln und Kontrollmechanismen sichern diesen radikalen Solo-Status ab.
                                                Hat der erste Akt mehr giftigen aber auch slapstickartigen Humor, wird der Film mit zunehmender Laufzeit düsterer und tragischer. Die Studie über Paarungsverhalten in einer emotional erkalteten Umgebung findet mit seinem absurden Realismus immer ungemein starke, exzentrische Bilder, auch wenn das Erzähltempo dabei manchmal stolpert. Fern von Hollywood-Kino, mit bewusster Sperrigkeit, taucht der Zuschauer in eine spröde Welt ein, in der nur der schwarze Humor eine Erlösung ist, angesichts der Bitterkeit.
                                                7,5-mal den schmutzigen Wichsgriffel in den Toasterschlitz stecken.

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                                                  lieber_tee 02.01.2017, 21:44 Geändert 15.01.2017, 02:46

                                                  Ekel Alfred trifft auf Dogtooth.
                                                  Das unabhängig finanzierte Langfilmdebüt von Nikias Chryssos ist eine Totalitarismus-Parabel, ein traurig-komisches Kafka-Kammerspiel über die bizzare Verspießerung "deutscher" Befindlichkeiten.
                                                  Das grausame Poesiealbum über eine Familie, die im entlegen liegenden Bunker ohne Horizont-erweiternden Seeblick haust, wird als eine giftige Farce, in dem deutsche Biedermeier-Neurosen offene Wunden sind, aufgeblättert.
                                                  Damit ihr Sohn Präsident der USA wird, muss er unter Tage schwarze Pädagogik ertragen. Die hubschrauberliche Eltern-Diktatur, mit dem pseudo-intellektuellen Vater und der not-geilen Über-Mutter, ist unerbittlich. Hauptstadt-Wissen wird mit dem blutigen Rohrstock im Ein-Kind-Klassenzimmer hinein geprügelt, zur Entspannung werden Pointen von Witzen auf dem Oma-Sofa erklärt. Erst ein Gast-Student, der als Nachhilfelehrer fungiert, führt das Fach Anarchie durch Spielen ein.
                                                  Das kleinkarierte, bösartige Bürgertum ist hier eine absurde Horrorshow, die ihrer eigenen Logik folgt. Bis ins kleinste Detail werden unhumanistische Täuscher dargestellt, die ihre faschistische Weltverachtung und gestörte Welt-Wahrnehmung mit Bommelpullovern ausschmücken. Kontrolle, Ordnung und Strafe, Angst vor dem Fremden, stumpfe Ritualisierung ohne eigene Selbstreflektion sind die Nährböden für den triebhaften Sumpf aus Menschenverachtung. Mit völliger Selbstverständlichkeit ordnet der Regisseur und Autor eine altraumhafte, gallig-giftige Versuchsanordnung an, die trotz satirischen Übertreibungen und schwarzen Humor der aktuellen Realität nicht fern ist und einem den Klos in den Hals, bis zum Ersticken, treibt. Mag sein, das manch Skurrilität über das Ziel schießt, und somit ins Leere läuft, „Der Bunker“ bleibt aber in jeder Szene unerbittlich böse.
                                                  7,5 offene Beinwunden namens „Heinrich“.

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                                                    „Hoffnung ist keine Taktik.“
                                                    Über Jahrmillionen gequetschte Dinosaurier brechen druckvoll aus dem Urschlamm aus und zerstören die Hybris der Technik.
                                                    Äh, oder so ähnlich…
                                                    „Deepwater Horizon“ ist ein effizienter, klassisch gerahmter und ausgeführter (böse formuliert: formelhafter) Katastrophenfilm über das größte Öl-Bohr-Desaster der US-Geschichte. Als Ensemble-Film und ohne störende (und schmalzige) Subplots angelegt, fehlt ihm vielleicht Tiefe und der wirklich kreative Funke. Regisseur Peter Berg darf wieder seinem Lieblingsthema frönen, das Heldentum des kleinen Mannes, verfällt aber überraschender Weise nicht in übergroße sentimentale Extreme. Hier geht es um das männliche Handeln. Nach einer überraschend ausführlichen (aber nur halb-verständlichen) technischen Expertise beginnt die reale Tragödie. Bemerkenswert packend fliegt einem die Bohrinsel um die Ohren, das feurige Spektakel mit seinen pyrotechnischen Bildern ist erstklassig. Die Panik und das grausame Chaos sind spürbar, ohne dass sich der Film jemals ausbeuterisch anfühlt. Trotz den dünnen Charakterisierungen sind die emotionalen Auswirkungen erfassbar. Berg ehrt die Männer und Frauen, die in der Explosion vor Louisianas Küste getötet und verletzt wurden, als schnelllebiges Deasasterdrama. Also als ein Genrefilm, der zwar mit den typischen Schwächen wie Auslassungen, Vereinfachungen, Konventionalität und dramatischen Banalitäten zu kämpfen hat, aber von Grund auf sympathisch dabei ist. Dass die Erzählung wenig Sinn für die komplexen Ursachen des Ereignisses oder seine skandalösen Umweltfolgen hat, sei ihm verziehen. Das wäre eine andere Geschichte gewesen, weil hier der kleine, heldenhafte Mann im Mittelpunkt steht.
                                                    6 Gesichter mit Schmutz beschmiert.

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